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Die Mühle zu Husterloh

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Vater Höhrle, der den windigen Gesellen hasste, wenn sein sanftes Wesen einer derartig starken Gefühlsäußerung fähig war, empfand einen Ekel vor dem Namenszug dieses Klebrigen, schnitt ihn mit seinem Taschenmesser ans der Tischplatte und suchte weiter.

Da kamen nun aber eine ganze Anzahl Leute, die wohl alle etwas besser wie der Krummholz, aber noch lange nicht gut waren. Es kam die große Schar derer, die dem Vater Höhrle Geld schuldig waren, und die nun vor anderen Leuten so taten, als ob sie nur ungern und nicht ohne Bedauern der Mühle ihre Gunst entzögen. ›Wir hätten gerne‹, – pflegten sie bedeutungsvoll zu sagen, – ›aber es ging nicht mehr, es ging wirklich nicht mehr.‹ Ehrabschneider, die andere Leute schlecht machen durch das, was sie scheinbar großmütig verschweigen.

Dann jene Sorte, die überall für sich einen kleinen Vorteil riechen. ›Man kann nicht wissen, Groß und Moos konnten sich ein Paar Stiefel machen, den Bart scheren, einen Zahn ziehen lassen! Eine Hand wäscht die andere. Groß und Moos konnten in den Stadtrat gewählt werden.‹

Diese erbärmliche, sich selbst misstrauende, aber zahlreiche Sorte hatte dem Tische übel mitgespielt. Von der krankhaften Sucht beherrscht, dass von ihrem Nichts etwas auf künftige Geschlechter kommen müsse, hatten sie das Eichenbrett glatt durchgeschnitten. Vater Höhrle konnte die Gänge dieser Holzwürmer unmöglich herausradieren, deshalb holte er Fensterkitt und schmierte sie zu. Aber ihrer waren viele, und als der Alte fertig und nur die treugebliebene Kundschaft nebst den Toten übrig war, sah der Tisch verschmiert aus, schier wie ein Nudelbrett am Freitagvormittag.

Der Müller war recht traurig, als er so sein Hauptbuch überschaute, und auch Suse, die unbemerkt an die Seite des Vaters getreten war und sein seltsam Tun beobachtete, ließ das schöne Köpfchen hängen, so dass sie mitleiderregend aussah wie eine Rosenknospe im Novemberfrost.

»Vater,« sprach sie nach langem Schweigen, »will’s denn immer noch nicht gehen?«

Der Alte erschrak und sagte ausweichend: »Nun gehen, gehen tut’s schon, aber nicht gerade so, wie es gehen sollte.«

»Und könnte ich dir hierin denn gar nichts tun, ich, deine Tochter? Vater, sei offen gegen mich. Lass dein Kind teilnehmen an deinen Sorgen.«

»Sorgen, mein Kind,« sagte Höhrle betreten, »nein, was man Sorgen nennt, die haben wir nicht. Nur so, wie soll ich’s nennen, so kleine Verlegenheiten ab und zu. Doch das wird sich geben, wird sich geben.«

»Vater,« sagte Suse ernst, »dein Aussehen zeugt wider deine Rede. Seit Monaten sehe ich, wie schwer du leidest. Vater, sei barmherzig gegen mich, gegen dich, sprich deinem Kinde von deinem Gram, der Kummer, der nicht spricht, frisst nach dem Herzen, bis es bricht.«

Der Alte wurde weich. Seine Hand suchte die seiner Tochter. Müde sank sein Haupt auf die Schulter des Mädchens nieder. Seine Knie wankten. Suse suchte mit ihm die Bank hinter dem Tische zu erreichen.

Da saßen sie nun, Vater und Tochter. Die Laterne am Durchzug warf ab und zu trübe Lichter auf sie und auf die Tischplatte, die so deutlich zu reden wusste vom Niedergang des Hauses Höhrle. Eifrig plapperte die Mühle, ein leeres Geschwätz. Zwei Menschen, die sich viel zu sagen hatten, fanden keine Worte. Die Tränen, die über Susens Hände niederliefen, sagten viel, und sie waren reichlich, und doch waren sie nur der millionste Teil aller derer, die vergossen wurden in den grausamen Zeiten des Überganges, als der brutale Kapitalismus den Kleinbetrieb erwürgte.

