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Kapitel 2: Die Jagd beginnt

Die Sonne ging gerade hinter den Bergen auf, als Ian auf seinem alteingesessenen Platz auf dem Stumpf hinter dem Haus Platz nahm und seinen Blick über die Landschaft gleiten ließ. Die frische Brise ließ sein bereits grau werdendes Haar im Wind langsam hin und her schwingen. Während Ian auf seinem Stumpf saß und in die ferne blickte, nahm er nicht wahr, wie plötzlich Melcom neben ihm zum Stehen kam. «Deine Sinne lassen nach, mein alter Freund.», begrüßte Melcom Ian.

Sich dem Wahrheitsgehalt der eben gesprochenen Worte mehr bewusst, als Ian es lieb war, stand dieser langsam auf und wendete sich seinem Freund zu, legte seine Hand auf dessen Schulter und führte ihn langsam zum Eingangsbereich seines Hauses, wo ihn seine Frau mit den Kindern und den Pferden bereits erwarteten.

«Ich habe dir noch etwas von dem Kuchen eingepackt.», sagte Freya, als ihr Mann sie in seine Arme schloß.

«Mach dir keine Sorgen. Uns wird schon nichts geschehen. Außerdem sind wir in drei höchstens vier Tagen zurück. Danach haben wir genug Vorräte, um über den Winter zu kommen.»

«Ja.», erwiderte Freya schwach und drückte Ian einen letzten Kuss auf die Lippen. Anschließend wendete sich Ian seinen Töchtern zu und verabschiedete sich von diesen.

«Und denkt daran:», richtete Ian schließlich noch einmal das Wort an seine älteste Tochter, während er auf seinem Pferd saß. «Erst schießen und dann Fragen stellen!»

Sich eines Lächelns auf den Lippen seiner Frau bewusst, lenkte Ian schließlich das Pferd gen Norden und ritt im leichten Galopp davon.

Die erste Etappe der Reise verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle, so dass die Jagdgesellschaft ein gutes Stück des Weges hinter sich bringen konnte. Als die Mittagszeit anbrach und die Sonne auf Roß und Reiter niederbrannte, beschlossen Melcom und Ian eine Pause an einem kleinen Flusslauf einzulegen.

«Ein, zwei junge Hirsche und ein paar Hasen wären schon eine schöne Ausbeute.»

«Das ist wohl wahr.», entgegnete Ian. «Die Felle kann ich ganz gut gebrauchen. Jetzt, wo der Winter naht, braucht meine älteste Tochter einen neuen Umhang.»

«Man hat es nicht leicht mit so vielen Frauen in einem Haus. Vielleicht solltest du überlegen, den Anteil in deinem Haus zu verkleinern. Ich denke, dass würde dein Leben einfacher machen.»

«Falls du mir deinen Sohn schmackhaft machen möchtest, dann kann ich dir nur eins sagen: Vergiss es.», erwiderte Ian selbstsicher.

«Mein Sohn ist ein guter Mann.», setzte Melcom von neuen an. «Oder bist du der Meinung, dass mein Sohn nicht gut genug für deine Tochter ist?»

«Nein. Nein.», antwortete Ian besänftigend, seinen Blick auf seinen Sohn und Melcoms Sohn Brutus gerichtet, während die beiden die Pferde versorgten. «Ich halte Martok für einen ehrenwerten Mann. Es ist nur so, ich habe meiner Tochter versprochen, dass sie sich ihren Mann selbst aussuchen kann.»

«Ha.», lachte Jamie plötzlich auf. «Ich weiß nicht, wen du hier zum Narren halten möchtest. Aber uns kannst du deine Eseleien nicht an die Nase binden. Wir wissen alle, dass die beiden mehr füreinander empfinden als nur freundschaftliche Gefühle. Aber vielleicht solltest du mal zur Abwechslung den Mut aufbringen und zugeben, dass du nicht einfach loslassen kannst.»

Nach den Worten von Jamie blickte Ian verärgert zu seinem Sohn herüber. Doch anstatt auf das Gesagte einzugehen, wendete sich Ian von seinem Sohn ab und richtete seine Aufmerksamkeit dem Mittagsmahl zu.

Eine halbe Stunde später saß die kleine Schar wieder fest im Sattel und machte sich daran ihrem Bestimmungort entgegen zu reiten.

«Jamie. Ist alles in Ordnung bei dir?», richtete Ian das Wort an seinen Sohn, als dieser plötzlich stehen blieb und sein Pferd in die Richtung lenkte, aus der sie vor wenigen Augenblicken gekommen waren.

