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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Der junge Mann ließ sich nieder, auch der Graf setzte sich. Sie werden sich erinnern, fuhr er fort, daß ich Ihnen versprach, wenn gewisse Umstände in Ihrem Leben eintreten sollten, und Sie wollten dann um einen Rath zu mir kommen, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, in die ich einst auf eine traurige Weise verwickelt war. Diese Umstände sind eingetreten, aber Sie sind nicht zu mir gekommen, Herr Marquis, und darum sehen Sie mich denn hier.

Louis sah vor sich nieder und erröthete in peinlichster Verlegenheit. Ich weiß nicht – stotterte er, aber er schwieg, denn er wußte nur zu gut.

Mit einem fast mitleidigen Lächeln sah der Graf ihn an. Wenn Sie erlauben, werde ich nun mein Versprechen erfüllen, sagte er dann.

Louis verneigte sich stumm. Leonie ließ die Hände von dem bleichen Gesicht herabsinken und lehnte sich hinter dem Rücken ihres Vaters in gespanntem Horchen vor.

Die Mittheilung, die ich Ihnen zu machen habe, begann der Graf, ist von solcher Wichtigkeit, daß ich sie nicht leichtsinnig preisgeben konnte, auf eine bloße Vermuthung hin. Daß sie Ihre eigene Person sehr nahe berührt, geht daraus hervor, weil sie den Tod Ihres Vaters betrifft, und wie sehr ich daran betheiligt war, können Sie daraus entnehmen, daß ich es gewesen bin, der ihn erschoß.

Leonie schloß schaudernd die Augen.

Louis fuhr in die Höhe. Mein Herr! rief er mit bebender Stimme – todtenbleich, aber nicht vor Angst, denn er machte mit geballten Händen einen Schritt auf den Grafen zu.

Mit einer einfachen Handbewegung der Abwehr wies ihn dieser zurück. Sie sind ohne Waffen, sagte er, und Sie sehen, hier klopfte er leicht auf den Deckel des Kästchens, das neben ihm stand, ich habe für Alles gesorgt.

Sie wollen mich ermorden? frug der junge Mann bitter.

Und wenn ich es thue, wer wird es mir wehren? antwortete der Graf mit höhnischen Ton. Wie ein Dieb und Räuber sind Sie in mein Haus eingedrungen im Dunkel der Nacht, und wenn ich Sie wie einen Dieb und Räuber erschieße, wer wird sagen, daß Sie es nicht sind? Ist der Mann, der die Ehre meines Hauses stiehlt, kein Dieb? – Aber dazu ist es später auch noch Zeit.

Wie gesagt, ich kannte Ihren Herrn Vater in Paris, wo mich Baron Lohenstein ihm vorstellte. Es war kurze Zeit, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich selbst habe eine stürmische Jugend verlebt, Herr Marquis, und sah in den Sünden ihres Vaters nichts Anderes, als das gewöhnliche Vorrecht, welches Adel und Reichthum verleihen. Genug, wir wurden unzertrennliche Freunde. Aber der Strudel, in dem Ihr Vater lustig forttrieb, verlor sehr bald seine Reize für mich. Ich ermüdete in diesem Wettlauf jugendlicher Thorheiten und sehnte mich nach einem ruhigeren Glück. Da lernte ich ein Mädchen kennen, das alle meine Träume künftiger Seligkeit zu verwirklichen versprach.

Hier wandte der Graf sich nach Leonie um, die vor diesem Blick sich noch tiefer in die Kissen des Ruhebettes vergrub.

Die Schönheit der Tochter hat Eindruck auf Sie gemacht, Herr Marquis, sagte er dann; in meinen Augen übertraf die Mutter sie hundert Mal – freilich, setzte er mit bitterer Ironie hinzu, bin ich in die Tochter nicht verliebt.