Wie lange sie so, eines am anderen Schutz suchend, gesessen haben, und wie oft sie sich wieder aufgesucht haben, um still zu klagen, wer wollte so indiskret sein und danach fragen. Eines nur ist sicher. Als die Träne im Vaterauge Suse die Gewissheit gegeben hatte, dass sein Gang nach dem Grabe durch viele Leidensstationen führen werde, da beschloss sie, den Schuldbrief ihres eignen Glückes unerbrochen zu lassen und beim Vater auszuharren. Unnachsichtig riss das starke Mädchen, grausam gegen sich, die Liebe aus ihrem Herzen. Der erste Brief, den sie dem Erwählten ihrer Neigung sandte, war auch der letzte.

10. Kapitel

Am Tage nach seiner Ankunft in der Stadt wanderte unser Hans nach dem Gymnasium und nahm als Begrüßung eine Tracht Prügel entgegen, die ihm von Seiten seiner Mitschüler nicht eben kärglich im Schulhof zugemessen wurde. Das war so hier wie wohl auch anderwärts die Art, wie man den Neuling feierlich einweihte, das Heimweih schonend austrieb und in unserem speziellen Falle die Gedanken an eine lichtgrüne Wiese, auf der zwischen buntscheckigem Vieh ein kleines Mädchen herumlief, begehrenswert und lockend wie ein reifer Pfirsich, und doch verehrungswürdig wie eine Heilige. Hans Höhrle hatte schon in früher Stunde noch vor dem Morgengebete an sie gedacht, und als er zur Schule ging, nahm er die Strickleiter mit, weil er das Gefühl hatte, er müsse gleich am ersten Tage für sie und sich einige Sprossen aufwärtssteigen.

Nach ermüdendem Herumstehen auf den Gängen rief ein Glockenzeichen die Jungen in die Klasse. Man setzte sich in die während der Ferien neu gefirnissten Bänke, wie es der Zufall eben wollte. Hans kam zwischen zwei freche Offizierssöhne zu sitzen, die, wie sie sagten, nur eine Nachprüfung abzulegen hatten. Sie machten sich lustig über den etwas unbehilflichen Bauernjungen, fragten ihn, ob es im Odenwald noch Kängurus gäbe, und als er dies verneinte, meinten sie, sie seien auf diesen Verdacht gekommen, weil er so aussehe, als ob er von einem dieser lieblichen Haustiere abstamme. Hans ärgerte sich und griff dem einen nach dem dünnen, durchsichtigen Hälschen, um ihm Respekt vor seiner Person beizubringen, als die Tür aufging, und ein putziges Männlein in sackgrauer Uniform mit einem Paradedegen an der Seite eintrat. Es sah, was vorging, und packte unseren Hans an der Schulter. »Wie heißt du?« herrschte er ihn an. »Hans Höhrle,« war die Antwort. »Hans Höhrle, Hans Höhrle,« wiederholte der Uniformierte, »eine Konsonanz deines Namens haben wir hier in der Klasse. Pass auf, dass nicht ein Röhrle auf dem Höhrle tanzt.«

Jetzt begriff der Knabe, dass er seinen Klassenführer vor sich habe, und war über dessen kriegerisches Aussehen sehr betreten. Derartig herausgeputzt hatte er noch nie einen Lehrer gesehen, und wozu das kleine Männchen sein Schwert gebrauchen sollte, war ihm nicht minder schleierhaft, wie wahrscheinlich dessen Träger selber.

