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Eure Wege sind nicht meine Wege

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Sie schlang die schönen Arme um den Hals ihres Mannes und fuhr in gebrochenen Worten leise zu klagen fort. Er küßte sie still und zog sie auf seinen Schooß. Bist du böse? sagte sie schüchtern und reuig wie ein verweintes Kind, dessen Trotz in Thränen gebrochen ist. Ich war nicht gut gegen dich, und du bist doch so gut! Daran ist nur die Ungerechtigkeit Schuld. Man fühlt sie doch, wenn man auch schweigt —, und ich hätte wohl immer schweigen sollen, es ist ja doch mein Vater! – Was könnte ich nicht thun, um das Herz meines Vaters zu gewinnen – du glaubst nicht, was ich Alles schon gethan, aber es nützt nichts. Du bist Alles was ich habe – willst du dich auch von mir wenden?

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, und ihre Thränen drangen wieder heißer hervor, doch ohne Heftigkeit.

Er schloß sie inniger an sich, aber er schwieg. Er war zu gerührt, um Worte zu finden. Daß dieses junge, kindlich zarte Geschöpf, das nur geschaffen schien über Blumen zu gehen, den schweren Gram so lang in sich getragen, ohne Groll und Klage, war etwas, was seine Seele schmerzlich bewegte und seine Liebe zu ihr bis zur Ehrerbietung erhob.

Sage ihnen nichts, flehte sie mit einem lieblichen Blick und bittenden Lächeln, als er sich endlich zum Gehen anschickte. Es ist ja nicht ihre Schuld, daß sie so sind, es könnte ihnen doch wehe thun, – und Otto ist so gut, wenn er seinem eigenen Herzen überlassen ist! Wenn du mir nur bleibst, entbehre ich alles Andere leicht. Aber du bleibst mir, nicht wahr? frug sie mit einem schüchternen Aufblick der müden Augen zu ihm.

Sein Herz überströmte von Zärtlichkeit. Er beugte das Gesicht einen Augenblick auf die wirren, glänzenden Haare der reizenden Zauberin. O Gott! dachte er, wodurch habe ich ein solches Glück verdient?

Sie schloß den Riegel ihrer Thür hinter ihm und horchte einen Augenblick auf seinen verhallenden Schritt, dann legte sie den Finger überlegend an die Lippen. Ja, sagte sie, er wird mich schützen, seine Liebe ist stärker als der Tod! Und thue ich denn nicht Alles für ihn? ist er nicht glücklich? und was will er mehr? Bin ich es? ist Louis glücklich? und doch liebe ich ihn. – O ich liebe ihn! wiederholte sie nachsinnend und blickte vor sich nieder. Das war der erste Zug, dachte sie dann, aber noch bin ich um die Klippe nicht herum. Sie setzte sich nieder und schrieb folgenden Brief:

„Louis, mein Louis, sei vorsichtig! Mein Vater ahnt unsere Liebe zu einander und beobachtet mich. Ein Wort, ein Blick nur, und wir sind rettungslos verloren! Du kennst meinen Vater nicht – er ist schrecklich! Keine Beschreibung vermag dir zu sagen, wie er ist, was er im Stande ist zu thun! – O Louis! was bleibt dir ohne mich, was bleibt mir ohne dich, als zu sterben? Geliebter, sei vorsichtig, zürne nicht, wenn ich mich in das Unabänderliche füge, habe Geduld mit mir. Mein Vater – denke, er ist alt – und wir sind Beide jung. Eine ganze Zukunft des Glückes liegt vor uns, wenn du nur warten willst. Muß ich nicht auch warten? Glaubst du, meine Liebe brenne weniger heiß als die deinige? Glaubst du, die Stunden schleichen mir weniger langsam, wenn ich dich nicht sehe, wenn keine mir die Hoffnung deiner Nähe bringt? Und jetzt, Louis, jetzt darf ich dich nicht sehen – auf viele Tage nicht. Und nicht allein, hörst du? nicht allein, so lange mein Vater noch in der Stadt ist. Dann, dann sind wir freier. – Schreibe mir. O dieser Brief nimmt mein halbes Leben mit, und nur deine Antwort giebt mir es wieder.“

Wer kann sagen, sie habe nicht gefühlt, was sie schrieb? Und doch, welch zwingendes Interesse lag für sie darin, ihren Kahn so durch Gefahren aller Art geschickt und glücklich hindurchzusteuern? Daß sie Alles verlieren konnte, war nothwendig, um dem Durst ihrer üppigen Seele nach stets wechselnden Genüssen Genüge zu thun. Es war die Würze des Lebens, die Allem, was sie besaß, erst den rechten Beigeschmack gab.