Das Mädchen war arm; eine solche Kleinigkeit übte indessen keinen Einfluß auf mich aus; ich bot ihr an, was ich hatte, und dankte Gott für mein Glück, als sie mich nicht zurückwies. Ihrem Herrn Vater muß ich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er mich dringend vor einem Schritte warnte, der ihm mindestens in finanzieller Hinsicht unüberlegt erschien, denn er selbst hatte eine reiche Braut heimgeführt. Doch ich hörte nicht auf ihn, und wirklich verflossen die ersten Jahre meiner Ehe in einer Glückseligkeit, von welcher ich Ihnen ein Bild zu geben umsonst versuchen würde. Mein Otto mochte vier Jahre sein, und ein kleines Mädchen hatte soeben das Licht der Welt erblickt. Meine Frau bestand darauf, daß es Leonie heiße; Leonie ist ein hübscher Name, und ich hatte nichts dagegen, daß meine Tochter einen hübschen Namen trug. Zudem war es der Name Ihres Vaters, der das Mädchen aus der Taufe hob. Ihr Vater war noch immer ein fleißiger Besucher in unserm Hause, in der letzten Zeit eigentlich mehr als je. Wie gesagt, er war liebenswürdig, und es mochte wohl Jeder sich gern an seinem Umgange erfreuen. Mein Urtheil über seine Sitten war nicht strenger geworden, ich hielt mein Glück für eine Ausnahme und pries dankbar den Himmel dafür; aber auch mich band die Liebe weit mehr als die Pflicht. So gab ich mich denn sehr gern dem alten Zuge der Freundschaft hin.

Meine Frau erholte sich schwer. Sie hatte vom ersten Augenblicke an eine eifersüchtig leidenschaftliche Liebe für das kleine Wesen an den Tag gelegt; sie wollte daher auch keine Amme dulden und stillte es selbst. Da sie nicht stark war, so warnte der Arzt vor übermäßiger Anstrengung.

Eines Nachts weckte mich ein schwerer Traum. Ich sah sie sterben, und im Todeskampfe rief sie hülfeflehend nach mir. Kurz, der Traum weckte mich. Den Tag über war sie ungewöhnlich bleich und erregbar gewesen und hatte sich zeitlich zur Ruhe begeben. Eine drückende Angst erfaßte plötzlich mein Herz; ich stand auf; es ließ mir keine Ruhe, ich mußte sehen, wie es ihr ging. Das Unmöglichste schien mir möglich zu sein, sobald es meine Frau betraf.

So schlich ich zu ihrem Zimmer. Wie thöricht ist der Mensch! Der entsetzliche Traum hielt meine Sinne noch immer befangen, und mein Herz hörte thatsächlich auf zu schlagen, als ich die Hand auf das Schloß der Thüre legte. Meine Angst war jedoch nicht gerechtfertigt, meine Frau lag ruhig und schlief. Ein Licht brannte neben ihrem Bette, ich beugte mich über sie – so sanft, so still athmet das Kind in seinem Schlafe kaum – ich wagte es nicht, ihre Lippen zu berühren, aus Furcht, sie zu wecken, – denn ich liebte sie, Herr Marquis – o mein Gott, wie sehr liebte ich sie!

Seine Stimme stockte, Thränen liefen über seine Wangen, und einen Augenblick kämpfte er vergebens, seiner Bewegung wieder Herr zu werden.

So Gott will, junger Mann, fuhr er endlich fort, werden Sie einst ein geliebtes Weib an Ihrem eigenen Herde sitzen sehen, von Ihren eigenen Kindern umspielt, und dann, erst dann werden Sie wissen, was die Liebe eines Mannes ist, eine Liebe, die nach so langen Jahren, nach Allem, was darüber hingegangen ist, noch Thränen in meine Augen zu locken vermag! —

Mein Blick mochte sie im Schlafe beängstigen, sie machte eine leichte Bewegung, und ich war schon im Begriffe mich zurückzuziehen, als ein Papier, das sich aus der halbverschobenen Umhüllung ihrer Brust kaum merklich hervorstahl, meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Vorsichtig zog ich es hervor. Es war ein Brief, Herr Marquis – ein Brief Ihres Vaters – an meine Frau – an seine Geliebte – vielleicht – und das ist das Entsetzlichste! – an die Mutter seines Kindes – an die Mutter Leonieʼs.

Die Gräfin fuhr auf, als habe ein elektrischer Schlag sie berührt, dann sank sie zurück, weißer als der Ueberwurf, der über ihre Schultern fiel, aber Niemand beachtete sie.

Der Graf hatte die letzten Worte fast tonlos gesprochen, seine Brauen zogen sich krampfhaft zusammen, und er legte den strengen, gramgebleichten Kopf mit geschlossenen Augen an die Lehne seines Sessels zurück. Louis sah starr vor sich nieder, er wagte kaum zu athmen, und auf seiner Stirne perlte kalter Schweiß.

Nach einer Pause fuhr der Graf fort, indem er sich mit Anstrengung aufrichtete:

Es ist nun Alles längst vorüber. Aber, junger Mann, Gott bewahre Sie davor, daß Sie je erfahren, was ich damals erfuhr. Sie wissen nicht, was es heißt, vor seinem liebsten, heiligsten Gut zu stehen und sich sagen zu müssen: es ist nicht dein, es war längst nicht mehr dein! Als du noch liebtest und glaubtest, standest du schon längst an dem Sarge deines Glücks.

