Czytaj książkę: «Der Mann im Mond», strona 15

Czcionka:

DER RITTMEISTER

Was doch oft an einem kleinen, unscheinbaren Zufall das Glück der Menschen hängt! So fragte an diesem Abend der Kellner die beiden Fremden, ob sie unten an der Tafel oder hier oben in ihren Appartements speisen wollen. Der Graf, der seit des Hofrats Reise abends selten mehr hinabgekommen war, stimmte dafür, auf dem Zimmer zu speisen, indem er die schlechte Unterhaltung unter den Offizieren, Assessoren, Ober- und Unterjustizleuten versprach. Der ältere Herr aber redete ihm zu; man sehe und höre doch manches unter den Gästen, was zum Nachdenken oder zur Augen- und Ohrenweide dienen könne;—sie gingen. Gerade an diesem Abend hatte der Rittmeister von Sporeneck einige Freunde der Garnison zu sich auf ein Abendbrot in den Mond gebeten.

Sie hatten schon auf seinem Zimmer mit Rheinwein angefangen und waren bereits ganz kordial. Der Rittmeister hatte auch alle Ursache, ein kleines Sieges- und Jubelfest zu veranstalten. Die Gräfin hatte ihm, wie gewöhnlich, durch ihre Zofe, die mit seinem Bedienten in telegraphischer Verbindung stand, geschrieben, daß Idas Niederlage jetzt vollkommen sei. Der Graf sei nie so warm gegen sie gewesen wie diesen Abend, und sie sehe nächstens einer Erklärung von seiner Seite entgegen. Das hatte der Rittmeister seinen Vertrauten, dem Leutnant von Schulderoff und einigen anderen, vorgetragen; man stieß an auf das neue gräfliche Paar und auf den galanten Hausfreund, und so kam man auch, weiß nicht wie, darauf, ob man nicht den Grafen auch einmal ein wenig schrauben sollte. Sie stimmten alle darin überein, daß dies sehr dienlich wäre, um Unterhaltung für den heutigen Abend zu haben, und sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus. "Ja, wenn er Soldat wäre, dann wäre es etwas anderes; einen Kameraden schraubt man nicht gerne; aber solch ein ziviles Gräfchen, das in der Welt umherreist, um den Damen schön zu tun und sein Geld auf die langweiligste Manier totzuschlagen—nun, das kann man mit gutem Gewissen."

Mit diesem löblichen Vorsatz hatten sich die Marssöhne nicht weit von der Stelle placiert, wo Martiniz gewöhnlich zu sitzen pflegte, und harrten, ob er nicht komme. Er kam und mit ihm der andere Gast, aber diesmal ohne Ordensband; denn er hatte nur einen unscheinbaren Oberrock an. Martiniz und der ältere Herr unterhielten sich flüsternd mit einander; um so lauter waren die Kriegsgötter; die Pfropfen der Champagnerbouteillen fingen an zu springen, und in kurzem waren die Herren allesamt kreuzfidel und erzählten allerlei Schnurren aus ihrem Garnisonsleben. Die übrigen Gäste hatten sich nach und nach verlaufen. Das Kapitel der Hunde und Pferde war schon abgehandelt, und der Rittmeister hielt es jetzt an der Zeit, die Schraube anzuziehen. Er gab also Schulderoff einen Wink, und dieser ergriff sein Champagnerglas, stand auf und rief: "Nun, Bruder Sporeneck, eine Gesundheit recht aus dem Herzen—deine Ida!"

Auf flogen die Dragoner von ihren Sitzen, tippten die feinen Lilienkelche aneinander und sogen den weißen Gischt mit einer Wollust aus, als hätte die Gesundheit ihnen selbst gegolten. Martiniz biß die Lippen zusammen und sah den Theresienritter an.

"Auf Ehre, ein Götterkind, Herr Bruder," fuhr Schulderoff fort; "ich wäre selbst imstande gewesen, sie zu lieben, hätte ich nicht deine frühern Rechte gewußt und mich daher bescheiden zurückgezogen."

"Auf Ehre, ich hätte es ihr wohl gönnen mögen," antwortete der großmütige Liebhaber; "wenn man so einen Winter allein zubringen soll, ist es für ein junges, warmes Blut immer fatal, wenn es sich nicht Luft machen soll. Einen braven Kerl, wie du bist, hätte ich ihr zum Intermezzo wohl gewünscht; wäre mir lieber gewesen, als hören zu müssen, daß mir so ein fremder Gelbschnabel ins Nest habe sitzen wollen."

