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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Sie, rief er endlich, Sie, die von Allen Angebetete, die Bewunderte, die Glückliche, Sie reden so?

Sie warf ihm einen Blick zu voll wehmüthiger Ironie, ein schwaches Lächeln öffnete den reizenden Mund: Es ist nicht Alles Gold was glänzt, sagte sie leise, und sich flüchtig verneigend entfernte sie sich. Louis dachte an keine Falschheit mehr.

Wie gefällt dir der französische Marquis? frug der Graf seinen Sohn auf der Heimfahrt von der Soirée.

Mein Gott! sagte Otto, er ist ja fast wie ein Mädchen.

Der Graf antwortete nicht, er hatte viel zu denken, und Otto hing ebenfalls seinen eigenen Gedanken nach.

Trotz Leonieʼs Bemühen, bildete sich kein besonders freundschaftliches Verhältniß zwischen den jungen Leuten aus. Bei Otto mochte eine kleine Eifersucht mit im Spiele sein, bei Louis war es die unüberwindliche Abneigung, eine Freundschaft zu suchen, die für ihn doch nur ein Mittel zum Verrathe war. Selbst dem alten Grafen wich er aus, der eine ungewöhnliche Theilnahme für den jungen, allein stehenden Mann bewies. Der unangenehme Eindruck, den sein erster Anblick offenbar auf ihn gemacht, schien vollkommen verwischt. Er vermittelte mit großem Eifer seine Beförderung; als aber diese eintraf, wies Louis sie aus den obengenannten Gründen entschieden zurück, freilich hätte sie ihn auch nach einer anderen Stadt versetzt und somit von Leonie getrennt. Der alte Graf war überrascht, doch schreckte ihn dieses Fehlschlagen seines guten Willens nicht ab; und mit Wort und That trat er wirksam gegen das Vorurtheil auf, das sich gegen Louis geltend gemacht.

Leonie war sehr erfreut über diese unerwartete Wendung der Dinge; es bewies, ihr Vater sei, wenigstens jetzt, zu keinem Argwohn geneigt, und das beruhigte sie sehr. Auch hatte sie dadurch den Zweck mehr als erreicht, den sie erst durch Ottoʼs Bekanntwerden mit Louis zu erstreben gesucht. Ihr Vater hatte den Vater des Marquis gekannt, es war fast eine Verwandtschaft, welche in diesem Begriffe lag. Selbst auf ihren Mann übte es einen gewissen Einfluß aus. Er wurde herzlicher gegen den jungen Mann, und seine Zuneigung für ihn war nicht mehr bloß eine Erdichtung Leonieʼs. Das Alles war gut, und doch schärfte es merkwürdig die Gedanken der jungen Frau, etwas Anderes als nur das Gute darin zu sehen. Warum war ihr Vater erblaßt bei der Erinnerung an eine Bekanntschaft, die schon so lange vergangen war? Welche Erinnerung war es, welche die Aehnlichkeit Louisʼ mit seinem Vater so furchtbar in ihm geweckt? Leonie dachte an einen Racheschrei, den sie einmal gehört, – war es möglich, daß dieser Racheschrei mit der längst Verstorbenen in Verbindung stand? Sonderbare Verkettung der Umstände, die hier auf fremdem Boden den Faden wieder anknüpfte, den der Tod seit so langer Zeit zerrissen zu haben schien. Aber was war es dann, was ihren Vater, der gegen alle Welt so verschlossen und fast abstoßend war, zu solcher Freundschaft für den Sohn eines so wenig geliebten Mannes trieb? Wüßte sie es nur! Sie sah keinen Weg, und doch hätte sie es so gerne gewußt! Der unsichere Boden, auf dem sie ging, und der, ihrem Vater gegenüber, ihr noch einmal so, unsicher erschien, mußte fester werden, so dünkte es ihr, sobald sie nur wüßte, in welcher Beziehung Louis zu ihrem Vater stand.

Dazu trat ein anderes Element, von dem sie nicht wußte, sollte sie es als einen glücklichen Zufall oder eine drohende Mahnung ansehen. Ottoʼs Interesse für Marie trat mit jedem Tage deutlicher hervor, und das ruhige Mädchen nahm seine Aufmerksamkeit, doch ohne sie zu ermuthigen, aber doch immerhin nicht unfreundlich auf.

Sage mir, sagte ihr Vater eines Tages zu ihr, hat der Marquis noch Ansprüche an Marie?

Wie soll ich das wissen? frug sie dagegen mit einer eigenthümlichen Beklommenheit.

Du am besten.

