Czytaj książkę: «Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen»
Yaşar Kırgız
Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen
Eine Fallstudie aus einer kurdisch-deutschen Kindertagesstätte
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Der Druck dieser Dissertation wurde mit finanzieller Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung bzw. mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Potsdam Graduate School ermöglicht.
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam
im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.
Gutachter*innen: Prof. Dr. Christoph Schroeder, Prof. Dr. Katharina Brizić, Prof. Dr. Natalia Gagarina
Tag der mündlichen Prüfung: 12.04.2021
DOI: https://www.doi.org/10.24053/9783823395522
© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISSN 0939-7973
ISBN 978-3-8233-8552-3 (Print)
ISBN 978-3-8233-0366-4 (ePub)
Inhalt
Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch)
1 Einleitung
2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen
3 Design der Studie
4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî4.1.1 Überblick4.1.2 Soziolinguistische Rahmenbedingungen des Kurmancî in den Herkunftsländern4.1.3 Kurmancî in der westeuropäischen Diaspora, in Deutschland und in Berlin4.1.4 Grundlegende grammatische Charakteristiken des Kurmancî4.2 Forschungsgegenstand Deutsch4.2.1 Phonologie4.2.2 Morphologie4.2.3 Syntax
5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb5.1 Definition und Theorien5.2 Kategorisierung des Spracherwerbs im frühkindlichen Alter5.3 Erzählkompetenz und ihr Erwerb5.4 Grammatische Kompetenz des Deutschen und ihr Erwerb5.5 Bedeutung des (mehrsprachigen) Spracherwerbs5.6 Spracherwerb in der Kita
6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder6.1 Forschungsfeld: Die Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis6.2 Methodisches Vorgehen6.2.1 Methoden zur Dokumentation der Rolle von Familie und Kita6.2.2 Instrumente zur Dokumentation der Sprachentwicklung6.3 Studienkinder: FalldarstellungenZozan und RozaAramAzadWelatAras
7 Ergebnisse7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch7.1.1 Ergebnisse von Zozan7.1.2 Ergebnisse von Roza7.1.3 Ergebnisse von Aram7.1.4 Ergebnisse von Azad7.1.5 Ergebnisse von Welat7.1.6 Ergebnisse von Aras7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen7.2.1 Ergebnisse zu Arabisch bei Zozan und Roza7.2.2 Ergebnisse zu Französisch bei Aram7.2.3 Ergebnisse zu Türkisch bei Aram7.2.4 Ergebnisse zu Arabisch bei Welat7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten7.3.1 Kurmancî7.3.2 Deutsch7.3.3 Ad-hoc-Entlehnungen und Codeswitchings
8 Diskussion, Fazit und Ausblick8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch8.1.1 Deutung der Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch8.1.2 Deutung der Ergebnisse zu weiteren Sprachen8.1.3 Deutung der grammatischen Merkmale der sprachlichen Daten8.1.4 Die Rolle der Kita Pîya für die Sprachentwicklung der Studienkinder8.2 Fazit8.3 Ausblick
9 Literaturverzeichnis Transkriptionsgrundlagen Internetquellen
10 Abkürzungen und Hinweise zur TranskriptionAbkürzungenHinweise zur Transkription
11 AnhängeFragen für das Leitfadeninterview mit Erzieher*innenElternfragebogen für die DissertationsstudieBeispiele der erzählten MAIN-GeschichtenBeispiel KurmancîBeispiel DeutschLexikonabfrage für die dritte und vierte SpracheKlassifikationstabelle der Bildungsstufen von UNESCO (ISCED 2011)
Abbildungsverzeichnis
Ji bo diya min û bavê min (Für meine Eltern):
Siltanê Remê Sêrto (1940–2011) & Husînî Memedî Şavê (1934–2008)
„Ez yek ji wan kesan
filankes kurê filankes, ji te hez dikim …“ Yehya Omerî
Danksagung
Die vorliegende Studie wurde mit Hilfe und Unterstützung zahlreicher Menschen verwirklicht. Im Folgenden möchte ich mich bi dil û can – „mit Herz und Seele“ – bei einigen für meinen Werdegang im weiteren Sinne und für die Verwirklichung dieser Studie im engeren Sinne bedanken. Die Herangehensweise ist dabei nicht strikt chronologisch.
