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Czytaj książkę: «Antonia», strona 26

Czcionka:

Kapitel II
Vater und Kind

So verödet es auch dem äußern Anblicke an dem Morgen, von welchem wir jetzt schreiben, zu sein scheint, ist Numerian’s Haus doch nicht unbewohnt. In einem von den Schlafgemächern liegt der Herr des Hauses auf seinem Bette, ohne daß Jemand an seiner Seite wacht. Als wir ihn zuletzt auf unserer Schaubühne erblickten, war er unter die hungernde Gemeinde in der St. Johannes Laterankirche gemischt, und suchte unter der Verwirrung der öffentlichen Nahrungsaustheilung während der ersten Stufen des Unglücks des belagerten Rom noch immer nach seinem Kinde. Seit jener Zeit hat er sich viel gemüht und gelitten und jetzt sind endlich die Tage der lange hinausgeschobenen Erschöpfung, die Stunden hülfloser Einsamkeit, vor denen er in so steter Furcht geschwebt hat, endlich erschienen.

Von der ersten Zeit der Belagerung an, blieb er, – während Alles, was ihn in der Stadt umgab, düster, immer finsterere und finsterere Veränderungen durchschritt, während die Hungersnoth in Pest und Tod überging, während mit jedem folgenden Tage die menschlichen Hoffnungen und Vorsätze sich allmälig verminderten und schwächer wurden, stets von demselben Zwecke beseelt – war er der Einzige unter seinen Mitbürgern, auf welchen sein äußerliches Ereigniß gut oder schlimm, Hoffnung oder Furcht erregend einwirken konnte.

In allen Straßen Roms, zu jeder Stunde, unter allen Klassen des Volks sah man ihn fortwährend die gleiche hoffnungslose Aufgabe verfolgen. Als der Pöbel wüthend in die öffentlichen Getreidemagazine brach, um sich der letzten Kornvorräthe zu bemächtigen, die für die Reichen aufgespeichert worden waren, stand er an den Thüren und beobachtete die Herauskommenden. Als ganze Häuserreihen von Allem außer den Todten verlassen wurden, erblickte man ihn innerhalb derselben, wie er von Fenster zu Fenster ging und jedes Zimmer nach seinem verlorenen Schatze durchsuchte. Als sich einige wenige Bewohner der Stadt in den ersten Tagen der Pest zu dem fruchtlosen Versuche vereinigten, die auf den Straßen umherliegenden Leichen über die hohen Mauern zu werfen, mischte er sich unter sie, um die starren Gesichter der Todten anzublicken. An einsamen Orten, wo Eltern, die noch nicht jedes liebevolle Gefühl verloren hatten, ein sterbendes Kind von der wüsten Straße unter den Schutz eines Daches trugen, wo die noch ihren Pflichten getreue Gattin in stummer Verzweiflung den letzten Athemzug ihres Gatten bewachte, sah man ihn an ihnen vorübergleiten und sie einen kurzen Augenblick mit aufmerksamen, kummervollen Augen betrachten. Nirgends, wohin er auch gehen, was er auch sehen mochte, verlangte er Theilnahme oder bewarb er sich um Hülfe. Er ging seines Weges als Pilger auf einem einsamen Pfade, als unbeachteter Bewerber um ein Gut, um dessen Mitgenuß sich kein Anderer kümmern konnte.

Als sich die Hungersnoth in der Stadt fühlbar zu machen begann, schien er ihre Annäherung nicht zu bemerken, er machte keinen Versuch sich im Voraus mit Lebensmitteln auf ein paar Tage zu versorgen. Wenn er den ersten öffentlichen Vertheilungen von Nahrungsmitteln beiwohnte, so geschah es nur, um unter der ihn umgebenden Menge das Suchen nach seinem Kinde fortzusetzen. Er hätte mit den ersten schwachen Opfern des Hungers umkommen müssen, wenn ihn nicht auf seinen einsamen Wanderungen einige von den Mitgliedern der Gemeinde getroffen hätten, die in früheren Zeiten seine Frömmigkeit und Beredtsamkeit gesammelt hatte.

Von diesen Personen, deren Bitten, sein hoffnungsloses Suchen einzustellen, er stets mit der gleichen festen, geduldigen Weigerung beantwortet, wurde er sorgfältig auf seinen Wegen beobachtet und seine Bedürfnisse aufmerksam befriedigt. Von jeder Portion von Nahrungsmitteln, die sie zusammenzubringen vermochten, wurde ohne Ausnahme stets ein Antheil nach seiner Wohnung gebracht. Sie erinnerten sich ihres Lehrers in der Stunde seiner Niedergeschlagenheit, wie sie ihn früher in den Tagen seiner Kraft verehrt hatten; sie bemühten sich eben so eifrig, sein Leben zu erhalten, wie sie sich bestrebt hatten, von seinen Belehrungen Vortheil zu ziehen. Einst hatten sie ihm als Schüler gehorcht, jetzt waren sie ihm als Kinder dienstbar.

