Za darmo

Eure Wege sind nicht meine Wege

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Es sind diese Nacht Dinge vorgefallen, sagte er mit einem tiefen Ausdruck von Ernst, Trauer und Besorgniß, wie Leonie nie an ihm gesehen, es sind Dinge vorgefallen, die zu verhindern seit Jahren mein stetes Bemühen war. Welchen Eindruck sie auf dich gemacht, ist mir nicht möglich zu ermessen, und ich kenne dich genug, um zu wissen, daß es nutzlos wäre, dich darüber zu befragen. Dir die Gründe meines Betragens auseinander zu setzen, ist mir nicht möglich, und für dich könnte es nur schädlich sein. Ich mußte so handeln, wie ich handelte, und das schreckliche Ende der unglücklichen Frau, die dir das Leben gab, sagt dir deutlich genug, daß die Schuld nicht auf meiner Seite ist.

Leonie antwortete nicht.

Der Graf fuhr nach einer Pause fort: Da der Aufenthalt auf diesem einsamen Schlosse mir jetzt nicht rathsam für dich erscheint und deine Ausbildung überdies einer größeren Vollendung bedarf, als Fräulein Pertold allein sie dir mittheilen kann, so ist es meine Absicht, schon morgen mit dir nach B. abzureisen. Halte dich also zu früher Morgenstunde bereit. Fräulein Pertold wird uns begleiten. Du kannst gehen.

Leonie erhob sich, und nach einer Verbeugung, die der Graf nur kalt erwiderte, entfernte sie sich aus dem Gemach.

So war also ihr sehnlichster Wunsch erfüllt, bevor sie dessen Erfüllung nur möglich geglaubt. Sie sollte in die Welt, diese zauberhafte Welt, von deren Wundern Fräulein Pertold zu erzählen pflegte, den Eifer ihrer Schülerin anzufachen, auf jener glänzenden Bühne die eigene Rolle einst mit Ehre zu bestehen. Was ging in Leonie vor, während sie da, auf ihrem Bett sitzend, unter dem Wortschwall der entzückten Gouvernante die träumerischen Augen durch das Zimmer gleiten ließ, das sie durch so viele Jahre mit ihren heißblütigen Träumen und Plänen in verschwiegener Treue beschirmt? War es die Trauer des Scheidens, die sich nun im letzten Augenblicke über ihre Seele stahl? Nein, Trauer war es nicht. Auch Freude konnte man es nicht nennen, wenigstens nicht jene Freude, die sie sich so oft vorgespiegelt empfinden zu müssen, bräche dieser Tag des Scheidens jemals für sie an. Zu viel bittere Gefühle mischten sich darein. Die Entdeckung dieser Nacht, das Bewußtsein, daß der Riß zwischen ihr und ihrem Vater dadurch unheilbar geworden und keine Verstellung von ihrer Seite jemals genügen könne, ihn auszufüllen; die Empfindung trotzigen Hasses, welche aus diesem Bewußtsein und dem Schicksal ihrer Mutter entsprang und, nur von Angst und Grauen gedämpft, sich scheu unter einen anderen Namen verkroch, und zu welchem die frühere Entfremdung nur zu sehr den Weg gebahnt, das Alles lag dumpf auf ihrem Herzen und übertönte die lockende Stimme in ihr, die so leidenschaftlich nach Glanz und Vergnügen schrie.

Und doch mischte sich darin kein Schmerz um jene Mutter, die, kaum gefunden, ihr fast in demselben Augenblick unwiederbringlich durch den Tod entrissen war. Leonie bedurfte einer Mutter nicht. Die Weichheit, die in der Brust fast jeden Weibes nach einer festeren Stütze begehrt, fehlte in ihrem Charakter, oder war wenigstens längst in ihr erstickt. Fast schneller noch als die kleinen Füße, die sie so leicht und stark über jedes Hinderniß trugen, das ihr im Wege lag, hatte ihr Geist allein gehen gelernt, und keine Hand der Liebe hatte ihn dazu geführt. Und nach der ersten Aufwallung war nichts in ihr geblieben, als ein düsteres Brüten, ein staunendes Entsetzen über das, was ihr Vater gethan. Was konnte er nicht Alles noch thun, wenn er das im Stande gewesen! Und hatte auch, wie sie es aus den halben Aeußerungen Beider zu entnehmen glaubte, ihre Mutter die größte Sünde begangen, die ein Weib, dem Manne gegenüber, begehen kann; hatte dieser Mann darum das Recht, sie zu einem solchen Leben zu verdammen? Ein Leben, das nur ein langsames Sterben war! O lieber, viel lieber ein schneller Tod! Und Leonie, die den Werth der Freiheit kannte, weil sie ihrem inneren, zügellosen Wesen höchstes Bedürfniß war, schauderte, tief in sich zusammengeschmiegt.

