Czytaj książkę: «Denk ich an Bagdad in der Nacht»

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Walter Laufenberg

DENK ICH AN BAGDAD IN DER NACHT

edition ♦ karo 2012, horizonte 9

Walter Laufenberg

DENK ICH AN BAGDAD IN DER NACHT

Staatsgast am Abend vor Kriegsbeginn


Ein Reisebericht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar. Walter Laufenberg, DENK ICH AN BAGDAD IN DER NACHT

Staatsgast am Abend vor Kriegsbeginn edition karo im Verlag Josefine Rosalski, Berlin 2012

1. Auflage 2012, © edition ♦ karo

Verlag Josefine Rosalski, Berlin

www.edition-karo.de, alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto außen: © naten – Fotolia.com Umschlag innen/​Bagdad Karte: © cartographer – Fotolia.com Alle Fotos im Buch und Porträtfoto Umschlag: © Walter Laufenberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783937881973

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Vorwort

Salam Aleikum

Der Strassenkehrer

Der Turm zu Babel ist fertiggestellt

Der sudanesische Türsteher

Die Arroganz der Macht

Mein kleiner Fahrer

Gebacken und gebacken ist nicht dasselbe

Die fröhlichen Koranschüler

Beim Neujahrfeiern auf dem Teppich bleiben

Die Esser im Moscheehof

Ein Z für ein Y vorgemacht bekommen

Mein Mitleser vom Abhördienst

Die Sprache des großen Satans

Die Direktorin im Al Ameriya Shelter

Wir finden schon allein raus

Die Ärzte im Saddam Medical Center

Yellow Submarine

Der Kellner im Hotel-restaurant

Der Lebensbaum

Die Wissenschaftler im Kulturzentrum

Das Victory-Museum

Staatschefs en masse

Kubanische Heiligtümer

Der Zigarrenhändler

Happy Birthday

Die feiernden Studenten

Alle Taschen voller Geld

Der Geldwechsler

Bonbons für alle

Ein zupackender Typ

Wind, Sand und Plastiktüten

Die drei Bäcker

Auf nach Babylon

Der Verkäufer im Kiosk

Hier ist alles sehr, sehr alt

Die deutschsprechende Fremdenführerin

Ich habe Sie gewarnt!

Der Botschaftsgärtner

Ausflug nach Basra

Der Polizist mit seiner Suzuki

Dank der Überlegenheit der modernen Technik

Der dollargierige Zöllner

Bye-Bye Bagdad

Lauter berühmte Bagdader

Vorwort

Der Autor hat sich im März des Jahres 2003, in den letzten beiden Wochen vor dem bewaffneten Überfall durch die Amerikaner und Briten, im Irak umgesehen. Als völlig unabhängiger Internet-Publizist zusammen mit einigen Zeitungsjournalisten von Saddam Hussein eingeladen, der auf diese Weise der Welt zeigen wollte, wie man im Irak lebt. Diese letzte Gruppe von Beobachtern aus dem Westen hat zwar keinen persönlichen Kontakt zu Saddam Hussein mehr aufnehmen können, weil der Staatschef sich wegen der Invasionsdrohung bereits versteckt halten musste. Dafür aber gab es auf unterschiedlichen Ebenen Besuche und Gespräche, die vielfältige Eindrücke von Land und Leuten boten. Durch den Krieg und die anschließenden bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die zu erwarten waren und bis heute andauern, hat der Autor zwar den direkten Gesprächskontakt zu den Menschen verloren, die er dort getroffen hatte, nicht aber die starke emotionale Verbindung mit ihnen. Um den Menschen im Irak eine Wiederaufnahme des Kontakts mit dem Westen zu erleichtern, schildert der Autor im Folgenden anhand seiner Tagebuchnotizen seine Begegnungen mit ihnen, und das ohne alle Beschönigungen oder Verzerrungen. Ein Reisebericht und zugleich eine Momentaufnahme vom Zustand des Irak unmittelbar vor seiner weitgehenden Zerstörung.

