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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Aber Leonie hatte den Zügel über ihr gährendes Innere wieder erfaßt und allen Entschluß darin gefunden, mit dem sie sich gewaffnet, seit sie den gefährlichen Fremden zum ersten Male gesehen. Du weißt, erwiderte sie, es ist mein erster Ballwinter, und ich fürchte, ich habe des Guten ein wenig zu viel gethan. Es ist mir wirklich nicht recht wohl.

Sie sah sich nach Fräulein Pertold um, und diese, welche ihre Jugend schon längst hinter sich hatte, noch bevor sie die moralische und geistige Ausbildung ihres jetzigen bewunderten Zöglings unternahm, und das wenige Kindliche, das trotz aller widerstrebenden Verhältnisse Leonien doch noch ankleben mochte, mit solcher Mühe und so großem Erfolg aus ihrem Charakter weggewischt, verstand sehr gerne den Wink, der sie von dem glänzenden Feste erlösʼte, an dem ihr eigener Freudentheil ein so geringer war. Erst im Wagen, als sie im raschen Schritte der väterlichen Wohnung zufuhr, fühlte Leonie sich sicher vor der eigenen gährenden Jugendkraft.

Von da an war ihre Verlobung ein hinreichender Grund, Marie sehr selten und nur auf flüchtige Augenblicke zu sehen. Graf Hoheneck zeigte alle natürliche Ungeduld eines sehr verliebten Mannes, das reizende Geschöpf, das sein eigen werden sollte, nun auch recht bald sein eigen zu sehen, und Leonie verstand die Kunst, sich den eigenen Wunsch durch Vorstellungen, Bitten und Schwüre abringen zu lassen, als das größte Opfer der Liebe und Hingebung. Der dankbare Mann vergalt denn auch diese Opfer mit Zugeständnissen und Aufmerksamkeiten jeder Art, und sie nahm diese Zugeständnisse und Aufmerksamkeiten mit einer so demüthigen Freude hin, so ganz als Beweise seiner Liebe, deren sie sich unwürdig fühlte und die doch ihr ganzes Leben war, daß es eine unwiderstehliche Verlockung war, diese Freude immer wieder zu erneuern. Sie war überhaupt das Muster einer Braut, ihr schüchternes Lächeln, ihre süßen Blicke waren so voll verborgener Bedeutung; in ihrem zurückhaltenden, scheuen Benehmen sprach so wohl die Schamhaftigkeit der Jungfrau, die sich ein heißeres Gefühl kaum selbst zu gestehen wagt, daß es kein Wunder ist, wenn der arme Graf mehr und mehr den Kopf verlor. Genug, er heirathete sie und war der glücklichste Mann der Welt.

An ihrem Hochzeitstage war ihr Vater düsterer als je. Als Leonie vor der Trauung auf sein Zimmer kam, nahm er sie bei beiden Händen und zog sie nahe an sich heran. Lange schaute er in das junge, schöne, von einer ihm unbekannten Regung bleiche Gesicht. Endlich legte er die Hand auf ihren Kopf: Du bist schön, sagte er, aber auch eine Andere war schön, schöner vielleicht als du, und doch hat es uns Beiden weder Glück noch Segen gebracht. Vergiß nicht, daß die Schönheit des Weibes nur für den Mann blühen soll, der Schmuck seines Hauses und die Freude seines Herzens, und daß sie darüber nicht hinausgehen darf. Du gehst heute von mir – gehe zum Glücke – du kannst es, wenn du es nur ernstlich willst. Ich war manchmal hart gegen dich – habe ich dir Unrecht gethan, so verzeihe mir. Dein Herz war mir ein verschlossenes Buch. Laß es einem Andern nicht also sein! Denke ohne Groll an deine Kinderjahre zurück. – Gerührt beugte er sich zu ihr herab, es war das erste Mal in ihrem Leben, daß Leonie sich erinnern konnte, seine Lippen auf ihrer Stirn gefühlt zu haben, und es durchschauerte sie fast, als mit dem Kusse eine warme Thräne darauf lag. Aber die Erinnerung an ihre Mutter war nicht geeignet, ihr das Herz zu erweichen. Schweigend führte sie seine Hand an ihre Lippen und nahm ruhig den kostbaren Schmuck entgegen, den er ihr bot.

