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«Ich weiß es nicht...», antwortete Ian. Im selben Moment, in dem Ians Worte auf Jamies Ohr trafen, konnte Ian sehen, wie Jamies Hoffnung schwand, seine Mutter und seine Geschwister lebend wieder zu sehen. «…aber ich denke schon.», fuhr Ian von ein Impuls getrieben fort. «Hätten die Chiks deine Mutter und deine Schwestern töten wollen, hätten sie es gleich getan. An Ort und Stelle.»

Als Jamie keine Anstalten machte etwas zu erwidern, trat Ian langsam an seinen Sohn heran, legte ihm seine Hand auf dessen Schulter und zog ihn an sich. Nach einem Moment der Innigkeit sagte Ian schließlich: «Komm!», packte seinen Sohn und führte ihn schließlich zu Melcom, Brutus und Martok. «Ruh dich etwas aus. Du wirst noch deine Kräfte brauchen.»

Als Jamie sich schließlich neben Melcom und dessen Söhnen zum Schlafen gelegt hatte, stand Ian auf und machte sich auf, eine nah gelegene Anhöhe zu besteigen. Als er schließlich die Spitze erreichte, wandte er seinen Blick der Landschaft zu und schaute sehnsüchtig in die Ferne. Doch außer einem klaren Nachthimmel und der Natur des Nordens konnte Ian nichts entdecken, dass ihm einen Hinweis darauf geben konnte, wo sich seine Frau und seine Töchter gerade befanden.

Nach einer Rast von nur sechs Stunden drängte Ian schließlich zu einem möglichst schnellen Aufbruch. Und so machte sich die Prozession am frühen Morgen kurz nach Sonnenaufgang an die Verfolgung der Entführten und ihrer Entführer. Doch im Gegensatz zu den Erwartungen von Ian und seinen Begleitern gestaltete sich die Verfolgung schwierig. Die Landschaft wurde zusehends hügeliger und die Vegetation dichter. An einigen Stellen führte der Weg über kleine Bäche und Flüsse, aber auch Sümpfe. Vor allem diese sorgten häufig für Unmut unter den Männern. Denn die Sümpfe bedeuteten für die Verfolger, dass sie jede Biegung, jedes potenzielle Uferstück genau in Augenschein nehmen mussten, um eine sichere Passage zu finden. Und das kostete Zeit.

Passend zu dem schlechten Voranschreiten, legte sich ein dichter Nebel über die Landschaft und prägte das Wetter bis zum Mittag. Als sich schließlich der Nebel lichtete und die Prozession ihren Weg entlang einer Schlucht zwischen zwei Bergen bahnte, peitschte den Reitern ein kalter Wind ins Gesicht. Der anfänglichen Begeisterung nach Abenteuer folgte die bittere kalte Realität. Und als ob das nicht genug wäre, begann es einen Augenblick später zu regnen. Die Kombination aus Regen und kaltem Wind verwandelte die entschlossenen Männer in einen Haufen von klappernden Gestalten auf Pferden. In diesem Augenblick begriff Ian, dass das mächtige Felsmassiv um das Tal herum wie eine Art Barriere fungierte, die den Regen aufhielt und ein Weiterzeihen in die niedrigeren Ländereien verhinderte.

Und so schleppte sich langsam und mutlos Mann und Pferd durch das Tal auf der Suche nach einem Unterschlupf vor der kalten Nässe. Doch entgegen aller Sehnsüchte blieb ihnen dieser Wunsch verwehrt.

Erschwerend zu den äußeren Umständen begann der Regen die wenigen Spuren auf den zunehmend felsigen Untergrund zu verwischen. Mit der Zeit musste die Prozession trotz der Anweisungen des Gefangenen mehrmals anhalten, den Weg zurückgehen, um die Fährte wieder aufzunehmen. Als sie schließlich nach mehreren unerbittlichen Stunden völlig durchnässt an einem Punkt ankamen, an dem die Vorstellung von Abenteuer und die Realität aus dem Gleichgewicht kippten, begann der aufgestaute Frust sich seinen Weg nach außen zu bahnen. Flüche machten die Runde und hier und da trat einer der Männer gegen einen herumliegenden Ast oder verfluchte dieses von allen Göttern verlassene Land. Und als ob das nicht genug wäre, lief der Viehbaron zwischen den Reihen der Nordmänner und verbreitete lautstark seinen Unmut. «Hättet ihr gleich auf mich gehört, dann …»

Inzwischen verlangte es Ian und ein paar anderen unter ihnen diesem Fettwanst den Mund zu stopfen. Doch als die Lage plötzlich zu eskalierten drohte und die Wut einiger Männer sich gegen den Viehbaron richten wollte, ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und ließ die Männer reflexartig ihre Schwerter ziehen. Die Muskel angespannt, machten sich die Männer auf einen Angriff bereit und blickten in die Richtung aus der das Geräusch kam.

