Extra Krimi Paket Sommer 2021

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20

Die Einsatzkräfte des Fire Service bekamen den Brand im 28. Stock relativ schnell unter Kontrolle. Sicherheitshalber wurde das gesamte Gebäude zwar evakuiert, aber der Einsatzleiter versicherte uns, dass das nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Aber seit dem Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 war man im Hinblick auf Brände in Hochhäusern einfach sehr viel vorsichtiger. Die Bilder jenes Schreckenstages standen allen New Yorkern noch immer vor Augen.

In diesem Fall allerdings war der Angriff erstens weitaus weniger schwerwiegend gewesen und zweitens hatte die Sprinkleranlage einwandfrei funktioniert. Es gab in Folge der ausgebrochenen Panik ein paar Leichtverletzte. Ansonsten waren alle Angestellten von Montalban House Ltd. mit dem Schrecken davongekommen.

Unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina trafen am Tatort ein. Wir erfuhren, dass der Helikopter in Richtung Norden geflogen war. Auf die Wälder von Connecticut zu.

Es würde schwierig sein, ihn aufzuspüren.

Die Air Force war alarmiert worden. Seit dem 11. September erfolgte das routinemäßig. Aber solange sich der Helikopter über dem Stadtgebiet des Big Apple befand, konnten selbst Jagdflugzeuge nichts gegen ihn ausrichten, wollten sie nicht das Leben vieler Unschuldiger gefährden.

Clive und Orry lösten uns am Tatort ab.

Zuvor hatten wir Mister McKee einen vorläufigen telefonischen Bericht über die Ereignisse geliefert.

Wir fuhren nach Hause, um uns umzuziehen.

Schließlich waren Milo und ich vollkommen durchnässt.

"Schon eigenartig, dass die Kooperationsbereitschaft des sauberen Mister Montalban jr. wie weggeblasen war, nachdem dieser Anschlag geschah", meinte ich, während ich den Sportwagen vor einer roten Ampel anhalten musste.

Einsatzwagen von Polizei, FBI, Erkennungsdienst, Fire Service und Emergency Service blockierten teilweise die Seventh Avenue. Das wirkte sich natürlich auch auf die Nebenstraßen aus, sodass es ziemlich zähflüssig voran ging.

"Das Ganze hat etwas mit den Geschäften seines Vaters zu tun, da wette ich mit dir, Jesse!", meldete sich Milo zu Wort.

"So sauber, wie er tut, ist José aber auch nicht", erwiderte ich.

"Hast du dafür irgendeinen Anhaltspunkt?"

"Nein. Noch nicht. Aber mit dem stimmt etwas nicht - mal davon abgesehen, dass ich ihm auch nicht abkaufe, dass er sich überhaupt nicht denken kann, wer es auf ihn abgesehen haben könnte."

Milo nickte. "Könnte durchaus sein, dass José sein ganz eigenes Spiel spielt. Wäre vielleicht interessant, ihn mal in einen Kreuzverhör mit seinem Vater zu nehmen, was die Entführung von Dolores angeht."

"Ob es die wirklich gegeben hat, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ich traue José genauso wenig über den Weg wie seinem Vater."

Ich setzte Milo an der bekannten Ecke ab.

Anschließend fuhr ich zu meinem Apartment und zog mich um. Irgendein entscheidendes Puzzle-Teil fehlte uns noch, um erkennen zu können, was hier wirklich hinter den Kulissen vor sich ging. Im Moment ergab das alles noch kein klares Bild.

Ich hatte kaum den letzten Hemdknopf geschlossen, da schrillte mein Handy.

Am anderen Ende der Verbindung war Mister McKee.

"Was gibt es, Sir?", meldete ich mich.

"Ich hoffe, Sie und Milo haben den Bazooka-Angriff inzwischen einigermaßen verdaut." Unser Chef war natürlich über die Ereignisse in der Seventh Avenue genauestens informiert worden.

"Auf die Sprinkler-Dusche hätten wir gerne verzichtet!", erwiderte ich.

"Glaube ich Ihnen gerne, Jesse. Es wird Sie sicher interessieren, was mit dem Helikopter geschehen ist."

"Natürlich."

"Nach den letzten Informationen, die mir vorliegen, ist er über einem Waldgebiet in Connecticut abgestürzt. Die Verfolger-Einheiten hatten ihn zwischenzeitlich verloren."