Sie stand auf, ließ sich ankleiden, ging auf und ab und setzte sich wieder, bald hier, bald dort. Die Unruhe ihres Herzens ließ sich nicht beschwichtigen. Fräulein Pertold erzählte; die Kammerfrau weinte, die Heimat zu verlassen, und lächelte zwischen ihren Thränen, denn sie dachte doch auch an die mancherlei Zerstreuungen, die das Stadtleben bieten würde, und für welches sie durchaus nicht unempfindlich war. Dazwischen gingen die Vorbereitungen zur Abreise rüstig vor sich, und Leonieʼs Gedanken schwärmten weit von Allem weg, was um sie her sich begab. Aus dem Wagen blickte sie noch einmal nach dem Waldsaum zurück, wo ein vor Kurzem so heißes Herz jetzt so ruhig schlief, so ruhig und so kalt! Sie warf sich in die Wagenecke zurück; ihr Vater saß ihr gegenüber und schien für nichts Sinn zu haben, als für Pferde, Wege, Wagen und alle Bedürfnisse einer raschen Fahrt.

* * *

Ein Jahr ist vorübergegangen, unter dessen Einfluß das frühreife Mädchen schnell zur vollendeten Jungfrau herangeblüht. Leonieʼs Traum war erfüllt; sie war in die Welt eingetreten und an hohen und höchsten Orten vorgestellt worden, wo das Vorstellen gebräuchlich ist, und selbst ihr ehrgeiziges Herz war mit dem Aussehen zufrieden, das ihre Erscheinung überall hervorgebracht. Der Graf hatte sein Haus geöffnet, dem seine Tochter, unter Fräulein Pertoldʼs Leitung, mit aller Anmuth ihres Wesens verschönernd vorstand. Er machte kein Hehl daraus, daß er sie jung zu verheirathen wünsche, und er hatte ihr ein Heirathsgut ausgesetzt, das sie zu einer der glänzendsten Partieen des Landes machte und sie über die Nothwendigkeit heben sollte, nach Glücksgütern oder ihrem Aequivalent, einträglichen Aemtern, zu sehen. Freilich wachte er mit großer Sorgfalt darüber, daß nur solche Männer in sein Haus kamen, deren Ruf und Charakter ihm das Glück seiner Tochter zu verbürgen schienen, unter diesen aber ließ er ihr vollkommen freie Wahl.

Gegen die Hauptsache hatte Leonie nichts einzuwenden; auch sie wollte sich verheirathen, und zwar so schnell als möglich, und darin stimmte ihr Wille einmal mit dem ihres Vaters überein. Doch auf die Stimme des Herzens legte sie weit weniger Gewicht, als er, und der Graf hätte den Kreis, der sie umschloß, immerhin etwas weiter ziehen können; Leonie hatte praktische Ansichten, weggeworfen hätte sie sich nicht. Sie hatte sich ein eigenes Bild von dem Manne gemacht, den sie mit ihrer Hand beglücken wollte. Auf Rang und Geburt hielt sie wie ihr Vater, vielleicht noch etwas mehr; Frauen sind von Natur conservativ; in allem Andern wich sie vollkommen von ihm ab.

Vor allen Dingen mußte sie durch ihre Vermählung so gestellt werden, daß jeder fernere Einfluß, den ihr Vater auf ihr Leben nehmen könnte, dadurch abgeschnitten war, und Reichthum schien ihr dazu eine unerläßliche Bedingung zu sein. Ihre Mitgift aber, so bedeutend sie war, schien in Leonieʼs Augen nur eine goldene Nuß, knapp hinreichend, drei Wünsche zu erfüllen, und sie war keineswegs gesonnen, Haus und Hof damit zu erhalten. Reich, sehr reich mußte also der Erwählte sein, und nicht nur reich, auch hochgestellt. Das war das Zweite, was ihr zu ihrem Zwecke nöthig schien. Außerdem sichert der Ehrgeiz des Mannes der Frau manchen Vortheil, der in diesem bunten Schauspiel der Gesellschaft, wo der Schein eine so wichtige Rolle spielt, nicht zu übersehen ist. Darauf beschränkten sich denn, auch ihre Forderungen. Alles Andere war von untergeordneter Bedeutung, nur an diesen zwei Punkten hielt sie fest. Nun drängte sich zwar eine bedeutende Schaar von Bewerbern um die schöne, reiche Erbin, aber bei der strengen Sichtung, die ihr Vater mit ihnen vornahm, blieben nicht immer die Reichsten und Angesehensten zurück, und bis jetzt war Keiner erschienen, welcher die von Beiden gewünschten Eigenschaften vereint in genügendem Grade besaß.

