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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Die Menuet war aus, des jungen Mannes Augen folgten dem Tanze nicht mehr. Er stand an den Thürpfosten gelehnt und blickte in finsterem Sinnen vor sich hin. Doch Leonie konnte nicht zu ihm; von allen Seiten wurde sie in Anspruch genommen, und schon erklangen die ersten Accorde zu dem nächsten Tanz. Erst gegen Ende desselben brachte eine rasche Wendung sie ihm näher, sie trat zurück, und in dem nächsten Augenblicke stand sie vor ihm.

Das Wehen der Luft verrieth ihm ihre Nähe, er sah auf und erschrak sichtlich, als er sie vor sich sah. Ein halb spöttisches, halb mitleidiges Lächeln theilte ihre Lippen.

Sie sind lange nicht hier gewesen, sagte sie. Wo ist Marie?

Wie ein Stich ging der Name durch sein Gewissen – seine eigene Unwürdigkeit und Mariens heiliges Vertrauen. – Wie schön war Leonie! Wie glänzten die kleinen Zähne zwischen den feuchten Lippen! Wie verführerisch, noch in der halben Auflösung des Tanzes schmiegte sich das verrätherische Gewand an die zarten Glieder! Das Licht fiel von oben auf ihre Stirn, wie flüssiges Feuer strömte ihr Haar auf die blendenden Schultern herab. Auch ihre Blicke brannten, er schlug seine Augen nieder vor der Glut, die in den ihrigen lag, und sein Gedächtniß ging unter in einem Taumel der Leidenschaft. Da erscholl wieder die Musik.

Sie tanzen nicht? sagte Leonie, und schon stand er mit ihr unter den Tanzenden. So hatte noch Keiner mit ihr getanzt. Den Arm um die schmiegsame Gestalt gelegt, die so feenhaft zart erschien und doch mit so elastischer Widerstandskraft ausgestattet war, sah er das Wogen ihrer Brust, fühlte er ihren etwas bedrängten Athem kommen und gehen, und er vergaß, daß es noch Menschen außer ihnen gab. Man blieb stehen und drängte sich aus den anderen Zimmern zu, sie zu sehen; ihr Mann verließ den Spieltisch, um sich an dem Triumphe seiner jungen Frau zu erfreuen. Aber Louis hatte nur Augen und Gefühl für den wunderbaren Schatz lieblichster Weiblichkeit, den er mit seinen Armen umschlossen hielt. Es lag soviel kokette Herausforderung in ihrem Wesen, so viel wollüstige Hingebung zugleich. War es die Bewegung des Tanzes, die sie ihm näher brachte? Ihr Athem schlug wie Flammen an seine Brust. Das Blut kochte heißer in seinen Adern auf, und ein Rausch lag in allen seinen Sinnen. Jetzt blickte sie mit spöttischem Lächeln zu ihm auf und er schloß unwillkürlich sie fester an sich. Da wurde sie blaß, und mit ihrem Erblassen kehrte seine Besinnung zurück. Er erschrak über seine eigene Heftigkeit und hielt inne. – Ich fürchte mich nicht! flüsterte sie leise mit gesenkten Augen zu ihm empor. Aber ihm war es zu viel. Er ließ sie los, taumelte und hielt sich nur mit Mühe von einer Ohnmacht zurück.

Du tanzest doch zu wild, sagte jetzt ihr Mann zu der Gruppe tretend, um welche die übrige Gesellschaft sich drängte. Leonie wandte ihm ihr erglühendes Gesicht zu und hing sich zutraulich wie ein reuiges Kind an seinen Arm.

Ich tanze so gern, sagte sie, aber wenn du es wünschest —

Nein, mein Herzchen! erwiderte er, du sollst dich unterhalten, so viel du willst, nur schaden sollst du dir nicht, nur das nicht, liebes Kind! Er strich ihr liebkosend die Haare ans dem Gesicht, und sie schmiegte sich innig und lächelnd an ihn an. Zornig wandte sich Louis ab und ging hinaus. Unter der Thüre des Nebenzimmers blieb er versteinert stehen. Vor ihm stand der Baron.

Ich hätte Sie nicht hier gesucht, sagte dieser kalt. Beschämt stammelte der junge Mann eine unhaltbare Entschuldigung, das Lügen war ihm noch fremd, und er fing an, sich zu ernüchtern unter diesem kalten Hauch der Wirklichkeit.

Ich werde Sie nach Hause begleiten, sagte er zum Baron, der sich zum Gehen anschickte.