Nun – ich las den Brief ruhig – sehr ruhig – es war, als ginge er mich gar nicht an. Ich las ihn dreimal, bevor ich ihn verstand. Da erst packte mich die Verzweiflung und mit der Verzweiflung zugleich unnennbare Wuth. Aber tödten wollte ich sie nicht – sie war noch immer die Mutter meines Otto; das Weib, das ich so lang und innig geliebt! – nein, tödten konnte ich sie nicht!

Ich legte den Brief wieder hin und verließ das Gemach. In dem Nebenzimmer schliefen die Kinder, und dorthin wandte ich mich. Otto war ja noch mein, und zu ihm trieb es mich jetzt in dieser qualvollen Stunde. An der Wiege seiner Schwester blieb ich stehen und betrachtete das Kind. Es war ein kleines, schwächliches Ding, welches der Erde gar nicht anzugehören schien. Eine kleine Bewegung, ein leichter Druck hätte wenigstens diesen Makel auf ewig aus meinem Leben gelöscht. Meine Hand hob sich – es dunkelte vor meinen Augen, der Haß in mir schrie laut nach Blut – einen Augenblick noch – und die schreckliche That wäre geschehen gewesen.

Aber es war ein Kind – ein hülfloses Kind! ich konnte kein Kind tödten, und vielleicht – vielleicht war es ja doch das meinige! Ich floh auf mein Zimmer zurück. Furien verfolgten mich, ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich schloß mich ein und warf den Schlüssel zum Fenster hinaus. Nun erst dachte ich daran, was ich beginnen sollte. Was sollte ich noch auf dieser Welt? Das Paradies, das ich in blühender Herrlichkeit um mich gesehen, war mit einem Hauch vernichtet. Alles war Nacht und Tod.

O Wahnsinn der Verzweiflung! der wirkliche Wahnsinn ist eine milde Schickung gegen dich.

Ich öffnete meinen Schreibtisch und zog ein Paar Pistolen heraus. Ihr Vater selbst hatte mir sie ausgesucht und Tags vorher erst gebracht. Es ist das nämliche Kästchen, welches Sie hier sehen. Diese nahm ich nun aus dem Fache, lud sie und legte sie auf den Tisch. Daß die Erlösung so leicht war, so nahe, so ganz in meiner Hand, beruhigte mich. Ich trat an das Fenster und blickte zum Himmel auf, zum letzten Male, wie ich glaubte; – allein mit diesem Blick kehrte meine Ueberlegung zurück. Ich hatte Pflichten, Herr Marquis. Zum ersten Male in meinem Leben fühlte ich, was das kleine Wort zu bedeuten hat – und es stand mir nicht zu, freiwillig und feige ihnen zu entgehen: Pflichten als Vater und als Träger eines Namens, der, so lang ich lebte, frei bleiben sollte von jeglicher Schmach. Ich ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab, schloß die Pistolen wieder ein und überlegte, was nun das Beste sei zu thun.

 

Das war klar genug. Ihr Vater mußte fallen, denn von der Laune seines Uebermuthes hing die Ehre meines Hauses ab, die, wenn er sie auch befleckt, doch wenigstens vor der Welt noch rein dastand. Fallen mußte er also, bevor er noch den letzten Verrath geübt, aber wie? – Schlagen wollte ich mich nicht – ich hatte Pflichten, wie ich Ihnen vorhin sagte, und mein Leben war zu kostbar, um es dem Zufall eines solchen Kampfes preiszugeben. Dann – was hätte ein Duell dem Rufe meiner Frau genützt? Also auf diese Weise ging es nicht – aber anders mußte es gehen.

Mein Plan war bald gemacht – ich schwieg. Ich ging und kam wie früher, nur daß ich jetzt sah, wo ich früher blind war. Mit meinem Schweigen hielt ich die Schuldigen umgarnt. Kein Wort, kein Blick entging mir – aber ich schwieg – es war noch immer nicht genug. Kein Liebhaber hat je so nach der Stunde der Erhörung geschmachtet, wie ich nach der sichtbaren Offenbarung meiner Schmach. Und endlich – es dauerte lange – aber endlich kam der Augenblick.

