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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Das Papier war alt und gelb, aber die Spur der Thränen noch sichtbar, welche viele Worte fast unkenntlich gemacht.

„Madame,“ lautete dieses Schreiben, „ich habe Ihren Brief richtig erhalten und auch gelesen, so wenig unterhaltend, verzeihen Sie die eheliche Ungalanterie, sein Inhalt auch war. Sie hätten in dieser langen Zeit lernen können, daß Klagen nicht das Mittel sind, abtrünnige Herzen zur Treue zurückzuführen. Die Liebe ist ein verzogenes Kind, sie nährt sich von Duft und Rosen und flieht vor den Dornen, und wären sie noch so gut versteckt, davon, Tu dieu! Ergeben Sie sich in Ihr Schicksal! Sind Sie die einzige Frau, die in der Ehe nicht das gefunden, was sie in romantischen Mädchenträumen darin gesucht? Noch keine ist an Enttäuschung gestorben – ich rede leider aus Erfahrung, liebe Madame. Was Sie mir von meinem Jungen schreiben, freut mich sehr. Es ist mir lieb, daß er Ihnen Freude macht, und ich hoffe, daß er einst ein wahrer Chanteloup sein wird. Was aber den väterlichen Schutz betrifft, so bin ich überzeugt, daß mein Sohn unter Ihrer Aufsicht dessen nicht bedarf. Ich achte Sie viel zu sehr, um das geringste Mißtrauen in Ihre mütterliche Liebe zu setzen, und lasse Ihnen in Allem, was seine Erziehung betrifft, vollkommen freie Hand. Für seine Zukunft, liebe Madame, werden wir sorgen, wenn es an der Zeit sein wird. Sie ist noch sehr weit von uns entfernt, diese Zukunft, Gott sei Dank! Und ein böses Schicksal könnte vielleicht Alles, was wir jetzt dafür thun würden, bis dahin vereiteln. Jeder für sich und Gott für Alle, liebe Madame. – Das ist mein Grundsatz, den ich Ihnen ebenfalls zur Befolgung empfehle. Ce quʼattendant, verbleibe ich

Ihr ergebener

Leon de Chanteloup.“

Und das war mein Vater! rief Louis mit grimmigem Zähneknirschen, indem er den Brief zusammenballte und zornig zur Erde warf. Er hob den Fuß, ihn zu zertreten, als ihm einfiel, daß die Thränen seiner Mutter darauf gefallen. Gerührt hob er ihn auf, glättete ihn sorgfältig und schloß ihn andächtig in seine Brieftasche ein. Jetzt wußte er endlich, warum das Leben ihr gar so schwer zu tragen gewesen. Sein Kindergebet und ihr nachheriges vollständiges Schweigen, Alles war ihm verständlich jetzt; denn sein Vater war eines Tages todt gefunden worden in der Nähe von Paris, und ein Gerücht wollte wissen, er habe sich, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen zu entfliehen, selbst entleibt. Daß er an der Verzeihung verzweifelt, die ihr liebendes Herz ihm so gern ertheilt hätte, daß er gestorben war, ohne Weib und Kind wiederzusehen, ja ohne ein letztes Zeichen der Reue oder der Erinnerung an sie, das war es, was sie ihm vielleicht nie ganz verzieh.

An sein zerstörtes Vermögen dachte Louis nicht. Die unwürdige Behandlung, die seine Mutter erfahren, war es, was allein seine Seele füllte und seinem Schmerz um sie neue Kräfte lieh. Was ihr Leben nicht hatte erreichen können, das bewirkte nun ihr Tod. Er rief sich alle ihre Handlungen zurück, die abgebrochenen Worte, mit denen sie einen lieben, aber geheimen Wunsch nicht auszusprechen wagte, fielen ihm wieder ein; diesen Wunsch nun zu erfüllen und dadurch, das Band, das der Tod zerrissen, im Grabe selbst, so zu sagen, wieder anzuknüpfen, wurde bei ihm zur fixen Idee. Er ergab sich religiösen Schwärmereien, schloß sich in seine vier Wände ein, und der Augenblick war vielleicht nicht fern, wo der letzte Sproß des berühmten Hauses der Welt entsagen wollte, um in der Einsamkeit eines Klosters sein fleckenloses Leben dem Dienste des Herrn zu weihen. Doch so weit sollte es nicht kommen.