Wie Sie wollen, versetzte dieser. Sie machten sich auf den Weg, aber keiner sprach. Louis ging mit bedrängtem Herzen, unter der Last seines Schuldbewußtseins und mit einer scheuen Ahnung dessen, was da kommen konnte, neben ihm her. Der Baron hatte den Abend auf ihn gewartet und war deßhalb so spät erst bei Leonie erschienen. Er hatte beschlossen gehabt, den jungen Mann mit Gewalt von dem Vorurtheil abzubringen, das er so ungerechter Weise gegen die Gräfin gefaßt. Nun hatte er ihn freilich nur da gefunden, wo er ihn selbst hinführen wollte, aber seiner väterlichen Liebe hatte ein Blick genügt, um ihm Alles zu lösen, was ihm bis jetzt ein Räthsel gewesen war. Es ging ihm dabei, wie vielen Anderen; daß er selbst einmal der Sünde nahe gewesen, hatte zwar seinen Blick für Anderer Sündhaftigkeit geschärft, ihn aber durchaus nicht nachsichtiger gegen dieselbe gemacht, besonders in diesem Falle, wo das Glück seiner Tochter so nahe betheiligt war. Zudem schien ihm Louisʼ Schuld noch vergrößert durch alle kleinen Nebensachen, die sie begleiteten, und die es so leicht war als berechnete Falschheit auszulegen.

Nein! brummte der Baron in sich hinein, eine verheirathete Frau! und dazu noch mit meiner Tochter verlobt! Der Teufel soll die Romantik holen! Wäre ich nicht in seine Mutter verliebt gewesen, nie wäre mir die Dummheit eingefallen! Wahr ist es, sie war eine kreuzbrave Frau, aber Millionenelement, das ist kein Grund, warum ich mein einziges Kind unglücklich machen soll. Er lachte einmal ingrimmig auf, als ihm einfiel, wie er Marie fast zornig befehlen mußte, ihn zu der Gräfin zu begleiten, und wie sie sich widersetzt, weil es Louis unangenehm sei. Ich glaube es wohl! setzte er zornig hinzu.

Von diesem stummen, aber inwendig desto lauteren Selbstgespräche vernahm der junge Mann natürlich nichts, die Uebersetzung aber, die ihm sein Gewissen machte, war keineswegs in einem gelinderen Tone abgefaßt. Der ganze Weg war ihm eine Folter, durch welche dennoch hier und da, mit einem Wonneschauer der Erinnerung, die Töne einer Tanzmelodie erbebten und verklangen.

Gute Nacht, Herr Marquis! sagte der Baron, der nun vor seinem Hause angelangt war, und er schlug dem jungen Manne so schnell die Thüre vor dem Gesichte zu, daß er dessen dargereichte Hand ganz übersah. In stummer Verzweiflung wandte sich Louis seiner Wohnung zu. Er hatte Marie den ganzen Tag nicht gesehen. Er empfand es als einen Mangel, als das Vermissen einer lieben Gewohnheit, die ein Theil unseres Lebens geworden ist. Er dachte, wie lange Zeit jetzt vielleicht vergehen würde, bevor er sie wiedersah, und es fiel ihm, schwer auf das Herz. Alles Gute in ihm bäumte sich auf und trieb ihn an, die Verstimmung wieder gut zu machen zwischen dem Baron und ihm. Er wollte zurück, noch diese Nacht, mit ihm reden, Alles gestehen, seine und Mariens Hülfe anrufen gegen sich selbst und Alles geloben, was man von ihm gelobt haben wollte. Doch nein – es war heute zu spät – eine eigene Scheu hielt ihn zurück – sie schliefen vielleicht Alle schon, wie konnte er sie wecken, und schreiben ließe sich so etwas ja immer besser, als es sich sagen ließ. Er setzte sich hin, nahm Feder und Papier; aber nach den ersten Worten schon hielt er an. Was sollte er schreiben? Welches Versprechen würde man von ihm fordern? Leonie nicht mehr zu sehen? Und stand denn das in seiner Gewalt? In wildem Schmerze stöhnte er auf. – Nein, das konnte er nicht. Weinend warf er sich auf sein Bett. Er weinte wie ein Kind über das stille, friedenreiche Glück, das er geträumt, das ihm so nahe gewesen, und das er jetzt mit sehenden Augen und doch wie in blindem Wahnsinn von sich stieß. Und so schlief er endlich angekleidet auf seinem Bette ein.

Beim Baron aber verging die Nacht viel unruhiger, als Louis es sich gedacht. Marie war aufgeblieben mit ihrer Mutter, um den Vater zu erwarten. Sie war unruhig über Louisʼ Abwesenheit und dachte, der Vater bringe ihn doch vielleicht noch mit auf einen Augenblick. Als der Baron so finster eintrat, überlief sie ein großer Schrecken.