Das Herzblut fing dem Grafen an zu kochen. In solchen Ausdrücken von einem Mädchen reden zu hören, das er liebte und ehrte—es war beinahe nicht zu ertragen; doch hielt er an sich; denn er wußte, wie schlimm es ist, in einem fremden Lande ohne ganz gegründete Ursache Händel anzufangen.

"Hattest du bange?" lachten die Reiter den Rittmeister an.

"Nicht im geringsten," replizierte dieser; "ich kenne mein Täubchen zu gut, als daß ich hätte eifersüchtig werden sollen; wenn auch zehn solcher Wichte ins Nest gesessen wären, sie hätte sich doch von keinem andern schnäbeln lassen als von ihrem Hähnchen."

Allgemeines Gelächter applaudierte den schlechten Witz. Der Graf—es war ihm kaum mehr möglich, anzuhalten; er sah voraus, es werde so kommen, daß ihm nur zwei Wege offen stehen würden, entweder sich zu entfernen, oder loszubrechen.

* * * * *

UNSCHULD UND MUT

Das erstere war jetzt nicht mehr möglich; seine Würde als Abkömmling so tapferer Männer ließ einen solchen Rückzug nicht zu, und was würden seine Ulanen gesagt haben, wenn er so vom Kampfplatz sich weggestohlen hätte? Die nächste schickliche Gelegenheit mußte entscheiden.

"Nun, Brüderchen," sagte ein anderer zum Rittmeister, "wir sind hier so ziemlich unter uns;—gib weich, beichte uns ein wenig! Wie stehst du mit der kleinen Präsidentin?" Der Rittmeister spielte von Anfang den Zarten, Zurückhaltenden; endlich aber auf vieles Zureden gab er wirklich weich und —rühmte sich heimlich von ihr erhaltener Begünstigungen, die Emils Blut zu Eis erstarren ließen. Plötzlich aber, wie eine Erleuchtung von oben, trat ihm das Bild des unschuldigen, engelreinen Kindes mit ihrem sanften Blick, mit ihrem keuschen, jungfräulichen Erröten vor das Auge—Nein! nein! rief es mit tausend Stimmen in ihm, es kann ja nicht wahr sein, so weit verfehlt sich der Himmel nicht, daß er die heiligste Unschuld auf die Züge einer Metze malte. Er stand auf und stellte sich dicht vor den Rittmeister. "Von wem sprechen Sie da, mein Herr?" fragte er ihn. Der Rittmeister konnte sich nichts Erwünschteres denken, als daß endlich die Engelsgeduld von dem zivilen Gräfchen gewichen sei. Er wollte ihn mit einem Blicke einschüchtern und setzte daher an, die Augen recht an ihn hinrollen zu lassen; da kam er aber an den Falschen.

Er begegnete einem jener Glutblicke, die dem Grafen so eigen waren; Hoheit, Mut, Zorn—alles sprühte auf einmal wie mit einem Feuerstrom aus diesen Augen auf ihn zu, daß er die seinigen betroffen niederschlug. "Was fällt Ihnen ein? Was kümmert Sie unser Gespräch? Es ist hier niemand, der darnach zu fragen hätte."

"Sie haben," fuhr der Graf mit großer Mäßigung fort, "Sie haben dem ganzen Zimmer hier mit vernehmlicher Stimme Ihre Sottisen erzählt; es hat also auch jeder das Recht, zu fragen, von wem Sie sprachen, und ich frage jetzt!"

"Mein Herr, das kommt mir schnackisch vor," lachte, der Rittmeister; "es kann doch wahrhaftig jeder von seinem Schätzchen reden, ohne daß ein anderer sich dareinzulegen hätte. Wenn Sie übrigens durchaus uns mit Ihrer Gesellschaft beehren wollen—Kellner, noch einen Kelch hierher für den Herrn da!"

"Ist unnötig," rief der Graf, "es ist mir durchaus nicht um Ihre werte Gesellschaft zu tun, sondern nur die Frage, die ich an Sie tat, möchte ich gerne beantwortet haben."

"Nun ja," schnarrte Sporeneck, "wenn Sie sich durchaus in meine Herzensangelegenheiten mischen müssen, was ich übrigens nicht sehr delikat finde,—ich habe von Fräulein Ida von Sanden, meiner Nachbarin, gesprochen."