"Wer war denn hinter ihm her?"

"Wir haben alle Helikopter von NPYD, FBI und State Police alarmiert. Außerdem waren Abfang-Jäger der Air Force unterwegs. Jetzt wird die Absturzstelle genauestens unter die Lupe genommen."

"Mister McKee, der Pilot muss eine Art Kunstflieger gewesen sein. Der beherrschte seine Maschine mit einer traumwandlerischen Sicherheit, sonst hätte er niemals ein derart riskantes Flugmanöver machen können."

"Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Jesse. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Kerl auf Grund eines Fehlers abstürzte."

"Das bedeutet, der Helikopter wurde absichtlich zum Absturz gebraucht."

"Wir vermuten, dass die Insassen mit dem Fallschirm ausgestiegen sind, um sich am Boden von irgendwem abholen zu lassen. Sie haben den Heli einfach weiterfliegen lassen, bis er zu Boden trudelte. Genaueres werden wir hoffentlich bald wissen. Jedenfalls wird das Gebiet um die Absturzstelle weiträumig abgeriegelt werden."

"Soweit das in den Wäldern von Connecticut möglich ist", murmelte ich.

Wer immer sich da einen Polizei-Heli als Mordwaffe ausgeliehen hatte - er hatte einen nahezu perfekten Plan gehabt.

"Ich rufe Sie noch aus einem anderen Grund an, Jesse", fuhr Mister McKee fort. "Ich möchte Sie und Milo bitten, so schnell wie möglich zu einem Tatort in der 49. Straße zu fahren..."

21

Haus Nr. 543 in der 49. Straße war ein etwas heruntergekommenes Apartment-Haus. Ich hatte Milo abgeholt und war anschließend so schnell wie möglich hier her gefahren. Den Sportwagen parkte ich am Straßenrand. Wir hatten Glück, noch eine Lücke zu finden. Ein halbes Dutzend Einsatzfahrzeuge standen in der Nähe. Uniformierte Kollegen der City Police ließen niemand Unbefugten ins Haus.

Wir zeigten den Uniformierten unsere ID-Cards.

"Lieutenant Davis erwartet Sie schon", winkte uns einer Cops durch. "Fahren Sie mit dem Aufzug in den fünften Stock, dann links den Korridor hinunter. Das Apartment trägt die Nummer E45."

"Danke", nickte ich.

Wenige Minuten später erreichten wir das betreffende Apartment.

Bereits auf dem Flur gab es reichlich Blutflecken und Kreidemarkierungen. In der Korridorwand befanden sich Einschusslöcher. Hier hatte zweifellos eine Schießerei stattgefunden.

Lieutenant Davis von der City Police war ein untersetzter Mittvierziger. Er begrüßte uns freundlich.

"Einer der Toten ist bereits abtransportiert worden, wie Sie sehen. Er lag hier auf dem Flur und deswegen..."

"Ich verstehe schon", sagte ich.

"Ich weiß nicht, in wie weit man Sie schon ins Bild gesetzt hat."

"Ich weiß nur, dass der Mordfall, den Sie bearbeiten, etwas mit dem Tod von Dolores Montalban zu tun hat! Für weitere Erläuterungen durch unseren Chef war keine Zeit. Wir sind gleich hier her gekommen."

Lieutenant Davis nickte. "Der Fall von der angemalten Frauenleiche auf der Müllkippe Cannary Lane hat ganz schön Aufsehen erregt."

"Allerdings."

"Dann kommen Sie mal mit."

Er führte uns in das Apartment. Auf dem Boden lag eine Tote. Sie war nackt und wies eine Schusswunde in der Bauchgegend auf. Ihr Körper war auf ganz ähnliche Weise bemalt wie es bei Dolores Montalban der Fall gewesen war.

"Wer ist die Tote?", fragte Milo.

"Wir haben ihre Sachen sicherstellen können", berichtete Davis. "Ihre Sozialversicherungskarte war auch dabei. Die junge Frau heißt Carrie McDaniel. Wir haben ihre Daten noch nicht in eine NYSIS-Abfrage gegeben, aber ich denke, das werden Sie im Field Office sehr schnell nachholen. Der gegenwärtige Bewohner dieses Apartments ist nicht, wie es das Türschild vermuten lässt, ein gewisser Timothy Jordan..."