Als er von dem Portal der Kirche einsam dem wegrollenden Wagen nachblickte, der sie einer ungewissen Zukunft entgegen trug, da zog eine seltsame Wehmuth durch sein Herz. Er hatte sie aufwachsen sehen, er hatte die köstliche Blüte ihrer Schönheit sich langsam unter seinen Augen entfalten sehen, in all dem mystischen Zauber, der ihr so eigen war, und der sie so sehr von anderen Frauen unterschied; sie war so lange die Zierde seines Hauses gewesen, und sie vor jedem Unglück zu bewahren, hatte so lang einen Theil seines Lebens ausgemacht, daß, was auch immer zwischen ihnen stand, wie fremd auch ihre Herzen für einander geblieben, ihr Scheiden dennoch eine Lücke in sein Dasein riß. So fällt das Alte allmählich von uns weg, dachte er, als er allein in seinem Wagen langsamen Schrittes dem vereinsamten Hause zufuhr. Auch das letzte Glied der Kette, die mich so lange gedrückt, ist gebrochen, und kaum weiß ich, soll ich mich darüber freuen? Was nützt die Ungeduld? Es kommt die Zeit – die Zeit kommt gewiß und löst es mild und schonend von uns ab. Vergänglichkeit ist eben Alles – Alles – auch Schmerz und Zorn und Haß, und Nichts ist und war, als Vergänglichkeit, die uns, wie Alles, mit Allem was wir sind in die Vergessenheit treibt. – Ja, setzte er nach einer Pause kaum hörbar hinzu, Alles vergeht, nur nicht die Erinnerung an das Blut, das man vergoß.

Er war angekommen und stieg aus. Otto kam ihm bald nach. Auch er war traurig. Der gute Junge hatte, was man übereingekommen ist „ein deutsches Gemüth“ zu nennen. Es zeigte sich aber heute auf eine Art, die sonst in Deutschland nicht sehr gebräuchlich ist. Er hatte nämlich die Schwäche, seine Schwester, die ihn doch stets als einen sehr unwichtigen Gegenstand behandelt hatte, weit zärtlicher zu lieben, als deutsche Brüder, im gewöhnlichen Lauf der Welt, ihre Schwestern zu lieben für nöthig erachten, und er kam jetzt zum Vater, um an ihm ein theilnehmendes Herz zu finden für die Trauer der Trennung, die auf seiner Seele lag, und die er seinen Altersgenossen gegenüber einzugestehen aus einer gewissen falschen Scham und angeborenen Schüchternheit Anstand nahm. Aber zu einem empfindsamen Seelenerguß war der Graf doch nicht aufgelegt, und beim Anblick seines Sohnes gingen seine Gedanken auf einen Pfad über, der ihm weit natürlicher und anziehender war: nämlich auf diesen Sohn selbst, den einzigen Gegenstand, um den sein von menschlichen Banden früh losgerissenes Herz noch tief der lebendigen Fasern der Liebe schlug.

Daß er dennoch das geliebtere Kind Jahre lang von sich entfernte und das ungeliebte unter seinen Augen behielt, ist eines jener Räthsel, deren Schlüssel tief in der Brust des Menschen verborgen sind. Vielleicht war es das Bewußtsein dieser Lieblosigkeit selbst, was ihn bewog ein Opfer zu bringen, das er für eine Art Sühne dieser Lieblosigkeit ansah und eine Ergänzung der Pflicht, die er sich auferlegt. Vielleicht dachte er auch, Leonieʼs besondere geistige Richtung verlange eine sorgfältigere Ueberwachung, als der gutmüthige Knabe, dessen reine Seele unverhüllt in dem offenen Spiegel seiner Worte lag, und diese Eigenschaft des Kindes war es auch vielleicht, warum er ihn lieber aus dem Bereiche jedes unlauteren Eindruckes ferne hielt. Jetzt aber, wo die letzte Pflicht erfüllt war, konnte er endlich seinem Sohne leben und diesem Sohn Alles sein und ihn Alles für sich sein lassen, was er nur je für ihn und von ihm geträumt. Und unter dem Wortschwalle Ottoʼs, der mit dem treuen und doch so nachsichtigen Gedächtniß der Liebe alle Vorzüge und reizenden Liebenswürdigkeiten der ihm so unähnlichen Schwester in das glänzendste Licht zu stellen sich befliß, hing des Vaters Blick an seinen Zügen und verfolgte in ihnen mit sonderbarer Rührung eine schwache Aehnlichkeit mit einem früh verstorbenen Bruder, der ihn aus seinen Kinderzeiten durch Ottoʼs klare Augen wieder anzulächeln schien. Es war eine Aehnlichkeit, die, süß in sich, doch sein Herz in wehmüthiger Ahnung zusammenzog; denn er konnte sich nicht verhehlen, daß aus dem kräftigen Knaben der Jüngling sich körperlich nicht in dem Grade entwickelt hatte, wie es für des Vaters Stolz und Freude zu wünschen war. Otto hatte vor Kurzem erst seine Studien absolvirt, und obgleich er eben keinen feurigen Geist besaß und das Studiren auch nicht gerade seine Neigung war, hatte er doch rasche und sogar glänzende Fortschritte darin gemacht. Das freie Leben als Jäger und Oekonom wäre weit mehr nach seiner Neigung gewesen, und er seufzte auch manchmal über die schweren Folianten, wenn er im Geist zu der reinen Luft, die seine Schwester unterdessen einsog, und zu den Wäldern und Feldern des väterlichen Gutes zurückging. Aber Studiren war für jetzt seine Pflicht, und so studirte er denn. Bei der angestrengten Arbeit aber hatte sein Gesicht sich gebleicht, er sah mager und verkommen aus, was bei der Traurigkeit, die jetzt auf seinen Zügen lag, noch auffallender hertrat.

