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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Die Gräfin stieß einen kleinen Schrei der Ueberraschung aus, und die niedliche Scheere entsank ihrer Hand. Der Marquis trat ein, und erst, nachdem er sich vor den Männern verbeugt, suchte sein scheuer Blick die Frau des Hauses, die mit erneuertem Eifer über ihre Blumen gebückt, seinen Eintritt nicht zu gewahren schien. Mit einer gewissen Unschlüssigkeit trat er ihr einen Schritt näher, da wandte sie ihm den rosig angehauchten Kopf mit einem so holdseligen, frohen, halb verschämten Lächeln zu, das ihm das Herz vor tief überraschter Wonne stille stand.

Mit den besten Vorsätzen war er gekommen, diese wahnsinnige, wider alle Vernunft und alles Recht streitende Liebe zu besiegen um jeden Preis.

Der Todestag seiner Mutter war wiedergekehrt, und diese für ihn so heilige Erinnerung an sie hob sich wie eine reine Leuchte über die wilde Flut seiner Leidenschaft. Was seine Mutter von ihm verlangen würde, konnte darüber wohl ein Zweifel ihn ihm sein? Je tiefer er sich in ihr Andenken versenkte, desto klarer und unwidersprechlicher erschien ihm seine Pflicht, desto mehr regte sich auch in ihm der Wille, dieser Pflicht gewachsen zu sein. Er wollte die Stadt verlassen, seine Stelle aufgeben und in irgend einem unbekannten Winkel fern von Allem, was ihn hier so lockend umgab, sein Brod, wenn es sein mußte, mit seiner Hände Arbeit verdienen und auf diese Weise für die unwillkürliche Verirrung Buße thun. Daß diese schönen Vorsätze ihm gekommen, nachdem er sich durch reifliches Nachdenken überzeugt, Leonie habe ihm gegenüber ganz unbefangen nur die Pflicht eines guten Herzens erfüllt und von seinen eigenen sündigen Gefühlen eben so wenig eine Ahnung, wie ein unschuldiges Kind, das machte diese Entschlüsse um nichts schlechter und war zugleich ein Beweis von seiner eigenen Arglosigkeit.

Er war also entschlossen, sich loszureißen, und wollte nur noch Abschied nehmen; denn Abschied nehmen mußte er jedenfalls. Das hatte die großmüthige Güte, womit sie, die Einzige fast, sich nicht von ihm gewandt, gewiß von ihm verdient. Mit den grellsten Farben malte er sich die Undankbarkeit aus, die er begehen würde, wenn er fortginge, ohne sie vorher zu sehen, und den Genuß dieser wenigen Minuten in ihrer Nähe konnte er sich wohl erlauben, nun es so unwiderruflich beschlossen, daß es die letzten seien. Er wiederholte sich, daß er seinem Herzen nicht schmeicheln wolle durch dieses Wiedersehen, nur den Zauber wollte er ergründen, den sie so unerklärbar auf ihn ausgeübt; könne er ihn nur ergründen, sagte etwas in ihm, so höre der Zauber auf, ein Zauber zu sein, und an Leib und Seele wäre er von Neuem frei. Heute, an dem Sterbetage seiner Mutter, wo mit jeder vorüberfliehenden Minute sein Herz unter der Last einer schmerzlich süßen Erinnerung erbebte, wollte er zu ihr gehen, heute hatte die gefährliche Circe keine Gewalt über ihn.

Aber als er nun vor der reizenden Gräfin stand, fühlte er sich seines so leicht gedachten Sieges bei weitem nicht mehr so gewiß.

Sie haben mich fast erschreckt, sagte sie mit einem süßen Blicke, der sich, halb verschleiert nur, zu ihm stahl. Kommen Sie näher, sehen Sie meine Blumen an, fügte sie mit lieblicher Vertraulichkeit hinzu und reichte ihm die Hand. Von dieser kleinen, feinen, wunderbar zart gebildeten Hand, die er jetzt in der seinigen hielt, schien ein berauschendes Gift auszugehen, das in süßer Lähmung seine Seele betäubte. Er drückte seine Lippen darauf, und alle seine guten Entschlüsse flogen in den Wind. Eine lange Minute verging; ihre Hand lag noch immer in der seinigen, und er wußte es nicht. Sie stand neben ihm mit gesenkten Augen, verwirrt, betäubt, wie er, doch nur für einen Augenblick. Ihr Mann und sein Freund traten jetzt auch heran.

