Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021

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29

Feller öffnete den Umschlag später, im Schlafzimmer. Ein Foto, mehr war nicht darin. An der linken Ecke oben hatte es ein Eselsohr.

Auf dem Bild war das Gesicht eines Mannes zu sehen. Die Augen waren weit aufgerissen und starr. Aus dem Mund sickerte Blut. Man hatte ihm die Zähne eingeschlagen und auf seiner Stirn war ein kleines, rotes Einschussloch.

Feller lief es eiskalt über den Rücken, und das nicht nur wegen des Zustandes, in dem sich der Abgebildete befand.

Carola kam herein.

Sie sah Feller auf der Bettkante sitzen, das Gesicht farblos, der Blick leer und ins Nichts gerichtet. Sie setzte sich neben ihn, legte die Hand auf seine Schulter. Er ließ zu, dass sie ihm das Bild aus der Hand nahm.

"Das war alles?", fragte sie.

"Ja. Ich wollte es nicht aufmachen, solange der Junge dabei war." Er zuckte die Achseln.

Carola verengte ein wenig die Augen, als sie das Foto betrachtete.

Dann sagte sie: "Der Mann auf dem Foto sieht aus, als ob..." Sie brach ab.

Feller nickte.

"Als ob er tot ist. Ja. Du kannst dich drauf verlassen: Er IST tot."

"Wer ist es?"

"Es ist der Mann, den ich damals in Ottos Wohnung getroffen habe."

"Bist du sicher?"

"Hundertprozentig. Er ist zwar ein paar Jahre älter geworden, aber das Gesicht habe ich nicht vergessen. All die Jahre nicht! Nein, ich bin mir absolut sicher. Da gibt es keinen Zweifel."

"Er sieht schlimm aus..."

Feller lächelte matt.

"Nicht so schlimm, wie manches, was man im Fernsehen sieht!", meinte er schnoddrig.

Carola verzog das Gesicht.

"Dumme Sprüche kannst du dir jetzt wirklich sparen, Martin! Jetzt geht es um dein Leben! Hast du das immer noch nicht begriffen?"

"Reg dich ab!"

"Reg dich ab! Reg dich ab!", äffte Carola ihn nach und fuhr sich mit Linken durch die Haare. "Ich will mich aber nicht abregen!" Sie atmete tief durch und forderte dann nach kurzer Pause: "Nun sag doch schon was! Kannst du dir irgendwie zusammenreimen, was das zu bedeuten hat?

Feller sah kreidebleich aus. "Schatz! Ich habe keine Ahnung! Dieser Mann... Ich weiß ja nicht einmal seinen Namen! Jemand hat ihn umgebracht und zwar auf ziemlich bestialische Weise. Aber warum? Keine Ahnung!"

"Und warum schickt man dir das Foto?"

"Wenn ich's wüsste, würde ich es dir sagen!"

Carola hob die Augenbrauen.

"Nein, würdest du nicht."

30

Irgendwer war auf die Idee gekommen, es wäre doch mal ganz lustig, im Knast ein Bier zu trinken. Vor allem für Polizisten. Und so waren sie schließlich nach Dienstschluss losgezogen. Moeller war dabei, nachdem man längere Zeit auf ihn eingeredet hatte.

Und so fuhren sie zum Biergarten am Buckesfeld.

Simitsch entschuldigte sich und später meinte einer der anderen: "Der muss sicher früh ins Bett, damit er morgen auch wieder hundertfünfzig Prozent Dienstbereitschaft zeigen kann."

Der Biergarten lag in einem ehemaligen belgischen Militärgefängnis, das nach Ende des kalten Krieges einer zivilen Nutzung zugeführt worden war. Lüdenscheids erste gastronomische Vollzugsanstalt. Die Betreiber hatten sich große Mühe gegeben, den groben Charme dieser Lokalität zu erhalten. Durch den Putz konnte man hier und da auf das kahle Mauerwerk sehen. Laufgänge und Zellentüren vermittelten einem ein pittoreskes Knast-Ambiente.

Da war nur ein unwesentlicher Unterschied.

Hier wurde niemand eingeschlossen.

