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Czytaj książkę: «Namenlos», strona 32

Czcionka:

– Sie ermüden sich, Sir, sprach sie zu ihrem Herrn. Dies ist einer von Ihren schlimmen Tagen. Erlauben Sie mir Ihnen Achtsamkeit anzuempfehlen, erlauben Sie, wir wollen lieber zurück gehen.

Nachdem einmal das Ziel erreicht, nämlich die neuen Bekannten zum Thee geladen waren, erwies sich Mr. Noël Vanstone ganz unverhofft fügsam. Er gab zu, daß er etwas müde war, und kehrte auch gleich nach dem Rathe der Haushälterin um.

– Nehmen Sie meinen Arm, Sir, – nehmen Sie meinen Arm auf der andern Seite, sagte Hauptmann Wragge, als sie sich wandten, um zurückzugehen.

Seine verschiedenfarbenen Augen sahen bedeutsam auf Magdalenen, als er sprach, und warnten sie, nicht gleich von Anfang an Mrs. Lecounts Geduld zu sehr anzuspannen. Sie verstand ihn augenblicklich und stellte sich trotz der wiederholten Versicherung Mrs. Noël Vanstones, daß er des Hauptmannes Arm nicht brauche, sogleich auf die Seite der Haushälterin. Mrs. Lecount wurde wieder guter Laune und begann eine neue Unterhaltung mit Magdalenen, indem sie von allen Fragen, die unter den obwaltenden Umständen am schwierigsten zu beantwortende, an sie richtete.

– Mrs. Bygrave ist wohl zu erschöpft nach ihrer Reise, um heute ausgehen zu können, sagte Mrs. Lecount. Sollen wir das Vergnügen haben, sie morgen zu sehen?

– Wahrscheinlich nicht, versetzte Magdalene. Meine Tante ist sehr schwach.

– Ein verwickelter Fall, liebe Madame, setzte der Hauptmann hinzu, der sich wohl bewußt war, das Mrs. Wragge's persönliche Erscheinung, wenn sie zufällig gesehen werde sollte, der offenbarste Widerspruch, den man sich nur denken konnte, von dem war, was Magdalene eben gesagt hatte. Es ist ein tief liegendes Nervenleiden, das äußerlich nicht erkennbar ist. Sie würden meine Frau für ein Bild der Gesundheit halten, wenn Sie sie sähen – und doch, so trügerisch ist der Schein, bin ich genöthigt, ihr alle Aufregung zu verbieten. Sie sieht keine Gesellschaft, unser ärztlicher Beistand, bedaure ich sagen zu müssen, untersagt es schlechterdings.

– Sehr traurig, sagte Mrs. Lecount. Die arme Dame muß sich da wohl oft einsam fühlen, Sir, wenn Sie und Ihre Nichte weg von ihr sind?

– Nein, antwortete der Hauptmann. Mrs. Bygrave ist eine von Natur häuslich gesinnte Frau. Wenn sie im Stande ist, sich selbst zu beschäftigen, so findet sie übrig und genug Erholung im Umgange mit Nadel und Zwirn.

Als der Hauptmann mit seiner Erklärung so weit vorwärts gekommen und geflissentlich nahe um die Grenzen der Wahrheit herumgegangen war, für den Fall, daß die Neugier der Haushälterin sie vielleicht antriebe, geheime Nachforschungen über Mrs. Wragge anzustellen, wahrte er weislich seine Zunge, in weitere Einzelheiten einzugehen.

– Ich hege von der Luft dieses Ortes große Erwartungen, bemerkte er zum Schluß. Das Jod, wie ich schon bemerkt habe, thut Wunder.

Mrs. Lecount erkannte die trefflichen Eigenschaften des Jods in den kürzest möglichsten Worten an und zog sich in das innerste Geheimzimmer ihrer Gedanken zurück.

– Ein Geheimniß steckt dahinter, sagte sie zu sich selber. Eine Dame, welche wie die Gesundheit selber aussieht, eine Dame, welche an einer sehr tiefliegenden Nervenkrankheit leidet, und eine Dame, deren Hand noch ruhig genug ist, um Nadel und Zwirn handhaben zu können: ist ein lebendiges Durcheinander von Widersprüchen, die ich nicht zu verstehen vermag. – Werden Sie einen längeren Aufenthalt zu Aldborough nehmen, Sir? frug sie laut, und ihre Augen ruhten einen Augenblick forschend aus dem Gesichte des Hauptmannes.

– Das hängt Alles von Mrs. Bygrave ab, liebe Madame. Ich glaube zuversichtlich, wir bleiben den Herbst durch hier. Sie sind wohl auf Villa Amsee für die ganze Zeit eingezogen?

