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Czytaj książkę: «Blinde Liebe», strona 25

Czcionka:

Zweiundsechzigstes Kapitel

Mrs. Vimpany hatte natürlich vollständig recht gehabt. Iris war zu ihrem Gatten zurückgereist. Sie kam am Abend bei der Villa an, gerade bevor es dunkel wurde – zu der Zeit also, wo manche Menschen mehr als sonst empfänglich für Erscheinungen und Laute sind und die Augen leichter als zu anderen Zeiten durch sonderbare Truggebilde getäuscht werden. Iris trat in den Garten, fand aber niemand darin. Sie öffnete die Thür des Hauses mit ihrem eigenen Schlüssel und ging hinein. Das Haus kam ihr so sonderbar still und leer vor. Sie öffnete die Thür des Speisezimmers; auch dort war niemand. Wie alle französischen Eßzimmer wurde es zu nichts anderem benutzt als zum Abhalten der Mahlzeiten und war daher auch nur mit den nötigsten Gegenständen ausgestattet. Sie schloß die Thür wieder und öffnete die des Empfangszimmers; auch das fand sie leer. Sie rief ihren Gatten; es kam keine Antwort. Sie rief den Namen der Köchin; auch hierauf ließ sich kein Laut vernehmen. Es war ein großes Glück, daß sie nicht auch noch die Thür des nächsten Zimmers aufmachte, denn dort lag der Leichnam des Verstorbenen. Sie stieg die Treppen hinauf in ihres Mannes Zimmer; das war auch leer, aber auf dem Tisch lag etwas, – eine Photographie. Sie nahm sie in die Hand; ihr Gesicht wurde plötzlich kreideweiß; sie schrie laut auf, dann ließ sie das Bild fallen und sank selbst ohnmächtig auf den Boden nieder, denn das Bild war kein anderes als das ihres Gatten, der tot dalag – in weißen Sterbekleidern, mit geschlossenen Augen und wachsbleichen Wangen.

Ihr Schrei drang zu den Ohren Lord Harrys, der sich unten im Garten befand. Er eilte in das Haus, hob seine Gattin auf und trug sie auf das Bett. Die Photographie sagte ihm deutlich, was geschehen war.

Iris kam bald wieder zu sich. Als sie aber ihren Gatten lebend vor sich sah und sich erinnerte, was sie gesehen hatte, da schrie sie wieder laut auf und bekam eine zweite Ohnmacht.

»Was ist jetzt zu thun?« fragte sich Lord Harry. »Was soll ich ihr sagen? Wie soll ich ihr das Ungeheuerliche verständlich machen?«

Es war niemand da, der helfen konnte. Die Pflegerin war ausgegangen, um einige Besorgungen zu machen; der Doktor traf die Vorbereitung zur Beerdigung Oxbyes unter dem Namen Lord Harry Norlands. Das Haus war leer.

Solch ein Ohnmachtsanfall dauert nicht ewig; auch Iris kam wieder zu sich, setzte sich in dem Bett aufrecht und blickte wild um sich.

»Was ist das,« schrie sie, »was soll das heißen?«

»Es heißt, Liebling, daß Du wieder zu Deinem Gatten zurückgekehrt bist.«

Er schlang seinen Arm um sie und küßte sie immer und immer wieder.

»Bist Du mein Harry? Lebend, mein Harry?«

»Dein Harry, mein Liebling! Wer sollte ich sonst sein?«

»Dann sage mir, was bedeutet das, jenes Bild, jenes schreckliche Bild?«

»Das Bild? – O, das bedeutet nichts! Eine Laune, ein Scherz des Doktors. Was könnte es auch anderes bedeuten?« Er hob es auf. »Ich lebe, wie Du siehst, mein Liebling, und befinde mich außerordentlich wohl. Was sollte es anderes bedeuten als einen Scherz?«

Er legte das Bild wieder auf den Tisch mit dem Gesicht nach unten, aber ihre Augen sagten ihm, daß sie nicht befriedigt war.