«Hörst du das nicht?», fragte Jamie, seine Augen auf den Horizont gerichtet.

Von einem seltsamen Gefühl getrieben, richtete Ian seine Augen auf den Horizont. Doch beim besten Willen. Ian konnte weder ein Geräusch wahrnehmen noch eine ungewöhnliche Bewegung in der Ferne ausmachen.

«Ist bestimmt nur ein wildes Tier.», schaltete sich Brutus ein, seinen Blick ebenfalls auf den Horizont gerichtet.

«Nein!», widersprach Jamie, sichtlich bemüht die Quelle des Geräusches am Horizont auszumachen.

«Kommt! Wir müssen weiter.», sagte Ian in die Runde, gerade gewillt sein Pferd gen Norden zu lenken, als er selbst ein schwaches Geräusch aus dem Süden wahrnahm.

«Ist das nicht ein…», begann Melcom, wurde aber von Jamie mitten im Satz unterbrochen.

«Ein Jagdhorn!»

Neugierig und zugleich verunsichert, versuchte die Jagdgesellschaft den Ursprung des Jagdhorns in der Ferne auszumachen. Und da, plötzlich und wie aus dem Nichts, tauchte eine Gestalt weit am Horizont auf, richtete sich im Sattel auf und blies erneut in das Jagdhorn.

«Da stimmt was nicht.», warf Jamie in die Runde und gab im nächsten Moment seinem Pferd die Sporen. Gefolgt von seinem Vater und seinen Begleitern ritt Jamie dem Reiter entgegen.

Als der Reiter jedoch Anstalten machte, sich nach Osten zu wenden, weg von Jamie und seinen Begleitern, holte Jamie sein Jagdhorn heraus und blies so kräftig er konnte in dieses hinein. Es dauerte nur wenige Augenblicke bis der Reiter schließlich das Geräusch des Jagdhorns wahrnahm und es den Reitern zuordnen konnte, die gradewegs auf ihn zu galoppierten. Augenblicklich wendete dieser sein Pferd und ritt den Neuankömmlingen entgegen. Im vollen Galopp trieb der Reiter sein Pferd an und ließ es erst halt machen, als er nur noch wenige Armeslängen von Jamie und seinen Begleitern entfernt war.

«Sean, was machst du denn hier?», begrüßte Ian den ältesten Sohn des Hauptmanns, das ungute Gefühl in sich verstärkt spürend.

Sichtlich von dem Ritt erschöpft und von dem Blasen des Jagdhorns nach Luft schnappend, versuchte Sean einen vernünftigen Satz herauszubringen. Als ein schier unendlicher Augenblick schließlich sich dem Ende zu neigte, brach es aus Sean heraus.

«Die Chiks. Sie haben im Morgengrauen mehrere Bauernhöfe angegriffen. Darunter auch das von dir Ian.», berichtete dieser.

«Meine Mutter, meine Schwestern?», platzte es aus Jamie heraus.

«Wir haben die Gegend abgesucht, aber keine Spur von ihnen entdeckt. Wir müssen annehmen, dass sie von den Chiks verschleppt wurden.»

Für einen Augenblick blieb die Welt für Ian stehen. Und als er sich gerade in der Fassungslosigkeit, in der er sich befand, zu verlieren drohte, keimte eine alte Wut in ihm auf.

Und noch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, gab Ian seinem Pferd die Sporen.

Sekunde um Sekunde. Minute um Minute. Stunde um Stunde, ritt Ian wie verbissen seinem Ziel entgegen, ohne auf irgendjemanden oder irgendetwas Acht zu geben. Vor seinen Augen tauchte immer wieder das Bild von seiner Frau und seinen Töchtern auf.

Er hatte seiner Frau versprochen, immer für sie und seine Kinder da zu sein und sie immer zu beschützen. Sie, seine Frau, war schließlich diejenige, die ihn damals aufgelesen hatte, als er ohne Sinn und Verstand durch die Gegend geritten und sich seiner Existenz nicht mehr bewusst war. Sie war auch diejenige, die ihm das Gefühl gab mehr zu sein, als das Monster, was er in sich sah.

Und nun war das, was sein Leben mit Sinn erfüllte hatte, plötzlich mit einem Handstreich wie weggefegt.

