Czytaj książkę: «Doomscroll»

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Volker Fundovski

Doomscroll

ein pandemischer Affentanz

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil 1

Neotribalismus

Wirre Weisheiten des gefallenen Häuptlings

Zu Ehren des Vaters gedacht

Letztes Aufbäumen

Leere Phrasen, Thesen und luftleere Räume

Wer fragt sich hier was?

Waldbewohner oder Transhumanist – Somewhere oder Anywhere?

Initiationsritus oder der Liebe letzter Rückhalt

Emigranten des Geistes

Überbevölkerung und Konsequenzen

Nachkommenschaft

Schauspielerei

Ein als Weiser getarnter Kindermensch redet zu Waisenkindern

Zukunftswerkstätte

Lagerleben

Im Land der blühenden Bodenreform

Norbert stellt die außer Kraft gesetzte Alternative

Alma martas materieller Umschwung. (Ein spiritueller Rückbau)

Von Zecken und Robotern

An all die Coroniäros dort draußen, Überlebende und bereitwillig Abschmierende, an die von Garnichts mehr Überzeugten und an die Prediger eines neuen Morgens

Sogwirkung, KI-Mythologie und des Kükens erster Flugversuch

Teil 2

Kulturindustrie (Förderung der kreativen Vielfalt; jedem Staat seinen Seelenreiter, jeder Region ihren Pappenheimer, Ehrenbürger und szenespezifischen Sonderling)

Hintertür, Hinterzimmer und freiheitlich zu verteidigende Verpflichtung zum Erhalt der Volksgesundheit

Alte Freundschaft, neue Feindschaft

Ein Aufruf (Technokratie-Flucht)

Kohärente Felder generieren

Ruhebedarf

Weiteres Mutmaßen

Elternschaft und Kunstsinn

Gleiche Funktion, veränderte Zeiten

Besondere Helden

Noch ein Versuch

Landflucht, Landluft

Deine Nahrung sei dein Heilmittel (Hippokrates)

Streitsüchtige Harmoniebedürftigkeit

Beherbergungsverbot pünktlich und passend zur Weihnachtszeit. Ein Generalstreik dürfte Hoffnung geben

Falscher Verdacht?

Noch andere Pläne

Glück um jeden Preis

Anomalie eines Somewheres

Gitarrenpits Musikverständnis mag keinen Zeigefinger-Pop

I feel good at home

Hatespeek

Volksvertretung und Schutz der Bevölkerung

Haltung wahren, Stellung halten

Ein Versuch der Fortbewegung

Wellness, Design und Abenteuer

Kopiloten (Covidioten), Rumpelstilzchen und höherschwingende Eminenzen

Schreibblockade

Der Alte und das Gewehr

Verlust (Kann die Liebe dem Doomscrolling Paroli bieten?)

Wie der böse Terminator84 zum lieben Herbie2020 wurde

Die Jugend, die Jugend

Der Schleicher oder Pirschen kontra Schleichen (Freiheitsdrang kontra Angst)

Das Basic-Instinkt-Syndrom

Ungeimpft, durch die Geimpften geschützt?

Neusprech hängt Somewhere ab (fragmentarischer Versuch eines Pamphlets)

Präzedenzfall

Von Varianten, Mutanten und erfreulich hoher Impfbereitschaft

Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, oder: wie sein 15 jähriger Sohn dazu kam, 15 Stunden pro Tag 'den Computer zu drücken'. (Ein Erwachsenwerden im Tollhaus der Unterbindung)

Komfortzone

Bäckerware

Der lange Atem des Gefallenlassens

Grüße aus dem Mutationsgebiet

Die Modifikation des neuen Miteinanders

Raus hier, nur raus

Ein Epilog und gleichsam Widmung an einen Sohn

Impressum neobooks

Teil 1

Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht

(Carl Gustav Jung)