»Mau pflegt nicht mit dem Tode zu scherzen; es ist ein wirklich trauriger Spaß, einem Menschen Sterbekleider anzuziehen und ihn zu photographiren, als ob er gestorben wäre.«

»Aber Du, meine Iris, Du bist hier! Sage mir, wie, warum, wann kamst Du? Erzähle mir alles! Denke nicht mehr an jenes einfältige Bild, erzähle mir!«

»Ich erhielt Deinen Brief, Harry,« antwortete sie.

»Meinen Brief?« wiederholte er. »Du hast meinen Brief erhalten und ersahst daraus, daß Dein Gatte Dich noch liebt?«

»Ich konnte es nicht mehr ohne Dich aushalten, was auch vorgefallen war. Ich blieb weg, so lange ich konnte. Tag und Nacht dachte ich an Dich, und endlich – endlich kehrte ich – kehrte ich zurück. Bist Du mir deswegen böse, Harry?«

»Böse, guter Gott, meiner Iris böse?« Er küßte sie leidenschaftlich – nicht weniger leidenschaftlich, als wenn sie nicht zu einer so schrecklichen Zeit zurückgekehrt wäre. Was sollte er ihr sagen, und wie sollte er es ihr sagen? Während er sie mit seinen Küssen fast erstickte, stellte er sich selbst diese Fragen. Wenn sie es herausbekam, wenn er ihr die volle Wahrheit bekennen würde, dann würde sie ihn sicherlich wieder verlassen. Doch er verstand nicht die Natur der Frau, welche liebt. Er hielt sie in seinen Armen; seine Küsse sprachen für ihn, sie beherrschten sie ganz; sie war bereit, zu glauben und selbst ihre Wahrheitsliebe und Ehrliebe aufzugeben, und sie war bereit, obgleich sie es nicht wußte, die Teilnehmerin an einem Verbrechen zu werden. Lieber, als daß sie ihren Gatten wieder verließ, würde sie alles thun.

Lord Harry fühlte jedoch, daß er etwas verheimlichen müßte: er konnte ihr alles gestehen, nur nicht die Ermordung des Dänen. Kein einziges Wort des Bekenntnisses war über die Lippen des Doktors gekommen, aber Lord Harry wußte nur zu gut, daß der Mann vergiftet worden war, und das war vollständig nutzlos gewesen, so weit wenigstens die Aehnlichkeit Mr. Oxbyes mit ihm in Betracht kam.

»Ich habe Dir sehr viel zu erzählen, Liebling,« sagte Lord Harry, während er ihre beiden Hände zärtlich in den seinigen hielt. »Du wirst sehr viel Geduld mit mir haben müssen. Du mußt Dich darauf gefaßt machen, daß Du anfangs sehr erschrecken wirst, obgleich ich im stande sein werde, Dich zu überzeugen, daß wirklich nichts anderes gethan werden konnte, wirklich nichts anderes.«

»O, fang an, Harry. Erzähle mir alles. Verschweige nichts.«

»Ich will Dir alles erzählen, Liebling,« antwortete er.

»Zuerst, wo ist der arme Mann, den der Doktor herbrachte, und den Fanny pflegte, und wo ist Fanny selbst?«

»Der arme Mann,« antwortete er leichthin, »machte so rasche Fortschritte in seiner Wiedergenesung, daß er bald vollständig wieder auf seinen Beinen war und abreisen konnte. So viel ich weiß, wollte er zunächst in das Spital zurückgehen, aus dem er kam. Es ist ein sehr großer Triumph für den Doktor, dessen neue Behandlung von Lungenkranken sich jetzt als erfolgreich bewiesen hat. Er wird sehr viel Geschrei damit machen. Ich darf sagen, wenn alles das, was er erzählt, wahr ist, dann hat er in der That einen großen Schritt in der Heilung dieser Krankheit gethan.«

Iris war nicht lungenkrank und interessirte sich daher auch sehr wenig für diese wissenschaftlichen Sachen.

