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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Sie werden immer am besten thun das Beste zu thun – und das Klügste ist es auch, sagte der alte Graf und betonte scharf ein jedes Wort.

Leonie stand wie auf Kohlen. Sie nahm ihres Mannes Arm und ging mit ihm im Zimmer auf und ab.

Ich hatte mich so sehr auf Rothwalde gefreut! sagte sie schmeichelnd zu ihm. Wir waren so glücklich dort! nun ist alle meine Freude zerstört!

Glaubst du, daß es mir leichter wird? erwiderte er.

Kann ich dich nicht wenigstens begleiten? bat sie jetzt.

Nein, Herzenskindchen. Du weißt ja, wie schwer mir eine Trennung von dir wird, aber es geht nicht anders.

So möchte ich lieber nach Rothwalde, als nach S. Des Vaters Schloß ist alt und finster, und ohne dich wird mir dort ganz unheimlich sein.

Ihr Mann lächelte. In Rothwalde, sagte er dann, bist du wirklich nicht ganz sicher. Die Bauern haben allerhand verrückte Ideen aus Frankreich herüber bekommen; wüßte ich dich allein auf dem Schlosse, ich hielte es keine Woche lang aus. Denke daran, liebes Kind, und nimm den Vorschlag deines Vaters an.

Aber wenn du mich durchaus nicht mitnehmen willst, so könnte ich zu deiner Cousine gehen. Sie hat mich so sehr gebeten, sie diesen Sommer zu besuchen, daß ich es versprochen habe. Freilich dachte ich dann mit dir hin zu gehen, aber du könntest mich dort abholen, und wir besuchen dann zusammen den Vater und gehen von S. nach Rothwalde zurück.

Meine Cousine ist kein passender Schutz für dich, liebes Herz, und du kannst ja auch später zu ihr gehen. So schicke mich auf eines deiner anderen Güter.

Nein, nein, es ist nirgends sicher genug, und dann würde es deinen Vater verletzen – und wozu? Du bist ja doch am besten bei ihm.

Was habt ihr? frug der alte Graf.

Leonie fürchtet sich ein wenig vor dem alten Schlosse in S., sagte ihr Mann.

Sie hat vielleicht besondere Gründe, meinte ihr Vater.

Nein, sagte sie halb erschrocken, ich ginge am liebsten mit meinem Manne.

Das geht aber nicht, unterbrach sie dieser, ich muß Tag und Nacht reisen, und du bist viel zu zart für eine solche Anstrengung.

Nun, so soll sie mit mir gehen, entschied ihr Vater. Ich hebe sie Ihnen am besten auf.

Freilich! sagte Hoheneck. Leonie schwieg entmuthigt.

Wann reisen Sie? frug Louis mit beklommener Stimme, denn Schmerz und Eifersucht schnürten ihm die Kehle zu.

Leonie wußte es, aber sie konnte ihm keinen Trost geben. Sie stand zwischen zwei Feuern, wohin sie sich wandte, schlugen die Flammen auf und brannten sie. Erst in dem Augenblick, wo er Abschied nahm, übermannte sie das Gefühl.

O Herr Marquis, rief sie, ihm die Hand reichend, ich bin sehr unglücklich, glauben Sie es mir! Ihr Gesicht war plötzlich von Thränen überströmt.

Doch er verstand sie nicht. Vielleicht macht es sich doch noch, daß Sie Ihren Herrn Gemahl begleiten können, sagte er mit einem bitteren Vorwurf in Wort und Blick.

Sie drückte das Gesicht in ihr Tuch und wandte sich laut weinend mit einer heftigen Geberde von ihm ab. Ihr Mann wollte sie tröstend an sich ziehen, aber sie machte sich ungeduldig von ihm los. Der Marquis entfernte sich. Ihr Vater sank in seine frühere Schläfrigkeit, und sie folgte ihrem Manne auf sein Zimmer, wo er Papiere ordnete. Er klagte über Kopfweh und legte sich endlich auf das Ruhebett.

O, dachte Leonie, ich kann mit meinem Vater nicht gehen, – und Louis, der mich nicht verstehen will! O Louis, in S. sind wir Beide verloren!

Sie kniete nieder neben ihrem Manne, sie legte ihm kaltes Wasser auf die Stirn. Nimm mich mit, bat sie weinend und ihm die Hände küssend, ich halte es nimmermehr aus ohne dich!

Quäle mich nicht! fügte er, ich kann es ja nicht thun. Wie willst du in dieser Jahreszeit Tag und Nacht ohne Aufenthalt reisen, und so zart wie du bist?