Aber diese, wie alle anderen Werke der Menschenliebe, brachte die Hungersnoth langsam aber sicher zum Aufhören. Die von der Gemeinde aufgespeicherten Nahrungsvorräthe wurden Unheil verkündend mit jedem Tage geringer. Als die Pest ihre düstern Spuren zu zeigen begann, wurde die Anzahl Derjenigen welche ihren bekümmerten Lehrer in seiner Wohnung aufsuchten, oder ihn durch die verödeten Straßen folgten, immer geringer.

Jetzt nahmen, wie die Nahrung, welche ihn so erhalten, und die Wachsamkeit, welche ihn so beobachtet hatte, geringer wurde, auch die schwer geprüften Kräfte des unglücklichen Vaters schneller und immer schneller ab. Jeden Morgen waren beim Aufstehen seine Schritte schwächer sein Herz wurde ihm schwerer in der Brust, seine Wanderungen durch die Stadt wurden weniger und immer weniger entschlossen und kürzten sich immer mehr ab. Endlich verließen ihn die Kräfte gänzlich, die letzten noch existirenden Mitglieder seiner Gemeinde fanden ihn, als sie sich seiner Wohnung mit den letzten Ueberbleibseln von Nahrung, welche sie besaßen, näherten, an seinem Gartenthore erschöpft ausgestreckt, liegen. Sie trugen ihn auf sein Bett, legten ihre Liebesgaben neben ihn hin, ließen einen aus ihrer Zahl bei ihm, um ihn vor Räubern und Mördern zu schützen, und verließen verzweiflungsvoll das Haus.

Einige Tage lang blieb der Hüter getreulich auf seinem Posten, bis die Leiden des Hungers seine Wachsamkeit überwältigten, In der Furcht daß er in seiner, äußersten Noth versucht werden könne, das Wenige, was noch von den geringen Mundvorräthen des Greises vorhanden war, zu berauben, floh er aus dem Hause, um, auf den Straßen Nahrungsmittel, wie Ekel erregend sie auch sein mochten, zu suchen und von jetzt an war Numerian schutzlos in seiner einsamen, Wohnung geblieben.

Als wir ihn das erste Mal auf der Bühne dieses Buches erblickten, war er ein Mann von strengen Vorsätzen, von unermüdlicher Energie, ein muthiger Reformator, der allen Hindernissen, welche sich seinem Wege entgegenstellten, Trotz bot, ein triumphirender Lehrer, der Jeden, welcher seine Worte anhörte nach Belieben leitete, ein Vater, der stolz, die künftige Stellung betrachtete, welche er für sein Kind bestimmt hatte. Ganz anders erschien er jetzt. Für seinen Ehrgeiz, verloren, gebrochenen Geistes, hülflosen Körpers, von seiner Tochter durch seine eigne That getrennt, lag er in todtähnlicher Lethargie auf seinem unbewachten Bett. Der kalt durch sein geöffnetes Fenster wehende Wind erregte in seinem erstarrten Körper keine Empfindungen – der Becher mit Wasser und die geringen Ueberbleibsel von grober Nahrung standen seiner Hand nahe, aber er besaß nicht die Aufmerksamkeit, sie zu unterscheiden. Seine offenen Augen blickten fest nach Oben, und doch lag er da, wie in tiefem Schlaf versunken, oder wie bereits dem Grabe geweiht, außer wenn von Zeit zu Zeit seine Lippen sich langsam in einem sich lang peinlich heraufwiegenden Athemzuge bewegten oder die Fieberhitze seine hohle Wange mit jeden Augenblick wechselnden Farben überzog.

Während er so dem äußern Anscheine nach, zwischen Leben und Tod zu schweben schien, bewahrten seine Geistesfähigkeiten im Innern immer noch eine schwache Lebenskraft. Durch keine äußere Einwirkung angeregt und von dem zügelnden Verstande nicht beherrscht, erschufen sie jetzt eine seltsame, räthselhafte Vision, die ihm handgreiflich wie ein wirkliches Ereigniß vorkam.