»Wo ist dann mein Kammermädchen?«

»Fanny? Sie ist fortgegangen; laß mich einmal nachrechnen: heute ist Freitag – am Mittwoch Morgen. Es hatte keinen Zweck mehr, sie länger hier zu behalten. Der Mann war wieder gesund, und sie wünschte sehr, zu Dir zurückzukehren. Daher reiste sie am Mittwoch Morgen ab mit der Absicht, von Dieppe aus das am Abend abgehende Dampfschiff zu benützen.«

»Sie muß sich dann irgendwo auf ihrer Reise aufgehalten haben. Sie wird aber jedenfalls Mrs. Vimpany in London aufsuchen; ich werde daher an die Frau des Doktors einige Zeilen schreiben.«

»Gewiß, da wird sie sicher zu finden sein.«

»Gut, Harry. Hast Du mir sonst noch etwas zu erzählen?«

»Noch sehr viel,« antwortete er, »noch die Hauptsache. Jene Photographie, Iris, welche Dich so sehr erschreckt hat, ist mit der größten Sorgfalt von Vimpany für einen bestimmten Zweck hergestellt worden.«

»Für welchen Zweck?«

»Es gibt Fälle,« entgegnete er, »in denen das Beste, was einem Mann geschehen kann, ist, daß man ihn gestorben wähnt. In einer solchen Lage befinde ich mich jetzt. Für mich und nicht minder für Dich ist es nützlich, ja sogar notwendig, daß die Welt glaubt, ich sei tot; ich muß daher hinfort als Toter gelten. Nicht etwa, daß ich irgend etwas gethan hätte, das diese falsche Annahme erforderlich machte, oder daß ich mich vor irgend etwas zu fürchten hätte; das brauchst Du nicht zu denken. Nein, es geschieht nur aus dem einfachen Grund, weil ich nicht einen einzigen Pfennig Geld mehr besitze und auch keine Quellen mehr habe, wo ich welches erhalten könnte. Aus diesem Grund allein muß ich gestorben sein. Wenn Du nicht so unerwartet zurückgekehrt wärest, so würdest Du durch den Doktor von meinem Tod gehört haben, und er würde es dem Zufall überlassen haben, eine passende Gelegenheit ausfindig zu machen, wie er Dir die Wahrheit hätte mitteilen können; ich bin indessen tief betrübt, daß ich so sorglos war und diese Photographie auf dem Tisch habe liegen lassen.«

»Ich verstehe Dich nicht,« sagte sie. »Du gibst vor, gestorben zu sein?«

»Ja, ich muß Geld haben, ich muß notwendigerweise Geld haben, und um es zu bekommen, muß ich gestorben sein.«

»Was soll das nützen?«

»Ich habe mein Leben versichert, und die Versicherungssumme wird nach meinem Tod ausbezahlt werden, aber nicht früher.«

»Aber mußt Du denn Geld zu bekommen suchen, sogar durch einen –«

Sie zauderte.

»Nenne es eine kleine Intrigue, Liebling, wenn Du willst. Da es gar keinen andern Weg gibt, Geld zu bekommen, so muß ich auf diese Weise in den Besitz desselben zu gelangen suchen.«

»O, das ist schrecklich – eine Intrigue, Harry? – Ein – ein – ein Betrug!«

»Ja, wenn Du so willst; die Advokaten würden es wenigstens so nennen.«

»O Harry, das ist ja ein Verbrechen! Für solche Handlungen wird man in Untersuchung gezogen, schuldig befunden und verurteilt.«

»Gewiß, wenn es herauskommt. Indessen ist es nur das arme, unwissende, ungeschickte Volk, welches entdeckt wird. In der City geschehen solche Dinge jeden Tag als etwas ganz Selbstverständliches,« fügte er leichtsinnig hinzu. »Es ist nicht gebräuchlich, daß die Männer ihre Frauen bei so etwas ins Vertrauen ziehen; in diesem Fall muß es aber doch geschehen, ich habe keine Wahl, wie Du ohne weiteres einsehen wirst.«