So wird Louis sich zügeln müssen, dachte sie, und dieser närrische Fluchtplan, der nur in einem närrisch leidenschaftlichen Gehirn ausgeheckt werden konnte, bleibt vor der Hand, was er ist, ein angenehmer Traum. – Sie schickte ihm den Brief sammt den Noten zu.

Einige Tage danach begegnete Graf Hoheneck seinem Schwiegervater. Der Auftritt mit seiner Frau lag ihm noch immer im Gedächtniß, es schien ihm unmöglich, daß ein Wort nicht hinreichen sollte, Alles zum Besten zu lenken, und er beschloß gleich vor die rechte Schmiede zu gehen.

Hören Sie, lieber Papa, sagte er nach einem kurzen Gespräch und nahm den alten Grafen vertraulich unter den Arm, meine Frau hat mir anvertraut, daß Sie ihr nicht so zugeneigt seien, wie zum Beispiel ihrem Bruder. Es mag wohl nur Einbildung von ihr sein, aber Sie glauben nicht, wie der Gedanke, Ihrem Herzen fremder zu stehen, dem guten Kinde durch die Seele geht. So habe ich mir denn vorgenommen, Ihnen Ihr Unrecht vorzuhalten und Ihnen zu beweisen, daß meine Leonie ein wahrer Engel ist.

Ich versichere Ihnen, daß ich nichts gegen meine Tochter habe, versetzte der alte Graf, von dem Angriff etwas überrascht.

Das habe ich ihr auch gesagt, aber sie läßt nun einmal nicht von dem Gedanken, und ich muß selbst gestehen, lieber Papa, daß Ihre Kälte ihr dazu manchmal einen Grund zu geben scheint. Und Leonie ist doch so sanft, so folgsam, so heiter, so liebenswürdig, so gut! Ich will Ottoʼs Vorzügen nicht zu nahe treten, lieber Papa, aber an Ihrer Tochter haben Sie doch eigentlich Ihr Meisterwerk gemacht.

Der alte Graf machte eine Bewegung, als habe er unerwartet einen Stoß gegen die Brust erhalten. Er blieb stehen, stützte sich auf seinen Stock und wurde plötzlich sehr bleich.

Was fehlt Ihnen? frug sein Schwiegersohn.

Nichts – ein leichter Schwindel – es wird gleich vorüber sein.

Singt die Gräfin noch immer so viel? frug er nach einer Pause.

Sie klagt, es greife ihr die Brust an. Aber Sie können ohne Sorgen sein, lieber Papa, ich habe gleich mein Verbot darauf gelegt. Freilich ist es ein Opfer, aber Leonie thut Alles, was ich will. Und im Grunde singt sie ja nur für mich.

Nun, es freut mich, daß Sie glücklich sind.

So glücklich, daß es für einen Ehemann fast lächerlich ist. Ich werde Fräulein Pertold eine Zulage zu ihrer Pension geben. Ich begreife nicht, daß es noch alte Jungfern giebt. – Woran denken Sie, Papa?

Nur so – ich dachte, wie ihre Mutter doch eben so war.

Wirklich? sieht ihr Leonie sehr ähnlich?

Das nicht – die Augen ein wenig, aber auch die nur zuweilen – Es kommt doch Alles auf Eins heraus! setzte er düster hinzu. Wir sprachen von Ihrer Frau, mein Verdienst dabei ist, fürchte ich, sehr gering. – Nun, ich werde Ihnen beweisen, daß ich Ihre Worte zu Herzen nehme, und jetzt öfter bei meiner Tochter anwesend sein.

Thun Sie das, Papa. Und das Beste wird wohl sein, Sie erwähnen nichts von unserem Gespräch. Sie könnte sonst leicht denken, daß Sie sich nur Zwang anthun.

Sie haben vollkommen Recht, erwiderte Leonieʼs Vater. Sie schüttelten einander die Hand und schieden.

Indessen war auch Otto herzugekommen, und an seinem Arm setzte der alte Graf seinen Weg weiter fort.

O sie ist weit, dachte er, und seine Gedanken waren bei Leonie, weiter noch, als ich gedacht. O Gott, habe ich noch nicht genug gethan?

Sie begegneten dem Marquis, der grüßend vorüberging. Otto hatte sich abgewandt und that, als sehe er ihn nicht.

Was hast du? frug sein Vater.

Ich mag ihn nicht! platzte Otto ärgerlich heraus.

Du bist eifersüchtig, meinte der Graf.