Die französische Revolution, dieser Samum, der die Welt verheerend daherzog und eine Generation unter seinem heißen Hauche vergrub, drang auch in die ferne Abgeschiedenheit, wo der junge Edelmann sinnend an dem Scheidewege seines Lebens stand. Zu aufgeklärt, um der neuernden Wendung ihre Berechtigung abzusprechen, zu human, um an den Gräuelscenen des Volkes Theil zu nehmen, zu stolz, um seinen alten Namen durch irgend einen Verrath zu entweihen, zog Louis die Verbannung vor. Er rettete von dem Reste seines Vermögens, was er konnte, und wandte sich nach Deutschland, wo in B. ein alter Freund seiner Mutter lebte, den er zwar nicht kannte, der ihn aber um der lieben Verstorbenen willen mächtig zu sich zog. B. war wie fast alle Städte Deutschlands mit einer Flut von Emigranten überschwemmt, unter denen sich manche befanden, die mit seinem Vater befreundet gewesen, und da tönte ihm denn, unangenehm genug, die Erinnerung der Ausschweifungen entgegen, durch welche dieser sich bekannt gemacht.

Aber auch ohne jene zweifelhaften Freunde war er, seines hohen Namens wegen, wohin er sich in den Kreisen der Emigranten wandte, überall gern gesehen, und dennoch stand er bald sehr einsam und verlassen da. Sein stiller Ernst sagte bei genauerer Bekanntschaft nur Wenigen zu, und seine gemäßigten politischen Ansichten, die das Neue zwar nicht lobten, das Alte aber als die unverkennbare Wurzel dieser Neuzeit ansahen, kühlten selbst diese Wenigen ab. Seine Bescheidenheit söhnte Niemand mit seinen Meinungen aus, und alle diese meist jungen Leute, die mit den geretteten Trümmern ihres einstigen Vermögens fröhlich lebten, in der gewissen Erwartung einer nahen glücklichen Rückkehr zu den Verhältnissen jener alten Zeit, trennten sich in fast feindseliger Entfremdung von ihm. Und Louis war im Grunde froh, wieder allein zu sein.

Diese lockere, demoralisirte Gesellschaft, die in Sammt und Seide gekleidet, unter leichtfertigen Gesprächen an dem Rand eines Abgrundes hinschritt, der sie Alle im nächsten Augenblicke verschlingen konnte, hatte keinen wohlthuenden Eindruck auf ihn gemacht.

Was sollte er auch unter ihnen, er, dem nur die Erinnerung an die Vergangenheit die Freude des Lebens war? Die Verirrungen seines Vaters freilich, die hatte er dort wieder und wieder gehört, aber den stillen, kleinen Kreis, in dem seine Mutter sich mit ihm geschlossen hielt, den hatte Keiner gekannt. Und doch hielt ihn eine unbezwingbare Scheu ab, den einzigen Mann aufzusuchen, zu dem diese Erinnerung ihn zog. Er wußte, daß ihm nur wenig von dem Glanze seines Hauses übrig blieb, und er war stolz, wie nur je einer seiner Vorfahren es vor ihm gewesen war. Mitleid zu erregen schien ihm daher eine neue Beschimpfung zu sein.

Da suchte ihn der Baron selber auf. Ihm gefiel der junge Mann, dessen Benehmen so freundlich und doch so zurückhaltend war, und ganz entzückt kehrte er, von ihm zu den Seinigen zurück.

Er ist wie seine Mutter, sagte er vergnügt, so still und freundlich wußte die auch zu thun, was Recht war. Ja, ja, die deutschen Frauen haben nicht allein die Tugend mit Löffeln gegessen, auch über dem Rhein giebt es solche, an denen ein Heiliger sich erbauen könnte. Die Baronin lächelte; sie wußte recht gut, was sie von den Reden ihres Mannes zu halten hatte, und vergab ihm gern eine Schwärmerei, die ihn, von den losen Sitten seines Zeitalters unangesteckt, zu ihr zurückgeführt. Marie war neugierig, den jungen Mann zu sehen, der eine so vortreffliche Mutter gehabt, daß dies allein ihm, ein Anrecht an ihre Theilnahme gab.

Auf den jungen Marquis indessen übte das Haus des Barons bald einen eigenthümlichen Zauber aus. Es war ein Hauch der Heimath, der ihm daraus entgegenwehte; nicht der großen, die so viele Kinder zählt, denn das Haus war ganz deutsch, aber der kleinen, wo sein Herz die Wurzeln schlug, und die nur er gekannt. Er kam, um von seiner Mutter zu sprechen, und fühlte sich zu Hause, wo man so gerne von ihr sprach. So geschah es, daß sie sich nach und nach daran gewöhnten, ihn fast täglich bei sich zu sehen. Er liebte es, seine Abende da zuzubringen, und begleitete sie wohl auch, gingen sie aus. Zwischen Marie und ihm bildete sich schnell eine Art geschwisterlicher Vertraulichkeit, an der Niemand im Hause Anstoß nahm und die für Beide gleich angenehm war.