Aber Leonie konnte warten. Sie kannte ihre Macht zu gut, um über den Erfolg im Geringsten zweifelhaft zu sein. Der Spiegel hatte ihr es oft genug gezeigt, was sie so gerne sah; und hätte er es auch nicht gethan, die stumme und laute Bewunderung, die sie überall, wo sie sich zeigte, wie ein berauschender Duft umgab, hätte sie hinreichend darüber aufgeklärt. Zwar war ihre Schönheit gerade nicht von der Art, welche man mit dem Worte glänzend bezeichnet; sie war zu fein und ätherisch, um auf irgend eine Weise in die Augen fallend zu sein; doch riß der Blick, der ihr einmal folgte, sich nur mit Mühe von ihr los. Und wem hatte diese weiche, kindlich zarte Gestalt, mit dem schwebenden, elastischen und doch schüchternen Schritt, die dunklen Augen, unter deren langen Wimpern der Blick wie eine scheue Bitte sich nur furchtsam hervorzustehlen schien, das wundersame, süß geheimnißvolle Lächeln, das die seinen Lippen umschwebte und Jeden unwillkürlich aufzufordern schien, zu erforschen, was sich dahinter verbarg; das Licht mit Schatten wechselnd, das über die feinen, beweglichen Züge ging und kam, in ewig neuem, wechselnden Reiz; wem hätte Alles dies nicht wenigstens ein Gefühl lebhaften Interesses eingeflößt, das sehr geeignet war in eine tiefere Huldigung überzugehen? Wer konnte es ihr nachmachen in der schweren Diplomatie der Toilette, die mit dem französischen Blut ihrer Mutter auf sie übergegangen war? Welch tiefes Verständniß lag in der anspruchslosen Kleidung, die selbst des einfachsten Schmuckes zu entbehren schien und doch durch ein unerreichbares Etwas allen Schmuck der Andern verdunkelte!

Genie ist unmittelbare Offenbarung der verklärten Natur, und zu jeder höheren Vollkommenheit, wäre es auch nur Koketterie, gehört Genie. Und wenn die noch nicht siebzehnjährige Kokette nachlässig hingegossen, mit dem Fächer spielend, an banger Scheu und Sittsamkeit es der Sprödesten zuvorthat, so wußte sie dabei ganz genau, daß an jeder Locke ihres blonden Haares, an jedem süß verstohlenen Blick mehr Augen und Herzen hängen blieben, als die blendendste, offen zur Schau getragene Schönheit zu erobern vermochte.

 

Das war Etwas, und für den Augenblick war es genug. Ohne mit Bestimmtheit Hoffnungen zu erwecken, die sie zu erfüllen nicht gesonnen war, und doch ohne Einen ihrer zahlreichen Bewerber zu entmuthigen, ging sie ruhig ihren Weg. Einer zieht den Andern an, dachte sie, und der Beste von diesen ist noch immer besser als gar keiner, wenn ich doch endlich zu einer schlechten Wahl schreiten soll.

Sie hatte tausend kleine Mittel bei der Hand, den Schüchternen die Hoffnung zu erhalten und den Zudringlichen zu beweisen, daß Geduld die Wurzel alles Gelingens sei, und ihre Sittsamkeit leistete ihr treffliche Dienste dabei. Dennoch erfaßte sie manchmal ein Mißbehagen, ein Zorn gegen sich selbst und die Welt – aber es war der Zorn über die weite Ferne des Zieles, das sie sich gesetzt, und das trotz alles Bemühens noch immer von ihr zu weichen schien.

Endlich ging ein glänzender Stern an dem Horizonte ihrer Hoffnungen auf, und sogleich wurden alle Mittel in Bewegung gesetzt, damit diese Erscheinung keine vorübergehende sei. Niemand sah den Weg, den sie ging; kein Blick, kein Lächeln wurde aufgefangen, das sie nicht jedem Andern eben so süß und hold und verschämt gegönnt, und doch fühlte Derjenige, den es anging, sich mit jedem Tage fester von einem unsichtbaren Zaubernetze umspannt. Er ging und kam zuerst zufällig, dann nach und nach die Häuser suchend, wo er denken konnte sie vielleicht zu sehen; und immer enger fühlte er sich von den unzerreißbaren Fäden umstrickt, und immer häufiger nach einander folgten sich ihre Begegnungen mit ihm, bis sie eines Morgens seine Karte auf dem Schreibtische ihres Vaters fand. Und noch immer hatte kein Mensch, selbst ihr Vater nicht, eine Ahnung von dem großen Werke, das sie so still und heimlich und sicher angelegt.