Meine Scheere liegt, glaube ich, vor Ihren Füßen, sagte sie schnell, wie in einem Anfluge von Ungeduld, und mechanisch bückte er sich danach. Sie nahm ihren Mann bei der Hand und führte ihn auf die andere Seite des Blumentisches, der Fremde folgte, und das Gespräch wurde nun allgemein.

Wir haben einen Brief von meinem Vater, sagte die Gräfin. Sie kennen meinen Vater nicht? fügte sie, zu Louis gewendet, hinzu.

Er verneinte stumm.

Nun, Sie werden ihn kennen lernen. Fragen Sie meinen Mann. Der schwärmt für ihn. Ich darf nichts sagen, da ich die Tochter bin.

Mein Schwiegervater ist ein Mann, wie es deren wenige giebt, betheuerte der Graf.

Und mit meinem Bruder müssen Sie sich befreunden, unterbrach ihn Leonie. Er ist viel zu ernst für sein Alter und geräth darin ganz meinem Vater nach. Sie müssen mir ihn aufheitern helfen, Herr Marquis.

Louis verneigte sich. Als er das Haus verließ, nahm er einen ganzen Himmel von Hoffnungen mit sich fort.

Du machst ihn ja ganz zum Hausgenossen, sagte der Graf zu seiner Frau, als später die Rede auf den Besuch zurückkam.

Er hat Niemand, versetzte sie, und dann bin ich froh, für Otto zu sorgen, der nie für sich selbst sorgen kann.

Der Marquis scheint mir eben auch nicht die personificirte Heiterkeit zu sein, bemerkte der Graf, nicht ohne einen Anflug von Spott.

Desto besser passen sie vielleicht zusammen, scherzte Leonie.

A propos – es ist ja schon lange, daß Niemand vom Baron Lohenstein hier war, nicht wahr?

Ja wohl, ich begreife es nicht.

Das letzte Mal war der Baron hier an dem Abend, wo du so wüthend tanzest. Erinnerst du dich? Es muß schon damals mit der Verlobung nicht ganz richtig gewesen sein, denn gleich darauf soll der definitive Bruch stattgefunden haben.

Du meinst? sagte Leonie mit aller Ruhe der Unbefangenheit.

Es wäre doch unangenehm, wenn Marie oder sonst Jemand von der Familie den jungen Mann bei uns treffen sollte.

Dafür laß mich sorgen, ich habe meinen Plan, erwiderte Leonie mit einem vielsagenden Lächeln.

Wo ihr Frauen nur eine Herzensgeschichte wittert! sagte ihr Mann, und hob mit lächelnder Drohung den Finger gegen seine kindlich junge, reizende Frau. Nimm dich in Acht, fuhr er ernster fort, dein guter Wille bringt dir schwerlich etwas Anderes als Verdruß.

Leonie schüttelte schmollend das reichgelockte Köpfchen, dann mit einer plötzlichen Bewegung streifte sie leicht mit der Wange die Haare ihres Mannes, neben dessen Stuhl sie stand. Die kleine Liebkosung brach all seinen wohlarrangirten Vernunftgründen die Spitze ab und endete für heute das Gespräch.

Den folgenden Morgen fuhr sie zum Hause ihres Vaters hinüber, dort selbst nachzusehen, ob Alles für seine Rückkehr in der gewünschten Ordnung sei. Sie fand die Dienerschaft voll Freude, den jungen Herrn bald wiederzusehen, der unter den Augen der meist alten Leute groß geworden, und die Gräfin war am Nachmittage kaum von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt, so stürzte schon Otto in das Gemach. Leonieʼs Gesicht leuchtete hell auf. Selbst in ihrem dürren Herzen bebte eine kleine Saite der Liebe dem einzigen Bruder entgegen, der ihrem Willen nie das Geringste in den Weg gelegt.

Zerdrücke mich nicht so, sagte sie, als sie sich aus seiner rücksichtslosen brüderlichen Umarmung erhob. Du bist fast noch ärger, als mein Herr Gemahl!

Kaum angekommen, hatte er sich mit Gewalt von Allen losgemacht, die sich nicht satt an ihm sehen konnten, und war zu seiner Schwester geeilt, sich an ihrem Anblick zu erfreuen. Sie setzte ihn in einen Stuhl und strich ihm mehrmals mit der seinen Hand über die schon gebräunte Stirn, und wirklich, ihr Anblick mußte eine Freude für ihn sein. Sie war heute ganz in Rosa, trotz ihres röthlichen Haares; aber sie liebte den Wechsel, und im Grunde stand ihr Alles gut. Sie sah allerliebst aus, wie sie so in scherzender Heiterkeit vor ihm stand.