Tausend kleine Beschäftigungen brachten sie fortwährend zusammen. Zeichnen, Musik und Lectüre, Alles war von gleichem Interesse für sie, und sie war schön, ihre Ruhe that ihm wohl, und mit jedem Tage zog sie ihn fester an. Daß aus dieser harmlosen Zuneigung ein tieferes Gefühl sich entwickeln konnte, daran dachte er selber nicht! Marie war ja protestantisch! – Zudem hatte sie nichts von der fortwährenden Hülfsbedürftigkeit und sanften Abhängigkeit, an die ihn der Zustand seiner Mutter gewöhnt und die ihm darum an Frauen so lieb geworden war.

Marie war ganz das Gegentheil von alle dem. Sie trug die blühende Frische ihrer Jahre mit einer Unbefangenheit, welche bewies, daß sie nicht glaubte gegen irgend Jemandes Geschmack damit zu verstoßen. Ihr Vater rühmte von ihr, daß sie nie krank gewesen, und sie sah nicht danach aus, als würde sie es jemals sein. Sie war, trotz ihrer dunklen Haare und Augen, vom Wirbel bis zur Sohle eine echte Deutsche, häuslich und wirthschaftlich, von jener Gemüthsart, welche über die allernächsten Interessen des Hauses wenig hinausgeht. Und darin auch wich sie von Louisʼ Mutter ab, die bei aller Häuslichkeit den Sinn für das Allgemeine doch nicht verlor. Uebrigens war sie heiter, von jener wohlthuenden Heiterkeit, die nie in Ausgelassenheit übergeht, und vielleicht ein wenig sentimental. Sie schonte den Stock, wenn sie eine Blume brach. Ohne Neigung hätte sie keine Ehe geschlossen, sie glaubte an Treue, und die Liebe war ihr eine Religion. An das Thema der blinden Leidenschaft hatte sie freilich noch nicht gedacht, hatte wohl auch schwerlich daran geglaubt. Sie neckte Louis mit seiner übertriebenen Empfindsamkeit in Sachen der Religion, und was er von keinem Andern hinnahm, duldete er ruhig von ihr.

Ihr frisches, gesundes Wesen, das bei aller strengen Sittlichkeit den Eindrücken und Neigungen der Jugend doch so offen und zugänglich war, brach wie die Sonne durch die Nebel seiner früheren Ansichten und zerstreute sie. Der Gedanke an das junge Mädchen verflocht sich nach und nach in seinem Kopfe mit Allem, was er hoffte und unternahm. Er dachte weniger an den Unterschied der Religion und überließ sich gern der wohlthuenden Wärme, die von ihr ausströmte und die so sanft an das schlummernde Leben seines Menschenthums trat und seine Sinne unmerklich mehr öffnete für das Treiben der äußeren Welt.

 

Eines Morgens erwachte er mit dem Gedanken, seine Mutter hätte mit Freuden eine solche Schwiegertochter begrüßt, und der Mann, dem Marie vom Schicksal bestimmt sei, wäre gewiß ein glücklicher Mann, und nun der Gedanke in seinem Kopfe entstanden, ging er auch so leicht nicht mehr heraus. Mariens Benehmen gegen ihn blieb indessen frei und unbefangen wie im ersten Augenblick; sie fühlte nicht, daß etwas zu verbergen sei, und so verbarg sie auch nichts, und ihre Eltern merkten endlich, daß sich ein tieferes Gefühl sehr gut mit solcher Unbefangenheit verträgt. Es ist natürlich, wenn diese Entdeckung weder der Baronin noch ihrem Manne eine erwünschte war.

Eine einnehmende Persönlichkeit und gewinnende Liebenswürdigkeit sind große Gaben, aber sie machen den Menschen nicht satt, und mit dem Sattwerden allein ist es für ein weich gewöhntes Mädchen, wie Marie es war, auch noch nicht abgethan. So dachten Beide, als die Wahrheit ihnen nach und nach sehr wider ihren Willen aufging, und Louis dachte es auch.

Die erste Folge davon war, daß er sich eine feste Stellung zu gründen suchte, die ihm die Möglichkeit sichern sollte, sich auch einen eigenen Herd zu bauen. Seine religiösen Vortheile, denen er in der Heimath mit solchem Eifer nachgehangen, hatten ihn wenigstens, da er sie ernst nahm, vor den gesellschaftlichen bewahrt. Louis wollte gerne arbeiten, und so viele seiner Landsleute, weit höher noch geboren, als er, gingen ihm darin mit gutem Beispiel voran, daß es ihm nicht einmal hoch anzurechnen war.