Wenn sein Blick so prüfend an ihr hing, da es einem so reizenden Geschöpfe galt, erregte es weiter keine Aufmerksamkeit; der Ernst, der ihm eigen war, schien sogar tiefer geworden in der letzten Zeit, und wenn sie mit so reizendem Erröthen die strahlenden Augen in schüchterner Frage zu ihm ausschlug, und mit so tiefer Ehrerbietung den meist kurzen Antworten lauschte, was war es weiter als die Befangenheit, die einem jungen Gemüthe, dem Uebergewicht an Jahren und Erfahrung gegenüber, so natürlich ist? Weiter dachte man nicht, und kein Mensch sah oder errieth, daß dieser Mann Alles besaß, was für Leonie die Panacee des Lebens war. Was ein jüngeres Gemüth – denn Leonie, obgleich jung an Jahren, war alt im Geiste, älter vielleicht als mancher vielgelebte Greis – was also ein jüngeres Gemüth abgeschreckt hätte, das waren für sie nur Stäubchen auf einem Gemälde, die ihr befriedigtes Auge leicht übersah. Was wollte sie auch mehr? Freilich war er nicht jung, aber wie dankbar würde er in diesem Bewußtsein für jede kleine Aufmerksamkeit sein! Freilich war er nicht schön, aber häßlich im Grunde auch nicht, und eine Frau konnte sich immerhin an seinem Arme sehen lassen und noch den Neid ihrer Gefährtinnen erregen. Von seinem fabelhaften Reichthume hatte Leonie oft genug gehört, und wie viel er beim Könige galt, wußte alle Welt. Selbst ihr Vater mußte sich im Ganzen als befriedigt erkennen; Graf Hoheneck war ein Ehrenmann, und wenn auch nicht von der romantischen Sorte, wie die Phantasie eines jungen Mädchens sie so gerne träumt, in den Augen ihres Vaters konnte das kein großer Fehler sein, und wir wissen es, Leonie hatte nicht viele jugendliche Träume gehabt.

O wenn der Vater ihm nur den Zutritt gestattet! sagte sie sich, das kleine Blättchen in ihrer Hand um und um besehend, als suche sie darauf die Spur zu finden, welche die mögliche Zukunft ihm vielleicht eingedrückt, und wenn er es auch nicht gestattet, fuhr sie in ihren Gedanken fort, es ließen sich wohl Mittel und Wege finden – wenn nur – an diesem „wenn nur“ blieben ihre Gedanken haften, während sie die Treppe hinunterging und in den Wagen stieg, der ihrer wartete, und alle gewagten Möglichkeiten, welche die verzweifelnde Liebe ersinnt, um zu dem ersehnten Ziele zu gelangen, zogen während der Fahrt nach einander durch Leonieʼs liebeleeren Sinn.

Aber zu solchen Maßregeln sollte sie nicht getrieben werden. Schon bei der Rückkehr von der Spazierfahrt trat ihr Graf Hoheneck aus dem Hause entgegen. Er verbeugte sich tief und folgte mit den Augen dem feinen, anmuthigen Wesen, das, fast wie ein Hauch, mit kaum merklichem, schüchternem Gruße an ihm vorbeischwebte und, ohne ihn anzusehen, um die Biegung der Treppe verschwand.

Also hat der Vater ihn angenommen, dachte sie; nun wohl, desto leichter ist der Sieg. Und sie irrte sich nicht, der Sieg war leichter, als sie es geglaubt, denn schon nach einigen Tagen hielt Graf Hoheneck um sie an, und die junge Rechnerin hatte ihr langerstrebtes Ziel erreicht.

Du bist also seinem Antrage nicht abgeneigt? sagte ihr Vater mit besorgter Miene zu ihr, als sie, ihm gegenüber sitzend, mit ernster Miene und niedergeschlagenen Augen ihn anhörte.

Durchaus nicht, Papa, was kann ich Besseres erwarten?

Den Einklang der Jahre. Bedenke, der Graf könnte dein Vater sein!

Wirklich? mir scheint er nicht so alt.