"Und von dieser Dame wagen Sie auf so freche Weise zu sprechen, wie Sie vorhin taten?"

"Wer will es mir wehren?" lachte der Rittmeister und maß den Grafen von oben bis unten, wobei er übrigens sich hütete, seinem Auge zu begegnen. "Wer will es mir wehren? Ein jeder kann zu seinem Heu Stroh sagen!"

"Sie beharren also auf dem, was Sie von der Dame aussagten!"

"Dame hin oder her," antwortete der Rittmeister, "Sie fangen an, anmaßend zu werden; ich werde vor Ihnen und zehn solcher—Polacken behaupten, was ich sagte."

"Nun ja," sagte der Graf, indem er sich stolz aufrichtete und an die übrigen Offiziere, die bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatten, wie der Graf geschraubt würde, sich wandte, "nun ja, so, muß ich nur Sie bedauern, meine Herren, daß Sie sich auf diese Art unterhalten lassen von diesem erbärmlichen Lügner."

"Donner und alle Teufel!" fuhr der Rittmeister auf, "wie kommen Sie mir vor, Herr! Ich glaube, Sie haben Platz zwischen den Rippen für blaue Bohnen."

"Tun Sie, was Ihnen beliebt," sagte der Graf, "ich wohne hier und bin auf Nr. 2 zu finden." Er ging, der alte Theresienritter mit ihm. "Das ist spaßig," lachte der Rittmeister, obgleich es ihm nicht recht frei von der Brust wegging, "das ist spaßig, daß ich in Freilingen einen kleinen Gang zu machen habe!"

Die Dragoner saßen noch ganz verdutzt über den schnellen Ausgang der Schrauberei. "Hol' mich der Teufel" sagte ein alter Leutnant, "das Kerlchen nahm sich doch so übel nicht bei der Sache; er hat einen verfluchten Anstand, und es ist, als wäre er schon mehr dabei gewesen!"

Man beriet sich jetzt, was zu tun sei; man verteilte die Rollen. Schulderoff sollte des Rittmeisters Sekundant sein; den alten Leutnant bestimmte man, Martiniz denselben Dienst zu leisten, wenn er nicht sonstwo einen Sekundanten auftreiben könnte. Der Rittmeister zeigte eine ungemeine, spaßige Fröhlichkeit, meinte, es müsse sich ganz herrlich ausnehmen, wenn so ein Herrchen vom Zivil eine Pistole losbrenne; den übrigen war es übrigens nicht so ganz wohl zu Mut; das schnelle Ende des Streites hatte aus allen Köpfen den Champagnerdampf weggeblasen, man dachte doch ernstlich an die Affäre, und manchen wollte es bedünken, daß sie doch im heillosen Übermut herbeigeführt worden sei. Man äußerte dies auch unverhohlen gegen Sporeneck, und auch er schien so etwas zu denken; doch versteckte er diese Gedanken hinter lustigem Lachen und beauftragte Schulderoff, sogleich zum Grafen zu gehen, um die Sache ins reine zu bringen. Nach einer Viertelstunde kam dieser wieder sehr ernst zurück und sagte: "Sporeneck, morgen früh acht Uhr, auf Pistolen."

Diese lakonische Meldung machte einen ganz eigenen Eindruck auf die Gesellschaft; es war allen, als sei doch etwas Ungerechtes vorgefallen, und keinem war es recht behaglich, an morgen zu denken. Man bestürmte Schulderoff mit Fragen, wie der Graf es aufgenommen, und dergleichen; er erzählte:

"Die beiden Fremden seien in ziemlich ruhigem Gespräch miteinander im Zimmer auf- und abgegangen, als er eingetreten sei. Sie haben ihn sehr höflich und zuvorkommend empfangen, er aber habe seinen Auftrag ausgerichtet und den Grafen zuerst gefragt, ob er seine Beleidigung zurücknehmen wolle. Dieser habe ganz ruhig mit 'Nein' geantwortet, worauf er ihn gefordert; sie seien auf Pistolen einig geworden und haben die Wiese hinter dem Gottesacker zum Kampfplatz ausgewählt. Für einen Sekundanten lasse er danken; der alte Herr, der bei ihm sei, werde ihm sekundieren." Der Rittmeister schien vor Freude außer sich zu sein, daß er seinem Rivalen mit guter Manier eins auf den Pelz brennen könne; er wollte mit dem Champagner weiter machen, die nüchtern gewordenen Kameraden ließen es aber nicht zu, baten ihn, auf morgen recht fest auszuschlafen, und versprachen, um sieben Uhr allesamt bei Schulderoff zu frühstücken.