Es schien ihm, als liege er nicht in seinem eigenen Gemache, sondern in einer räthselhaften Welt, die mit einer für seine schmerzenden Augen unaussprechlich beruhigenden und milden Zwielichtatmosphäre erfüllt war. Durch dieses sanfte Licht hin konnte er in langen Zwischenräumen schattenhafte Vorstellungen der Scenen verfolgen, welchen er bei dem Suchen nach seinem verlorenen Kinde beigewohnt hatte. Die düstere Gefühle erweckenden Straßen, die den unbegrabenen Leichen überlassenen, einsamen Häuser, welche er durchforscht hatte, erschienen und verschwanden vor ihm in feierlicher Reihenfolge, und von Zeit zu Zeit hörte er, wenn eine Erscheinung verschwand, und ehe die andere vor ihm aufstieg, in weiter Ferne einen Ton wie von sanften Frauenstimmen, die in ernsten, feierlichen Klängen flüsterten, »Die Nachsuchung ist in Buße, in Geduld, in Gebet geschehen und nicht vergeblich gewesen. Die Verlorene wird zurückkehren – die Geliebte wird Dir wieder gegeben werden.«

So währte die Vision, wie sie begonnen hatte, eine lange Zeit. Bald gingen die Scenen, durch welche er gewandert war, langsam an seinen Augen vorüber, bald murmelten die sanften Stimmen mitleidig in sein Ohr. Endlich verschwanden die Ersteren und die Letzteren verstummten, dann erfolgte ein langer, traumloser Zwischenraum und dann wurde das graue, ruhige Licht langsam an einer Stelle heller und aus dieser sah er die Gestalt seines verlorenen Kindes auf sich zuschreiten.

Sie kam an seine Seite, sie beugte sich liebend über ihn, er sah ihre Augen mit ihrem alten, geduldigen, kindergleichen Ausdrucke kummervoll auf ihn herabblicken. Sein Herz lebte zu einer Empfindung unaussprechlicher Zerknirschung, zu Gefühlen sehnsüchtiger Liebe und schmerzlicher Hoffnung auf, die Rebe war ihm wieder gegeben, er flüsterte bebend:

»Kind! Kind! ich habe in bitterem Weh das Unrecht bereut, welches ich Dir gethan, ich habe Dich in meiner Einsamkeit auf Erden den langen Tag und die dunkle Nacht hindurch gesucht, und jetzt hat Dich der barmherzige Gott gesendet, um mir zu verzeihen! ich habe Dich geliebt, ich habe um Dich geweint.«

Seine Stimme erstarb, denn jetzt belebten sich seine äußeren Gefühle von Neuem. Er fühlte wie warme Thränen auf seine Wange niederträufelten, er fühlte, wie zarte Arme ihn umschlangen, er hörte den liebevoll wiederholten Ruf:

»Vater sprich zu mir, wie Du es gewohnt warst, – liebe mich, Vater, und vergieb mir, wie Du mich geliebt und mir verziehen hast, als ich ein kleines Kind war!«

Der Klang der wohlbekannten Stimme, die stets liebevoll und ehrerbietig zu ihm gesprochen, die ihn das letzte Mal in Tönen verzweifelnder Bitte angeredet, die er kaum je wieder auf Erden zu vernehmen gehofft hatte, durchdrang sein ganzes Wesen wie erweckende Musik in der Todtenstille der Nacht. Seine Augen verloren ihren starren, geistesleeren Ausdruck, er richtete sich plötzlich auf dem Lager empor, er sah, daß das als Vision Begonnene in Wirklichkeit ausgegangen war, daß sein Traum sich als unmittelbarer Vorläufer seiner Erfüllung erwiesen hatte, daß ihm seine Tochter wirklich wiedergegeben war, und sein Kopf senkte sich und er zitterte und weinte in der überwältigenden Fülle der Dankbarkeit und des Entzückens an ihrer Brust.

Während einiger Augenblicke bemühte sich Antonina, die mit dem entschlossenen Heldenmuthe der Liebe die sich ihr aufdrängenden Empfindungen des Schreckens und der Furcht beschwichtigte, ihren dem Erlöschen nahen Vater zu trösten und ihm beizustehen. Das Entsetzen drückte sie fast zu Boden, als sie bedachte, daß er jetzt wo sie nach Schmerz und Gefahr ihn endlich wieder erlangt hatte, in ihren Armen das Leben aushauchen könne. Aber selbst jetzt noch verließ sie ihre Entschlossenheit nicht gänzlich. Die letzte Hoffnung ihres kurzen, bittern Lebens war jetzt die, ihren Vater der Welt zurückzugeben und sie hielt sich mit der Ausdauer der Verzweiflung daran fest.