Ueber diesen Auftritt lassen Sie mich schweigen. Ihr Vater stand beschämt vor mir. Er hatte manchmal gute Augenblicke, und ich glaube, daß er seine eigene Schändlichkeit empfand. Er bot mir Genugthuung, er, der mir Alles genommen, indem er mich vor seine Klinge forderte! Welchen Ersatz aber hätte mir selbst sein Leben für das Glück geboten, daß er mir auf ewig geraubt? Der augenscheinliche Gegensatz ergriff mich mit solcher Gewalt, daß er zur Satire ward und ich hell auflachte, fort und fort, bis ich selbst vor mir erschrak und doch immer wieder in neues Lachen ausbrach. Meine Frau floh entsetzt an das andere Ende des Zimmers; sie hielt mich für wahnsinnig.

Mein Freund, sagte ich endlich zu Ihrem Vater, der bald erröthend, bald erbleichend vor mir stand, so daß mich ein gewisses Mitleid gegen ihn überkam, – Sie begreifen, daß ein Anerbieten wie das Ihrige zwar nicht gegen die Mode, aber doch gegen alle gesunde Vernunft verstößt. Sie nehmen mir meine Frau, gut. Es ist heutzutage etwas so Gewöhnliches, daß ein kluger Mann die Augen darüber schließt. Soll er aber noch sein Leben in die Schanze schlagen, so ist das wirklich zu viel verlangt.

Ihr Vater sah mich verblüfft an; er hatte mich schon öfter vor einer bloßen Klinge gesehen, denn Duelle waren damals ein täglicher Zeitvertreib, und ich pflegte sonst nicht mit meinem Blute sparsam zu sein.

Ich nahm ihn ruhig unter den Arm und schlenderte mit ihm in den Garten hinaus. Es wäre mir unangenehm, wenn die Leute eine Ahnung hätten von dem, was hier vorgefallen ist, sagte ich. Man muß die Oeffentlichkeit in solchen Sachen vermeiden. Ich trage nur mein ehemännisches Geschick, wie es schon so viele Andere gethan. Aber ich will keinen Scandal, und was die Zukunft Ihrer Beziehungen zu meiner Frau anbelangt – nun, ich werde dafür sorgen, daß sie zu Ende seien.

Ihr Vater war noch immer wortlos. Von Zeit zu Zeit sah er mich scheu von der Seite an. Es war, als erkenne er mich nicht mehr. Eben meine Ruhe war ihm, glaube ich, das Schrecklichste. Wir gingen noch einige Male im Garten auf und ab.

Wie wäre es, wenn wir zusammen ausritten? sagte ich; draußen ließe sich das Uebrige doch besser abmachen als hier.

Er sah mich mit wahrem Entsetzen an.

Sie fürchten sich doch nicht? spottete ich.

Das war der Stachel, dem er nicht widerstand. Wir stiegen zu Pferde und ritten davon. Eine wilde Lustigkeit erfüllte mich. Ihr Vater war still und bleich und sah sich von Zeit zu Zeit auf dem Wege um, wohl um einen Bekannten zu entdecken, der ihn erlösen sollte von dem Alleinsein mit mir. Jedesmal lachte ich auf. Er biß sich in die Lippen und ritt dann ruhig weiter neben mir. Vor dem Stadtthor hielt er an.

Fürchten Sie sich? frug ich wiederum.

Nein, sagte er, aber wozu sollen wir weiter?

Ich weiß nicht, wie ich ihn anblickte, aber er senkte den Kopf und folgte mir wie willenlos.

In einem kleinen Gehölze war es – die Landstraße schimmerte zwischen den Bäumen durch, und wie es unentdeckt blieb, was jetzt folgte, ist mir ein Räthsel bis auf den heutigen Tag. Dort hielt ich an und legte die Hand auf die Zügel von ihres Vaters Pferd. Er suchte sich loszureißen, aber ich hatte ihn zu fest gefaßt.

Steigen wir ab, sagte ich.

Er stieg ab, und ich folgte ihm. Und nun, Herr Marquis, sagte ich, und faßte seinen Arm, wollen wir das Uebrige abmachen, und ich werde dafür sorgen, daß die Geschichte wenigstens nie über Ihre Lippen kommen kann.

Ich werde schweigen, stammelte er.

Und wer bürgt mir dafür?

Ich schwöre es bei meinem Ehrenwort!

Der Schwur eines Ehrlosen! daß Sie meine Ehre so wenig achteten, giebt mir schlechte Bürgschaft für die Ihrige.

Mein Herr! fuhr er zornig auf.

O lassen wir die Redensarten, sagte ich und zog eine Pistole hervor.

Sie wollen mich ermorden? rief er mit bebenden Lippen.

Wie Sie es nennen wollen. Als Sie sich die Mühe gaben, meine Frau zu verführen, kannten Sie mich genug, um zu wissen, daß Sie mit dem Leben nicht davonkommen würden. Sie nahmen die That auf sich, wundern Sie sich also nicht, wenn die Folgen Sie treffen.