Walter Laufenberg, Mannheim im Juli 2012

Salam Aleikum
DER STRASSENKEHRER

Den ersten Iraker, der in mein Leben trat, habe ich nie gesehen. Er war nur mein Korrespondenzpartner. Als ich ihm einen Brief geschrieben habe, musste ich ihn mit Exzellenz anreden. Denn er war der Botschafter seines Landes und gerade erst mit seinem Tross von Bonn nach Berlin, in unsere neue Bundeshauptstadt, umgezogen. Ich hatte ihm zu danken für die persönliche Einladung zum Besuch seines Landes, die er mir zugeschickt hatte, als Schmuckblatt, unterschrieben von Staatschef Saddam Hussein. Mit dabei das erforderliche Einreisevisum. Da war ich sehr gespannt auf die Begegnung mit dem großen Diktator. Und alle Warnungen und das Unverständnis meiner Freunde und Bekannten ließen mich kalt.

„Du spinnst ja wohl“, kriegte ich zu hören.

„Die Amis können jeden Tag losschlagen“, wurde ich belehrt. Dabei wusste ich das schon aus der Tageszeitung, in der die Behauptung des amerikanischen Präsidenten stand, der Irak produziere Massenvernichtungswaffen.

„Das grenzt an Selbstmord“, hieß es kopfschüttelnd.

Doch ich hatte zugesagt. Für mich war das ein Akt der Solidarität mit den unter schrecklichen Entbehrungen leidenden Menschen im Irak. Ich wollte zumindest ein klein wenig mit dafür sorgen, dass der Krieg nicht als einzige Lösung des Irakproblems akzeptiert werden muss. Ich wollte mich gerade für dieses Land einsetzen, das als Wiege unserer Kultur und Brücke zur Antike galt. Wo die Schrift entstand, das Rad und die Pflugschar erfunden wurden, aber auch die Sechzig-Minuten-Stunde sowie der 360-Grad-Winkel, der Scheckverkehr und das Gesetzbuch. Es ging mir nicht um ein Abenteuer. Ich wollte mich für die Erhaltung aller noch vorhandenen Zeugnisse der ältesten Stadtkulturen der Erde einsetzen. Dafür war ich bereit, ungewöhnliche Gefahren auf mich zu nehmen.

Nur meine Frau bestärkte mich in der Absicht, an die Front zu fahren, die sich gerade aufbaute. „Welchem Schriftsteller wird schon die Chance geboten dabei zu sein, wenn die Guten über die Bösen herfallen, um im Namen einer höheren Verantwortung für die Ordnung auf der Welt zu sorgen. Das ist die Gelegenheit, dir selbst ein Bild davon zu machen, ob die Guten wirklich die Guten und die Bösen wirklich die Bösen sind.“

Also fuhr ich los, allerdings mit einem eingeschränkten Auf-Wiedersehen für meine Frau: „Vielleicht ja schon bald, vielleicht auch erst nach langer Wartezeit, vielleicht nie mehr.“

Den Namen des Botschafters habe ich vergessen, wie ich auch vergessen habe, mich danach zu erkundigen, was er heute macht. Zu viele Zeitungsjahrgänge voller Neuigkeiten haben ihn zuverlässig unter sich begraben.

Und an die freundlichen irakischen Beamten an der jordanisch-irakischen Grenze, die mir am 3. März des Jahres 2003 bei der zeitraubenden Prüfung meines Reisepasses in ihrem nüchtern grauen Bürohaus die Sitzecke mit Bürosesseln und Couchtisch anboten und einen heißen Tee einschenkten, habe ich nie mehr gedacht. Um sie habe ich mir keine Sorgen gemacht. Wozu auch? Grenzer wie Diplomaten werden immer gebraucht, selbst wenn die großen Bilder des Staatschefs verschwinden. Vor allem das überlebensgroße Foto Saddam Husseins auf dem Hof der irakischen Grenzstation, wo die Leute bei starkem Andrang geduldig auszuharren hatten, unter den Augen des Allmächtigen. Ein Diplomat und Grenzer, das waren meine ersten Iraker. Funktionäre nur. Die lassen mich kalt.