Sie beruhigte ihre Stimme, während sie ihn anredete, sie beschwor ihn sich zu erinnern, daß seine Tochter zurückgekehrt sei, um über ihn zu wachen, um seine gehorsame Schülerin zu sein, wie in früherer Zeit. Vergebliches Mühen! Selbst während die Worte über ihre Lippen gingen, erschlafften seine Arme, womit er sie an sich gedrückt hatte, wurde sein Kopf schwerer auf ihrer Brust. In der Verzweiflung des Augenblickes riß sie sich von ihm los und blickte um sich, die Hälfe zu suchen, welche zu leisten Keiner in ihrer Nähe war. Der Becher mit Wasser, die letzten Ueberbleibsel von Speise lenkten ihren Blick auf sich. Mit schnellen Instinkte ergriff sie dieselben. In diesen geringfügigen Resten lag Hoffnung, Erfolg, Rettung. Sie drückte ihm die Nahrung in den Mund, sie benetzte mit dem Wässer seine vertrockneten Lippen, seine fieberheiße Stirn. Während eines Augenblickes entsetzlicher Ungewißheit sah sie ihn noch bewußtlos, dann stellten sich die Lebensfunktionen wieder ein; seine Augen öffneten sich und hefteten sich gierig auf die elende Nahrung vor ihm. Er verschlang sie heißhungrig, er leerte den Wasserbecher bis auf den letzten Tropfen, er sank, wieder auf das Lager zurück. Aber jetzt bewegte sich das erstarrte Blut von Neuem in seinen Adern. Sein Herz schlug weniger und weniger schwach, – er war gerettet. Sie sah es, als sie sich über ihn beugte – gerettet von dem verlorenen Kinde in der Stunde der Heimkehr! Es war eine Empfindung von entzücktem Triumph und Dankbarkeit, die keine schmerzlichen Erinnerungen in ihrem glänzenden, plötzlichen Entstehen zu verbittern vermochten! Sie kniete, fast ihren eigenen Gefühlen erliegend, neben dem Bette nieder. Auf dem Grabe des jungen Kriegers hatte sie ihr Herz in Qual und Kummer zum Hinnnel erhoben und jetzt schüttete sie an der Seite ihres Vaters ihre ganze Seele in bebenden Stoßgebeten der Dankbarkeit und Hoffnung vor dem Schöpfer aus!

So blieben Vater und Tochter lange. – Jener langsam wieder zum Besitz des Lebens und der Kräfte gelangend, die noch in seinem geschwächten Körper vorhanden waren, diese noch von ihrem allumfassenden Dankbarkeitsgefühle erfüllt. Und nun ließ auch, wie der Morgen dem Mittag zueilte, der Sturm allmälig nach, langsam und feierlich rollten die mächtigen Gewitterwolken auseinander und der heitere blaue Himmel zeigte sich durch ihre phantastischen Risse. Die kleiner werdenden Regentropfen fielen leicht und silbern auf die Erde nieder, und Wind und Sonnenschein zogen stoßweise über die pestvergiftete Atmosphäre von Rom. Noch schimmerten die Sonnenstrahlen, von den fliegenden Wolkenschatten gemildert, weich in die Fenster von Numerian’s Gemach. Sie spielten wärmend und neubelebend wie Auferstehungs- und Hoffnungsboten des Himmels, dem sie angehörten auf seinen abgezehrten Zügen. Das Leben schien sich unter ihrem erfrischendem milden Einflusse von Neuem anzuregen. Nochmals richtete er sich auf und wendete sich seinem Kinde zu und jetzt klopfte sein Herz in gesunder Freude und seine Arme umschlossen es, nicht in der Hülflosigkeit der Schwäche, sondern in der Bewillkommnung der Liebe.

Seine Worte fielen, als er sie anredete, anfänglich fast unartikulirt von seinen Lippen – sie vermengten sich in verworrene Ausdrücke der Zärtlichkeit, der Reue, des Dankes gegen Gott. Der ganze Enthusiasmus seines Charakters, die ganze schlummernde Liebe für sein Kind, welche jahrelang durch seine religiöse Strenge unterdrückt, oder durch seinen Ehrgeiz von ihrem Gegenstande abgelenkt gewesen war, gelangte endlich zum Ausbruch.

Antonina lag zitternd und stumm in seinen Armen und versuchte umsonst seine Liebkosungen und seine bewillkommnenden Worte zu erwiedern. Erst jetzt erkannte sie, wie tief die Liebe ihres Vaters zu ihr war; sie fühlte wie fremd seiner wahren Natur die Strenge gewesen sei, welche er in ihrem frühern Verkehr angenommen hatte und das schnelle Einströmen neuer Gefühle und alter Erinnerungen, welche das entzückende Erstaunen der Entdeckung zur Folge hatte, sah sie sich der Sprache beraubt. Sie vermochte nur begierig und athemlos seinen Worten zu tauschen. So stammelnd und verworren dieselben auch klangen, waren es doch Worte der Liebkosung, wie sie noch nie von ihm gehört, es waren Worte, wie sie seine Mutter je an ihrem Kinderbette gesprochen hatte und sie sanken göttlich tröstend, wie Boten der Verzeihung von Engellippen in ihr Herz.