Was soll ich thun? dachte der Graf. Luftveränderung? – Reisen – allein? – nein, das geht nicht an – auch ich bin einmal gereisʼt, allein, in seinem Alter – und – was hat es mir gebracht? – Otto, unterbrach er plötzlich seines Sohnes unerschöpfliche Lobrede auf die geschiedene Schwester, du hast deine Studien hinter dir, auf das Gut mag ich nicht zurück, das Haus ist öde hier, die Luft bekommt uns Beiden nicht, und Zeit ist es jetzt, daß du dir die Welt ein wenig ansiehst. Was sagtest du, mein Sohn, wenn wir auf Reisen gingen, damit uns die Grillen schneller vergehen? – Ottoʼs Augen leuchteten auf, sein Kummer war verflogen, und so reisʼten sie denn ab.

* * *

Frühjahr, Sommer und Herbst waren vergangen und sogar ein guter Theil des Winters war ihnen nachgeeilt, und weder das neue Ehepaar, noch der Graf und Otto waren nach der Hauptstadt zurückgekehrt. Sie sitzen bis über die Ohren im Glücke, sagte man, wenn von Leonie und ihrem Manne die Rede war, und was man von ihnen hörte, bestätigte allerdings das freundliche Gerücht. Manches hatte sich unterdessen verändert. Marie war Braut geworden, in aller Stille freilich, und die Leute wunderten sich, daß sich keine bessere Partie für das schöne und wohlhabende Mädchen gefunden; aber sie war glücklich, obgleich es bei ihr nicht gerade zum Dache hinaus schlug, und was wollten ihre Eltern mehr?

Ich wollte doch, Leonie ließe etwas von sich hören, sagte sie eines Tages, von ihrer Arbeit aufsehend. Sie wird sich gewiß mit uns freuen.

 

Da ging die Thüre auf, und die Besprochene trat in das Gemach. – Wie sonderbar! rief Marie, nachdem der erste Sturm der Ueberraschung vorüber war, wir sprachen so eben von dir.

Du hast meinen ersten Besuch, sagte Leonie mit ihrer sanften, stillen Stimme. Es war noch immer dieselbe Leonie; etwas frischer sah sie freilich aus, auch mochte sie ein wenig gewachsen sein, sonst war keine Veränderung an ihr zu sehen. Es war derselbe Blick, dasselbe Lächeln, dieselbe anmuthige, bescheidene Schmiegsamkeit, mit der sie als Mädchen so viele Augen und Herzen berückt.

Seit wann sind Sie hier? frug die Baronin.

O, seit gestern Morgen erst, und ich wäre gleich gekommen, aber meinem Manne war es nicht auszureden, daß ich von der Reise zu müde sei.

Und du bist eine gehorsame Frau, setzte Marie lächelnd hinzu.

Wie soll man anders? sagte Leonie, indem sie sich niederließ und die ganze Familie sie in lächelnder Betrachtung umstand. Die Männer sind solche Tyrannen!

Und Sie sind das Muster einer guten Frau, unterbrach sie der Baron. Nun, meine Marie wird diese Weisheit auch bald in Uebung bringen können. Wir sprachen eben davon, daß Sie sich gewiß mit uns freuen würden: meine Marie ist Braut.

Ei was! sagte Leonie verbindlich, und mit wem?

Du wirst es nicht glauben, fiel jetzt Marie lachend ein, mit dem jungen Manne, den du auf dem Balle mit meinem Vater sprechen sahest. Nun habe ich mich damals, ohne es zu ahnen, selbst bedauert, denn ich werde seine Frau.