Die unmenschliche Kälte kroch langsam aus der Tiefe seiner Seele hervor und nahm Besitz von ihm. In seinem Kopf formten sich Bilder von Chiks mit all ihren Bälgen und all dem, was Ian in diesem Moment so an ihnen verachtete. In seinen Gedanken verloren, nach Rache lüsternd, wurde Ian erst spät bewusst, dass er nur noch wenige Augenblicke von seinem Gehöft entfernt war. Als schließlich Ian gefolgt von seinem Sohn über den letzten Hügel ritt, offenbarte sich ihnen das ganze Ausmaß der Zerstörung.

Von ihrem einstigen Zuhause waren nur noch Ruinen übrig. Überall auf dem Boden lagen tote Tiere verstreut. Und nur vereinzelt war das Blöken eines Schafes zu hören. Während Jamie von dem dargebotenen Anblick wie versteinert stehen blieb, sprang Ian vom Rücken seines Pferdes ab und suchte systematisch die Gegend und das Haus nach seiner Frau und seinen Töchtern ab. Doch als schließlich Ian sich mit der Realität endgültig konfrontiert sah, ließ er sich auf seine Knie fallen und begrub anschließend sein Gesicht im Boden. Sichtlich betäubt vom Schmerz, bemerkte Ian nicht einmal wie Jamie an das, was er und seine Familie einst ihr Zuhause nannten, herantrat und dem Gefühl der Trauer ebenfalls freien Lauf ließ. Auch bemerkte Ian nicht, wie Melcom an Jamie herantrat, seine Hand auf dessen Schulter legte und ein paar tröstende Worte an ihn richtete. Alles was Ian wahrnahm, war der Schmerz.

Und dann, von einem Moment auf den anderen, als der Schmerz seinen Zenit erreicht hatte, begann der Zorn Besitz von ihm zu ergreifen. Zuerst langsam und dann immer schneller. Wie von einer neuen Macht erfasst, schlug Ian zuerst nur einmal mit der Faust auf den Boden und dann immer wieder und wieder und wieder.

Als Jamie schließlich seinem Vater durch den Schleier der Trauer erblickte, schien alles woran er gewöhnt war, völlig aus den Fugen zu geraten.

Doch dann von einem Augenblick auf den anderen sprang Ian vom Boden auf und ging schnellen Schrittes auf die Überreste der Scheune zu. Nach einem Moment tauchte Ian mit einem Spaten in der Hand aus der Scheune auf und machte sich in Richtung der alten Weide auf. In einer bestimmten Entfernung blieb Ian stehen, fixierte für einen Moment die alte Weide, korrigierte noch einmal seine Position und begann anschließend zu graben. Während Ian sich seiner Aufgabe widmete, schreitete Melcom mit seinem Sohn das Gehöft von links nach rechts ab.

 

«Vater.», richtete Brutus plötzlich das Wort an Melcom und zeigte mit den Fingern auf eine Reiterschar in der Ferne.

Melcom trat einen Schritt vor, griff instinktiv nach dem Handlauf seines Schwertes, löste jedoch sogleich seinen Griff, als er von weitem die bullige Statur seines Sohnes Martok erkannte sowie den Hauptmann, dessen Gardisten, den Gefangenen und die Handvoll Freiwilliger.

Nach wenigen Augenblicken brachte der Hauptmann in Begleitung von Martok sein Pferd unweit von Melcom zum Stehen. In Begleitung von Brutus und Jamie trat Melcom an die Neuankömmlinge heran. Anerkennend blickte Malcolm zu Martok herüber und senkte leicht sein Haupt. Es war ein kluger Schachzug von Martok den Hauptmann hierher zu bringen. Denn sie werden jede Hilfe brauchen, die sie bekommen können.

«Wie geht es Ian?», richtete der Hauptmann sogleich das Wort an Melcom.

«Nicht gut. Er ist in sich gekehrt und für die Außenwelt nicht ansprechbar.»

«Wo ist er?»

«Dahinten, bei der alten Weide und schart ein Loch aus.»

«Er tut was?», hakte der Hauptmann verblüfft nach.

«Er schart ein Loch aus. Wieso, das weiß keiner.», antwortete Melcom.

Sichtlich verblüfft, stieg der Hauptmann von seinem Pferd ab und machte ein paar Schritte auf Ian zu. Besann sich jedoch im nächsten Augenblick eines Besseren und betrachtete Ians Treiben von weitem.