Moeller langweilte sich. Es waren immer dieselben Witze, die bei solchen Gelegenheiten gemacht wurden. Und als Hauptkommissar Brinkhoff vom Einbruch dann auch noch lang und breit über den Überfall auf den Supermarkt an der Knapper Straße schwadronierte, der sich am heutigen Tag ereignet hatte, schaltete Moeller vollends ab. Er hörte Jazz-Melodien und begann im Rhythmus mit dem Kopf zu nicken.

"Ey, Moeller, hast du Zuckungen oder was?", fragte einer.

"Oder schlägt dir die Atmosphäre hier aufs Gemüt?"

Das allgemeine Gelächter ließ Moeller kalt.

31

Carola trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch, während im Hintergrund die Kaffeemaschine brodelte und dabei fast den Nachrichtensprecher im Radio übertönte.

Feller brauchte heute anscheinend länger als sonst, um sich fertig zu machen.

Als er dann endlich kam, hatte er etwas Schweres in der Hand, das er dann neben seinem Teller auf den Tisch legte.

Es war eine Pistole.

"Meine Güte, woher hast du denn die?", fragte Carola erstaunt.

"Die alte Sportpistole von deinem Vater", murmelte Feller und zuckte dabei die Achseln. "War gar nicht so einfach, das Ding wiederzufinden."

Carola zählte schnell zwei und zwei zusammen. Und ganz gleich, wie man die Sache auch betrachtete: Es gefiel ihr nicht.

"Meinst du...", begann sie, aber sie wurde von ihm unterbrochen.

"Na, jedenfalls will ich mich nicht einfach so abknallen lassen, wenn der Kerl hier auftaucht", meinte er und versuchte ein Lächeln, das sie nicht erwiderte. "Ich habe sogar etwas Munition gefunden. Hoffentlich funktioniert das alte Ding auch noch und fliegt mir nicht beim ersten Schuss um die Ohren!"

"Kannst du denn damit umgehen?", fragte Carola dann ganz pragmatisch.

"Ich denke schon. Schließlich war ich ja auch mal bei der Bundeswehr."

"Ich hoffe, du machst nicht nur noch alles schlimmer - mit dem Ding da!"

"Was soll denn schlimmer werden?"

"Ja, willst du ihn vielleicht einfach über den Haufen knallen, den Kerl?"

Feller schüttelte den Kopf.

"Nicht einfach so. In Notwehr. Verstehst du? Darauf hat jeder ein Recht, ich auch."

Feller nahm sich ein Brötchen und griff nach dem Marmeladenglas.

"Haben wir eigentlich keine Himbeerkonfitüre mehr?"

"Nein. Nur noch Ananas. Morgen gehe ich einkaufen."

Carola nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Dann sagte sie plötzlich: "Ich habe noch einmal über alles nachgedacht."

"Es ist schon spät", gab Feller mit vollem Mund zurück. "Ich muss in die Firma."

Carola musterte ihn. "Wenn das wirklich ehemalige Stasi-Leute sind, die dich da jetzt auf dem Kieker haben, dann frage ich mich, weshalb die dich verfehlt haben!"

Feller runzelte die Stirn und hörte einen Moment zu kauen auf.

"Na, weil ich mich schnell genug geduckt habe, deswegen", meinte er dann und lachte dabei verlegen. "Du hättest es wohl lieber, wenn es anders gekommen wäre, was?

"Quatsch!"

"Naja..."

"Über so etwas macht man keine Scherze, Martin!" Sie verschränkte die Arme vor der Brust und beugte sich dann nach vorn über den Tisch. "Überleg doch mal! Wenn das Profis waren, wieso dann eine solche Stümperei? Vielleicht vermutest du den Killer in einer ganz falschen Ecke und es hat am Ende gar nichts mit diesem Stasi-Zeug zu tun! Kann doch auch sein, oder?"

"Aus welcher Ecke soll's denn sonst kommen, Carola?"

"Keine Ahnung!"

"Na siehst du, dir fällt sonst auch keine Adresse ein, von der das kommen kann."

Feller steckte den Rest des Brötchens in den Mund und stand auf.

"Das haben wir doch alles schon hundertmal durchgekaut", murmelte er.

"Und was soll dieses Foto?", fragte Carola. "Darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen!"

"Mein Gott, ich weiß es nicht!"