* * * * *

NOCH EINMAL ZIEHT ER VOR DES LIEBCHENS HAUS

Als Ida am Morgen, der zu dem Duell festgesetzt war, kaum aufgestanden, eben sich mit der Toilette beschäftigte, hörte sie Pferdegetrappel gegenüber am Mond; sie trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zurück. Es standen drei Pferde vor dem Wirtshaus, wovon sie das eine bestimmt für das von Martiniz erkannte. "Wo er nur hinreiten mag an diesem kalten Tag, ob er—" der Gedanke an eine plötzliche Abreise ohne Abschied durchblitzte sie, daß ihr die hellen Perlen in den zarten Wimpern hingen. Doch sie hatte ja darüber einen Trost, der sie zugleich tief betrübte; die Gräfin war ja noch hier, sie wußte nichts von seiner Abreise; er konnte also doch nicht so schnell reisen. Endlich glaubte sie Emils Stimme aus dem Torweg herauf zu hören: "Adieu, Madame, adieu!" galt offenbar der Mondwirtin; o wie gerne wäre sie in diesem Augenblicke die Ehehälfte des Mondwirts gewesen, um ihn zu sehen und das freundliche Adieu von seinen Lippen zu hören!

Der alte Brktzwisl, die gute, treue Seele, sprang hervor, ergriff den Zügel von Martiniz' Pferd und stellte ihn zum Aufsitzen zurecht; jetzt kam Mart— nein, ein Offizier in fremder glänzender Uniform. Jetzt kam auch der alte Herr von Ladenstein, der sie gestern so trefflich unterhalten hatte; wo blieb aber nur Emil? Der alte Herr, heute mit vielen Orden behängt, schwingt sich auf sein Pferd; jetzt auch der Offizier. "Eine schöne, geschmackvolle Uniform;" dachte Ida; wenn sie nicht irrte, eine polnische oder russische, vielleicht ein Bekannter von Martiniz; aber die Gestalt kam ihr so bekannt vor; wie? sollte etwa Em— doch nein, er war ja nicht Soldat und trug auch keinen Orden, und diesem glänzte der Wladimir in Diamanten auf der Brust—wenn er—eine kleine Neugierde ist ja verzeihlich—wenn er doch nur den hohen Ulanen-Kalpak ein wenig hintersetzte, daß sie sein Gesicht sehen könnte.

Jetzt war alles in Richtigkeit, der alte Herr schaute am Haus herauf und stieß den Offizier an; er richtete das Haupt auf, er sah herauf—es war Emil von Martiniz.

Wie schön, wie götterschön war dieser Mann! Wie herrlich kleidete ihn die Uniform! Wie hingegossen saß er auf seinem stolzen Roß; die dunkeln Locken stahlen sich unter dem Sturmband des Tschapkas hervor und beschatteten die blendend weiße Stirne; das dunkle Auge voll hohen Ausdrucks hatte heut eine Bedeutung, die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schönen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen und es werde in schmetternden Tönen Marsch, Marsch! geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Negligé—sie öffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schöneres sehen als das Mädchen, wie es hier im Fenster stand. Die Äuglein sahen so klar und freundlich aus dem Köpfchen, die Bäckchen von der kalten Morgenluft gerötet, das Mäulchen so süß und kußlich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthäubchen, der Hals frei und dann ein Spenzerchen, so weiß wie frischgefallener Schnee, über Nacken und Brust herab. Tausend Löckchen und Stränge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Häubchen sich durchgestohlen hatten—das ganze Wunderkind sah aus wie ein süßer Morgentraum—

Noch einmal sah der Graf nach diesem Engelsbild herauf: das in der Glorie der jungfräulichen Unschuld, mit der Wehmut gekränkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah—noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Träne blitzte in seinem Auge; jetzt aber stieß er seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es wuterfüllt kerzengerade aufstand; unwillkürlich bog sich seine Hand nach dem Mund, er warf ihr einen herzlichen Kuß zu: "Adieu mon coeur!" rief er, und dahin flogen die Reiter; in einem Augenblicke war nichts mehr von ihnen zu sehen.