Wird Marie jemals meine Frau, so brauche ich auf keinen König eifersüchtig zu sein, und wären alle Frauen wie Marie, so könnten in Gottes Namen noch so viele französische Marquis in der Welt herumlaufen, kein Mann würde dadurch in seiner Ruhe gestört.

Der alte Graf antwortete nicht. Otto muß fort, dachte er, und es ist die höchste Zeit. – Noch denselben Abend sprach er mit ihm. Leonie hatte Recht gehabt, ihr Vater würde ihn selbst hüten vor Gefahr.

Marie und ihre Eltern müssen nun wissen, begann der alte Graf, woran sie mit dir sind, und auch über deinen Charakter können sie schwerlich noch im Unsichern sein. Du hast also hier nichts mehr zu thun, und deine Gegenwart in S. ist durchaus nöthig. Mich halten andere Geschäfte hier zurück, und ich habe Klagen über den Verwalter gehört.

Nichts konnte Otto ungelegener kommen, als diese Trennung von dem Mädchen, das er liebte und das sich ihm in letzterer Zeit freundlicher zuzuneigen schien. Ich habe mit Marie eigentlich noch nicht gesprochen, stotterte er.

Ich werde mit dem Baron sprechen und dich die Antwort wissen lassen. Das wird hinreichend sein.

Aber die Reise war und blieb unangenehm. Der Marquis fiel ihm wieder ein. Wenn auch seine Liebe zu Marie die Beaufsichtigung, die er sich vorgenommen, in Atome zersplitterte, mit der leichten Überschätzung der Jugend dünkte ihm jetzt seine Gegenwart allein ein entschiedener Schutz für seine Schwester zu sein. Es ist nicht wegen Marie allein, versetzte er stockend und erröthend, denn er war es nicht gewohnt seinem Vater zu widersprechen, und fürchtete auch mehr zu sagen, als ihm für Leonieʼs Ruhe gerathen schien, aber ich kann nicht fort, lieber Papa, ich kann gewiß nicht fort.

Der Graf richtete sich auf. Was ist es, das dich festhält? frug er streng.

Otto schwieg.

Ich denke, fuhr sein Vater fort, daß ich weiß, was es ist. Aber der Argwohn, den du auf deine Schwester wirfst, ist eine Beleidigung für mich. Ich kenne die ganze Geschichte und weiß, was ich davon zu halten habe. Du bist noch ein Kind und machst aus einem Ameisenhaufen einen Berg. Morgen reisest du unwiderruflich ab.

Dabei blieb es denn auch. Ja, ja, sagte sich der Graf, der dem sich entfernenden Sohne mit Wehmuth nachsah, ich werde einsam sein ohne dich, mein Junge, – aber in einem ehrlosen Kampfe sollst du mir nicht untergehen. An mir ist es, zu wachen, und fürchte nicht, daß mich der Schlaf befalle, – ich habe das Wachen lange genug geübt.

 

Leonie war nicht wenig überrascht, als Otto kam, Abschied von ihr zu nehmen. Ich werde bei Marie für dich sorgen, sagte sie zu ihm.

Sorge für dich selbst, es wird mir lieber sein, versetzte er mißmuthig.

Du hast Recht, sagte sein Schwager, Leonie singt mir noch immer zu viel.

O, versetzte sie mit einem leichten Schmollen, du bist nie zufrieden, und übrigens habe ich die Noten schon weggeschickt. Jetzt mag dir eine Andere die Grillen wegsingen.

Wirst du eifersüchtig sein? lachte er.

Ich thue Alles, was du willst, du weißt, ich thue es, – und meine armen schönen Lieder, was mögen sie denken, nun sie so ganz verlassen sind? In dem Blick, in dem Lächeln, mit dem sie zu ihm aufsah, in dem Ton ihrer Stimme lag es wie eine halbe Thräne, und sie drückte den Kopf an ihres Mannes Arm.

Er beugte sich zärtlich zu ihr. Es ist mir doch lieber, du bleibst gesund und ich höre deine süße Stimme weniger oft, erwiderte er mit einer leichten Rührung, die halb Dank und halb Vorwurf war.

Sie sind doch recht glücklich mit einander, dachte Otto sehr beruhigt, indem er von ihnen ging.