«Sollen sie kommen. Sollen sie endlich kommen.», hörte Ian Jamie sagen.

Doch entgegen aller Erwartungen geschah nichts. Und grade als die Männer sich anfingen zu entspannen, ertönte von neuem ein Geräusch und von einem Augenblick auf den anderen stürmte einer der Männer in die Richtung, aus dem er den Ursprung des Geräuschs vermutete. Wie auf ein unsichtbares Zeichen strömten so gleich die Männer des freien Grenzlandes, begleitet von einem wilden Gebrüll, hinter ihrem Landsmann hinterher durch Büsche und entlang mächtiger alter Bäume. Doch als die Männer an dem von ihnen ausgemachten Ort der Gefahr ankamen, mussten sie feststellen, dass der vermeintlichen Gefahrenquelle jegliche Gestalt fehlte. Sichtlich unzufrieden von dem Fehlen jeglicher Feinde, machten sich die Männer auf den Rückweg ins Lager. Nur Ian, Melcom und deren Söhne blieben zurück und suchten nun im leichten Nieselregen die Gegend in einem weiten Bogen ab. Und schließlich wurde Melcom ein Augenblick später fündig. Weiter südlich, etwa 50 Meter von ihrer Position, konnte Malcolm einen Weg ausmachen, der sich wie eine schwarze Schlange durch das Dickicht der Bäume schlängelte. Sichtlich überrascht von ihre Entdeckung, setzten Ian und Melcom einen Fuß vor den anderen und erreichten den Waldrand, an dem ein Weg grenzte.

«Wir sollten hier vorsichtig sein.», mahnte Melcom und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. «Ich habe das ungute Gefühl, dass wir beobachtet werden.», sagte dieser und umklammerte das Heft seines Schwertes noch fester.

Als Ian und Melcom nach einigen Minuten der Stille jedoch keine unmittelbare Gefahr ausmachen konnten, traten die beiden mit gezückten Schwertern aus dem Dickicht der Bäume hervor.

Zu ihrem Erstaunen mussten die beiden feststellen, dass es sich bei diesem Weg nicht nur um einen Pfad handelte sondern um eine provisorische Straße, die an ausgewählten Stellen mit Steinen befestigt wurde.

«Was zum Teufel wollen die Chiks mit einer Straße?», wandte sich schließlich Melcom Ian zu. «Ich dachte, die leben als Nomaden!»

«Gute Frage!», antwortete Ian schließlich, nicht wissend, was er von dem Fund halten sollte. «Aber ich habe das Gefühl, dass wir es schon bald herausfinden werden.»

Nach dem Melcom und Ian sich einen ersten Überblick verschafft hatten, kehrten sie zu ihren Gefährten zurück und erstatteten dem Hauptmann und allen Anwesenden Bericht.

«Wo führt der Weg hin?», richtete einer der Nordmänner das Wort an den Gefangenen.

«An euer Ziel.»

Sichtlich erstaunt von ihrer Entdeckung, wandte sich die Prozession ohne noch mehr Zeit zu verlieren dem Weg zu.

Als schließlich die Straße von allen begutachtet wurde und der Gefangene ihnen den Weg in nördlicher Richtung wiss, stiegen alle auf ihre Pferde. Obwohl dieser Entschluss die Gefahr mit sich brachte, schneller entdeckt zu werden, führte dieser anderseits dazu, dass die Männer Mut und Hoffnung schöpften. Und das war vorerst das Wichtigste, dachte sich Ian und führte sein Pferd den Weg entlang gen Norden.

Der Weg führte die Männer entlang verschiedener Lichtungen, an Berghängen und Flüssen vorbei. Mit der Zeit ließ auch der Regen nach und die ersten Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch die Wolkendecke banden, stieg die Stimmung unter den Männern. Als die Sonne schließlich im Osten langsam aber sicher hinter den Bergkuppen unterging, sehnten sich Roß und Reiter nach Ruhe und einem warmen Lagerfeuer. Und zum Glück aller fanden sie schließlich auch abseits des Weges eine Felsgrotte, in der sie ihr Nachtlager aufschlagen konnten.