Nicht so der erste Iraker von Fleisch und Blut, den ich getroffen habe. Die Begegnung mit ihm vergesse ich wohl nie. Es war kurz vor Mitternacht. Da hatte ich schon einen sehr langen Weg zu ihm hinter mich gebracht. Die Maschine der Royal Jordanian Airlines hatte bereits mit Verspätung in Frankfurt am Main abgehoben, weil zu viele Passagiere gebucht hatten. Verständlich, war das doch die einzige Fluggesellschaft, die sich nicht an das allgemeine Embargo hielt, das der Westen gegen den Irak ausgesprochen hatte. Also die einzige Flugmöglichkeit.

Nach der Zwischenlandung in der jordanischen Hauptstadt Amman die lapidare Auskunft, dass die Anschlussmaschine nach Bagdad bereits abgeflogen sei. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, kam mir völlig unpassend die Gorbatschowsche Philosophie in den Sinn. Aber dann als Strafverschärfung die Mitteilung, der nächste Flug nach Bagdad starte in drei Tagen. Das war nicht akzeptabel. Wir waren zu sechst. Drei von uns fuhren noch am Abend mit einem Taxi weiter. Wir anderen drei beschlossen, im Flughafenhotel zu übernachten und erst am frühen nächsten Morgen per Taxi in den Irak zu fahren, also bei Tageslicht, um sehen zu können, durch welche Landschaften wir fuhren. Immerhin eine Strecke von gut eintausend Kilometern von der einen Hauptstadt zur anderen, von Amman nach Bagdad. Zu dritt in einem großen Chevrolet-Geländewagen, für 220 US-Dollar pro Person. Dem jordanischen Taxifahrer in bar auf die Hand geblättert, denn wo niemand weiß, was der nächste Tag bringen würde, gelten natürlich keine Schecks und keine Kreditkarten mehr.

Eine Wüstenpiste, wie von Napoleon auf den Globus gezeichnet, so glatt und zielsicher. Schnurgerades Grau mit wießer Mittelmarkierung auf das braunbröckelige Nichts der Landschaft gelegt. Stunde um Stunde kaum einmal etwas anderes zu sehen als volle Tankwagen, alt, älter, am ältesten, die uns schweratmend entgegenkamen, und leere Tankwagen, die uns ölgierig überholten. Alle Marken, aber hauptsächlich Mercedes. Schätzungsweise die letzten fünfzig Jahrgänge in allen Stadien der Verrottung, die das offizielle Exportembargo unterliefen. Doch nicht nur gegen diesen Ölstrom fuhren wir an. Neben uns eine Hochspannungsleitung, durch die auf Ölbasis erzeugter Strom aus dem Irak kam.

Immer wieder sperrige Reifenstücke neben der Trasse wie vom Fahrtwind verstreute Gerippe verendeter Lasttiere. Aha, Runderneuerung statt neuer Pneus. Und ebenso schwarzes Geflatter an Steinen und Zäunen. Kolkraben der Wüste, die sich erst allmählich als Plastikfetzen entpuppten. Am Morgen, am Mittag und am Abend immer das gleiche Bild. Selten aufgelockert durch eine kleine Schafherde mit Schäfer. Die Wollknäuel mit den Ewigkeitsblicken knabberten am Geröll, wo für die Vorbeifahrenden nichts Grünes zu entdecken war. Weiter abseits der Piste auch einmal ein langgestrecktes graubraunes Nomadenzelt. Daneben ein Pferch aus aufgeschichteten Steinen und ein geparkter Uralt-Lastwagen mit Schutzgatter um die Ladefläche. Modernes Nomaden-Transportmittel. Unmittelbar vor der Grenze zum Irak sahen wir Vorbereitungen zum Bau von Flüchtlingslagern.