Neotribalismus

Falls er sich recht besann, so musste es für ihn mit dem Rückbau des öffentlichen Wanderparkplatzes oberhalb der Buchenegger Wasserfälle seinen Anfang genommen haben. Es war nicht auszuschließen, dass die Auflösung der Parkmöglichkeiten den überstürzt angeordneten und als drakonisch zu erachtenden Maßnahmen zuzuschreiben war, welche die Regierung derzeit zur Bekämpfung der sogenannten Pandemie mit nationaler Tragweite erlassen hatte. Folglich sollte der Rückbau - wenngleich es sich hierbei um einen etwas unbeholfenen Hotspotbeseitigungsversuch seitens bajuwarischer Behörden handelte - dem Bevölkerungsschutz dienen und somit von Tagesausflüglern akzeptiert oder zumindest berücksichtigt werden. Durch die strikten Ausreisebeschränkungen hatte sich der diesjährige Tourismusstrom radikal umgelagert, worauf die süddeutschen Ferienregionen durch eine starke Frequentierung nie dagewesenen Ausmaßes belastet wurden. Dass diese unschuldig und perspektivlos anmutende Rückbaumaßnahme nur ein unbedeutend geringer Teilbereich in einem beispiellosen Sammelsurium irrationaler Prozesse und staatlich verordneter Grundgesetzbeschränkungen bilden dürfte, sollte mittlerweile den meisten Bürgern klar geworden sein. Man konnte den Menschen das Bedürfnis nach freier Bewegung nicht einfach austreiben, indem man die Infrastruktur der jahrzehntelang geförderten Ausbaumaßnahmen und Innovationen im Bereich der Freizeit- und Tourismusindustrie, kurzerhand zurückbaute. Der Auftakt eines aufkeimenden, in vielen Köpfen emporkommenden Phänomens war unlängst eingeleitet.

„Jüngst habe ich mich einem neotribalen Projekt angeschlossen. Zwar war der Initiationsritus - eine persönliche Unterredung mit dem Gründer des Projekts - alles andere als angenehm, musste seiner Ansicht nach jedoch vollzogen werden. Um die mir in den Augen des therapeutisch geschulten Initiators anhaftende Konditionierung im Innersten zu sprengen (Glaube an Eigentum, Bindung, Bildung, Erziehung, Familiensinn, Zweisamkeit als letztes Kleinod etc.). Aufgrund meines bereits zumindest ansatzweise gelebten Primitivismus wurde ich dann auch sogleich als außerordentliches Mitglied aufgenommen, was mir einen gewissen Vorzug versprach und vor allem die Einhaltung strenger Probezeit-Auflagen ersparte. Meine harte Arbeit an und bestenfalls mit den Elementen hat mir hierin wohl einen großen Vorteil eingeräumt. Die stehen hier regelrecht auf extravagante Gartenbauer. Ich versuche den Schein nicht gänzlich zu wahren, ihn aber auch nicht voreilig abzulegen. Stets verwechseln die Leute die Vorzüge des autarken Gemüsebaukults mit den Unerträglichkeiten lohnarbeitsgebundener Kreativitätsdienstleistung.

Und du versuche mich bitte nicht aufzusuchen. Es war und ist meine freie mündige Entscheidung! Fürs erste scheine ich angekommen zu sein in der lang ersehnten Gemeinschaft!

Ohnmächtig verschrobenes Einzelgängertum, panisch verkappte, intellektuell übersensibilisierte Individualisierung - Schnee von Gestern! Kein Raum mehr zum Trübsal-blasen. Dieses rückgratlose Rühren und Rudern im Leeren Raum, dieses innere degenerierte Gejammer - vorbei. Verzeih, du kennst meine Ausführungen. Individuelle Glückssuche kann auf Dauer zu enormen Verwachsungen führen. Auch ewige Sinnes-Drangsal, Eigendünkel, die Pein des Scheiterns, die daraus folgende Sinnesfinsternis und Selbstaufgabe. Alles nur allzu bekannte Instanzen. Diese pervertierte erkrankte Gesellschaft, deren Teil ich doch irgendwie bis zuletzt war, ist nicht zu retten, geschweige denn weiter durch mein Zutun - wie auch immer ein solches geartet sein könnte - zu unterstützen. Ist es nicht an der Zeit, sich elementar zusammenzuschließen, neue Wege zu begehen, indem man seinem verödeten Leben eine gesunde Dosis Gemeinschaftssinn hinzu träufelt, oder am besten gleich in Neotribalem Primitivismus einer archaisch anmutenden Stammessippschaft aufgeht.