Von nun an änderte sich Leomeʼs Leben auf eine für sie auffallende und befremdende Art. Ihr Vater brachte fast seine ganze Zeit bei ihr zu, und Ottoʼs Abwesenheit gab ihm den besten Grund dazu. Warum war er überhaupt in der Stadt geblieben, für die er doch so wenig eingenommen war? Ich alter Mann gehe hier auf Freiersfüßen herum und muß für Otto werben, hatte er einmal gesagt. Das schien natürlich genug; warum mußte er aber beständig bei ihr sein? Wie oft hatte sie Ottoʼs Abreise gewünscht, um ihren Vater dadurch los zu werden; nun war Otto abgereist, und der Druck, dem sie zu entgehen wünschte, lag doppelt schwer auf ihr. Ihres Vaters Benehmen gegen sie war aufmerksam, so aufmerksam hatte sie ihn nie gesehen. Hatte er damals nur aus allgemeiner Ueberzeugung gesprochen, oder war sein Verdacht wirklich geweckt? Sie konnte daraus nicht klug werden; – weder in Wort noch in Blick hatte er auf das gehabte Gespräch angespielt. Der Marquis wurde fast nicht erwähnt.

Louis kam selten, an ein Gespräch unter vier Augen war nicht zu denken, er fand die Gräfin keinen Augenblick allein. So konnte nun freilich der Fluchtplan nicht weiter besprochen werden, aber es entstand eine andere Gefahr. Er schrieb, durch Noten und Bücher ging der Verkehr; Leonie hatte weder den Muth zu antworten, noch sie zurückzuweisen, und immer schwebte sie über dem Abgrunde der höchsten Gefahr. Ein Blick, ein Lächeln reichte nicht mehr hin, ihn zu beschwichtigen, er wurde dringender mit jedem verfließenden Tag, und selbst eine Thräne, die er dem verschleierten Auge wie eine verstohlene Bitte um Schonung entschlüpfen sah, machte ihn zwar verstummen, aber vermehrte nur seine innere Aufregung. Wo er sie sah, sah er ihren Mann oder ihren Vater neben ihr. Ein böser Argwohn belastete seine Seele, das Glück, das ihm so nahe geschienen, wich wie ein Schatten unter seiner Hand. Er dachte, Leonie ziehe sich vor ihm zurück, und sein Verstummen war nur die Ruhe, die dem Ausbruche vorhergeht. – Alles war zwischen ihnen anders geworden. Das Senfkorn des Mißtrauens, von der Leidenschaft so lange erstickt, fing an zu keimen und langsam die ersten giftigen Blättchen zu treiben.

Er glaubte ihr nicht mehr, und jetzt sagte er es sich auch.

Sie hoffte von einem Tage auf den andern. Das Frühjahr war angebrochen, ihren Mann hielten Geschäfte in der Stadt zurück, aber auch ihr Vater traf keine Anstalten, auf das Land zu gehen.

Wie lange bleibt Otto in S.? frug sie ihn eines Tages, nach ihrer Gewohnheit die Frage, die sie eigentlich stellen wollte, umgehend.

Den ganzen Sommer, versetzte er ruhig.

Sie bleiben doch nicht den ganzen Sommer hier? frug jetzt ihr Mann.

Nein, nein, ich reise nach. Nur später, jetzt kann ich nicht. Was werden Sie thun?

Ich fürchte, ich werde reisen müssen, sagte ihr Mann ein wenig gepreßt.

Jedenfalls hoffe ich aber, Sie mit Ihrer Frau in S. zu sehen. Sie waren noch nicht auf dem Gute, und Leonie ist dort erzogen worden.

Das ist wahr, ich werde sehr gern dort sein. Was meinst du, Leonie?

O ich gewiß auch, versetzte sie ruhig. Gott bewahre mich! dachte sie.

Du hast mich verrathen, sagte sie später mit kindlichem Schmollen zu ihrem Manne, nun bringt der Vater aus Pflichtgefühl mir das Opfer seiner ganzen Zeit, und es thut mir weh.

Graf Hoheneck lachte. Er bildete sich nicht wenig auf die Versöhnung ein, die er zu Stande gebracht, und hielt seine Frau hochbeglückt; was Leonie empfand, ist leicht zu denken. Das Werkzeug, dessen sie sich bedient, hatte sich in ihrer Hand gewendet und sie selbst verletzt. Unmöglich konnte sie ihrem Manne sagen, die Gegenwart ihres Vaters sei ihr eine Qual.

Habe Geduld! flüsterte sie Louis eines Tages zu, siehst du denn nicht, was ich leide?

Sie wandte sich um, ihres Vaters Augen ruhten forschend auf ihr. Sie wurde sehr blaß, aber sie erwiederte scheinbar ruhig den Blick.

Ei, sagte er, spielst du noch immer so gern Hazardspiele?

Ich? versetzte sie; es kommt darauf an.

Und Sie, Herr Marquis? frug er jetzt.

Nein, versetzte dieser, und seine Stimme bebte leicht, das Ungewisse und Schwankende zieht mich nicht an, und mit der Zeit stößt es mich sogar ab.