Jamie war von dem Verlauf der Verfolgung und insbesondere von den Strapazen, die die Reise mit sich brachte, mehr als bedient. Zugegeben, er war traurig und wütend, auf das, was ihm und seiner Familie widerfahren war. Aber er kam nicht umhin einen Funken der Freude zu verspüren über das Geschehene. Denn nun endlich konnte er ein Abenteuer erleben. Eines von diesen, von denen er in so vielen Geschichten gehört hatte. Doch als er nun bis auf die Knochen erfroren, nackt in eine Pferdedecke gehüllt am Feuer saß und seinen Becher mit heißem Wasser umklammerte wie einen Schatz, verfluchte er sich für sein albernes Verlangen nach Abenteuer und wünschte sich nur noch nach Hause. Denn in all den Abenteuergeschichten, von denen er gehört hatte, waren mit keinem Wort die Kälte, die Erschöpfung, die Schmerzen und der Hunger, der ihn mittlerweile plagte, erwähnt bzw. so unbarmherzig real.

Während sich die Nacht schweigend über die Prozession legte, stand am oberen Rand einer Klippe eine Gestalt im Schatten eines Felsens gehüllt.

«Alles läuft nach Plan!», sagte die Gestalt zu einem anderen Schatten rechts von ihr.

«Gut.», erwiderte dieser schließlich und ließ seinen Blick auf dem Lager der Männer ruhen.

Am Morgen setzte die Prozession ihre Verfolgung fort. Obwohl die meisten die Nacht genutzt hatten, um möglichst viel Schlaf zu holen, steckten die Strapazen der Reise vielen Männern noch in den Knochen. Selbst den erfahrenen arkanischen Soldaten konnte man ansehen, dass die vergangenen Tage nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen waren.

«Wie weit ist es noch?», wandte schließlich der Hauptmann das Wort an den Gefangenen, als dieser ihm ein Stück Brot und etwas Wasser reichte. Als der Gefangene dem Hauptmann eine Antwort schuldig blieb und diesen stattdessen finster ins Gesicht blickte, fuhr der Hauptmann fort. «Ich weiß, das alles hätte nicht passieren dürfen. Auch ich habe mir nicht so eine Zukunft für mein Volk gewünscht und ich nehme an, dass auch du dir nicht so eine Zukunft für dein Volk wünscht, in dem Krieg und Elend allgegenwärtig sind. Ich weiß, du bist noch jung. Du denkst, dass der Krieg etwas Ehrenhaftes ist. Aber glaub mir. Dem ist nicht so.»

 

Die Wörter des Hauptmanns ließen den jungen Gefangenen kalt. Doch als der Hauptmann Anstalten machte, sich seinen Männern zu zuwenden, erwiderte der Gefangene: «Wenn ihr dem Weg folgt, dann seid ihr heute Abend an eurem Bestimmungsort.»

«Wir sollten dem Jungen nicht trauen. Ich wette, er lockt uns direkt in eine Falle. Hauptmann, ich flehe sie an. Lassen Sie Vernunft walten. Wir sollten den König um Hilfe bitten und mit der Schlagkraft der arkanischen Armee in dieses Land zurückkehren und die Chiks das Fürchten lehren.», sagte der arkanische Abgesandte an den Hauptmann gerichtet, als dieser sich grade von dem Gefangenen abwenden wollte.

«Glauben Sie mir. Auch ich habe bei der ganzen Angelegenheit kein gutes Gefühl. Aber bei der Vorstellung den Norden in einen Konflikt zu stürzen, der im Grunde nichts als Leid mit sich bringt, bin ich bereit alles Menschenmögliche zu versuchen. Und so lange es jemanden gibt, der aufsteht und sich für den Frieden einsetzt, gibt es noch Hoffnung.», sagte der Hauptmann und legte freundschaftlich einen Arm auf die Schulter des Heerführers.

Als sich der Hauptmann nach einem Moment von dem Heerführer abwandte und sich mehrere Schritte von diesem entfernt hatte, wandte sich dieser dem Gefangenen zu. «Ich weiß nicht, was du und deines gleichen vorhabt. Aber sei dir gesagt. Ich werde es zu verhindern wissen!»