Dann endlich die Grenze mit den freundlich Tee spendierenden Zöllnern. Hinter der irakischen Grenze eine Tankpause. Die halbe Distanz geschafft.


Tankwagen auf Wüstenpiste

Zweihundert Liter schluckte der große Chevrolet. Die kosteten 4000 Irak-Dinar, umgerechnet etwa zwei US-Dollar. Da kamen Neidgefühle auf. Doch keine Zeit für solche Reminiszenzen. Weiter auf der endlos scheinenden Wüstenpiste. Was zunächst Steinwüste war, wurde nun Sandwüste. Ja, wenn das alles ist an Abwechslung, die uns geboten wird? Doch wen fragen? Bei wem sich beschweren? Weiter, immer weiter durch leere Unendlichkeiten.

Aber dann auf einmal ist die Autostraße beleuchtet, strahlt uns vor Freude an, weil sie die Hauptstadt wittert. Es geht über breite Brücken mit Marmorgeländer in weitschwingende Biegungen hinein. Lichtergirlanden überspannen die Einfallsstraßen. Blumen und Sterne blühen zu unserem Empfang vor dem tiefdunklen Nachthimmel Bagdads auf. Das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, können wir noch witzeln.

Als wir an einer Ampel halten, sehe ich den Iraker neben mir. Einen Mann von kräftiger Statur, nicht alt, nicht jung. Mit dem Reiserbesen in der Hand fegt er die Straße. Kurz vor Mitternacht. Als er zu unserem Wagen herüberschaut, nicke ich ihm mit einem nur angedeuteten Lächeln zu. Der Straßenkehrer lässt abrupt den Besen fallen, legt beide Arme kreuzweise vor die Brust und grüßt mich mit ehrfurchtsvoller Verbeugung.

„Hadschi“, erklärt der jordanische Fahrer, der bisher nichts gesagt hatte, als er wieder Gas gibt. Und dann auf Englisch: „Der Mann hat Sie für einen Hadschi gehalten. Weil Sie diesen Vollbart tragen. Er hat sich gefreut, dass ihm ein Hadschi Salam Aleikum sagt. Einer in so einem großen Automobil. Davon wird er seiner Familie zuhause erzählen. Und noch Tage lang all seinen Bekannten.“

Ich rufe mir schnell in Erinnerung, was ich darüber gelesen habe. Ein Hadschi, das ist ein hochverehrter Mann, weil er den Hadsch, die vorgeschriebene Pilgerreise nach Mekka zur Kaaba, gemacht hat. Der trägt dann für den Rest seines Lebens einen prächtigen Bart.

„Aber ich habe überhaupt nicht Salam Aleikum gesagt“, widerspreche ich dem Fahrer.

„Konnte der Mann ja nicht hören. Durch die Fensterscheibe“, tut der mich kurz ab.

So wurde der erste wirkliche Iraker, den ich sah, nur dadurch mein Freund, dass die geschlossenen Wagenfenster eine Verständigung unmöglich machten. Merk es dir, sagte ich mir: Es geht nie darum, wer du bist, sondern immer nur darum, für wen man dich hält.

Ich werde den Gedanken nicht los, dass mein neuer Freund, dieser arglose Mann, der am Vorabend eines Krieges die Straße fegte, besonders gefährdet sein müsste. Deshalb frage ich mich immer wieder: An welchem Tag der seitdem verflossenen fast zehn Jahre habe ich bei der üblichen Meldung von dreißig oder siebzig oder fünfundachtzig Toten des Tages auch über seinen Tod geseufzt? Kann ich ja nicht wissen. Alles nur immer auf der Mattscheibe gesehen, aus dem Radio und der Presse mitgekriegt. Und im Tod sind sie alle gleich, sind nur noch eine Zahl. Viel zu viele Zahlen sind sie. Man kann es ja schon nicht mehr hören.

