Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten

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11


Christopher Copeland kam von der Bank. Brian Cusack hatte prompt bezahlt. Der Journalist hatte heute um fünftausend Dollar mehr auf seinem Konto. Ein stolzer Betrag für diesen kleinen Freundschaftsdienst. Es war das reinste Vergnügen, dem König von Brooklyn gefällig zu sein.

Noch in der Bankfiliale hatte sich Copeland überlegt, wie er noch mehr aus der Sache herausholen konnte, und er war auf die Idee gekommen, die Geschichte von dem unbekannten Rächer weiter aufzubauschen.

Copeland - fünfunddreißig, blond und Brillenträger, mit Lederflicken an den Jackettärmeln - griff nach dem Hörer des Autotelefons und setzte sich mit einem bekannten Kollegen in Verbindung. Peter Harding war dessen Name.

„Dieser Verrückte“, berichtete ihm Christopher Copeland, „Sie wissen, wen ich meine, hat mich soeben wieder belästigt.“

„Der Mann, der den Jet abgeschossen hat?“, fragte Harding überrascht.

„Ja, der Rächer. Er hat mich wieder angerufen. Weiß der Teufel, wieso er sich ausgerechnet immer an mich wendet.“

„Vielleicht deshalb, weil Sie eine Menge Leute in Journalistenkreisen kennen.“

„Das wird's wohl sein.“

„Was hat er gesagt?“

„Dass er weitermachen wird, dass er sich schon eine neue Rakete beschafft hat, und dass er mit ihr eine ganze Mafia-Konferenz in die Luft jagen wird. Angeblich soll irgendwo in unserer Stadt ein geheimes Treffen verschiedener Mafia-Größen stattfinden.“

„Woher weiß der Rächer das denn?“, fragte Harding.

„Das hat er mir nicht mitgeteilt.“

„Also ich stehe zwar nicht auf Seiten der Mafia, das ganz bestimmt nicht, aber ich kann auch nicht befürworten, was dieser Mann tut. Das Verbrechen zu bekämpfen und die Verbrecher ins Zuchthaus zu bringen, dafür sollte doch die Polizei da sein.“

„Die Polizei scheint unserem Freund zu lax zu arbeiten“, sagte Copeland.

„Deshalb geht es aber doch trotzdem nicht an, dass einer hergeht und das Gesetz selbst in die Hand nimmt.“

„Bin ganz Ihrer Meinung“, sagte Christopher Copeland. „Werden Sie’s bringen?“

„Das ist doch wohl klar. So eine Information darf man seinen Lesern doch nicht vorenthalten“, antwortete Peter Harding.

„Sage ich auch.“

„Vielen Dank für den Anruf“, sagte Harding. „Ich werde mich bestimmt mal revanchieren.“

Sie legten gleichzeitig auf, und Copeland rief Brian Cusack an.

„Ich möchte mich für das außerordentlich hohe Honorar bedanken, das Sie auf mein Konto überweisen ließen, Mister Cusack.“

„Sie haben ja auch prompt gearbeitet, nicht wahr?“

Copeland erzählte dem König von Brooklyn, dass er bereits darangegangen war, die Story auszubauen. Er hörte unterschwellig heraus, dass Cusack das nicht so ganz recht war.

„Übertreiben Sie’s nicht, sonst wird die Sache unglaubwürdig“, warnte der Gangsterboss.