"Sondern?", fragte ich.

"Wir haben die Nachbarn und die Hausverwaltung befragt. Der gegenwärtige Bewohner heißt Brett Nolan und hat die Angewohnheit, sich wie eine Leiche zu schminken. Ein Mann, der vom FBI gesucht wird, oder?"

"Kann man wohl sagen."

"Timothy Jordan ist Student an der Columbia University. Wie uns Nachbarn berichteten, verbringt er zurzeit ein Forschungssemester in Peking. Daher hat er sein Apartment untervermietet."

Ich blickte mich um. "Können Sie mir auch nur andeutungsweise sagen, was hier passiert ist, Lieutenant?"

"Im Groben ja. Brett Nolan und Carrie McDaniel hielten sich hier im Apartment auf. Die Tür wurde eingetreten. Ein Dritter kam hinzu. Offenbar war dieser Eindringling bewaffnet. Er begann eine Schießerei, in deren Verlauf Carrie McDaniel und der Angreifer ums Leben kamen. Daraufhin hat Brett Nolan offenbar das Weite gesucht."

"Dieser Angreifer..."

"Wir wissen nicht, wer er ist. Seine Papiere sind falsch, die Schalldämpfer-Waffe hatte keine Registrierung. Wir suchen in der Umgebung noch nach einem Wagen, den er gefahren hat. Jedenfalls hatte er Autoschlüssel dabei. Aber wenn Sie mich fragen, dann muss man in der Rubrik Profi-Killer suchen."

"Montalbans Rache!", entfuhr es Milo.

Er hatte damit genau das ausgesprochen, was auch mir im Kopf herumspukte.

Offenbar hatte sich der große Boss geschworen, diejenigen zur Strecke zu bringen, die er für den Tod seiner Tochter verantwortlich machte. Ob nun zu Recht oder zu Unrecht. Dazu brauchte er natürlich weder selbst tätig zu werden, noch einen seiner eigenen Leute loszuschicken. Das war alles viel zu risikoreich.

Es reichte völlig, wenn jemand wie El Columbiano ein Kopfgeld aussetzte.

Das sprach sich schnell herum und man konnte davon ausgehen, dass es genug Profis gab, die dann auf eigene Faust aktiv wurden...

 

Das Dumme war nur, dass man Dirty Rick Montalban wahrscheinlich weder das Aussetzen eines Kopfgeldes noch einen Mordauftrag nachweisen konnte. Vermutlich hätten wir nicht einmal belegen können, dass uns der Chef des Kolumbianer-Syndikats offenbar ziemlich dreist angelogen hatte.

"Zumindest wissen wir, dass Nolan noch lebt und nicht in der Gasexplosion ums Leben gekommen ist", murmelte ich halblaut. Brett Nolan hatte nun schon das zweite Mal unverschämtes Glück. Er würde es weiterhin brauchen, wenn er am Leben bleiben wollte.

"Können wir uns noch etwas umsehen?", fragte ich.

"Klar, aber ziehen Sie sich Latex-Handschuhe an, sonst werden die Kollegen vom SRD ziemlich ärgerlich", erwiderte Davis.

Wir sahen uns nach persönlichen Gegenständen um, die Brett Nolan gehörten und uns vielleicht auf die Spur jener Satanisten-Sekte bringen konnte, der Dolores Montalban verfallen war.

Dabei war es nicht ganz leicht, zwischen den Sachen des eigentlichen Wohnungsbesitzers und Nolans Eigentum zu unterscheiden.

Einen Teil seiner Kleidung hatte Nolan zurückgelassen. Dasselbe galt auch für die Schminkutensilien im Bad, mit denen er sich offenbar eine bleich erscheinende Haut machte.

22

Lichtblitze zuckten durch das Halbdunkel, das im "Damned Soul Club" herrschte. Tänzer zuckten ekstatisch auf der Tanzfläche. Harte Beats mischten sich mit ohrenbetäubenden, schrillen Gitarrensounds. Hin und wieder erhellte ein Laserblitz die bleich geschminkten, totengleichen Gesichter der Tänzer. Die Lampen an den Tischen glichen leuchtenden Totenschädeln.