Allmälig wurde Numerian's Stimme ruhiger. Er erhob seine Tochter in seinen Armen und heftete seine aufmerksamen, mitleidigen Augen liebevoll auf ihr Gesicht.

»Zurückgekehrt! zurückgekehrt!« murmelte er, »Um nie wieder zu scheiden! Zurückgekehrt, schön und geduldig, gütiger und liebevoller als je. Liebe mich und verzeihe mir, Antonina! Ich habe Dich in bitterer Einsamkeit und Verzweiflung gesucht. Betrachte mich nicht wie ich war, sondern wie ich bin. Es gab Tage, wo Du ein Kind warst, wo ich keinen Gedanken hatte, als wie ich Dich lieben und erfreuen könne, und jetzt sind diese Tage wieder gekommen! Wir werden Freunde und frohe Genossen finden, wir werden das Glück überall hintragen, wo man uns sieht. Du sollst keine strengen Aufgabenbücher mehr lesen, Du sollst Dich nie wieder von mir trennen, Du sollst süße Musik auf der Laute spielen, Du sollst Dich mit Blumen, die ich Dir pflücken werde, bekränzen Gottes Segen geht von Kindern, wie Du, aus – er ist mir zu Theil geworden – er hat mich von den Todten erweckt. Meine Antonina soll mich lehren wie man ihn verehrt, wie ich es ihr einst gelehrt habe. Sie soll des Morgens und Abends für mich beten und wenn sie nicht daran denkt, wenn sie schläft, so werde ich leise an ihr Bett kommen und über ihr wachen, damit sie, wenn sie die Augen aufschlägt mich erblickt. Es sind die Augen meines mir wiedergegebenen Kindes. Es gibt auf Erden nichts, was mir Frieden und Glück verkünden könnte, wie sie!«

Er hielt einen Augenblick inne und blickte auf ihr ihm zugewendetes Gesicht. Seine Züge trübten sich dabei ein wenig und er nahm ihr noch vom Regen feuchtes und verwirrtes langes Haar in seine Hände und drückte es an seine Lippen, an sein Gesicht, an seine Brust. Dann, als er sah, daß sie zu sprechen versuchte, als er die Thränen erblickte, welche jetzt ihre Augen erfüllten, zog er sie dichter an sich und fuhr hastig in leiseren Tönen fort.

»Still, still! kein Schmerz, keine Thräne mehr; sage mir nicht, wohin Du gewandert bist – sprich nicht von dem, was Du gelitten hast, denn würde nicht jedes Wort für mich ein Vorwurf sein? und Du bist gekommen, um mir zu verzeihen und nicht um mit Vorwürfe zu machen! Zwinge mir nicht von Deinen Lippen die Erinnerung daran auf, daß ich es war, der Dich verstieß, laß uns nur daran denken, daß wir einander wieder gegeben sind, laß uns daran denken, daß Gott meine Reue angenommen und mir meine Sünde verziehen hat, indem er meinem Kinde zurückzukehren gestatten. Oder wenn wir von den vergangenen Tagen der Trennung sprechen müssen so erzähle mir von den Tagen, die Dich ruhig und sicher gefunden haben, erfreue mich Durch die Erzählung, daß nicht blos Gefahr und Schmerz in dem bittern Schicksale vorhanden war, welches mein sündiger Zorn meinem eignen Kinde bereitet hatte! Sage mir, daß Du in der Stunde Deiner Flucht sowohl Beschützer wie Feinde gefunden hast – daß nicht Alle hart gegen Dich gewesen sind, wie ich – daß diejenigen, welche Dir um Obdach und Schutz gebeten, Dein Gesicht, als eine Bitte um Wohlthätigkeit und Güte, von Freunden, die sie lichten, betrachtet haben! Erzähle mir nur von Deinen Beschützern, Antonina, denn darin wird Trost liegen und Du bist gekommen, um mich zu trösten.«

Während er auf ihre Antwort wartete, fühlte er, wie sie an seiner Brust erbebte, sah er, wie ein Schauder über ihre Gestalt hinzuckte. Die Verzweiflung in ihrer Stimme drang kalt in sein Herz, wiewohl sie nur die einfachen Worte entgegnete:

»Es gab Einen!« – und dann weiter zu sprechen unfähig verstummte.