Und die Frauen - sie zeigen sich offen wie schwingende Saloontüren. Und erst die Bärte der Männer... sie würden dir sicher gefallen...ganz zu schweigen…

Ja, ich möchte dich locken und doch liegt mir nichts daran, was beweisen mag, wie es doch in letzter Zeit verdammt nochmal um uns stand!“

Laut dem französischen Soziologe Maffesoli beginnt die Logik der Vergemeinschaftung die Logik der Vergesellschaftung abzulösen. Der Mensch werde in Zukunft vielmehr zwischen den Zugehörigkeiten diverser Stammeskulturen seinen Platz finden als in statisch fixem Milieu, also in permanentem Wandel und erforderlicher Flexibilität. Diesen Idealtypus Mensch nennt Maffesoli den postmodernen Nomaden, der, vorbei an Institutionen, sein selbstbestimmtes Leben auszurichten vermag. Der Soziologe imaginiert in seiner Forschung diesen Werdenden und Unabkömmlichen, als eine Art flexiblen und ruhelosen Springer zwischen den Welten herauf, als einen dem dionysischen Prinzip zugewandten Ekstatiker und Spagatler zwischen Ideal und Wirklichkeit, der frei und ausgestattet mit dem nietzscheanischen Willen zur Macht, zwischen all den ihm zur Verfügung stehenden Lebensformen umherswitcht.

In der Postmoderne sei nach Maffesoli der Typ Mensch, welcher sich durch kreativen willentlichen Schöpferdrang vom Korsett des Neoliberalismus lossagt, der entscheidende Brückenerrichter hin zu einem sozialem Miteinander. Durch diesen lebensgestaltenden Rausch des permanenten Wandels und steten Werdens erfolgt in ihm eine vielen sozialen Kreisen gleichsam verbundene Zugehörigkeit. Verbunden mit allem Sein, im Innen sowie Außen, sich stets auf ein Neues der sozialen Frage anvertrauend, lehne dieser Werdende das Streben nach Konsistenz sowie nach Eindeutigkeit entschieden ab. Jeder verfüge über die Freiheit, sich jederzeit von Bestehendem wieder zu lösen, um alsdann nomadisch weiterziehend sich Neuem anzuschließen. Durch den fortschreitenden Prozess dieser steten Umwälzung eröffnet sich ihm die Erkenntnis, dass die Wiederkehr des ewig Gleichen, im neuen Licht erscheinend, aus ihm bestenfalls eine enorme Selbstermächtigung herausschält und lebensbejahende Kräfte entfaltet. Durch diese Freiheit des steten Wandels sowie der beständigen Wiederkehr des Gleichen ergibt sich, dass der Willentliche, der dem lebensbejahend-dionysischen Rausch folge, alte Machtstrukturen überwinde. Die eingeleitete Verschmelzung des einstmals isolierten Individuums zu einem Kollektiv korrespondierender Elemente strebt somit ein freies gemeinschaftliches Gefüge an, das allein einer universell geltenden Konstellation konfusieller Ordnung untersteht.

Organisieren würde sich der postmoderne Nomade dann intuitiv, orientiert an der Dunbar-Zahl, welche besagt, dass der Mensch zur Vermeidung kognitiver Dissonanzen im näheren sozialen Umgang, sich in überschaubaren Gruppen bis zu 150 Personen einfindet - was in etwa der Anzahl an Mitgliedern neotribaler Zusammenschlüsse entspricht. Dabei müssten die Mitglieder eines Tribes, der durch die Arbeitsteilung vom Arbeitsprozess entstehenden Entfremdung ihre ganze Flexibilität entgegensetzen, um die Akkumulation ökonomischen Potentials zu vereiteln, welches unweigerlich zu unzumutbaren Machtstrukturen führe.

Maffesolis Theorie wurzelt zudem nahe am Prinzip des urkommunistischen Gedankens, wie er bereits bei indigenen Völkern des mittleren Westens vorzufinden ist: Der Gedanke des Gemeineigentums von Land, Wasser sowie Wild. Alles weitere sei dem Privateigentum zuzuordnen.