Ein Mann im weißen Anzug betrat zusammen mit drei Begleitern den Raum. Er trug einen dünnen Oberlippenbart. Das Haar war zu seinem Zopf zusammengefasst. Den zum Anzug passenden weißen Hut trug er tief ins Gesicht gezogen.

Sein Gefolge war ebenfalls in Weiß gekleidet - einer Farbe, die im "Damned Soul Club" verpönt zu sein schien.

Der Zopfträger steckte sich eine Zigarre in den Mund.

Einer seiner Begleiter zündete sie ihm eilfertig an.

"Hey, was ist das für ein düsterer Laden, Mister Dominguez", meinte er.

"So sieht eben ein Gruftie-Schuppen aus", knurrte dieser. Er machte seinen Leuten ein Zeichen. Sie folgten Dominguez an die Bar.

Eine zierliche junge Frau mit schwarz geschminkten Augenrändern stand hinter dem Tresen.

"Hey, Lady, ich suche das Narbengesicht", sagte Dominguez.

Die junge Frau mit den schwarz geränderten Augen musterte Dominguez von oben bis unten. "Wer hat euch überhaupt reingelassen?"

"Wir haben eure Türsteher überzeugt", erklärte Dominguez grinsend.

Seine Begleiter ließen daraufhin wie auf ein geheimes Kommando die Jacketts zur Seite gleiten und gaben damit den Blick auf ihre Pistolen frei.

"Ach Sie sind das...", murmelte die junge Frau. "Bruder Maleficius hat erwähnt, dass jemand nach ihm fragen würde..."

"Dann sag mir mal schnell, wo dieser Bruder Malefitz zu finden ist, bevor ich ungeduldig werde!"

Ein kahlköpfiger Riese mit einer Sicherheitsnadel in der Wange und Augenbrauen, die nur aus Piercings zu bestehen schienen, trat hinzu.

"Gibt's Probleme?", fragte er die junge Frau.

"Ich glaube nicht." Sie deutete auf einen Nebenausgang. "Den Korridor entlang. Dritte Tür links."

Dominguez grinste. "Heißen Dank, Höllenbraut!"

"Bild dir nur nichts ein!"

"Hey, chica, warum so kratzbürstig?" Dominguez legte lässig eine Visitenkarte auf den Tisch. "Kann ja sein, dass du mal einen neuen Job brauchst. Mir gehören ein paar Striplokale in East Harlem und wenn du bereit wärst, dir dieses fiese weiße Puder abzuwaschen..."

"Verpiss dich!", zischte die junge Frau so laut, dass sie damit selbst die Gitarrenmusik übertönte. Einige der Tänzer drehten sich um.

Dominguez' Gefolge brach in schallendes Gelächter aus.

Der gepiercte Kahlkopf spannte die Muskeln an. Aber die bleiche Lady hielt ihn davon ab, sich Dominguez zu packen.

Die Männer in Weiß zogen ab, betraten den Korridor.

Bei der dritten Tür links klopfte Dominguez.

Die Hände seiner Bodyguards glitten zu den Waffen.

Jemand öffnete die Tür. Dominguez runzelte die Stirn, als er den düsteren Kuttenträger vor sich sah. "Bruder Maleficius erwartet Sie!", sagte er.

Im Raum herrschte Halbdunkel.

Es gab keinerlei Fenster, durch die Tageslicht hätte dringen können.

Der hintere Teil des Raums wurde durch einen dunklen Vorhang abgetrennt. Er bewegte sich leicht. Von irgendwoher musste Zugluft kommen.

Auf dem Boden waren sechs Kerzen in einem regelmäßigen Hexagon angeordnet.

Dahinter saß eine Gestalt. Auch sie trug eine Mönchskutte.

"Tretet näher", war die sonore Stimme des Kuttenträgers zu vernehmen.

Einer der Bodyguards kickte die Tür zu. Dominguez stellte sich breitbeinig auf. Die Daumen klemmte er hinter den Gürtel. GOD FORGIVES, I DON'T stand in Großbuchstaben auf dem Gürtelschloss, das jetzt unter der weißen Weste hervorschaute.

"Hey Narbengesicht! Ich habe gehört, du bist in Schwierigkeiten, weil deine Leute Bockmist veranstaltet haben."