Ich bot Ihnen Genugthuung, brachte er mühsam hervor.

Ich lachte höhnisch auf: Welchen armseligen Einfall haben Sie da, Herr Marquis? Glauben Sie denn aufrichtig, was Sie belieben Genugthuung zu nennen, sei dies wirklich für mich? Nein, mein Leben ist zu kostbar gegen das Ihrige. Ich habe Pflichten zu erfüllen, ich bin Vater, und diese Last zu vermehren, trugen Sie ja das Ihrige bei. Aber die Kinder, die meinen Namen führen, sollen ihn vor der Welt mit Ehren führen, das können sie nur nach Ihrem Tode, Herr Marquis, und darum erschieße ich Sie.

Ich spannte den Hahn. Ihr Vater wandte das aschfarbige Gesicht hinweg.

Schonen Sich mich! stammelte er mit ausgestreckter Hand.

Haben Sie mich geschont? höhnte ich wieder. Ich hätte Ihnen mehr Muth zugetraut.

Da faßte ihn die Wuth. Er riß sich los, zog den Degen und drang verzweiflungsvoll auf mich ein. Doch meine Hand war sicher – ich schoß, und er fiel. Mit seinem letzten Worte rief er Sie und Ihre Mutter um Verzeihung an. Für das unglückliche Weib, das ihm Alles geopfert, hatte er keinen Laut.

Ich ließ ihn in dem weichen Grase, auf welches durch das dichte Laub der Bäume die Sonne nur spärliche Strahlen zu senden vermochte. Ich habe seitdem nie mehr ohne Grauen in den heiligen Frieden einer Waldeseinsamkeit gesehen. Aber damals, an seiner Leiche, schwur ich, Leonie in Wahrheit ein Vater zu sein.

Er schwieg – offenbar versagte ihm die Kraft. Er kreuzte die Arme und versenkte sich in die furchtbare Erinnerung. Louis Augen zuckten, ein Wort bebte auf seinen Lippen; doch er brachte es nicht hervor, und mit Verzweiflung rang er nach Fassung. Leonie athmete kaum.

Sehen Sie junger Mann, hub der Graf endlich wieder zu reden an, das ist eine Erinnerung, die nie vergeht, und vor der jede andere in den Hintergrund tritt – eigenmächtig ein Menschenleben ausgelöscht zu haben – und sich mit vollem Bewußtsein zu sagen: alle Opfer der Welt, wenn wir sie bringen wollten, wecken es nicht wieder auf.

Ich schlug einen andern Weg ein und ritt langsam in die Stadt zurück. Als meine Frau mich erblickte, floh sie vor mir in den entferntesten Winkel des Gemaches und hielt ihre Kinder fest an sich gedrückt. Ihr Entsetzen rührte mich. Es war das Mitleid, welches uns die Todesangst jedes, selbst des fremdesten Wesens einzuflößen vermag. Mein Zorn war gewichen, aber mit ihm zugleich meine Liebe erloschen, – das Blut, das ich vergossen, hatte Beides erstickt.

Madame, sagte ich zu ihr, Sie haben nichts zu fürchten. Es ist mir lieb, daß wenigstens aller Scandal vermieden ist. Mit dem Marquis habe ich Abrechnung gepflogen, er wird Sie nicht mehr belästigen. Vor der Welt bleibt Alles, wie es war; zwischen uns, die wir wissen, woran wir sind, ist natürlich Alles aus.

Sie erhob sich langsam, und ich ließ sie allein.

Die Abwesenheit Ihres Vaters fiel in den ersten Tagen nicht sehr auf. Es war nicht das erste Mal, daß ein galantes Abenteuer ihn auf mehrere Tage unsichtbar hielt. Man kannte seine zerütteten Vermögensumstände, und als man ihn endlich gefunden, suchte man keinen anderen Grund für die That, und es hieß, um dem Drängen seiner Gläubiger zu entgehen, habe er sich selbst entleibt.

Meiner Frau, die ihr Zimmer nicht verließ, wurde, auf meinen strengen Befehl, kein Wort von dem Vorfalle hinterbracht. Ich hatte sie mehrere Tage hindurch nur auf Augenblicke gesehen, da kam sie eines Morgens mit ihren Kindern auf mein Zimmer, kniete nieder vor mir und legte Leonie auf meinen Schooß. Aber des Kindes weiße Gewänder schimmerten in meinen Augen roth, wie in Blut getaucht, und mit Abscheu stieß ich es zurück. Sie schloß es heftig an die Brust und sah mich forschend an; dann erhob sie sich schweigend und ging hinaus.