„Keine Sorge, ich weiß, wie weit man eine Geschichte aufpumpen darf. Ich lebe schließlich davon - und neuerdings nicht mal so schlecht.“

„Hören Sie, ich bin Ihnen zwar dankbar, dass Sie mir geholfen haben, aber wenn Sie denken, dass das ein Rentenjob für Sie wird ...“

„Jetzt schätzen Sie mich nicht richtig ein, Mister Cusack. Ich hatte nicht die Absicht, Geld dafür zu verlangen. Ich tu’s aus reiner Gefälligkeit und um der ganzen Story mehr Halt zu geben.“

„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen entschuldigen.“

„Ist nicht nötig. Ich kann mir vorstellen, dass Sie im Augenblick ein wenig nervös sind. Aber ich halte zu Ihnen. Ich möchte, dass Sie das wissen.“

„Danke, Mister Copeland. War mein Arzt schon bei Ihnen?“

„Ja.“

„Hat er Sie gründlich untersucht?“

„Ja.“

„Und?“

„Er ist sicher, dass er mir eine Operation ersparen kann.“

„Wenn er das sagt, dann können Sie's ihm glauben.“

Copeland bog in die Straße ein, in der das Bürohaus stand, in dem er arbeitete. Kurz bevor er den Parkplatz erreichte, beendete er das Gespräch mit Brian Cusack. Er ließ den Oldsmobile bis zu seiner markierten Parkfläche rollen und tippte dann kurz auf die Bremse.

Als er den Motor abstellen wollte, wurde die Tür auf der Beifahrerseite aufgerissen, und ein Mann, den er nicht kannte, setzte sich zu ihm in den Wagen. Der Mann hielt eine zusammengelegte Zeitung in seinen Händen.

„Hören Sie mal, was soll das?“, herrschte Christopher Copeland den Fremden an.

„Maul halten!“, knurrte Tony Tornado. „Lassen Sie die Hände auf dem Lenkrad!“

„Einen Dreck werde ich ...“ Der Journalist unterbrach sich, denn plötzlich schälte Tornado aus der Zeitung eine Kanone, die mit einem klobigen Schalldämpfer versehen war. Ein überzeugendes Argument, dem sich Copeland nicht verschließen konnte.

Ein dünner Schweißfilm legte sich auf Copelands Stirn.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie?“

„Ich bin ein Mann, der es furchtbar gut mit dir meint, mein Junge. Es würde mir das Herz brechen, wenn du mich zwingen würdest, auf dich zu schießen.“

„Ich werde tun, was Sie von mir verlangen.“

„Sehr vernünftig. Dann fahr mal los.“

„Wohin?“

„Wirst du schon sehen. Erst mal weg von hier. Nicht zu schnell. Nicht zu langsam. Schön zügig. Und dass du mir alle Verkehrszeichen beachtest. Sollte eine Verkehrsstreife sich veranlasst sehen, dir zu folgen, weil du irgendwelchen Mist gebaut hast, bist du dran. Klar?“ Copeland nickte. Er verließ den Parkplatz. „Nette Mieze, deine Sekretärin“, sagte Tornado.

„Sie waren in meinem Büro?“

„Ich wusste ja nicht, dass du herumzigeunerst. Wo warst du?“

„Bei der Bank.“

„Stimmen die Kohlen?“

„Sind Sie hinter meinem Geld her? Da werden Sie eine herbe Enttäuschung erleben. Ich bin nicht reich.“

„Armut ist keine Schande“, sagte Tornado und grinste. Er sagte dem Journalisten, wie er fahren musste. Die ganze Zeit war die Pistole auf Copeland gerichtet. Der Mann wäre wahnsinnig gewesen, wenn er auch nur den Versuch unternommen hätte, den Mafioso auszutricksen. „Wie ist die Mieze denn im Bett?“, wollte Tornado wissen.

„Weiß ich nicht“

„Du willst doch nicht sagen, dass du noch nie bei ihr zu landen versucht hast.“

„Sie ist verlobt.“

„Ist doch kein Hindernis.“

„Darüber denken meine Sekretärin und ich anders.“

„Bist wohl ein kleiner Saubermann, was? Einer, der nie etwas Böses tut oder etwas, das sich nicht gehört. Wie kommt es dann aber, dass du Lügengeschichten verbreitest. Kannst du mir das erklären?“

Dem Journalisten fuhr ein eisiger Schreck in die Glieder. Er wurde blass um die Nase, versuchte, die Kontrolle über sich nicht zu verlieren.