«Ich habe es euch gesagt!», kommentierte der Viehbaron das Geschehen, als er in Begleitung ein paar anderer Nordmänner sich der kleinen Gruppe um Jamie anschloß. «Verhandlungen mit diesen Wilden machen keinen Sinn. Schade um das viele Leid, das deine Familie über sich ergehen lassen muss, mein Junge. Wäre dein Vater jedoch nicht so stur gewesen und hätte sich für das Angebot ausgesprochen sowie all die anderen, dann wäre das ganze nicht geschehen.»

Sichtlich von den Worten des Viehbarons provoziert, machte Jamie zwei schnelle Schritte auf diesen zu, wurde jedoch im letzten Augenblick von Melcom aufgehalten.

Im gleichen Augenblick, in dem der Viehbaron ein triumphierendes Lächeln zum Vorschein brachte, tauchten zwei Reiter am Horizont auf.

«Seht!», rief Sean. «Es sind die Fährtensucher. Sie müssen eine Spur gefunden haben, sonst wären sie nicht so schnell wieder hier.»

Einen Moment später brachten die beiden Reiter unweit von Melcom und dem Hauptmann ihre Pferde zum Stehen. Sogleich sprang einer der Fährtensucher von seinem Pferd herunter und machte sich daran, dem Hauptmann Bericht zu erstatten.

«Mein Herr. Es ist wie immer. Die Spuren führen zum nächsten Fluss. Dort verlieren sich diese im Flussbett. Wir haben das Ufer links und rechts abgesucht. Sind dann eine Weile das Flussbett in nördlicher und südlicher Richtung entlanggeritten. Aber wir konnten keine Fährte ausmachen, der wir weiter folgen könnten.»

Im selben Moment, in dem der Fährtensucher seinen Bericht ablieferte, warf Ian seinen Spaten zu Seite und brachte eine von Erde verschmierte Kiste zutage. Auf Knien gebeugt, öffnete Ian schließlich die Kiste und brachte mehrere in Tücher umwickelte Gegenstände zum Vorschein. Zu guter Letzt zog Ian ein Feldharnisch aus der Kiste hervor und zog sich diesen gleich über. Obwohl Ian 20 Schritte von der kleinen Gruppe entfernt war, konnte jeder anhand des großen Symbols der goldenen Sonne mitten auf dem Brustkorb der Rüstung erkennen, dass es sich hier um ein Feldharnisch des arkanischen Königreiches handelte. Nachdem Ian den Harnisch angelegt und sein Schwert samt Schwertscheide umgeschnallt hatte, packte er das Kurzschwert aus dem Lacken aus, wendete sich von der Kiste ab und marschierte schnurstracks auf Jamie zu.

«Hier.», richtete Ian gefasst, aber umgeben von einer anderen Aura, das Wort an Jamie und reichte ihm das Kurzschwert. «Nun hast du dein großes Abenteuer, von dem du immer schon geträumt hast. Tränke die Pferde, gib ihnen Futter und mach dich bereit. Wir brechen in Kürze auf.». Als Jamie sich grade aufmachte Ians Befehl Folge zu leisten, legte Ian seinen Arm auf Jamies Schulter und sagte: «Es tut mir leid, Jamie. Alles was ich immer wollte, war Ruhe und im Kreise meiner Familie meinen Lebensabend erleben. Ich dachte immer, dass, wenn ich dich aus allem heraushalte, dann wirst du nicht dasselbe durchmachen müssen, wie ich und so viele andere jungen Männer vor dir. Aber das Leben hat es wohl anders mit uns gemeint. Ich möchte, dass du mich begleitest auf der Suche nach deiner Mutter und deinen Schwestern. Denn ich brauche dich. Allein schaffe ich das nicht. Der Weg, der vor uns liegt, wird nicht leicht sein. Und auch wenn die Chiks unsere Feinde sind. Wisse eines: Ein Leben zu nehmen, bedeutet einen Teil von sich selbst zu töten.»

«Du schickst mich also nicht weg?», erwiderte Jamie sichtlich erstaunt.

«Nein.», entgegnete Ian. «Auch wenn ich dich am allerliebsten in Sicherheit sehen würde, so weiß ich doch, dass du mir das niemals verzeihen würdest, wenn ich dich hier zurück lassen würde.»

Sichtlich zufrieden, endlich ein wenig Vertrauen von seinem Vater geschenkt bekommen zu haben, zog Jamie das Kurzschwert aus der Scheide und schwang es ein paar Mal in der Luft hin und her.

«Wenn du fertig bist, dann tu, was ich dir aufgetragen habe.», befahl Ian und wandte sich von Jamie ab. Anschließend machte er sich bereit, seine Aufmerksamkeit auf ein neues Ziel zu richten.