Ich? rief sie mit einer Ueberraschung, die gar nicht in ihrer Rolle lag.

Nun ja, du bist ihre Freundin, du warst es wenigstens – warum siehst du sie denn nicht mehr?

O, seitdem ich verheirathet bin – sagte Leonie nicht ohne einige Verlegenheit.

Hm, meinte ihr Vater, es wäre mir lieb, darüber im Klaren zu sein. Ich will dem Marquis nicht in den Weg treten, wenn er noch Hoffnung hat; aber Otto interessirt sich lebhaft für das Mädchen, und es wäre mein Wunsch, ihn bald verheirathet zu sehen.

Und da wäre Marie eine gute Partie? forschte lächelnd Leonie.

Das Mädchen scheint mir eine Perle zu sein, ich wüßte für Otto kein besseres Glück.

Da gibt es Conflict der Interessen, sagte lachend Graf Hoheneck, meine Frau hat bereits für den Marquis Partei ergriffen.

So? sagte ihr Vater.

Mein Gott, fiel Leonie ein, was thut man nicht, wenn man nichts zu thun hat! Und der arme Junge sah so sentimental aus! Indessen, wenn die Bande des Blutes sprechen, so werde ich wohl für Otto sein.

Von nun an kam sie wieder öfter mit der Familie des Barons zusammen. Niemand im Hause hielt die Gräfin für schuldig, deren eheliches Glück in der ganzen Stadt zum Sprichwort geworden war; ihre Schuld war es nicht, wenn auch außer dem Wege der Pflicht, ein schwaches Herz von dem Zauber ihrer Anmuth sich bethören ließ; aber mit oder ohne ihre Schuld war durch sie auf Mariens Leben eine Wolke gefallen, die sich nicht so leicht bannen ließ, und trotz dem beiderseitigen Bemühen stellte sich die alte Herzlichkeit nicht wieder her. Auch war jetzt Etwas in Marie, was jede zu nahe Vertraulichkeit verbot. Der Schmerz, der sie berührt, hatte sie nicht gebrochen, aber er hatte sie reifer, frauenhafter gemacht und ihr eine unbewußte Würde mitgetheilt, die sie weit über die Intimität Leonieʼs erhob, und vor welcher diese instinctiv zurückwich.

Da mit Marie nichts anzufangen war, so wandte sich die Gräfin, gegen alle Instructionen, mit ihrer Diplomatie an die Baronin selbst, die Ottoʼs Annäherung sehr wohl verstand und seiner Schwester auf halbem Wege entgegenkam.

Marie hat an meinem Bruder eine entschiedene Eroberung gemacht, sagte sie eines Tages zu der klugen Frau. Er schwärmt für sie auf die ritterlichste Weise, denn er schwärmt nur für sie. Ich könnte eifersüchtig sein, wäre es nicht Marie.

Der junge Graf ist ein sehr liebenswürdiger Cavalier, erwiderte die Baronin, die sich nicht vorwagen wollte und Compliment mit Compliment vergalt.

Der arme Marquis! sagte Leonie leicht, während sie mit dem Fächer spielte und nach einer anderen Seite sah. Wissen Sie, daß er mir leid thut? Ist wirklich keine Hoffnung mehr für ihn.

Davon kann gar nicht mehr die Rede sein! fiel die Baronin lebhaft ein. Wäre es nach meinem Sinne gegangen, wir hätten nie an eine solche Partie gedacht.

Aber Marie?

Marie ist viel zu vernünftig, um einem Traum nachzuhängen, der sich mit unserer Einwilligung nie erfüllen kann.

Sie glauben also, daß, wenn ein Anderer es versuchte —?