Seitdem machte sie keinen Versuch mehr zu einer Annäherung. Was hätte es auch genützt? Es lag Blut zwischen uns – Blut – und das Kind, das ich nicht ansehen konnte, dessen Name schon eine immerwährende Erinnerung an den Verrath und die Schande seiner Mutter war.

Mich duldete es nicht mehr in Paris. Die Luft dort schien mir mit giftigen Dünsten geschwängert und erstickte mich. So reisten wir denn nach kurzer Vorbereitung ab. Von da an versank meine Frau in ein finsteres Brüten, dem sie nichts zu entreißen vermochte. Ihre Kinder, besonders Leonie, hütete sie mit einer ruhelosen Aufmerksamkeit, welche der wilden Wachsamkeit einer aufgescheuchten Löwin gleichkam. War es die Furcht sich von ihnen getrennt zu sehen? war es die Sehnsucht nach Ihrem Vater, dem einzigen Manne, den sie wirklich geliebt? oder hatte sie dennoch seinen Tod erfahren und war es Rachedurst, der sie verzehrte und sie endlich zum Aeußersten trieb? – Genug – ich erkrankte und sie pflegte mich. Der tückisch lauernde Blick, mit dem ich, aus halber Bewußtlosigkeit erwachend, sie eines Nachts an meinem Bette stehen sah, gab mir den ersten Verdacht ihrer Schuld. Die Unglückselige hatte mir Gift eingegeben und zählte die Minuten, die sie des verhaßten Joches entledigen sollten. Den furchtbaren Auftritt, der die Folge der Entdeckung war, kann ich nur andeuten. Genug, sie war schuldig – ich hatte den Beweis in der Hand, und sie läugnete nicht. —

Doch auf dem Schaffotte sollte sie nicht sterben. Aus ihrem Blute hatten meine Kinder ihr schuldloses Leben getrunken, und mein Haus sollte verschont bleiben von dem Brandmal einer öffentlichen Hinrichtung. Aber verschwinden mußte sie, und sie verschwand. In Einsamkeit und Gefangenschaft floßen ihre Tage hin. Für die Welt war sie todt und nun ist sie es auch für mich. Der ungestillte Haß zehrte an ihrem Leben, die Sehnsucht nach ihren Kindern brach ihr langsam das Herz. Allein der Tod brachte keine Versöhnung für sie, sie starb, wie sie gelebt, und mit einer Lästerung auf den Lippen athmete sie ihre Seele aus.

Und nun bin ich zu Ende, Herr Marquis. Darf ich fragen, welchen Eindruck meine Mittheilung auf Sie gemacht?

Louis stand auf, er war sehr bleich, aber aus seinem Blicke sprach keine Furcht. Tödten Sie mich, sagte er, Sie können es ja. Vater und Sohn, es ist am besten so!

Der Graf schwieg einen Augenblick. Leonie erhob sich geräuschlos und glitt leise hinter seinen Stuhl. Aber er schien ihre Bewegung zu ahnen, denn, ohne das Gesicht nach ihr zu wenden, schloßen sich seine Finger enger um das Kästchen.

Wenn ich Sie tödten wollte, sagte er dann, sich ebenfalls erhebend, so hätte ich es gleich gethan, bevor ich Ihnen das Geheimniß meines Lebens anvertraut. Aber es ist etwas in Ihnen, das ich achten und schonen muß: das ist das Blut Ihrer Mutter, und an dieses wende ich mich. Sie wissen nun, zu welchen Verbrechen eine That führen kann, die Sie bis jetzt nur im Lichte der Leidenschaft gesehen. Sie wissen, daß Sie ein Weib lieben, das vielleicht Ihre Schwester ist. Dieses Weib habe ich als meine Tochter erzogen und seine zweifelhafte Geburt mit meinem Namen und mit meiner Ehre gedeckt. Als meine Tochter hat ein Ehrenmann Leonie aus meinen Händen erhalten und das Glück seines Lebens auf sie gebaut. Sie ist zu ihrer Wahl nicht gezwungen worden. Armuth und Sorge, welche ihre Mutter drängen mochten, hat die Tochter nie gekannt, und in vollkommener Freiheit hat sie unter allen Männern, die um sie warben, allen meinen Warnungen entgegen, sich ihrem Gatten zugewandt. Für ihr Glück habe ich somit gethan, was ich vermochte, und ihr gegenüber ist meine Rechnung geschlossen – aber gegen ihren Mann habe ich eine Verpflichtung: er hat mir geglaubt, und sein Glaube soll nicht getäuscht werden.