"Was war das? Wem galt das?" fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zärtlich herauf—er warf einen Kuß herauf—wem flog er zu? Ihr oder der Grä— konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein? Konnte er nicht ihr den Kuß zugeworfen—Sie mußte Gewißheit haben; sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Gräfin schon aufgestanden sei.—Exzellenz lagen noch schuhtief in den Federn und schliefen. "Also mir, mir,—" lächelte das stillselige Mädchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach dem Fleckchen Erde, wo er gehalten, wo er ihr seinen Gruß, seinen Kuß zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Gräfin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuß geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben mußte, zu kränken? Doch nein; ihr hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegrüßt, sie, sie war die Glückliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fühlte, daß sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog.

Jetzt versank sie in angenehme Träume; sie wiederholte sich, wie engelhübsch er ausgesehen habe! Sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander wären, ihn recht auszuschmälen, daß er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschön stand. So träumte sie, das liebliche bräutliche Mädchen; sie ahnte nicht, welchen gefährlichen Gang der Geliebte ging und daß die Parze so schnell den Faden ihres Glücks zerreißen könne, daß dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, für immer ausgeschlagen haben würde, daß die kühnen, liebesprühenden Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schließen könnten, aus welchem auch die süßeste Stimme, das zärtlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt.

* * * * *

DAS DUELL

Vor der Stadt hatten die drei Reiter ihre Pferde angehalten und ließen sie jetzt im Schritt dem bestimmten Ort zugehen; sie schwiegen eine Zeitlang, und jeder schien seinen besondern Gedanken nachzuhängen. Emils Brust erfüllte die Qual aller Zweifel an Ida. Es war ihm da einmal, als stehe sie, wie er sie eben gesehen hatte, in blendend reiner Unschuld vor ihm und flüsterte ihm mit sanfter Stimme Vorwürfe zu, daß er auch nur einen Augenblick habe an ihr zweifeln können; dann kamen wieder alle Qualen der Eifersucht über ihn; er wiederholte sich alles, was er zwischen ihr und Sporeneck bemerkt hatte, und das Billett von gestern—"Nein! Sie ist schuldig," rief er laut und unmutig. Gestern abend nämlich, als Schulderoff sie verlassen hatte, war Brktzwisl gekommen und hatte einen kleinen Zettel gebracht, der wahrscheinlich dem Rittmeister entfallen sein müsse. Er war offen, Emil konnte sich nicht enthalten, einen Blick hineinzuwerfen, und ward weiß wie die Wand. Schweigend reichte er Ladenstein das Billett, und dieser las:

"Du mußt noch das Strumpfband haben, das Du mir letzthin mutwilligerweise abgebunden hast; ich brauche es notwendig; ist Dir übrigens an einem Zeichen Deiner Dame gelegen, so kannst Du etwas anderes haben. Willst Du eine Busenschleife? Willst Du ein Schnürband von meinem Korsettchen?"

"Das ist freilich stark," hatte Ladenstein gesagt, nachdem er gelesen, "kennst Du die Handschrift?"—"Von wem soll es sein als von ihr, die mich um mein Lebensglück betrogen? Hätte ich den Wisch da um eine Stunde früher gehabt, ich hätte den Rittmeister wahrhaftig nicht getadelt, daß er von seinem zärtlichen Liebchen so ausdrucksvoll sprach!"

"Kennst du Idas Handschrift?" fragte der alte Herr noch einmal. "Es kommt hiebei sehr viel darauf an, daß du sie genau kennst."

Emil mußte gestehen, daß er noch nichts von Idas Hand gesehen; es könne es ja aber doch gar niemand anders geschrieben haben; denn die Adresse lautete ja an Herrn von Sporeneck. Der alte Herr hatte den Kopf dazu geschüttelt und gesagt, daß dieses Billett der ganzen Sache eine andere Wendung geben könnte; jetzt sei er aber schon einmal gefordert, und darum könne vor Ausgang des Duells nicht mehr davon gesprochen werden; nachher werde sich vielleicht manches aufklären. Dieses Billett war nun auch auf dem Wege zum Kampfplatz Emil in den Sinn gekommen und hatte ihm jenen lauten Ausruf: "Sie ist dennoch schuldig," entlockt.