Sie fühlte die Antwort in allen Fasern ihres Herzens und wagte es nicht, den bittenden Blick zu ihm zu erheben, denn ihres Vaters Augen lagen noch immer auf ihr.

Louis schickte sich zum Gehen an.

Ich werde Sie begleiten, sagte der alte Graf freundlich zu ihm. Auf der Treppe hing er sich, was er früher noch nie gethan, in seinen Arm.

Sie müssen Nachsicht haben mit einem alten Manne, der eben das Loos des Alters theilt, sagte er mit mehr als gewöhnlicher Freundlichkeit. Wissen Sie, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, daß Sie ihrem Vater sehr ähnlich sehen? Er mochte nicht viel älter sein, als Sie, da ich ihn, kennen lernte. Aber auch Ihre Mutter hat die Natur bei Ihnen nicht vergessen. Sie war eine sehr edle Frau.

Sie haben auch meine Mutter gekannt? frug Louis, plötzlich sehr bewegt.

Ja, Herr Marquis. Niemand hat sie besser gekannt; aber ich war jung, und mein Auge war damals geschlossen für solchen Werth, sonst wäre Vieles anders gekommen. Ihre Mutter wenigstens hätte ein besseres Loos verdient.

Louis schwieg. Sie waren an den Wagen gekommen. Machen Sie mir das Vergnügen, mich zu begleiten, sagte der Graf, ich setze Sie bei Ihrer Wohnung ab. – Und mit tieferregtem Interesse, aber doch voll scheuer Zurückhaltung nahm der junge Mann an seiner Seite Platz.

Sehen Sie, Herr Marquis, fuhr der alte Graf zu reden fort, Ihr Vater war ein liebenswürdiger Mann; böse Beispiele haben ihn vielleicht mehr auf falsche Wege geführt, als sein eigenes Herz.

Es war das erste Mal, daß Louis entschuldigende Worte über seinen Vater vernahm. Eine wunderbare Rührung kam über ihn, und sein Herz, das in der letzten Zeit so viel von der anerzogenen Strenge abgelegt, sog begierig diese neue Lehre ein.

Wüßten Sie, welche furchtbare Macht das böse Beispiel übt, die falsche Scham, die von der Rückkehr zurückhält, wie sehr auch das Herz zum Bessern drängen mag! Das waren die Klippen, woran ihr Vater zu Grunde ging. Auch Sie habe ich damals gesehen, als ein ganz kleines Kind, bevor Ihre Mutter Paris mit Ihnen verließ. Ich weiß nicht, ob er Sie später jemals wieder gesehen, und doch weiß ich gewiß, er hat Sie sehr geliebt! —

Er schwieg, von seinen Erinnerungen überwältigt. Louis erschrak über die fahle Blässe, welche die Züge des alten Mannes fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte, und ließ besorgt das Wagenfenster herab.

O, sagte der Graf mit dumpfer Stimme, es war fürchterlich! Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann, mit einer mächtigen Anstrengung, unterdrückte er seine Bewegung. Aber wo Schuld ist, fuhr er fort, folgt auch die Strafe nach. In Ihrer Mutter hatte der Himmel Ihrem Vater die höchste Gabe beschert, die ein Mensch auf Erden erlangen kann. Doch er erkannte sie nicht. Die Ehe aber ist heilig, und wer den Frieden einer Ehe stört, für den wäre besser, der Tod hätte ihn an der Brust seiner Mutter ereilt.

Louis erröthete und erblaßte so rasch nach einander, daß der Graf Mitleid mit ihm empfand.

Sie sind gut, sagte er freundlich, und ich meine es auch gut mit Ihnen. Sie sehen, es ist nicht das erste Mal, daß der Faden unseres Lebens zusammenläuft. Sie sind mir aus vielen Gründen werth – um der Verstorbenen willen mehr als ich sagen kann. Ich sage nicht, sehen Sie mich als Ihren Vater an, das ist nicht möglich zwischen uns, aber wenigstens als einen Menschen, der Ihnen nach Kräften gern das ersetzte, was ihnen der Tod dieses Vaters geraubt: einen erfahrenen Rath und ein theilnehmendes Herz. Und sollten Sie jemals an der Grenze stehen, wo Recht und Unrecht sich scheiden, wo der nächste Schritt Sie und Andere in das Verderben stürzen kann, so kommen Sie zu mir, und ich werde ihnen eine traurige Geschichte erzählen, in der ich zu meinem eigenen Unglück eine Hauptrolle gespielt.