«Ian…», begann der Hauptmann sein Beileid auszusprechen, wurde aber gleich von Ians Handbewegung aufgehalten. Als Ian schnurstracks an dem Hauptmann vorbei gehen wollte, packte ihn dieser am Ärmel und hinderte ihn so am Weitergehen. «Was hast du jetzt vor?», fragte dieser schließlich.

«Mir meine Familie wiederholen. Was sonst?»

«Du weiß nicht, worauf du dich da einlässt.»

«Und was genau soll ich deiner Meinung nach sonst machen? Hm? Etwa mich hier hinsetzen und darauf warten, dass meine Frau und meine Töchter wie aus dem Nichts plötzlich vor mir auftauchen? Nein! Nein, mein Freund. Die Zeit, in der ich noch an Wunder geglaubt habe, ist längst vorbei. Reite du mit deiner Gesellschaft los und versuche zu verhandeln, was immer es noch zu verhandeln gibt. Ich gehe jetzt los und hol mir meine Familie wieder.», entgegnete Ian, schob sich am Hauptmann vorbei und setzte seinen Weg in Richtung der zwei Wachen und des Gefangenen fort.

«Du hast es doch selbst gehört.», versuchte es der Hauptmann von neuem: «Wir haben ihre Spur verloren. Du weißt doch nicht einmal, wo du anfangen sollst zu suchen.»

«Ich weiß es nicht. Aber er weiß es bestimmt.», erwiderte Ian ohne inne zu halten, seine Hand in Richtung des Gefangenen gestreckt.

«Ian, das ist sinnlos. Wir haben schon versucht mit ihm zu reden. Aber er sagt kein Wort.»

«Vielleicht habt ihr nur die falsche Sprache angewandt.», sagte Ian, ohne diesmal seinen Blick zu wenden.

«Halt! Stehen bleiben!», befahl einer der Soldaten des Hauptmanns und drückte Ian seine Hand gegen die Brust, als dieser zu nahe an den Gefangenen treten wollte. Doch noch bevor dieser wusste, wie ihm geschah, packte Ian dessen Hand, drehte sie um, so dass der Mann anfing vor Schmerz zu stöhnen, versetzte ihm einen Tritt in seinen Allerwertesten und brachte ihn zu Fall. Sofort zogen die Männer des Hauptmanns ihre Waffen und gingen in Verteidigungsstellung.

Daraufhin zog Ian sein Schwert aus der Scheide und blickte in die Gesichter der Soldaten. Für einen Moment schien die Situation geklärt zu sein. Allein gegen zehn schien Ians Kampf aussichtslos. Doch als Martok seine Barbarenstreitaxt zog und sich zu Ian gesellte, traten die Gardisten unwillkürlich einen Schritt zurück. Und dann, wie auf einen unausgesprochenen Befehl, zogen plötzlich Melcom gefolgt von Brutus und Jamie ihre Waffen und stellten sich ebenfalls neben Ian.

«Ian.», versuchte es der Hauptmann noch einmal mit Worten und stellte sich mit erhobenen Händen zwischen die beiden Parteien. Aber als dieser in Ians Augen blickte, erkannte er, dass es keinen Sinn machte auf Ian weiter einzureden und sparte sich die Worte. Gleichzeitig wurde ihm auch schmerzlich bewusst, als er seinen Blick vorbei an Ian über Melcom und dessen Söhne schweifen ließ, dass der Krieg, den er so beherzt versucht hatte aufzuhalten, schon längst in das freie Grenzland eingezogen war. Und mit Ian, hat der Krieg einen Protagonisten, den er brauchte, um einen Flächenbrand zu entfesseln.

«Hauptmann, sehen Sie.», erklang plötzlich die Stimme eines seiner Soldaten hinter ihm. «Da, der Abgesandte des arkanischen Königreiches und seine Reiter.»

Während alle umherstehenden Männer sich umdrehten und ihren Blick auf die Gruppe der Neuankömmlinge richteten, nutzte Ian die Gunst des Augenblicks und setzte unbehelligt seinen Weg zum Gefangenen fort. Die Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben, schritt Ian an den Soldaten vorbei und erreichte ohne Widerstand den Gefangenen. Ohne in seiner Bewegung inne zu halten, packte Ian den jungen Chik an seinen Kleidern, zog ihn vom Pferd herunter und warf ihn auf den Boden. Als dieser sich sichtlich vor Schmerzen auf dem Boden krümmte, ging Ian um den Gefangenen herum und zog dabei sein Jagdmesser aus der Scheide.