Du bist hübscher geworden, sagte sie, den reizenden Kopf in verführerisch unschuldiger Altklugheit wiegend. Man kann dich jetzt ohne Beschämung als Bruder ausführen.

Er lachte und wollte sie auf seinen Schooß ziehen. Aber leicht wie eine Feder wich sie ihm aus. Solche Vertraulichkeiten schicken sich nicht mehr für mich, sagte sie, ihm mit dem Fächer auf die Finger klopfend, ich bin jetzt eine verheirathete Frau.

Ei, du zierliche Katze! antwortete er lachend.

Warte, ich werde dir zeigen, daß ich auch kratzen kann! rief sie, hoch erröthend.

Du bist ja gar nicht mehr so schläfrig, sagte er, über ihre Lebendigkeit erstaunt.

Ja, die Ehe hat sie etwas aufgeweckt, meinte der Graf, aber doch gehört sie noch immer zu den Stillen.

Otto richtete sich mit scheinbarem Entsetzen in seinem Stuhle auf. Dann behüte Sie Gott, Herr Bruder! rief er pathetisch, das Sprichwort ist zu grauenhaft.

Leonie stampfte den weichen Teppich mit dem kleinen Fuße, wandte den Rücken und ging zornig hinaus.

Was hat sie? frug Otto überrascht.

Kinderei! sagte der Graf. Sie ist wirklich wie ein Kätzchen, und man weiß nicht, welche Laune ihr reizender steht.

Der Graf schien seine Frau zu kennen, denn gleich darauf schlug ein perlender Triller an sein Ohr, und bald folgte ihre Stimme, voll, klar und hell wie jubelnder Uebermuth den geflügelten Tönen nach.

Den Grafen zog es unwiderstehlich an die Seite seiner Frau, und er nahm seinen Schwager mit sich hinaus.

Zu Hause entwarf Otto seinem Vater ein glänzendes Bild von dem Glück und der Liebenswürdigkeit der jungen Frau und ärgerte sich, als dieser ihn dabei nur mit einem ungläubigen Blicke ansah, der selbst nicht von seinem Gesichte wich, als sein Schwiegersohn, der bald nachkam, Alles, was Otto gesagt, mehr als bestätigte. Erst als er von dem Fenster aus seine Tochter selbst kurz darauf aus dem Wagen hüpfen sah, leicht und blühend, wie die jüngste der Grazien, die noch kein Hauch des Kummers berührt, athmete er erleichtert auf. Er hatte nicht den Muth gehabt, selbst nach einer Ueberzeugung zu gehen.

In Gegenwart ihres Vaters indessen überkam die junge Gräfin die alte Beklommenheit, die sie als Mädchen stets vor ihm gefühlt, heute noch bedeutend verstärkt durch die Stimme ihres Gewissens. Sie sagte sich vergebens, sie habe nichts Strafwürdiges gethan; das Bild der Mutter wich nicht aus ihrem Geiste und durchbebte sie mit einem kalten Schauer der Angst. Aber um so inniger schloß sie sich an ihren Mann. Es war, als suche sie Schutz unter seiner warmen Liebe gegen die furchtbare Gefahr, die sie gespensterhaft in der Ferne aufdämmern sah. Ihrem ganzen Wesen hauchte es einen rührenden Ausdruck demüthiger Abhängigkeit ein. Sie war so still, so unterthänig, so voll tief geheimer und ahnungsvoller Hingebung, daß selbst den alten Grafen etwas wie Rührung beschlich. Aber zu Hause gab die Spannung ihrer Nerven nach, und sie brach plötzlich in ein krampfhaftes Weinen und Zittern aus.

 

Was fehlt dir? fragte ihr Mann und zog sie in großer Besorgniß an sein Herz.

Ich will nicht sterben, sagte sie, und schlang ihre Arme fester um seinen Hals. Sie sah mit den thränenfeuchten Augen zu ihm empor, ein neuer Schauer überlief sie, und sie schmiegte sich dichter an seine Brust, in welche sie ihr Gesicht verbarg. O versprich mir, flüsterte sie, was auch geschehen möge, wie sehr du mir auch zürnen magst, laß mich nicht sterben – nicht in Gram und Elend untergehen!

Was fällt dir ein? rief er erschrocken, du bist krank! Aber sie ließ sich nicht beschwichtigen. Er hob sie in seine Arme wie ein Kind. Sie war so leicht und zart, so weich und schmiegsam wie ein Kind. Er küßte sie wieder und wieder und schloß sie fester an sich. Nun lachte sie unter Thränen zu ihm nieder; es war wie ein Mairegen, der über Blüten fällt.