Sie müssen meinen Herrn fragen, Sir. Er hat zu entscheiden, nicht ich. Die Antwort war eine unglückliche Mr. Noël Vanstone war insgeheim ärgerlich über die veränderte Ordnung beim Gehen, wodurch er von Magdalene getrennt worden war. Er schrieb diese Veränderung der Einmischung der Mrs. Lecount zu und nahm nun die erste Gelegenheit wahr, um es sie auf der Stelle fühlen zu lassen.

– Ich habe nichts zu sagen über unsern Aufenthalt zu Aldborough, fuhr er mürrisch heraus. Sie wissen so gut als ich, Lecount, das Alles von Ihnen abhängt. Mrs. Lecount hat einen Bruder in der Schweiz, fuhr er fort, indem er sich an den Hauptmann wandte, – einen Bruder, der ernstlich krank ist. Wenn es schlechter mit ihm wird, wird sie dorthin gehen und ihn besuchen müssen. Ich kann sie nicht begleiten, und ich kann nicht allein im Hause zurück bleiben. Ich muß meinen Aufenthalt zu Aldborough abbrechen und bei einigen Freunden bleiben. Es hängt lediglich von Ihnen ab, Lecount, oder von Ihrem Bruder, was auf Eins hinaus kommt. Wenn es von mir abhinge, fuhr Mrs. Noël Vanstone fort, indem er über die Haushälterin weg scharf auf Magdalenen hinüber sah, würde ich mit dem größten Vergnügen den ganzen Herbst in Aldborough bleiben. Mit dem größten Vergnügen, wiederholte er, indem er die Worte mit einem zärtlichen Blicke auf Magdalenen und einer hämischen Betonung für Mrs. Lecount noch einmal sprach.

Bis hierher war Hauptmann Wragge still geblieben und hatte sich in Gedanken die verheißene Möglichkeit einer Trennung zwischen Mrs. Lecount und ihrem Herrn, welche der kleine boshafte Ausfall Mr. Noël Vanstone's ihm eben offenbar gemacht hatte, sorgfältig eingeprägt. Ein unheilverkündendes Zittern der dünnen Lippen der Haushälterin, welches sich jetzt bei der Rücksichtslosigkeit, mit der ihr Herr ihre Familienangelegenheiten ausplauderte und offen ihrer Eifersucht Trotz bot, bemerken ließ, Veranlaßte ihn. sich einzumischen. Wenn der Zwiespalt bis aufs Aeußerste getrieben wurde, so war zu fürchten, daß die Einladung für jenen Abend auf Villa Amsee zu Nichte wurde. Jetzt führte Hauptmann, wie immer bei solcher Gelegenheit, seine nutzbaren Kenntnisse noch einmal ins Treffen zum Entsatz. Unter den gelehrten Auspicien Joyces tauchte er zum dritten Male in das Meer der Wissenschaft hinunter und brachte eine neue Perle daraus zum Vorscheine. Er sprach noch immer – über die Luftpumpe diesmal —, belehrte noch immer Mrs. Lecount mit der höflichsten Ausdauer und seinem Redeflusse, als die kleine Gesellschaft vor Mr. Noël Vanstones Thür stand.

– Nun Gott weiß, hier sind wir bei Ihrem Hause, Sir! sagte der Hauptmann, indem er sich inmitten einer der schwungvollsten Sätze unterbrach. Ich mag Sie nicht einen Augenblick stehen lassen. Kein Wort zur Entschuldigung, Mrs. Lecount, ich bitte und beschwöre Sie! Ich will jenen merkwürdigen Punkt betreffs der Luftpumpe bei künftiger Gelegenheit Ihnen deutlicher machen. Zu gleicher Zeit muß ich nur wiederholen, daß Sie das eben erwähnte Experiment zu Ihrem eigenen Vergnügen mit einer Blase, einer leeren Glocke und einem viereckigen Kasten machen. Um sieben Uhr heute Abend, Sir – um sieben Uhr, Mrs. Lecount. Wir haben da einen sehr angenehmen Spaziergang gemacht und einen sehr belehrenden Gedankenaustausch gehabt. Nun, liebes Kind! unsere Tante wartet auf uns.

Während Mrs. Lecount bei Seite ging, um die Gartenthür zu öffnen, ersah sich Mr. Noël Vanstone seine Gelegenheit und warf einen letzten zärtlichen Blick auf Magdalenen unter dem Schutze des Schirmes, den er eigens zu dem Ende selbst in die Hand genommen hatte.