Haben Sie Louis gesehen? frug sie und trat angstvoll auf den Vater zu.

Das war das unangenehmste Wort, das der Baron jetzt hören konnte. Den Taugenichts? rief er, zornig aufbrausend, ja, den habe ich freilich gesehen! Und höre, aus ist es, aus mit euch, merke dirʼs. Für den sauberen Herrn ist mein Kind nicht gewachsen.

Sein Gesicht war hoch geröthet, und Mariens erste Bewegung war ein furchtsamer Schritt von ihm zurück nach ihrer Mutter hin. Es war ihr zu verzeihen, wenn es ihr mit ihrem Vater nicht ganz geheuer schien. Auch die Baronin war erschrocken.

Was ist denn geschehen? frug sie jetzt und sah fragend auf ihren Mann.

Es ist geschehen, daß ich dem Heuchler hinter die Schliche gekommen bin, und daß es aus ist mit der Verlobung, und daß ich kein Wort mehr davon hören will. Du giebst ihm den Laufpaß – und übrigens hat er ihn schon.

Dann sei Gott mir gnädig! rief Marie, in Thränen ausbrechend, und sank auf einen Stuhl. Aber der Baron wurde nur zorniger, je mehr er fühlte, wie weh er seinem Kinde gethan. Die Baronin merkte nun wohl, etwas Besonderes müsse vorgefallen sein, und alle Einwendungen, die sie früher in der Verschwiegenheit ihres Herzens gegen die Heirath mit dem Ausländer gehabt, waren sonderbarer Weise im Nu aus ihrem Gedächtniß weggewischt; in diesem Augenblicke dachte sie nur an ihre Tochter.

O Mutter! rief Marie, ihr in heißen Thränen um den Hals fallend, reden Sie mit dem Vater. Aber die Baronin kannte ihren Mann und schwieg. Sachte nahm sie Mariens Hände in die ihrigen und zog sie still mit sich hinaus.

Weine nicht so! sagte sie draußen zu ihr, die Leute sollen nicht merken, was zwischen uns vorgefallen ist. Geh nur jetzt, ich kann besser mit dem Vater reden, wenn du nicht dabei bist. Es ist gewiß nur ein Mißverständniß und wird sich beilegen lassen. Du weißt ja, wie aufbrausend der Vater ist.

Aber Marie schüttelte heftig verneinend den Kopf: so hatte sie ihn nie gesehen.

Lege dich nieder, sagte die Mutter, die sie unterdessen zu ihrem Zimmer geführt, aber warte auf mich, ich komme noch einmal zu dir.

Gehorsam suchte Marie ihre Thränen zu bezwingen, allein es wollte nicht gelingen. Auch niederlegen konnte sie sich nicht, dazu war ihre Unruhe zu groß.

 

Sie war zu vernünftig, um sich einer Täuschung hingeben zu können. Ihr Vater mußte guten Grund haben, um so aufzutreten gegen sein einziges Kind, und wenn er im Rechte war, was konnte sie thun? Wie die Zukunft für sie werden sollte ohne Louis, das wußte sie nicht, aber sich gegen den Willen ihres Vaters aufzulehnen, daran dachte Marie nicht! Ihre Mutter kam lange nicht, das Zimmer war kühl, ihre Aufregung ließ es ihr noch kälter erscheinen, und sie hüllte sich fröstelnd in einen Mantel. Solche Nachtwachen vergißt man in seinem Leben nicht.

Die Baronin that indessen auch ihre Schuldigkeit. Sie war die Ruhigste von Allen und hatte einen harten Stand gegen ihren Mann, dem Alles in dem schwärzesten Lichte erschien. Mit kluger Vorsicht, fast wie unbewußt, wußte sie ihres Mannes Geist darauf zurückzuleiten, auch sie habe zu verzeihen gehabt, und eine vernünftige Frau mache sich wenig aus solchen kleinen Verirrungen der Phantasie, wenn nur der Mann übrigens brav und ihr ergeben sei. Damit nahm sie den halben Zorn oder wenigstens dessen Berechtigung leise weg aus seiner aufgeregten Brust. Sie erinnerte ihn daran, welche kindliche Anhänglichkeit der junge Marquis für ihn stets an den Tag gelegt, wie rein und offen sein Gemüth, und wußte alle Widersprüche seines Benehmens aus dem harten Kampf zu erklären, den er in der letzten Zeit mit sich gekämpft. Sie hatte eigentlich nie so recht ihres Mannes Begeisterung für die Gräfin getheilt, nun aber war sie es, die eine Entschuldigung um die andere für sie fand.