O, unterbrach die entzückte Baronin, was das betrifft, so haben wir noch nicht daran gedacht. Marie wird freilich nicht unverheirathet bleiben, weil zufällig der erste Mann, den wir ihr bestimmt, nicht für sie gepaßt, – denn im Grunde waren wir es mehr, das heißt, mein Mann, der ihn gewählt, als sie, das arme Kind, die nun die Folgen trägt. Sie wissen, setzte sie vertraulich hinzu und rückte der Gräfin näher, mein Mann hat seine Mutter, die Marquise de Chanteloup, in Paris gekannt – es ist nun sehr lange her – ich war damals Braut, und nach seiner Rückkehr sollte unsere Hochzeit sein. Die Marquise war sehr schön, glaube ich, und sehr unglücklich, und es entstand da so, eine kleine Schwärmerei. Wenn eine Frau glücklich sein will, so forscht sie nicht zu viel nach solchen Vergangenheiten und begnügt sich mit der Gegenwart. Aber wie gesagt, es war eine romantische Idee meines Mannes, der Marquis müsse wie seine Mutter sein, und da hätte er denn nahezu unser armes Kind recht unglücklich gemacht. Jetzt freilich wird sie es überwinden, meine Marie ist zu gut und verständig, es nicht zu thun, sie weiß, was sie uns schuldig ist. Und sehen Sie, liebe Gräfin – hier rückte sie noch näher, – ich glaube, die wahre Liebe wird für sie erst anfangen, wenn sie einmal verheirathet ist. Nun aber, natürlich, er war doch ihr Bräutigam, und so gehört Zeit dazu, bis sie diese erste Täuschung überwunden hat. Ihr Herz muß ausruhen von der Erschütterung, bevor es wieder Vertrauen fassen kann, und selbst die glänzendsten Aussichten, – hier nahm sie Leonieʼs Hand, – ja die ehrenvollsten, denen wir uns am liebsten zuwenden möchten, müßten wir jetzt verschieben, bis Mariens Stimmung sich besser damit verträgt. Das liebe Kind soll nicht unsertwegen ein Glück annehmen, das sie nicht als ein Glück empfinden würde. Sie verstehen, liebe Gräfin, Marie soll frei wählen, das heißt, setzte die gute Mutter bedachtsam hinzu, so frei, als es sich mit ihrem Glücke verträgt.

Leonie nickte ihr verstehend zu. Es wird meinen Bruder sehr glücklich machen, sagte sie mit einem zauberhaft freundlichen Lächeln, zu hören, daß Mariens Herz nicht unheilbar verwundet ist. Das seinige ist wenigstens sehr krank. Mein Vater glaubt es mit mir. – Sie erlauben mir doch, aus der Schule zu plaudern?

O, es soll durchaus kein Geheimniß sein, erwiderte die Baronin verbindlich. Leonie erschien ihr als die liebenswürdigste Frau von der Welt, und sie übernahm von nun an die Schwärmerei, die früher ihr Mann für die hübsche Gräfin gehabt.

Und unterdessen ging Leonieʼs Roman mit Louis seinen stillen, geheimen Gang ungestört und unaufhaltsam fort. Seit jenem Abend, wo er die vielsagende Thräne an ihrer Wimper zittern gesehen, war der junge Mann mehr als je gefangen.

Noch hatte er mit Leonie kein Wort von Liebe gesprochen, und doch, wie weit mit einander waren sie schon! Wie brannte sein Blut, wenn ihr Kleid ihn streifte, welche heiße Wollust lag in ihrem Blicke! Die gewaltige Sprache der Leidenschaft flog zündend zwischen ihnen hin und her, während die Welt nur gleichgültige, inhaltleere Worte vernahm. Da war an kein Halten mehr zu denken, was sie noch trennte, war nur die kalte Macht der Nothwendigkeit. Ein einziger Funke, und an allen Ecken schlugen die Flammen hervor.

 

Thun wir denn etwas Unrechtes? beschwichtigte er sein Gewissen, wenn es dann und wann noch die Stimme in ihm erhob. Was haben wir von dem Allen, als daß wir Beide unglücklich sind?

Und er war es wirklich. Aber es war nicht der Drang nach dem Besseren, der, wie früher, seine Seele in zwei streitende Hälften riß; der nicht zu sättigende Durst der Leidenschaft hatte, für jetzt wenigstens, jede andere Stimme in ihm erstickt. Leonie sah, daß er litt, und sie litt mit ihm; aber mit der Härte, die in ihr lag, kümmerte sie sich nicht darum. Sie frug ihr Herz nicht, sie ging ihren Weg und blickte nur auf das Ziel.

Er muß warten lernen, dachte sie, er wird noch oft warten müssen, denn meine Stellung setze ich nicht aufs Spiel. Und doch, was litt sie nicht! Ich will glücklich sein, sagte sie, tief aufathmend, ich muß es sein, aber jetzt nicht – jetzt ist noch nicht die Zeit! Wäre nur mein Vater fort! wüßte ich wenigstens, daß alle seine Freundlichkeit nicht bloß eine Mine ist, die mit mir auffliegen wird, wenn ich am wenigsten daran denke! – O diese dumme Liebe, die Otto hier zurückhalten muß! Hat uns diese Marie nicht schon weh genug gethan?

Sie zog das Weltleben um sich wie eine Mauer und lebte in einem Strudel von Zerstreuungen, der ihr fast keinen Augenblick des Nachdenkens und der Einsamkeit ließ. Und doch kam die Stunde, die sie mit solcher Gewalt von sich fern zu halten suchte, und als sie kam, fehlte ihr die Kraft, ihr aus dem Wege zu gehen.