Aber nur dann, sagte er, als Louis eine bittende Bewegung machte, nur dann! Es ist ein Geheimniß, das mir nicht allein gehört, und nur für die Gewißheit gebe ich es hin.

Fast wie drohend sprach er die letzten Worte aus. Louis schwieg betreten. Sie waren angekommen. Der Graf drückte ihm theilnehmend die Hand: Denken Sie an meine Worte, sagte er, wo Schuld ist, kommt auch die Strafe nach! Der Wagen rollte davon, während Louis in unaussprechlicher Bestürzung vor der Thüre seines Hauses stehen blieb, bis er endlich wie betäubt die Treppe zu seiner Wohnung erstieg.

Bei der Gräfin erschien er lange nicht mehr. Ueber Leonie kam eine Angst, vor der alles Andere wie ein Schatten verschwand: sie dachte, Louis gehe für sie verloren. Aus dem Liebeskranz, den sie so übermüthig gewunden, ragten allgemach auch für sie die Dornen unter den Blumen hervor, aber wie das Kleid des Nessus war er mit ihrem Fleische verwachsen, und sie konnte ihn nicht losreißen, ohne daß ihr eigenes Leben zugleich zerrissen wäre. O ich werde noch wahnsinnig! dachte sie, als Tag um Tag verging, ohne Nachricht von ihm. Seine Briefe, die sie so sehr gefürchtet, rief sie jetzt als das höchste Glück herbei, allein sie wartete vergebens darauf. Louis hatte nicht den Muth, sie zu sehen, er hatte auch nicht mehr den Muth zu schreiben – aber die verhaltene Leidenschaft schlug unter dem Druck der Verhältnisse nur tiefere Wurzeln in ihr.

Alles Andere blieb unverändert um sie her. Ihr Vater schien ihre Gesellschaft nicht mehr entbehren zu können. Dazu bekam er jetzt auf einmal die Laune, sie mit Kostbarkeiten zu überhäufen; es war, als kaufe er ihr jede Thräne, die sie innerlich weinte, durch einen Diamanten ab.

Bin ich nicht wie die Königin von Saba? sagte sie, als er eines Tages um ihren schönen Hals eine funkelnde Schnur von Brillanten schlang.

Ich denke, Salomo war nicht so glücklich, sagte ein junger Mann, der gerade zugegen war. Sie lächelte vor den Andern und hütete sorgfältig jede Bewegung; aber ganz heimlich für sich rang sie oft die Hände und schrie innerlich um Rettung, während sie mit heiterer Miene ein gleichgültiges Gespräch fortspann. Sogar ihr Mann, der ihr früher eine so große Stütze gewesen, war ihr nur mehr ein Hinderniß.

Du siehst, nun denkt der Vater, daß ich eigennützig bin! klagte sie ihm. Aber er nahm Alles für Beweise größter Liebe hin; und wie konnte es seiner reizenden Frau gegenüber wohl anders sein? Es war wie eine Mauer, die sich unsichtbar um sie baute und durch welche sie nicht dringen konnte, sie mochte thun was sie wollte.

Da nahm sie den ersten besten Vorwand zu Hülfe und schrieb an den Marquis: Ich muß Sie sehen, sagte sie, kommen Sie, ob ich nun allein bin oder nicht.

Sie eilte auf ihr Schlafzimmer und mit fieberhafter Aufregung erbrach sie die Antwort: Es kann nicht sein, schrieb er ihr ganz lakonisch, die Gefahr ist zu groß!

O, sagte sie und zerdrückte das Papier, was kümmere ich mich noch um Gefahr!

Wie schwer ihm das kalte Wort gewesen, wußte sie freilich nicht.

Abends hielt sie es nicht mehr aus. Sie schützte Unwohlsein vor und ließ ihren Vater allein. Einige Minuten darauf hörte man, daß sein Wagen den Hof verließ.

O, dachte sie, ich vergehe bei diesem ewigen Zwang! Einmal muß ich Louis sehen, in seine lieben Augen blicken, seine Stimme hören! Mein Vater ist an Allem Schuld! Louis muß wissen, daß ich ihn liebe, – ich muß wissen, daß er mich liebt, um jeden Preis!

Sie warf einen Mantel um und entschlüpfte durch eine Hinterthüre. Einige Schritte vor ihrem Hause trat ihr Vater ihr in den Weg: Was thust du hier so allein? fragte er.

 

Sie war wie gelähmt.

Ich werde dich begleiten, fuhr er fort und zog ihren Arm in den seinigen. Er schien nicht überrascht, als habe er sie da erwartet.

Sie leistete keinen Widerstand. Er hat einen Bund mit dem Satan geschlossen, dachte sie; ich kann ihm nicht entgehen.