»Ist er nicht in der Nähe?« fuhr er hastig fort. »Warum ist er nicht da? Wir wollen ihn ohne Zögern suchen. Ich muß mich in meiner Dankbarkeit vor ihm demüthigen. Ich muß ihm zeigen, daß ich es werth war, daß mir meine Antonina zurückgegeben wurde.«

»Er ist todt!« schluchzte sie, in die sie umfassend die Arme niedersinkend, als die Erinnerung an die letzte Nacht sich wieder in allen ihren Schrecken ihrem Gedächtniß aufdrängte. »Man hat ihn an meiner Seite ermordet. O Vater, Vater! er hat mich geliebt! er würde Dich beschützt und geehrt haben.«

»Möge ihn der allbarmherzige Gott unter die seligen Engel aufnehmen und ihn unter den heiligen Märtyrern ehren!« rief der Vater, indem er seine thränenvollen Augen flehend emporrichtete. »Möge sein Geist, wenn er noch die Dinge auf Erden wahrnehmen kann, wissen, daß sein Name neben dem meines Kindes in meinem Herzen eingeschrieben sein wird, daß ich an ihn wie an einen geliebten Gefährten denken und um ihn trauern werde, wie um einen mir entrissenen Sohn!.«

Er schwieg und blickte auf Antonina nieder, die noch ihre Züge vor ihm verbarg. Beide fühlten, daß das, was sie gesprochen, ein neues Band gegenseitiger Liebe uns sie gewunden hatte, aber Beide schwiegen.

Während dieser Pause schweiften die Gedanken Numerian’s von den Gegenständen ab, welche ihn bisher in Anspruch genommen hatten. Die wenigen, krummervollen Worte, welche seine Tochter gesprochen hatte, waren hinreichend gewesen, um die Fülle der Freude aus seinem Herzen zu verbannen, und ihn von der beglückten Betrachtung der Gegenwart den düstern Erinnerungen an die Vergangenheit zuzulenken. Mit seiner Dankbarkeit und Hoffnung vermischten sich jetzt unbestimmte Zweifel und Befürchtutigen und unwillkürlich kehrten seine. Gedanken zu dem zurück, was er gern auf ewig vergessen haben würde – zu dem Morgen, wo er Autoninen aus dem Hause vertrieben hatte.

Grundlose Besorgnisse der Rückkehr des verrätherischen Heiden und des Wüstlings, welchem er sich verkauft hatte, sobald sie hören würden, daß ihr Opfer zurückgekehrt sei, die verzweifelnde Ueberzeugung von seiner Hülflosigkeit und Gebrechlichkeit stiegen erschreckend in seinem Geiste auf. Seine Augen schweiften unstät im Zimmer umher, seine Hände schlossen sich zitternd um die Gestalt seiner Tochter, dann ließ er sie plötzlich los, sprang wie von einem panischen Schrecken geschlagen auf und rief:

»Die Thüren müssen geschlossen werden – Ulpius kann in der Nähe sein – der Senator kann zurückkehren. – Er versuchte das Zimmer zu verlassen, aber seine Kräfte reichten zu dieser Anstrengung nicht aus, er lehnte sich, um sich zu stützen an die Wand, wiederholte athemlos: »Schließe die Thüren! – Ulpius! Ulpius!« und winkte Autoninen hinabzusteigen.

Sie gehorchte ihm zitternd. In der Erinnerung an ihren Weg durch die Mauer und die furchtbare Reise durch die Straßen von Rom, theilte sie die Besorgnisse ihres Vaters und stieg daher eiligst hinab.

Die Thür war halb offen, wie sie dieselbe beim Eintreten in das Haus gelassen. Ehe sie dieselbe hastig schloß und verriegelte, warf sie noch einen Blick auf die Straße. Die abgezehrten Gestalten der Sklaven bewegten sich noch mit den fest1ichen Vorbereitungen für Vetranio’s Palast beschäftigt hin und her und hier und da lagen einige gespensterhafte Wesen auf dem Boden und betrachteten sie mit schwächlichem Erstaunen. In allen andern Theilen der Straße besaß noch die Todesstille des Hungers ihre Herrschaft.