"Und wenn das eine Art Warnung ist? So nach der Art: Der hier ist schon tot und du bist der nächste?"

Schulterzucken.

"Warum sollten sie so etwas tun? Das ergibt nur einen Sinn, wenn..."

Carola nickte.

"Wenn sie dich gar nicht um jeden Preis töten wollen, Martin!", vollendete sie. "Vielleicht kannst du dich mit ihnen... einigen..."

Er lachte heiser und schüttelte dabei den Kopf.

"Nein", murmelte er.

"Und warum nicht? Man könnte es versuchen!"

"Wie stellst du dir das vor? Den einzigen, den ich von dieser Bande etwas besser kannte war dieser Otto. Aber auch von dem wusste ich so gut wie nichts. Nichts, hörst du? Nur seinen falschen Namen und sein Gesicht. Und die Tatsache, dass er tot ist."

"Du vergisst den Mann auf dem Foto", gab Carola zu bedenken.

"Von dem weiß ich noch weniger."

Carola stand jetzt auch auf.

"Herrgott, du bist doch früher auch mit diesen Leuten in Kontakt gekommen, wenn's nötig war - irgendwie!"

"Nein."

Sie verstand nicht.

"Was heißt nein?"

"Es war immer umgekehrt. Sie haben mit mir Kontakt aufgenommen. Es war eine Einbahnstraße. Sie wussten alles über mich und ich nichts über sie. Das waren nun mal die Spielregeln, und ich hatte weder die Lust noch überhaupt die Möglichkeit, daran etwas zu ändern." Er sah sie an. "Aber mir wird schon was einfallen!", meinte er. "Ich hoffe, du hätlst zu mir!"

Ihre Züge wurden etwas sanfter. Sie kam näher, umrundete den Tisch und nestelte an seinem Hemdkragen.

"Sicher tu ich das!"

"Wirklich?"

"Es hängt alles davon ab."

"Ich weiß."

Er nahm sie in den Arm. Etwas hölzern zwar, aber er tat es. Er roch ihr Haar, während er ihre Stimme hörte: "Was immer gewesen ist, es ist lange her und es war eine andere Zeit."

Feller strich ihr über den Kopf.

"Ja", sagte er. "Jeder hat das Recht auf einen Fehler, oder?"

 

"Sicher."

Er löste sich von ihr.

Sie brachte ihn noch zur Tür.

"Hast du unseren Herrn Sohn eigentlich schon geweckt?", erkundigte er sich noch.

Sie nickte.

"Schon dreimal!"

"Der schafft doch nicht mehr pünktlich zu sein!" Und dabei lag das Geschwister Scholl Gymnasium schon mehr oder weniger um die Ecke.

"Ich werde etwas früher zum Dienst fahren, dann kann ich ihn mitnehmen."

Feller schüttelte den Kopf.

"Einen verwöhnten Pimpel haben wir da großgezogen! Die paar Meter lass ihn ruhig zu Fuß laufen. Den Ärger muss er dann selber durchstehen!"

"Wie du schon sagtest: Jeder hat das Recht auf Fehler."

"Ja, und unser gemeinsamer Fehler wird hoffentlich bald ein Stück erwachsener!"

32

"Dein Freund hat wieder angerufen!", begrüßte Charly seinen Chef, als der gerade aus dem Wagen gestiegen war. Martin Fellers Gesicht verfinsterte sich leicht.

"Was?", fragte er überflüssigerweise. Er wirkte ziemlich unwirsch.

"Na, du weißt schon, der eine da... Sag mal, was steckt da eigentlich hinter? Was will der Kerl von dir?

"Ich weiß es nicht", erklärte Feller. Er wollte an Charly vorbei, aber der fasste ihn leicht an der Schulter.

"Brauchst du irgendwie Hilfe, Chef?"

"Quatsch!"

"Ach komm schon! Ich kenn dich doch! Das sieht doch ein Blinder, dass mit dir was nicht in Ordnung ist!"

Feller versuchte ein milderes Gesicht aufzusetzen.

"Es ist alles okay", behauptete er und seufzte. "Jedenfalls gibt es keine Probleme, die ich nicht selber lösen könnte..."

In Charlys Gesicht stand der blanke Zweifel.