"Ich hatte gedacht, du bist hier, um deine Schulden zu bezahlen!"

"Was für Schulden? Dolores Montalban ist tot, weil ihr zu unvorsichtig wart! Damit habt ihr alles verdorben!"

"Dolores' Tod war nicht unsere Absicht!"

"Hör mal, Narbenfratze, nicht nur ich meine, dass du keinen Cent verdient hast. Alles, was wir für dich tun können ist das hier!"

Er langte in die Innentasche seines Jacketts, holte ein Kuvert hervor und warf es in die Mitte des Kerzenhexagons.

"Was ist das?", fragte Bruder Maleficius.

"Ein Ticket nach Mexiko für Morgen früh. Soll ich dir sagen, welchen Vorschlag Fat Paco in Bezug auf dich gemacht hat? Er meinte, wir sollten dem alten Montalban einfach mitteilen, wo du dich aufhältst. Dann wären wir dich auch los... Du siehst, ich bin da etwas weniger rabiat!"

"Wir hatten eine Vereinbarung", sagte der Kuttenträger. Er hob leicht den Kopf. Der Schein der Kerzen fiel kurz auf die untere Hälfte eines entstellten Gesichts. "Und daran werden Sie sich halten. Mister Dominguez! Bestell das auch den anderen!"

"Komm schon, Scarface!"

"Ich will die abgemachte Summe und einen Teil des Drogengeschäftes, wenn der Markt neu geordnet wird!"

"Hey, immer easy bleiben. Fat Paco und ich haben die Sache besprochen und entschieden. Du bist ein Risiko, das wir uns nicht leisten können. Wenn du morgen noch in der Stadt bist, werden wir sehen, ob die Fische im Hudson jemanden mit so einer Visage überhaupt anknabbern. Haben wir uns verstanden?"

"Vollkommen."

Der Vorhang glitt zur Seite.

Eine Gruppe von fünf Kuttenträgern stand dort. Blitzschnell hoben sie die Arme. In den Ärmeln ihrer weiten Mönchskutten waren Pistolen mit Schalldämpfern verborgen. Kurz hintereinander wurden mehrere Schüsse abgegeben. Dominguez' Leibwächter schafften es nicht mehr, rechtzeitig zu ihren Waffen zu greifen. Sie sanken getroffen zu Boden.

Dominguez stand allein da.

Wie erstarrt.

Die Kuttenträger kreisten ihn ein.

"Eine falsche Bewegung und es ergeht Ihnen wie deinen Leuten, Dominguez", sagte Bruder Maleficius.

"Was willst du?", keuchte Dominguez, dessen Gesicht aschfahl geworden war. "Glaub mir, das wirst du bereuen..."

Maleficius erhob sich. Er trat vor Dominguez. Dann griff er blitzschnell zu. Seine Hand schnellte vor und packte Dominguez am Nacken. Der Gangster im weißen Anzug spürte den Einstich kaum. Erst als Maleficius die Hand zurückgezogen hatte, begriff Dominguez. Im Schein der Kerzen sah er den Ring mit der Injektionsnadel am Mittelfinger des Kuttenträgers.

"Ich hatte geahnt, was du vorhast, Dominguez!", zischte Maleficius.

Benny Dominguez betastete die Einstichstelle am Hals.

Er wurde blass.

"Verdammt! Was soll das?"

"Ich habe dir eine Substanz verabreicht, die mit einigen bekannten Schlangengiften verwandt ist. Du weißt ja, dass wir mit solchen Dingen experimentieren. Innerhalb von 5 bis 8 Stunden kann ein Serum dich noch retten. Ich halte es bereit. Du besorgst den Betrag, der noch aussteht und wenn du ihn verdoppelt hast, werde ich es dir zur Verfügung stellen."

"Das geht nicht so einfach!"

"Oh doch! Warte nicht zu lange, Dominguez. Du wirst Muskelkrämpfe bekommen und dich irgendwann nicht mehr bewegen können. Und komm nicht auf die Idee, dich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Bis die wissen, was mit dir los ist, bist du tot."

"Damit kommen du nicht durch..."

"Bestell Fat Paco einen schönen Gruß von mir..."

"Schwein!"

"Wenn du nett zu der Kleinen hinter dem Tresen bist, ruft Sie dir vielleicht ein Taxi!"

