Czytaj książkę: «Hexenhammer 2 - Alles Leid währt Ewigkeit»
Alles Leid währt Ewigkeit
Alles Leid währt Ewigkeit
von Uwe Voehl
HEXENHAMMER
Malleus maleficarum
Band 2
© Zaubermond Verlag 2020
© "Hexenhammer"
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
E-Book-Erstellung: Die eBook-Manufaktur
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Alles Leid währt Ewigkeit
Am Anfang stand die Gier
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Epilog
Am Anfang stand die Gier
Der Traum der Menschheit vom ewigen Leben.
Und so ging der Baron Nicolas de Conde einen Pakt ein mit dem Teufel, der in diesem Fall Asmodi hieß.
Nun wissen wir spätestens seit Goethes Faust, dass dergleichen Bündnisse stets Unheil hervorrufen, versteht es der Bockfüßige doch ein jedes Mal, seinen Vertragspartner übers Ohr zu hauen.
So auch den Baron de Conde. Das ewige Leben wurde ihm zwar gewährt, doch zahlte er grausam dafür, indem der Teufel ihm seine Familie – seine Frau und seine geliebten Kinder – nahm.
Soweit die Ausgangsgeschichte, wie sie vor über vierzig Jahren Ernst Vlcek ersonnen hat, als er den Grundstein für die Serie DORIAN HUNTER legte. Dorian, ein düsterer Charakter, wurde aufgrund der Tatsache, dass Dämonen seine Frau in den Wahnsinn getrieben hatten, zum unerbittlichen Kämpfer gegen das Böse. Im Laufe seiner Abenteuer fand er außerdem heraus, dass er die Reinkarnation de Condes war, der nach jedem Tod in einem anderen Körper wiedergeboren wird.
Meinem Verleger Dennis Ehrhardt kam die Idee, einige der Wendepunkte in Dorians Leben (und in den Leben seiner früheren Inkarnationen) zu beleuchten. Dies sollte nicht in der DORIAN HUNTER-Serie geschehen, sondern im Rahmen von Sonderbänden. Die Idee des HEXENHAMMER war geboren – und damit auch die Idee, Buch 1 dieser neuen »Serie« mit dem ersten Leben Dorian Hunters zu beginnen.
Allerdings ist die Geschichte des Barons ja schon aus DORIAN HUNTER bekannt – jedenfalls bis zu de Condes Hinrichtung. Was sollte da noch groß hinzugefügt werden? Aber wo der Teufel im Spiel ist, sind Lug und Trug nicht fern. Ich stellte alles infrage, was de Conde in seinem Tagebuch niedergeschrieben hatte. Und erschuf einen neuen Charakter: Charlotte de Conde, die Tochter des Barons, die jedoch zunächst nichts von ihrer Herkunft ahnt und in einem Kloster von teuflischen Nonnen in Asmodis Namen erzogen wird. Als Charlotte die Flucht gelingt, begibt sie sich in die Dienste der Inquisition. So heißt denn auch der erste HEXENHAMMER-Band »Die Inquisitorin«.
In diesem zweiten Buch führe ich Charlottes Weg und Werdegang fort, wobei immer noch die Frage ihrer wirklichen Herkunft und der ihrer Geschwister im Raume steht. Während »Die Inquisitorin« sich hauptsächlich mit verbürgten geschichtlichen Gräueltaten befasst und drastisch die Grausamkeit der damals im Namen der Kirche verübten Verbrechen schildert, schwebte mir für diesen Band von Beginn an eine eher klassische Horror-Geschichte vor. Die Idee eines abtrünnigen Ordens hatte ich schon sehr früh, aber ich wollte ihm ein spezielles »Gesicht« geben. Darüber grübelte ich nach, als ich zufällig einen Song der Saarbrücker Power-Metal-Band Powerwolf hörte. Die Musik findet voll aufgedreht durchaus meinen Geschmack, aber vor allem faszinierten mich die Coverillustrationen der CDs, die von der slowakischen Künstlerin Zsofia Dankova gestaltet sind und zumeist wolfsartige Menschenwesen zeigen – oder menschenartige Wolfswesen, je nach Sichtweise. Darunter auch mein Lieblingsbild auf dem Album »Blood of the Saints«, das drei Wolfswesen mit Bischofsmitra und abgewandeltem Hirtenstab zeigt. Da hatte ich meinen Orden! Die Idee, dass ein ganzes Heer ähnlich den Kreuzrittern einst im Namen der Kirche unterwegs gewesen war, flog mir daraufhin fast wie von selbst zu ... und schon entwickelte sich die Geschichte um »Sanctus Lupus«!