Möglicherweise lebt mein erster Iraker längst nicht mehr, und das nur, weil ich dem Mann bloß freundlich zugelächelt habe, statt ihm laut und deutlich zu wünschen: „Der Friede sei mit dir!“

Der Turm zu Babel ist fertiggestellt
DER SUDANESISCHE TÜRSTEHER

Nur ein einziges Mal in seinem Leben habe er in einem Flugzeug gesessen, gesteht er mir in seinem afrikanisch guttural unterfütterten Englisch. Der stets freundlich grüßende schwarze Riese, der in seinem bodenlangen hellgrauen Umhang meist regungslos vor dem Eingang des Hotels Al Rasheed steht. Oben auf der Freitreppe. Der Besucher, der die Treppe hoch steigt, sieht ihn also auch noch aus der Unterperspektive. Weißes Hemd, eine dunkelbraune Kappe mit geflochtenem Rand auf dem Kopf. Hell blitzendes Schnurrbartlächeln. Für mich das Sarotti-Negerlein von anno dazumal im modernen King-Size-Format. Da kann ich noch so heftig den Kopf über mich schütteln. Dass man die dummen Assoziationen der Kindheit aber auch nicht los wird! Aus dem Sudan sei er gekommen, vor den kriegerischen Auseinandersetzungen aus seiner Heimat geflohen, sagt er. Und ich muss ernst bleiben, den Mund halten, zuhören. „Weil ich ein Freund des Friedens. Nach Irak geflogen. Modernes Land. Reiches Land. Jetzt Empfangschef, ja, so was wie Empfangschef.“

Fliegen heißt die Zeit durcheinander bringen, gleich ob man mit der Sonne fliegt oder gegen sie. Die hatte bei meinem Abflug schon flach über das arrogant stachelige Gesicht Frankfurts hinweg geschielt. Doch bei meiner Ankunft in Amman tat sie wie nie dagewesen. Fliegen, das heißt aber auch den sich drehenden Erdball in Turbulenzen bringen. Aus dem Fenster gleich nach dem Abheben in Frankfurt noch ein wehmütiger Blick auf die dicht-deutschen Wälder, auf dem Bildschirm über mir aber schon eine andere Welt. Denn die vertrauten deutschen Städtenamen erschienen in den malerischen Schnörkeln des arabischen Alphabets. Als hätten die Söhne Allahs nicht zweimal vor den Toren Wiens Kehrt machen müssen, als wären sie nicht bei Tours und Poitiers vernichtend geschlagen worden, als hätte die katholische Reconquista sie nicht auch noch aus der letzten Ecke Spaniens vertrieben. Vor mir auf dem Bildschirm die Deutschlandkarte in Arabisch. Verheißung, Drohung oder nur Vexierbild? Jedenfalls gut, dass man gelernt hat, dem Bildschirm zu misstrauen.

Das Hotel Al Rasheed ist die Standardherberge Bagdads für die neugierigen Ausländer. Oder sollte ich mit stolzgeschwellter Brust sagen: Für uns Frontberichterstatter? Auf der nach Osten in den Tigris hineingedrückten breiten Landzunge, wo nur wenig Wohnbebauung ist, haben sich Hauptbahnhof und Planungsministerium, Ölministerium, Informationsministerium, Parlament und Palast der Republik, auch Rundfunk und Fernsehen sowie Zentrale der Baathpartei mit klotzigen Bauten versammelt. Soviel vom Hörensagen.