Der Alte reichte ihm die Hand hinüber und sagte freundlich ernst: "Urteile nicht zu frühe! Du gehst einen gefährlichen Weg, nimm nicht die Schuld mit dir, ungehört verdammt zu haben. Du bist der letzte Martiniz. Schlägt eine Kugel hier unter den Wladimir, so ist es vorbei mit dir und dem Heldenstamm, dessen Namen du trägst. Du schlägst dich für die Ehre einer Dame; so lange du für sie kämpfst, darfst du nicht an ihrer Tugend zweifeln, sonst ist deine Sache nicht gut. Denke dir: das Mädchen, so hold und engelrein, wie du sie sahst, als wir zu Pferde stiegen, wie du ihr, von ihrem heiligen Anblick übermannt, dein zärtliches Lebewohl zuriefst—und du wirst freudiger streiten."

Emil hörte nur mit halbem Ohr; seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Platz gerichtet, dem sie sich nahten. Sie bogen um die Ecke der Mauer des Gottesackers. Sein Gegner war schon auf dem Platz; er nahm sein Roß zusammen und sprengte majestätisch im kurzen Galopp an.

Sporeneck und sein Begleiter waren auf einem andern Weg herausgeritten und hatten auf der Wiese den Grafen erwartet. Sie hatten ihre besten Uniformen angezogen, alles gewichst und gebürstet, als ginge es zur Hochzeit; denn sie wollten dem Grafen und seinem Begleiter durch Glanz und militärische Würde imponieren. Wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie den strahlenblitzenden, in den schönsten Farben schimmernden Ulanen ansprengen sahen? Sie trauten ihren Augen kaum, wie gewandt, wie flink das zivile Gräfchen vom Sattel sprang, mit welchem Anstand er die Zügel seinem Diener zuwarf, sich dann zu ihnen wandte und seine Honneurs machte. Die Diamanten des Wladimir, der goldene, vom Vater ererbte Ehrensäbel glänzten im Morgenrot; der ganze Mann hatte etwas Gewaltiges, Gebietendes, Königliches, das sie beinahe mit Ehrfurcht bewunderten.

"Alle Teufel, wer hätte das gedacht?" flüsterte Sporeneck. "Hätte ich das gewußt—weiß Gott, die Uniform der polnischen Garde, wo jeder Rittmeister für einen Obersten in der Linie zieht! Nein, wenn ich gewußt hätte, daß er Soldat ist, dann wäre es wohl etwas anderes gewesen."

"Und alle Wetter," fuhr ein anderer fort, "sieh nur den alten Graukopf, wie der behängt ist, eins—zwei—drei—sieben Orden hat das Kerlchen und noch obendrein einen Stern! Siehe, des Theresienkreuz—und weiß Gott, den Kommandeur der Ehrenlegion! Das muß ein fixer Kerl sein."

Der alte bekreuzte und besternte Herr nahte sich Schulderoff, zog ganz gelassen und kaltblütig eine reich mit Brillanten besetzte Uhr heraus. "Herr Kamerad," sprach er, "wenn's gefällig ist!"

Dieser hatte sich von seinem Staunen kaum erholt. Er hatte die Äußerung des Rittmeisters gehört, daß, wenn er gewußt hätte, daß der Graf Soldat wäre, er die Sache vielleicht nicht so weit getrieben hätte. Er versuchte daher noch einmal mit dem alten Herrn zu parlamentieren. Doch die Unterhandlungen zerschlugen sich an dem harten Sinn des Grafen; man maß die Schritte ab, man schüttete frisches Pulver auf die Pfannen—fertig!

Sporeneck hatte den ersten Schuß. "Nun, wenn es denn einmal sein muß," sagte er, drückte ab und—den Kalpak riß es dem Grafen von dem Kopf; mitten durch war die Kugel gegangen; er stand unverletzt. Ein sonderbares Feuer sprühte aus seinem Auge, als er jetzt die Pistole aufnahm. Es war ihm, als stehe Antonios blutende Gestalt vor dem Rittmeister und wehre ihm ab; zweimal setzte er an, zweimal ließ er das Pistol wieder sinken. Da rief der Rittmeister mit bitterem Lachen: "Wird's bald, Herr Kamerad?" Und in demselben Augenblicke krachte es; Sporeneck schwankte und fiel.

Er hatte genug; gerade unter der Brust hatte die Kugel durchgeschlagen. Der Regimentsarzt der Dragoner machte ein bedenkliches Gesicht und gab wenig Hoffnung. Man brachte ihn in die Wohnung eines der Offiziere, der vor der Stadt wohnte. In tiefem Ernst, schweigend ritt der Graf und sein Begleiter zur Stadt zurück.

* * * * *