Natürlich verrate ich an dieser Stelle noch nicht, welche Irrungen und Wirrungen Charlotte de Condes Weg diesmal im Detail nimmt, bleibt doch nicht allein ihre Herkunft ein Menetekel. Auch der Teufel und sein zwielichtiger Geselle Olivaro treiben weiterhin ihr perfides Spiel mit ihr.
Am Ende mag wohl nur eines sicher sein. Dass Charlottes Weg auch mit diesem vorliegenden Band noch nicht zu Ende ist.
Uwe Voehl
Bad Salzuflen, Juli, anno domini 2020
»Nach ewigem Leben strebte der Baron de Conde,
darum ging er ein den teuflischen Pakt.
Doch nicht nur die Seele,
auch Frau und Kinder stahl Asmodi ihm.
Verzweiflung trieb de Conde,
einen zweiten Pakt zu schmieden.
Sohn und Tochter, so versprach der Teufel ihm,
sollten von den Toten auferstehn.
Eins der Kinder sollte Gutes wirken,
das andere dem Bösen dienen
und sein, Asmodis Kinde, sein.
Aber welchen Weg ein jedes nehme
Und welches wessen sei,
das erst würde sich erweisen.
Allein, vom Bösen spricht sich niemand frei.«
(Aufzeichnungen über das Haus Conde, Verfasser unbekannt, Privatdruck, Straßburg, 1837)
»Doch was keiner ahnt und keiner weiß:
Der Kinder waren’s drei!«
(Handschriftliche Notiz, S.5)
Prolog
»Tu es nicht! Geh nicht hinein!«, flüstert die Stimme in meinem Kopf.
»Tu es!«, flüstert eine andere.
Ich weiß nicht, auf welche der Stimmen ich hören soll. Welcher ich vertrauen kann.
Das Haus steht einsam in der Landschaft. Wie ein Würfel, der, vom Teufel geworfen, zufällig hier zum Liegen gekommen ist.
Gehetzt schaue ich mich um. Das Wolfsgeheul ist näher gekommen. Das Rudel ist ausgehungert. Der Winter ist kalt und frostig. Eine dichte Schneedecke liegt über der Landschaft wie ein Leichentuch.
Die ersten Wölfe tauchen auf dem Hügel auf. Wie Scherenschnitte wirken ihre schwarzen Schatten auf dem weißen Grund.
Ich zögere nicht länger und öffne die Tür. Warum wundere ich mich nicht, dass sie nicht verriegelt ist?
»Weil du hier willkommen bist!«, flüstert die zweite Stimme.
»Weil es eine Falle ist«, warnt die erste.
Rasch schließe ich die Tür hinter mir. Keinen Augenblick zu früh, denn schon wirft sich ein Wolf von außen dagegen. Sein Wutgeheul dringt mir durch Mark und Bein.
Doch dann vergesse ich die Wölfe und die Gefahr, in der ich bis eben noch schwebte. Zu wunderlich ist der Raum, den ich betreten habe.
Flackernder Kerzenschein erhellt ihn. Das Licht fällt auf die dicht gedrängten Bilder. Kaum ein Platz an den Wänden ist mehr frei.
Ich trete näher und betrachte die Bilder. Sie alle müssen von demselben Maler stammen. Sie tragen eine Handschrift.
Und sie alle zeigen Kinder. Mädchen und Jungen unterschiedlichen Alters.
Aber es sind keine fröhlichen Gesichter. Die Kinder weinen, und in ihren Mienen spiegeln sich Trauer und Leid.
Leid, wie auch ich es empfinde.
Und alles Leid in mir währt Ewigkeit.
Wer sind all die Kinder? Wer hat ihnen wehgetan? Was müssen sie erlitten haben?