Ein solches Grundgerüst der fairen Aufteilung bestehender Ressourcen setzt ein Mindestmaß an gelebten Primitivismus voraus. Sogenannten Minderprivilegierten fällt in der Umsetzung des primitivistischen Gedankens ohnehin und unmittelbar ein Zugewinn an Lebensqualität zu. Den sogenannten gehobenen und folglich privilegierteren Bevölkerungsschichten wird erst zeitverzögert der heilsam vitale Nutzen eines aktiv gelebten Primitivismus sowie durch diesen in die Welt hinein strömenden Neotribalismus bewusst werden. Etwa durch den eintretenden Reinigungsprozess des entlasteten Gewissens durch transparente Arbeitsabläufe und Produktionsschritte sowie der folglich aufkommenden Solidarität, die langfristig in der gesamten Gemeinschaft diverser Stammesstrukturen für geistiges Wachstum sorge. Doch wie findet der Mensch aus der Trennung und Spaltung, aus der Uneinigkeit in die Zusammenkunft, vom Expansionismus zurück zum Minimalismus oder zumindest zum Reduktionismus? Sieht er nicht in jeglichem Verzicht hungerkünstlerische Askese, also eine entartete und gleichsam rückschrittliche Verneinung hedonistischer Freizügigkeiten? Folglich muss sich in der Gesellschaft erst einmal das Bewusstsein für den notwendigen Wandel ausbilden. Dem Versuch, diesen notwendigen ersten Schritt einzuleiten, widmet Maffesoli sein gesamtes ideelles Schaffens-Motiv und somit letztlich auch sein großes Lebenswerk, dem er sich mit Leidenschaft aus seinem innigsten Herzensbedürfnis, bis in die imaginären Wachträume des kollektiv Unbewussten hinein, verpflichtet sieht.

Es ist zu hinterfragen, ob nicht nahezu jede relevante politische Entscheidung stets gegen die Interessen der Mehrheit des Volkes durchgesetzt wird. Die Mittelschicht würde - über kurz oder lang - den Gürtel enger schnallen müssen, wollte sie nicht jäh wie ein erodierender Steilhang abschmieren. Was ja im satten Futter des heutigen Wohlstands nicht zwangsläufig existentielle Dringlichkeit in sich birgt. Der Verkauf des SUV, ein Umzug in kuscheligere Räumlichkeiten, ein zwei Reisen pro Jahr weniger, etwas weniger erkaufte, ein wenig mehr tatsächlich gelebte Nachhaltigkeit - kurz: gesunde Reduktion statt entbehrungsreicher Hungertuch-Enthaltsamkeit. Doch durfte man das dem Bürger abverlangen? So etwas Mühseliges kam bei den Wählern nicht gut an. Noch war der Primitivismus alles andere als salonfähig. Behaftet vom reinsten Irrglaube und dem Ressentiment, er sei nichts weiter als eine den Zeitgeist bestimmende Laune anarchistischer Barbarei rückwärtsgewandter Chaoten, deckelten weiterhin mannigfaltige Konsumgüter sowie zahllose Informationsangebote das Unabwendbare. Noch klammerten sich die Leute in ihrer von klein auf eintrainierten Duldungsstarre an das untergegangene Gestern wie Kleinkinder an Mutters Rockzipfel. Das Gestern jedoch war alles andere als eine mütterliche Plattform infantiler Gefühlsduselei. Das Gestern gilt bekanntlich als ein düsterer Schlund, aus dessen Tiefen der Dampf sich zersetzender organischer Masse herauf quillt, während das Klingen und Dröhnen roher Gewalt in unser Ohr dringt. Vielleicht aber handelte es sich hierbei auch wieder nur um eine Täuschung, eine unbedeutende Begleiterscheinung verworfener Psychogramme, die sich störrisch vor die paradiesische Kulisse eines zauberhaften Liebesgartens wirft.

Kooperative Offenheit als Grundsatz und egalitäre Werte anstrebend, sowie intern ausgehandelte Regeln organisierend, würden die neotribalen und postmodernen Nomaden autark verwaltet, aus der naturnahen Lebensweise von Gestern das Nötige in ein lebenswertes Morgen überführen. Die rituell anmutenden Übereinkünfte, die noch heute als Überbleibsel einstiger Stammeskulturen in Vereins- und in Clubklauseln, unter Fans und Fetischisten, Subkulturen, ja auch in kommerziellen Unternehmen und schließlich in diversen Sektenstrukturen vorzufinden sei, folge laut Maffesoli allein dem archaisch-tribalen Muster in uns angelegter sozialisierter Tendenzen, bilde jedoch im Kern keine ganzheitliche sowie eindeutig organisierte, wirtschaftliche sowie soziale Ausrichtung, die als basisdemokratisch oder gar als sozialistisch zu bezeichnen wäre.