Diese Arbeit ist meinen Eltern gewidmet. Dabei ist die Rolle meiner Mutter hervorzuheben. Sie hat mit ihrem Statement „Hûn bixwînin ezê kirasî ser xwe bifroşim û we xwendan bidim“* ihren Kindern eine absolute Motivation mit auf den Bildungsweg gegeben.
Den Menschen aus meinem Dorf Palîkan bei Kele (Türkisch Araban) schulde ich mehr als ein Dankeschön. Insbesondere möchte ich mich bei Kekî Hecî (Haci Bayram Karalar) bedanken, der am 30. November 2019 von uns gegangen ist. Kekî Hecî war der Busfahrer unseres Dorfes und hat mich kostenfrei und sicher bis in meine Gymnasialzeiten nach Antep und zurück ins Dorf transportiert. Er hat mir sogar manchmal ein Stück Brot gekauft, einen Apfel oder eine Orange gegeben. Seine Art und Weise hat das harte Leben in Kurdistan ein Stückchen leichter gemacht.
Mein Bruder Vakkas – benannt nach einem Aleviten – gehört zu den schönsten Menschenseelen der Welt. Von den Gymnasialzeiten beginnend, hat er mich stets immateriell und materiell unterstützt. Ihm und meinen weiteren Geschwistern Halîme, Husên, Hasan, Seydî, Fatma († 1999) schulde ich einen großen Dank.
Mit meiner Frau Özgül Bendeş gehe ich seit März 2012 einen gemeinsamen Weg. Ihr Beitrag zu meinem Leben und zu dieser Studie ist enorm. Mit ihr habe ich gefühlt jedes Wort, jeden Satz dieser Dissertation besprochen. Ihr danke ich mindestens tausendmal.
Christiane von Stutterheim hat mir während meines Studiums an der Universität Heidelberg zwischen 2005 und 2010 ein Grundverständnis der Linguistik beigebracht. Darüber hinaus hat sie mir den Rahmen einer Magisterarbeit zur Typologie des Kurmancî geschaffen. Somit hat sie damals den Grundstein für diese Studie gelegt. Frau Kaltenbacher war ebenso meine Dozentin an der Universität Heidelberg. Zu meinem Glück lebte sie während meiner Promotion in Berlin und begleitete die Studie mit wachen Augen ehrenamtlich. Sowohl Frau Stutterheim als auch Frau Kaltenbacher möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank zum Ausdruck bringen.
Mein Dank gilt auch meinen Kolleginnen vom Erfolgsteam** Helga, Christine, Manuela und Brit. Mit ihnen konnte ich den Inhalt, aber auch die Sorgen dieser Dissertationsstudie immer besprechen. Ebenso haben die Kolleg*innen aus dem Doktorand*innen-Kolloquium von Herrn Schroeder mit ihren Anmerkungen, ihrer Kritik und ihren Ermunterungen einen großartigen Beitrag zu dieser Dissertationsstudie geleistet. Daher möchte ich mich bei den Teilnehmer*innen dieses Kolloquiums – u.a. bei Christin, Dorotheé, Verena, Kristina, Kateryna, Hilal, Anja, Cosima und Julia – herzlich bedanken. Auch die Kolleg*innen vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin und speziell die vom Fachbereich Sprachentwicklung & Mehrsprachigkeit waren im Hinblick auf die inhaltliche sowie organisatorische Gestaltung der Studie stets unterstützend. Bei ihnen und insbesondere bei Nathalie Topaj bedanke ich mich für diese Unterstützung.