Selbst im schlimmsten Falle, setzte sie hinzu, mußt du bedenken, daß er keine Hoffnung hat, und daß Mariens Glück nun einmal an ihn gebunden ist. Und dann, wie redet man nicht von einem Mädchen, dessen Verlobung zurückgegangen ist! – Das war das rechte Wort.

Als der Baron eingeschlafen war, schlich sie sich hinaus. – Es wird wohl Alles gut werden, sagte sie zu ihrer Tochter, die sie noch wach und angekleidet fand. Morgen wird der Vater gewiß zu Louis gehen. Sie küßte mit einer unbezwinglichen Rührung des Mädchens bleiche Stirn und wollte fort, aber ein bittender Händedruck Mariens hielt sie zurück. Sie blieb stehen, schien einen Augenblick zu schwanken und sah das Mädchen mit einem unschlüssigen Blicke an.

Wir wissen eigentlich gar nichts, sagte sie dann. Der Vater bildet sich ein, Louis habe eine andere Neigung gefaßt. Ich denke, du kannst verzeihen? setzte sie rasch hinzu, als sie ihre Tochter erbleichen sah.

Ja – ich – ich wohl! aber – ich bin nicht allein, sagte Marie, und sie stützte die Stirn in die zitternde Hand.

Laß das! versetzte die Baronin. Sie drückte ihr die Hand und entfernte sich rasch.

Den folgenden Morgen, noch vor dem Frühstück, begab sich der Baron denn wirklich zu dem Marquis. Ueber Nacht hatte die Weisheit seiner Frau Wurzel geschlagen in ihm, und die erste Aufwallung hatte ruhigeren Gedanken Platz gemacht. – Es schickt sich nicht, daß wir ihn so ohne Umstände von uns stoßen, da wir ihn doch einmal gewählt. Wir sind hier seine ganze Familie, hatte sie zu ihrem Manne gesagt, und mit seiner gewohnten Gutherzigkeit hatte er das denn auch eingesehen. Dennoch war er keineswegs versöhnt; auch schämte er sich ein wenig des Schrittes, den er zu thun im Begriffe stand. Aber Niemand sollte sagen, es habe ihm an Gerechtigkeit und Mäßigung gefehlt. Damit beruhigte er sich. Ungehindert ließ man ihn zu dem Marquis hinein, und er fand den jungen Mann noch in festem Schlaf. Das jagte alle Versöhungsgedanken des gereizten Vaters in den Wind.

Ja, der kann schlafen! sagte er bitter und stieß mit dem Stocke unsanft auf den Boden. Der Schläfer fuhr erwachend in die Höhe, an alles Andere hätte er eher gedacht, als den Baron vor sich zu sehen. Wollte er denn doch eine Versöhnung? Louis hatte den vergangenen Abend mit so tiefem Schmerz auf sein Verhältniß zu Marie zurückgeblickt, er hatte dessen Lösung mit solcher Ueberzeugung als das gewisse Unglück seines Lebens beweint! Und nun es anders zu kommen schien, als er es erwartet, legte sich diese Möglichkeit wie ein Alp auf seine Brust.

Der Baron indessen sah nicht sehr versöhnlich aus. Er hatte sich niedergelassen, und sein Blick ruhte fest und scharf auf dem jungen Manne, der die Augen befangen niederschlug.

Sie lieben die Gräfin? frug jetzt der Baron langsam und kalt.

Woran hängen des Menschen wichtigste Entschlüsse? Eine andere Einleitung, ja nur ein anderer Ton der Stimme, und dieser Schritt des verehrten, wahrhaft edlen Mannes, der für ihn ein Vater gewesen, hätte vielleicht Alles über den jungen Mann vermocht. So aber entstand in ihm ein Trotz ob dieser Verfolgung eines Gefühles, für das er nicht konnte, das er selbst nicht anerkannte, und das ihm bis jetzt so wenig Glück gebracht. Er wandte das Gesicht hinweg und schwieg.

Der Baron stand auf, stellte seinen Stuhl weg und machte einen Schritt nach der Thüre. Jetzt erschrak Louis.

Die Gräfin ist schuldlos! rief er aus und machte eine heftige Bewegung mit der Hand nach dem Baron.

Ich bin kein Sittenrichter, sagte dieser mit zornigem Hohne, ich sorge nur für mein eigenes Haus! Er verneigte sich kalt und öffnete die Thüre.