Verzweifelt blickte der Gefangene zu Ian hoch und versuchte sich so gleich auf dem Boden kriechend dem Zugriff von Ian zu entziehen.

«Halt ihn fest.», befahl Ian Melcom und nahm seinerseits ein umherliegendes Holzscheit und stellte ihn vor dem Gefangenen ab. «Leg seine rechte Hand auf dem Scheit!»

Melcom musste alle Kraft aufbringen, um die Hand des Gefangenen auf dem Scheit zu positionieren. Als schließlich die rechte Hand des jungen Kriegers auf dem Scheit lag, beugte sich Ian zu dem Chik hinunter und sagte: «Ihr Chiks interessiert mich ein Dreck. Ich will nur meine Frau und meine Kinder zurück. Jedes Mal, wenn ich dir eine Frage stelle und du mir nicht antwortest, oder mir etwas erwiderst, was mir nicht gefällt, dann schneide ich dir einen Finger ab. Hast du mich verstanden!», erklärte Ian ruhig und wie um seinen Worten Ausdruck zu verleihen, schnitt er plötzlich den kleinen Finger von der Hand des Gefangenen ab.

Der Schmerzensschrei des jungen Mannes durchbrach die Geräuschkulisse und nahm sie völlig ein. Während das Blut aus dem Finger floss und den Scheit rot färbte, warf der Gefangene Ian einen hasserfüllten Blick zu.

«Ich sehe. Jetzt habe ich deine Aufmerksamkeit.», fuhr Ian fort und beugte sich zu dem Gefangenen runter.

Im selben Moment, in dem Ian seine Aufmerksamkeit dem Gefangenen widmete, brachte der Abgesandte gefolgt von seiner Leibwache sein Pferd unweit von Ian und dem Hauptmann zum Stehen, stieg ab und wendete sich dem Geschehen zu.

«Hauptmann.», ertönte die Stimme des Abgesandten hinter Ian.

«Ian. Das ist nicht der Weg, den du beschreiten solltest.», versuchte es der Hauptmann noch einmal.

Doch Ian ließ sich von dem Gerede des Hauptmanns nicht beirren. «Wo ist meine Familie?», richtete Ian erneut das Wort an den Gefangenen, das Jagdmesser sichtbar vor dem Auge des Gefangenen haltend.

Als schließlich Ian das Gefühl hatte, wieder seinen Worten Nachdruck verleihen zu müssen und das Jagdmesser an den Ringfinger des Gefangenen ansetzte, brach es aus dem jungen Chikkrieger heraus.

«Sie… Sie sind auf dem Weg in das Tal des alten Volkes. Dort am Bergrücken des Mahos Gebirge befindet sich eine alte Festung. Sie werden dort hingebracht.»

«Das Tal des alten Volkes?», wiederholte Melcom, nicht wissend von welchem Ort der Chik sprach.

«Wo ist das Tal?», hakte Ian unerbittlich nach.

«Das ist ein Tal. Etwa zwei Tagesritte von hier entfernt.», erwiderte der Gefangene widerwillig, seinen Blick langsam durch die Runde gleitend.

«Hör mir gut zu.», riß Ian den Kopf des Gefangenen nach hinten, legte das Jagdmesser an die Kehle und sah diesem tief in die Augen. «Bei dem ersten Anzeichen von Verrat werde ich dir mein Jagdmesser in deine Kehle jagen. Also überleg dir gut, was du machst.», fuhr Ian fort, nahm das Jagdmesser von der Kehle des Gefangenen und wendete seine Aufmerksamkeit Jamie, Martok, Brutus und Melcom zu.

«Herr Hauptmann.», versuchte der Abgesandte von neuem auf sich aufmerksam zu machen, wendete jedoch nicht den Blick von dem Gefangenen ab.

«Ach, Abgesandter! Seien Sie gegrüßt.», begrüßte der Hauptmann den Arkanier.

«Ich muss zugeben, dass ich innerlich gehofft habe, dass wir uns bald wiedersehen. Aber nicht unter diesen Umständen und nicht so schnell.», entgegnete dieser und bemerkte wie im selben Moment sich seiner und Ians Blick begegneten. «Mein Beileid.», richtete sogleich der Abgesandte das Wort an Ian. «Wenn ich was für Sie tun kann, dann zögern Sie nicht, mir das mitzuteilen. Ich werde versuchen, Ihnen mit all den mir zur Verfügung stehenden Mittel zu helfen.», sagte dieser und richtete im selben Moment seinen Blick auf die goldene Sonne auf Ians Harnisch.