 

Dann habe ich noch einen andern Grund: Otto hat Sie schon einmal in Verdacht gehabt, und ich habe keinen zweiten Sohn. – Und darum, Herr Marquis, so wahr ein Gott im Himmel lebt, werde ich Sie erschießen, wie ich Ihren Vater erschoß, wenn Sie mir nicht schwören, daß jede Beziehung zwischen Ihnen und der Gräfin von diesem Augenblicke an für immer abgebrochen ist.

Die Gräfin ist frei, ich werde sie nicht mehr sehen, sagte Louis mit erstickter Stimme und abgewandtem Gesicht.

Leonie sank mit einem Seufzer auf ihren Sitz zurück.

Schwören Sie! Befahl der Graf.

Ich schwöre – bei meiner Mutter schwöre ich! sprach der Marquis mit tonloser Stimme.

Ich glaube Ihnen, sagte der Graf feierlich, denn Sie scheinen mir doch besser, als Ihr Vater zu sein. Die Zeit wird kommen, wo Sie diese Prüfung als ein Glück betrachten werden. – Und nun werde ich Ihnen hinausleuchten, Herr Marquis, setzte er nach einer Pause hinzu.

Er öffnete die Thüre. Mit einer raschen Bewegung wandte Louis sich nach Leonie und breitete unwillkürlich die Arme nach ihr aus. Aber sie schien ihn nicht zu sehen, und der Graf wartete auf ihn. Erst als die Thüre sich hinter ihm und ihrem Vater geschlossen hatte, sprang sie auf und wollte ihm nacheilen; sie rang die schönen Hände, sie sank in die Kniee und schlug den Boden mit der Stirne.

O warum bin ich nicht gleich geflohen? jammerte sie laut. Doch plötzlich erhob sie sich, sie blickte düster vor sich nieder, ein kurzer Kampf glitt über ihre Züge und dann sammelten sie sich in einem eisernem Entschluß. – Und er ist doch nicht mein Bruder, sagte sie dumpf. Was wissen wir Beide von dem, was unsere Eltern gethan? Louis, du kannst nicht von mir lassen – o Louis! es wäre unser Beider Tod!

Sie warf ein Tuch um die Schultern und eilte hinaus. Sie hörte, wie ihr Vater das Thor verschloß, aber sie wußte, welcher Weg für Louis offen stand, sie schloß ihr Zimmer und zog den Schlüssel ab, flog den Gang hinab und über die Seitentreppe in den Park. Es war, als habe ihr Wille ihr Flügel verliehen, und unten im Park neben der Mauer, die ihn umschloß, begegnete sie dem Marquis.

Der Graf war auf sein Zimmer zurückgekehrt, er stellte das Licht auf den Tisch. – Ich habe meine Schuldigkeit gethan, dachte er, aber ich bin müde – sehr müde. O stille Ruhe, wann kommst du denn?

Er fuhr auf: ein Schrei – ein entsetzlicher Schrei schlug aus dem Parke an sein Ohr. Er horchte, Alles war still. Er öffnete das Fenster und hörte nichts mehr. Ich muß mich getäuscht haben, dachte er. Doch ließ es ihm keine Ruhe, er ging zu Leonieʼs Zimmer und horchte an der Thüre, aber auch hier regte sich nichts. Er wollte öffnen, die Thüre war geschlossen. Sie wird allein sein wollen, sagte er sich und kehrte in sein Zimmer zurück.

Den folgenden Morgen in aller Frühe wurde laut und heftig an das Hauptthor des Schlosses gepocht. Ein Arbeiter hatte die Gräfin scheinbar leblos im Garten liegen gesehen. Die ganze Dienerschaft gerieth in Aufruhr. Man hob sie auf, ihre Kleider waren vom Thau der Nacht ganz durchnäßt. Indessen, war sie nicht todt, nicht einmal bewußtlos schien sie zu sein, denn sie stöhnte laut und unausgesetzt; aber gehen konnte sie nicht, und man trug sie in das Schloß. Die Thüre ihres Zimmers wurde erbrochen, sie mußte den Schlüssel von sich geschleudert haben, als sie dem Marquis begegnete, denn später fand man ihn an der Mauer des Parkes, und Niemand konnte sich erklären, wie er dahin gekommen war.