Er wollte also arbeiten, aber wie? Er hatte in Paris die Rechte studirt, doch eben wie junge Leute studiren, denen es mehr um die Vollendung ihrer Erziehung zu thun ist, als um einen ernstlichen Lebenszweck.

Mit seinen übrigen Talenten sah es nicht viel beruhigender aus; er zeichnete hübsch, spielte mittelmäßig ein Paar Instrumente: das Alles reichte wohl nöthigenfalls hin, für sich selbst das Klappe Brod zu erschwingen, aber mit den bescheidensten Ansprüchen ließ sich das Glück einer Familie nicht darauf bauen.

Muthlos sah Louis vor sich nieder. Was sollte er thun? Sein Elend allein tragen, die Antwort war leicht genug. Durfte er Marie wiedersehen und eine Neigung in ihrer Brust Wurzel schlagen lassen, die von ihren Eltern nie genehmigt werden konnte? Sollte er ihnen die Tochter, sozusagen, stehlen und sie für das Vertrauen belohnen, das sie ihm bewiesen, indem er ihr einziges Kind durch Kampf und Qual einer Ehe entgegenführte, in welcher er ihr nichts zu bieten vermochte, als Entbehrungen jeder Art? Nein, das sollte nicht geschehen! Wenn auch unglücklich und arm, war er noch immer der Vertreter eines alten Namens, und eine unwürdige Handlung schien ihm eine Unmöglichkeit zu sein. Abreisen also, den Ort verlassen, der ihm zu einer halben Heimath geworden, war das Einzige, was ihm zu thun übrig blieb. Er seufzte, als er es dachte, aber mit diesem Seufzer hatte er auch dem Traum häuslicher Ruhe und Glückseligkeit für immer Lebewohl gesagt.

Beim Baron war man ein wenig überrascht, als ein ganzer Tag verging, ohne daß der Marquis etwas von sich hören ließ. Am zweiten flogen Mariens offene Blicke bei jedem nahenden Schritt erwartungsvoll nach der Thüre. Am dritten sah sie offenbar bleich und angegriffen aus. – Sollten wir nicht zum Marquis schicken und fragen lassen, was ihm fehlt? frug sie ihren Vater, als dieser sich zum Ausgehen anschickte.

Ich gehe schon selbst, war seine Antwort, und er entfernte sich.

Er fand Louis mit Packen beschäftigt, ebenfalls blaß, aber sonst ruhig und entschlossen genug. – Ei was, rief der Baron, wohin die Reise?

Louis erröthete. Ein plötzliches Geschäft, das sich nicht aufschieben läßt, stammelte er.

Davon haben Sie uns ja nichts gesagt?

Es kam so plötzlich, versetzte der junge Mann mit wachsender Verlegenheit.

Und darf man wissen, worin es besteht?

Louis hatte seine Fassung wiedergewonnen. Es betrifft nicht mich allein, sagte er, aber ich werde Ihnen schreiben, sobald es mir möglich ist.

Das scheint ja eine ernste Sache; – und bleiben Sie lange weg?

Wahrscheinlich.

Hm, sagte der Baron ärgerlich, wie das sich so verkehrt treffen muß, und ich hatte Sie um etwas zu bitten, eine große Gefälligkeit, die mir nicht so leicht ein Anderer leisten kann. Aber nun reisen Sie der Teufel auch! ob man sich auf Jemand verlassen kann!

O, wenn ich Ihnen einen Gefallen erweisen kann! rief Louis mit aufwallender Wärme, indem er dem vortrefflichen Mann unwillkürlich näher trat.

Sie reisen ja.

O, das hat am Ende keine solche Eile! Erfordert denn das Geschäft eine lange Zeit?

Ein paar Tage – nichts als ein paar Tage – aber freilich, wenn Sie reisen müssen —

O, rief Louis, das hat nichts zu sagen, durchaus nichts! Ein paar Tage – mehr, wenn Sie wollen! befehlen Sie über mich – was ist es, womit ich Ihnen dienen kann?

Die Sache war bald abgemacht, und Louis versprach zu bleiben, bis die Angelegenheit des Barons geordnet sei.

Aber schon den folgenden Morgen, gerade als er sich zu enträthseln suchte, was der Baron denn von ihm wünschen konnte, wurde ihm ein mächtiges Schreiben mit gewichtigem Siegel in die Hand gelegt, worin ihm höhern Orts eine ziemlich einträgliche Stelle angewiesen wurde, um die er in seinem ganzen Leben nicht nachgesucht. Kaum wagte er seinen Augen zu trauen, da schoß es ihm wie ein Blitz durch die Seele, und er eilte zum Baron.