„Ich verstehe nicht, was Sie meinen“, krächzte er.

„Du weißt sehr gut, wovon ich rede“, sagte Tornado scharf. „Denk an den Anruf!“

„Mein Gott, sind Sie etwa der Unbekannte, der mich ...“

„Lass den Quatsch! Willst du mich verarschen? Den Knilch, von dem du allen deinen Freunden und Bekannten erzählt hast, gibt’s ja gar nicht. Den hast du erfunden. Oder war’s Brian Cusack? Auf wessen Mist ist die Story gewachsen, he?“

„Glauben Sie im Ernst, ich hätte eine Unwahrheit verbreitet?“, fragte Christopher Copeland. Ihm war heiß und kalt zugleich.

„Ja, das glaube ich“, sagte Tony Tornado.

Copelands Handflächen waren feucht geworden. Er leckte sich nervös die Lippen. Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Tornado wies darauf und sagte grinsend: „Den Schweiß könnte ich als Geständnis deuten.“

„Würden Sie nicht auch schwitzen, wenn jemand fortwährend eine Kanone auf Sie richtet?“

„Wenn ich ein reines Gewissen hätte nicht. Aber das hast du nicht. Du hast etwas ausgefressen, und nun klapperst du innerlich mit den Zähnen. Wieviel hat Cusack dir bezahlt?“

„Wofür?“

„Spiel nicht den dummen August! Für die Story von dem Mann, der rot sieht.“

„Der hat mich wirklich angerufen.“

„Das kauf ich dir nicht ab“, sagte Tony Tornado kalt. „Du solltest dich allmählich bequemen, mir die Wahrheit zu erzählen, Freundchen, denn lange lasse ich mir von dir nicht mehr die Hucke volllügen. Danach gibt’s Stoff!“

In Copelands Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er befand sich in einer fürchterlichen Situation. Sagte er die Wahrheit, dann hetzte ihm Cusack seine Gorillas auf den Hals. Blieb er bei seiner Lügenstory, würde ihm dieser Fremde einiges antun. Wie kam er aus dieser Zwickmühle heil heraus? Wer war dieser Unbekannte? Wer hatte ihn geschickt?

Tornado zwang den Journalisten, zu einer großen Mülldeponie zu fahren. Dort musste Copeland das Fahrzeug anhalten. Der Mafioso nickte zustimmend.

„Hier gefällt es uns. Nicht wahr? Die Gegend ist auch nach deinem Geschmack.“

 

„Eigentlich nicht ...“

„Steig trotzdem aus!“

Copeland leckte sich die Lippen. Der Motor lief noch. Sollte er einen Versuch wagen? Wenn er nur so tat, als würde er den Wagen verlassen, wenn der Fremde gleichzeitig mit ihm ausstieg, wenn er sich aber gleich wieder auf den Fahrersitz fallen ließ und Gas gab ...

Würde er dann eine Chance haben? Er wusste es nicht, und er war nicht so risikofreudig, um es herauszufinden. Mit zitternder Hand stellte er den Motor ab. Er blickte sich um. Alles, was Menschen nicht mehr brauchen können und wegwarfen, türmte sich ringsherum auf. Weit und breit war niemand zu sehen, der Copeland hätte helfen können. Er war allein mit diesem Mann, der ihn mit einer Schalldämpferpistole bedrohte. Ein verdammt mieses Gefühl war das.

„Wirst du dich endlich bequemen, das Fahrzeug zu verlassen?“, knurrte Tony Tornado ungeduldig.

Christopher Copeland drückte den Wagenschlag auf. Er hätte nicht gedacht, dass ihm der kleine Gefallen, den er Brian Cusack erwiesen hatte, solchen Ärger einbringen würde. Er fragte sich, wie weit der Unbekannte gehen würde. Was hatte der Fremde mit ihm vor? Copeland stieg aus. Ein brennendes Kribbeln war in seinem Nacken. Einen Moment lang überlegte er, ob er nicht einfach die Beine in die Hand nehmen und türmen sollte.