»Sage mir, Harry, wer hat zuerst an diesen Ausweg gedacht?«

»Natürlich Vimpany. O, in solchen Fällen mußt Du ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, wo es sich um wirkliche Klugheit und Schlauheit handelt. Vimpany hat den Plan ausgedacht. Als er mich genau in denselben verzweifelten Vermögensverhältnissen fand, unter denen er jetzt selbst schmachtet, da kam er auf den Ausweg, uns Geld zu verschaffen. Ich wollte, wie ich offen gestehen muß, zuerst nichts davon wissen. Aber wenn man sich so Angesicht gegen Angesicht mit dem vollständigen Ruin findet, dann ist man gern bereit, alles zu thun, und außerdem ist dies auch, wie ich Dir sogleich beweisen werde, kein eigentlicher Betrug; ich nehme einfach nur schon jetzt, was ich oder vielmehr meine Hinterbliebenen nach einigen Jahren doch bekommen werden. Es ist indessen noch ein anderer Grund vorhanden.«

»War denn das Geld wirklich nicht auf eine andere Weise, auf ehrlichem Wege zu bekommen?«

Lord Harry beachtete diese Frage nicht, sondern fuhr fort: »Mein Liebling, Du kannst es vergessen und Du wirst es mir gewiß niemals vorwerfen, aber meine Liebe zu Dir wird es niemals dulden, daß ich vergesse, daß Dein kleines Vermögen bei einer zweifelhaften Spekulation durch mich verloren gegangen ist. Es ist alles fort und keine Aussicht vorhanden, es jemals wiederzugewinnen, und das, nachdem ich geschworen hatte, niemals einen Pfennig davon anzurühren.« Er sprang auf und ging heftig erregt im Zimmer auf und ab. »Iris, ich könnte ins Schuldgefängnis wandern, ich könnte meinen vollständigen Ruin ruhig mit ansehen; der Verlust meines ganzen Vermögens würde mir keinen Kummer verursachen, aber daß ich Dich um Dein Vermögen gebracht habe, das kann ich nicht ertragen.«

»Aber, Harry, als ob ich darnach etwas fragte! Alles, was ich besitze, gehört Dir; als ich mich Dir gab, gab ich Dir alles, was mein Eigentum ist. Nimm alles, verwende alles, verliere alles, ich werde niemals deswegen traurig sein, noch irgend ein Wort des Vorwurfs und Tadels darüber aussprechen, teuerster Harry, wenn das alles ist.«

»Nein, daß ich weiß, daß Du mir niemals einen Vorwurf machen wirst, das wird gerade mein immerwährender Ankläger sein. Nach meinem Tod wirst Du alles wieder bekommen. Aber ich bin noch nicht alt, ich kann noch viele, viele Jahre leben. Wie kann ich auf meinen eigenen Tod warten, wenn ich im stande bin, dieses Unrecht mit einem Schlage wieder gut zu machen?«

»Aber nur durch ein anderes Unrecht oder durch noch etwas viel Schlimmeres.«

»Nein, kein neues Verbrechen mehr. Du mußt bedenken, daß dieses Geld mir gehört. Es wird eines Tages meinen Erben zufallen, so sicher, wie morgen die Sonne scheinen wird. Früher oder später wird es mein sein; ich will es eben nur früher anstatt später haben, das ist alles. Die Versicherungsgesellschaft wird nichts weiter verlieren als die paar elenden Zinsen für den Rest meines Lebens. Mein Liebling, wenn das ein Unrecht ist, so will ich das Unrecht gern auf mich nehmen. Es ist leichter zu tragen als die immerwährenden Selbstvorwürfe, die ich mir machen müßte, so oft ich an Dich dächte und an den Verlust, den Du durch mich erlitten hast.«

Wiederum schloß er sie in seine Arme; er kniete vor ihr nieder und weinte. Dieser Anblick brachte Iris ganz außer sich, und sie versuchte keinen weiteren Widerstand.