Entgegen aller Befürchtungen verlief die weitere Reise entlang des Weges ohne jegliche Zwischenfälle. Als schließlich der Wald ein Ende nahm und die Spuren auf eine steile Ebene führten, erblickten die Späher in einigen Kilometern Entfernung ein breites Bergmassiv. Und der Weg schien genau darauf zu weisen. Während des Tages und bis hin zum Abend brannte die Sonne mit voller Stärke auf die Prozession. Die nah gelegene Sumpflandschaft, die sich unweit des Weges erstreckte, sorgte dafür, dass ein steter Strom an Ungeziefer die Männer heimsuchte. Erst als sich der Tag seinem Ende neigte und die Sonne den Bergmassiv im Westen streifte, wandte sich ihr Weg von den Sümpfen und den Plagegeistern. Und dann, als sich eine weitere Anhöhe unweit des Bergmassivs nährte, wurden sie von zwei ihrer Kundschafter gestoppt. Langsam stiegen Ian, Melcom, der Hauptmann sowie der Abgesandte von ihren Pferden ab, gaben die Zügel an einige wenige Männer ab, die bei den Pferden zurückblieben und krochen zum höchsten Punkt der Anhöhe. Ian warf einen Blick über das Tal des alten Volkes und auf den mächtigen Berg zu seiner rechten Seite. Entgegen Ians Erwartungen erstreckte sich vor seinen Augen kein Meer aus Nomadenzelten sondern ein friedliches Tal ohne eine Spur von menschlichem Leben. Es wäre nahezu ein paradiesischer Ort, so schoss es durch Ians Gedanken, wäre da nicht eine alte massive Festung, die sich an den Bergrücken eines gewaltigen Berges schmiegte. Zugegeben. Die Festung hatte schon bessere Zeiten gesehen. Aber die Form und die Ausmaße der Festung zeugten von einer weitentwickelten Baukunst. Doch Ians Interesse an der Baukunst war zweitrangig. Vielmehr interessierte sich dieser für die Lichter der Fackeln und den wenigen Gestalten, die man aus der Ferne an der Festungsbrüstung erkennen konnte.

«Was zum Teufel haben die Chiks hier vor?», durchbrach eine Stimme die Stille der Nacht. Auf die Frage hin brach ein Getuschel unter den Männern aus. Doch Ian vermied es, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Sich der landschaftlichen Gegebenheiten schließlich bewusst, zog sich Ian von der Anhöhe zurück und ging zurück zu Jamie und den Pferden.

«Ich schlage vor, wir warten bis sich die Nacht komplett über das Tal gelegt hat. Anschließend schleichen wir uns von links, im Schatten der Anhöhe, in das Tal hinunter. Dann folgen wir dem Flusslauf zu dem angrenzenden Wald und schleichen uns im Dickicht der Bäume so nah wie möglich an die Festung. Von da aus haben wir den besten Blick auf die alte Festung und können uns auch einen besseren Überblick über unsere Gegner verschaffen.», beendete Ian die Schilderung seines Plans für die Nacht, der Reihe nach Melcom, dann den Hauptmann und schließlich den Abgesandten mit seinem Blick fixierend.

«Vielleicht sollten wir in Betracht ziehen, die Gunst der Stunde zu nutzen und mit den Chiks in Verhandlung treten.», nahm der Hauptmann das Zepter in die Hand. «Ich weiß Ian, die Zeit, die du grade durchlebst ist von Sorge und Angst um deine Familie geprägt. Aber hier, an diesem Ort haben wir vielleicht die Möglichkeit eine friedliche Einigung zu erzielen. Lass mich mit zwei meiner Männer in die Festung reiten und versuchen den Kriegsfunken im Keim zu ersticken, bevor daraus ein Brandherd entsteht, der den ganzen Norden verwüstet.»

«Und das Leben meiner Frau und meiner Töchter aufs Spiel setzen? Nein!», erwiderte Ian hastig, den Unmut über den Vorschlag in Worte packend. «Wir sind hier mitten im feindlichen Land. Umgeben von was weiß ich wie vielen Chiks. Unser einziger Vorteil liegt in dem Überraschungsmoment.»

«Ich pflichte Ian bei.», schaltete sich der arkanische Heerführer ein, noch bevor der Hauptmann die Gelegenheit hatte etwas zu erwidern. «Ich weiß! Es sind eure Männer und euer Land. Aber ich bin lange genug Soldat, um den Vorteil eines Überraschungsangriffs nicht zu unterschätzen. Immerhin müssen wir eins bedenken. Wir sind nicht ganz fünfzig Mann und da drin könnten gut einhundert bewaffnete Männer sein. Wenn wir jetzt unseren Vorteil leichtfertig verlieren, haben wir nichts mehr in der Hinterhand. Wir sollten also den Moment nutzen. Anschließend, wenn wir in der Festung sind und die Lage unter unserer Kontrolle gebracht haben, können wir immer noch verhandeln!»