Aber er war sicher, dass der Fremde ihm nachgeschossen hätte, und er konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann danebengeschossen hätte. Das schien ein Profi zu sein. Der konnte mit seiner Pistole bestimmt umgehen. Da Copeland keine Kugel in den Rücken gejagt bekommen wollte, blieb er neben seinem Oldsmobile stehen.

Tony Tornado stieg ebenfalls aus. Er ging um das Fahrzeug herum.

„Umdrehen!“, befahl er.

„Was haben Sie mit mir vor?“, fragte Copeland krächzend. „Werden Sie mich umbringen?“

„Dreh dich um!“ Christopher Copeland gehorchte. „Wir gehen ein Stück“, sagte Tornado.

Er muss vom Syndikat sein, überlegte der Journalist. Er hat den Auftrag, die Wahrheit herauszufinden, damit die Ehrenwerte Gesellschaft sich bei Cusack für den fünffachen Mord revanchieren kann. Aber was habe ich damit zu tun? Ich habe doch lediglich eine Story in Umlauf gebracht.

Copeland nahm hinter sich eine rasche Bewegung wahr. Er wollte sich umdrehen, kam jedoch nicht mehr dazu. Die Pistole traf seinen Nacken. Er fiel wie ein vom Blitz getroffener Baum um.

Als er wieder zu sich kam, lag er gefesselt auf dem Rücken. Tony Tornado stand neben ihm. Die Sonne war hinter dem Mafioso und strahlte dem Journalisten grell in die Augen. Er konnte nur die Umrisse des Fremden erkennen. Ihm fiel auf, dass der Mann rings um ihn Glasflaschen aufgestellt hatte.

„Wir werden ein kleines Spielchen spielen“, sagte Tornado grinsend. „Ich stelle eine Frage. Wenn du sie nicht beantwortest, oder wenn mir deine Antwort nicht gefällt, schieße ich eine von den Flaschen kaputt. Okay?“

„Sie sind ein Sadist.“

„Irgendwie muss ich schließlich an die Wahrheit herankommen.“

„Die Wahrheit stand in allen Zeitungen.“

„Das stimmt nicht. Du hast sie für Brian Cusack in Umlauf gebracht.“

„Nein.“

Tony Tornado hob die Waffe, zielte und schoss. Eine Flasche neben Copelands Bein zerplatzte. Glasscherben schwirrten hoch. Der Journalist zuckte heftig zusammen.

„Wieviel hat Cusack für die Lügengeschichte bezahlt?“, wollte Tornado wissen.

„Nichts. Keinen Cent. Ich hatte mit Cusack noch nie etwas zu schaffen.“

Tornado schoss wieder. Diesmal traf die Kugel die Flasche, die sich in Copelands Hüfthöhe befunden hatte.

„Sag bloß, du kennst Cusack gar nicht.“

„Ich weiß, wer er ist, aber ich hatte noch nie persönlich mit ihm zu tun.“

Tornado feuerte den nächsten Schuss ab. Das Projektil zertrümmerte eine Flasche in Schulterhöhe. Ein Glassplitter schrammte über Copelands Gesicht. Der Journalist stieß einen Schmerzensschrei aus.

„Hier kannst du schreien, so laut du willst“, sagte Tornado grinsend. „Es wird dich keiner hören. Wenn du meine nächste Frage nicht zufriedenstellend beantwortest, kann es für dich kritisch werden“, warnte der Mafioso den Journalisten.

Copeland drehte den Kopf und blickte auf die Flasche, die knapp neben seinem Hals stand. „Sie werden doch nicht ... Ich kann tot sein ...“

„Glaub mir, das würde mein Gewissen nicht im Mindesten belasten. Ich brauche einen Erfolg. Wie ich den erreiche, ist meine Sache. Kriege ich nicht raus, was ich erfahren muss, sind meine Freunde auf mich sauer, und ich mag das nicht. Es würde das gute Klima, das zwischen uns bisher geherrscht hat, beeinträchtigen.“

„Bitte ...“

„Ich frage dich noch einmal: Hast du in Cusacks Auftrag diese Geschichte in Umlauf gebracht?“

Copeland schüttelte verzweifelt den Kopf. Er presste die Zähne zusammen, wollte nicht antworten, sah, wie der Fremde die Pistole wieder hob, und da siegte die Angst.