Liebst du mich? flüsterte sie, seinen Kopf in ihre beiden Hände nehmend. Er sah betheuernd zu ihr auf, aber sie schüttelte verneinend den Kopf. Du sollst reden! sagte sie, und ein wehmüthiger Zug machte die seinen Lippen erbeben.

Wie kannst du zweifeln? erwiderte er, sonderbar von dem Auftritt bewegt. Sie antwortete nicht und lehnte ihre hochgeröthete Wange an die seinige, als wiege dieses Bekenntniß sie beruhigt ein.

Ja, er liebt mich, dachte sie, er liebt mich! Er gäbe sein Herzblut für mich hin. Er ist blind, wenn ich nur vorsichtig bin, und wenn nur der Vater blind bleibt. O Louis – Louis, ich kann dich nicht aufgeben! – wie süß der Name klingt! – Wäre nur der Vater nicht hier – O ich muß vorsichtig sein.

Und sie war es. Als der Marquis nach einigen Tagen wieder kam, war ihr Mann ganz erstaunt, daß sie sich verläugnen ließ.

Man muß auch ein wenig für sich leben, erwiderte sie mit einem müden Lächeln auf seine Bemerkung; man kann nicht immer gutherzig sein. Wenn du willst, lade ich ihn nächstens einmal ein – vielleicht zu einer Soirée.

Wie du willst, mein Kind, thue was du willst! und er nahm seinen Hut, um zu gehen.

Aber ich will thun, was du willst, schmollte Leonie.

Nun gut, so lade ihn ein. Du weißt, mir ist der junge Mann ganz angenehm; —und damit ging er fort. Noch in derselben Stunde setzte sich die Gräfin nieder und schrieb ihre Einladung an den Marquis.

Du weißt nicht, was ich für dich thue, dachte sie, nachdem sie ihr Billet überlesen und es nun träumerisch einen Augenblick vor sich niederhielt. Nein, du wirst niemals wissen, was ich für dich wage, gewagt habe und vielleicht noch wagen werde, um nur einige Augenblicke in deiner Nähe mich des Bewußtseins eines Glückes zu erfreuen, das ich doch nie von deinen Lippen hören darf – sie erschrak über ihr eigenes Wort – wenigstens jetzt nicht, setzte sie rasch hinzu. – O jetzt nicht – es wäre der Tod! – Sie verhüllte schaudernd das Gesicht mit ihren Händen. Und wirst du ausharren? frug sie nach einer Pause fort, wirst du geduldig warten können, bis das Ferne nahe kommt und uns in seine berauschenden Wellen schließt? O Louis, ich habe zu viel auf dich gebaut! – wenn der Faden reißt, der uns an einander knüpft, wer bewahrt mich da vor dem Untergang?

Sie kreuzte die Arme über die Brust, als wollte sie damit das drängende Wogen des Lebens zusammenhalten, von dem der junge Busen überquoll. Ihre erwachte Seele schlug die bunten Schmetterlingsflügel um sich und wollte sich nicht mehr einzwängen lassen in die alte, kalte, berechnete Vergangenheit. Wie war Alles so ganz anders geworden, als sie es sich gedacht! Sie öffnete die Lippen und athmete schwer. Der Boden wankte unter ihren Füßen, die Leidenschaft riß sie fort, und es war eine letzte Kraftanstrengung, mit der sie sich fest an das früher Gewollte hielt. Ich werde die Gelegenheit vermeiden, sagte sie, nachdem sie lange in Gedanken gestanden, über diese herrsche ich noch. Sie zog die Klingelschnur, schloß das Billet und schickte es ab. Ja, dachte sie, es ist besser so, ihn bei dieser Gelegenheit meinem Vater vorzustellen, und ist erst Otto mit ihm befreundet, so kann auch ich freier mit ihm umgehen, ohne daß es auffallend wäre. – An demselben Tage begegnete sie dem Marquis und schien ihn nicht zu sehen.

Louis war nicht rosig gestimmt. In einer großen Stadt begegnet man oft Jahre lang den Leuten nicht, denen man am liebsten begegnen möchte, und um jede Ecke rennt man an, einen Feind. Als er aus seiner Wohnung ging, sah er plötzlich Marie vor sich stehen. Zum ersten Mal nach langer Zeit, wenn auch nur auf einen Augenblick, hatte er in die ruhigen, braunen Augen gesehen, in die er früher so unaussprechlich gerne geschaut. Er dachte nicht daran, zu forschen, ob sie sich seit ihrer Trennung geändert oder nicht, er fühlte nur die Wohlthat der Nähe, die sich früher so oft wie Balsam über seine aufgeregten Nerven gelegt, und als sie nach stillem Gruße um die nächste Ecke verschwand, schien es ihm, als ziehe sein besseres Ich mit ihr fort. Die ganze letzte Zeit stand anklagend wider ihn auf. Wonach strebte er? was war es, das er wollte? wie weit stand es von den Idealen seiner Jugend ab! und wofür? Was blieb ihm, wenn es ihm nicht gelang? und wenn es ihm gelang? O wenn es ihm gelang, unterbrach sein trunkenes Herz die mahnende Stimme der Vernunft, war nicht ein Augenblick solcher Seligkeit eine ganze Zukunft zahmen Glückes werth, das von keiner Leonie getheilt und beseligt war?