Ich fürchte mich nicht, sagte sie, ich will gern Alles ertragen, wenn ich nur bei dir bin.

Nein, nein! Der König selbst wünscht, daß ich dich hier lasse, er fürchtet eine Verzögerung, wenn du mich begleitest.

Leonie weinte. Du siehst mich nicht wieder, sagte sie, ich sterbe in S., ich weiß es ganz gewiß.

Denke an eine Ueberraschung für mich, sagte er lächelnd und mit ihren Haaren spielend, das wird dir die Zeit verkürzen.

Es wird eine Ueberraschung werden, meinte sie, aber nicht wie du sie wünschest.

Sie stand auf und setzte sich fern von ihm an das Fenster.

Du bist kindisch! rief er ärgerlich, und zum ersten Mal kam ihm ihr Benehmen unvernünftig und launisch vor. Sein Kopf schmerzte immer mehr, er wandte das Gesicht nach der Wand und schloß die Augen.

Ja, die Männer! dachte Leonie, sie gleichen sich alle.

Die Nacht war schon ziemlich vorgerückt. Keine Vorstellungen brachten sie dazu sich nieder zu legen. Sie ging von Zimmer zu Zimmer, ordnete und sah zu, wie die Sachen ihres Mannes eingepackt wurden. Sie setzte sich auf die Koffer. Da geht mein Leben mit, sagte sie.

Als der Morgen kam, sah sie so verweint und eingefallen aus, daß Hoheneck erschrak und in seinem Entschlusse fast wankend wurde. Aber jetzt war es zu spät. Halb bewußtlos hing sie an seinem Halse, er suchte sich von ihr loszumachen, aber sie klammerte sich nur um so fester an ihn an. Er hatte den Fuß schon auf den Wagentritt gesetzt, da riß sie sich oben von Allen los, die sie zurückhalten wollten, eilte ihm nach und warf sich, Alles vergessend, fast auf der Straße, noch einmal an seine Brust. Einen solchen Kampf hatte der ruhige Mann, bei all seiner Liebe für das angebetete Weib, doch nicht vorausgesehen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen, und seine Augen, die keine Thränen fanden, unterliefen mit Blut. Endlich wichen Leonieʼs Kräfte, die Stunde drängte, er mußte fort, und er legte sie in ihres Vaters Arme. Aber dreimal noch kehrte er zu ihr zurück und schloß sie von Neuem in seine Arme.

Behüten Sie sie wohl, sagte er zu seinem Schwiegervater, der schweigend daneben stand, es ist mein Leben, mehr, viel mehr als mein Leben, das ich ihnen anvertraue. Jedes Haar auf ihrem Haupte soll Ihnen heilig sein!

Verlassen Sie sich auf mich, erwiderte dieser; mein Leben und meine Ehre sollen Bürgen für die ihrigen sein.

Mit abgewandtem Gesicht sprang endlich Hoheneck in den Wagen. Er wagte nicht zurückzublicken, und in raschem Trabe zogen ihn die vier rüstigen Pferde davon. Mit thränenleeren Augen blickte ihm Leonie nach und wurde halb ohnmächtig in das Haus zurückgebracht. Die ganze Dienerschaft zerfloß in Thränen über die große Liebe und den rührenden Schmerz der jungen, immer so sanften und nachsichtigen Gebieterin; denn Leonie wußte, daß im Falle der Noth solche Verbündeten manchmal die nützlichsten sind. Selbst ihr Vater wurde irre an ihr.

Habe ich ihr Unrecht gethan, dachte er, so mag mir Gott meine Härte gegen das arme Wesen verzeihen.

Er war sehr bewegt und ging sachte mit ihr um. Es lag so viel Wahrheit in dieser tiefen Versunkenheit des Grames, die wortlos so rührend um Theilnahme bat! Wie sollte das Alles Verstellung sein? Und daß es keine Verstellung war, das war gerade die höchste Verstellung bei dieser Frau. So weit konnte er nicht sehen, daß sie mit ihrem Manne von der Sicherheit ihres eigenen Lebens zugleich Abschied nahm, daß die grenzenlose Liebe dieses Mannes, die jeden Frevel mit dem Wort der Verzeihung zu löschen im Stande gewesen wäre, ihre beste Stütze und vielleicht zu gleicher Zeit für sie auch der erste Antrieb zum Frevel war. Weniger geliebt, wäre sie vielleicht nicht so schnell der Verirrung erlegen.

Wann wünschest du abzureisen? frug der alte Graf, als sie etwas ruhiger geworden.

Wann Sie wollen, mein Vater, erwiderte sie.