„Halt!“, schrie er. „Nicht schießen! Nicht mehr schießen! Ich will Ihnen die Wahrheit sagen! Ja, Cusack hat mit mir Kontakt aufgenommen. Ich habe diese falsche Information an meine Kollegen weitergegeben. Cusack hat dafür fünftausend Dollar bezahlt.“

Tornado grinste zufrieden.

„Wunderbar, wie schön du singen kannst.“

„Cusack wird mich umbringen, wenn er erfährt ...“

„Vor Cusack brauchst du keine Angst zu haben. Der lebt nicht mehr lange. Wer war der Mann, der die Rakete abgefeuert hat?“

„Warum wollen Sie das auch noch wissen?“

„Weil ich ein gründlicher Mensch bin. Kennst du den Namen?“

„Ich glaube, es war ...“

„Nun?“

„Gordon Keel.“

„Vielen Dank“, sagte Tony Tornado.

Copeland rann der Schweiß in breiten Bächen von der Stirn. Er lag gefesselt auf dem Rücken, war dem Unbekannten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Was würde der Mann nun, nachdem er geredet hatte, mit ihm anstellen? Würde er ihn töten?

Tornado hob die Waffe und richtete sie auf den Kopf des Journalisten. Copeland riss entsetzt die Augen auf.

„Warum?“, schrie er. „Warum wollen Sie mich umbringen? Ich habe Ihnen doch alles gesagt ...“

„Hör zu, Kamerad! Du vergisst unsere Begegnung, verstanden?“

„Ja. Ja, selbstverständlich. Ich tue alles, was Sie von mir verlangen. Aber bitte lassen Sie mir mein Leben.“

„Ich lass dich hier liegen. Es wird dich schon jemand finden. Im Erfinden von Lügenstorys bist du ja einsame Spitze. Also wirst du dir wieder eine unwahre Geschichte einfallen lassen. Solltest du erzählen, was wirklich passiert ist, sehen wir uns wieder.“

„Ich werde nichts verraten.“

„Solltest du dir einfallen lassen, Brian Cusack zu warnen, kannst du ebenfalls gleich dein Testament machen.“

„Ich halte mich jetzt aus allem raus.“

„Sehr vernünftig. Auf diese Weise lebst du nämlich am längsten.“ Tornado wandte sich um und begab sich zu Copelands Oldsmobile. Er setzte sich in das Fahrzeug und verließ die Mülldeponie.

Copeland blieb mitten im Dreck liegen. Aber er war trotzdem froh ...




12


Cyril Murray. Er hatte Brad Rafferty in Brian Cusacks Auftrag ermordet. Ihn wollte sich Roberto Tardelli als Ersten schnappen. Anschließend wollte sich Roberto den König von Brooklyn holen. Sobald er Murray in seine Gewalt gebracht hatte, wollte er ihn zur Polizei bringen. Die Cops würden ihre helle Freude darüber haben, denn Murray stand schon ziemlich lange auf ihrer Wunschliste. Er war bisher nur nie bei einer Straftat zu erwischen gewesen.

Das war nun anders. Es gab einen Augenzeugen, der Cyril Murray schwer belasten konnte: Jossip Wassinski. Und kein Anwalt, nicht einmal der cleverste Rechtsverdreher, würde Murray wieder loseisen können. Diesmal würde Murray festkleben.

Roberto wollte Murray aus dessen Apartment holen, doch es kam anders. Zwei Männer tauchten bei Murray auf, sie holten ihn ab, und er fuhr mit ihnen nach Borough Park.