– Vergessen Sie nicht, sagte er mit seinem süßesten Lächeln, vergessen Sie nicht, wenn Sie heute Abend kommen, diesen reizenden Hut zu tragen.

Ehe er noch einige letzte Worte hinzufügen konnte, stand Mrs. Lecount wieder auf ihrem Platze, und der schützende Schirm ging wieder in andere Hände über.

– Eine vortreffliche Morgenarbeit! sagte Hauptmann Wragge, als er und Magdalene zusammen nach den Nordsteinen gingen. Sie und ich und Joyce, wir haben alle Drei Wunder gethan. Wir haben uns beim Fischzug des ersten Tages eine freundschaftliche Einladung verschafft.

Er schwieg, um eine Antwort zu bekommen; da er keine erhielt, sah er Magdalenen aufmerksamer an, als bisher. Ihre Augen schauten geradeaus in unverhohlener, heller Verzweiflung.

– Was gibt es denn? frug er in der größten Bestürzung Sind Sie krank?

Sie gab keine Antwort, sie schien ihn kaum zu hören.

– Fangen Sie an über Mrs. Lecount besorgt zu werden? frug er sie dann. Es ist nicht der geringste Grund dazu vorhanden, besorgt zu sein. Sie mag sich einbilden, schon eine Stimme gehört zu haben, ähnlich wie die Ihrige; aber Ihr Gesicht macht sie offenbar irre. Behalten Sie Ihre Ruhe, und Sie werden sie immer im Dunkeln lassen. Lassen Sie sie im Dunkeln, und Sie werden die zwei hundert Pfund in meine Hände legen, ehe der Herbst vorüber ist.

Er wartete abermals auf eine Antwort, und wieder blieb sie stumm. Der Hauptmann versuchte es zum dritten Male in einer andern Richtung.

– Haben Sie diesen Morgen irgend welche Briefe erhalten? fuhr er fort. Gibt es schlechte Nachrichten von zu Hause? Irgend welche neue Schwierigkeiten gegenüber Ihrer Schwester?

– Sagen Sie Nichts über meine Schwester! brach Sie leidenschaftlich heraus. Weder Sie noch ich sind Werth, von ihr sprechen zu dürfen.

Sie sprach diese Worte an der Gartenthür und eilte allein ins Haus. Er folgte ihr und hörte sie noch die Thür ihres Zimmers zuschlagen, heftig den Schlüssel herumdrehen und noch einmal herumdrehen. Indem Hauptmann Wragge seinem Unwillen durch einen Fluch Luft machte, ging er ärgerlich in eines von den Wohnzimmern im Erdgeschoß, um nach seiner Frau zu sehen. Das Zimmer stand mittels einer kleinen zierlichen Thür, die in ihrem oberen Theile ein Fensterchen hatte, mit einem kleineren und dunkeln Zimmer hinten im Hause im Verbindung. Indem er sich leise dieser Thür näherte, hob er den weißen Musselinvorhang in die Höhe, welcher über dem Fenster hing, und sah ins innere Zimmer.

Da saß denn Abs. Wragge mit der Haube auf der einen Seite und mit niedergetretenen Schuhen, eine Reihe Stecknadeln im Munde, das orientalische Kaschmirkleid vor sich über den Tisch weg, ungewiß, in der einen Hand ihre Scheere, in der andern Hand ihre geschriebene Anweisung zum Schneidern haltend, so vertieft in die unüberwindlichen Schwierigkeiten ihrer Beschäftigung, daß sie gar nicht merkte, wie sie in dem Augenblicke der Gegenstand der Beobachtung ihres Mannes war. Unter anderen Umständen würde sie gar bald durch den Ton seiner Stimme zum Bewußtsein ihrer Lage gebracht worden sein. Aber Hauptmann Wragge lag Magdalene zu sehr am Herzen, als daß er bei seiner Frau Zeit verschwendet hätte, nachdem er sich einmal vergewissert hatte, daß sie noch ganz sicher in Ihrem Verschlusse war und daß er sie noch dort lassen könnte.

Er verließ das Wohnzimmer und schlich sich nach einem kurzen Verweilen auf dem Gange die Treppe hinaus und horchte eifrig vor Magdalenens Thür. Ein dumpfes Geräusch von Schluchzen, erstickt in ihrem Taschentuch, oder durch die Bettkissen, war Alles, was sein Ohr erfaßte. Er kehrte wieder in das Parterre zurück, indem nun eine schwache Ahnung der Wahrheit endlich bei ihm auftauchte.

– Der Teufel hole ihren Liebsten! dachte der Hauptmann. Muß denn aber auch Mr. Noël Vanstone dessen Geist gleich zu Anfang wieder auferwecken!