Leonieʼs Augen öffneten sich weit.

Wir hätten Besseres finden können, nahm die Baronin, die Leonieʼs Bewegung dem Erstaunen über die mittelmäßige Partie zuschrieb und eine gewisse Kränkung darüber empfand, jetzt das Wort. Das heißt, Reichere hätten wir finden können, aber schwerlich einen Bessern; ich glaube nicht, daß es einen besseren Menschen giebt. Und Marie soll vor allen Dingen glücklich sein. Was ist Ihnen? Warum werden Sie so blaß? rief sie plötzlich und näherte sich erschrocken der jungen Frau.

Doch Leonie hatte sich schon gefaßt. O nur eine flüchtige Anwandlung! sagte sie ruhig. Mein Mann hat doch Recht gehabt, und die Reise hat mich mehr angegriffen, als ich geglaubt. Und mit dem anmuthigsten Lächeln sich erhebend, umarmte sie Marie und wünschte ihr einfach und herzlich alles nur erdenkliche Glück. Ich muß nun gehen, sagte sie dann, mein Mann hat mir nur auf einige Minuten Urlaub gegeben, und jetzt habe ich Sie ja gesehen.

Ein lächelnder Abschied, das Versprechen, sich bald zu besuchen, wurden scherzend ausgetauscht; Leonie beugte sich noch einmal aus dem Schlage, dann rollte der Wagen zum Thore hinaus, und sie sank bleich und mit entstelltem Gesicht in den Hintergrund desselben zurück.

Also doch zu spät! sagte sie mit geballten Händen und vor Schmerz und Zorn zusammengebissenen Zähnen. O, ich Närrin! Meinem Manne nachzugeben, als er darauf bestand, länger auf dem Lande zu bleiben! Zu glauben, Wochen, Monate schadeten nichts, wo ein einziger Tag vielleicht von solcher Wichtigkeit war! Ein Wort von mir hätte Alles anders gemacht, und nun ist es zu spät! – Und doch – warum zu spät? – Hier versank sie in Gedanken, und der Schlangenbiß der Eifersucht in ihrem Herzen ließ allmählich nach. Kannte sie denn nicht mehr ihre eigene Macht? Freilich war er verlobt – aber war Marie Diejenige, die eine blinde Leidenschaft einzuflößen verstand? (und Leonieʼs Glaubensbekenntniß in der Liebe erkannte eben nichts Anderes an als blinde Leidenschaft.) Mariens Bild zog jetzt an ihrem Geiste vorüber, die keines Hülfsmittels bedurfte, um schön zu sein. Ja, sie war schön: Leonie athmete schwer, als sie es sich gestand, aber war sie nicht auch offen wie der Tag? Kein Geheimniß breitete sein magisches Dunkel über sie, keine Ueberraschung weckte die abgespannte Seele zu immer neuer Erwartung auf, wer sie zu kennen suchte, der kannte sie auch, und die Phantasie schlief an ihrer Seite ein. Nicht so Leonie. Instinctartig hatte sie die schwere Kunst gelernt, den Geist ewig wach zu erhalten, indem sie ihn fortwährend an die Grenze eines räthselhaften Unbekannten führte, von welchem er zwar nie den Schleier lüftete, das sich aber in immer neuen, verlockenden Gestalten dem ahnenden Auge darzubieten schien. O seltene Gabe, immer neu zu sein! Die Frau, die dich besitzt, und wäre sie häßlich und alt, trägt den Ring Salomonis an dem Finger, mit dem sie allen Geistern der Tiefe gebieten kann.

Was hatte Leonie also zu fürchten? Der Kampf würde etwas schwerer sein, aber an spannendem Interesse würde er dadurch nur gewinnen. An Marie selbst, an das Glück der Freundin, die ihr stets nur liebend begegnet war, an solche Kleinigkeiten dachte die junge Gräfin nicht. Aufathmend blickte sie um sich, und eben fuhr sie in den Hof ihres eigenen Hauses ein. Ihr Mann kam ihr entgegen, er hob sie aus dem Wagen und fast in seine Arme wie ein Kind. – Du stehst blaß aus, sagte er, ihr besorgt in die dunklen, wundervollen Augen sehend, Du hättest nicht ausgehen sollen, ungehorsames Kind!