Nun es doch geschehen mußte, war es ihr einerlei, wie bald.

Sie verließ ihn und schloß sich in ihr Zimmer ein; sie fühlte das Bedürfniß, sich zu sammeln und ihre Lage zu übersehen. Jetzt bereute sie es fast, daß sie Louisʼ Vorschlag, mit ihm zu fliehen, so ohne Weiteres verworfen; aber in Armuth und Elend gehen? Nein – selbst an Louisʼ Seite vermochte sie das nicht! Ihre Gedanken kehrten zu ihrem Vater zurück. Er war alt geworden, sehr alt, besonders in der letzten Zeit. Eine Schlacht hatte er freilich gegen sie gewonnen, aber konnte er sie denn immer bewachen? Die Zeit würde kommen, wo Krankheit oder ein anderer Grund sie frei machen würde von seiner Gewalt.

O käme doch diese Zeit! seufzte sie mit gerungenen Händen, hielte nur wenigstens Louis aus, dann würde ja noch Alles gut!

Freilich mußte der Argwohn, den ihr Vater gegen sie gefaßt, eingeschläfert, vernichtet werden, wenigstens bis ihr Mann zurückgekehrt war, und sollte das so unmöglich sein?

Ihre elastische Natur gewann nach und nach wieder die Oberhand, die Empfindung der Gefahr wich von ihrem Geiste, indem sie an die Mittel dachte, dieser Gefahr zu entgehen. Blinder Gehorsam schien ihr für den Augenblick am zweckmäßigsten zu sein. Louis noch vor ihrer Abreise zu sehen, war eine Unmöglichkeit; ihr Vater, das wußte sie, würde ohne sie nicht aus dem Hause gehen. Und doch mußte er wissen, wie es mit ihr stand, er mußte ihr beistehen, wenn irgend ein Beistand noch nöthig war. Sie konnte ihn nicht sehen, aber schreiben konnte sie.

Es giebt keine Rettung, schrieb sie ihm, ich muß mit meinem Vater nach S. Mit wie schwerem Herzen ich gehe, kann ich nicht sagen; ach, ich hatte so ganz anders geträumt! Unternehmen Sie nichts – ich schreibe ihnen von S. aus, so bald es sich thun läßt. Zweifeln Sie nicht an mir. O Louis, wir haben uns nur gefunden, um uns wieder zu verlieren, wenn Sie mir nicht ganz vertrauen. Louis, Louis, Sie sind Alles für mich!

Sie läutete ihrer Kammerfrau und übergab ihr den Brief.

Niemand darf wissen, daß ich geschrieben, sagte sie. Die Dienerin sah sie überrascht an, aber vor diesen verweinten Augen, nach dem Auftritt, den sie eben mit angesehen, wie sollte da ein Verdacht möglich sein?

 

Wenn Louis mich wahrhaft liebt, dachte Leonie, so wird er sehen, daß ich nicht anders handeln kann. Und er liebte sie, ebenso, mehr vielleicht, als er sie jemals geliebt. Bei aller Angst und Qual, war das nicht ein tiefer Trank der Seligkeit?

Der Marquis war zu Hause, als ihre Botschaft kam. Er hielt den Brief in den Händen und zauderte, ihn zu öffnen. Es war das Schicksal seines Lebens, das an diesem leichten Blättchen hing. Alle Zweifel, die ihn in letzter Zeit gemartert, tauchten von Neuem in seiner Seele auf. Sein Herz schlug, sein Kopf schwindelte, und er mußte sich setzen. Erst nach langem Zögern erbrach er das Siegel.

O warum sind wir nicht gleich geflohen! war sein erster Gedanke, nachdem er gelesen; und doch mußte er sich gestehen, daß er glücklich, überglücklich gegen die vergangene Minute sei. Die Gräfin kann auf mich rechnen, sagte er der Dienerin, die im Vorzimmer wartete.

Denselben Abend reisʼte die Gräfin mit ihrem Vater ab.

Ich komme, dir Gesellschaft zu leisten, sagte sie zu Otto, als er sie ganz überrascht aus dem Wagen hob.

Sie war gefaßt und freundlich und scherzte in gedämpfter Heiterkeit über Otto, der des Fragens über Alles, was ihn in der Stadt interessirte, gar kein Ende fand. Ihr Mädchenzimmer wurde für sie bereitet; sie fand es unverändert, wie sie es vor noch nicht drei Jahren verlassen, und eben so unverändert, nur mehr entwickelt, war die Leonie, die es betrat.