 

«Danke, aber ich brauche keine Hilfe.», antwortete dieser und zerrte den Gefangenen hoch.

«Ian.», versuchte es der Hauptmann von neuen und packte im gleichen Moment Ian am Arm. «Sei kein Narr. Du weißt genauso gut wie ich, dass dieser Kerl dich höchstwahrscheinlich in eine Falle locken will.»

«Ian.», schaltete sich nun auch der Abgesandte ein. «Ich weiß, Sie wollen es nicht hören. Aber ich glaube, dass Ihr Hauptmann Recht hat. Denken Sie noch einmal nach. Entsinnen Sie sich an den gestrigen Tag, als dieser Chik Ihnen zu verstehen gab, dass sein Volk auf Krieg aus ist.»

Doch entgegen der Vorstellung des Hauptmanns und des Abgesandten erwiderte Ian nichts. Stattdessen schob er mit seiner freien Hand die Hand des Hauptmanns zu Seite und zerrte den Gefangenen zu seinem Pferd, bindete diesem einen Strick um dessen Hals und befestigte das andere Ende an den Sattel seines Pferdes.

«Und was sollen wir jetzt tun, Vater?», trat Sean an seinen Vater und den Abgesandten heran und schaute diese fragend an.

Nicht wissend, was der Hauptmann antworten sollte, warf dieser einen Blick auf die vor ihm liegenden Trümmer und in die Gesichter seiner Männer. Beim Anblick wurde ihm bewusst, dass eine friedliche Lösung des Konflikts in weite Ferne gerückt war. Vor allem wenn er Ian und seine Schar alleine reiten ließ.

«Ian.», richtete der Hauptmann das Wort an sein Gegenüber in gewohnter Stärke. «Setz den Gefangenen auf einen unserer Pferde. Wir sind schneller unterwegs, wenn wir auf dem Rücken eines Pferdes sitzen. Kommandant!», wendete sich der Hauptmann nun an den Befehlshaber seiner Männer. «Macht euch zum Aufbruch bereit. Wir werden uns in wenigen Minuten auf die Suche nach den Entführten machen.» Anschließend legte der Hauptmann die Hand auf die Schulter seines Sohnes und sagte: «Komm!»

Gemeinsam mit seinem Sohn trat nun der Hauptmann auf die Gruppe der Freiwilligen zu, die an den Friedensverhandlungen teilnehmen sollten. «Männer und Frauen. Wie Sie sehen, hat sich nach dem Angriff die Lage im Grenzland deutlich verändert. Ich werde mich mit meinen Soldaten Ian und seiner Gruppe anschließen. Wir lassen alle unnötigen Gegenstände zurück. Jeder, der will, kann sich uns anschließen. Allen anderen bitte ich zurück zu ihren Dörfern zurückzukehren und allen kampffähigen Männern im freien Grenzland zu den Waffen zu rufen. Sean!», wendete sich der Hauptmann nun an seinen Erstgeborenen: «Ich will, dass du nach Galoport reitest und die Verteidigung des Grenzlandes organisierst. Ja, ich weiß. Du willst mich begleiten. Aber ich brauche dich dort. Wende dich an Goron, meinen engsten Berater. Er war früher Kommandant der arkanischen Armee. Er wird dich gut beraten. Jetzt geh, mein Sohn. Die Zeit ist gegen uns. Steig auf dein Pferd und folge meinem Befehl.»

Zögernd legte Sean die Arme um seinen Vater, drückte diesen fest an sich, löste sich im nächsten Augenblick von ihm und ging auf sein Pferd zu. Fest im Sattel sitzend, neben paar anderen Nordmännern, wendete Sean sein Pferd und ritt mit den anderen Nordmännern seiner Aufgabe entgegen.

Einen Augenblick später drehte der Hauptmann seinen Blick von seinem Sohn ab und ging auf den Abgesandten des arkanischen Königreiches zu.

Nachdem sich dieser der Aufmerksamkeit des Hauptmanns bewusst wurde, entließ dieser seinen Kommandeur mit einer leichten Handbewegung aus ihrer Unterredung und richtete sich dem Hauptmann zu.