»Ist es,« fragte sie furchtsam, »zu spät, umzukehren?«

»Es ist zu spät,« antwortete er, an den Toten unten denkend. »Es ist zu spät, alles ist schon fertig.«

»Mein armer Harry, was sollen wir thun? Wie sollen wir in Zukunft leben? Wie sollen wir es anstellen, nicht entdeckt zu werden?«

Sie wollte ihn nicht verlassen, sie fügte sich in die Verhältnisse. Er war ganz verwirrt über diese Bereitwilligkeit, welche sie zeigte, aber er verstand nicht, wie sie willens war, sich an ihn anzuklammern, selbst wenn er Schlimmeres gethan hätte, als er gestanden.

Sie warf sich wieder in seine Arme und vergaß alles, willigte in alles. Von nun an sollte sie, obgleich sie es nicht wußte, das gefügige Werkzeug in der Hand zweier Schurken sein.

Dreiundsechzigstes Kapitel

»Ich habe dieses schreckliche Ding schon einmal ungeschickterweise liegen lassen,« sagte Lord Harry und nahm das Bild vom Tische. »Ich will es jetzt lieber an einen sichereren Platz bringen.« Er schloß eine Schublade auf. »Ich will es hier hineinlegen. Aber da liegt ja mein Testament!« rief er aus, als ob er plötzlich an etwas anderes dächte. »Das werde ich wahrscheinlich nächstens auch einmal auf dem Tisch liegen lassen. Meine süße Iris, ich habe Dir alles hinterlassen, alles wird einst Dein gehören. Bewahre das Testament daher jetzt für mich.« Er nahm das Dokument heraus. »Es ist Dein, Du kannst es ebenso gut schon jetzt haben, und ich weiß, daß es in Deinen treuen, sorgsamen Händen gut aufgehoben sein wird. Ich habe Dir nicht nur alles hinterlassen, sondern Du bist auch die einzige Vollstreckerin meines Willens.«

Iris nahm das Testament, ohne ein Wort zu sagen. Sie verstand jetzt, was es bedeutete. Wenn sie die einzige Vollstreckerin war, so würde sie zu handeln haben. Wenn ihr alles gehören sollte, was er hinterließ, so würde sie auch das Geld bekommen. Auf diese Weise wurde sie durch einen einzigen Schritt nicht nur Mitwisserin des Verbrechens, sondern auch das Hauptwerkzeug, um es auszuführen.

Nachdem dies geschehen war, hatte Lord Harry ihr nur noch zu sagen, was sie jetzt infolge ihrer verfrühten Ankunft thun mußte. Er hatte, wie er ihr sagte, geplant, sie nicht eher kommen, sie nicht eher etwas von der Wahrheit wissen oder vermuten zu lassen, als bis das Geld von der Versicherungsgesellschaft an seine Witwe ausbezahlt worden wäre. Wie nun aber einmal die Dinge lägen, so würde es das Beste für sie beide sein, Passy sofort zu verlassen, noch an diesem Abend, bevor irgend jemand etwas von ihrer Ankunft erführe. Vimpany sollte das noch Erforderliche allein besorgen. Sie könnten ihm vollständig trauen; er würde alles, was nötig sei, ausführen.

»Die Behörde wird von dem Doktor schon die Nachricht von meinem Tod erhalten haben. Gestern abend schrieb er an verschiedene, auch an meinen Bruder – der Teufel soll ihn holen! – und an den Rechtsanwalt unserer Familie. In jedem Augenblick, den ich noch hier verweile, wächst die Gefahr für mich, gesehen oder erkannt zu werden, nachdem die Behörde schon davon benachrichtigt ist, daß ich gestorben bin.«

»Wohin wollen wir denn gehen?«

»Daran habe ich auch schon gedacht. Es gibt eine kleine, ruhige Stadt in Belgien, wohin überhaupt niemals ein Engländer kommt. Dahin wollen wir uns wenden. Dann wollen wir einen andern Namen annehmen. Wir werden für die Außenwelt begraben sein und für die übrige Zeit unseres Lebens für uns allein leben. Bist Du damit einverstanden?«