Und ich werde doch mein Ziel erreichen, sagte sie sich, als sie Abends den müden, reichgelockten Kopf auf das langentwöhnte Polster legte. Und wie oft hatte sie dasselbe an derselben Stelle seit ihrer frühesten Kindheit gesagt!

Schon den folgenden Morgen schrieb sie an ihren Mann. Es schien ihr ein Band zu sein, das sie mit dem sicheren Grund verknüpfte, der unter ihr gewichen, und auch jetzt noch dünkte sie sich fester zu stehen, wenn sie erwog, wie innig seine Liebe war. Dann wollte sie sehen, ob ihre persönliche Freiheit eine Einschränkung erleiden würde, und gleich nach dem Frühstück machte sie sich zum Ausgehen bereit. Aber Niemand legte ihr etwas in den Weg; nur Otto begleitete sie plaudernd vor das Thor. Doch hier mußte er zurück, denn er hatte andere Dinge zu thun.

Ihr erster Gang war zur Pfarrerin, der sie mit aller Vertraulichkeit der Kinderjahre um den Hals fiel. Die gute, sanfte Frau gerieth fast außer sich vor Ueberraschung und Glück. Der Pfarrer eilte in Hemdärmeln vom Garten herein, das Kind, das er unterrichtet und eingesegnet, in allem Glanz der Jugend und vollendeten Weiblichkeit wiederzusehen. Seine Frau hielt Leonieʼs Hände und nannte sie bald mit dem altgewohnten Du, bald Fräulein oder Gräfin, bis sie wieder in das vertraute Du verfiel. Es war, wie wenn ein Kind, das man lange aus den Augen verloren, plötzlich und unerwartet zur alten Heimath wiederkehrt. Und Alles hier wehte Leonie so heimathlich, so vertraut an, so längstgewohnt und gekannt, trotz alles Wechsels, den der Lauf der Zeit überall mit sich bringt. Das Herz ging ihr auf im neu erwachten Gefühle der Sicherheit, der Krampf lösʼte sich in ihrer Brust bei all dieser Liebe, die man dem fernen Kinde so treu und lebendig aufbewahrt. Es war ein Gefühl der Unschuld, das zum ersten Male in ihrem Leben heute über sie kam. Sie küßte die alte Magd, die vor Ehrfurcht beinahe in die Knie sank, auf die Wange und lachte und weinte vor Rührung, als der Hund, der seit ihrer Entfernung unmäßig dick geworden, in das Zimmer stürzte und vor Freude winselnd sie am Kleide zupfte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

O, sagte sie, könnte ich doch immer hier sein! Das Schloß ist unheimlich wie ein Grab und der Vater finsterer als je.

Nun, Sie können ja recht oft zu uns kommen, sagte die Pfarrerin, und Leonie versprach es auch.

Gott sei Dank! dachte sie, als sie den Weg zum Schlosse wieder hinauf ging, das sind Freunde, und in ihrer Nähe kann mir so leicht nichts geschehen.

Aber auch auf dem Schlosse gab es durchaus nichts Verdächtiges. Ihr Vater, den sie so sehr gefürchtet, kümmerte sich wenig um sie und hielt sich meist auf seinem Zimmer auf; Otto beschäftigten die Angelegenheiten des Gutes, und Leonie blieb viel allein. Sie durchsuchte das alte Gebäude, das ihre Kinderspiele gesehen, vom Boden bis zum Keller, jeder Winkel wurde von ihr in Augenschein genommen; auch die Umgebung, den Wald, jeden Ort, den sie gekannt und geliebt, suchte sie allein oder in Ottoʼs Begleitung wieder auf.

Nach und nach trafen einige Familien aus der Nachbarschaft ein; ein kleiner Kreis sammelte sich um die reizende Gräfin, die in den dunklen Hallen wie eine feenhafte Erscheinung der Jugend und Anmuth aufgegangen war. Die alten Mauern wiederhallten von geräuschvollem Leben. Ausflüge zu Wasser, zu Wagen und zu Pferde wurden unternommen, und ihr Vater sorgte selbst für das sanfteste Thier und ritt es zur Probe, bevor er es seiner Tochter zum Gebrauch überwies.

Alle diese Veränderungen, die sie so wenig erwartet, wirkten offenbar wohlthätig auf die junge Gräfin ein. Sie führte mit bezaubernder Grazie und Gefälligkeit das Scepter der Freude in den nicht eben zahlreichen, aber gewählten Reihen, deren Mittelpunkt sie durch ihre Liebenswürdigkeit geworden, und, wenn ja noch hie und da eine Wolke auf der blendenden Reinheit ihrer Stirn lag, so schrieben Jene, die sie bemerkten, es der verlängerten Abwesenheit ihres Mannes zu; denn von der Liebe, welche das Ehepaar mit einander verband, hatte man auch hier schon gar Manches gehört.