Ein Schluchzen.
Es kommt von oben.
Zögernd gehe ich die knarrenden Stufen hinauf. Je höher ich gelange, umso schwerer fällt mir jeder Schritt. Mir ist, als würde jemand von hinten an mir ziehen, jemand, der mich schützen möchte vor dem, was mich oben erwartet. Dann aber ist es mir, als würde ich einen Stoß in den Rücken erhalten, der mich weiter hoch befördert.
Und so geht es in einem fort. Ich werde nach hinten gezogen, dann wieder nach oben gestoßen. Wie ein Fetzenball fühle ich mich den unbekannten Kräften, die an mir zerren, ausgeliefert.
Gleichzeitig höre ich erneut die widerstreitenden Stimmen.
»Dort oben erwartet dich die Erkenntnis!«, lockt die eine.
»Dort oben erwartet dich Leid«, warnt die andere. Und sie setzt hinzu: »Das Leid wird nicht allein deins bleiben. Es wird viele treffen. Es wird …«
Die zweite Stimme verstummt. Ich vernehme das triumphierende Lachen der ersten.
Zugleich fühle ich mich emporgetragen. Da ist kein Zurückzerren mehr in meinem Rücken.
Halb fürchte ich mich, halb giere ich nach dem, was mich erwartet.
Dann stehe ich dort oben. Auch dieser Raum ist von Kerzenschein erhellt.
Nur ein einziges Gemälde hängt an der Wand. Es ist winzig, sodass ich näher treten muss, um es zu betrachten.
Doch als ich davorstehe, kommen auch mir die Tränen.
Denn ich sehe –
MICH!
Doch noch während ich das Bild anstarre, beginnt es sich zu verwandeln, und ich schaue in das weinende Antlitz eines Jungen, der mir so ähnlich sieht, als wäre er mein Bruder.
Mein Bruder, den ich niemals hatte.
Kapitel 1
Ich habe die Gabe.
Sie ist mir geschenkt worden von Gottes Gnaden.
Ich kann sie nicht erklären oder gar beweisen. Doch sie ist in mir.
Sie ist nicht nur ein Segen, denn sie gebiert gleichermaßen Leid und Qual.
Der Herr Pfarrer Coctorius trat ein. Er hatte sich zuvor angekündigt und wirkte sehr niedergeschlagen. Er war ein großer, gutaussehender Mann und ein treuer Sohn der Kirche.
Das Zimmer, das ich bewohnte, war winzig, aber doch beherbergte es einen Stuhl. Ich bat den Herrn Pfarrer, darauf Platz zu nehmen, und setzte mich selbst auf den hölzernen Rahmen der Schlafstatt, um nicht auf ihn hinabzusehen, denn dies hätte sich nicht geziemt.
»Was führt Euch zu mir?« Ich hatte gleich erkannt, dass ihm etwas auf dem Herzen lag.
Er wand sich zunächst, doch dann rückte er mit der Sprache heraus: »Es ist doch wahr, Ehrwürdige Frau Inquisitorin, dass es sich als nicht gut katholisch erweist zu behaupten, durch Incubi und Succubi könnten Menschen erzeugt werden?«
»Eine höchst ungewöhnliche Frage, Herr Pfarrer. Tragt Ihr denn Sorge, ein Incubus oder Succubus könne eines eurer Schäfchen zu unzüchtigem Beischlaf verleitet haben?«
»Mehr noch, denn wie ich eben sagte, besteht Sorge, dass es nicht bei dem Beischlaf geblieben ist …«
Er hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt, und ich vermochte seine Besorgnis durchaus zu begreifen, verstanden es doch die Dämonen, sich durch Hexerei als Söhne und Töchter Gottes auszugeben. Wie jeder wusste, sammelten sie die Samen. Doch wie mein Mentor Heinrich Institoris im »Malleus Maleficarum« richtig sagte: Die Dämonen verüben die gar unflätigen fleischlichen Handlungen nicht der Lust wegen, sondern um die Seele und den Leib jener zu besudeln, die sich in ihrer Gewalt befinden. Als Geister haben diese Dämonen keinerlei Lustgefühl, denn sie besitzen ja keinen eigenen Körper, doch umso mehr verschafft es ihnen Befriedigung, durch das Laster der Wollust die Natur des Menschen zu zerstören. Der besudelte Mensch, durch Hexenkünste an Leib und Seele beschädigt, wird so auch anderen Lastern geneigter sein als zuvor.