Wenn dein Herz trotzdem für ihn spricht, fuhr der Graf mit einem Seufzer fort, so kann ich nichts dagegen haben. Du scheinst ihm große Hoffnungen gegeben zu haben, wenigstens ließ er es mich verstehen. Uebrigens ist er ein Ehrenmann.

Sein Vermögen soll bedeutend sein, sagte Leonie, mit ihrem Armbande spielend.

Ich wollte, du hättest andere Gründe, ihm den Vorzug zu geben, versetzte der Graf. Indessen er ist reich. Aber vergiß nicht, daß der Reichthum des Mannes ebensowenig das Glück der Frau sichert, als die Schönheit der Frau jenes des Mannes, wenn nicht ein tieferes Verständniß sie aneinander knüpft.

O, das weiß ich, sagte Leonie, in ihrem Spiele fortfahrend; aber Sie sagten ja selbst, er sei ein Ehrenmann.

Ich glaube wenigstens, daß er es ist. Doch das allein ist noch nicht genug, daß du ihn von Herzen lieben kannst, und dazu scheint mir der Graf nicht der Mann zu sein. Ich wollte, du gingest ernstlich mit dir zu Rathe, bevor du ein Bündniß schließest, worauf die ganze Zukunft deines Lebens beruht.

Der Graf scheint mir alle Eigenschaften zu besitzen, die ich in dem Manne wünsche, den ich heirathen soll. Ich achte ihn und ziehe keinen Anderen vor. Ist das für den Anfang nicht genug? fuhr Leonie mit einer so unschuldigen Miene, daß ihr Vater, der Leser verzeihe uns, sich stark versucht fühlte, ihr eine Ohrfeige zu geben.

Für den Anfang vielleicht, sagte er ärgerlich, aber wird es immer so bleiben? Der Friede – die Heiligkeit der Ehe, die Bande der Familie beruhen alle auf der Treue der Frau —

Habe ich in meinem Benehmen eine Spur von Leichtsinn gezeigt, Papa, so bitte ich, es mir zu sagen, damit ich mich ändere, versetzte Leonie auf das Ehrerbietigste.

Nein, das hast du nicht, sagte der Graf mit einem Seufzer der Entmuthigung; ich wollte fast, du hättest es – dann könnte ich doch wenigstens hoffen – daß – Er hielt inne – Leonie schwieg. – So kann ich dem Grafen also sagen, daß du seinen Antrag annimmst? frug er dann.

Wenn Sie die Güte haben wollen, Papa, sagte Leonie, sich erhebend; kann ich mich jetzt entfernen?

Du kannst gehen! und mit einer leichten Handbewegung entließ er sie.

Endlich! sagte Leonie, als sie den Augenblick danach im Gefühle ihres Triumphes in ihrem Zimmer stand, nun endlich ist das Leben mein, und ich kann es gestalten, wie ich will. Ihre Brust hob sich, ihr Auge leuchtete – sie blieb stehen und versank allmählich in Gedanken.

Und hatte dieses junge Mädchen, das so ruhig in der ersten Blüte ihres Lebens sich zu einer Convenienz-Heirath entschloß, hatte sie denn gar keine Ahnung von dem Opfer, das sie dem Moloch ihres Ehrgeizes brachte? Hatte denn nie eine Stimme in ihrem Herzen von höheren Freuden gesprochen, als denen, welche die Eitelkeit gewährt?

O doch! so gar trocken war die Seele doch nicht, die in diesem blütenfrischen jungen Busen schlug. Auch an ihr Herz hatte der Frühling geklopft, und daß sie ihm nicht aufgethan, das war freilich ihre Schuld, aber er war darum nicht minder da gewesen, sie hatte ihn gesehen, und gerade jetzt überlief sie ein warmer Schauer bei der glänzenden Erinnerung. Man sagt von der Liebe, daß sie ein Funke sei, der einschlage und zünde, man wisse nicht wie und woher. Fast so war es Leonien gegangen, und das war eben der eigenthümliche Widerspruch in ihrem Wesen, der ihr fast über Jeden, welcher mit ihr in Berührung kam, eine so schrankenlose Macht verlieh: die tiefe Leidenschaftlichkeit, die jeden Augenblick aufbrausen konnte, über alle Hindernisse und Gesetze hinaus, und die kalte Berechnung, welche diese Leidenschaftlichkeit unter ein eisernes Joch zwang. – Zwang? – wenigstens für jetzt.