Unter dem erheiternden Einfluße dieser Umgebung wich die Blässe bald von Leonieʼs Wangen, ihre Augen strahlten in erneuertem Glanze, und sie hatte Anfälle ausgelassener Lustigkeit, bei denen alle Instincte wieder auftauchten, die ihr als Kind ein solches Uebergewicht über alle andern Kinder verliehen. Sie war die kühnste Reiterin, die unermüdlichste Fußgängerin, und kein Berg war ihrem schwanken Schritte zu steil oder zu hoch. Dann pflegte sie bei der Rückkehr von solchen Expeditionen, wenn sie die Zinnen des väterlichen Schlosses am Horizont auftauchen sah, wohl plötzlich laut aufzulachen über die Furcht, die es ihr von Ferne eingeflößt.

Was war denn Unheimliches an diesen alten Mauern? Nichts als ihre eigene Phantasie, welche die dunklen Schatten ihrer Kindheit mit dem Gebäude selbst verwebt; und übermüthig sprach sie diesen Schatten Hohn und störte die Ruhe der Nacht durch Musik und Lichterglanz, und die lauten Freuden des Tages wurden am Abend in den bunten Ringen des Tanzes fortgesetzt:

Du kehrst mir das ganze Haus um, sagte Otto, der ein Freund der Ordnung war, einmal mürrisch zu ihr. Aber sie lachte ihn nur aus, und selbst ihr Vater schien es gern zu sehen, wie toll sie es auch trieb, und legte ihr nichts in den Weg.

Aber wenn der ruhelose Wirbel sich endlich gelegt, wenn die beneidete Herrscherin dieses Treibens sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und entkleidet, ihre Kammerfrau von sich gelassen hat, ist es da noch dieselbe Leonie? Da sehen wir ein bleiches junges Weib, die Brauen zusammengezogen, wie in brütendem Denken, Abspannung, Zorn und Groll in allen Zügen und jenen bitteren Zug, welcher die Frucht unbefriedigter Erwartung ist.

Leonie ist weit gekommen in einer kurzen Zeit, weit in Gedanken wenigstens, und freilich noch immer in Gedanken nur drängt ihnen die That ungeduldig nach. Die von allen Seiten so sorgsam eingedämmte Leidenschaft hat nach und nach jedes andere Bedenken in ihr zerstört und steht nun allein auf den Trümmern, riesengroß und stark. Wie sie so da liegt auf der prachtvollen Ottomane, von deren dunklem Sammt die schneeigen zarten Füße und Arme mit lockendem Glanze sich abheben, schwellen tiefe Seufzer ihre Brust, über welche das leichte Nachtgewand nur in leichter Verhüllung fällt.

O Wahn! murmelt sie mit geschlossenen Zähnen und gerungenen Händen. Wahn, Wahn, Wahn! Nicht den Schatten eines Argwohns hat er nur gehabt! Ließe er mich sonst so frei hier, wo Louis, mein Louis mir hinter jedem Busche, in jedem grünen Pfade, sobald er will, begegnen kann? Und mit diesen leeren Spielereien will er mich vertrösten, wenn ich das Glück so vieler Tage und Nächte hingeopfert habe für einen Wahn!

Sie war aufgestanden, das Licht der Ampel fiel auf ihren glänzenden Scheitel mit einem sanft gedämpften Schein.

Mit leeren Worten hat er mich geschreckt, fuhr sie düster fort, und wie ein Kind hat mich ein wesenloser Schatten zur Verrätherin an meiner einzigen Seligkeit gemacht. Louis, du leidest, schreibst du mir. – Zürne mir lieber! Ich habe dich nicht an mich gezogen und gehalten mit aller Kraft. Ein Wort von mir hätte uns den Himmel aufgethan, und mit lügnerischen Worten hat er mich davon zurückgeschreckt. Louis, verzeihe mir! auch ich leide, ich vergehe, ich kann nicht mehr leben ohne dich! O Wahn, in dem ich mein Glück von mir stieß! Was hätte selbst der Argwohn gegen mich vermocht? Mein Mann? – er glaubt mir – und er ist glücklich, was will er mehr? – Aber auch ich will glücklich sein – ich habe wohl das Recht dazu!

Sie warf den Kopf zurück, ihre Züge sänftigten sich in einem wunderbaren Ausdruck von Sehnsucht und Leidenschaft. Ja, Louis, denke an mich, flüsterte sie, die Zeit wird kommen, wo ich nicht mehr mit durstigen Lippen wünschen werde, die Nächte möchten kürzer sein!