Dies alles erklärte ich Coctorius, doch beruhigte es ihn nicht sonderlich.
»Aber heißt es nicht, dass die Dämonen den Samen sammeln, um daraus verschiedene Arten zu erzeugen? Spricht die Heilige Schrift nicht von den Giganten, die auf Erden wandeln, und von Dämonen, die aus ebensolchem Samen gezeugt wurden?«
»Das Sammeln der Samen halte ich für eine Mär. Aber worauf wollt Ihr hinaus?«
»Nun, wenn die Dämonen aus den geraubten Samen Wesen erzeugen, warum sollten sie es dann nicht gleich beim Beischlafe vermögen?«
Ich vergegenwärtigte mir erneut die weisen Worte meines Gönners Heinrich Institoris und antwortete in seinem Sinne: »Wie ich sagte, dienen die unkeuschen Handlungen der Incubi und Succubi allein dem Zwecke, Körper und Seele zu beschmutzen. Zwar kann die Frau den Samen wirklich empfangen und gebären, doch können die Dämonen bei solcher Zeugung nur die örtliche Bewegung ihres Wirtes beeinflussen, nicht aber die Zeugung selbst. Insofern, lieber Herr Pfarrer, vermag ich Euch zu beruhigen, was die Verfehlung Eures Gemeindemitgliedes betrifft: An der Zeugung ist allein derjenige beteiligt, dessen Same es war, daher ist auch das geborene Kind nicht eines Dämons, sondern des Menschen. So will es der Herr, der noch immer und allzeit über dem Teufel und seinen Heerscharen steht!«
Ich hoffte, dass Coctorius sich mit meinen Erklärungen zufriedengeben würde, denn mir knurrte bereits der Magen. Mein Besucher war vor der Morgenmesse erschienen, und ich hatte noch kein Frühstück zu mir genommen. Doch ahnte ich, dass ihn eine ganz andere Besorgnis zu mir geführt hatte.
Ich hatte es gleich gespürt, als er eingetreten war.
Ich habe die Gabe.
Ich vermag die Dämonen zu schauen. Ich kann ihre menschlichen Hüllen erkennen. Daher weiß ich, dass es zumeist Unschuldige trifft, die im Namen der Inquisition in den Folterkellern leiden und gerichtet werden. Oftmals sind es die Dämonen selbst, die sich als Folterknechte und Richter aufspielen.
Doch genauso verleiht mir meine Gabe das Gespür, Verfehlungen zu erkennen.
Und der Pfarrer hatte gefehlt.
Um ihm zu helfen, sagte ich: »Auch wir, die wir der katholischen Kirche treue Diener sind, sind nicht gefeit vor dämonischen Attacken.«
Ich sah ihm tief in die Augen, und er senkte den Blick.
»Dann wisst Ihr also …?«
Ich nickte. »Es ist zu offensichtlich. Ihr sprecht nicht von einem Eurer Schäfchen. Die Sorge um Euch selbst treibt Euch zu mir, nicht wahr?«
Kurz hatte er den Kopf gehoben, nun senkte er ihn rasch wieder. Die Hände, mit denen er den Rosenkranz hielt, zitterten.
»Es war die Bramsche«, presste er hervor. »Sie bat mich in ihr Haus, unter dem Vorwand, es sei von einem Dämon befallen, der sich als ihr vor vielen Jahrzehnten totgeborenes Kind ausgibt, und ich sollte einen Exorzismus ausüben. Doch nicht im Gebäude hauste der Dämon – sondern in ihrem Körper! Sie, die alt und gebrechlich war, verwandelte sich vor meinen Augen in ein junges, wollüstiges Weib! Ich rief den Herrn an, mir beizustehen, doch der Succubus war stärker und bot alle Schlechtigkeit und Scheußlichkeit auf, die nur denkbar ist!«
Coctorius zitterte am ganzen Körper, sodass ich ihm tröstend die Hand auf den Arm legte.