Für meine Studie hatte ich drei (offizielle) Betreuer*innen. Jede und jeder Einzelne von ihnen hat einen großartigen Beitrag zur Verwirklichung dieser Studie geleistet. Herr Schroeder hat den Rahmen der Studie geschaffen und den Gesamtüberblick der Studie immer im Auge behalten. Frau Brizić hat von Anfang an die Relevanz der Studie geschätzt und stand ihr mit Rat und Tat bei. Frau Gagarina hat trotz ihres dichten Arbeitsplans immer wieder Zeit für mich und für die Studie gefunden. Danke für diese harmonische Zusammenarbeit über die vergangenen nahezu sechs Jahre.
Jedem und jeder Forscher*in sind seine/ihre Studienkinder besonders. So waren auch meine Studienkinder. Jede Erhebung mit ihnen war ein spezielles Erlebnis und die Tür zu neuen Entdeckungen. Sie haben die tollsten, kreativsten Geschichten erzählt und die schönsten Sätze gebildet. Auch die Eltern der Studienkinder haben als Expert*innen ihrer Kinder an dieser Studie maßgeblich mitgewirkt. Mitgewirkt hat auch das Team der Kita Pîya Wedding. Namentlich genannt: Mehtap, Safiye, Yasemin, Sakar und Gulistan. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Mitwirkung der Geschäftsführerin des Kitaträgers Günay Darıcı zu nennen. Dank ihr hatte ich einen uneingeschränkten Zugang zu meinem Forschungsfeld.
Hervorzuheben ist auch der Beitrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, bei der ich zwischen April 2017 und April 2020 Stipendiat war. Ohne ihre immaterielle und materielle Unterstützung wäre diese Studie undenkbar. Danke dafür, dass ich drei Jahre rund um die Uhr für die Dissertationsstudie einsatzbereit sein durfte und danke für die Möglichkeit des Auslandsaufenthaltes.
Last but not least möchte ich mich auch bei den folgenden Menschen für ihren Beitrag zu meinem Werdegang und zur Verwirklichung dieser Studie bedanken: Mehmet Yalçın, Selim Karadaş, Fatma Demir, Şükrü Aslan, Kıymet Aksoy, Abdullah Demirbaş, Jaffer Sheyholislami, Kerstin Reinke, Michael Obst, Xecê Bendeş, Ronahî Bendeş, Michael Chyet, Kenan Engin, Felix Arif Rhein, Erkin Erdoğan, Ali Parlar, Ercan Ayboğa, Gökay Akbulut, Dersîm Dağdeviren, Karin Binder, Şenol Arıkan, Rûşên Turgut, Heval Mahmut, Xemsê Bayram, Aylin Özüak, Şerif Derince, Kurda Nejad, Havva Kökbudak, Rukiye Kurt, Agit Kadino, Eylem Karadoğan, Koçer Bakış, Antje Schmidt und vielen anderen.
Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch)
Kurte (Abstract Kurmancî)
Gelê kurd ji salên 1960an pê de parçeyek ji civaka Almanyayê ye. Digel vê yekê, jiyana wan ya rojane, rewşa wan ya civakî, aborî û zimanî kêm bûye mijara lêkolînan. Bo nimûne, heta niha xebateke berfireh li ser fêrbûna zimanê kurdî û almanî di temen-pêşdibistan de li ber destan nîne. Ev lêkolîna demdirêj ya ku bi zimanê almanî hatiye nivîsandin hewl dide beşeke vê kêmasiyê dagire. Ev dike mijar bê ka çawa şeş zarok – ji sê salî heta şeş salî – zaravayê kurmancî yê kurdî û zimanê almanî hîn dibin.