Es war an einem Abend in der Oper. War es die weiche Schwingung der Musik, welche ihre Seele gefangen nahm? Sie saß in der Loge zurückgelehnt, einer schwankenden Träumerei hingegeben, die ihr sonst nicht gewöhnlich war, und ohne sich Rechenschaft davon abzulegen, hingen ihre Augen an dem Kopf eines jungen Mannes, der nicht weit von ihr, in dem halbverfinsterten Hintergrund einer anderen Loge saß. Er selbst war ihr unbekannt, und ebenso die Gesellschaft, in welcher er sich befand. In dem schwebenden Spiele ihrer Phantasie, von den Tönen der Musik gehoben und begleitet, suchte sie die Linien dieser Stirn zu entziffern, von welcher das dunkle, glänzende Haar in reichen Wogen zurückgeworfen war.

Plötzlich sah er auf, sein Blick begegnete dem ihrigen. Es war ein Blitz. Leonie fuhr auf, durch alle Fibern schoß der elektrische Funken, und das Blut wallte heiß in ihr auf. Es war nur ein Augenblick, eine sonderbare Betäubung folgte nach, sie senkte die Augen und lehnte sich zurück. Die leuchtenden Blicke des Unbekannten ruhten noch immer in offenbarer Bewunderung auf ihr. Leonie wandte fast unmerklich den anmuthigen Kopf von ihm weg. Ihr Vater hatte sie nicht begleitet, nur Fräulein Pertold saß in der Loge neben ihr, und zu dieser neigte sie sich: Wer ist der junge Mann dort in der Loge? fragte sie. Aber die Gouvernante wußte es nicht.

Der junge Mann dort links mit den schwarzen Augen, der soeben nach uns gesehen hat? sagte ein Bekannter ihres Vaters, der vor einigen Minuten in ihre Loge getreten war, indem er das Opernglas von den Augen nahm.

Derselbe, versetzte Leonie, scheinbar mit der tiefsten Ruhe. Er kommt mir so bekannt vor, doch weiß ich nicht, wo ich ihn hinthun soll.

Das kann ich Ihnen sagen: er ist ein Emigrirter von sehr vornehmer französischer Familie, der sich für den Augenblick hier aufhält.

Ah so, meinte Leonie, so habe ich mich doch getäuscht. Derjenige, den ich meine, ist freilich auch ein Ausländer, aber ein armer junger Mann.

Was das betrifft, so könnte es immer derselbe sein. Ich glaube nicht, daß er große Schätze aus Frankreich mitgebracht hat.

Ich habe mich doch geirrt, er kann es nicht sein, sagte Leonie und wandte den ganzen Abend das Gesicht nicht mehr nach der Loge hin.

Aber in ihrem Herzen war es nicht so still, und mit ihrer Aufmerksamkeit auf die Musik war es vorbei. Schon vor dem Ende des Stückes entfernte sie sich. Als sie durch den Gang hinter den Logen schritt, streifte ihr Kleid an den Fremden an; ein heißer Stich fuhr durch ihr Herz, doch sie ging vorüber, ohne aufzusehen, und zu Hause angekommen, schloß sie sich gleich in ihr Zimmer ein.

Sie suchte den Eindruck los zu werden, der ihr so ungelegen gekommen war. Sie beschäftigte sich, räumte, kramte, Alles umsonst. Sie versuchte einen Brief fertig zu schreiben, der angefangen auf ihrem Tische lag, und mitten im Schreiben entfiel die Feder ihrer Hand, der Kopf sank auf das Papier; sie war im Theater, die Musik brauste, die Melodieen schmolzen in einander, süß, weich und verlockend, und der Blick des Unbekannten umwebte sie mit einem entnervenden Netz. Mit Gewalt riß sie sich los und nahm die Feder wieder auf, aber kein Gedanke wollte kommen, und sie schleuderte sie zornig weg. Hatte sie denn nicht mehr Gewalt über sich? Sie stand auf, sie stützte die Hand auf den Tisch und sah finster vor sich nieder.

Ich bin mein eigener Herr, sagte sie zürnend und wie drohend dem Bild entgegentretend, das hartnäckig vor ihrem inneren Auge stand. Wer wird mich zwingen zu fühlen, was ich nicht fühlen will? Hinweg mit dieser Thorheit! mein Weg liegt klar von mir, und wer wird sagen, daß ich ihn nicht gehen soll? – Sie läutete ihrem Mädchen und ließ sich entkleiden, und welcher Art auch die Träume waren, die in dieser Nacht sie umschwebten, ihr Wille stand fest, es war der unbeugsame Wille, den sie von ihrer Mutter geerbt.