Wirre Weisheiten des gefallenen Häuptlings

„Erst wenn die große schwarze Wolke über die Berge kommt..., also über den Grünten oder wie aktuell über den Brenner, wie einst Malariamücken über den San Bernardino oder Flüchtlinge durch den Karawankentunnel - wenn diese schwarze Wolke also über unseren Köpfen hängen bleibt, dann, wenn es quasi zu spät ist, ja dann werden sie hoffen, dass einer kommt, um alles wieder zu reparieren. Kaputtes zu heilen und wieder zu einen. Doch zuvor möchte ich noch einmal den Herbst erleben. Sein Licht atmen. Mit den fallenden Blättern möchte ich gehen. Fallen und zu Erde werden. Nur dieses wundersam flutende Herbstlicht, das wie eine göttliche Verheißung über dem weiten Tal schwebt, möchte ich noch ein letztes Mal in mich einsaugen.“

Sein Atem rasselte. Er schnappte nach Luft als wäre sie Mangelware.

„Ruh dich aus. Das bringt doch nichts.“

„Hab ich dir nicht gesagt, dass die Alten dem Virus als erstes zum Opfer fallen werden? Dass ich mir das für die Zukunft der Kinder so gewünscht habe, fairerweise, als unlängst die Idee der Pandemie in unsere Köpfe gegossen wurde. Sicher, was ich sage, mag für dich nichts weiter als das Stammeln eines wirren alten Infizierten sein. Obgleich auch ein plausibler letzter Geistesfunken eines unbedeutenden Deutschen, der gar im Sterben liegt. Ich nenne es Ein nicht allzu bedeutendes Pseudo-Massensterben, das scheinbar dem Wohle der Menschheit dienen soll. Ein sich selbst genesendes Paradoxon...,“ Ein Hustenanfall zerschneidet seine Gedanken. „...dabei nehmen sie vor allem der Jugend die Zukunft, in dem sie ihr eine neue präsentieren. Mit ihren Helden-Werbekampanien-Videos glauben sie die jungen Leute bei der Stange zu halten. Ich sage dir - ich kann in diesem duckmäuserischen Selbstwegsperren nichts Heroisches erkennen.“

„Lass gut sein. Du hast ja recht. Du solltest dich aber ausruhen.“

Dass es ausgerechnet ihn erwischen würde, damit hatte der Häuptling nicht gerechnet. Ein Mann wie er, ein Leben lang fit, rüstig, kerngesund. Stets hatte er über ausreichend körpereigene Abwehrkräfte verfügt. Und jetzt repräsentierte sein schlaffer Leib plötzlich das Leid der Kranken und Schwachen, gehörte auch er zur sogenannten Risikogruppe, war auch er unversehens zum Opfer, zum sogenannten Patient mit schwerem Verlauf mutiert. Genau genommen war er genau das, was die Brüder vom RKI jetzt brauchten: ein weiterer Fall mit schwerem Verlauf.

„Tja, irgendwann wird jeder einmal alt. Älter als er wahrhaben mag. Alles trübt sich ein, der Wachtraum legt seinen Schleier über all das Vergängliche, das dem Gehenden wenngleich unter fernem Abglanz um so haltloser erscheint.“

„Bitte, sie sagen, du seist über den Berg. Aber hab noch etwas Geduld. Überanstrenge dich nicht.“

Schwarze Wolke über dem Grünten?! Erst wenn sie da hängen bliebe, würde der Messias nahen, um Kaputtes zu reparieren? Einer der das managt und wieder deichselt? Da hatte er recht. Sündenerlass. Das war ihre Hoffnung. Keine Panik: Bevor die große schwarze Wolke sauren Regen über uns ergießt, naht der Krisenstab charismatischer Heilsbringer. Ein Krisenstab starker Reparateure. Das ist die Zukunft. Ein Stück Hollywood. Was sonst sollte unser der Spaltung anheimgefallenes Land noch retten? Sicher wird kein Retter im herkömmlichen Sinne des actiongeladenen Blockbusters eintreffen, um zu reparieren und zu retten. Das nicht. Vielmehr wird es ein subtiles Versprechen sein, das uns triggert und langfristig ein neues Paradigma eintrichtert. Unmerklich verwoben mit den Machtinteressen der globalen Finanzelite. War das die Wahrheit? Mochte der Häuptling - zudem ein gezeichneter Mann unter schwerem Verlauf - hierin noch einen einigermaßen klaren Kopf bewahrt haben? Aber die Wahrheit auf seiner Seite zu wissen machte seinen Vater auch nicht wieder gesund.