Übrigens stand der Mann in Waffen alsbald gefangen in einer Art Waschzuber, den man Katheder nannte. Er knetete sein Taschentuch in die Form eines Maiskolbens und sägte damit eine Zeitlang unter seiner Nase her, bevor er mit einem Diktat begann. Es herrschte tiefe Stille, und man hörte nur die Federn mit kratzendem Gang über die blauen Zeilen eilen, um einige gewichtig vorgetragenen Sätze festzuhalten. Hans, der am Morgen mit inbrünstigem Gebet einige Heilige ersucht hatte, ihm beizustehen, ging mit gutem Mut und Gottvertrauen an Übersetzung dieser Sätze, und bevor ein weiteres Glockenzeichen vom Turme erklang, war er fertig und lieferte seine Arbeit ab.

Am nächsten Tage erfuhr er, dass er in die Klasse aufgenommen sei, kam aber an deren Schwanz zu sitzen, wo man gewöhnlich die Neulinge unterzubringen pflegte. Gleich von vornherein machte man mit den Letzten wenig Wesens. Man führte den gallischen Krieg, ohne dass sie Kombattanten stellten, und auch den Akkusativ cum Infinitiv konstruierte man ohne ihre Mithilfe. Dies Stillleben war nach Geschmack manch eines, aber es konnte zu nichts Gutem führen, und dauerte auch nicht lange. Eine neue Probearbeit änderte die Dinge. Hans machte sie unter Zuhilfenahme des großen Georges. Manche Schwierigkeit des Diktates ließ sich leicht überklettern, andere bereiteten Kopfzerbrechen, und der Schüler musste die Strickleiter zu Hilfe nehmen. Da kam er aber in ein wahres Labyrinth gelehrter Subtilitäten, wurde von einem Buchstaben zum anderen genarrt, verlor den Überblick und die Zeit. So kam’s, dass er schwitzend und halbfertig dasaß, als die anderen Schüler bereits das Klassenzimmer verlassen hatten. Der Lehrer wurde ungeduldig, drängte, und Hans gab schließlich ab, was er hatte und wie es war. Mit dem beunruhigenden Gefühle, dass er nicht glänzend abgeschnitten haben könne, verließ er das Schulgebäude. Doch es kam noch schlechter, als er sich vorgestellt hatte. Nach Tagen qualvollen Hangen und Bangens erschien das graue Männlein wieder auf dem Katheder und holte einen Pack weißer Bogen unter seinem Philosophenmäntelchen hervor. Im Nu war die ganze Klasse auf den Beinen. Den Schulranzen unterm Arm, in den Taschen das Frühstück, die Feder hinterm Ohr, das Lineal zwischen den Fingern, so stand die Menge marschbereit da, als ob es sich um eine Mobilmachung handle. Die Ungewissheit, was die nächste Minute bringen werde, lag als weiße Schminke auf allen Gesichtern.

Schon las der Lehrer die Namen derer herunter, die gute Arbeiten geliefert hatten. Die erste Bank hatte sich gefüllt, und es ging an die zweite. Wer gerufen wurde, stürzte mit Geschwindschritten nach seinem Platze, als ob ihm dieser wieder entrissen werden könne. Die Zurückbleibenden traten ungeduldig von einem Bein auf das andere und beneideten jene, die in der Nähe der Kathedersonne einen warmen Platz gefunden hatten. Schon war mehr als die Hälfte aller Plätze besetzt und Hans war nicht aufgerufen. Da brachte ihm der Gedanke, er könne überschlagen sein, einigen Trost, und er hielt diesen Strohhalm der Hoffnung mit Polypenarmen fest und fester, je mehr sich die Zahl seiner Leidensgenossen verringerte. Jetzt waren es schon nicht mehr als die Finger einer Hand. Darüber freute sich Hans, denn es wuchs die Aussicht, dass seine Vermutung Gewissheit werden könne. »Der Vorletzte ist Emmerig,« tönte es vom Katheder, »und bedeutend die letzten sind: Hans Höhrle und Ammelung.« Also war der glimmende Funke von Hoffnung vollends erloschen. Hans wankte nach seinem Platze, aber schon war ihm sein Sozius zuvorgekommen, indem er seine Ansprüche auf den vorletzten Sitz mit dem Einwand stützte, dass er im Alphabet weit vor einem Höhrle komme. Diesen glücklichen Umstand nutzte er aus, und Hans akzeptierte, physisch und moralisch vernichtet, den letzten Platz. Er war schlapp wie die Sünde, legte seine Arme kreuzweise auf die Tischplatte und seinen Kopf drauf. Seine Arbeit, die mit roten Strichen durchschossen war, wie ein Studentengesicht nach der Mensur, wurde ihm von irgendeinem unter den Rockärmel geschoben. Er würdigte sie keines Blickes. Seine Gedanken weilten bei Onkel Schütteldich und seinem Ledersofa, und nur zuweilen kehrte Hans in die Gegenwart zurück, um in blinder Wut mit den Füßen auf dem großen Georges herumzutrampeln, der seinen Platz noch unter den beiden am Boden gefunden hatte. Als die zwölfte Stunde schlug, packte ihn der unglückliche Schüler voller Verdrossenheit unter den Arm und schlenderte langsam und nachlässig über den Marktplatz dem Konvikte zu.