Berî ku ev xebat destpêbikira, hewcedarî bi amûrekê hebû da ku asta kurmancî ya zarokan were pîvandin. Amûreke pîvanê ya bi vî rengî ji bo kurmancî nebû. Bi alîkariya zimannas, perwerdekar û herwiha dê û bavan amûreke heyî ji zimanê îngilîzî ji bo kurmancî hate adaptekirin. Navê vê amûrê LITMUS-MAIN1 e û ji bo pîvandina çîrokgotinê hatiye amadekirin (Gagarina û yên din 2019a). Lê belê bi rêya çîrok/metnên ku hatine afirandin nirxandina asta ziman bi gelemperî jî pêkan e. Ev amûr digel zimanê almanî ji bo gelek zimanên din jî hatiye adaptekirin. Bi bikaranîna vê amûrê derfet çêbû ku çîrokgotina zarokan bi kurmancî û almanî were pîvandin û analîzkirin.
Gelek kurdên li Almanyayê dijîn, dikarin ji bilî kurdî û almanî bi zimanekî din an jî bi çend zimanên din jî bipeyvin. Dibe ku ev zimanê/zimanên din beşek ji jiyana nifşên nû be/bin jî. Ji ber vê yekê di xebatê de tê lêkolînkirin bê ka zarokên ku bûne mijara vê xebatê ji bilî kurmancî û almanî zimanekî sêyemîn an jî çaremîn dizanin. Heke dizanin, ev zanîn di kîjan astê de ye.
Ji lêkolînan kifş e ku malbat û hêlîn li Almanyayê du kaniyên sereke ne ku zarok ji wan zimanê(n) xwe fêr dibin û bi pêş dixin. Rola wan herdu kaniyan jî di vê xebatê de tê analîzkirin. Hêlîna Pîya ya ku li vir tê lêkolînkirin kurmancî û almanî wekî hev û birêkûpêk teşwîq dike.
Herwiha rewşa kurdan ya li Almanyayê bi taybetî rewşa wan ya sosyolenguistik bi kurtasî tê nîqaşkirin. Ev nîqaşkirin dikare wekî çarçoveya berfireh ya vê xebatê were fêmkirin.
Abstract Deutsch
Die kurdische Bevölkerung ist seit den 1960er Jahren ein Teil der deutschen Gesellschaft. Dennoch sind ihre alltägliche Lebenswelt, ihre sozioökonomische und soziolinguistische Situation in Deutschland kaum untersucht. Ein klares Beispiel dafür ist, dass bis jetzt keine Studie bekannt ist, die sich eingehend mit dem Erwerb des Kurdischen und Deutschen im Vorschulalter befasst hat. Die vorliegende in Deutsch verfasste longitudinale Studie versucht, einen Teil dieser Lücke zu füllen, indem sie untersucht, wie sechs Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren die kurdische Varietät Kurmancî und das Deutsche erwerben.
Bevor diese Arbeit umgesetzt werden konnte, war es notwendig, ein Instrument zur Messung der Kurmancî-Kompetenz von Kindern zu erarbeiten, da ein solches bislang nicht existiert hat. Mit Hilfe von Linguist*innen, Erzieher*innen sowie Eltern wurde ein bestehendes Instrument aus dem Englischen ins Kurmancî adaptiert. Der Name dieses Instruments ist Language Impairment Testing in Multilingual Settings – Multilingual Assessment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) und es elizitiert die Erzählkompetenz (Gagarina et al. 2019a). Allerdings kann durch die erzeugten Erzählungen/Texte auch die allgemeine Sprachkompetenz untersucht werden. Dieses Instrument wurde bereits in viele andere Sprachen, u.a. ins Deutsche, adaptiert. Durch seine erstmalige Adaptation ins Kurmancî konnte somit die Erzählfähigkeit der Studienkinder in Kurmancî und in Deutsch ermittelt und analysiert werden.