Eines Tages war Otto bei ihr und überließ sich seiner Begeisterung für die noch ahnungslose Braut, die er erwählt, da trat der Marquis sonderbarer Weise unangemeldet herein.

Wo ist mein Schwager? frug Otto, um einen Grund zu haben, dem unliebsamen Störer auszuweichen. Mein Mann ist auf seinem Zimmer – ich will mit dir gehen, sagte sie rasch, als er sich nach der Thüre wandte, und sie wollte ihm nach.

Da legte Louis mit einer flehenden Geberde seine Hand auf die ihrige, und sie sank wie gelähmt auf den Sessel zurück.

Einen Augenblick dulden Sie mich allein bei sich! sagte er leise und zitternd zu der ebenfalls zitternden Frau.

Sie sah zu ihm auf mit einem träumerischen Lächeln voll unaussprechlicher Süßigkeit. Sie saß vor dem Klaviere.

Spielen Sie, bat er.

Gehorsam glitten ihre Finger über die Tasten.

Er stand hinter ihrem Stuhl. Sie spielte, sie wußte nicht was; sie fühlte, sah, hörte, empfand nur ihn; er war in der Luft, die sie einathmete, ihr ganzes Wesen schien in fühlendem Empfinden aufzugehen und seine Gegenwart in sich zu saugen. Ihre Finger wurden schwerer, ihr Kopf neigte sich unmerklich zurück, fast bis an seine Brust. Er küßte die gekräuselten Locken, die seinem Munde so nahe waren, berauschende Schwüle umwogte ihn, umfloß sie wie ein glühendes Meer und machte alles weitere Denken unmöglich. Sie spielte immer langsamer, nun sanken ihre Hände herab, sie blickte auf zu ihm, er beugte sich – ein Kuß – ein langer Blick – dann noch ein Kuß – Die Sonne schien in das Zimmer herein, der Vogel sang in seinem vergoldeten Käfich, die Blumen dufteten, Alles umher war Glanz, Reichthum und Harmonie, und mitten darin standen zwei selige schuldige Menschen Hand in Hand und vergaßen Erde und Himmel um sich her.

Ottoʼs nahende Schritte schreckten die Beiden aus ihrer Trunkenheit auf. Er hatte seinen Schwager zu einem Gespräche nicht gelaunt gefunden und kehrte mißmuthig zu seiner Schwester zurück.

Was habt ihr denn? frug er erstaunt, als er sie so verwirrt neben einander stehen sah.

Leonie faßte sich zuerst. Der Herr Marquis war so traurig, daß es mich ergriff, sagte sie.

Otto schüttelte ungläubig den Kopf. Was erzählten Sie meiner Schwester? frug er den Marquis, als er gleich darauf mit ihm das Haus verließ.

Louis senkte den Kopf in der größten Verlegenheit. Es giebt so Vieles, sagte er dann, was mich traurig machen kann. Sie wissen, mein Vater erschoß sich, als ich noch ein Knabe war, und meine Mutter – hier pochte sein Herz unter einem stechenden Vorwurfe – starb an gebrochenem Herzen.

Hm, sagte Otto, ich habe keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben, künftighin werden Sie aber besser thun, meiner Schwester keine solchen Geschichten im tête-à-tête zu erzählen, es möchte ihrem Manne doch nicht angenehm sein.

Der Marquis biß sich auf die Lippen, aber vor dem Zauber der Sünde hat noch keine Warnung geschützt.

Sie sehen, welcher Gefahr Sie mich aussetzen, sagte Leonie zu ihm, als er schon den folgenden Tag wieder kam, denn die Erinnerung an die genossene kurze Seligkeit ließ ihm keine Ruhe fern von ihr. Sie sehen, daß ich der Stimme meines Herzens nicht folgen kann. Denken Sie daran, daß ich nicht mehr frei bin. Mein Mann und mein Vater sind beide unerbittlich – mein Vater besonders. Schonen Sie mich! Sie wissen nicht, was er schon gethan – mein Leben selbst ist nicht sicher vor ihm.

Ja, erwiderte er, Sie haben Recht! ich sehe wohl, daß meine Liebe zu Ihnen ein Verbrechen ist, aber was soll ich dagegen thun? Ich kann nicht leben, ohne Sie zu lieben, ich habe es vergeblich versucht, und meine Liebe bringt Ihr Leben in Gefahr. Das Beste ist, ich thue, wie mein Vater, und jage mir eine Kugel durch den Kopf, dann haben wir Beide Ruhe.