Leonie sah lächelnd zu ihm auf und hing sich schmeichelnd an seinen Arm. Er trug sie mehr die, Treppe hinauf, als er sie gehen ließ. Oben mußte sie sich niederlegen; sie war wirklich angegriffen, und geduldig ließ sie Alles mit sich geschehen. Er rückte ihrem Kopf die Polster zurecht, legte sie warm und hüllte sie ein, wie eine Mutter ihr Kind, und mit einem Aufglühen inneren Glückes fing er dabei das sanfte, dankbare Lächeln auf, das ihm für seine Mühe die süßeste Belohnung war. Dem alternden Ehemanne war die junge Frau in Wahrheit das Kleinod seines Herzens, eine Welt von Seligkeit, in der Alles zusammenschmolz, was seine Seele an Liebe zu empfinden fähig war. Er wurde förmlich wieder jung mit ihr und wußte gar nicht, was er thun sollte, um ihr zu zeigen, daß sie sein Glück und sein Alles sei.

Du strengst dich immer zu sehr an, sagte er jetzt, nachdem er sie vorsichtig auf die Stirn geküßt, und es war keine Ironie, er glaubte wirklich, was er sprach. Leonie lächelte wieder. Es war eine so bequeme Antwort, dieses Lächeln, es kostete keine Mühe des Nachdenkens oder der Verstellung, und sagte doch so viel. Auch that es ihr wirklich wohl, sich so wie ein Kind umhegt und gepflegt zu sehen. Diese Liebe, die keine Fessel war, und doch eine so sichere Stütze, eine so warme Umhüllung war, entsprach für den Augenblick der sybaritischen Weichlichkeit, die in ihrem Blute lag und in ruhigen Momenten den Hauptzug ihres Charakters bildete.

Ja, er hat mich lieb, sagte sie sich, und ihr Blick weilte durch die halb geschlossenen Lider sinnend auf ihm, als er, um sie nicht zu stören, sich an ein Fenster niedergelassen hatte und dort ruhig seine Zeitung las. Er hat mich sehr lieb! Ein Lächeln von mir wiegt ihm allen Sonnenschein des Weltalls auf. Wenn ich wie eine Andere wäre, ich glaube, dies allein wäre zu meinem Glücke genug – so aber – was kann ich dafür, daß ich nicht wie Andere bin? – Es ist Alles so herzlich langweilig, und die Narren beneiden mich noch. Sie schloß die Augen vollends und schien zu schlafen, und ihr Mann trat leise auf, als er das Zimmer verließ.

Ein paar Tage danach in einer Soirée, in welcher Leonie, mit ihrem gewohnten Fächerspiel beschäftigt, den Mittelpunkt eines Gespräches bildete, zu dem sie von Zeit zu Zeit ein paar nachlässige Worte und träumerische Blicke hergab, trat ihr zum ersten Male an Mariens Seite der junge Mann mit Absicht entgegen, der, ohne es zu ahnen, ihre Phantasie so brennend beschäftigte.

Der Herr Marquis Louis de Chanteloup, sagte Marie mit scherzendem Pathos, in dem vielleicht ein kleiner, natürlicher Stolz über die ausgezeichnete Erscheinung ihres Bräutigams sich kund that. Leonie war vorbereitet und verbeugte sich mit der Sittsamkeit eines vierzehnjährigen Kindes.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich die Frau Gräfin sehe, sagte der Marquis in ziemlich gutem Deutsch.

Ja, in der That – ich glaube – ich besinne mich, erwiderte Leonie, während ihn unter den langen Wimpern einer ihrer verführerisch unschuldigen Blicke traf; war es nicht an einem Abend in der Oper?

Der junge Mann erröthete und verbeugte sich – so hatte sie ihn also doch bemerkt!

Nun, das freut mich, rief Marie ahnungslos, dann sind Sie ja schon alte Bekannte.

Das Recht der alten Bekanntschaft kann ich um so eher in Anspruch nehmen, sagte er dann, als ich die Frau Gräfin nach jenem Abend noch einige Mal wiedersah.

Leonie lächelte – was lag nicht Alles in diesem Lächeln!

Welch eine interessante Frau! sagte er zu Marie, als er auf dem Heimwege ihr gegenüber in dem Wagen saß.

Nicht wahr? rief das Mädchen, o sie ist ein Engel!

In dieses Lob stimmten der Baron und seine Frau von ganzem Herzen ein, und wir wissen nicht, warum sich gerade in dem Marquis etwas regte, das diesem Vergleich widersprach. Er lehnte schweigend in seiner Ecke und suchte sich den Eindruck zu erklären, den die Erscheinung der Gräfin auf ihn gemacht.