«Hauptmann. Das Angebot gilt immer noch. Ein Wort von Ihnen und wir können uns mit einer Streitmacht von 5000 Mann auf die Suche nach den Vermissten machen.», wiederholte der Abgesandte sein Angebot. «Danke. Doch es liegt nicht an mir, darüber zu entscheiden. Allein die Versammlung hat das Recht darüber zu entscheiden.», entgegnete der Hauptmann und wandte sich zum Gehen ab.

«In diesem Falle bleibt mir nichts anderes übrig.», begann der Abgesandte, «als euch auf eurer Reise zu begleiten. Ich denke, ein paar erfahrene Schwerthände könnt ihr sicherlich gut gebrauchen.»

«Euer Angebot ehrt uns. Und wir nehmen es auch dankbar an. Aber lasst euch eins gesagt sein. Falls es zu einem Aufeinandertreffen mit dem Feind kommt, bin ich derjenige, der das letzte Wort hat. Könnt Ihr damit leben?».

«Wie Ihr schon tags zuvor sagtet. Es ist euer Land und eure Regeln.», erwiderte der Abgesandte und fuhr fort: «Sie müssen mich jetzt bitte entschuldigen. Ich und meine Männer, wir haben noch ein paar Vorbereitungen zu treffen, bevor wir zum Aufbruch bereit sind.», sagte dieser und wandte sich seinerseits ab.

Eine halbe Stunde später brach schließlich eine Prozession aus 46 Männern, bestehend aus 26 Nordmännern (darunter auch der Viehbaron), einem Gefangenen sowie neunzehn Soldaten der arkanische Armee, auf. Nur wenige, meist ältere Nordmänner und zwei Soldaten der arkanischen Armee blieben zurück und schauten kurz der Prozession nach, bis sie ihren Rückweg antraten.

Obwohl die Entführer einen Zug aus Gefangenen mit sich führen mussten, waren sie doch viel schneller unterwegs als die Prozession gehofft hatte. Ians Hoffnung, die Verfolgten schnell eingeholt zu haben, löste sich viel eher in Rauch auf als ihm lieb war. Sichtlich unzufrieden und wenig von der Idee angetan, sich allein auf die Wegbeschreibung des Gefangenen zu verlassen, setzte Ian einen Schritt vor den anderen. Doch entgegen aller Vorbehalte führte der Gefangene die Prozession mehrere Meilen flussaufwärts auf die Fährte der Entführer.

«Diese Schweinehunde müssen tatsächlich den ganzen Weg über mit ihren Pferden und den Gefangenen im Fluss gelaufen sein. Anders kann ich es mir nicht erklären.», sagte Ian an Jamie gewandt, über die frischen Spuren gebeugt.

Fortan führte die Fährte die Prozession über endlose Graslandschaften und mehrere Flüsse, die ihren Ursprung tief in den Bergen hatten. Je weiter die Prozession in den Norden voranschritt, umso mehr veränderte sich auch die Landschaft. Auf Anhöhen folgten Berge, auf vereinzelte Sträucher Bäume und dann Wälder. Anhand der Spuren und der breiter werdenden Fährte, konnten alle Beteiligten erkennen, dass die Entführer keine Angst mehr vor Verfolgern hatten.

Trotz der Zerstörung und dem vielen Leid, welches der letzte Überfall der Chiks über das freie Grenzland gebracht hatte, war die Stimmung innerhalb der Prozession gut. Vielleicht war einer der Gründe für diese Begebenheit, dass nun endlich etwas geschah. Ein anderer Grund war vielleicht der, dass man nun Seite an Seite mit den arkanischen Soldaten ritt und somit einen starken Verbündeten hinter seinem Rücken wusste. Wie auch immer.

Ian ging die Verfolgung eindeutig zu langsam. Aber aufgrund dessen, dass Ian in Wahrheit auf die Hilfe seiner Mitstreiter angewiesen war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Geschehnissen anzupassen und seinen Unmut für sich zu behalten.

Ians Unmut stieg noch mehr, als die Nacht einbrach und er und die anderen Männer eine Pause einlegen mussten.

Ungehalten stieg Ian schließlich von seinem Pferd ab und begann es langsam von Sattel und Zaumzeug zu befreien. Sichtlich niedergeschlagen von den Geschehnissen des Tages brachte Ian sein Pferd zu Jamie herüber, der grade damit beschäftigt war, sein Pferd und die Pferde von Malcolm und Martok zu tränken.

«Meinst du, sie sind noch am Leben?», fragte Jamie schließlich, als er sich der Gegenwart seines Vaters bewusst war.