„Ich überanstrenge mich nicht. Ich rede mit dir. Und berichte dir ein wenig von meiner schrulligen Nahtoderfahrung. Falls das nicht nach deinem Geschmack sein sollte, bitte ich dies hiermit zu entschuldigen. Du musst mich doch einfach nur mitnehmen.“

„Mensch, das geht mir jetzt echt zu weit. Nicht einmal im Sterbebett kannst du vernünftig sein und den Mund halten. Es geht hier um dein Leben. Ich kann dich doch nicht einfach mitnehmen. Wie stellst du dir das vor? Wer soll das verantworten?“

„Quatsch, es geht mir gut. Ich verantworte das schon selbst. Und ja, du hast recht, es geht hier um mein Leben und ich habe dich nur darum gebeten, mir doch bitte zu ermöglichen, noch ein letztes mal dieses wunderbare herbstliche Licht erleben zu dürfen. Und genau darum bitte ich dich.“

„Vater, ich kann dich nicht einfach mitnehmen. Sie werden dich bald entlassen. Morgen oder übermorgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Und der Herbst hat gerade erst begonnen.“

„Alle sagen, Home Office sei gar nicht so übel. Derzeit der letzte Schrei...,“ erhob sein Vater unter schwerem Atem erneut das Wort, „...wie siehst du das? Wäre es nicht auch hip, seinen alten Vater, den Coronapatienten, eigenmächtig in die Home-Quarantäne zu entlassen?! Etwas mehr Eigenverantwortlichkeit, wenn ich bitten darf. Zudem ist die Gefahr, durch mich angesteckt zu werden, längst gebannt. Nochmal, ich bitte dich inständig, nimm mich mit Nachhause!“

„Du weißt, dass das zu gefährlich ist. Jetzt, wo es dir wenigstens wieder etwas besser geht. Da draußen steigen die Fallzahlen, die zweite Welle bricht bald über uns ein. Zumindest behaupten das die Medien.“

„Ach, die Medien. Vergesst nicht, wie schön ihr es dort draußen doch habt. Keine physische Berührung. Keine aufgezwungene Nähe. Antiseptischer Freiraum und befreiender Abstand. Kein lästiges Röcheln im Nebenbett und jede Menge Raum für den reinen ätherischen Datenstrom, Keimfreies Wirtschaftswachstum und langen, gesunden und ungestörten Schlaf. Keine Hektik am Morgen, kein Mobbing auf Arbeit, somit auch keine Ansteckungsgefahr, weder Antikörperbildung noch direkte Konfrontation, passiver Kriminalitätsabbau, bargeldloses Onlineshopping, eingedämmter Flugverkehr und somit geringerer Co2-Ausstoß, smog- sowie autofreie Städte und selbst der gute alte Opa ist verräumt. Man muss weder ins Heim noch zur Arbeit und auch nicht die Kinder von der Kita abholen. Prima. Mal was anderes. Endlich wird geändert, was man selbst nicht mehr zu ändern gedachte. Wieder einmal wird im großen Stil über die Zukunft entschieden. Und du lässt mich hier verschimmeln. Hoffst wohl, dass ich mir obendrein noch einen multiresistenten Superkeim einfange!“

„Was redest du nur für dummes Zeug. Ich muss jetzt wirklich gehen. Ruh dich aus. Ich komme morgen wieder, sofern sie mich noch zu dir lassen.“

„Wen du meinst. Aber bevor du retten gehst, was noch zu retten ist - noch ein Wort zum neu entwickelten Impfschutz. Dieser frische Stoff, den das Volk zu Weihnacht so dringlich erwartet - könntest du mir da ne Pulle klarmachen?“

Vater, du bist einfach nur geschmackslos. Du wirst deine Dosis schon noch früh genug abbekommen. Verlass dich drauf. Darum muss ich mich nicht extra bemühen.“

„Ja ja, aus Angst mach Profit, am Besten gleich eine Impfpflicht zu Neujahr, aber nein, vorerst die freiwillige Tracking-App, dazu der eben noch umstrittene Ausbau des 5G-Netzes, Soldaten im Innern zur sogenannten Unterstützung der Bevölkerung und mir als alten...“