Viele Kurd*innen in Deutschland können neben Kurdisch und Deutsch noch eine oder mehrere weitere Sprachen sprechen. Diese weitere(n) Sprache(n) kann/können auch Teil des Lebens der Kindergeneration sein. Daher untersucht die vorliegende Studie zusätzlich auch, ob und inwieweit die Studienkinder neben Kurmancî und Deutsch noch eine dritte oder vierte Sprache können.
Die Forschung hat gezeigt, dass Familie und Kindertagestätte in Deutschland die beiden Hauptquellen sind, aus denen Kinder ihre Sprache(n) erwerben und entwickeln. Die Rolle beider Quellen wird in dieser Arbeit analysiert. Die hier untersuchte Kindertagestätte Pîya verfügt über ein durchgängig bilinguales Konzept zur Förderung des Kurmancî und des Deutschen.
Zudem wird auch ein kurzer Überblick zu den Kurd*innen in Deutschland, insbesondere zu ihrer soziolinguistischen Situation gegeben. Dieser Überblick kann als ein erweiterter Rahmen dieser Arbeit begriffen werden.
Abstract English
The Kurdish people have been part of German society since the 1960s. Nevertheless, their everyday life, their socio-economic and sociolinguistic situation in Germany have hardly been examined. A clear example of this is that so far, no study is known that has investigated in detail the acquisition of Kurdish and German in preschool age. This present longitudinal study written in German tries to fill in a part of this gap by examining how six children between ages three and six acquire the Kurmancî variety of Kurdish and German.
Before this work could begin, it was necessary to establish a tool to measure Kurmancî language proficiency in children, because such an instrument was not yet available. With the help of linguists, nursery schoolteachers, as well as parents, an existing instrument was adapted from English into Kurmancî. The name of this tool is Language Impairment Testing in Multilingual Settings – Multilingual Assessment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) and it elicits narrative skills (Gagarina et al. 2019a). However, the narratives/texts generated can also be used to examine general language skills. This instrument has already been adapted into many other languages, including the German language. By adapting this tool for the first time into Kurmancî, it was possible to assess and analyze the narrative ability of the children in Kurmancî and in German.
Many Kurds in Germany can speak one or more additional language(s) beside Kurdish and German. This/These additional language(s) may also reach the children’s generation. Therefore, this study examines additionally whether and to what extent the children investigated also speak a third or fourth language beside Kurmancî and German.
Research has shown that families and nursery schools in Germany are the two main sources from which children learn and develop their language(s). The role of both sources is analyzed in this work. The investigated nursery school Pîya has a consistently bilingual concept for the promotion of Kurmancî and German.
A short overview of the Kurds in Germany, especially of their sociolinguistic situation, is also given. This overview can be understood as an extended framework of this work.
1 Einleitung
Seit den sechziger Jahren sind Kurd*innen ein Teil von dynamischen Migrationsbewegungen aus dem Nahen Osten in die westeuropäischen Staaten, insbesondere nach Deutschland (vgl. Hassanpour/Mojab 2005: 218, Şenol 1992: 186). Seither hat die Migration der Kurd*innen praktisch nie aufgehört – auch wenn sie von Zeit zu Zeit abgenommen hat. Die letzte Welle der (Flucht‑)Migration der Kurd*innen – hauptsächlich aus Syrien und dem Irak – begann um 2014, intensivierte sich in den Jahren 2015/2016 und hält, wenn auch nicht mit gleicher Intensität, weiterhin an (vgl. Pürckhauer 2019). Da die Konflikte in den Herkunftsländern der Kurd*innen fortbestehen bzw. sich intensivieren, ist ein Ende ihrer Flucht(‑Migration) nicht abzusehen. Schon jetzt bilden die Kurd*innen eine der größten Migrant*innengruppen in Deutschland; ihre Zahl wird auf 1,2 Millionen Menschen geschätzt (vgl. Engin 2019: 9).