Doch nicht, ohne mich zu fragen? rief sie, seinen Arm mit beiden Händen fassend. O Louis, wissen Sie denn nicht, daß ich Sie unaussprechlich liebe? Ist Ihnen meine Liebe allein nicht genug?

Ihre Augen standen voll Thränen, ihre Lippen zitterten, sie war schön wie ein Engel des Lichts in ihrer rührenden Liebesangst.

Leonie! rief er laut; er sank ihr zu Füßen und umschlang sie mit beiden Armen.

Louis, süßer Louis! flüsterte sie, über ihn gebeugt, zwischen einer Thräne und einem Kuß: Mein Louis! all mein Glück bist nur du allein!

Er küßte ihre Hände, ihre Kleider, ihre Füße, ihre thauigen Lippen, er schloß sie an sich und drückte den heißen Kopf in ihren Schooß.

Da erschallten Schritte, das Nebenzimmer entlang. Steh auf! rief Leonie hastig und todtenbleich.

Louis sprang in die Höhe. O diese Marter! rief er aus.

Leonieʼs Antwort war ein Lachen, so hell, so frisch, so kinderrein – lacht denn nicht mehr allein die Unschuld so?

Es war ihr Mann, der hereintrat. Fröhlich lief sie ihm entgegen.

Der Herr Marquis ist verdrießlich, wenn nicht Alles nach seinem Kopfe geht, scherzte sie. Sie hing sich an des Grafen, Arm und lachte wieder, als er sich zu ihr beugte, sie zu küssen, und sie mit einer spielenden Bewegung der ehelichen Liebkosung glücklich entwich.

Sage dem Marquis, er solle Geduld haben, sagte sie. Schon eine gute Viertelstunde predige ich ihm Weltweisheit, aber von mir nimmt er sie nicht an. – Er ist ein rechter Trotzkopf! setzte sie mit einer kindlich naiven Geberde beleidigter Würde hinzu.

Ich weiß zwar nicht, um was es sich handelt, wandte sich jetzt der Graf an den Marquis, der finster dareinsah bei der spielenden Tändelei, aber Geduld ist immer gut, und so folgen Sie nur immerhin dem Rathe meiner kleinen Frau.

Ja, sagte Leonie, er soll nur daran denken: Geduld bringt Rosen, und die Zeit kommt auch, wo wir sie pflücken können. Das Aufbrausen nützt gar nichts, schadet aber oft sehr viel. – Und nun muß ich Sie verabschieden, Herr Marquis, mein Mann ist nur nach Hause gekommen, um mit mir wieder auszugehen.

Sie reichte ihm die Hand, die er stumm an seine Lippen führte, und er fühlte deren vielsagenden Druck; aber weder dieser Druck noch der Blick, der ihn begleitete, stellte in ihm die gestörte Harmonie wieder her.

Sonderbar! geliebt von dem Weibe, das er liebte mit einer Glut, in der jede andere Bedenklichkeit, wie Wachs in der Sonne, zerschmolz; ihre Thränen und Küsse noch warm auf seinen Lippen: dem höchsten Glück so nahe, daß vielleicht schon der nächste Tag es ihm bringen konnte, – war die erste Empfindung, die sich in dem durch die Gewißheit der Gegenliebe etwas beruhigten Gemüthe regte, eine Erbitterung gegen das einzige Mittel, wodurch dieses Glück ihm ermöglicht war.

Der Ehebruch mit seinem gewöhnlichen Gefolge von Selbsterniedrigung und Heuchelei trat ihm schon jetzt in seiner häßlichsten Gestalt entgegen.

Und aus dem Allen rang sich zum ersten Male wieder nach langer Zeit der Gedanke an Marie in seiner Seele empor. Wie war sie still, wie war sie ruhig, wie war sie heilig in ihrer unantastbaren, edlen Weiblichkeit!

Doch kein Gedanke, Leonie zu entsagen, mischte sich in die kurze Erinnerung; nur ein tiefes Mitleiden kam über ihn.

Ja, Marie ist wahr – sagte er sich und seufzte – sie kann es sein, setzte er hinzu. Nie hätte Marie für mich gewagt, was Leonie wagt; es ist nicht ihre Schuld, wenn ihre Liebe für mich sie nun zu dem zwingt, was ihrer unwürdig ist. Nein, Marie kann nicht lieben – hätte sie Leonieʼs Herz für mich gehabt, es stände jetzt wohl anders zwischen uns!