Da begegnete er ihr, und ihr gleichgültiges Vorübergehen gab allen seinen Hoffnungen den Todesstoß. Die Liebe, oder vielmehr die Leidenschaft ist ein sonderbares Wesen, ein tolles Pferd, das seinen Reiter bald hier, bald dorthin reißt und die goldene Mittelstraße stets überspringt. Marie und Alles war vergessen in diesem neuen, unerwarteten Schmerz, und als er nach Hause kam und ihre Einladung auf seinem Tische fand, dankte er Gott, wie für das größte, sehnlichst erwartete Glück. Er las das Billet und las es wieder, legte es weg und nahm es abermals und versenkte sich endlich ganz in das Studium dieser kurzen, niedlichen Zeilen, deren zierlich gezogene Buchstaben in ihrer flüchtigen Leichtigkeit wie tanzende Amoretten sich unter seinen Augen zu bewegen schienen. Auf dem Siegel stand ein Stiefmütterchen, das dunkle und helle Blümchen, von den Franzosen so sinnig pensée genannt. Hatte sie es nur aus Zufall gewählt? Er drückte das Papier an die Lippen, ein feiner Duft drang daraus hervor, und wie mit einem Zauberschlag stand die ganze reizende Gestalt vor seinem Geist; es war fast, als wehe ihr warmer Athem über seine Stirne; er fühlte ihren Blick, er sah das Lächeln, das, räthselhaft und liebkosend wie ein Kuß, seine ganze Seele gefangen nahm. An Marie dachte er heute und auch den andern Tag nicht mehr; der Abend, der ihm bevorstand, schloß alle seine Gedanken ein.

Der Graf hatte einen Troß entfernter Bekannten zu dem heutigen Feste eingeladen, das auch eigentlich wie eine Art Abzugskanal nur für sie gegeben war. Die lange Reihe der Gesellschaftszimmer stand geöffnet, ein Meer von Licht wogte darin, prallte an den hohen Spiegeln ab und umspielte in blendendem Widerschein die frischen Kelche der Blumen, deren farbige Fülle bis in jeden Winkel verbreitet war. Leonie, von zwei goldbetreßten Lakaien gefolgt, wanderte von Zimmer zu Zimmer besichtigend umher, weiß, in schweren Gewändern, mit Perlen um Arme, Hals und Haar, anmuthig, wie die lieblichste Fee. Plötzlich flog ein Schimmer der Freude über ihr Gesicht: Louis stand unter der Thüre und betrachtete sie bewundernd und fast verzagt. Er war zuerst von ihren Gästen gekommen und fand sie noch allein; freilich nur einen Augenblick, aber doch allein. Sie ging ihm entgegen, mit dem elastischen und etwas wiegenden Schritt, der ihr gewöhnlich war.

Ich muß Sie loben, sagte sie freundlich, mein Vater und mein Bruder werden gleich hier sein, und es liegt mir sehr viel daran, daß Ihnen Otto gefalle.

Sie entließ ihre Trabanten und setzte sich. Kommen Sie, fuhr sie fort, und wies ihm mit den Augen einen Stuhl an, der neben ihrem Sofa stand.

Nun, sagte sie, wollen Sie nicht der Freund meines Bruders sein?

Louis war in dem Anschauen des verlockend schönen Weibes versunken; ein wahrer Berg von Blumen war hinter ihrem Sitze aufgerichtet, und gerade über ihre Stirne wiegte sich die rötheste Rose und funkelte wie ein blutiger Stern.

Sie sind zerstreut, sagte sie, woran denken Sie denn?

Sie sollten immer unter Blumen sein, versetzte Louis, er wußte nicht wie.

Sie dürfen mir keine Complimente machen, wenn mein Mann nicht dabei ist, erwiderte die Gräfin mit einem Blick, der ganz andere Dinge sagte, als der reizende Mund. Ach, da ist er ja schon, rief sie aufstehend, und wahrhaftig, mein Bruder auch! – und wirklich waren es Otto und der Graf. Wo ist mein Vater? frug sie jetzt.