Die Worte des arkanischen Abgesandten sorgten unter den Männern für Gemurmel.

«Ian....», versuchte es der Hauptmann noch einmal, seine Niederlage nicht gewillt so einfach hinzunehmen. Doch wurde so gleich von diesem unterbrochen.

«Nein!», erwiderte Ian mit fester Stimme. «Hörzu! Sobald ich meine Frau und meine Kinder habe, kannst du soviel verhandeln wie du möchtest. Jetzt aber will ich nur meine Familie retten.», sagte dieser, drehte dem Hauptmann den Rücken zu und ging auf Melcom zu. Daraufhin befahl der Abgesandte seinen Männern sich bereit zu machen für den bevorstehenden Kampf.

Damit war die Unterredung definitiv beendet. Ein letztes Mal warf der Hauptmann einen Blick auf die Festung in die Ferne und hoffte, dass ihm der eine Gott bei diesem Unterfangen zur Seite stehen würde.

Die letzten Stunden bis zur vollkommenen Dämmerung waren geprägt von Anspannung auf den Kampf und den Vorbereitungen auf die kommende Befreiung. Vor allem Jamie war die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Ian versuchte erst gar nicht auf seinen Sohn einzureden. Denn er selbst wusste nur zu gut, dass es in solchen Momenten nichts gab, was man sagen konnte, um einen auf das vorzubereiten, was nun in Kürze stattfinden würde. Alles was Ian nur noch machen konnte, war im entscheidenden Moment an der Seite seines Sohnes zu stehen, diesem zu helfen und vor überheblichen Aktion zu bewahren.

Als schließlich die Zeit zum Aufbruch kam, erwachte der Trupp wie aus einer Trance und sammelte sich zu einem Haufen ruheloser Gestalten, die voller Anspannung in die Dunkelheit blickten.

Jene, die schon eine bewaffnete Auseinandersetzung miterlebt hatten, wussten was nun auf sie zukommen würde. Die Übelkeit und das Erbrechen würden bald von dem Urinieren in die eigene Hose zum Bild der Prozession gehören. Erfahrene Kämpfer waren mit den Begleiterscheinungen in solchen Situationen vertraut, aber jene, die es nicht waren, mussten eine andere Seite des Heldentums an ihrer eigenen Haut erleben.

Im Schatten der Dunkelheit schritt einer nach dem anderen ins Tal hinunter. Ständig darauf bedacht, durch keine unbedachte Bewegung den Überraschungsmoment zu verlieren und somit seinen Gegner zu warnen, kam der Trupp nur langsam voran. Als sie schließlich die Ebene hinter sich gelassen hatten, tauchte der Trupp im Schutz der Bäume unter. Wie Schatten huschten die Gestalten zwischen Bäumen und Büschen durch das Unterholz, bis sie unweit der Mauern im Schutz der Bäume zum Stehen kamen. Von hier unten mussten die Männer feststellen, dass die Festung weit aus größer war als es von der Anhöhe zu erkennen war. Obwohl die Festung auf den ersten Blick einen soliden Eindruck machte, konnte man aus der Nähe deutlich erkennen, dass diese über die Jahre hin dem Verfall preisgegeben war. Zu seiner Überraschung mussten Ian und der Hauptmann feststellen, dass die Chiks offensichtlich kein großes Interesse hatten, die Festung instand zu halten bzw. die notdürftigen Reparaturen zu erledigen. Dem äußeren Betrachter erschien es, als ob die Chiks eher daran interessiert waren, etwas in der Festung gefangen zu halten, als die Festung für eine Belagerung auszustatten. Zu dem ganzen Bild passte schließlich die Tatsache, dass die Chiks nur wenige Wachen auf ihren Wehrmauern aufgestellt hatten.

«Und wie geht es weiter Ian?», richtete der Hauptmann das Wort an diesen.