Er ging mit sich zu Rathe. Er fühlte den Druck der Verhältnisse, und daß dieser unleidlich war. Er war jung und hoffnungsreich, war es ein Wunder, daß er daran dachte, ihn zu durchbrechen? O dieser Zwang! rief er laut, und Leonie muß ja noch schwerer darunter leiden als ich! Und wozu das Alles? liegt nicht die ganze Welt offen vor uns? Kann ich nicht arbeiten? und was brauchen wir mehr, wenn wir nur beisammen sind? O immerwährend beisammen sein, ohne Verstellung einander angehören, ungetheilt und ganz allein! O was ist Rang und Reichthum gegen eine solche Seligkeit? Ja, ich will arbeiten, was ist es mehr? Marie hätte gearbeitet für mich und wäre noch glücklich gewesen, es zu thun – aber Leonie soll es nicht. Meine Leonie! meine holde Blume! giebt es etwas Lieblicheres als du? Auf den Händen will ich dich tragen, kein Kummer soll dir nahen – O giebt es eine Mühe, die noch Mühe ist, wenn sie uns ein solches Glück erkauft?

Er setzte sich hin, ihr zu schreiben, sein Herz floß über in stolzer, freudiger Zuversicht. Daß die Gräfin, neben der Liebe, noch verschiedene andere Dinge zum Lebensglück nöthig finden könne, fiel ihm gar nicht ein.

Nein, sagte er plötzlich, ich will es ihr nicht schreiben. Von Mund zu Mund geht die Ueberzeugung leichter, und ich muß ihr Alles genau sagen, was ich will. Sie opfert ja mehr als ich, das liebe, herrliche Herz!

Er konnte den Tag kaum erwarten, und als der Morgen endlich kam, war es damit auch noch nicht abgemacht. Der Aufschub steigerte nur seine Sehnsucht nach jener seligen Zukunft ewiger Vereinigung, wo solche Rücksichten nicht mehr nöthig wären. Endlich schlug die ersehnte Stunde und er eilte fort zu ihr.

Die Gräfin sei bei ihrem Vater, sagte man ihm. Er ging zum alten Grafen, sie wenigstens dort zu sehen. Doch auch den fand er nicht zu Hause.

Der Herr Graf, hieß es hier, ist mit der Frau Gräfin nach dem Thiergarten gefahren. Zum Thiergarten also begab er sich, und hier endlich, am Arme ihres Mannes, den zarten Leib weich und warm in kostbare Pelze gehüllt, gewahrte er Leonie unter einem nickenden Federhut, der ihm schon von Weitem zuzuwinken schien. Sie waren alle beisammen und hatten einige Bekannte getroffen, mit denen sie plaudernd die Promenade fortsetzten, so daß, wenigstens für den Augenblick, an ein besonderes Gespräch gar nicht zu denken war. Aber Leonieʼs Augen sagten genug, und der warme Freudenstrahl, der ihm entflog, traf den jungen Mann mitten in das Herz.

Was sagen Sie zu meinem Anzuge? sagte sie, als er an ihrer Seite weiter ging.

In der That, ein wenig schwer für diese Jahreszeit.

Denken Sie, ich habe zufällig ein wenig gehustet, und mein Mann hat eine solche Angst, seine kleine, schlimme Frau zu verlieren, daß er mich mit einer vollkommenen Wintergarderobe behängt hat. Solche Dinge muß man mit sich geschehen lassen, wenn man verheirathet ist.

Wenn ich nicht sorgfältiger wäre als du, du wärest mir längst zu einem kleinen Eiszapfen eingefroren, sagte ihr Mann.

Und das ist allerdings ein Glück. Als Mädchen wäre ich nach meinem Geschmack erfroren, als Frau steht mir das hohe Privilegium zu, einmal nach deinem Geschmack zu ersticken.

Er lachte – Louis verdroß, wie immer, ihre unbefangene Vertraulichkeit mit ihrem Manne.

Dort sehe ich Jemand, mit dem ich durchaus sprechen muß, rief plötzlich der Graf. Herr Marquis, darf ich Ihnen meine Frau auf einen Augenblick anvertrauen? Und er entfernte sich rasch.

Wir werden dich erwarten, rief Leonie ihm nach. Sie gingen etwas langsamer, und die übrige Gesellschaft kam ihnen unmerklich voraus. Aber sie wollte es nicht zu einem besonderen Gespräch kommen lassen, sie fürchtete ihres Vaters scharfen Blick, der nur wenige Schritte vor ihnen ging, und sie fürchtete mehr noch Louisʼ eigene Ungeschicklichkeit, jene Ungeschicklichkeit, die ihr so lieb war, und die doch eine solche Gefahr in sich schloß.