Der Vater kommt erst später, versetzte Otto.

Sie schlug ihren Mann mit dem Fächer auf den Arm. Wo bist du so lang geblieben? schmollte sie, ich mußte den Herrn Marquis allein empfangen, und er hat mir gar ein Compliment gemacht.

Louis erröthete in peinlicher Verlegenheit.

Ich dachte, Sie wären kein Freund der Galanterie, sagte lächelnd der Graf.

Ich bitte dich, laß ihn gehen, unterbrach ihn Leonie; du nöthigst ihm sonst noch das zweite ab, und das erste fiel ihm schwer genug.

Sie nahm den Arm ihres Mannes, und mit dem Fächer auf Otto weisend, fuhr sie fort: Herr Marquis, der blonde Jüngling, der Ihnen scheinbar so bescheiden gegenübersteht, hat die von ihm gar nicht hinreichend gewürdigte Ehre, mein Bruder zu sein, Otto Graf Thorstein, künftiger Majoratsherr, den ich Ihrem Wohlwollen empfehle. – Otto, der Herr Marquis von Chanteloup, mein Landsmann, mit dem ich schon oft von dir sprach.

Sie ließ die jungen Männer bei einander und entfernte sich rasch, denn das Gedröhn auffahrender Wagen scholl mächtig von der Straße herauf, und bald war Alles rund umher Leben und Bewegung, in deren glänzendem Gewoge sich der Einzelne verlor.

Sprachlos blickte ihr Louis nach. Ihre scherzende Erwähnung einiger zwecklosen Worte hatte ihn tief verletzt. Sie ist falsch, durchzuckte es ihn zum ersten Male wie ein Blitz. Er beachtete die Vorstellung weiter nicht, und hatte sich halb von Otto weggewandt; da schob dieser, der, selbst schüchtern, fremde Schüchternheit instinctiv verstand, den Arm zutraulich unter den des Marquis und zog ihn mit sich in eine Fenstervertiefung fort.

Sie werden heute wahrscheinlich das schönste Mädchen der Stadt hier sehen, es ist eine Freundin meiner Schwester, ein Fräulein von Lohenstein. Der Mann ist glücklich, der sie als Frau heimführen wird, sagte Otto, der schon vor seiner Reise eine stille, schüchterne Verehrung für Mariens blühende Schönheit genährt.

Der Marquis antwortete nur mit einer Bewegung des Kopfes.

Sie kennen das Fräulein wohl nicht? frug Otto, von solcher Kälte überrascht.

O doch! versetzte der Marquis. Aber Otto sah, daß hier an keine Theilnahme für seine jugendlichen Gefühlsergüsse zu denken war, und sein neuer Bekannter verlor alles Interesse für ihn.

Mit unendlicher Liebenswürdigkeit, die sich für jeden Neuangekommenen immer neu zu verjüngen schien, machte Leonie indessen die Honneurs ihres Hauses. Ihr Vater war eingetroffen, und sie war froh sich ihm in einem neuen, vortheilhaften Lichte zu zeigen. Der Gedanke, daß Louis durch seine Bekanntschaft mit Otto nun festeren Fuß in ihrem Hause gefaßt, machte ihr Herz glücklich und leicht. Einmal flogen ihre Augen nach der Stelle hin, wo Louis neben ihrem Bruder stand. Seine Stirn war umwölkt. Was mag er haben? dachte sie, aber sie konnte jetzt nicht zu ihm hin, und sie wagte es auch nicht; ihr Vater stand nur einige Schritte von ihr entfernt. Durch Otto sollte er ihm vorgestellt werden und nicht durch sie. Plötzlich legte sich eine heiße Hand auf ihre nackte Schulter. Ueberrascht wandte sie sich um; es war der alte Graf, der neben ihr stand, aber so bleich und finster, daß die schuldbewußte Frau bis in den tiefsten Grund ihrer Seele erschrak.

Wer ist der junge Mann? frug er mit erstickter Stimme, auf Louis weisend.

Leonie zerdrückte fast den Fächer in ihrer Hand. Welcher? frug sie so ruhig als sie nur konnte.

 

Derjenige, der mit Otto spricht, sagte ihr Vater mit mühsamer Anstrengung.

Sie fühlte sich erblassen, aber sie faßte all ihren Muth zusammen und antwortete: Es ist ein Emigrirter, ein Marquis de Chanteloup.