Und, setzte sie überlegend hinzu, welche Gefahr laufe ich denn? Steht es mir nicht frei, zu gehen und zu wandeln, wo ich will? Das ganze Land ist mir offen, wo soll für mich der Verräther sein? – Und wäre auch eine Gefahr, fuhr sie nach einer Pause fort, was wäre das für ein Weib, das nicht Mittel fände, sie zu umgehen?

Von da an wurde Reiten das Lieblingsvergnügen der jungen Gräfin. In Gesellschaft oder auch allein, nur von einem Reitknecht begleitet, strich sie oft halbe Tage lang in der Gegend herum, und in dem Gefühle schrankenloser Freiheit, das daraus entsprang, blühte sie rosiger auf als je. Zugleich wurde sie stiller, ihr Lachen klang nicht mehr so hell und oft durch die hohen Gemächer des Schlosses, und der Kreis der Besuchenden, an dessen Freuden sie nicht mehr denselben Antheil nahm, lichtete sich zusehends.

Nun ist dein Frieden nicht mehr gestört, sagte sie einmal spottend zu ihrem Bruder, ist es jetzt mehr nach deinem Geschmack?

Aber Otto hatte andere Gedanken im Kopfe. Er hatte den beseligenden Befehl erhalten, nach der Hauptstadt zurückzukehren und seine Bewerbung um Marie wo möglich zum Abschluß zu bringen.

So Gott will, möchte ich noch meine Enkel sehen, hatte sein Vater zu ihm gesagt, und diese frohe Aussicht hätte den jungen Mann für größere Unannehmlichkeiten unempfindlich gemacht.

Seine Abreise störte die Gräfin nicht in der neuen Richtung, die ihr Leben genommen, sie versenkte sich immer tiefer in die ihr plötzlich so lieb gewordene Einsamkeit. Es war, als habe die unruhige Kraft, die bis jetzt verschlossen in ihr gelebt, endlich den rechten Ausweg gefunden, durch welchen sie naturgemäß abfloß. Ihr Vater beobachtete sie, aber er sagte nichts. Nur gedankenvoller schien er zu werden, je stiller und in sich harmonischer offenbar Leonie ward.

Verschiedene Kleinigkeiten zu ihrem Gebrauch waren aus der Stadt gekommen, sie schloß sich ein und packte selbst die Gegenstände aus. Darunter war ein Briefchen, das sie heftig an die Lippen drückte. Doch auch ihr Vater hatte Briefe erhalten, die ihn sehr beschäftigten.

Du könntest auch einmal mit mir gehen, sagte er den Morgen darauf zu ihr, ich habe mehrere Ausbesserungen in der Kirche vor, die ich erst in Augenschein nehmen will.

Sie machte sich bereit und begleitete ihn. Es war kühl und düster in der Kirche, die ihnen der Küster öffnete, und als der Graf seine Besichtigungen beendet, trat er mit Leonie in den sonnenhellen Kirchhof hinaus und schickte den Küster fort. Langsam gingen sie nun die Reihen der Gräber hinab, unter welchen mancher Denkstein eines alten Dieners oder eines ländlichen Freundes aus des Grafen eigener Knabenzeit sich befand. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, las die Inschriften und machte eine kleine lobende oder gerührte Bemerkung dazu. Leonie nickte nur, der Anblick von Gräbern hatte für sie etwas Unheimliches, und der sonderbare Spaziergang dauerte ihr sehr lang. Endlich, vor einem einfachen weißen Steine, nur mit zwei Initialbuchstaben bezeichnet, blieb er wieder stehen. Er wandte sich nach seiner Tochter um und legte die Hand auf ihren Arm.

Das ist das Grab deiner Mutter, sagte er.

Leonie fuhr zusammen und starrte erblassend auf den Stein. Sie schauderte, aber zu ihrem Herzen drang die Stimme nicht, die aus diesem Grabe zu ihr rief. Die Erinnerung an die Mutter, die trotz aller Verwirrungen sie doch so sehr geliebt, weckte in der Tochter kein weicheres Gefühl. Sie dachte an die Folter, an den Tod, vielleicht auch an die Schuld, aber sie betete nicht, sie hatte nichts zu bitten, nichts zu verzeihen, – ihre Seele war hart, wie der Stein, auf den sie blickte, und sie wandte stumm das erblaßte Gesicht hinweg. Der Graf machte keine Bemerkung, schweigend verließen Beide den so stillen, ernsten Ort.