Fünftes Capitel

Als Magdalene kurz vor sieben Uhr im Wohnzimmer erschien, war keine Spur mehr von Aufregung in ihrem Wesen zu bemerken. Sie sah aus und sprach ruhig und theilnahmlos wie gewöhnlich.

Das finstere Mißtrauen auf dem Gesichte des Hauptmann Wragge schwand bei ihrem Anblicke hinweg. Es hatte während des Nachmittags Augenblicke gegeben, wo er ernstlich mit sich uneins gewesen war, ob das Vergnügen, dem Rachegelüsten gegen Noël Vanstone nachzugeben und die Aussicht auf den Gewinn der Summe von zwei Hundert Pfunden nicht zu theuer erkauft wären durch die Gefahr der Entdeckung, welcher er sich durch Magdalenens unzuverlässige Gemüthsart jede Stunde des Tages ausgesetzt sehen mußte. Der jetzt offen vor ihm liegende Beweis von ihrer starken Selbstbeherrschung machte seinen Geist von ernstlicher Besorgniß frei. Was sie in dem inneren ihres Kämmerleins gelitten —, verschlug dem Hauptmann wenig, wenn sie nur dann heraus kam mit einem Gesicht, das der Beobachtung Stand hielt, und einer Stimme, welche Nichts verrieth.

Auf dem Wege nach Villa Amsee sprach Hauptmann Wragge seine Absicht aus, der Haushälterin einige theilnehmende Fragen betreffs ihres kranken Bruders in der Schweiz vorlegen zu wollen. Er war der Meinung, daß der kritische Zustand dieses Herrn auf den künftigen Fortgang der angesponnenen Unternehmung einen wichtigen Einfluß nehmen werde. Jede Aussicht auf eine Trennung, bemerkte er, zwischen der Haushälterin und ihrem Herrn sei unter den obwaltenden Umständen der sorgfältigsten Beachtung werth.

– Wenn wir nur Mrs. Lecount zur rechten Zeit uns aus dem Wege schaffen können; flüsterte der Hauptmann, als er die Gartenthür seines Gastfreundes aufmachte, so haben wir unsern Mann in der Tasche!

Eine Minute später, und Magdalene war abermals unter Noël Vanstones Dach, diesmal in der Rolle eines von ihm selber eingeladenen Gastes.

Die Vorgänge des Abends waren meistens eine Wiederholung derer beim Morgenspaziergange Mr. Noël Vanstone schwankte wie ein Rohr zwischen seiner Bewunderung von Magdalenens Schönheit und der Selbstverherrlichung seiner Schätze hin und her. Hauptmann Wragge's unerschöpfliche Ergüsse und gelehrte Zungenfertigkeit, unterbrochen durch zarte, indirecte Fragen betreffs Mrs. Lecounts Bruder, lenkten beständig die eifersüchtige Wachsamkeit der Haushälterin von den Blicken und Reden ihres Herrn ab. So ging der Abend hin, bis es Zehn schlug. Nun war auch der Born des populären Wissens beim Hauptmann erschöpft, und der Drang der Haushälterin machte sich gewaltsam Bahn. Abermals gab Hauptmann Wragge Magdalenen durch einen Blick ein Zeichen und erhob sich, wohlweislich seine Zeit ersehend, trotz des gastfreundlichen Widerspruchs von Seiten Mr. Noël Vanstones, um gute Nacht zu sagen.

– Ich habe meinen Zweck erreicht, bemerkte der Hauptmann auf dem Nachhausewege. Mrs Lecounts Bruder lebt in Zürich. Er Junggeselle, er besitzt ein kleines Vermögen, und seine Schwester ist seine nächste Verwandte. Wenn er nur die Gefälligkeit haben wollte, endlich seinen Abmarsch (zur großen Armee) anzutreten, so würde er uns eine Welt voll Schwierigkeiten mit Mrs. Lecount ersparen.

Es war eine schöne Mondscheinnacht. Er sah sich nach Magdalenen um, als, er diese Worte sprach, um zu sehen, ob ihre hartnäckige Verstimmung sie wieder ergriffen hätte.

Nein! Ihre leicht wechselnde Laune hatte sich abermals verändert. Sie blickte um sich mit einer fieberhaften, unnatürlichen Fröhlichkeit; sie spottete über die bloße Idee von ernster Schwierigkeit mit Mrs. Lecount, sie machte Noël Vanstones hohe Stimme nach und wiederholte Noël Vanstones hochfliegende Complimente und hatte ihre schnöde Freude dran, ihn lächerlich zu machen. Anstatt wie vorher ins Hans zu eilen, schlenderte sie sorglos an der Seite ihres Begleiters, indem sie kleine Bruchstücke von Liedern vor sich her summte und die lockeren Kieselsteine rechts und links aus dem Gartenwege fortstieß. Hauptmann Wragge segnete im Stillen den Umschlag in ihr als das beste der guten Omen. Er dachte, er sähe offene Zeichen, daß der Familiengeist endlich wieder über sie käme.