»Niemals ist ein Succubus stärker als der Herr. In allem ist ein Grund zu sehen, selbst in der tiefsten Sünde. Ich vermag ihn zwar nicht zu erkennen, doch weiß ich, dass der Herr uns oftmals schwere Prüfungen auferlegt, um uns unsere Schwäche vor Augen zu führen. Ich vermag Euch weder die Beichte abzunehmen noch Euch von Eurer Sünde freizusprechen, doch solltet Ihr versuchen, im Gebet Vergebung zu finden …«
»Wie könnte ich das, wenn doch mein Same Unheiliges erzeugte!«
Ich sah ihn skeptisch an: »Aber sagtet Ihr nicht, die Bramsche sei eine alte Vettel? So wird sie Euch den Succubus als schönes Weib nur vorgegaukelt haben, und auch wenn sie Euren Samen empfangen hat, wird sie kaum der Zeugung fähig sein.«
Mein Magen knurrte nun so laut, dass Coctorius verwundert aufsah.
»Aber das ist es ja«, jammerte er. »In den Wochen und Monaten darauf wurde ihr Bauch dicker und dicker. Wie zum Hohn erschien das Weib zu mancher Andacht. Manch einer flüsterte bereits, und manches unziemliche Gerücht machte die Runde. Und eines Abends lachte sie mir frech ins Gesicht, und erneut gaukelte mir der Succubus ein begehrenswertes Weib vor und verführte mich zu noch unziemlicheren Lastern!«
»So sprecht Ihr von dem Coitus außerhalb des gebotenen Gefäßes?«
»Und weit Schlimmerem!«
Nun sackte der arme Pfarrer vollends zusammen und schluchzte bittere Tränen.
»So seid Ihr denn ein zweites Mal zur Sünde verführt worden«, sagte ich schließlich und überlegte angestrengt, wie ihm zu helfen sei. Ich allein sah keinen Ausweg, es sei denn, der Succubus hätte sich noch nicht davongemacht. In diesem Fall würde ich natürlich alles tun, um ihn mit Gottes Hilfe zu vertreiben.
Also fragte ich Coctorius danach, doch er schüttelte erneut den Kopf. »Das alles geschah vor zehn Jahren. Damals schon habe ich mich dem Bischof anvertraut und mich allein seinem Urteil gebeugt. Doch wie verwundert war ich, als er mich von aller Schuld freisprach und sogar zugab, selbst schon dem einen oder anderen Succubus auf den Leim gegangen zu sein!«
Er geriet erneut ins Stocken, sodass ich ihn aufforderte weiterzusprechen.
»Der Bischof veranlasste, dass die Büttel die Bramsche in aller Früh aus ihrem Hause holten und fortbrachten. Es gebe, so sagte der Bischof, einen Ort, in dem ihresgleichen das Kind, das sie unredlich empfangen habe, ohne Aufsehen gebären könne, während sie selbst gleichzeitig geläutert werde und Gottes Gnade empfange.«
»So hat sich doch alles zu Eurem Guten gewendet«, erkannte ich, obwohl mir nicht wohl war bei seinen Worten. Zu oft redeten sich auch Kirchenleute mit Succubi und Hexenwerk heraus, wo es doch nur darum ging, ihrer eigenen Lust zu frönen. Auch wagte ich mir den Ort, an dem womöglich noch weitere Mütter ihre Kinder zur Welt brachten, nicht vorzustellen. Zu sehr hatte ich selbst als Waisenkind im haus zur heiligen dreieinigkeit manches Martyrium durchlitten.