Der Graf eilte in großer Bestürzung herbei; ein Arzt wurde geholt; aber alle angewendeten Mittel blieben wirkungslos. Sie weinte nicht, es war ein inneres Stöhnen, dem keine Klage sich vergleichen ließ. Der Arzt schüttelte den Kopf und erklärte es für eine Nervenerschütterung. Zeit und vollkommene Ruhe seien das einzige Mittel, meinte er. Sie sträubte sich auch gegen nichts, aber ihr Zustand blieb unverändert. Sie lag mit geschlossenen Augen und schien Niemand zu erkennen.

Ihr Mann riß sich von allen Geschäften los und eilte herbei als er die Nachricht von ihrer Krankheit erhielt. An dem Tage, da seine Ankunft erwartet wurde, verlangte sie zum ersten Male aufzustehen und ließ sich ankleiden, dann, setzte sie sich und wartete.

Er kam, böser Ahnungen voll, denn alle ihre Befürchtungen vor seiner Abreise waren ihm eingefallen, aber dennoch übertraf das, was er fand, seine schlimmsten Voraussetzungen bei weitem, und er schlug die Hände schmerzvoll zusammen vor dem bleichen, schattengleichen Abbild seiner jungen, vor Kurzem so blühend frischen Frau.

Bei seinem Eintritt hatte sie sich erhoben; sie ging ihm entgegen und sank schweigend an seine Brust. Das schöne Haar, mit dem er so gerne gespielt, hatte man ihr abschneiden müssen, sie sah jünger aus, und fast ganz wie ein Kind.

Leonie! rief er in tiefen Schmerz, sie innig an seine Brust schließend und ihr in die Augen sehend.

O, was haben sie aus dir gemacht! fuhr er fort und blickte vorwurfsvoll seinen Schwiegervater an.

Ich hatte es dir vorausgesagt erwiderte sie.

Er hob sie auf, trug sie auf das Ruhebett zurück und sank neben ihr auf die Kniee. Sie sah zu ihm nieder und legte sie kleine abgemagerte Hand auf seinen Kopf.

Du kommst eben recht, mich sterben zu sehen, sagte sie. Die alte Härte war noch immer in ihr.

Er schloß sie in die Arme und schluchzte laut. Der ruhige, kluge Mann war nicht zu erkennen, so brachte ihn die Verzweiflung außer sich.

Wir gehen fort von hier, war sein erstes Wort, als er der Rede wieder mächtig war.

Ein Schatten ihres ehemaligen Lächelns glitt über ihre Züge, verschwand aber sogleich wieder.

Nun ist es zu spät, sagte sie.

Dennoch schien die versprochene Veränderung sie ein wenig zu beleben, und sie ordnete selbst Manches zu ihrer Abreise an. Sie frug nicht, wohin er sie bringen würde, und er führte sie nach Rothwalde, wohin sie sich vor ihrer Trennung von ihm so sehr zu sehnen schien. An seinem Arme durchwanderte sie wieder die Alleen, die sie zuerst blühend in allem Glanze ihrer Jugend und ihres Glückes gesehen. Aber es war nicht mehr dieselbe Leonie! Das feine Gewebe ihrer Nerven, dieses Meisterwerk der Natur, war zerrissen wie durch einen rohen Griff, und alle Versuche, sie zu neuem Leben zu wecken, scheiterten an der Apathie, in welche sie sich wie in ein Leichentuch hüllte.

Putz und Kostbarkeiten und tausend Kleinigkeiten, die sie sonst so sehr geliebt, wurden um sie gehäuft. Sie nahm sie in die Hand, lächelte und legte sie theilnahmslos wieder weg. Was früher Mark und Saft ihres Lebensbaumes gewesen war, Stolz, Leidenschaft, Eitelkeit und – nur in anderem Sinne freilich, als man es gewöhnlich nimmt – die zarte und vollendete Weiblichkeit, die über ihre ganze Erscheinung ausgegossen war, Alles war entschwunden auf immerdar.

Die Krankheit, welche die Mutter nach Jahren dahingerafft, entwickelte sich bei der Tochter in reißender Schnelligkeit. Sie welkte sichtbar dahin und blieb doch immer rührend schön. Endlich konnte sie nicht mehr gehen. Der Tod, der ihr früher so viel Grauen eingeflößt, schien ihrer Phantasie nur mehr ein grausames Spiel zu sein. Für ihre zarten Arme waren die goldenen Armbänder alle nun zu groß. Mit einer katzenartigen Lust an fremdem Leid machte sie ihren Mann aufmerksam darauf. Nun bist du bald von mir erlösʼt, sagte sie.

O Leonie! war Alles, was er erwidern konnte, indem er sich sprachlos hinwegwandte. Der tiefe Gram in seiner Stimme durchschauerte sie. Sie blickte auf und beobachtete ihn einen Augenblick.

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