Ich bin müde, sagte sie nach einer kleinen Weile mit matter Stimme, und er führte sie schweigend in ihre Wohnung zurück.

Wann wird das enden? rief sie, als sie erschöpft zu Hause in einen Sessel sank.

Doch ihr elastisches Wesen suchte schnell nach einem anderen Ausweg. Wenn mein Vater nicht geht, überlegte sie, so kann ich ja gehen, und ist nicht Louis eben so frei wie ich? Sie fing an, in ihren Mann zu dringen, seine Abreise aus der Stadt zu beschleunigen.

Mir thut die Luft nicht gut hier. Erinnerst du dich, wie glücklich mir im vergangenen Herbste in Rothwalde waren, so still, so ganz für uns allein? Sehnst du dich nicht dahin zurück?

Er streichelte ihr lächelnd die Wange und versprach die Abreise gar zu gern. Auch er sehnte sich in die ländliche Stille zurück, wo das höchste Glück seines Lebens ihm wie ein idyllischer Morgentraum der Seligkeit aufgegangen war. Aber von Woche zu Woche schob der erwünschte Tag sich hinaus, denn Wichtiges war im Werke, und der König ließ den erprobten Freund und Rathgeber nicht fort. Leonieʼs Gesundheit fing an, unter dem Kampfe mit dem zähen Widerstand, der sich hier von allen Seiten bot, und den sie weder künstlich zu umgehen, noch zu bewältigen vermochte, allgemach zu leiden. Ihre Wangen erbleichten, und um die dunklen, sonst so feurigen Augen begannen sich bläuliche Ringe zu ziehen.

Endlich wurde ihr Vater unwohl, die ununterbrochene Wachsamkeit hatte seine ohnedies abnehmende Kraft aufgezehrt. Er mußte das Bett hüten, und der Arzt befahl die größte Ruhe an. Leonie erwachte zu neuem Leben.

Kommʼ, schrieb sie an Louis, endlich athme ich auf! Wenn du meinen Tod nicht willst, so komm heute zu mir. Mein Mann ist bei Hofe, – komm, o komm! Sie schickte den Brief durch einen Diener; aber dieser fand den Marquis nicht zu Hause: Der alte Herr Graf habe ihn bitten lassen, ihn zu besuchen.

Leonie lief von Zimmer zu Zimmer in der rastlosen Ungeduld der Leidenschaft. O er muß kommen, dachte sie, sie schrie es fast, sie rang die Hände, sie war außer sich. Endlich fuhr ein Wagen in den Hof.

Sie läutete: Ich nehme keine Besuche an, sagte sie zu dem aufwartenden Diener, sollte der Herr Marquis kommen, so sagen Sie es mir.

Es ist nur Seine Gnaden der alte Herr Graf, versetzte der Mann, und gleich darauf wurde ihr Vater, bleich und in Pelze gehüllt, in das Zimmer geführt.

Du siehst, ich sterbe noch nicht, denn das Bett hält mich nicht, sagte er mit einem sonderbaren Lächeln. Der Marquis hat mich auch verlassen. Ein alter, kranker Mann flößt Niemand Interesse ein. So komme ich denn zu dir, denn ich langweile mich allein.

Wir wollen die Gedanken nicht verfolgen, welche bei diesen Worten durch die Seele seiner Tochter fuhren; aber sie half ihm sich niederzulegen, rückte ihm die Polster zurecht und setzte sich schweigend neben ihn.

Eine lange Stille trat jetzt ein. Stunde um Stunde verrann. Die fieberheißen Augen der Gräfin flogen nach der kostbaren Pendeluhr, die auf dem Gesimse des Kamines stand. Louis kam noch immer nicht. Was hätte es jetzt auch genutzt? sagte sie sich, und doch – welche Antwort lag in diesem Fernbleiben nach einem solchen Ruf!

Der Graf hatte die Augen geschlossen und athmete leise, als schliefe er. Sie saß schweigend, und die feinen Hände zerdrückten krampfhaft einen Fächer, ein Meisterwerk der französischen Kunst, während sie in finsterem Sinnen grübelte und in dem Schwanken der Angst und Unentschlossenheit ihre Seele hin und her wogte, wie ein dunkler See, bevor sie Ruhe, das heißt, einen Entschluß fand. Wie die Flut, die scheinbar machtlos an dem steinernen Wall ihres Ufers zerschellt, immer unermüdet ihre Wellen wieder sammelt zu erneuertem Anprall, so lebte auch in diesem ätherisch zarten Geschöpfe eine Kraft, welche durch nichts zu brechen war, als durch den Tod. Der Tod aber, das fühlte sie, konnte nur Louis für sie sein.