 

Hierher war die Fama von Hansens Missgeschick bereits vorausgeeilt. Der Rektor empfing den Ultimus mit maliziösem Lächeln und meinte: »Ob sein Vater unter seinen Langohren keinen besseren hätte finden können, um ihn aufs Gymnasium zu schicken.«

Der Konrektor erkundigte sich: »Wann Hansens Retourbillet verfallen wäre,« und nur der Subrektor, ein junger Geistlicher von asketischem Aussehen, hatte Mitleid mit dem verschüchterten Jungen und nahm ihn mit sich auf sein Zimmer. »Nur den Mut nicht verloren,« leitete er seine Rede ein. »Das Schuljahr hat erst begonnen, am Schluss desselben kannst du schon noch in der ersten Hälfte sein.«

Hans, der anfangs nicht übel Lust hatte, einzupacken, zu heiraten und die Wirtschaft ›Zum Weltschirm‹ zu übernehmen, unterdrückte den Gedanken und wälzte vor dem jungen Priester einen großen Teil der Schuld an seinem Missgeschick auf die unselige Strickleiter. Der Mann Gottes war einsichtig genug, dem Knaben recht zu geben, und verkündete ihm die frohe Botschaft, dass Gott, um arme Gymnasiasten von der Erbsünde des »Großen Georges« zu befreien, den »Kleinen Mühlmann« auf die Welt geschickt habe.

Das Buch wurde antiquarisch gekauft, und während der nächsten Wochen begann in den Abendstunden ein eifriges Übersetzen im Privatzimmer des Subrektors. Der Gute gewann Vertrauen zu dem Knaben, dieser zu ihm und beide zu ihrer Aufgabe, den Forderungen der lateinischen Grammatik zu genügen.

In der Schule spielte Hans zusammen mit seinem Leidensgefährten Ammelung eine traurige Rolle. Sie schienen zur Verzierung da zu sein. An ihr Können und Wissen wurde keine Anforderung gestellt. Der einzige, der sie in Bewegung brachte, war der Winterfrost, der in jenen Tagen seine Kunstwerke auf die Fensterscheiben malte. Wer nicht frieren wollte, musste dem Ofen mit Holz zureden, dass er ein freundlich Gesicht machte. Diese hohe Mission war der Firma Ammelung und Höhrle übertragen. So machten die beiden Inhaber des Holzgeschäftes öfters kleine Geschäftsreisen nach dem Lagerplatz des Brennmaterials, auf denen sie beliebig lange bleiben und sich unterhalten konnten, wenn nicht der Schuldiener kam und sie mit Ohrfeigen von dannen trieb. Das war grausam, wenn man bedenkt, dass die Ärmsten im Schulsaal keine Rücklehne hatten, und sich deshalb gern im Holzstall räkelten, um ihr Kreuzweh zu kurieren. In den langen Stunden des Vormittags litten sie oft Höllenqualen, aber sobald sich einer streckte, um sich Erleichterung zu verschaffen, hieß es vom Katheder: »Kerl, sitz nicht so herausfordernd da, wie ein Pascha von zwei Ross-Schweifen.«