Antonina eilte wieder zu ihrem Vater, um ihm zu versichern, daß sie seinen Geboten gehorcht habe und daß sie jetzt vor allem Eindringen von außen sicher seien. Während ihrer kurzen Abwesenheit war aber vor dem Geiste des alten Mannes eine neuere und ominösere Aussicht auf Unglück getreten. Als sie in das Zimmer trat sah sie daß er auf sein Bett zurückgekehrt war und die kleine hölzerne Schale, welche seinen letzten Vorrath an Nahrung enthalten hatte, jetzt aber leer war, vor sich hielt. Er richtete, als er sie eintreten hörte, kein Wort an sie, seine Züge waren starr von Schrecken und Verzweiflung, und während er auf die leere Schale hinabblickte, murmelte er vor sich hin:

»Es war die letzte Nahrung, die sich noch hier befand und ich war es, der sie verbraucht bat! Die Thiere des Waldes tragen ihren Jungen Nahrung zu, und ich habe nur einem Kinde den letzten Bissen geraubt!«

Augenblicklich drängte sich die über der ersten Freude des Wiedersehens vergessene Trostlosigkeit ihrer Lage wieder mit entsetzender Lebhaftigkeit vor Antoninens Geist. Sie versuchte ihrem Vater Trost und Hoffnung zuzusprechen, aber die furchtbare Wirklichkeit der Hungersnoth in der Stadt trat jetzt handgreiflich vor sie hin und hielt die eiteln Worte des Trostes auf ihren Lippen zurück. Mitten in dem noch volkreichen Rom, angesichts der sie umgebenden Felder, wo die gütige Sonne stündlich die Vegetation der fruchtbaren Erde ihrer Reife mehr und mehr zuführte, wo Aecker und Magazine ihre reichlichen Vorrathe erkennen ließen, blickten Vater und Tochter jetzt einander an, eben so unfähig ihre erschöpften Mundvorräthe zu ersehen, als ob sie schiffbrüchig auf einem Floß in einem unbekannten Meere umhergeworfen würden, oder auf eine wüste Insel verbannt wären, deren Produkte von verpesteten Winden verwelkt waren und um deren dürre Küsten zerstörende Gewässer von der Art flossen, wie sie über den »Städten der Ebene« hingerollt sind.

Die Stille, welche lange im Zimmer geherrscht hatte, die bittern Reflexionem welche noch immer den verzweifelnden Vater und die geduldige Tochter sprachlos erhielten, wurden endlich durch eine hohle, traurige Stimme von der Straße unterbrochen»welche folgende Worte ausrief:

»Ich, Publius Dalmatius, Bote des römischen Senats verkünde, daß der Präfekt um die Straßen, von den Todten zu reinigen, dreitausend Sesterzien für jede zehn Leichen geben wird, welche über die Mauern geworfen werden. Dies ist die Verfügung des Senats.«

Die Stimme schwieg, aber es antwortete ihr kein Laut des Beifalls, kein Summen der Aufregung des Volkes. Nach einiger Zeit vernahm man sie nochmals aber schwächer, da der Bote weiter gegangen war und das Dekret in einer andern Straße ausrief und dann sank das Schweigen wieder entsetzlicher und allgemeiner als vorher über Alles herab.

Jedes Wort der Ankündigung hatte, sowohl als sie aus der Ferne wiederholt, wie als sie vor seinem Fenster gesprochen wurden, Numerian’s Ohren erreicht. Sein bereits in Verzweiflung versinkender Geist wurde mit einem eben so unwiderstehlichen Zauber auf das, was er von der Wehe verkündenden Stimme des Herolds gehört hatte, geheftet, wie der, welcher das Auge des bereits schwindelnden Reisenden auf dem Gipfel einer Klippe dem Schauspiele der klaffenden Schluchten unter ihm zulenkt. Als die Töne der Proklamation endlich ganz und gar verklungen waren, ließ der unglückliche Vater die leere Schale, welche er bis jetzt mechanisch vor sich gehalten hatte, fallen, blickte schreckerfüllt auf seine Tochter und stöhnte vor sich hin:

»Die Leichen sollen über die Mauern geworfen, die Todten den Winden des Himmels anheimgegeben werden! – In der Stadt ist für uns keine Hülfe mehr! O Gott! Gott! – sie kann sterben! – ihre Leiche kann hinausgeworfen werden wie die Uebrigen und ich den Anblick davon erleben!«

Er erhob sich plötzlich von dem Ruhebette; seine Vernunft schien auf einen Augenblick erschüttert zu sein, als er auf das Fenster zuschwankte und rief:

»Speise!, Speise! – Ich will mein Haus und Alles was es enthält, für einen Bissen Speise dahingeben. Ich habe nichts, um mein Kind zu ernähren, – es wird, morgen noch vor mir verhungert sein, wenn ich keine Speise erhalte. Ich bin ein Bürger von Rom – ich fordere von dem Senate Hülfe. —»Speise! Speise!«

So fuhr er fort in immer leiser werdenden Tönen aus dem Fenster zurufen, aber keine Stimme antwortete ihm theilnehmend oder verhöhnend. Von dem ganzen Volke, das sich jetzt in zunehmender Zahl auf der Straße vor Vetranio’s Palast, versammelt hatte, wendete sich kein Einziger, um ihn auch nur anzublicken. Seit, vielen Tagen schon hatte man fruchtlose Forderungen, wie die seine, unbekümmert zu jeder Stunde und in jeder Straße von Rom, bald in deliriösem Geschrei die Luft durchschallend, bald in dem legten, stammelnden Murmeln der Erschöpfung und Verzweiflung gehört.