«Wir müssen eine Stelle finden, an der wir die Wehrmauer erklimmen können ohne gesehen zu werden. Erst wenn wir die Wehrmauer erklommen haben, können wir uns von dem Zustand der Festung im Inneren ein Bild machen und vielleicht so einschätzen, mit wie vielen potentiellen Gegnern wir es zu tun haben und wo die Gefangenen festgehalten werden. Von unserer jetzigen Position können wir nicht viel mehr machen.»

Im selben Moment in dem Ian seinen Satz zu Ende gesprochen hatte, tauchte der Abgesandte zu Ians Linken auf, kniete sich nieder und begann zu sprechen: «Einer meiner Späher hat auf der linken Mauerseite, an der sich die Mauer an den Fels anschließt, eine geeignete Stelle gefunden, um in die Festung einzudringen. Ich weiß…», fuhr der Heerführer an den Hauptmann gerichtet fort, «es ist euer Land und eure Regeln. Dennoch würde ich empfehlen, meine Männer als erstes über die Mauer klettern zu lassen, um sich dem Feind zu stellen. Meine Männer sind erfahrener und deutlich geübter. Eure Männer hingegen kann man aus 100 Meter Entfernung hören und riechen».

Ian hat ebenfalls den feinen Geruch von Urin und Erbrochenen bereits wahrgenommen. Die Anspannung und das zusätzliche Adrenalin hatten dafür gesorgt, dass bei einigen die Körperbeherrschung stark gelitten hatte. Der mangelnden Erfahrung seiner Leute bewusst, willigte schließlich Ian dem Vorschlag des Abgesandten ein.

Und so verließ einer nach dem anderen langsam und ohne Hast, seine Position im Schutz der Bäume und setzte seinen Weg hinter den arkanischen Soldaten fort, zu der Stelle an der die Wehrmauer erklimmt werden sollte. Zurückblieb nur der Gefangene mit verbundenen Mund und Händen, der Viehbaron sowie zwei Männer aus dem Norden, dessen Duftnote mehr aussagekräftig war als es im Moment gut war.

«Wie lautet euer Befehl?», fragte der Schatten zu Alkos linken Seite. Alko stand im Schatten eines Baumes, den Blick auf seinen Sohn gerichtet. Sie alle hatten lange auf diesen Moment hin gearbeitet und alles bis ins Detail geplant. Er war sogar bereit seinen Sohn zu opfern. Und nun, letztendlich fügte sich alles wie ein Puzzle zusammen. Unweit von seiner Position betrachtete Alko wie sich die kleine Prozession in Bewegung setzte. Er sah auch, dass sein Sohn in Begleitung einiger weniger zurückblieb. Perfekt! Das Glück war ihm hold. Die Zeit zum Angriff stand kurz bevor. Aber noch war sie nicht gekommen.

«Halte die Männer bereit. Sie sollen als erstes meinen Sohn befreien. Wartet aber auf das Zeichen.», sagte Alko gewohnt selbstsicher. Daraufhin verließ der Schatten sein gegenüber und verschwand im Dickicht der Bäume.

Der arkanische Fährtensucher deutete mit ausgestreckter Hand auf die Stelle zwischen der Mauer und den Klippen. Im Dunkel der Wand deutete sich ein Riss in dem Mauerwerk an, den man mit etwas Geschick leicht dazu nutzen konnte, um die Wehrmauer zu erklimmen. Ohne viel Zeit zu verlieren, machte sich so gleich die erste Gruppe der arkanische Soldaten auf den Weg zu dem Riss in der Wand, während der Rest der Gruppe die Wachen auf der Wehrmauer im Blick behielt. Sobald der erste Stoßtrupp im Schatten der Mauer untergetaucht war, setzte sich der nächste Trupp in Bewegung.

Ian wartete in Begleitung von Jamie, Melcom, Brutus und Martok ungeduldig im Schutz eines Busches bis sie endlich an der Reihe waren. Gespannt verfolgten sie, wie sich die arkanischen Soldaten schattengleich über die Wehrmauer machten und einen Chik Krieger nach dem anderen auf der Mauer leise töteten. Als schließlich Ians Gruppe an der Reihe war, sprang Jamie das Herz vor Aufregung fast in die Hose. Er zitterte am ganzen Körper und nur mit Mühe gelang es ihm seinen Mageninhalt in sich zu behalten. An dem Riss angekommen, kletterte Ian gefolgt von Jamie, Melcom, Brutus und Martok die Mauer empor. Gerade als Jamie sich dran machte, den letzten Absatz zur Wehrmauer zu erklimmen, starrte ihn plötzlich eine leere Fratze mit weit aufgerissenen Augen an. Jamie gelang es im letzten Moment einen Schrei zu unterdrücken. Nach einem Moment der Starre beobachtete Jamie wie sein Vater den toten Chik an seinen Kleidern packte und ihn zu Seite schob, weg von Jamie.