Legte einer der Unglücklichen den Oberkörper auf die Bank und suchte hinter dem Rücken seines Vordermannes einige Deckung, so rief es: »Welcher Seehund bäht sich da unten hinter der Klippe?«

Zu allem Unglück war der gute Ammelung zur Unterhaltung wenig tauglich. Er war taub, und ein Gespräch mit ihm musste jedes Mal mit Rippenstößen oder Fußtritten eingeleitet werden. Hans Höhrle besorgte das im allgemeinen mit Mäßigung, aber wenn er sich in Verwendung der Energie um eine Pferdekraft geirrt hatte, dann remonstrierte Ammelung mit einem Aufwand von Flüstertönen, der die ganze Klasse zu Ohrenzeugen ihrer Kontroverse machte. Gemeinsam war beiden die Schuld, die Strafe aber, die den tauben Ammelung nicht treffen konnte, hagelte über Hans Höhrle allein hernieder: »O du Setzkartoffel aus dem Odenwalde! Wie könnte man dich so leicht vermissen! Wärest du doch zu Hause geblieben! Was wärst du für eine Zierde deiner ländlichen Gefilde geworden! Stattdessen kommt dies Knollengewächs hierher und verbittert seinen Lehrern das Leben. Wer dich und deinen Nachbar zu Tode kitzelt, kann sich von der dankbaren Nachwelt ein Denkmal verdienen! Übrigens, wenn ihr nicht sterben solltet, so könnt ihr sicher sein, dass ihr eine Zentenarfeier in der Klasse erlebt, denn an eine Versetzung ist niemals zu denken.«

Die letztere Prophezeiung war laut genug hinausgeschrien, dass auch Ammelung sie hören konnte, aber mit dem Vertrauen der Jugend auf die Zukunft glaubte er nicht so recht daran, und er fand in der Tat ein Mittel, das Verhängnis zu mildern.

11. Kapitel

Hans hatte in jenen Tagen nach Hause geschrieben und nicht ohne Ruhmredigkeit die Tatsache erzählt, dass er mit acht anderen durch die Porta triumphalis eines glänzend bestandenen Examens in die Quarta eingezogen sei. Das entsprach den Tatsachen. Jedoch er wusste es so darzustellen, als ob er allein in vereinsamter Größe durch das Mittelportal gegangen wäre, während die anderen sich durch bescheidene Seitenpförtchen gedrückt haben sollten. Von seiner Assoziation mit Ammelung und seiner Ansiedelung in der Nähe des Ofens schwieg er. Mutter Höhrle belegte den Brief mit Beschlag, zog sich gut an, nahm eine Wachstuchtasche an den Arm und überraschte die Leute der Nachbarschaft mit ihrem Besuch. Sie fing mit dem Wetter an, führte die Unterhaltung durch Tanzbodenraufereien, aufgelöste Verlobungen, Scheunenbrände und Wolkenbrüche hindurch bis zu einem Punkte, wo sie, ohne dem vorherigen Gedankengange das Genick zu brechen, erzählen konnte von Hansens Großtaten und dem Aufsehen, das sein Genie in der Fremde errege. Man hörte ihr verwundert zu, versicherte, dass man etwas anderes eigentlich kaum erwartet habe, und bestätigte der überglücklichen Mutter, dass es der Kirche und dem Staat recht schwer fallen dürfte, ein Amt zu schaffen, in dem der fertige Mann seine Fähigkeiten und sein Wissen entfalten könne. Das Gerede von Hansens Triumphen pfiff sich verstärkend wie der Wind um alle Häuser, nachdem auch Röse Ricke der Herold seines Ruhmes geworden war und verkündete, dass er sein Pfarramtsexamen prinzipiell bestanden habe, und dass er nur deshalb noch nicht erschienen sei, um im Dorfe seine Primiz zu feiern, weil sein neues Messgewand nicht fertig geworden wäre. Einigen Zweifeln begegneten die Übertreibungen der weisen Frau nun doch. Der Krämerjörge meinte:›So lange einer noch keine Brille habe, könne an ihm die Priesterweihe nicht vollzogen werden,‹ und der Schneiderhiesel sagte: ›Ein Streichholz taugt nichts für ein Spundloch, und ein Pfarrer ohne Bauch ist nichts für die Kanzel. So Sachen verstehe er besser. Hans müsse erst einhundertfünfzig Taillenweite haben, bevor man zu ihm das Vertrauen haben könne, dass er ein Kind richtig taufen und ein Brautpaar einsegnen könne.‹