Dominguez starrte Bruder Maleficius völlig entgeistert an.

Er öffnete den Mund, so als wollte er etwas sagen. Aber kein Laut kam über seine Lippen. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. Dominguez schluckte und stürzte schließlich zur Tür hinaus.

"Hast du wirklich vor, ihm das Serum zu geben, Bruder Maleficius?", fragte einer der Kuttenträger.

Der Narbengesichtige hob den Kopf. "Wäre ich dann SEIN wahrhafter Diener?"

"Wohl kaum."

Der Mann, der sich Bruder Maleficius nannte, kicherte leise. "Gegen die Substanz, die ich ihm gegeben habe, gibt es gar kein Serum." Maleficius wandte sich einem der Kuttenträger zu. "Schwester Francine..."

Die Kapuze glitt zurück.

Langes blondes Haar fiel über schmale Schultern.

"Ja, Meister der Finsternis?"

"Am frühen Abend waren zwei FBI-Agenten hier im Club und haben sich nach Brett Nolan erkundigt. Der Junge könnte für uns zu einem Problem werden..."

23

"Wir waren in diesem Damned Soul Club", berichtete Jay Kronburg, als wir später in Mister McKees Besprechungszimmer saßen. Unsere Dienstzeit war eigentlich längst vorbei. Dunkelheit hatte sich über den Big Apple gelegt. Wenn man aus den Fenstern des Bundesgebäudes an der Federal Plaza blickte, schaute man auf das Lichtermeer jener Stadt, die niemals schlief. Unserer Stadt.

"Wem wir dort Brett Nolan Bild auch vorlegten - angeblich hat ihn niemand gekannt", ergänzte Leslie Morell. Er zuckte die Achseln. "Wir haben uns schließlich den Geschäftsführer des Ladens vorgeknöpft. Er gab schließlich zu, Nolan zu kennen, ihn aber schon eine ganze Weile nicht gesehen zu haben."

"Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mich dort auch 'ne Weile nicht blicken lassen", warf Milo ein.

"Fragt sich nur, wo er im Moment untergetaucht ist", brummte Mister McKee. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner grauen Hose vergraben.

"Wir haben inzwischen außerdem die Adressen einiger Leute abgeklappert, die im Zusammenhang mit denselben Straftaten erkennungsdienstlich behandelt worden sind wie Dolores Montalban, Pat McGovern und Brett Nolan", fuhr Jay in seinem Bericht fort. "Leider ohne Erfolg."

"Dieser Mann sollte uns dankbar sein, wenn wir ihn vor Dirty Rick und seinen Schergen in die Hände bekommen", murmelte unser Chef.

Er griff nach der Kaffeetasse auf seinem Schreibtisch und nahm einen kräftigen Schluck. Seit der Special Agent in Charge unseres Field Office seine Familie durch ein Verbrechen verloren hatte, widmete er sein Leben voll und ganz dem Kampf gegen die Kriminalität. Er war morgens der Erste im Office und spät in der Nacht oft der Letzte, der es verließ. Hin und wieder übernachtete er sogar auf einer Liege im Büro.

Mister McKee blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk und wandte sich anschließend an mich.

"Ich weiß, dass es spät ist, Jesse, aber Sie wollten ja unbedingt mit unserem Informanten sprechen..."

"Raquino!", entfuhr es mir.

"Wir haben Kontakt mit ihm aufgenommen. Wenn Sie den Subway-Triebwagen besteigen, der 4.23 Uhr an der Subway Station DeKalb in Brooklyn Richtung Midtown Manhattan fährt, können Sie ihn treffen."

Ich atmete tief durch. "Ziemlich früh, finden Sie nicht?"

"Raquino will es so. Wahrscheinlich denkt er, dass dann das Risiko für ihn geringer ist."

"Und wie erkennen wir ihn?", meldete sich Milo zu Wort.

 

"Ich werde Ihnen ein Foto geben. Und Raquino wird Sie daran erkennen, dass Sie Ihre Uhren auf der rechten Seite tragen!"

"Wie originell!", spottete Jay Kronburg.

Mister McKee trank seinen Kaffee aus. "Wenn Sie sich noch ein paar Stunden aufs Ohr hauen wollen, dann tun Sie das am besten jetzt!"