"Du weißt, ich bin dein Freund", sagte er dann gedämpft. "Du kannst auf mich zählen, woll!"

Feller nickte.

"Danke, Charly. Wirklich vielen Dank."

"Ich habe das nicht nur einfach so dahingesagt!"

Fellers Lächeln war noch dünner als der Kaffee, den seine Frau ihm morgens machte.

Er sagte noch einmal, fast so, als müsste er es sich selbst erst einreden: "Das weiß ich, aber ich komme gut klar. Es ist alles in Ordnung."

Charly schüttelte den Kopf und nahm die Hand von Feller Schulter.

"Entschuldigung, aber das glaube ich nicht!"

"Weißt du was? Kümmer dich um deine Sachen, ja?", fauchte Feller. Charly zuckte die Achseln und sah seinen Chef nachdenklich an.

"Wie du meinst!"

Feller ging auf das gläserne Büro zu. Das Motorengeräusch eines Wagens ließ ihn herumfahren. Ein rostiger Omega fuhr die steile Einfahrt hinauf.

"Der hat mir noch gefehlt", knurrte Feller vor sich hin, als er Moellers Gesicht sah. Dann zwang Feller sich zu einem Lächeln, das dementsprechend aussah.

Moeller stieg aus.

"Meinen Sie, nur weil Sie bei der Kripo sind, können Sie hier mitten im Weg stehen?", knurrte Feller.

"Es dauert nicht lange", sagte Moeller.

"Ach, was! Ich bin Unternehmer! Ich muss sehen, dass die Kunden hier freie Fahrt haben! Mein Gott, geht das nicht in Ihren Beamtenschädel hinein?"

Moeller trug eine Baseballmütze aus Kunstleder mit der Aufschrift SAN JOSE SHARKS. Darunter war ein Hai zu sehen, der einen Eishockeyschläger auffraß. Durch die hintere Öffnung der Mütze hatte Moeller sorgfältig seinen Zopf hindurchpraktiziert.

Und so einen bezahle ich von meinen Steuergeldern!, ging es Feller ärgerlich durch den Kopf.

"Sie sollten sich über ganz andere Dinge Sorgen machen", meinte Moeller. "Aber sollen wir nicht besser in Ihr Büro gehen? Ich würde das gerne in Ruhe mit Ihnen besprechen."

"Sagen Sie hier und jetzt, was Sie zu sagen haben. Ich habe keine Zeit für ein fruchtloses Kaffeekränzchen."

"Wie Sie meinen. Unsere Leute haben Ihren Wagen untersucht und ein Projektil gefunden. Das und die Patronenhülse, die ich vor ihrem Haus aufgesammelt habe, wurden vom Labor untersucht und - was soll ich Ihnen sagen? - es steht jetzt fest, dass gestern mit derselben Waffe auf Sie geschossen wurde, mit der Ihr Freund Norbert Wolf umgebracht worden ist!"

Fellers Gesicht blieb unbewegt.

"Tja, schön, dass Sie einen Schritt weiter sind", murmelte er.

"Das scheint Sie weder zu überraschen noch zu beunruhigen."

"Erwarten Sie, dass ich das kommentiere? Ich bin kein Kriminalist."

"Sagen Sie, weshalb haben Sie eigentlich Norbert Wolf so stark finanziell unterstützt?"

Ein Ruck ging durch Feller.

"Er war mein Freund."

"Finden Sie nicht, dass das über eine normale Freundschaft etwas hinausgeht?"

"Worauf wollen Sie hinaus?"

Moeller zuckte die Achseln. "Da Sie mir nicht besonders dabei behilflich sind, Ihr Leben zu retten, mache ich mir eben meine eigenen Gedanken, Herr Feller. Das können Sie mir nicht verübeln."

"Die Art und Weise, in der Sie mir hier kommen, gefällt mir nicht, Herr Moeller!", knurrte Feller. "Vielleicht sollte ich mich mal an Ihre Vorgesetzten wenden. Schließlich war ich fast zehn Jahre kommunalpolitisch tätig. Da hat man doch gewisse Drähte, die sich vielleicht reaktivieren lassen, woll?"

"Soll das eine Drohung sein?"