Doch so leichten Kaufes sollte sie der Gefahr nicht entgehen. War es eine Warnung, die ihr der Himmel gab? Wohin sie ging, begegnete sie dem Fremden; es war, als führe eine unsichtbare Hand ihn ihr immer in den Weg. Er suchte sich ihr nicht zu nähern, nicht einmal sein Name wurde ihr genannt, und sie wich jeder Gelegenheit dazu mit Sorgfalt aus. Aber immer übten seine Blicke auf sie dieselbe magnetische Kraft aus, der sie sich nicht zu entringen wußte. Allein wir wissen es, Leonie war nicht diejenige, die sich durch solche Eingebungen leiten ließ, und der Empfindung, die sie nicht ganz ersticken konnte, trat sie entgegen mit einer Art von Haß.

 

Da trat die Versuchung plötzlich von einer Seite an sie heran, wo sie am wenigsten darauf vorbereitet war.

Auf einem Balle, den sie kurze Zeit nach ihrer Verlobung, noch immer unter Fräulein Pertoldʼs tugendhaftem Schutz, besuchte, hatte sie sich, um von dem Tanze auszuruhen, neben eine sogenannte Freundin gesetzt. Wir sagen „sogenannt“, denn Leonie war weit über das Bedürfniß nach einer Freundin hinaus.

Von allen süßen Kleinigkeiten, die ein Mädchenherz ausfüllen, und die Eine der Anderen als wichtige Geheimnisse anzuvertrauen pflegt, hatte sie nie eine Ahnung gehabt, und hörte sie ja einmal davon, so war ein mitleidiges Lächeln ihre einzige Antwort darauf. Das reine Aufdämmern des Gefühles, das ahnungsvoll vor dem Geheimniß des Lebens stehend, nur nach einer Schwester zu begehren glaubt, um in Liebe zu dieser aufzugehen, war Leonien fremd geblieben, wie so manche andere Blüte der Jungfräulichkeit. Und wie sie keines Vertrauens bedurfte, so flößte sie auch keines ein, und sie stand einsam unter den Mädchen ihres Alters, deren Kreis, wenn sie sich ihm nahte, scheu vor ihr auseinander wich. Aber Marie von Lobenstein war die Tochter eines Mannes, der mit ihrem Vater zugleich in Frankreich gewesen war. Von ihm hatte Leonie gehört, daß sie die strahlenden Augen ihrer Mutter geerbt, und mehr von dieser Mutter zu erfahren, war der Grund, warum sie sich näher an seine Tochter schloß. Aber sei es, daß der Baron geheime Instructionen von Leonieʼs Vater erhalten, sei es, daß er ihr vorsichtiges Ausforschen nicht verstand, der verpönte Name kam nicht mehr aus seinem Munde. Das junge Mädchen hatte er indessen zu seinem besonderen Lieblinge gemacht. All ihre kleinen Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien (chatteries, wie die Franzosen sagen), die so sehr dem unwiderstehlich reizenden Getändel eines lieblichen Kindes gleichen, gewannen ihm ihr Herz im Siegesschritt. Das ist ein Wettermädel, pflegte er zu sagen; die könnte ein Regiment um den Finger drehen, und ihren Mann wird sie unter dem Pantoffel haben, daß er nicht wissen wird, wie ihm geschieht.

Dieses Urtheil, das so gründlich zutraf, wie er es gar nicht dachte, störte ihn in seiner Vorliebe keineswegs, und es schmeichelte ihm, daß Leonie seine Tochter all ihren anderen Gefährtinnen vorzog. Marie selbst bewunderte ihre Freundin in einfacher Aufrichtigkeit und sprach es bei jeder Gelegenheit sehr ruhig und unumwunden aus. Sie war überhaupt ein einfaches, natürliches Wesen, diese Marie, offenbar ohne jede Koketterie, denn sie selbst war es jetzt gewesen, die ihre Freundin herangewinkt, obgleich sie in ihrem reichen Ballschmucke, dem die deutsche Mutterliebe alles mögliche Schöne aufgehängt, sich nicht zu ihrem Vortheil neben Leonieʼs duftigem weißem Gewande ausnahm, an dem nur hie und da eine Blumenknospe sich schüchtern wie die Trägerin aus dem anmuthigen Faltenwurfe hervorzustehlen schien. Doch war sie schön, viel schöner für die Menge als Leonie, frisch und blühend, mit dunklem Haar und wolkenlosen braunen Augen, die offen und verständig in die schöne Welt ihrer achtzehn Jahre hinaussahen.