Jetzt aber übermannte Louis die Weichheit, die er von seiner Mutter geerbt.

Verzeihen Sie mir! rief er laut und streckte dem Baron die Hände bittend nach.

Noch einmal wandte sich dieser um. Seine Augen flammten in furchtbarem Zorn, und seine Stirne runzelte sich; aber er wollte ruhig sein, und so blieb er es auch. Das sind leere Worte! sagte er. Entweder meine Tochter überlebt diese Erfahrung, und dann habe ich Ihnen nichts zu verzeihen, denn sie wird dadurch um eine kostbare Erfahrung reicher, oder sie überlebt sie nicht (hier schwankte seine Stimme) und dann – verzeihen Sie sich selbst – ich kann es nicht! – Er schlug die Thüre hinter sich zu, daß sie krachte, und Louis sank vernichtet auf das Bett zurück.

O meine Mutter! stöhnte er, und ihre letzten Worte hallten mahnend durch seine Seele nach. War es nicht, als stünde sie selbst neben ihm, den kummervollen Blick auf ihn geheftet, wie damals, als sie so sorgenvoll gewünscht: Ich möchte, er hätte die rechte Kraft!

Marie saß an ihrem gewöhnlichen Platz, mit ihrer Arbeit beschäftigt. Ihre Blässe ausgenommen, war es, als sei gar nichts geschehen. Die Baronin sah von Zeit zu Zeit mit einem bekümmerten Blicke zu ihr hin, doch auch sie sagte nichts, sie dachte, manche Dinge kämpften sich am besten unausgesprochen durch. Jetzt läutete die Hausglocke, und Marie stand auf, um hinauszugehen. Sie wollte bei der ersten Begegnung zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter nicht zugegen sein, aber dem starken Mädchen versagte auf einmal die Kraft. Sie konnte die Stelle, wo sie stand, nicht verlassen, ihre Füße schienen mit dem Boden fest verwachsen zu sein, und alle Anstrengungen reichten kaum hin, den Krampf zu bezwingen, der ihr nach dem Halse stieg. Der Angstschweiß stand auf ihrer Stirn, aber sie schämte sich ihrer Bewegung. Wie ein muthiges Pferd, das den Stachel fühlt, warf sie den schönen, für den Augenblick so stolzen Kopf in die Höhe, und mit fast übermenschlicher Anstrengung riß sie sich los. Sie schien gewachsen zu sein, so aufrecht hielt sie sich, und ging mit festen, ruhigen Schritten hinaus. Die Baronin sah ihr seufzend nach. Kurz darauf trat ihr Mann zu ihr ein.

Auch er sah blaß aus, es war ganz anders, als seine gestrige Aufregung. Nun? sagte die Baronin, als er still eingetreten, sich schweigend mit der Hand auf ihren Stuhl stützte und wie gedankenlos vor sich in die Weite sah.

Nun? wiederholte sie und legte sanft ihre Hand auf die seinige, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Es ist so, wie ich dachte, erwiderte er dumpf und noch immer vor sich hinstarrend. Die Baronin faltete die Hände in stummem Schmerz. – Sie muß ihn vergessen, setzte er nach einer Pause hinzu. Er ist ihrer nicht werth. Die Baronin erhob sich, um hinauszugehen. Unter der Thüre stand sie still und sah sich nach ihrem Manne um. Sein sprachloser Gram schnitt ihr fast tiefer ins Herz, als selbst die Sorge um ihre Tochter, und sie kehrte zu ihm zurück. – Härme dich nicht so, sagte sie, liebevoll ihre Hand auf seine Schulter legend; Marie ist stark, sie wirdʼs ertragen.

Ein dumpfes Stöhnen war seine Antwort. Ja, sagte er dann, mit der geballten Faust zornig auf die Lehne des Stuhles schlagend, daß sie unter dem Schlage zerbrach, so sind wir Alle! – Ein hübsches Gesicht, und wir sind verloren. – Blind – blind – blind! – Er warf sich auf den Sessel und verbarg das Gesicht in die Hände, dann sah er auf. Geh zu ihr, sagte er, geh du zu ihr, ich vermag es nicht.

Die Baronin ging hinaus.

In dem anstoßenden Zimmer stand Marie, so weit als möglich von der Thüre entfernt und das Gesicht dem Fenster zugekehrt. Als ihre Mutter eintrat, wandte sie sich nach ihr um. Sie wollte sprechen, und konnte nicht; sie war bleich bis in die Lippen hinein, aber mit Gewalt bezwang sie die furchtbare Aufregung.