 

«Geht es dir gut mein Sohn?», fragte Ian nach, der Jamies Gesichtsausdruck bemerkte und reichte ihm seine Hand zu Hilfe.

«Ja.», erwiderte Jamie, wohl wissend, dass er sich und seinem Vater was vorlog. Nahm jedoch dessen Hand und setzte im nächsten Augenblick seinen Fuß auf die Wehrmauer.

Als ihre beiden Begleiter ebenfalls die Mauer erklommen hatten, packte Ian im nächsten Augenblick seinen Sohn an der Schulter und zog ihn langsam in den Schatten der Wehrmauer. Das Innere der Wehranlage spiegelte das gleiche Bildnis wie die Außenmauer wider. Die einst gewaltige Festung hatte bereits kräftig unter dem Zahn der Zeit gelitten. Eingestürzte Mauern hier und zerfallene Dächer dort. Sicherlich, es gab auch vereinzelt ein paar Häuser, die hier und da notdürftig repariert wurden waren. Aber das alles ließ nicht darüber hinweg täuschen, dass die einst mächtige Festung nichts anderes war als eine Ruine.

Während Jamie damit beschäftigt war die Angst und den Adrenalinschub, die wie zwei gewaltige Kräfte an ihm zerrten, unter Kontrolle zu halten, hielt Ian Ausschau nach den arkanischen Soldaten sowie potentiellen Gegnern. Schon nach wenigen Augenblicken konnte Ian erkennen, dass die arkanischen Soldaten die meisten Wachleute auf der Mauer bereits niedergestreckt hatten und sich nun an die zwei Wehrtürme machten. Ian seinerseits beschloss sein Augenmerk auf das Innere der Anlage zu richten, wo er nach den Überlebenden suchen konnte. Schnellen Schrittes machten sich Ian gefolgt von den Männern des freien Grenzlandes daran die Treppe der Wehrmauer herunterzusteigen und sich wie eine Lawine über das Innere der Festung zu machen. Auf seinen Weg zwischen den Häusern konnte Ian vereinzelt schnarchende Geräusche von Männern wahrnehmen. In geduckter Haltung, gefolgt von Melcom und ihren Söhnen bog Ian um die Ecke eines Steinhauses. Zu seinem Schrecken musste er jedoch feststellen, dass er sich plötzlich gegenüber zwei Chiks befand, die ihrerseits überrascht Ian und sein Gefolge betrachteten.

Ian erwachte als erster aus der Starre und jagte seinen Dolch einem der Männer in die Kehle, noch bevor dieser einen Laut von sich geben konnte, während der andere im nächsten Augenblick von einem Pfeil, der sich durch seinen Mund hindurch gebohrt hatte, niedergestreckt wurde. Sichtlich überrascht von den plötzlichen Geschehnissen versuchte Jamie das Gesehene zu verarbeiten. Als er sich nach dem Ursprung des Geschoßes umschaute, konnte dieser aus den Augenwinkel erkennen, wie ein arkanischer Soldat mit einem Bogen in der rechten Hand auf der Wehrmauer stand und nach möglichen Zielen Ausschau hielt.

«Schnell, wir müssen die Leichen zu Seite schaffen!», flüsterte Ian, packte einen Toten unter die Arme und zog ihn in die Dunkelheit einer Hausecke. Im nächsten Augenblick zog Melcom an Jamie und forderte diesen auf ihm zu helfen, den zweiten Körper in Schutz der Dunkelheit zu tragen.

Nach diesem kurzen Zwischenfall setzten die fünf Gestalten ihren Weg fort, der von einzelnen Seufzern Sterbender sowie dem dumpfen Geräusch von Körpern, die gerade irgendwo auf den harten Boden aufschlugen, begleitet wurde. Ian musste feststellen, dass die Soldaten des Heerführers sehr zielorientiert und gnadenlos vorgingen. Selbst, wenn ein Gegner auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte, tauchte nach wenigen Augenblicken aus dem Schatten ein arkanischer Soldat auf und bohrte diesem einen Dolch ins Herz.