Wir würden der strengen Wahrheit untreu sein, wenn wir sagten, daß Leonieʼs Anblick das Herz des jungen Mannes schon längst in stürmische Liebesflammen versetzt, die nun, da er sie wieder gesehen und sogar gesprochen, jeden Damm zu durchbrechen drohten. Leonieʼs hohe Schönheit hatte allerdings schon im ersten Augenblicke ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt; sie gefiel ihm sehr, unsäglich gefiel sie ihm; sie war so ganz der Typus des Weibes, wie er es sich in seiner Vollendung dachte, dieses durch Liebe herrschenden, durch seine Schwäche allmächtigen Geschöpfes. Aber der Luxus, der die reiche Erbin umgab, hatte ihm ebenfalls im ersten Augenblicke gezeigt, daß diese Blume nicht für den mittellosen Ausländer gewachsen war. Sie war ihm erschienen und wieder verschwunden, wie ein Bild aus einem lichten Traum, das uns gefällt, das aber in keiner Beziehung zu unserem eigentlichen Leben steht, und andere Verhältnisse hatten den flüchtigen Eindruck schnell verwischt. Auch lag damals der Tod seiner Mutter noch frisch auf seiner Seele und dämpfte jede heftige Wallung des Geblütes mit einem Thränenschleier ab. Er hatte, wie Marie es Leonien erzählte, diese Mutter unaussprechlich geliebt, mit, all der chevaleresken Hingebung, die uns aus den nationalen Dichterwerken seines Volkes so oft, den Banden der Familie gegenüber, und so lebendig entgegentritt. Sie war bis jetzt die einzige Dame seines Herzens gewesen, und sie hatte sich diese Herrschaft durch die Aufopferung ihres ganzen Lebens, das in Liebe zu ihrem einzigen Sohne aufging, theuer genug erkauft.

So weit er zurückdenken konnte, hatte er sie neben sich gesehen, still und duldend, und die einzige Veränderung, deren er sich erinnerte, war, daß sie nach dem Tode seines Vaters die bunten Kleider der Welt gegen die schwarzen der Trauer vertauscht, die sie auch von da an nicht mehr abgelegt. Dieses Vaters aber erinnerte er sich kaum und gab sich auch, wir müssen es gestehen, wenig Mühe, sich seiner zu erinnern. Bete für deinen Vater, daß er zu uns zurückkehre und glücklich sei! hatte seine Mutter jeden Abend seiner Kinderzeit ihm gesagt, wenn er, schlaftrunken zu ihren Füßen knieend, mit stammelnden Lippen gedankenlos ihr das kleine Abendgebet nachsprach. Aber die kindliche Bitte, der solche Allmacht zugeschrieben wird, und hinter welcher ein heißeres Gefühl sich bergen sollte, war unerhört verhallt, denn der Vater kehrte nicht zurück, und doch forderte einmal seine Mutter das Gebet nicht mehr von ihm. Bis dahin hatte er wenig aufgemerkt, doch ihr plötzliches Schweigen war wie ein Ruck, und heimlich faßte ihn ein Wundern an. Warum soll ich nicht mehr beten, daß der Vater kommen soll? frug er eines Abends die bleiche Frau, die, über ihn gebeugt, seine gefalteten Händchen in den ihrigen hielt.

Er ist zur Ruhe – stören wir ihn nicht, war ihre Antwort gewesen, und oft nachher, wenn ihm das Wort einfiel, trat er plötzlich leiser auf, den Vater nicht in der Ruhe zu stören, von der ihm seine Mutter gesagt.

Darauf beschränkte sich aber auch Alles, was er von ihm wußte, und er hätte gar keinen Vater haben können, so wenig ließ dessen Verschwinden eine Lücke in seinem Herzen zurück. Ein froher, sorgloser Knabe wuchs er auf und füllte die öden Räume des väterlichen Schlosses mit aller lärmenden Freude einer gesunden Kinderzeit. Wenn er dann, vom Spiele erhitzt und müde, Ruhe und Erholung an der Seite der Mutter suchte, flog wohl manchmal ein wehmüthiges Lächeln über ihr rührendes, früh verwelktes Gesicht.

Ja, sagte sie dann wohl, mit den seinen, weißen Händen in der dunklen Fülle seiner Locken wühlend, während sie ihm dabei lang und gedankenvoll in die hellen Augen sah, zu dem greisen Pfarrer des Dorfes, der des Knaben Lehrer war und Abends öfter eine Stunde bei ihr einsprach, ja, er ist ein gutes – ein sehr gutes Kind! Aber – das Leben ist eine schwere Aufgabe – ich wünschte, er hätte die rechte Kraft.