 

Doch aus dem Leben und Weben der freien Natur trieb es Leonie hinweg in das Treiben der Menschen, sie fuhr aus und kehrte erst am späten Abend zurück. Jetzt, in die weichen Kissen gelehnt, rief sie den Vorgang des Morgens wieder vor ihren Geist.

O ich kann nicht mehr zurück, sagte sie sich, und wozu? wie oft habe ich nicht schon solchen Warnungen gelauscht, und dann war es nichts gewesen als das Werk meiner eigenen aufgeregten Phantasie. Es ist noch immer Zeit, dachte sie, und wenn ich vorsichtig bin, was kann mir wohl geschehen?

Den Nachmittag des folgenden Tages war sie ausgeritten, frisch und heiter wie ein Maitag sprang sie vom Pferde und fiel ihrem Vater, der eben aus dem Thor trat, durch die rasche Bewegung fast an die Brust.

Du siehst gut aus, sagte er, dein Mann wird sich freuen, wenn er dich so kräftig wiedersieht.

Sie schlug die Augen nieder; ein leichter Ausdruck von spöttischem Triumph glitt flüchtig über ihr Antlitz: Ich hoffe es, erwiderte sie leise und ging leichten Schrittes an ihm vorüber die Schloßtreppe hinauf.

Es sind Briefe da von deinem Manne, rief er ihr nach; sie liegen auf meinem Zimmer.

Sie nickte lächelnd zu ihm nieder und beeilte ihren Schritt.

Er blickte ihr nach; so leuchtend, so ätherisch umflossen von Jugend, Glück und Glanz hatte er sie noch nie gesehen. Dich werde ich zertreten müssen, murmelte er.

Abends meldete sich unser alter Bekannter Thomas bei ihm an. Er ist angekommen, sagte er zu dem Gebieter, der zusammengebeugt in seinem Lehnstuhle saß. Zwei Stunden hat er gewartet, bis die Gräfin vorüber ritt. Sie sprachen nur ein Paar Worte mit einander, denn es waren Leute in der Nähe. Er trug Bauernkleider, doch ich kannte ihn gut.

Der Graf blickte nicht auf. Es ist gut, sagte er, und winkte den Diener hinweg.

Beim Nachtmahl klagte der Graf über Schmerz in den Gliedern, die kühle Kirchenluft nach dem heißen Gange habe ihm geschadet, und den andern Tag kam er aus seinem Zimmer nicht heraus.

Soll ich um Otto schicken? frug Leonie, nachdem der Arzt fortgegangen war.

Nein, nein! versetzte er, wir wollen den armen Jungen nicht stören, und so lange du bei mir bist, brauche ich ihn auch nicht.

Wer möchte Leonieʼs Gefühle beschreiben, während sie an dem Bette ihres Vaters stehend den wenigen Worten lauschte, die er in ärgerlicher Hast hervorstieß? Ohne ihr Zuthun war ein Stein aus ihrem Wege geräumt, der ihrem Willen so lange ein unüberwindliches Hinderniß gewesen war. Ihre Hände zitterten, während sie die warmen Decken dichter um ihn hüllte, ihr Athem war heiß und beklommen. Jetzt war es Zeit – jetzt! Nie würde sie wieder so günstig sein. Dieses Schmerzenslager ihres Vaters sollte ihrer gierigen Leidenschaft endlich üppige Sättigung und Sicherheit bieten.

Soll ich hier bleiben? sagte sie.

Es ist nicht nöthig. Mein Kammerdiener reicht für Alles aus.

Ich werde wenigstens nicht aus dem Hause gehen, erwiderte sie, während sie ihn verließ.

Und wieder ist es Abend. Leonie lag halb angekleidet in der geöffneten Balconthüre ihres Zimmers auf den Knieen. Es war eine schwüle, duftige Sommernacht, der leichte Ueberwurf, welcher durchsichtig über ihre Unterkleider fiel, verhüllte kaum das unruhige Wogen ihrer Brust, die Haare fielen halb aufgelösʼt über die blendend weißen Schultern der jungen Frau. Es ist spät, aber sie hatte ihre Kammerfrau schon lange weggeschickt. Sie wartete, ihr Herz schlug. Neben ihr auf einem Tischchen brannte die Lampe und übergoß die schöne, zarte Gestalt mit ihrem hellen Licht.

O, flüsterte sie, er wird kommen und endlich werden wir glücklich sein! Und wenn Alles um uns zusammenbricht, diese Nacht gehört uns, diese einzige Nacht voll Seligkeit, die kein Mensch uns rauben kann!

Sie horchte – ihr war, als habe sie einen Schritt gehört – doch nein – Alles war still.