Roberto Tardelli hing sich mit seiner Kawasaki an, ohne dass die Gangster es merkten. Er hielt niemals den gleichen Abstand ein, ließ hin und wieder Fahrzeuge vorfahren, holte auf, fiel wieder zurück, verlor aber den schwarzen Gangsterwagen nicht aus den Augen.

In der 39. Straße, nahe dem riesigen Greenwood Cemetery, verlangsamte der Wagen, in dem Murray saß, seine Fahrt. Roberto ließ seine Maschine auch etwas langsamer rollen. Er beobachtete, wie das schwarze Fahrzeug auf das Gelände einer aufgelassenen Lokomotivfabrik fuhr. Was wollten die Gangster da? Wickelten sie hier irgendwelche Geschäfte ab?

Es war bekannt, aber die Polizei konnte es nicht beweisen, dass Brian Cusacks Leute im Hafen alles, was nicht niet- und nagelfest war, stahlen. Sie brachen in Lagerhäuser ein, stahlen das Frachtgut auch manchmal von den Schiffen. Die Sore verschwand zumeist auf Nimmerwiedersehen, und die Behörden zerbrachen sich den Kopf, wo sich der Umschlagplatz für alle diese gestohlenen Güter befand. War das etwa hier?

Hatte Cyril Murray Roberto Tardelli - ohne es zu ahnen - zu diesem Ort geführt? Roberto sah den schwarzen Wagen zwischen schäbigen Hallen verschwinden. Manche Gebäude waren schon arg demoliert. Zwischen ihren Mauern, dort, wo einmal Menschen gearbeitet hatten, wucherte Unkraut aus dem aufgebrochenen Betonboden. Hier konnte man tatsächlich Geschäfte abwickeln, die man unter Ausschluss der Öffentlichkeit tätigen wollte. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass hier Diebesgut an den Mann gebracht wurde.

Roberto ließ seine Maschine weit genug von der Lokomotivfabrik entfernt stehen. Er überquerte die Straße und verschwand in einer Halle, die kein Dach mehr hatte, deren Fenster eingeschlagen waren, deren Vorderfront eingestürzt war. Das Gelände war so groß, dass man sich darauf verlaufen konnte. Nicht alle Gebäude befanden sich in einem so schlechten Zustand wie das, in dem sich Roberto Tardelli gerade aufhielt.

Er huschte durch eine kleine Wildnis, die ihn manchmal sogar überragte. Die Natur war in die Halle eingebrochen und hatte sie zurückerobert. Roberto blieb kurz stehen. Er orientierte sich, prüfte den Sitz seiner Luger, die in der Schulterhalfter steckte, setzte seinen Weg fort.

Er war nicht unbedingt ein Freund von Waffen, aber ohne seine Pistole hätte er die Lokomotivfabrik nur ungern betreten. Schließlich warfen Murray und seine Freunde nicht mit Wattebällchen, wenn man sich ihnen in den Weg stellte. Roberto stolperte über Ziegelsteine. Glassplitter knirschten unter seinen Schuhen. Er versuchte leise zu sein, aber es gelang nicht immer.

Sobald er die Halle durchquert hatte, gelangte er an ein hohes glasloses Fenster. Er lehnte sich daneben an die brüchige Mauer und peilte vorsichtig die Lage.

Zwischen zwei besser erhaltenen Gebäuden stand der schwarze Gangsterwagen. Cyril Murray und seine beiden Komplizen saßen nicht mehr in dem Fahrzeug. Sie verschwanden soeben um die Ecke des linken Gebäudes. Roberto wollte sehen, wohin sie gingen, deshalb kletterte er aus dem Fenster und folgte ihnen.

Im Schatten des langgestreckten Gebäudes eilte er auf den schwarzen Wagen zu. Plötzlich vernahm er Motorlärm. Ein Fahrzeug näherte sich. Roberto blickte sich gehetzt um. Wo konnte er sich verstecken?