 

Einmal auch, nachdem sie lange geweint, hatte sie fast mit Heftigkeit seinen Kopf mit beiden Händen an sich gezogen. – Brich nie ein Menschenherz – es thut zu weh! hatte sie zu dem erstaunt aufschauenden Kinde gesagt, das sie nicht verstand. Sie sah ihn lange an und ließ ihn dann langsam und wie mit einem inneren Widerstreben los.

Alles das hatte auf das empfängliche Gemüth ihres Sohnes einen tiefen Eindruck gemacht, und schon früh entwickelte sich bei ihm der dunkle Begriff, seine Mutter leide unter irgend einem schweren, geheimnißvollen Schmerz, der ihm um so erhabener vorkam, als er sich vergebens dessen Ursache zu enträthseln suchte; und wenn der alte Pfarrer von Heiligen sprach, die mit Geduld ein Kreuz getragen, das doch gewöhnlichen Menschen unerträglich scheine, oder die ihr Leben einer, hohen Pflicht der Menschlichkeit gewidmet, dann dachte er, daß seine Mutter wohl auch eine solche Heilige sei, nur wüßten die Menschen nichts davon, weil es ein Geheimniß zwischen ihr und ihrem Schöpfer sei. So wurde still unter dem befruchtenden Einflusse einer glühenden Phantasie der Keim zu jenem Ascetismus in ihm gelegt, denn die katholische Kirche als die höchste Blüte menschlicher Vollkommenheit zu betrachten lehrt.

Seine Mutter sah es gern. Sie hatte sich jener religiösen Frömmigkeit ergeben, in welcher weiche Herzen so gern Heilung suchen, und die bei ihrem Charakter nie in unduldsame Härte übergehen konnte. Ihr heißester Wunsch war, ihren Sohn denselben Pfad wandeln zu sehen, der ihn vor den Schlingen der Welt bewahren sollte, an welchen ihr eigenes Glück gescheitert, und der so sicher zum Heil zu führen schien. Was ihr Balsam gewesen, warum sollte es nicht dem Unerfahrenen die sichere Rettung sein? Und sie überlegte nicht, ob nicht vielleicht diese Neigung die rasche Thatkraft in ihm untergrub, die der eigentliche Nerv alles sittlichen Lebens ist.

Ihn vor jedem Einflusse zu bewahren, der diese Neigung beeinträchtigen könnte, riß sie sich, als er die hohen Schulen besuchen mußte, los aus der ihr zum Bedürfniß gewordenen Ruhe und begleitete ihn nach Paris. Und sie hatte sich nicht in ihm getäuscht. Zwar erröthete er wohl ein wenig, wenn seine Gefährten ihren Spott an dem empfindsamen Muttersöhnchen übten, und sein Herz schlug auch wohl hier und da in verhaltener Sehnsucht nach den verbotenen Freuden der Jugend, die in seinem Wörterbuche nur Kinder der Sünde waren, und denen er die Anderen mit so unverhohlenem Lebensgenuß sich hingeben sah; aber die Liebe zur Mutter war stärker, als falsche Scham und Verführung und der Gedanke, daß diese erste Entsagung auch der erste Schritt zu jener großen des ganzen Lebens sei, die ihn einst den Heiligen, von denen er träumte, zur Seite stellen sollte, erhöhte noch den Durst nach Aufopferung in ihm, der jungen Gemüthern so natürlich ist.