Nun, sagte dieser, ich mußte Ihnen wohl helfen, denn das Sprechen wurde Ihnen gar so schwer; – und als Louis gebrochene Worte stammelte – es ist besser Sie gehen gleich vor die rechte Schmiede, sagte er lachend.

Er ging zur Thüre und rief seine Tochter herein, die halb bewußt und darum wohl so verzagt, als gelte es ein Unglück, in die Stube trat. Ihre Mutter folgte ihr.

Du bist so lange zu keinem Entschluß gekommen, sagte der Baron zu ihr, daß ich das Wählen für dich übernommen habe. Was sagst du zu dem Manne, den ich dir ausgesucht?

Sie war unfähig zu antworten. Louis warf sich fast vor Freude weinend seinem väterlichen Freunde an die Brust.

Das war die ganze Verlobungsfeier, der Baron verbat sich selbst von seinen besten, Freunden jede besondere Aufmerksamkeit; Karten wurden ausgegeben, und Marie erschien öffentlich als Braut. Die Leute schüttelten wohl ein wenig die Köpfe über die sonderbare Wahl eines Ausländers, der, wie sie sagten, nicht viel reicher sei, als eine Kirchenmaus, aber die Baronin war die Einzige, die es bemerkte und der es nahe ging. Sie hatte doch selbst aus Neigung geheirathet und stets den Grundsatz ausgesprochen, mit ihrer Tochter solle es dasselbe sein. Nun aber der Würfel so unvortheilhaft gefallen, hätte sie gar Manches anders dabei gewünscht, und sogar ein gelinder Zwang wäre ihr nicht als ein unverantwortlicher Eingriff in Mariens freie Wahl vorgekommen. Vielleicht barg sich darin eine kleine unausgesprochene Eifersucht, doch sie war klug und nahm mit scheinbarer Zufriedenheit hin, was sich einmal nicht ändern ließ, und bis jetzt hatten Alle mit einander weiter gelebt in ungestörter Harmonie.

Da tauchte Leonie zum zweiten Male an dem Horizont des jungen Mannes auf. Wie gesagt, er war früher nicht in sie verliebt gewesen, und ebensowenig war er es jetzt. Ihre Stimme, ihr Wesen hatte nur den angenehmen Eindruck bestätigt, ja wohl auch verstärkt, den ihre erste Erscheinung auf ihn gemacht. Sie stimmte die Seele zu einer so lieblichen Träumerei! Und was hatte sie wohl mit dem Blicke gemeint, den sie ihm so räthselhaft verlockend unter den langen Wimpern zugesandt? Ja, sie war sehr interessant und man konnte nicht an ihr vorübergehen, ohne sie zu bemerken, – das sagte er sich, und für heute war es damit abgemacht.

Und Leonie? Leonie hatte den ersten Schritt an den Rand des Abgrundes gethan, dessen Tiefe ihr scharfer Blick wohl ermaß, über den aber mit der Sicherheit der geübtesten Seiltänzerin hinwegzuschreiten ihr ein Kinderspiel erschien. Heute empfand sie keine Langeweile mehr; sie hatte ihn gesehen und gehört, so nahe gesehen und gehört, daß mit dem heißen Magnetismus der Liebe ihr Wesen fast in das seinige hinüberzuschmelzen schien. O die gewaltige Empfindung dieser ersten Minute allmächtiger Gegenwart! Leonie hatte sie nicht vorausgesehen; ihre Sinne waren in Aufruhr, sie warf sich in die Wagenecke und überließ sich zügellos ihrer aufgeregten Phantasie. Seine Stimme tönte noch immer in ihr Ohr, sein Blick, und er wußte selbst nicht, wie er sie angesehen, brannte noch immer und umstrickte sie, und durch Alles dämmerte die Zukunft, die sie noch nicht kannte, die aber an unerschöpflicher Wonne die arme Gegenwart bei Weitem überbot. Zu Hause brach sie in eine Lustigkeit aus, wie ihr Mann sie nie an ihr gesehen. Sie klatschte in die kleinen Hände, sie jubelte, sie lachte, daß ihr silberhelles Lachen von den hohen Wänden ihrer fürstlichen Wohnung wiederklang. Sie hätte Flügel haben mögen, die Erde schien sie nicht mehr zu tragen. Sie lief ihrem Mann davon und schloß sich in ihr Zimmer ein. Erst durch unendliches Bitten erzwang er sich den Zutritt zu ihr, und wer kann es dem sonst so klugen, kalten Manne verdenken, wenn er allen Verstand in diesem teuflisch hinreißenden Meer von Liebenswürdigkeit verlor, das, durch eine ihm unbekannte Ursache in Bewegung gesetzt, seine blauen, losgerissenen Wellen im Spiele über ihn zusammenschlug.