»Ich will alles thun, Harry, was Du für das Beste hältst.«

»Es wird nur für eine gewisse Zeit sein. Wenn alles so weit in Ordnung ist, dann wirst Du vor die Front zu treten haben, das Testament in Deiner Hand wird eröffnet werden, und Du wirst alles erhalten, was Dir als der Witwe des Lord Harry Norland zukommt. Dann wirst Du – aber erst nach einiger Zeit, um allen Argwohn zu vermeiden, nach Belgien zurückkehren und dort wieder die Frau von William Linville werden.«

Iris seufzte schwer. Als sie aber sah, daß die Augen ihres Gatten zweifelnd auf ihr ruhten, zwang sie sich, zu lächeln.

»In allem, Harry,« sagte sie, »bin ich Deine Dienerin. Wann wollen wir abreisen?«

»Sofort. Ich habe nur noch einen Brief an den Doktor zu schreiben. Wo ist Dein Gepäck? Ist das alles? Ich will erst hinausgehen, um zu sehen, ob niemand in der Nähe ist. Hast Du das Testament? – Ah so, hier ist es, in Deiner Reisetasche.«

Er eilte dann schnell die Treppen hinunter, kam aber rasch wieder herauf.

»Die Pflegerin ist zurückgekehrt,« sagte er; »sie ist in dem Zimmer, welches der Kranke bewohnte.«

»Welche Pflegerin?«

»Die Pflegerin, die der Doktor kommen ließ, nachdem uns Fanny verlassen hatte. Der Däne befand sich besser, aber Vimpany hielt es doch für geraten, noch eine neue Wärterin zu engagiren,« setzte er eilig auseinander. Iris fand damals nichts Verdächtiges darin; erst später sollte es dazu kommen. »Geh jetzt ruhig hinunter und verlaß das Haus durch die Thüre an der Rückseite, dann wird Dich die Wärterin nicht sehen.«

Iris gehorchte und that, wie Lord Harry ihr gesagt hatte. Sie schlich sich aus ihrem eigenen Hause wie ein Dieb, ebenso wie es ihr Kammermädchen Fanny Mere vor kurzem gemacht hatte. Sie ging durch den Garten und trat dann auf die Straße hinaus; dort wartete sie auf ihren Gatten.

Lord Harry aber setzte sich nieder und schrieb an den Doktor.

Der Brief lautete:

»Lieber Doktor!

»Während Sie die auswärtigen Angelegenheiten besorgen, ist im Innern ein unerwartetes Ereignis eingetreten. Nichts passirt öfter als das Unerwartete. Meine Frau ist zurückgekommen, und das ist doch das unerwartetste Ereignis, welches vorkommen konnte. Alles andere hätte hingehen können. Glücklicherweise hat sie das Krankenzimmer nicht gesehen und weiß infolge dessen auch nicht, was darin ist.

»Ueber diesen Punkt können Sie sich selbst die Gewißheit holen.

»Meine Frau ist nämlich schon wieder fort. Sie fand auf dem Tisch Ihren ersten photographischen Versuch. Beim Anblick desselben – sie hatte mich nämlich noch nicht gesehen – bekam sie eine kleine Ohnmacht, von der sie sich indessen sehr bald wieder erholte.

»Ich habe ihr die Dinge bis zu einem gewissen Punkt erklärt. Sie sieht die Notwendigkeit ein, daß Lord Harry gestorben sein muß. Sie versteht aber nicht, warum wir ein Begräbnis haben wollen; es liegt auch gar kein zwingender Grund vor, sie darüber aufzuklären. Sie sieht, wie ich glaube, vollständig ein, daß sie nicht hier gewesen sein darf, deshalb geht sie auch sofort wieder weg.

»Die Wärterin hat sie nicht gesehen, sie ist überhaupt von keinem Menschen gesehen worden.

»Sie versteht ferner, daß sie als die Witwe, Erbin und Testamentsvollstreckerin von Lord Harry sein Testament eröffnen lassen und das Geld, welches die Versicherungsgesellschaft ihrem Gatten schuldig ist, in Empfang nehmen muß. Sie will dies thun aus Liebe zu ihrem Gatten. Ich glaube, die Ueberredungskünste eines gewissen Mannes sind bis jetzt noch nicht nach ihrem vollen Wert gewürdigt worden.