Die sozialpolitische Situation der Kurd*innen in Deutschland und in ihren Herkunftsländern dominiert die Themen, die in Deutschland in die öffentlichen und zum Teil auch in die wissenschaftlichen Diskussionen gelangen. Ihre alltägliche Lebenswelt, ihre sozioökomische und soziolinguistische Situation in Deutschland stehen dagegen kaum zur Diskussion und werden seitens der Forschung wenig aufgegriffen (vgl. Karataş 2019: 12, Ozmen 2010: 162, Schleimer 2019: 84). Der Spracherwerb ihrer Kinder unter Einbeziehung ihrer Sprache hat beispielsweise so gut wie keine Beachtung gefunden. Und dies trotz der Tatsache, dass an den allermeisten existierenden Studien zum Spracherwerb immer wieder auch kurdischsprachige Kinder beteiligt waren (vgl. Apeltauer 2008, Reich 2009).
Die vorliegende Studie betritt also ein neues Forschungsfeld. Dabei befasst sie sich in einer longitudinal angelegten Konzeption damit, wie sich die Sprachkompetenz der sechs ausgewählten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren in Kurmancî-Kurdisch und in Deutsch entwickelt. Zu diesem Zweck wurden über den Zeitraum von etwa acht Monaten in einer bilingual kurdisch-deutschen Kindertagesstätte mit verschiedenen Methoden und Instrumenten Daten erhoben.
Die Varietät Kurmancî des Kurdischen, die hier der Untersuchungsgegenstand ist, wird Schätzungen zufolge von etwa zwei Dritteln der Kurd*innen weltweit gesprochen (vgl. Bulut 2018: XX). Selbst wenn die kurdische Diaspora in Westeuropa bzw. in Deutschland gesondert betrachtet wird, so müsste laut Ammann immer noch die Zahl der kurmancîsprachigen Kurd*innen überwiegen (vgl. Ammann 2019: 28, siehe auch Ghaderi 2014: 136).
Damit die vorliegende Studie sich in diesem neuen und zudem überaus großen Forschungsfeld nicht „verirrt“, operiert sie mit bestimmten Forschungsfragen, die in Kapitel 2 ausgeführt werden. Die Forschungsfragen strukturieren die Studie und richten sie auf ihr Ziel aus: auf Erfassung und ersten Einblick zur Spracherwerbskonstellation Kurmancî-Deutsch bei Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren. In Kapitel 2 sind außerdem die Hypothesen der Studie ausgeführt und erläutert, die den Blick auf den Forschungsgegenstand zusätzlich schärfen. Im Anschluss daran folgt das Kapitel zum Forschungsdesign (Kapitel 3), welches das Format, die Methoden und Instrumente der Studie vorstellt und kurze Informationen zu den Studienkindern beinhaltet.
Kapitel 4 verfolgt zunächst das Ziel, im weiteren Sinne das Kurdische und im engeren Sinne das Kurmancî-Kurdisch zu kontextualisieren. Dabei wird zunächst ein Überblick über die Länder und Regionen gegeben, in denen das Kurdische, insbesondere das Kurmancî, geschichtlich beheimatet ist, und wie seine Varietäten aufgeteilt sind. Dazu werden zwei Landkarten zur Illustration herangezogen. Die Kontextualisierung wird mit einem Überblick zu den soziolinguistischen Rahmenbedingungen des Kurdischen/Kurmancî in den Herkunftsländern Irak, Syrien, Iran und Türkei fortgeführt. Dem folgen Ausführungen zur Migrationsgeschichte der Kurd*innen in den westeuropäischen Staaten. Dabei geht der Blick vom Allgemeinen zum Spezifischen: Erst wird die westeuropäische, dann die deutsche und schließlich die Berliner Diaspora der Kurd*innen dargestellt. In Berlin befindet sich auch das Forschungsfeld dieser Studie.