Dennoch konnte es nicht fehlen, daß trotz der rettenden Insel, die der Einfluß seiner Mutter für ihn war, das frische Leben von außen, das ihn hier von so vielen Seiten mächtig umströmte, manche Bresche riß in die frommen Ueberzeugungen, die man mit solcher Sorgfalt um ihn aufgebaut, und deren Grundfesten mehr auf dem beweglichen Boden seiner Phantasie ruhten, als auf dem festen Grunde einer gesunden Kraft. Seine Mutter hatte nicht allein Theil an ihm gehabt, er war auch seines Vaters Sohn und sah ihm nicht umsonst so ähnlich, daß ihr Herz manchmal darüber erschrak. Aus dem schönen Knaben war mit der Zeit ein schöner, schlanker Jüngling geworden, der dem thätigen Leben des Mannes mit raschen Schritten entgegenging. Die mächtige Stimme der Leidenschaften fing an seine Sinne zu verwirren, und es kam die Zeit, wo der sündig zierliche Fuß einer hübschen Grisette mehr Interesse für ihn gewann, als die gelehrteste Abhandlung über die Nothwendigkeit der Kasteiung des Fleisches. Und wenn er auch, eingedenk des Teufels, der darin verborgen lag, manchen koketten Blick, der ihn im Vorbeigehen traf, an seinen gesenkten Lidern abprallen ließ, sie drangen ihm nur um so sicherer durch alle Adern in das unruhig klopfende Herz. Ja, er bedurfte eigentlich auch seiner Augen nicht, um zu sehen; es war, als sei ihm ein sechster Sinn geworden, der für ihn mit zehnfacher Schärfe hörte und sah, und wenn er Augen und Ohren noch so fest verschloß. Erschrocken über sich selbst, suchte er des Versuchers los zu werden, der mit so starken Banden ihn gefangen zu nehmen drohte. Buße und Beichte waren die natürliche Zuflucht, die sich ihm bot; aber Buße und Beichte, die sein Herz ob so manchen kleinen Fehlers leicht gemacht, halfen ihm nicht gegen die Stimme der Natur. Adams Sünde war ihm nicht so unverzeihlich mehr, er begriff, daß er den Apfel aß, da ja Eva ihn reichte, und der heilige Antonius in der Wüste verlor viel von der Glorie, die er für seine unerfahrenen Augen gehabt.

Allein, vor dem schmählichen Umsturze aller seiner Grundsätze sollte der zukünftige Heilige durch ein kräftigeres Mittel bewahrt werden, als Buße oder Beichte es war. Seine Mutter, welche die Veränderung ihrer Lebensweise und so manche Entbehrung, die ihr das kostspielige Leben in der Stadt auferlegte, bis jetzt schweigend ertragen, fing an, sichtlich zusammenzubrechen, und für Louis sanken alle neueren Wünsche in Vergessenheit vor dem Einen herrschenden Wunsche, sie am Leben zu erhalten um jeden Preis. Und es war fast, als besäße seine Liebe diese Wunderkraft.

Sie schien sich zu erholen und athmete neubelebt die Luft der Heimath ein, zu welcher er sie zurückgeführt; aber es war nur das Aufflackern der Flamme, bevor sie erlischt. Der nahende Herbst warf sie schnell auf das Lager zurück, und von da an schien nur Eine Sorge noch ihr einen Rest von Kraft zu verleihen. Sorgsam ordnete sie alle Papiere, die sich auf das Vermögen ihres Sohnes bezogen, dann ließ sie sich ein Packet Briefe geben, das in einem verborgenen Fache ihres Schreibtisches aufgehoben war; sie befahl, ein Feuer in dem Kamin anzuzünden, und warf selbst Brief um Brief in die lodernde Flamme hinein. Aufmerksam sah sie die Flammen über sie ausschlagen, züngeln und sie verzehren.

Siehe, mein Sohn, sagte sie dann, so vergeht Alles! Denke daran, wenn Schmerz oder Unglück dich verfolgt. Was auch geschehen möge, thue deine Pflicht; es ist das Einzige, was uns bleibt – und noch Eines! fügte sie hinzu, indem sie die Augen wie verklärt gen Himmel hob. – Von da an sprach sie nur noch wenig; eine sanfte Träumerei schien über ihr zu ruhen, aber sie war heiterer, als Louis sie je gesehen. Der Tod nahte ihr ohne Kampf, wie ein geliebter Freund, dessen Nähe man lange ersehnt. Ihre Kräfte nahmen mehr und mehr, doch leise ab, und die zurückkehrenden Schwalben fanden nur noch ihr Grab. Brich nie ein Menschenherz! waren ihre letzten Worte zu ihrem Sohn gewesen, als das Bewußtsein schon halb entflohen war.

Diesen Sohn aber traf ihr Verlust mit einer Schwere, wie nur der Tod einer solchen Mutter unter solchen Verhältnissen treffen kann. Dazu kam, daß er erst nach ihrem Tode den ganzen Umfang der Liebe kennen lernte, die bis jetzt über ihn gewacht. Er erfuhr, daß das Haus der Chanteloup eines der ersten im Lande gewesen, daß es sich mit den reichsten und mächtigsten an Glanz und Reichthum messen konnte, bis sein Vater das glänzende Erbe in rücksichtsloser Vergnügungssucht verpraßt und seinem Sohne nichts hinterlassen, als was dessen Mutter durch Entbehrung jedes Lebensgenusses im Laufe der Jahre mühsam zusammengespart. Unter einem Haufen alter Papiere, die vergessen in einem Fache lagen und die der junge Erbe durchstöberte, fand sich ein wahrscheinlich verlegter Brief, mit der Adresse an seine Mutter.

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