Es ist Alles aus? – hauchte sie endlich so leise, daß es kaum hörbar an das Ohr der Baronin schlug. Diese nickte nur.

Du mußt dich fügen, sagte sie dann; – er liebt die Gräfin, er hat es selbst gesagt.

Marie senkte den Kopf, ohne zu antworten; auch die Baronin schwieg. Bei gewissen Dingen ist aller Trost nur leerer Schall. Aber sie wußte, welche Erziehung sie ihrer Tochter gegeben, und daß diese Erziehung in Blut und Seele eingedrungen war.

Dein Vater ist sehr bekümmert um dich, hub sie endlich wieder zu reden an.

Es ist nicht nöthig, sagte Marie und warf das bleiche Antlitz stolz zurück. Noch eine Weile betrachtete die Baronin sie mit einem prüfenden Blicke, dann strich sie mit sanfter Hand die Haare aus des Mädchens bleicher, schweißbenetzter Stirn.

Ihr Mutterherz hob sich schwer in ihrer Brust, allein was konnte sie thun? Komm bald nach, sagte sie still und kehrte zu ihrem Manne zurück.

Marie blieb unbeweglich stehen; erst als die Thüre ins Schloß fiel, griff sie mit beiden Händen nach ihrem Kopfe; ihr war, als müßte er zerspringen. Ein Schauer rieselte über ihren Körper, die Kniee brachen unter ihr, sie glaubte zu fallen und streckte die Hand nach einer Stütze aus. Doch bald raffte sie sich wieder empor, setzte ihre Füße fest auf, machte zwei oder drei Schritte, wie um der wiedergekehrten Kraft gewiß zu sein, und folgte dann ruhig ihrer Mutter nach. Der Baron sah, seine Frau habe Recht gehabt: Mariens Seelenstärke war keineswegs auf dem schwachen Grunde der Gefühle gebaut.

In den Kreisen, die der Baron besuchte, wurde die Lösung des Verhältnisses sehr bald bekannt, und wie man sich früher über die Verlobung selbst gewundert, so wunderte man sich jetzt über deren Auflösung. Aber der Baron war als ein Ehrenmann bekannt, er war gut gestellt und einflußreich, und die allgemeine Stimme sprach sich natürlich zu seinen Gunsten aus. Louis stand allein und war ohne Einfluß, man konnte also gegen ihn ohne Gefahr streng sein. Zudem war das Interesse, das die Emigrirten bei ihrem ersten Erscheinen im Lande erregt, seither um ein Merkliches abgekühlt, und gar manche trugen nur zu sehr durch ihren Wandel zu dieser Veränderung bei.

Der Marquis hatte denn auch bald Gelegenheit, zu fühlen, wie seine gesellschaftliche Stellung eine ganz andere geworden war. Häuser, wo man ihn sonst gern gesehen, es aber jetzt mit dem Baron nicht verderben wollte, hatten nur mehr eine kalte Aufnahme für den jungen Mann, und Mütter heirathsfähiger Töchter, denen er bisher als Mariens Verlobter keine Sorge erregt, sprachen von der Nothwendigkeit, ihm ihre Thüre zu schließen. Louis ersparte ihnen die Verlegenheit, indem er sich von selbst zurückzog. Daß auch Marie, wie die Baronin gefürchtet, dabei manchen kleinen Seitenhieb bekam, versteht sich wohl von selbst; doch sie war schön und reich, und die Mutter hoffte, es würde bald vergessen sein. Die Baronin, nun die Trennung entschieden war, und sie sah, mit welcher Kraft ihre Tochter jede Aeußerung des Schmerzes niederzuhalten verstand, hatte sich damit ausgesöhnt. Die Einwürfe, die sie früher gegen die Partie gehabt, lebten wieder auf in ihrem Herzen. Marie konnte auf weit Mehr Anspruch machen, und die nächste Wahl mußte eine sehr schlechte sein, wenn sie nicht in jeder Hinsicht die übertreffen sollte, die eben so schimpflich zunichte geworden.