Mittendrin das Hotel Al Rasheed, doch von meinem Fenster aus, im neunten der vierzehn Stockwerke, kann ich die imponierend modernen Bauten zwar sehen, aber nur sehr vage ihren Bezeichnungen zuordnen. Weil es keinen Stadtplan gibt. Wie es auch keine Straßenkarte des Irak gibt. Auf meine Frage nach diesen so selbstverständlichen Hilfsmitteln für Fremde heißt es achselzuckend an der Rezeption, das Land sei bereits im Verteidigungszustand. Was ich kommentarlos hinnehmen muss. Selbstverständlich ist diese Behinderung der feindlichen Aufklärung notwendig. Bei dem Gedanken, dass die Amerikaner und Briten sämtliches Kartenmaterial aufgekauft haben könnten, um die Iraker bei ihren Verteidigungsanstrengungen in die Irre zu führen, kann ich mir ein sardonisches Lächeln nicht verkneifen. Jedenfalls wäre der Ankauf aller Karten billiger gewesen als Aufklärungsfotos aus dem Weltraum zu schießen.


Blick aus dem Hotelfenster


Das Hotel Al Rasheed

Das wüstenbraune Hotelhochhaus ist eine moderne Variante des Turms zu Babel. Aber fertiggestellt, das macht den Unterschied. Eine riesige Halle, ein ebenso großzügig dimensionierter Restauranttrakt, Läden, Wechselstuben, die Rezeption an drei langen Theken, sechs Aufzüge. Und keinen einzigen Knopf muss der Gast selbst drücken, weil überall diensteifriges Personal herumsteht. Alles funktioniert, dem desaströsen biblischen Vorbild zum Trotz. Dabei spricht auch hier jeder eine andere Sprache. Und jeder wird sich schon bald in eine andere Weltecke zurückziehen. Wer hier herumläuft, hat eine schwere Videokamera geschultertoder wenigstens ein Stativ. Oder er hat eine Profikamera in der Hand. Oder eins von den netten kleinen Tonbandgeräten in der Jackentasche, mit denen er die O-Töne für seinen Sender einfängt. Alle anderen sind Leute von der schreibenden Zunft. Sie weisen sich dadurch aus, dass sie an buntem Band ein handtellergroßes Schild auf der Brust baumeln lassen, das sie mit Farbfoto als akkreditierte Journalisten ausweist. Ich habe nichts auf der Schulter, nichts in der Hand oder Jackentasche außer meinem Notizheft mit Kugelschreiber und auch kein Schild auf der Brust. Einige Dutzend Journalisten sollen im Moment hier herumwedeln. Und zwischen all den eifrigen Adepten des Aktuellen ein deutscher Schriftsteller in der Rolle des Internet-Publizisten. Immer mit Notieren beschäftigt, im Stehen und Gehen und Sitzen und sogar im Liegen. Und nebenbei mit meiner kleinen Digitalkamera beim Schnappschießen.

Darüber hatte ich vergessen, meinen Mann aus dem Sudan nach seinem Namen zu fragen. Er hätte ihn mir sicher gerne genannt. Was denn war ihm wohl wichtiger als sein Name? Darin sind wir doch alle gleich. Es sei denn, auch er gehörte zum irakischen Geheimdienst, dessen Leute selbstverständlich zwischen den herumwuselnden Fremden waren. Als Journalisten getarnt oder als Personal. Ein Spitzel als sudanesischer Empfangschef? Eine besonders witzige Maskerade. Aber für mich nicht recht glaubhaft. Seit Jahren frage ich mich nun, was aus dem Mann mit dem freundlichen Begrüßungslächeln geworden ist. Und meine Fragen sind so dissonant, wie die täglichen Nachrichten aus dem fernen Irak. Wo steht er heute? Oder muss ich mich fragen: Wo ist er liegen geblieben? Oder sitzt er vielleicht?

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399 ₽
43,27 zł
Ograniczenie wiekowe:
0+
Data wydania na Litres:
22 grudnia 2023
Objętość:
110 str. 17 ilustracje
ISBN:
9783937881973
Wydawca:
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Автор
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