Mit großem Eclat eröffnete nun Leonie ihr Haus. Sie empfing alle Welt, und alle Welt schätzte es sich zur Ehre, sie wieder bei sich zu sehen. Uebrigens war, trotz des Glanzes, den der Reichthum ihres Mannes über sie ergoß, und der Stellung, die er bekleidete, wenig von der Sicherheit auf sie übergegangen, welche die Ehe gewöhnlich für junge Frauen mit sich bringt. Sie ging noch ebenso still und sanft wie früher einher: ihr Lachen, ihr Blick waren noch eben so schüchtern befangen, wie in früherer Zeit, und wie in früherer Zeit schien sie noch immer schutz- und hülfsbedürftig sich zu fühlen, wie ein wehrloses Kind. So war sie die Alte geblieben, und doch war ein neues Element hinzugetreten und schillerte sozusagen aus ihr heraus in tausendfältigem Farbenspiel. Man scherzte mit ihrem Manne, die Ehe habe seine Frau verschönert und ihr doch den vollen Mädchenreiz bewahrt. Der Graf lächelte wohl, aber er sagte nichts dazu. Auch ihre alte Einfachheit, sich zu kleiden, hatte sie noch. Ihr Mann hätte freilich wissen können (denn Leonie hatte die lobenswerthe Vorsicht gehabt, sich neuerdings aufzuopfern, indem sie ihr eigenes Vermögen sogleich in Sicherheit bringen ließ), er hätte also wissen können, was diese kostbare Einfachheit seinem Beutel kostete, wäre er überhaupt im Stande gewesen, von seiner reizenden Frau etwas Anderes zu wissen, als daß sie eben reizend war.

Und überall, wo sie sich zeigte, ertönte ihr dasselbe Lob. Sogar die Frauen, von ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit entwaffnet, beugten sich offen ihrem Uebergewicht. Und für Leonie war auch der kleinste Triumph nicht ohne Wichtigkeit; sie wollte gefallen, sie wollte angebetet sein, damit der Eine sie anbetungswürdig fände: wo Louis sie selbst nicht sah, sollte er sie erkennen und lieben lernen in der Huldigung, die sie überall hinter sich ließ. Und man glaube nicht, daß diese neue Entwicklung ihres Charakters dem Grunde kalter Berechnung, der in ihr lag, widersprach; Leonie hatte das Geschäft ihres Lebens glücklich vollendet, seine Blüten zu genießen, war nun ihr einziger Zweck. Ihre wahre Jugend war jetzt erst angebrochen. „Es ist das Glück, was sie so verschönert“, sagte man, und eigentlich hatte man damit auch Recht. Es war das Glück, das Glück, aus dem langweiligen täglichen Einerlei heimlich hinauszuschlüpfen in die freie Welt der Leidenschaft, und daß es heimlich geschehen mußte, daß eine solche Gefahr damit verbunden war, das konnte für Leonie dieses Glück nur erhöhen.

Bis jetzt bestand es indessen mehr in den kühnen Sprüngen ihrer Phantasie; nichts war vorgefallen, was ihre Voraussetzungen zu einer solchen Sicherheit berechtigte. Aber Leonie war mit dem unfehlbaren Instinct begabt, der dem Genie zugetheilt ist. Mit der still zuwartenden Geduld einer Spinne in ihrem sicheren Versteck sah sie ihn kommen, erst oft, stets in Begleitung seiner Braut, dann seltener, dann wieder öfter, und wenn auch nur auf Minuten, doch allein. Sie sah ihn düsterer werden, wie die Zeit verging. Manchmal blieb er Wochen aus, dann kam er wieder, trüber und unglücklicher als zuvor.

Und waren das nicht sichere Anzeichen von dem allmählichen Wachsen ihrer Gewalt über ihn? Sie wäre nicht so sicher gewesen, hätte er sich weniger widersetzt. Und wie ruhig sah sie dabei aus! Mit welcher Sicherheit vollkommener Unschuld ging sie den Weg, der sie immer wieder zu ihm zurückführte, wie der Zufall des gesellschaftlichen Lebens sie zusammenwarf. Was that sie denn so Verwerfliches? Sie ließ ihn freilich kommen, aber konnte sie denn verhindern, daß er kam? Wer hätte ihr nur das Geringste vorwerfen können? Der Faden, durch den sie ihn nach und nach, aber sicher, an sich zog, den sah kein Mensch, den sah er selber nicht. Und wie deutlich waren nicht die Spuren des Kampfes auf seiner Stirne zu sehen! Wie finster saß er oft ihr gegenüber, wenn sie in ihrer nachlässig lächelnden Trägheit den Weihrauch einsog, den ihr die Männer, die sich um sie drängten, so gern und reichlich spendeten! Unwille sei es über die junge Frau, die alle Gaben, womit der Himmel sie überschüttet, durch schnöden Dienst der Welt entweihte, sagte er sich, und er schalt Marie, daß sie ein Haus besuche, das ihm für eine wahrhaft züchtige Hausfrau viel zu frei erschien.