O es kann nicht so bleiben, sagte sie sich, was habe ich denn gethan, daß ich auf solche Weise leiden muß? – Sie stützte den Kopf in die heiße, vor Aufregung leicht zitternde Hand, und allmählich kehrte ihres Denkens ganze Kraft zurück.

Da fuhr abermals ein Wagen vor. Sie sah auf, es war ihr Mann, der nach Hause kam. Er sah verstimmt und bekümmert aus.

Was giebt es? fragte Leonie, die ihm entgegenging.

Er legte den Arm um sie: Ich habe schlechte Nachrichten, sagte er. Er setzte sich und zog sie auf seinen Schooß.

Sein Schwiegervater öffnete jetzt die Augen und sah ihn fragend an.

Ich muß verreisen, antwortete er auf diesen Blick. Der König schickt mich nach L. Es kommt mir sehr ungelegen.

Leonieʼs Herz pochte hoch auf vor Freude und stand im nächsten Augenblicke still vor Schrecken, als sie den Blick ihres Vaters auf sich geheftet sah. Was würde er jetzt thun? Sie lehnte den Kopf an ihres Mannes Schulter und schwieg. Auch ihr Vater sagte kein Wort. Ihr Mann sah in Gedanken vor sich nieder und streichelte dabei liebevoll die weichen, glänzenden Locken seiner Frau.

Leonie reisʼt doch mit? frug endlich der alte Graf.

Nein, das ist es eben. Sie hat in der letzten Zeit leidend ausgesehen, und doch lasse ich sie ungern allein zurück.

Wenn es nur das ist, so könnte sie ja gleich mit mir nach S. Dort ist sie gut aufgehoben, und die Landluft würde ihr wohlthätig sein.

Es wäre mir eine wahre Beruhigung, sagte ihr Mann, sie zärtlich anblickend. Sie ist so jung und unerfahren – ich hätte keinen ruhigen Augenblick, wüßte ich sie allein.

Der Herr Marquis von Chanteloup, meldete der Bediente jetzt.

Leonie stand auf und setzte sich in einiger Entfernung von ihrem Manne und ihrem Vater. Sieh, sagte Graf Hoheneck, indem er versuchte, die Wehmuth, welche ihn vor der so nahen Trennung beschlich, durch einen Scherz zu verbergen, der kommt wie gerufen. Er soll dich in S. besuchen. Dort hast du Zeit, seine Wunden zu verbinden, das ist ja ein Zeitvertreib, den du liebst.

Leonie stampfte ungeduldig mit dem Fuß. Louis trat ein und bekam ihren ersten Blick, und es war ein Blick voll so unsäglichen Grames, daß der junge Mann betroffen in der Thüre stehen blieb. Er war nicht nach Hause gegangen, nachdem er den alten Grafen verlassen, daher kam seine Verzögerung, denn er hatte keine Kraft mehr zu längerem Widerstand.

Treten Sie ein, rief ihm Graf Hoheneck entgegen. Wir sprachen soeben davon, daß Sie meine Frau in S. besuchen sollten. Sie wird ihren Vater dahin begleiten, weil ich verreisen muß.

Louis sah mit einem ungewissen Blick von dem Gatten auf den Vater und antwortete nicht.

Was sagen Sie zu dem Plane? sagte der alte Graf, der ihn prüfend ansah.

Der Marquis schlug die Augen nieder und erröthete: Ich weiß nicht – versetzte er mit unsicherer Stimme. Die Möglichkeit, nach so langer Entfremdung mit dem Weibe, das er liebte, unter Einem Dache zu sein, hatte etwas wahrhaft Berauschendes für ihn.

Leonie war hinter das Ruhebett getreten, auf welchem ihr Vater lag. Sie war ungewöhnlich bleich, der Gedanke an diese Reise füllte ihr Herz mit einem Entsetzen, für das sie weder Worte noch Namen fand. Sie traute sich nicht, die Augen aufzuschlagen, ein Spiegel hing ihr gegenüber und konnte sie verrathen, und doch mußte etwas zu ihrer Erlösung geschehen. Der Herr Marquis sagte mir, daß er die Stadt diesen Sommer nicht verlassen will, sagte sie, während sie innerlich nach Fassung rang.

Louis schwieg.

Ist das ein so fester Entschluß? frug der alte Graf, und in seinem Tone klang es wie Ironie.

Ich weiß nicht, erwiderte Louis zögernd, es hängt nicht von mir ab – Sie wissen, ich bin nicht frei.

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