Unterdessen zog sich Louis vor der äußeren Welt, die ihm plötzlich so rauh geworden war, mehr und mehr in sich selbst zurück. Vielleicht wird man es ungerecht finden, daß die Folgen einer unwillkürlichen und im Grunde redlich bekämpften Leidenschaft so schwer auf ihn zurückfiel; man wird sagen, daß eine liebevolle Behandlung wohl mehr geeignet gewesen wäre, sein verirrtes Herz in die rechte Bahn zurückzulenken; man wird es sagen, und vielleicht hat man Recht. Aber erstens war Niemand verpflichtet, ihn liebevoll zu behandeln, und zweitens kann kein Mensch sagen, was auf einen Anderen wirken mag. Für jetzt wenigstens brachte gerade die Katastrophe, die seinem Leben eine andere Richtung gegeben, eine heilsame Erschütterung in seinem Gemüthe hervor. Der Schmerz, den er einem reinen, edlen Wesen zugefügt, weckte den Ernst in seiner eigenen Brust. Mariens Thränen fielen löschend in die Flammen seines Blutes, und alle Plackereien, welche die Trennung von ihr ihm gebracht, schienen ihm eine nur zu leichte Sühne seiner Schuld. Aber darein mischte sich noch eine andere Sorge – es war die Angst um Leonie. Der Gedanke, daß eine Gefahr ihr drohen könne und zwar durch ihn, machte oft in plötzlichem Krampfe das Blut in seinen Adern erstarren und hielt ihn sicherer als alle Scrupel seines Gewissens von ihr zurück. Er übersah freilich, daß Andere mit seinem Wesen weniger vertraut waren und ein ganz anderes Interesse an seinen Gefühlen nahmen, als der Vater seiner Braut.

 

Von ihrem Manne erfuhr Leonie zuerst die Nachricht, bei welcher, ohne daß Jemand es ahnte, sie so nahe betheiligt war. Sie erschrak, ihre Hände zitterten so sehr, daß sie das Album, in dem sie gerade blätterte, weglegen mußte, um die Aufmerksamkeit des Grafen nicht auf sich zu ziehen.

Und weiß man den Grund? frug sie jetzt mit einem leisen Beben in der Stimme, das sie vergebens zu bewältigen suchte.

Der Baron meint, ihre Charaktere hätten nicht harmonirt.

Leonie athmete erleichtert auf: Marie klagte mir auch, er mache übertriebene Ansprüche an sie. Zum Beispiel wollte er ihr nicht erlauben zu tanzen.

Aber er tanzt doch selbst sehr gern, meinte der arglose Graf.

Die hübsche Gräfin biß sich die vorlaute Zunge, aber ihre kleine Verwirrung verduftete schnell.

Vielleicht war es Eifersucht, sagte sie; findest du Marie nicht schön?

Sehr schön.

Nun, siehst du! Und dann – wer weiß, was er außerdem noch gefordert. Er ist ein Sonderling, und seine Mutter soll auch eine halbe Heilige gewesen sein.

Das Zerschlagen dieser Partie wird ihm schaden.

Freilich, war Leonieʼs scheinbar nachlässige Antwort.

Der Baron hat großen Einfluß. An eine Carrière für den armen Burschen ist nicht mehr zu denken.

Ja wohl, – du müßtest dich denn seiner annehmen, sagte die kleine Gräfin mit einem schalkhaften Blick. Sie sprang auf, fiel ihrem Manne um den Hals und zog ihn mit sich zu einer neuen Jardinière, die er ihr denselben Morgen erst geschickt, und deren tausend besondere Schönheiten sie ihn tändelnd wieder und wieder zu bewundern zwang.

Zwei Tage darauf begegnete sie dem Marquis auf der Promenade, wo sehr viele seiner früheren Bekannten es vergessen zu haben schienen, daß der junge Mann vor Kurzem noch zu ihren liebsten Gästen gehört. Er sah bleich und niedergeschlagen aus. Offenbar waren seine Gedanken fern von dem Orte, vielleicht mit der alten Zeit und der alten Heimath beschäftigt. Leonie sah ihn zuerst, der Graf hatte seine Augen anderswo. Als er an ihnen vorüberging, blieb sie stehen. Er sah auf und erröthete, – sie lachte. Wie geht es? Warum kommen Sie nicht? fragte sie.

Der Graf verneigte sich, schwieg aber. Leonieʼs Freundlichkeit war ihm in soweit nicht ganz angenehm, als er den Baron, den er sehr schätzte, und der ein besonderer Freund seines Schwiegervaters war, nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Doch Louis bemerkte von diesem kleinen Nebenspiele nichts. Er hatte nur Augen für Leonie, nur Ohren für ihre süße, leise Stimme. Ihr Blick drang durch alle Poren bis in sein Herz. Verlegen stotterte er eine Antwort, von der er selbst nichts verstand. Ihr holdes Lächeln lösʼte seine ganze Seele in glückliche Vergessenheit auf.

Sie müssen kommen, und bald, sagte sie, sich anmuthig verneigend, und schritt am Arme ihres Mannes ruhig weiter, während eine gefährliche Freude ihr Herz zu höherem Schlage trieb.