Auf die allgemeine Kontextualisierung des Kurdischen/Kurmancî folgt, ebenfalls in Kapitel 4, die grammatische Charakterisierung des Kurmancî. Dabei wird auf die phonologischen, syntaktischen und vor allem auf die morphologischen Charakteristiken wie Ezafe, Obliquus und Tempusformen eingegangen. Dieser Teil dient als Grundlage für die Ausführungen zu den grammatischen Merkmalen der sprachlichen Daten der Studienkinder.
Spiegelbildlich wird ebenso in Kapitel 4 mit der Erläuterung der grammatischen Merkmale des Deutschen verfahren. Der Unterschied ist dabei, dass die Erläuterungen zum Deutschen auf eine breite Grundlage in der Spracherwerbsforschung zurückgreifen können (vgl. u.a. Kaltenbacher 2015, Kauschke 2012, Meisel 2009, Ruberg/Rothweiler 2012, Schulz/Tracy 2011, Wegener 1995). In Kurmancî muss dagegen aufgrund fehlender Studien zum Spracherwerb auf allgemeine grammatische Untersuchungen – auch kurmancîsprachige – zurückgegriffen werden (vgl. u.a. Bedir Khan/Lescot 1986, Haig/Öpengin 2018, MacKenzie 1961, Omarkhali 2011, Tan 2005).
In Kapitel 5 finden sich schließlich beide Sprachen unter dem umfassenden „Dach“ des Begriffs der „Mehrsprachigkeit“. Es wird dabei sowohl auf allgemeine Grundlagen als auch auf den Kontext Kindertagesstätte – im Folgenden meist als Kita abgekürzt – eingegangen. Hier wird zunächst versucht, Bilingualismus/Mehrsprachigkeit zu definieren. Des Weiteren werden zentrale Theorien des Spracherwerbs kurz umrissen, die versuchen, den Spracherwerb aus der kognitiven Perspektive zu erläutern (vgl. Grießhaber 2010, Katerbow 2013, Schulz/Grimm 2012). Darüber hinaus erfolgt die Kategorisierung des Erwerbs des Deutschen, der das Alter und der Beginn des systematischen Zuganges zugrunde gelegt werden. In diesem Kapitel wird auch auf den Erwerb der Erzähl- und Grammatikkompetenz eingegangen und in dieser Weise eine Grundlage für die Analyse der Daten geschaffen.
Kapitel 6 der Studie ist ihrem Forschungskontext, methodischen Vorgehen und ihren Studienkindern gewidmet. Die Kindertagesstätte Pîya, die im Folgenden meist als Kita Pîya bezeichnet wird, stellt den Forschungskontext der Studie dar. Bezüglich der Kita Pîya, die bilingual Kurmancî-Deutsch konzipiert ist, werden zunächst einige Eckpunkte – Gründungsjahr, Kapazität, Konzept, Gründungshintergründe etc. – eingeführt. Den Schwerpunkt der Ausführungen bildet jedoch die Darstellung der bilingualen Praxis der Kita. Diese Darstellung beruht hauptsächlich auf den Erkenntnissen der Leitfadeninterviews mit den Erzieher*innen. Im Einzelnen wird auf die materiellen und personellen Ressourcen der Kita eingegangen. Dabei werden die Herausforderungen und Schwierigkeiten erläutert, die Erzieher*innen im Kita-Alltag insbesondere im Hinblick auf das Kurmancî zu überwinden haben.
Ein großer Teil des Kapitels 6 handelt von dem methodischen Vorgehen. In diesem Zusammenhang werden zunächst die Leitfadeninterviews erläutert, die mit den Erzieher*innen, der Leitung der Kita und der Geschäftsführung des Kita-Trägers durchgeführt worden sind. Auf die Darstellung der Leitfadeninterviews folgt die Erläuterung des Fragebogens für Eltern, der aus zwei Teilen besteht. Dieser wurde um offene Fragen zur Sprachenbiografie der Eltern ergänzt. Die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen wurden, dienen dazu, die Rahmenbedingungen des Spracherwerbs der Studienkinder auszuleuchten.
Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Dokumentation und Analyse des Spracherwerbs und der Sprachkompetenz der Studienkinder. Dies erfolgt mit drei verschiedenen Instrumenten: LITMUS-MAIN – ab hier meist nur noch als MAIN abgekürzt (Gagarina et al. 2012, 2019a), LiSe-DaZ (Schulz/Tracy 2011) und HAVAS 5 (Reich/Roth 2004a, 2004b). Hinzu kommt als Ergänzung eine speziell für diese Studie zusammengestellte Lexikonabfrage. Für welche Sprachen, wie oft und in welchen Zeitabständen diese Instrumente eingesetzt waren, wird im Detail im dritten Kapitel „Design der Studie“ erläutert. In Kapitel 6 wird dagegen ausführlich dargestellt, was genau mit diesen Instrumenten elizitiert wird. Hier finden sich ausführliche Erläuterungen zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieser Instrumente. Die Erläuterungen zu MAIN und LiSe-DaZ, die die zwei Hauptinstrumente der Studie bilden, sind dabei umfangreicher und umfassen auch ihre theoretischen Grundlagen.
In Kapitel 6 erfolgt auch die Vorstellung der Studienkinder ausgehend von den Erkenntnissen, die durch Eltern, Erzieher*innen sowie durch teilnehmende Beobachtungen ermittelt wurden. Dabei werden der Weg und die Zugangsbedingungen der Studienkinder zu ihren Sprachen detailliert herausgearbeitet und erläutert. Dadurch wird die Analyse ihrer Kompetenz in ihren Sprachen im späteren Verlauf nachvollziehbarer.
Kapitel 7 ist der umfangreichste Teil der Studie und führt die Ergebnisse nach Sprachen aufgegliedert im Detail aus. Zunächst werden die sprachlichen Ergebnisse der Studienkinder in Kurmancî mit MAIN und in Deutsch mit MAIN und LiSe-DaZ kurz erörtert und tabellarisch dargestellt. Die Erörterung und Darlegung erfolgt für jedes Kind einzeln und gegliedert nach einzelnen Messzeitpunkten. Für vier Studienkinder liegen Ergebnisse in einer dritten Sprache Arabisch bzw. Französisch vor, im Fall eines dieser Kinder auch in der vierten Sprache Türkisch.
In Kapitel 7 werden auch die grammatischen Merkmale der sprachlichen Daten der Studienkinder in Kurmancî und Deutsch, die durch MAIN und LiSe-DaZ gesammelt wurden, auf der phonologischen, morphologischen und syntaktischen Ebene dargelegt und analysiert. Die theoretische Grundlage bilden dabei die Ausführungen zu den grammatischen Eigenschaften des Kurmancî und des Deutschen im vierten Kapitel. Abschließend wird auf die Äußerungen – seien es Wörter, Wortgruppen oder Sätze – eingegangen, die aus einer anderen Sprache übernommen sind. Hier wird eine vorsichtige Analyse unternommen, wie bei der Übernahme grammatisch verfahren wird.
Kapitel 8 ist das letzte Kapitel der Studie und rundet sie ab. Dabei werden die Ergebnisse der Studie diskutiert. Dies umfasst zum einen die Testergebnisse der Kinder in Kurmancî und in Deutsch sowie in weiteren Sprachen. Zum anderen stehen die grammatischen Eigenschaften der sprachlichen Daten in Kurmancî und in Deutsch zur Diskussion. Des Weiteren wird in diesem Abschnitt die Rolle der Kita Pîya für den Spracherwerb und die Sprachkompetenz der Studienkinder unter die Lupe genommen, bevor in einem Ausblick die Relevanz der Studie innerhalb der Spracherwerbsforschung verortet und kurz umrissen wird, inwiefern die Studie für die zukünftige Forschung eine Grundlage und/oder eine Perspektive bietet.