Ich glaub du weißt wirklich nicht was du da redest…“

„ Und ob ich das weiß! Denkst du, auf Station würden sie einem keine Nachrichten verabreichen? Ich bin gut informiert. Über diesen ganzen Sicherheits-Task-Force-Scheiss. Lass mich doch noch kurz ausreden. Also, Soldaten in Kindergärten, flächendeckende Ganztagsbetreuung und Überwachung der Kindermenschen, mehr entstehende Institutionen zum Schutz der Familien und zur Bekämpfung der durch die Ausgangsbegrenzung ansteigenden Rate häuslicher Gewalt. Mehr Transparenz, mehr Sicherheit, mehr Daten, mehr Kontrolle. Ein Präzedenzfall, ein Muster-Start-up-Projekt. Na, Sohnemann, nach was sieht das also aus? Was ihr da draußen erleben dürft ist der absolute Wahnsinns-Krimi. Seit Achtsam. Es ist was im Gange. Alle in Quarantäne und das Ding rollt weiter bar jeder Besinnung. Nur die in prekären Verhältnissen subexistierenden Tiermenschen, Arbeiter und Gesinde, streunen noch durch die leergefegten Innenstädte. Hinken fiebrig zitternd im Banne der Angst der noch verbliebenen, radikal durch Zwangsmaßnahmen ausgedünnten Wirtschaftlichkeit hinterher. Da, sieh nur aus dem Fenster...,“ mit einer anmutigen Bewegung seines von Schläuchen angezapften Armes weist der bettlägrige Häuptling - ein wettergegerbtes Relikt aus grauer Vorzeit, das unter dem schlohweißen Bettlaken grotesk wie eine Mumie aus einer verwunschenen Gruft hervorlugt - auf die beinahe leergefegte Straße. „Auch du hast Augen im Kopf! Wenn ich meinem Sohn etwas beigebracht habe, dann genauer hinzusehen. Dort wo Kurzarbeit kein Schock für den Geldbeutel bedeutet, wird der Zwangsurlaub doch begrüßt. Und der privilegierte Rest feiert sein Retreat sowieso im Home Office. Verborgene Systemrelevanz hinter einem scheinbar kollabierendem Gesundheitswesen. Die es sich leisten können bleiben daheim. Machen einen auf Husten. Und die florierende Forschung auf dem KI-Sektor gedeiht ganz nebenbei prächtig. Weist uns parallel den Weg. Man fällt ja sowieso nur noch von einem Loch ins andere. Bestenfalls ist die Manie so gelagert, dass auch der neurotisch empörte Flügelschlag, zum nächsten Höhenflug flattert. Wie die Jungen Leute auf YouTube. Man lässt sich so in der Informationsflut gehen, wie das träge Faultier im wirr strömenden, von Windböen gepeitschten Geäst. Man surft einfach so, ziellos auf Datenströmen dahin. Lebt seine teilnahmslose Anteilnahme. Na ja, doch solange wieder die gute alte Panik regiert, die Massenhysterie von heute auf Morgen wieder verehrt wird und vermehrt Hochkonjunktur erleben darf, allem voran die Untergangsverliebtheit und

Abgrundsnähe des Deutschen sich obszön nach Außen kehrt, rosarot und dickfleischig, so ist es wieder einmal soweit....“

Bitte, auf was willst du hinaus. Ich verliere langsam die Geduld.“

„Aber aber, einem Sterbenden wird man doch noch mal zuhören können. Oder ist das zu viel verlangt? Ich habe das Licht zwar gesehen, ums Herbstfluten jedoch lass ich mich nicht prellen! Ich bin gleich soweit. Worauf ich hinaus will: Diesmal fängt es also mit dem hustenden Nachbarn an. Ihn gilt es bei Bedarf zu denunzieren, zu diffamieren, um darauf scheinheilig die Atemmaske überzustreifen. Augen zu und durch. Ab in den Supermarkt. Ohne schlechtes Gewissen mal so richtig shoppen. Zum Erhalt der Art, wie sich versteht. Aber bitte nicht hamstern. Das ist unsolidarisch. Es könnte ja ein Versorgungsengpass durch falsches Konsumverhalten entstehen. Und wer kacken muss, der kann auch ohne...“

„Das ist einfach geschmackslos. Du redest wirr. Ich muss jetzt wirklich gehen. Dein Herbstlicht wirst du schon noch früh genug erleben. Du bist und bleibst einfach unbelehrbar. Soweit bist du ja wieder der Alte.

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