Mit wem spricht dein Vater dort? sagte Leonie plötzlich mit bebender Stimme zu Marie, deren. Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt gerichtet war.

O, versetzte diese, nachdem ihr Blick der Richtung von Leonieʼs Augen nach dem fernen Winkel des Saales gefolgt, wo ihr Vater mit einem jungen Manne sprach, der von ihnen abgewendet stand: das ist ein Emigrirter. Mein Vater hat seine Mutter in Frankreich gekannt, und er schwärmt noch immer für sie. Vor einigen Tagen erfuhr er, der Sohn befinde sich hier. Sogleich hat er ihn aufgesucht und ihn auch in Beschlag genommen, der alten Freundschaft zulieb. Seine Mutter muß wirklich eine vortreffliche Frau gewesen sein, und auch der Sohn ist ein ganz liebenswürdiger Mensch.

So? sagte Leonie.

Ja, und gut. Du kannst dir gar nicht denken, wie er diese Mutter liebt! Wäre es nicht rührend und schön, es könnte langweilig sein. Er hat auch nur sie gehabt, denn er war noch ein Kind, als sein Vater sich erschoß. O, es ist romantisch! Soll ich ihn rufen, damit du dir ihn ansehen kannst?

Ich? rief Leonie mit einem Tone so wahren Entsetzens, daß Marie sie überrascht ansah.

Worüber erschrickst du denn so? frug sie dann.

O, du weißt, er wird glauben, daß es auf eine Einladung abgesehen ist, und ich bin so müde, daß ich gar nicht mehr tanzen mag.

Marie brach in ein unterdrücktes Lachen aus. O, darüber brauchst du nicht zu erschrecken, sagte sie dann. Er tanzt nie, und es ist viel, daß er überhaupt gekommen ist; das habe ich ihm angethan. Einen Ball hält er, glaube ich, für eine Ausgeburt des Bösen, der die armen Menschen damit zur Sünde zu verlocken sucht. Ich bin überzeugt, er steht dort wie auf Nadeln – du glaubst nicht, was für ein Sonderling er ist.

Er wird sich ändern, versetzte Leonie.

Die wird viel zu thun haben, die ihn kuriren will.

Unternimm du die Kur.

Ich habe schon angefangen, sagte Marie ganz unbefangen, aber ich glaube nicht, daß es viel helfen wird, und ich bedauere die Frau, die er einmal kriegt.

Jetzt wurde Marie weggeholt, und Leonie lehnte sich auf ihren Sitz zurück. Sie schloß die Augen und suchte sich so viel als möglich von Allem abzuschließen, was um sie her vorging. Schwer wäre es, den Zustand zu schildern, in welchem ihre Seele während des leichten Gespräches mit ihrer Freundin sich befand. Daß er ihr plötzlich so nahe war, daß mit jedem Augenblick der kleinste Zufall ihn an ihre Seite führen konnte, ohne daß ihr Macht, es zu verhindern, gegeben war; daß sie seine Stimme hören würde, die sie nur ahnen konnte, wie süß sie war in ihrer allbezwingenden Gegenwart, das überfiel sie mit einem lähmenden Schrecken, in dessen tiefstem Grunde eine wilde Freude sich wider ihren Willen dämonenartig kund that. Wie eine Deutung der Zukunft erschien es ihr. Sie hatte ihn nicht gesucht, und nun stand er doch vor ihr, und wo sollte sie die Möglichkeit finden, ihm immer wieder zu entgehen? Und fände sich auch diese Möglichkeit, hätte sie wohl den Willen und die Kraft dazu? Nein, er war ihr bestimmt, ihr verfallen mit Leib und Seele, das fühlte sie, das wußte sie so gewiß, als habe eine Prophetenstimme es ihr ins Ohr gesagt.

Sie erschrak über sich selbst; was war das? sie drückte die heißen Hände krampfhaft in einander, während die zarten Brauen sich fast drohend in Falten zogen. O es darf nicht sein, sagte sie mit erstickter, zürnender Stimme – jetzt nicht – so nicht – setzte sie dann mit düsterem Sinnen hinzu – erst mußte Alles anders sein – aber die Zukunft war ja da, die lange schöne Zukunft, die nur ihr gehören würde, und was die bringen konnte – wer wußte es denn?

Du bist so blaß, sagte plötzlich eine freundliche Stimme neben ihr. Es war Marie, die zurückgekommen war und sie aufgesucht hatte in dem schattigen Winkel, wo Leonie sich so zu sagen vor sich selbst verkroch. Ist dir nicht wohl? setzte sie besorgt hinzu.

Inne książki tego autora