 

Marie wunderte sich über seine übertriebenen Ansprüche an die Moral der Frauen. Der strengste Sittenrichter hätte in Leonieʼs Benehmen nichts gefunden, als jene allgemeine Liebenswürdigkeit, welche jede tugendhafte Frau, sobald sie in der Welt mitleben will, gegen die Personen, die ihr Haus besuchen, mit vollkommen ruhigem Gewissen an den Tag legen kann. Freilich war Leonie jung und schön, und diese Liebenswürdigkeit stand ihr wie keiner Anderen so gut; – aber konnte man ihr daraus ein Verbrechen machen, daß es nicht anders war? Und hatte sie es Marien nicht hundertmal geklagt, wie sehr sie darunter leide, ein solches Haus machen zu müssen; wie sie die Stille ihres Mädchenlebens all diesem glänzenden Trouble vorzöge? Aber ihr Mann wünsche, daß sie Gesellschaft bei sich sehe, seine Stellung verlange es nun einmal von ihm, und sie könne nicht anders, als den Wünschen ihres Mannes gehorsam sein.

Das Alles sagte Marie und pries Leonieʼs Selbstverläugnung und suchte sie zu entschuldigen auf jede Art. Aber Louis wurde nur eigensinniger durch den Widerspruch, und so gab sie endlich nach und zog sich allmählich von der Gräfin zurück. Doch Louis wurde um nichts zufriedener durch ihre Nachgiebigkeit. Nun es ihm so leicht war, Leonie ganz zu vermeiden, zog es ihn mit unwiderstehlicher Macht zu ihr hin. Mit jedem Tage lernte er klarer in sein eigenes Innere sehen: nicht die Gräfin bedurfte einer Entschuldigung! hätte er eine für sich selbst finden können, es hätte ihm wohler gethan.

Alles, was seine Mutter gelitten, fiel ihm von Neuem mit der Lebendigkeit der Gegenwart ein, und wieder und wieder gelobte er sich, stark zu sein. – Armes Herz, das da glaubte rechten zu können mit dem blinden Zuge der Leidenschaft! Leonie nicht mehr sehen, war eine ganz andere Aufgabe, als da er Marien zu entsagen versuchte!

So tief hatte das reine Mädchen nicht in sein innerstes Wesen gegriffen, so gewaltig hatte sich nicht Alles aufgewühlt, was von dem Sauerteig der Sünde in ihm verborgen lag, wie die blonde, scheinbar so zerbrechliche Zauberin, von der er nicht einmal mit Bestimmtheit wußte, ob sie ihn je genau angesehen. Mit dem scharfen Seherblick der Liebe hatte er die Corruption richtig erkannt, die unter dem glänzenden Firniß der Liebenswürdigkeit die Seelenadern der jungen Frau durchzog, und ach! noch verstand er es selber nicht, aber es war eben diese Corruption, die ihn am mächtigsten zu ihr zog. Vergebens war sein Sträuben: zum ersten Male in seinem Leben fühlte er deutlich, daß Können und Wollen zwei von einander ganz verschiedene Dinge sind. Was er für Liebe gehalten, war nicht Liebe gewesen, und was er jetzt, als Liebe empfand, stimmte mit seiner inneren Erkenntniß derselben nicht überein. Ein tiefes Elend bemächtigte sich seiner; was ihm bis jetzt die Quelle alles zukünftigen Glückes gewesen war, das fühlte er sich plötzlich versucht als die seines Unglückes anzusehen, und was sollte aus ihm werden, wenn er erst unwiederbringlich gebunden war?

Und doch schätzte er Marie. Sie war ihm lieb und werth; ja, sie stand ihm jetzt, wo ihre klare Ruhe so sehr gegen die Gährung in seiner eigenen Seele abstach, näher, als sie ihm je gestanden war. Könnte Achtung Liebe sein, wie hätte er sie nicht geliebt! Manchmal dachte er sich, den Kopf in ihrem Schooße ruhend, unter ihren kühlen Händen, von ihrem reinen Blicke beschützt, müßten die heißen Pulsschläge stocken, die er von seinem Vater geerbt, und die zur Ruhe zu zwingen sein Wille allein nicht, vermögend war. In solchen Augenblicken schwur er ihr Liebe, Treue, Anbetung bis in den Tod, daß sie über seine Aufregung erschrak. Er klammerte sich an sie an, wie der Ertrinkende an die Planke, von welcher er allein noch Rettung hoffen kann. Aber um Leonie wehte eine Atmosphäre üppig glühender Leidenschaft, die alle seine Sinne dahinriß, in der er Himmel und Erde und alle geleisteten Schwüre vergaß, und die doch keine Labung mit sich brachte. Denn wie sollte er sie finden in einer Liebe, die wider alle seine Begriffe von Recht und Unrecht stritt. Wehe aber dem Menschen, der mit offenen Augen einem Abgrund zugetrieben wird. Die völlige Blindheit wäre besser, als diese Sehkraft, die ihm doch nicht helfen kann!