– Gut, sagte er, als er ihr das Licht zum Schlafengehen anzündete, wenn wir uns Alle morgen auf der Promenade treffen, so werden wir, wie unsere seemännischen Freunde sagen, ja »sehen, wie das Land liegt«. Eins kann ich ihnen sagen, liebes Mädchen: ich will meine Augen nicht offen gehabt haben, wenn diese Nacht nicht in Mr. Noël Vanstones häuslicher Atmosphäre ein Sturm im Anzuge ist.

Der Scharfblick des Hauptmanns hatte ihn auch diesmal nicht betrogen. Sobald die Thür von Villa Amsee sich hinter den scheidenden Gästen geschlossen hatte, machte Mrs. Lecount eine Anstrengung, um sich der Macht ihres eignen Einflusses zu vergewissern, den Magdalenens Einwirkung bereits zu untergraben drohte.

Sie brauchte jeden Kunstgriff, dessen sie Meisterin war, um zu sehen, wie eigentlich Magdalene in der Meinung ihres Herrn stünde. Sie versuchte es wieder und immer wieder, ihm ein unwillkürliches Bekenntniß des Vergnügens abzulocken, das er bereits an der Gesellschaft der Gesellschaft der schönen Miss Bygrave empfand; sie rang und wandte sich durch alle die Ecken und Enden seines schwachen Charakters hindurch, just wie die Frösche und Eidechsen durch den porösen Felsen ihres Aquariums schlüpften. Aber sie beging den einen großen Mißgriff, welchen sehr gescheidte Leute in ihrem Verkehr mit geistig untergeordneten Personen fast durchgängig zu begehen geneigt sind: sie vertraute unbedingt der Narrheit eines Narren. Sie vergaß dabei, daß eine der geringsten menschlichen Fähigkeiten, die Schlauheit, oft gerade am Meisten in dem geistig am tiefsten stehenden Wesen entwickelt ist. Wenn sie ganz einfach und geradeheraus mit ihrem Herrn gezankt hätte, so würde sie ihn wahrscheinlich eingeschüchtert haben. Wenn sie ihre Herzensmeinung offen vor ihm ausgesprochen hätte, so würde sie ihn durch Darlegung einer Kette von zusammenhängenden Ideen, unfaßbar für sein beschränktes Verständniß, verblüfft haben. Seine Neugier würde ihn getrieben haben, sich eine Erklärung auszubitten, und wenn sie ihn von der Seite gefaßt hätte, so würde sie ihn nach ihrem Sinne gelenkt haben. So aber setzte sie nur einfach ihre Schlauheit gegen die seinige, und der Narr trug den Sieg über sie davon. Mr. Noël Vanstone, welchem alle großherzigen Motive unter Gottes Sonne undurchdringliche Geheimnisse waren, sah das engherzige Motiv im Hintergrunde des Benehmens der Haushälterin, mit einem schlagfertigen Scharfblicke, als wenn er ein Mensch von der höchsten Begabung gewesen wäre. Mrs. Lecount verließ ihn für diesen Abend, besiegt und mit dem Bewußtsein, daß sie besiegt sei, verließ ihn, grimmig wie eine Tigerin, und das gemeine Verlangen in ihren eleganten Fingernägeln, sich in ihres Herrn Gesicht einzugraben!

Sie war nicht das Weib, daß sich durch eine Niederlage, durch hundert Niederlagen aus dem Felde schlagen läßt. Sie war fest entschlossen darauf zu denken und zu sinnen, ein Mittel ausfindig zu machen, um die wachsende Vertraulichkeit mit den Bygraves ein für alle Mal aufzuheben. In der Einsamkeit ihres Zimmers erlangte sie ihre Fassung wieder und machte sich zum ersten Male daran, die Schlüsse, welche sie aus den Ereignissen des Tages sich gebildet hatte, übersichtlich aneinander zu reihen.