Eine schmale Tür fiel ihm auf. Er öffnete sie hastig und glitt in die Fabrikhalle. Gleich neben der Tür führte eine Treppe nach oben. Roberto überlegte nicht lange. Er hastete die Stufen hinauf und erreichte ein Fenster, von dem aus er einen guten Überblick über die Szene hatte. Soeben verstummte der Motorlärm. Roberto sah einen Lastwagen, der mit Kisten beladen war.

 

Cyril Murray kannte den Fahrer. Er ging auf ihn zu. Der Mann sprang aus dem Laster. Murray schlug ihm auf die Schulter und fragte, wie es ihm gehe.

„Prima“, antwortete der Lastwagenfahrer grinsend.

Murray wies mit dem Daumen auf die Ladung.

„Sind das die Antiquitäten aus Europa?“

„Kistenweise altes Zeug“, sagte der Fahrer. „Die Leute, die so etwas kaufen, müssen meschugge sein.“

„Ist ’ne prima Wertanlage“, sagte Murray.

„Ja, aber nur, weil es so viele Idioten gibt, die so ziemlich jeden Preis für den Ramsch bezahlen.“

„Uns kann das egal sein. Hauptsache die Kasse klingelt“, sagte Murray. Er blickte auf seine Uhr. „Sie müssen gleich hier sein.“

Roberto nahm an, dass die rechte Hand des Königs von Brooklyn von den Leuten sprach, mit denen er das Geschäft mit den Antiquitäten abwickeln wollte. Tatsächlich tauchte gleich darauf ein Wagen auf, der mit zwei Männern besetzt war. Das Fahrzeug hielt hinter dem Lastwagen an. Zwei gut angezogene Kerle stiegen aus. Verbrecher wie Cyril Murray. Vielleicht nicht ganz so schlimm, denn ihr Geschäft war die Hehlerei, während Murray auch vor einem Mord nicht zurückschreckte.

Murray lobte die Pünktlichkeit der Geschäftsfreunde. Er wies auf den Lastwagen.

„Da ist das Zeug. Wollt ihr euch ansehen, was sich in den Kisten befindet?“

„Ist nicht nötig“, antwortete einer der beiden Hehler. „Wir lassen die Kostbarkeiten lieber verpackt. Sollte es Reklamationen geben, was ich mir nicht vorstellen kann, wenden wir uns an Cusack.“

Murray nickte zufrieden.

„Dann gehört der Plunder jetzt euch. Aber den Lastwagen kriegen wir wieder.“

„Man wird ihn so bald wie möglich hierher zurückbringen.“

„Fehlt nur noch eines“, sagte Murray. „Die Pinke.“

Der Mann, mit dem er sprach, holte einen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts, der prall mit Dollarscheinen gefüllt zu sein schien.

„Vertrauen gegen Vertrauen“, sagte Murray grinsend. „Ich werde nicht nachzählen.“

Roberto überlegte, was er anstellen konnte, dass die Sore nicht in irgendwelchen Kanälen verschwand. Dort unten waren sechs Verbrecher. Wenn er den Abtransport der Antiquitäten aus Europa verhindern wollte, musste er sich mit ihnen allen anlegen.

Ehe er sich entschließen konnte, aktiv zu werden, vernahm er hinter sich plötzlich ein leises Geräusch. Der Umschlagplatz wird bewacht!, schoss es ihm durch den Kopf.

Er wirbelte herum, doch er war nicht schnell genug. Ein Totschläger zuckte herab. Er ließ sich zur Seite fallen. Dadurch traf ihn das schwarze Ding nicht voll, aber seine Widerstandskraft war angeknackst.

Mit seinen Fäusten stürzte er sich auf den Mann, der sich an ihn herangepirscht hatte. Obwohl er kaum etwas sehen konnte, drosch er zu. Da hieb der Gangster noch einmal mit dem Totschläger auf ihn ein. Und diesmal raubte ihm der Treffer das Bewusstsein.