"Fassen Sie das auf, wie Sie wollen, Moeller!" Feller blickte auf die Uhr. "Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe zu tun. Und Sie sicher auch, wie ich annehme!"

Feller ging davon. Er lief auf das Glasbüro zu, riss die Tür auf und setzte sich auf den Drehstuhl. Das Telefon klingelte. Feller nahm ab. Moeller beobachtete ihn dabei. Das Gesicht des Gebrauchtwagenhändlers sah aus wie eine Totenmaske. Sein Mund war ein dünner Strich geworden.

Charly Wallmeyer stand mit einem Öllappen in der Hand herum und ließ Moeller nicht aus dem Blick.

Moeller machte ein paar Schritte auf ihn zu.

Er warf einen kurzen Blick auf das Namensschild, das Charly am Kittel trug.

"Ihr Chef hat zur Zeit ziemlich großen Stress, was?", meinte der Kommissar dann.

"Kann man wohl sagen. Seit diese komischen Anrufe kommen, ist er nicht mehr derselbe!"

"Was für Anrufe?"

"Hat er Ihnen das nicht gesagt? Sieht ihm ähnlich. Er will immer alles alleine regeln..."

Feller kam aus dem Büro heraus. Er hatte einen Wagenschlüssel in den Händen. "Halten Sie meine Leute nicht von der Arbeit ab!", rief er Moeller zu. Dann stieg er in einen Wagen mit rotem Nummernschild und brauste los. Einen halben Meter vor Moellers Omega stoppte er, so dass die Reifen quietschten. Das Seitenfenster glitt hinunter. Feller gestikulierte ausholend und zeigte auf Moellers Wagen.

"Wären Sie vielleicht so freundlich?", rief Feller dann.

"Bin ich", murmelte Moeller nachdenklich.

33

Feller war auf dem Weg zum Kreishaus, um den roten Alpha Romeo für einen Kunden beim Straßenverkehrsamt anzumelden.

Gehörte zum Service beim Autohaus Feller. Man musste schließlich schon einiges bieten, um die Kundschaft einigermaßen bei Laune zu halten. Rauf und runter ging es durch die Straßen von San Franciscoscheid. Feller fuhr zu schnell. Eine innere Unruhe erfüllte ihm. Es gefiel ihm nicht, mit welcher Hartnäckigkeit Moeller in der Sache herumwühlte. Wie ein Nagetier fraß er sich immer weiter vor.

Zentimeter für Zentimeter.

Abwarten!, sagte Feller sich. Selten wurde so heiß gegessen wie gekocht wurde.

Das Kreishaus lag wie ein großer, erhabener Klotz auf einer Anhöhe. Von hier aus wurde der Märkische Kreis verwaltet und außerdem konnte man die begehrten Nummernschilder mit den Buchstaben MK ergattern.

Feller befand sich sozusagen auf der Zielgerade einer breiten Schnellstraße.

Das Autoradio lief. Feller summte den Oldie halblaut mit, der da gerade geträllert wurde. Eine sentimentale Schnulze, aber gut um sich jetzt etwas abzulenken.

Mit einem Seitenblick nahm er das große Plakat auf der Rechten wahr. COUNTRY-MUSIC IM KULTURHAUS! TOM ASTOR KOMMT NACH LÜDENSCHEID!

Und während er noch dachte, dass die strahlendweißen Zähne des Sauerland-Cowboys bestimmt nicht echt waren, hörte er hinter sich einen Motor aufheulen.

"Blöder Spinner, hast wohl den Führerschein im Lotto gewonnen, was?"

Ein rostiger, ziemlich zerbeulter Ford zog an ihm vorbei und begann, Fellers Alpha abzudrängen. Mit einem kräftigen Ruck kam der Ford gegen die Fahrertür des Alphas.

"Verdammt!"

Feller sah die Leitplanke auf sich zu rasen. Knackend bog sich das Metall. Der Kotflügel des Alpha rammte sich in die Leitplanke.

34

"Martin! Was ist passiert?", fragte Carola Feller zwei Stunden später, als sie ihren Mann im Krankenhaus Hellersen abholen wollte.

"Halb so schlimm, Schatz. Aber es ist schön, dass du gekommen bist, um mich mitzunehmen!"