Es war etwas Bekanntes in der Stimme dieser Miss Bygrave und zugleich in unbestimmbarem Widersprüche damit doch auch wieder etwas Fremdes. Das Gesicht und die Gestalt der jungen Dame waren ihr ganz fremd. Es war ein auffallendes Gesicht und eine auffallende Gestalt, und wenn sie eins von Beiden einmal in früherer Zeit gesehen hätte, so würde sie sich gewiß dessen erinnert haben. Miss Bygrave war ohne Frage eine Fremde und doch…

Sie war schon während des Tages nicht weiter als bis hierher gekommen, sie konnte auch jetzt nicht weiter kommen. Die Kette der Gedanken brach ab… Ihr Geist nahm die Stücke der Kette auf und bildete eine andere Kette, welche sich an die Dame, die verborgen und eingeschlossen gehalten wurde, knüpfte, an die Tante, welche wohl aussah und doch nervenleidend war, welche an den Nerven litt und doch mit Nadel und Zwirn umgehen konnte. Eine unbegreifliche Aehnlichkeit mit einer Stimme in ihrer Erinnerung – bei der Nichte; eine räthselhafte Krankheit, welche die Tante von der Oeffentlichkeit ausschloß, ein außergwöhnlicher Grad von wissenschaftlicher Bildung – bei dem Oheim, eng verbunden mit einer gewissen Derbheit und Keckheit des Auftretens, welche sich keineswegs mit dem Wesen eines in gelehrte Untersuchungen eingeweihten Mannes vertragen wollte: waren die Glieder dieser kleinen Familie von drei Personen wirklich das, was sie äußerlich schienen?

Mit dieser Frage im Herzen ging sie zu Bett.

Sobald das Licht ausgelöscht war, schien die Dunkelheit ihre Gedanken in einen seltsam verschlungenen Tanz zu ziehen. Sie wanderten wider ihren Willen von der Gegenwart weg, rückwärts in die Vergangenheit… Sie brachten ihren alten Herrn wieder ins Leben… sie beschworen vergessene Worte und Handlungen in dem englischen Cirkel zu Zürich herauf… sie schwärmten hinweg an das Todtenbett des alten Herrn in Brighton… sie gingen von Brighton nach London, traten in das nackte, unwohnliche Zimmer auf der Vauxhallpromenade… sie setzten das Aquarium wieder zurück an seinen alten Platz, auf den Küchentisch… und die falsche Miss Garth in den Stuhl daneben, wie sie ihre entzündeten Augen vor dem Lichte schützte… sie legten ihr wieder den namenlosen Brief, den Brief, welcher dunkel auf einen Anschlag gegen sie aufspielte, in die Hand… Und sie stand mit demselben wieder vor ihrem Herrn, und es wiederholten sich das Gespräch über die Ausfüllung der leergelassenen Stelle in der Anzeige und der Streit, als sie damals Mr. Noël Vanstone sagte, daß die Summe, welche er geboten hatte, lächerlich gering sei. Ein alter Zweifel stieg wieder auf in ihr, welcher sie seit Wochen nicht mehr beunruhigt hatte, ein Zweifel, ob dieser angedrohte Anschlag nicht in bloßen Worten verpufft wäre, oder ob sie und ihr Herr wohl vielleicht doch nochmals davon hören würden. Bei diesem Puncte brachen ihre Gedanken abermals ab, und es entstand eine augenblickliche Lücke… Den nächsten Augenblick aber fuhr sie jählings auf; ihr Herz schlug heftig, ihr Haupt wirbelte, als ob sie ihren Verstand verloren hätte! Mit elektrischer Schnelligkeit stellte ihr Geist seine zerstückelte Mannigfaltigkeit von Gedanken zusammen und legte sie deutlich in einer verständigen Form vor sie hin. In der sie alles Andere vergessen machenden Aufregung des Augenblicks schlug sie ihre Hände zusammen und schrie plötzlich in der Dunkelheit auf:

– Wieder Miss Vanstone!!!

Sie stieg wieder aus dem Bette und zündete sich sogleich Licht an. Stark wie ihre Nerven waren, hatte doch der Stoß sie erschüttert, als jener Verdacht sie blitzähnlich durchzuckte. Ihre feste Hand zitterte, als sie ihre Commode aufzog und ein kleines Fläschchen mit fliegendem Salz herausnahm. Trotz ihrer glatten Wangen und ihres wohlerhaltenen Haares sah man ihr jetzt doch ihr Alter bis aufs Jahr an, wie sie dastand und den Spiritus mit Wasser vermischte, ihn gierig hinunter trank und sich ihren Schlafrock um sich nehmend an das Bett setzte, um wieder ruhig zu werden.