 

Kommen Sie, sagte sie, ihren Schritt etwas beeilend. Doch er kam ihr zuvor.

Ich muß Sie sprechen, Leonie, sagte er leise, aber so bestimmt, daß sie nicht zu widersprechen wagte. Sie trat an ein eisernes Geländer, das den Zwinger eines Bären umfing, und sah hinab.

Sehen Sie den Bären an, ist das nicht ein Prächtiges Thier? antwortete sie, nach unten deutend.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte Louis, mit einem Ansinge von Ungeduld.

Heute nicht, sagte sie, mit noch immer abgewendetem Gesicht.

Also wann denn?

Morgen nicht und übermorgen auch nicht. Ihr Ton war offenbar neckend; es verdroß ihn, daß sie die Dringlichkeit seiner Bitte nicht begriff.

Aber ich muß Sie sprechen, wiederholte er noch einmal.

Es wird so wichtig nicht sein, versetzte sie, über das Gitter gelehnt. Sehen Sie doch den Meister Petz an!

O Leonie, sagte er traurig, Sie treiben wahrhaftig Ihren Scherz mit mir!

Glauben Sie? sagte sie, legte den Finger der kleinen beschuhten Hand an die reizenden Lippen und sah dabei den jungen Mann mit einem so schalkhaft lächelnden Blicke an, daß ihm das Blut in die Wangen stieg. Sie spielte so gern mit ihrer Macht, daß sie fortwährend ihre eigene Vorsicht darüber vergaß.

Um Gottes willen! rief sie plötzlich erschrocken, denn sie sah Otto nicht zwanzig Schritte weit, der auf sie zukam, sehen Sie mich nicht so an! Mein Vater bringt mich um, wenn er einen solchen Blick gewahrt.

Sagen Sie, wann ich Sie sprechen kann, war Louisʼ eigensinnige Antwort.

Ich werde sehen, sagte sie, schnell von ihm weggehend. Bleiben Sie stehen, und sehen Sie um Gottes willen noch den Bären an.

Er blieb stehen, und sie ging auf ihren Bruder zu. Otto war allein, und sie athmete beruhigt auf, während sie seinen Arm ergriff: vor Otto fürchtete sie sich nicht. Ihr Vater war schon ziemlich weit und ganz vertieft in ein lebhaftes Gespräch, er hatte also nichts bemerkt – von ihrem Manne war noch immer nichts zu sehen.

Otto war den ganzen Weg auffallend verstimmt. Leonie kümmerte sich wenig darum, sie hatte desto mehr Zeit, ihren eigenen Gedanken nachzugehen. Er begleitete sie nach Hause, und sie zuckte ungeduldig die Achseln, als er ihr in ihr Zimmer folgte, während ihr Vater sich mit seinem Schwiegersohn auf dessen Studirzimmer begab.

Was willst du? sagte sie mürrisch, denn sie war seiner so gewiß, daß sie bei ihm die Liebenswürdigkeit nicht für nöthig hielt.

Ich will dir sagen, rief er ziemlich unvorsichtig, daß mir dein Benehmen gegen diesen französischen Marquis und das seinige gegen dich nicht gefällt.

Es thut mir leid, sagte sie spöttisch, du hättest sollen meine Gouvernante sein.

Leonie! fuhr er heftig auf.

Wenn du dich unangenehm machen willst, so suche dir einen anderen Ort, als das Haus deiner Schwester, wo du dann mit deinen Hirngespinsten um dich werfen magst, wie du willst.

Leonie, rief Otto, mache mich nicht zorniger, als ich es schon bin! Deine Art und Weise, mit dem Marquis unter vier Augen umzugehen, schickt sich nicht. Du mußt ihm dein Haus verschließen und ihn nicht mehr wiedersehen. Ich dulde es nicht, daß dein Name zum Stadtgespött werde.

Sie lachte gereizt auf. Rufʼ es lauter, sagte sie. Es wäre schade, wenn nicht ein Dritter und Vierter erführe, welche Meinung du von deiner Schwester hast. Geh doch zu meinem Mann, oder lieber gleich zu meinem Vater; er wird sich freuen, wenn du ihm eine Gelegenheit giebst, seine alten Verfolgungen zu erneuern. Du hast es doch nur auf die Störung meiner Ruhe abgesehen.

Wenn ich zu deinem Mann oder zum Vater gehen wollte, käme ich nicht zu dir. Versprich mir, den Marquis nicht mehr zu sehen, und es soll nicht mehr die Rede davon sein.