Carola wandte sich an den Mann im weißen Kittel, der sie stirnrunzelnd gemustert hatte, als sie hereingekommen war.

"Doktor, was ist los?", fragte sie.

"Ein paar Kratzer, Stauchungen, Prellungen. Aber es hätte viel schlimmer kommen können, Frau..."

"Feller."

"Sie können Ihren Mann gleich mitnehmen."

"Gott sei Dank."

Der Arzt nickte und setzte ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. Dann wandte er sich zum Gehen.

"Auf Wiedersehen!"

"Auf Wiedersehen!", gab Carola zurück, ohne den Arzt dabei anzusehen. Ihr Blick hing an Feller. Aber ehe sie etwas sagte, wartete sie, bis der Arzt das Zimmer verlassen hatte.

"Am Telefon hast du etwas von einem Unfall gesagt!"

Feller nickte.

"Ja, der Wagen ist hin!"

"Ach, was interessiert denn der Wagen? Was ist passiert?"

"So ein Idiot hat mich mit seinem Ford von der Straße gedrängt und ist dann abgehauen! Ich hatte wirklich Glück! Wenn ich gegen einen der Bäume geknallt wäre, dann könntest du jetzt schon mal den Kuchen für die Beerdigung bestellen!"

Carola schluckte.

"Meinst du..."

Er nickte heftig. "Ja, genau das meine ich. Das war kein Unfall! Das war ein gezielter Anschlag!" Er schüttelte langsam und sehr nachdenklich den Kopf und rieb sich die Augen.

Carola holte einen Umschlag aus der Handtasche und reichte ihn ihrem Mann.

"Das hier war heute im Briefkasten", erklärte sie dazu.

"Ein Umschlag ohne Adresse", murmelte Feller gedehnt. "Hast du..."

"Ich habe hineingesehen, ja. Wieder ein Foto."

Der Umschlag war nicht zugeklebt worden. Feller öffnete ihn und holte das Foto heraus.

"Ja...", murmelte Feller, als ginge ihm ein Licht auf. Sein Gesicht verlor dabei den letzten Rest frischer Farbe.

Carola fragte: "Kennst du den Mann?"

"Warum meinst du, dass ich den auch kennen sollte?"

"Du bist ganz blass geworden!"

"Quatsch!"

"Das Foto ist schon älter. Schwarz-weiß und schlechte Qualität... Fällt dir der schwarze Rand auf? Den hat jemand mit Filzstift draufgemalt... Wie ein Trauerrand bei Todesanzeigen!"

"Sicher fällt mir der auf", gab Feller schulterzuckend zurück. Nach kurzer Pause fuhr er dann nachdenklicher fort: "Das heißt nichts anderes, als dass der Kerl auf dem Bild auch tot ist..."

"Und dass er irgendwann auch dich erwischen wird! Martin, das scheint ein Serientäter zu sein! Fragt sich nur, warum du auf seiner Liste stehst! Du musst etwas mit diesen beiden Männern gemeinsam haben."

Er sah auf.

"Und was sollte das sein?"

"Ich weiß nicht."

"Wenn wir wüssten, um wen es sich handelt, wären wir vielleicht ein bisschen schlauer!"

"Du hast für die Stasi gearbeitet..."

"Na, und?"

"... und dasselbe gilt auch für den Mann auf dem ersten Foto."

"Ich nehme an, ja", bestätigte Feller.

"Und für Norbert! Er war doch dein Partner!"

"Ja."

"Und wenn der hier ebenfalls zu dem Verein gehörte?" Carola deutete auf das Bild.

"Sind wir dadurch weiter?"

"Ich weiß nicht", seufzte Carola.

"Na, siehst du!"

"Denk doch auch mal nach!"

Feller zog sich seine Jacke an und verzog dabei ein bisschen das Gesicht vor Schmerzen.

 

"Was meinst du wohl, was mir die ganze Zeit im Kopf herumgeht, häh?", knurrte er.

"Schon gut."

"Gehen wir!"

"Meinetwegen!"

Er stand auf.

"Ah, das tut noch ganz schön weh!"

"Geht es?"

Er nickte mit verkniffenem Gesicht.

"Einigermaßen."

"Komm, ich helf dir!"

"Danke. Aber ich bin kein Krüppel!"