Sie war ganz unfähig dem geistigen Vorgang noch einmal zu folgen, welcher sie zur Entdeckung geführt hatte. Sie konnte nicht soweit gegenständlich aus sich heraustreten, um zu sehen, daß ihre halbfertigen Schlüsse betreffs der Bygraves damit geendigt hatten, jene Familie zu Gegenständen des Argwohns für sie zu machen; und daß die beiden Ideen von jenen verschiedenen Gegenständen ihres Mißtrauens plötzlich mit einander in Berührung kommend, ihr das Licht aufgesteckt hatten. Sie war nicht im Stande, die Reihe der Schlüsse rückwärts zu verfolgen von der Wirkung zur Ursache. Sie konnte nur fühlen, daß der Verdacht schon mehr war, als ein bloßer Verdacht: die Ueberzeugung selbst hätte sich nicht tiefer in ihrer Seele festsetzen können.

Indem, sie nun Magdalene in dem neuen Lichte, das auf sie fiel, betrachtete, wollte Mrs. Lecount sich gern einreden, als ob sie einige Züge aus dem Gesicht der falschen Miss Garth und deren Gestalt in dem anmuthigen und schönen Mädchen wieder erkannt, welches kaum vor einer Stunde an ihres Herrn Tische gesessen hatte, – und Aehnlichkeiten gefunden habe, an die sie bisher nimmer gedacht, zwischen der zornigen Stimme, die sie auf der Vauxhallpromenade gehört hatte, und der sanften wohlgeschulten Sprechweise, welche ihr diesen Abend eine Treppe tiefer noch in den Ohren klang. Sie redete sich ein, daß sie diese Ergebnisse ohne Verwaltigung der Wahrheit, die sie schon besaß, erreicht habe; aber diese Anstrengung war vergebens.

Mrs. Lecount war nicht das Weib, das über dem Versuch sich selbst zu täuschen, Zeit und Geist verschwenden mochte. Sie gab sich mit dem unbestreitbaren Schlusse zufrieden, daß die Muthmaßung eines Augenblicks sie zur Entdeckung geführt habe. Und noch mehr, sie erkannte die volle Wahrheit an, so unwillkommen sie auch war, daß die nun einmal bei ihr selbst innerlich feststehende Ueberzeugung bis jetzt durch kein einziges Stückchen von einem handhaften Beweise unterstützt werde, welcher letztere in den Augen Anderer zu rechtfertigen wäre.

Was war unter diesen Umständen für ein Verhalten ihrem Herrn gegenüber rathsam einzuschlagen?

Wenn sie ihm den nächsten Morgen, wo sie zusammenkamen, offen heraus mittheilte, was ihr die Nacht über in den Sinn gekommen sei, so konnte nach ihrer Kenntniß von Mr. Noël Vanstone nur eins von zwei Dingen eintreten. Entweder war er vielleicht unwillig und widersprechend, verlangte auch noch Beweise und klagte, wenn er fand, daß keiner zum Vorschein kam, wohl gar noch sie an, daß sie ihn unnöthigerweis in Angst und Schrecken setzen wolle, und das Alles, bloß um ihren eifersüchtigen Endzweck, Magdalenen vom Hause fernzuhalten, zu fördern. Oder aber er war vielleicht ernstlich betroffen, rief nach dem Schutze des Gesetzes und lehrte dadurch nur den Bygraves von Anfang an auf ihrer Hut zu sein. Wenn Magdalene allein in die Verschwörung verwickelt gewesen wäre, so würde die letztere Consequenz in den Augen der Haushälterin keine große Wichtigkeit gehabt haben. Aber da sie die Täuschung in ihrem vollen Lichte sah, so war sie ein zu gescheidtes Weib, als daß sie die unerschöpfliche Fruchtbarkeit von Hauptmann Wragge's erfinderischem Geiste nicht ihrem ganzen Werthe nach geschätzt hätte.

– Wenn ich dieser Unverschämten Spottgeburt nicht mit klaren Beweisen, die für mich sprechen, entgegentreten kann, – dachte Mrs. Lecount, so werde ich meines Herren Augen morgen früh öffnen, aber Mr. Bygrave wird sie, ehe es Nacht wird, wieder schließen; Der Schurke spielt mit allen seinen Karten unter dem Tische, und er wird das Spiel gewißlich gewinnen, wenn er meine Hand sich rühren sieht.

Diese Politik des Zuwartens war so offenbar klug berechnet, der vorsichtige Mr. Bygrave war seiner Sache so sicher, indem er sich für den Nothfall mit Beweismitteln für die Identität versehen, die er und seine Nichte zu ihrem Endzweck angenommen hatten, daß Mrs. Lecount bei sich beschloß, nächsten Morgen mit sich selbst zu Rathe zu gehen und mit dem Angriff der Verschwörung so lange zu warten, bis sie zu ihrer Unterstützung unleugbare Thatsachen vorbringen könnte. Ihres Herrn Bekanntschaft mit den Bygraves war nur eine Bekanntschaft von der Dauer eines Tages. Es war keine Gefahr da, daß sie sich zu einer beunruhigenden Vertraulichkeit entwickeln konnte, wenn sie dieselbe auch noch einige wenige Tage länger zuließ und spätestens nach Ablauf einer Woche sie zu Nichte machte.