Ian führte seinen kleinen Trupp weiter unerbittlich durch die Häuserreihen, als plötzlich unweit von seiner Position, die Tür von dem Wehrturm aufflog und ein junger Krieger blutüberströmt mit einem Schrei zu Boden ging. Für einen Augenblick hoffte Ian, dass der Schrei ungehört blieb. Doch im nächsten Augenblick konnte er feststellen, dass dem nicht so war. So gleich trieb Ian seine Gruppe zu einem Eingang eines Hauses, aus dem plötzlich mehrere Geräusche zu vernehmen waren. Schnell positionierte sich Ian und Jamie links von der Tür und Melcom und sein Söhne rechts davon. Als schließlich im nächsten Augenblick die Tür aufging, rammte Ian dem ersten heraustretenden Mann seinen Dolch in den Magen und zog ihn hinter sich. Sofort erschien eine weitere Gestalt in der Tür und versuchte seinem Kameraden zu Hilfe zu eilen. Aber dieser kam nicht weit, denn diesmal war es Jamie, der von der Seite sein Kurzschwert in den Rücken seines Gegners bohrte. Überrascht von dem Angriff fiel dieser tödlich verletzt zu Boden. Im letzten verzweifelten Versuch sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen, wandte sich der Sterbende schließlich Jamie zu und blickte diesen mit großen Augen an. Während Jamie wie geband dastand und seinen Blick von dem Sterbenden nicht abwenden konnte, ertönte aus einem anderen Teil der Festung plötzlich Kampfgetümmel. Von einem Augenblick auf den anderen schien plötzlich die ganze Luft zu brennen. Und dann tauchten plötzlich weitere Gegner aus dem Hinterhalt auf und verwickelten seine Gefährten in einen Kampf. Als Ian und seine Mitstreiter schließlich ihre Gegner überwältigt hatten, packte Ian den immer noch auf den Toten starrenden Jamie am Kragen und zog ihn mit sich in Richtung des nächsten Kampfgetümmels, um ihren Kameraden beizustehen. Mit Erleichterung musste Ian jedoch feststellen, dass mehrere arkanische Soldaten gerade dabei waren, ihre Gegner in die Knie zu zwingen.

«Ian.», ertönte die Stimme des Abgesandten, der gerade den kleinen Trupp entdeckte. «Wir haben den größten Teil der Festung unter unsere Gewalt gebracht. Nimm deine Männer und mach dich auf den Weg zum hinteren Teil der Festung. Einer meiner Männer hat mich darauf hingewiesen, dass dort ein guter Ort wäre, um jemanden gefangen zu halten. Geh! Ich und meine Männer kümmern uns um die verbliebenen Chiks.», sagte dieser und wandte sich so gleich seinen Untergebenen wieder zu. Als sich Ian und seine Männer auf den Weg zu dem hinteren Teil der Burg machten, schaute der Abgesandte diesen hinterher und betete, dass sich alles doch noch zum Guten wendete.

Gefolgt von seinen Landsleuten lief Ian die engen Wege zwischen den Häusern zu dem hinteren Teil der Festung. Dort angekommen, erblickte er und sein Gefolge ein mächtiges Tor, welches in den Felsen des Bergmassivs hineingeschlagen wurde. Gekrönt wurde die massive Erscheinung von einem Drachenschädel, der sich im blassen Mondlicht von dem Felsen abzeichnete. Auf der massiven Tür konnte Ian Abbildungen von Spitzhacken und Schaufeln erkennen. Vorsichtig traten die Männer an das gewaltige Tor heran, ihre Waffen kampfbereit in den Händen haltend. Als diese jedoch nach wenigen Minuten der Stille keine Geräusche hinter der Tür wahrnehmen konnten, schob Ian zusammen mit Melcom das schwere Tor zur Seite und blickte in das dunkle Innere hinein. Geschwind machte Jamie zusammen mit Martok zwei Fackeln an und dann gesellten sie sich zu ihren Vätern. Gemeinsam schritten sie anschließend durch das Tor in eine gewaltige Höhle. Das Innere wirkte noch imposanter als das Tor. Überall konnte die kleine Truppe Figuren, Säulen und andere Verzierungen an den Wänden erkennen, die vor sehr langer Zeit in den Fels geschlagen wurden. Während sie langsam in das Innere der Halle vordrangen, wurden sie auf ein Geräusch im hinteren Bereich der Höhle aufmerksam. Mit gezogenen Schwertern bereit sich der Gefahr zu stellen, machten sich die Männer auf den Weg den Ursprung des Geräusches zu ergründen.

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