Ein Seufzer hob des Grafen Brust; Leonie blickte zitternd auf, seine Stirn war von Schweiß bedeckt. Sie spielte mit dem Fächer, sie fühlte ihr Haar sich sträuben vor Entsetzen. Ihr Mann kam jetzt heran, nach ihr zu sehen. Sie lächelte ihm zu, sie nickte, sie sprach mit ihrer Nachbarin rechts, mit der, die ihr gegenüber saß, sie war witzig, heiter, glänzend, Alles aus furchtbarer Todesangst. Ihr Vater stand noch immer neben ihr, den starren Blick auf den Marquis geheftet, selbst zu aufgeregt, um die Aufregung seiner Tochter zu sehen: Er sieht seinem Vater sehr ähnlich, sagte er endlich, als spräche er mit sich selbst.

Leonie athmete auf, aber die Angst machte sogleich einer lebhaften Neugierde Platz: Sie haben seinen Vater gekannt? frug sie lebhaft.

Der Graf fuhr sich mit der Hand über die Stirn, wie um eine unangenehme Erinnerung zu verwischen. Ja, sagte er dann kurz.

Und ist es wahr, daß er auf eine so schreckliche Weise umkam?

Wer hat dir das gesagt?

O man hat es mir erzählt – er erschoß sich, sagt man.

Ja, versetzte er dumpf, es war eine gräßliche Geschichte.

Leonie wagte nicht weiter zu fragen, aus Furcht, ein zu großes Interesse an den Tag zu legen, und biß sich schier die geschwätzige Zunge ab.

Louis trat jetzt selbst heran, das Gespräch nahm eine andere Wendung, und sie lehnte sich in das Sofa zurück. Sie hatte das Gesicht fast ganz mit dem aufgespannten Fächer bedeckt und ließ die Unterhaltung gehen wie sie wollte. Das Unmögliche hätte sie gegeben, daß ihr Vater sich mir entfernt hätte, aber er entfernte sich nicht. Die Erscheinung des Marquis rief in auffallendem Grade seine Theilnahme wach. Und damit war ihre Folter für heute noch nicht aus.

Was macht denn deine Freundin, Fräulein von Lohenstein? sagte plötzlich Otto, über den Tisch gebeugt, zu seiner Schwester.

Leonie zuckte ein wenig, aber Aller Augen richteten sich auf Louis, der mit einer etwas heftigen Geberde aufstand und sich entfernte.

Was ist das? frug jetzt der Graf.

Otto hat eine frische Wunde berührt, Papa, erwiderte die Gräfin lächelnd. Der Marquis war mit Marie verlobt, aber das Verlöbniß hat sich gelöst.

Ei was! Und aus welchem Grunde?

Wer weiß das? erwiderte Leonie nachlässig.

Also darum? rief Otto, ganz betreten über seine Ungeschicklichkeit.

Leonie lächelte wieder. Der junge Herr ist eine von den sentimentalen Naturen, sagte sie, er trägt die Wunde noch immer mit sich herum.

Es thut mir leid, daß ich es erwähnte, sagte Otto ganz reumüthig.

Verschiedene Bemerkungen flogen hin und her; Leonie litt es nicht mehr an ihrem Platz. Sie stand auf und begab sich in den nächsten Saal. Ihre Augen suchten nach Louis, aber hier war er nirgends zu sehen; so sich hie und da aufhaltend, mit dem Einen sprechend, dem Andern zulächelnd, ging sie durch die ganze Reihe der Zimmer und kam endlich in den letzten Salon. Hier saß Louis einsam an einem Fenster, durch die Draperie des Vorhanges ein wenig von der Gesellschaft getrennt. Leonie hatte ihn gleich entdeckt. Sie blickte um sich, ihr Vater war ihr nicht gefolgt, nur ihr Mann stand nicht weit vom Eingange und unterhielt sich mit einigen alten besternten Herrn. So, geschickt lavirend, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hielt sie sich einige Augenblicke bei ihnen auf und trat erst dann an Louis heran.