Du hättest das nicht thun sollen, sagte jetzt der Graf, und eine leichte Unzufriedenheit klang aus seinem Tone heraus. Der Baron kann es übelnehmen, und du weißt, wie viel dein Vater auf seine Freundschaft hält.

Der arme Junge dauerte mich, er sah so unglücklich aus, versetzte Leonie unbefangen.

Freilich scheint er es zu fühlen, und es ist auch ganz natürlich; – aber warum hat er seine Karten nicht besser gespielt?

Du hast gut reden, meinte Leonie mit einem bezaubernden Blick und einem leichten Druck ihrer Hand auf den Arm, der sie stützte; was hättest du aber gethan, wenn ich dir einen Korb gegeben hätte – und ich – wenn du – setzte die reizende Hexe wie zögernd und halb gegen ihren Willen hinzu.

Der Graf erröthete und lachte und drückte zärtlich die kleine Hand, die so zutraulich auf seinem Arme lag. Leonie hatte die Stelle in seinem Herzen getroffen, wo für den wenig sentimentalen Mann Alles verständlich war.

Aber man muß sich von seiner Gutmüthigkeit nicht zu weit hinreißen lassen, sagte er, in aller Liebe und Freude zu ihr niederschauend.

Du weißt, versetzte sie, er ist beinahe mein Landsmann und so alleine hier. Jetzt besonders. Ich dachte auch, du hättest eine Vorliebe für ihn – indessen, wenn ich mich geirrt habe, wenn du nicht wünschest, ihn bei uns zu sehen —

Nein, nein, Herzenskind! rief der Graf, gänzlich gewonnen für den Willen seiner Frau. Thue was du willst, was du für gut hältst. Es ist ja auch das Beste. Der arme, junge Mann! Ja, du hast Recht! es ist wirklich sehr hart. – Der entzückte Graf drückte nochmals ihre Hand und dankte Gott im Herzen für den unvergleichlichen Schatz an Güte und Harmlosigkeit, den er ihm in ihr beschert.

Louis war unterdessen mit leichten Schritten seiner Wohnung zugeeilt. Alles, was ihn noch vor kaum einer Stunde belastet und beengt, hatte ein einziger Augenblick hinweggeweht. Leonie hatte ihn gesprochen, Leonie hatte ihn angesehen, so freundlich, ja, noch freundlicher fast, als in früherer Zeit, wo noch keine Schuld auf seinem Gewissen lag. Und doch mußte sie erfahren haben, was vorgefallen war; sie mußte wissen,– und hier drängte sich Mariens blasses Bild seiner Seele unwiderstehlich auf – ja, sie mußte wissen, daß er ein edles, treues Herz auf die grausamste Weise gekränkt, und sie hatte ihn dennoch so angesprochen, so angelächelt, so zu ihm aufgeblickt! Theilte sie denn nicht das allgemeine Vorurtheil gegen ihn? – Oder – und hier schlug sein Herz in lauten, vollen, angsterfüllten Schlägen – oder wußte sie vielleicht, warum, und sprach ihr Herz ihn frei von Schuld? Das Blut brausʼte in seinen Adern, mit eiligen Schritten durchmaß er sein Zimmer; aber er erstickte in dem engen Raume; er mußte hinaus in Gottes freie Welt. Hastig ergriff er seinen Hut und stürmte fort. Unter dem Thore der Stadt streifte er an dem Baron vorbei, der stehen blieb und ihm lange nachsah. Louis hatte ihn nicht bemerkt. Für ihn gab es in diesem Augenblick nur noch Einen Gegenstand in der Welt.

Leonie, ein winziges Häubchen auf die schimmernden, überquellenden Locken gedrückt, in eine Wolke von blauer Seide und Spitzen gehüllt, aus welcher die weißen Arme und der seine Kopf mit dem träumerisch schmachtenden Ausdruck wie weiße Blüten hervorsahen, stand eben vor ihren Blumen, die sie nicht ohne Grazie hier von einem welken Blatt, dort von einer geknickten Knospe säuberte, und streute dazwischen liebliche, seltene Worte in ein Gespräch, das ihr Mann im Hintergrunde des Zimmers mit einem seiner Freunde führte. Sie hob sich so hoch sie konnte auf den zierlichen Füßchen und streckte mit nachlässiger Anstrengung die feinen Arme zu einer Theerose empor, die das duftige Gebäude als Krone überragte, als der Bediente eintrat und mit stark deutscher Beimischung den echt aristokratisch französischen Namen des „Herrn Marquis de Chanteloup“ anmeldete.

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