So hätte Numerian lange um Hülfe und Mitleid bei einem Volke flehen können, welches aufgehört hatte, die eine zu gewähren und das andere zu fühlen, jetzt aber näherte sich ihm seine Tochter, zog ihn sanft seinem Bett zu und sagte in milden, aber feierlichen Tönen:

»Erinnere Dich, Vater, daß Gott die Raben ausgesendet hat, um Elias mit Speise zu versehen, und das Oelkrüglein der Wittwe von ihm gefüllt worden ist. Er wird uns nicht verlassen, denn er hat uns einander wiedergegeben und mich nicht hierher gesendet, um in der Huugersnoth umzukommem sondern um über Dich zu wachen!«

»Gott hat die Stadt und Alle, die sie enthält, verlassen,« antwortete er verzweiflungsvoll; »der Engel der Vernichtung hat unsere Straßen betreten und der Tod folgt ihm wie sein Schatten! An diesem Tage, wo sich uns Beiden Hoffnung und Glück aufzuthun schien, ist unsere kleine Haushaltung dem Verderben geweiht worden. Junge wie Alte, Müde und Wachsame liegen auf den Straßen umher, – der Hunger hat sie alle bezwungen – der Hunger wird uns bezwingen – es gibt keine Hülfe, keine Rettung mehr! Ich, der ich geduldig für die Wohlfahrt meiner Tochter gestorben sein würde, muß jetzt in Verzweiflung sterben und sie freundlos in der weiten öden, gefahrvollen Welt in der traurigen Stadt der Pein, des Schreckens, des Todes zurücklassen – die der Feind von außen bedroht und die im Innern von Hunger und Pest verwüstet wird! O Antoninal Du bist nur auf kurze Zeit zu mir zurückgekehrt, der Tag unserer zweiten Trennung naht heran.«

Auf einige Augenblicke senkte sich sein Haupt und Schluchzen erstickte seine Stimme, dann erhob er sich mühsam von Neuem. Achtlos gegen Antoninens Bitten versuchte er wieder das Zimmer zu durchschreiten, aber nur um nochmals seine schwachen Kräfte unzulänglich zu finden, um ihn aufrecht zu erhalten. Als er keuchend auf einen Stuhl zurücksank, nahmen seine Augen einen wilden, Unnatürlichen Ausdruck an – Verzweiflung des Geistes und Körperschwäche hatten sich vereint, um seine Kräfte aus den Fugen zu treiben. Als sich ihm seine Tochter erschrocken näherte, um ihn zu beschwichtigen und ihm Beistand zu leisten, winkte er ihr unmuthig zurück und begann mit dumpfer, heiserer, eintöniger Stimme zu sprechen, indem er die Hand fest auf seine Stirne preßte und seine Augen unablässig von einem Gegenstande, von einem Theile des Zimmers zum andern schweifen ließ.

»Höre Kind, höre!« begann er hastig. »Ich sage Dir, daß im Hause und in ganz Rom keine Nahrungsmittel vorhanden sind! Wir sind belagert – der Feind hat uns die Getreidemagazine in den Vorstädten und die Kornfelder auf den Ebenen genommen – in der Stadt herrscht eine große Hungersnoth – diejenigen, welche noch essen, genießen seltsame Speisen, bei deren Nennung es dem Menschen übel wird. Ich würde selbst solche zu erlangen suchen, aber ich habe nicht Kraft genug, um hinaus aus die Straßen zu gehen, und sie andern mit der Spitze der Schwertes abzuringen! Ich bin alt und schwach und mein Herz ist gebrochen ich werde zuerst sterben und meine gute, liebe Tochter, die ich so lange gesucht und die ich als mein einziges Kind geliebt habe, vaterlos zurücklassen!«

Gatunki i tagi
Ograniczenie wiekowe:
0+
Data wydania na Litres:
04 grudnia 2019
Objętość:
680 str. 1 ilustracja
Właściciel praw:
Public Domain

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