Welche Maßregeln konnte sie zu dieser Zeit ergreifen, um die Hindernisse zu entfernen, welche ihr jetzt im Wege standen, und sich mit den Waffen zu versehen, die sie jetzt brauchte?

Reiferes Nachdenken zeigte ihr drei verschiedene Aussichten zu ihren Gunsten, drei verschiedene Wege, um zu, der nothwendiger Entdeckung zu gelangen.

Die erste Aussicht war, sich mit Magdalenen in ein freundliches Verhältniß einzulassen und sie unversehends zu fassen und dann sie so zu verstricken, daß sie sich in Noël Vanstone's Gegenwart verriethe.

Die zweite Möglichkeit war, an die ältere Miß Vanstone zu schreiben und unter Vorgeben irgend einer beunruhigenden Veranlassung dieser Frage sich Auskunft zu erbittert über ihrer jüngern Schwester nähere Umstände und diejenigen Eigenthümlichkeiten ihrer persönlichen Erscheinung, welche einen Fremden in den Stand setzen könnten, sie wieder zu erkennen.

Die dritte Aussicht endlich war, das Geheimniß, warum Mrs. Bygrave eingeschlossen gehalten wurde, zu ergründen – und durch eine persönliche Unterredung herauszubekommen, ob nicht das Leiden der kranken Dame möglicherweise nur hinausliefe auf eine mangelnde Fähigkeit, das Geheimniß ihres Gatten zu bewahren.

Indem Mrs. Lecount sich entschloß, es mit allen drei Verfahrungsweisen in der Reihenfolge, wie sie hier aufgezählt wurden, zu versuchen und Magdalenen gleich an dem Tage, der in wenigen Stunden anbrechen mußte, die Daumschrauben anzusetzen, warf sie endlich ihren Schlafrock ab und ließ ihrem schwächeren irdischen Theile sein Recht auf einen kurzen Schlummer widerfahren.

Das Morgengrauen brach bereits über der kalten grauen See an, als sie sich wieder zu Bett legte. Der letzte Gedanke in ihrer Seele, ehe sie einschlief, war bezeichnend für das Weib, es war ein Gedanke, welcher den Hauptmann bedrohte.

– Er hat freventlich mit dem heiligen Andenken meines Gatten gespielt, dachte die Professorswittwe. Bei meinem Leben und meiner Ehre, er soll mir dafür büßen!

Am nächsten Morgen früh fing Magdalene ihr Tagewerk nach der mit dem Hauptmann genommenen Abrede damit an, daß sie Mrs. Wragge zu einer kleinen Bewegung im Freien zu einer Stunde, wo nicht zu fürchten stand, daß sie die öffentliche Aufmerksamkeit erregen würde, ausführte. Diese bat inständig, sie doch zu Hause zu lassen. Sie habe ja die orientalische Kaschmirrobe beständig im Sinne und halte es für nothwendig, ihre Anweisungen zum Schneidern zum hundertsten Male wenigstens durchzulesen ehe sie – um ihren eigenen Ausdruck zu gebrauchen – »ihren Muth soweit hinaufschrauben könnte, um die Scheere an das Zeug zu bringen«.

Allein ihre Begleiterin ließ keine Entschuldigung gelten, und somit wurde sie gezwungen, mit auszugehen. Der einzige aufrichtige Lebenszweck, den Magdalene jetzt verfolgte, war ja der Entschluß, daß die arme Mrs. Wragge um ihretwillen nicht zu einer Gefangenen gemacht werden sollte; und an diesem Entschlusse klammerte sie sich halb unbewußt fest als an dem einzig ihr gebliebenen letzten Zeichen, woran sie ihr besseres Selbst wieder erkannte.

Sie kamen später als gewöhnlich zum Frühstück heim. Während Mrs. Wragge in das Haus hinauf ging, um sich von Kopf bis zu Fuß zu der Frühmusterung von Seiten der ordnungsliebenden Augen ihres Eheherrn zu bereiten, und während Magdalene und der Hauptmann im Wohnzimmer auf sie warteten, kam das Dienstmädchen herein und brachte einen Brief von Villa Amsee. Der Bote wartete auf Antwort, und das Billet war an Hauptmann Wragge gerichtet.