Louis! rief sie mit sehnsüchtiger Ungeduld fast laut, o mein Louis, wo bleibst du denn? Jede verzögerte Minute ist ein Raub, den keine Zukunft uns ersetzen kann! Ja, ich liebe dich! In mir, außer mir ist alles Liebe, glühende Liebe zu dir. O komm! warum zögerst du?

Sie erhob sich, trat auf den Balcon, beugte sich über das Geländer und blickte ringsum. Ueberall im Schlosse herrschte die tiefste Ruhe, nur die Grillen hörte man zirpen, in einem nahen Gebüsche sang eine Nachtigall ihr hohes Lied der Liebe! Leonie breitete die Arme aus, in verzehrender Sehnsucht ihres Herzens. Jetzt – ja, es war kein Irrthum – trat eine Gestalt aus dem schattigen Pfade, der dem Fenster gegenüber lag, und näherte sich der kleinen Pforte, die – Leonie wußte es wohl – an diesem Abend offen stand. Sie trat in das Zimmer zurück, ihr Herz schlug so laut, daß seine heftigen Schläge deutlich vernehmbar waren. Auf dem Gange näherten sich Schritte, eine Hand legte sich auf das Schloß, die Thüre ging auf, und ihr Vater trat herein.

Mit einem unterdrückten Schrei wich Leonie vor ihm zurück. Sie schwankte und stützte sich auf das Tischchen, die Lampe fiel um und erlosch. Das Gemach war nur noch von der Kerze erhellt, die der Graf mitgebracht und die er jetzt ruhig auf den Tisch stellte, der in der Mitte des Zimmers stand. Ein reichverziertes Kästchen, das er unter dem Arme trug, stellte er ebenfalls auf den Tisch.

Du hast andern Besuch erwartet, sagte er; verzeihe, daß ich störe.

Aber das Bewußtsein der Gefahr gab Leonie ihre ganze Geistesgegenwart zurück. Ich? ich erwarte Niemand, antwortete sie todtenbleich, doch eben so ruhig wie er.

Dann hättest du deine Lampe früher auslöschen sollen.

Sie scherzen, Papa, sagte sie.

Er hob den Finger – ein leises Geräusch, wie von einer Thüre, die man vorsichtig öffnete und schloß, wurde vom Ende des Ganges gehört.

Schweige! befahl er.

Leonie sprang nach der Thüre, doch bevor sie dieselbe erreichen konnte, hatte er sie gefaßt und heftig an sich gezogen. Sie beugte sich zurück, ihr aufgelöstes Haar fiel in üppiger Fülle lang und glänzend über seinen Arm hinab, doch er hatte keine Augen für die schimmernde Jugendpracht und drückte ihr fest die Hand auf den Mund.

Sie suchte sich loszureißen, aber sie war zu schwach dazu. Ihr Herz schlug hoch in Entsetzen und wilder Empörung, ihre Stirne runzelte sich; sie sah zu ihm auf mit einem Blicke des Hasses, den keine Sprache beschreiben kann, vor dem aber die Farbe aus seinen Wangen wich. Sie hätte gerne gebissen, doch sie vermochte es nicht; er hielt sie zu fest dazu.

Schlange! murmelte er, und es war, als wolle er sie zerdrücken, Brut einer Schlange! Bastard, den ich in der Wiege hätte erdrosseln sollen, und den ich vergebens zu einem Menschen zu machen gesucht!

Das Blut stockte in ihren Adern vor dem Ausdruck seines Gesichts. Da öffnete sich die Thüre ihres Zimmers, und sachte trat Louis herein. Betroffen blieb er stehen, Bestürzung und Schrecken malten sich auf seiner Stirne, von der die Röthe freudiger Erwartung plötzlich gewichen war.

Der Graf ließ seine Tochter los, die halb ohnmächtig auf ein Ruhebett sank. Er hatte seine Ruhe wieder gewonnen und wandte sich an den jungen Mann.

Treten Sie ein, Herr Marquis, sagte er höflich, aber sehr kalt; ich weiß, daß Sie nur meine Tochter zu finden erwarteten, aber ich hielt es für besser, bei der Zusammenkunft zugegen zu sein.

Louis schloß die Thüre hinter sich und trat schweigend vor. Er war sehr bleich und sah auf Leonie; sie hatte das Gesicht in die Hände gepreßt und rührte sich nicht.

Der Graf war an den Tisch zurückgetreten und hatte die Hand auf das Kästchen gelegt: Haben Sie die Güte sich zu setzen, Herr Marquis, sagte er und deutete auf einen Stuhl.

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