Ich bin Herrin in meinem Hause, versetzte sie stolz. Nur meinem Manne brauche ich zu gehorchen, und weder du noch der Vater habt mir etwas vorzuschreiben, wenn nur er zufrieden ist. Denkst du unwürdig von mir, so mache es mit dir selber ab, bloß deiner Narrheiten wegen werde ich keinen Menschen beleidigen. Nein, unterbrach sie sich plötzlich und schlug mit einer wilden Geberde des Jammers die Hände über den Kopf zusammen, nie hätte ich geglaubt, daß mich so etwas von meinem eigenen Bruder treffen könne.

Sie warf sich auf das Sofa, verbarg das Gesicht in die Kissen und brach in lautes Weinen aus.

Otto war bewegt; ein junger Mann bleibt selten ungerührt von den Thränen einer Frau, und wäre diese Frau auch zehnmal seine Schwester, und wir wissen es, Otto hatte für die seinige ein besonders weiches Herz. Er fing an, seine Hitze zu bereuen, und fürchtete den Eintritt seines Schwagers oder gar den seines Vaters, der, wie er wohl wußte, Leonie nie gewogen war. Sie hatte auch recht gut gewußt, was sie that, als sie diesen Schatten ihrer Kinderzeit wieder vor seine Seele rief. Sein Zorn fing an in Mitleid und Sorge überzugehen: er trat zu ihr und faßte ihre Hand.

Ich habe ja nicht gesagt, daß du dir wirklich etwas vorzuwerfen hast, aber selbst der Schein schadet einer jungen Frau, und besonders in einer Stellung, wo sie die Augen so Vieler auf sich zieht. Wird Marie jemals meine Frau, so weiß ich, daß ich unglücklich wäre, haftete der geringste Schein einer unrechten Handlung an ihr. Darum sei mein gut lieb Schwesterchen und versprich es mir, daß du den Marquis wenigstens nicht mehr allein unter vier Augen sehen willst.

Kann ich das? versetzte sie. Mir selbst ist der Marquis weiter nichts; mein Mann hat den jungen Mann gern, das ist die ganze Beziehung zwischen uns. Ich habe für sein Unglück Theilnahme gefühlt, das ist wahr; er kann es noch immer nicht vergessen, daß Marie ihn verworfen hat, und ich hatte ihm versprochen, mein Möglichstes für ihn zu thun. Zufällig hast du jetzt Absichten auf sie, du bist mein Bruder, und ich bin zu deiner Partei übergegangen. Er hat eine Ahnung davon und sieht ein, daß er Marie nicht das bieten kann, was sie in einer Ehe mit dir finden wird. Du sprichst von Schein, aber wenn ich von allen Männern, die mein Haus besuchen, nur ihn allein so ängstlich vermeide, welchen Schein lade ich dann auf mich, und was soll ich meinem Mann antworten, wenn er mich über den Grund einer so auffallenden Abneigung fragt, gegen einen Menschen, den er besonders schätzt und der ja Keinem von uns etwas zu Leide gethan? Frage ihn selbst; denkst du denn, ich habe es nicht schon versucht?

Katze! sagte Otto, der nichts zu erwidern fand und doch nicht überzeugt war, und sonderbarer Weise in seinem Kopfe immer dasselbe Bild für seine Schwester fand, mochte es nun in Zorn oder Freude sein.

Sie erhob sich in aller Würde gekränkter Weiblichkeit. Du beleidigst mich fort und fort, sagte sie. Wenn ich auch deine Schwester bin, ich bin, selbst für dich, noch immer eine Frau und habe Anspruch als solche, von dir mit Achtung behandelt zu werden. Du siehst, was du nicht verstehst, und weil du es nicht verstehst, scheint es dir schlecht zu sein. Thue was du willst, ich rede kein Wort mehr mit dir. Das Glück meiner Ehe sollte genügende Antwort sein auf jeden Verdacht. Du kannst mir manchen Verdruß bereiten, du kannst den Frieden meines Mannes stören und dadurch auch den meinigen, aber thue was du willst – ich fürchte dich nicht. – Sie ging zur Thüre, auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um. Ich muß dich verlassen, sagte sie. Du bist in einem Zustande, der kein vernünftiges Gespräch erlaubt; wenn du ruhiger bist, so wird es mich freuen, dich wieder zu sehen – bis dahin lebe wohl.

Da ging die Thüre auf, und ihr Vater trat ein, von ihrem Mann gefolgt.

Was giebt es? frug der alte Graf ganz überrascht.

O, rief Leonie zornig und schonungslos, denn sie fühlte, der Sieg sei in ihrer Hand, es ist nur mein Herr Bruder, der es liebenswürdig findet, einmal ungezogen zu sein.

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