Vater Höhrle war, seit er Hansens Brief gelesen, ein anderer Mensch geworden. In seinem Gesicht lag ein goldener Freudenschimmer wie ein verirrter Sonnenstrahl, der ein felsiges Hochtal am späten Abend küsst. Hatten seine Blicke in die Zukunft sich seither in das leere Einerlei einer grauen Nebelwand verloren, so sah er jetzt das seither kompakte Dunstgebilde zerrissen und einen kleinen lichten Pfad, der durch dasselbe hindurchführte und vor der Schwelle eines Pfarrhauses mündete inmitten gut gepflegter Kreuz- und Leichensteine. Er sah dort, wo die kletternde Rebe abschnitt, ein Giebelzimmer und darinnen ein alterndes Ehepaar zufrieden und vom Weltgetriebe abgestoßen in der Hauspostille lesen. Und dann war es ein schier reizvoller Gedanke, hier am Ende aller Dinge unter Astern und Syringen den langen Schlaf zu schlafen, während die Sutane des betend umherwandelnden Sohnes in dem Rauschgold der Kränze ein leises Flüstern weckte. Dass sich die Mühle nicht halten würde, sah Vater Höhrle ein. Er sah den Tag kommen, wo er seine Habe im Taschentuche über die Schwelle seines Hauses tragen, und Groß und Moos das Anwesen benutzen würden, um alte Säcke und Riemenscheiben darin zu verstauen. Dieser Tag, so sicher wie der Tag des Gerichtes, sollte ihn nicht zweifelnd finden, wohin er seine Schritte lenke. Er sah eine offene Tür und in deren Rahmen einen würdigen Pfarrherrn, der sein Sohn war, der seine Arme nach ihm ausstreckte und zu ihm sagte: »Vater, du hast meine Jugend geführt, gestatte, dass ich dein Alter stütze.« Diesem Ziele hoffte er jetzt entgegen, und wenn er einsam vor sich hinschritt, so verglich er in halblautem Selbstgespräch die Mittel, die ihm noch geblieben, mit den Aufwendungen, welche die weite Reise noch erforderte. So belauschte ihn eines Tages Suse, als sie im Unterholze Futter schnitt, und er plaudernd über den Waldpfad ging. Sie sprach ihn an, und was er sich selber vorgeredet hatte, verschwieg der Vater der Tochter nicht. Das Kind war ihm Vertrauter, Freund und Berater geworden. In ihr aufnahmefähiges Herz schüttete er seit jenem Abend in der Mühlstube seinen Kummer, aber auch sein Hoffen, und er erlebte die Freude, Suse ein zweites Mal groß zu sehen.

Sie hatte von einer Patin ein kleines Vermögen geerbt. Das bot sie dem Vater an, damit er des Bruders Studiengang vollende. Gestehen wir’s nur, dass Vater Höhrle um das Erbe wusste, und er hatte mit der Idee geliebäugelt, dass sie es opfern könne; aber bei näherem Zusehen erschien ihm der Gedanke gräulich wie ein Kirchenraub, und er verschloss ihn in den äußersten Winkel des Herzensschreines. Jetzt aber, wo Suse selber ihn der Ausführung nahe brachte, begrüßte er ihn wie einen Freund des Hauses und drückte seinem Kinde tränenden Auges die Hand. So schien das Schifflein des Hauses Höhrle, vom Wind der neuen Zeit arg zugerichtet, doch noch stark genug, um eine Bucht zu erreichen, in der es vor Einbruch der Nacht verankert werden konnte.