Er hatte ihre Nähe nicht bemerkt. Sein Blick war tief in sein Inneres gesenkt. Die zweifache Erwähnung Mariens hatte allen Widerstreit in ihm neu angefacht. Von ihr sprechen zu hören, die er vor Kurzem so ganz als sein eigen angesehen, als von einer Fremden, ja, als der möglichen Frau eines Anderen, hatte auf ihn einen wunderbar störenden Eindruck gemacht. Deutlich wie nie zuvor fühlte er plötzlich, wie so ganz er von ihr getrennt sei; er rief sich alle ihre Eigenschaften vor die Seele; er sah sie in ihrem stillen, heiteren Wirken, in ihrer muthigen Treue, die von keinem Zweifel beeinträchtigt war, und er sagte sich mit Otto, der Mann sei beneidenswerth, bei dem ein solches Weib an dem heimatlichen Herde sitze. Und dieses Glück hätte sein werden können, wenn er es nur gewollt! Nun es für ihn verloren, nun es für einen Anderen erblühen sollte, erfüllte ihn der Gedanke mit einem eifersüchtigen Widerstreben, dessen Thorheit er einsah, das er aber doch nicht gänzlich zu bannen vermochte. Fast Haß war es zu nennen, was er in diesem Augenblicke für Leonie empfand. Ihr Benehmen war so ganz anders, als er sich das Rechte stets gedacht. Aus unserer Kindheit nehmen wir den Maßstab mit, nach dem wir später die Menschen beurtheilen, und an alle Frauen legte Louis unbewußt und unwillkürlich den Maßstab seiner Mutter an. Aber für Leonie paßte dieser Maßstab nicht. Verstimmt und traurig wog er die drei Frauen, die solchen Einfluß auf ihn gehabt in seinem Kopfe hin und her: Marie, seine Mutter und Leonie, und die Letzte paßte nirgend zu den Anderen. Sie betrachtete ihn eine Weile und wehte ihm dann mit dem geöffneten Fächer lächelnd über das Gesicht. Er blickte auf, sein Herz schlug, aber er ärgerte sich über die Bewegung, die darin entstand; wie ein Gefangener bäumte er sich gegen die Kette, die um seine Seele geschlossen war.

Woran dachten Sie? frug jetzt Leonie, süß in Wort, Blick und Geberde, einem Engel des Lichtes den Kopf zu verdrehen.

Louis sah ihr gerade ins Gesicht: An Marie, erwiderte er langsam. Sie war gut und wahr, und ich habe sie nicht nach ihrem Werthe geschätzt.

Die kleine Gräfin biß die feine Unterlippe mit den Perlenzähnen. Diese Antwort hatte sie nicht erwartet, und auf den Grund seiner Gedanken konnte sie nicht sehen; aber daß jedes Zeichen von Laune hier unklug und nicht am Platze sei, das fühlte sie.

Gut und wahr, sagte sie leise; ja, Sie haben Recht, ihren Verlust zu beklagen, denn sie war wirklich gut und wahr. Die Hand mit dem Fächer sank herab, und Leonie sah nachdenkend vor sich nieder.

Das Herz des jungen Mannes war bewegt, auch er hatte eine solche Antwort nicht erwartet, und zu gleicher Zeit fühlte er sich enttäuscht. War er ihr denn so gleichgiltig, daß das Lob einer Anderen von seinen Lippen ihr so wenig nahe ging?

Ja, hub Leonie wieder an, diese leidenschaftslosen Charaktere haben in ihrer Ruhe einen eigenen Zauber, den ihnen weder Glück noch Unglück rauben kann. Beides streift über sie hinweg, der Grund ihrer Seele wird davon nicht berührt. O wie oft habe ich Marie um diese glückliche Ruhe beneidet, die sie jede Wendung des Lebens mit Gleichmuth hinnehmen läßt.

Louis erröthete. Wieder siegte das Bessere in ihm. Marie ist nicht fühllos, sagte er leise und befangen.

O nein, Marie ist ein gutes, vortreffliches Kind. Aber bleibt Ihnen wirklich keine Hoffnung?

Louis blickte nieder, ohne zu antworten.

Sonderbar! sagte Leonie, und sie hat Sie wirklich geliebt?

Ich glaube es, versetzte der junge Mann leise. Leonie wiegte ungläubig den Kopf; er sah sie fragend an. Sie zweifeln? sagte er dann.

Ich will Sie nicht kränken, antwortete sie, aber ich zweifle, ob Marie je wahre, aufopfernde Liebe empfinden kann. Jemand, der sie sprach, versicherte mir, sie sei heiter, und man sehe ihr keine Veränderung an. Ich möchte nicht, daß Sie sich Täuschungen hingäben. Marie ist in Allem dem Willen ihrer Eltern unterthan. Sie ist glücklich – wenn sie auch die höchsten Freuden des Lebens nie kennen wird, sein bitterster Schmerz bleibt ihr ebenso fremd. – O sie ist glücklich, setzte sie nach einer Pause hinzu, und dann leise wie ein entfliehender Hauch, ich wollte, ich wäre wie sie. Sie wandte das Gesicht hinweg, und Louis glaubte eine Thräne an den langen, dunklen Wimpern zittern zu sehen. Er war so betroffen, so beklommen, so entzückt, und doch voll so unnennbarer Angst, daß er keine Worte für seine Gefühle fand.

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