»In Anbetracht der außerordentlichen Dringlichkeit, Iris von hier zu entfernen, bevor sie irgend etwas von dem Inhalt des Krankenzimmers wahrgenommen, und in Anbetracht der außerordentlichen Dringlichkeit, daß ich von hier fortkomme, ehe irgend welche obrigkeitlichen Nachforschungen stattfinden, werden Sie, wie ich glaube, mit mir übereinstimmen, daß ich recht daran thue, Passy und Paris noch heute nachmittag mit Lady Harry zu verlassen.

»Sie können an William Linville in Louvain in Belgien postlagernd schreiben. Sie werden, wie ich sicher hoffe, diesen Brief sofort vernichten.

»Louvain ist ein ruhiger, weltentlegener Ort, wo man ganz getrennt von den alten Freunden leben kann und noch dazu sehr billig.

»In Anbetracht der kleinen Summe Geldes, die sich noch in meinem Besitz befindet, rechne ich auf Ihr außerordentliches Geschick, mit der größten Sparsamkeit vorzugehen. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis unsere gerechten Forderungen befriedigt werden – vielleicht zwei Monate, vielleicht aber auch ein halbes Jahr. Jedenfalls ist, bis die Angelegenheit in Ordnung kommt, große Sparsamkeit vonnöten.

»Zu gleicher Zeit wird es Lady Harry keine Schwierigkeit verursachen, wenn sie nach London kommt, noch sonst einige Vergünstigungen in pekuniärer Hinsicht mit Hilfe des Rechtsanwalts von der Familie ihres verstorbenen Gatten zu erhalten.

»Ich bedaure sehr, mein lieber Doktor, daß ich Sie allein lassen muß während der Beerdigung dieses unglücklichen jungen Edelmanns. Sie werden auch, wie ich höre, sehr viel Schreibereien mit seiner Familie haben, Sie werden möglicherweise sogar deswegen nach England reisen müssen; aber Sie werden dies alles allein besorgen können, und werden es sehr gut besorgen. Die Rechnung für Ihren ärztlichen Beistand werden Sie gut thun, an die Witwe einzusenden.

»Noch einige Worte: Das Kammermädchen Fanny Mere hat sich nach London begeben, jedoch Lady Harry nicht gesehen. Sobald sie hören wird, daß ihre Herrin London verlassen hat, wird sie natürlich sofort nach Passy zurückkehren. Sie kann daher jeden Moment kommen. Wenn ich Sie wäre, dann würde ich diese Person an der Gartenthür empfangen und wieder fortschicken. Das ist wenigstens nach meiner Meinung das Beste; jedenfalls wäre es sehr unangenehm, wenn sie vor dem Begräbnis käme.

»Mein lieber Doktor, ich rechne auf Ihren Verstand, Ihre Klugheit und Ihre Findigkeit.

Ihr ganz ergebener

englischer Freund.«

Lord Harry las den Brief, nachdem er ihn geschrieben hatte, noch einmal sehr sorgfältig durch. Nach seiner Meinung stand nichts irgendwie Gefahrbringendes darin, und doch deutete etwas auf Gefahr. Er ließ den Brief indessen so. Es wäre nahegelegt gewesen, den Doktor noch einmal zur größten Vorsicht zu ermahnen; er mußte aber seine Frau so schnell wie möglich und unauffällig wegbringen.

Nachdem er den Brief in ein Couvert geschlossen und denselben an den Doktor adressirt hatte, packte er seine Sachen rasch zusammen und eilte nach dem Bahnhof. Passy sah ihn niemals wieder.

Am nächsten Tage wurden die sterblichen Ueberreste Lord Harry Norlands bestattet.

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Ograniczenie wiekowe:
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Data wydania na Litres:
04 grudnia 2019
Objętość:
515 str. 10 ilustracje
Właściciel praw:
Public Domain

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