Da war es ein kleiner unbedeutender Vorfall, der Allem plötzlich eine andere Wendung gab.

Louis hatte die Gräfin seit Wochen nicht gesehen. Da überfiel ihn eine unendliche Sehnsucht, wenigstens von Weitem eine Spur ihres Lebens zu erspähen. Es war Abends, und er wollte zu Marie, die ihn wie gewöhnlich erwartete, aber er konnte den kleinen Umweg machen ohne sich besonders zu verspäten, und so bog er, von dem unwiderstehlichen Zuge seines Herzens geführt, halb unbewußt von seinem Wege ab und blieb nach wenigen Minuten vor dem Hause der Gräfin stehen. Er blickte hinauf; die Fenster waren hell beleuchtet; eine zahlreiche Gesellschaft schien sich in den Räumen zu bewegen, er konnte die Gestalten unterscheiden, die wechselnd an den Scheiben vorüberschwebten, Leonie aber sah er nicht. Bevor er es bedacht, hatte er den Fuß auf die Treppe gesetzt; nur einen Augenblick wollte er sie sehen, sagte er sich, und von so Vielen umgeben, wo war da eine Gefahr? In dem letzten Salon wurde getanzt. Es war ein improvisirter Ball bei Klavierbegleitung, dessen Beweglichkeit und Freude lebhaft gegen Louisʼ düstere Stimmung abstach. Unter den Thüren des mittleren Salons standen alle Die zusammengedrängt, die durch Alter oder Laune von dem jugendlichen Vergnügen ausgeschlossen waren, und sahen, mehr oder minder erheitert, dem lachenden Schauspiele zu. Louis trat unter diese. Die Gräfin tanzt! hieß es um ihn her; er blickte über die Schultern seiner Umgebung, und mitten im Saale unter den tanzenden Paaren stand auch Leonie und zeichnete mit den kinderkleinen Füßen, welche die Mode der Zeit dem Auge frei ließ, die anmuthigen Figuren einer Menuet, dieses anmuthigsten aller Tänze, die sich zum Dienste geselliger Freude herabgelassen haben. Aber ein Ausdruck von Trauer beschattete die lieblichen Züge, und die zarten Füßchen folgten dem Tacte der Musik mit einer ganz ungewohnten Lässigkeit.

Louis Abwesenheit hatte ihr diesmal denn doch zu lange gedauert, und da zugleich mit ihm auch Marie sich nicht sehen ließ, so hatte sie den besten Vorwand, sich nach der Ursache dieser Verlassenheit zu erkundigen. Sie war also denselben Vormittag zum Baron gefahren und lud selbst die ganze Familie, Louis natürlich mitinbegriffen, für den heutigen Abend ein, der ein sehr stiller sein sollte, sagte sie, wie in schüchterner Entschuldigung gegen Marie hingewendet. Mit offenbarer Befangenheit und zugleich mit einer kleinen Uebereilung, die auf mehr zu deuten schien, als auf eine zufällige Verhinderung, lehnte diese die so freundlich gemachte Einladung für sich und ihren Bräutigam ab, und nur der Baron, dem die junge Frau ungerecht behandelt schien, versprach zu kommen und auch mit Louis zu sprechen, der ein Narr sei und öfter ärger als ein unvernünftiges Kind. So mit einer kleinen Sorge über Mariens Entfremdung und einer größeren, in wie weit Louis dabei betheiligt sei, war Leonie nach Hause zurückgekehrt. Da, wie sie sich senkte und hob in den immer graziösen Wendungen des Tanzes, gewahrte sie den stolzen, dunklen Kopf des Marquis, der über die hinteren Reihen ihrer Gäste in den Saal hineinsah. Trotz seines ernsten, bleichen Gesichtes, das mit solcher Strenge auf sie herabzublicken schien, blitzte ein freudig verführerisches Lächeln plötzlich über das Gesicht der reizenden Frau, und ihr Herz, das heute beklommener geschlagen, als seit langer Zeit, hob sich plötzlich frei und leicht.

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