Suse, die genau wusste, wie es um sie alle stand, schrieb ihrem Bruder einen kurzen aber ernsten Brief. Sie gratulierte ihm zu seinem Erfolge, sagte ihm, wie viel Sonnenschein er damit ins Hans getragen, verhehlte ihm aber auch nicht, dass er der Sohn armer Leute sei und Zeit und Mittel zurate halten müsse.

Hans war betroffen von diesem Briefe und aus seinen Himmeln gefallen. Der Eltern Verhältnisse hatte er in anderem Lichte gesehen. Aber aus Susens Briefe sprach eine überzeugende Wahrhaftigkeit und weckte in seinem Innern eine Stimme, die ihn vorwurfsvoll fragte, ob er auch alles getan habe, um die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihn setzte. Auch quälte ihn eine tiefe Scham deshalb, weil er sich sagen musste, dass jenes Bild, das man sich zu Hause von ihm machte, seiner wirklichen Lage nur wenig entsprach, und dass der Klang seiner Münze hier, wo er sie an den Mann bringen musste, viel leerer war, als dort, wo er ohnedies nichts dafür eintauschen konnte.

Der Letzte zu sein, das wurde ihm ein schier unerträglicher Gedanke. Zu grübelnder Tatenlosigkeit verurteilt, füllte er, die Zukunft mit Projekten schmückend, seinen Platz in der Klasse aus und studierte die Kehrseite seiner siebenzig Mitschüler. Da saß auf dem ersten Platze der große James. Er hatte blondes Haar, das aus dem Wirbel in Büscheln abstand, wie dürres Riedgras, und einen mageren Hals. Auch sah man den Tragbalken einer Brille vor seiner Schläfe herlaufen und sein Ohr umgreifen. Er war kein schöner Knabe, aber er war brav, fleißig und, wie der Klassenführer sagte: »Bei weitem der Erste.« Wie ein Bronzebild auf einer Riesensäule überragte er seine Umgebung in einsamer frostiger Höhe. Unser Hans schauerte, wenn er sich nur in seine Nähe denken sollte.

Doch da war noch eine mehr körperlich als geistig hervorragende Größe in der Klasse, das war der Ignaz Kaufmann. Er saß ungefähr in der Mitte wie ein Grenzstein, der zwei Gemarkungen scheidet. Er hatte ein wohlgenährtes Gesicht, und unter jedes seiner Ohren warf die kommende Mannbarkeit bereits ihre flaumigen Schatten in das gesunde Rot seiner Wangen. Bei Raufereien im Schulhof war er entschieden die erste Persönlichkeit der Quarta, und da er immer auf Seiten der Minoritäten kämpfte, so erwarb er sich den Ruhm hoher Ritterlichkeit. In seiner Nähe zu sitzen, gab Sicherheit der Person und die Gewissheit, dass man noch versetzt wurde. Hans wünschte nichts sehnlicher, als im Schatten von Ignazens Backenbart zu wohnen. Da wollte er hin. Teilnehmen am Unterricht, fragen und gefragt werden, vorwärtsschreiten und nicht zurück. Im Stillen tat er, was er nur konnte, um dieses Hochfliegen vorzubereiten, und der Subrektor im Konvikte war ihm behilflich. Ungezählte Male nahmen sie im Nominativ cum Infinitiv »das Subjekt des Satzes beim Schwanz, zogen es an den Anfang und konstruierten persönlich.« Hans wollte etwas aus sich machen, seitdem er die Gewissheit hatte, dass die Verhältnisse es gebietend erheischten.

 

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