»Seit Wochen schon quälen mich finstere Träume«, fuhr Coctorius fort. »Ich sehe das Kind – mittlerweile im Knabenalter –, wie es mich anklagend anschaut. Tränen fließen aus seinen Augen, doch sind es welche aus Blut! Und dann öffnet der Knabe den Mund und fleht um Hilfe, so zum Gotterbarmen, dass ich jedes Mal in Schweiß gebadet erwache. Ist es der Herrgott oder der Teufel, der mich mit diesen immergleichen Träumen quält?«
»Ganz gewiss nicht der Herrgott!«, widersprach ich. »Denn wie ich Euch schon sagte, dass auch das Kind keines des Teufels ist. Doch noch immer weiß ich keinen Rat, Euch zu helfen, guter Mann.«
»Zu allem Übel geht es wieder um im Haus der Bramschen! Niemand wohnt mehr in dem Haus seit damals, indes die Nachbarn Lichter dort drinnen gesehen haben. Ich selbst habe mich mit eigenen Augen überzeugt! Es sind Hexenlichter!«
»Und nun fürchtet Ihr, der Succubus könne Euch erneut aufsuchen«, erkannte ich.
Coctorius nickte gequält. »Ein weiteres Mal zur Sünde verleitet zu werden, würde ich nicht ertragen. Ich erbitte Eure Hilfe. Man sagt, Ihr habet die Gabe …«
Endlich erkannte ich, wie ich ihm helfen konnte. Ich erhob mich und versprach: »Heute Abend, wenn der Nachtwächter zum letzten Schlage anhebt, werde ich bei Euch klopfen, damit wir uns gemeinsam zum Haus der Bramschen begeben. Habt Weihwasser dabei und am besten noch die Heilige Schrift!«
Und so verabschiedeten wir uns, um uns spät am Abend wiederzutreffen.
Als ich am Pfarrhaus anklopfte, öffnete mir Pfarrer Coctorius sofort die Tür, als habe er mich bereits sehnlich erwartet.
Ich nickte entschlossen. »Dann lasst uns gehen. Habt Ihr Bibel und Weihwasser dabei?«
»Wie Ihr mir aufgetragen. Und außerdem noch das Kreuz des Herrn.« Er wies auf die Brust, an der ein großes Holzkreuz hing.
Ich ließ ihn vorangehen. Die Gassen waren menschenleer. Der bleiche Mond allein spendete uns etwas Licht. Sicherlich würde sich mancher Bürger wundern, wenn er uns aus dem Fenster heraus erspähte. Der Kirchenmann und die Inquisitorin, die zwielichtigen Gestalten gleich in der Dunkelheit umhergingen.
Jedoch schlichen wir nicht wie Diebe, wir gingen aufrecht und waren uns unserer heiligen Mission sehr wohl bewusst.
Das Haus der Bramschen lag am Ende einer schmalen Gasse, in der die Ärmeren zu Hause waren. Mehr noch als in den anderen Gassen und Straßen stank es nach Unrat und Fäkalien. In einem Abfallhaufen neben dem Eingang tummelten sich ausgehungerte Ratten. Quiekend rannten sie davon, als wir uns näherten.
Die Tür war nicht verschlossen. Halb hing sie in den Angeln. Wahrscheinlich hatte sich in den letzten Jahren immer wieder Diebesgesindel im leerstehenden Haus herumgetrieben. Und ganz sicherlich diente es so manchem Bettler als Unterschlupf, weshalb ich nur hoffen konnte, dass sich heute Nacht keiner von ihnen dort aufhielt. Weniger fürchtete ich um mich und Coctorius als vielmehr, dass ein Unschuldiger in Gefahr geraten könne. Denn der Dämon, der das Haus bewohnte, würde nicht so schnell aufgeben, wenn wir ihn zu vertreiben versuchten. Im Gegenteil, hatte ich doch erlebt, wie das Böse geradezu in Raserei geriet, sobald es spürte, dass es der Macht des Herrn nicht gewachsen war, wie insgesamt das Werk Gottes stärker ist als das des Teufels, hätte dieser doch sonst schon die ganze Welt zu seiner gemacht.
Für alle Fälle hatte ich das Schwert dabei, um jedweden unbefugten menschlichen Bewohner des Hauses zu vertreiben, bevor wir den Dämon herausforderten. So war ich alles in allem guter Dinge, dass unser Vorhaben gelingen würde.
In dem Augenblick, in dem wir das Haus betraten, spürte ich den Odem des Bösen am ganzen Körper, als hätte eine Eisschicht meine Haut überzogen. Im flackernden Licht meiner Fackel erkannte ich, dass die Kälte nicht nur Einbildung war. Unser beider Atem trieb wie kleine Wölkchen vor uns her.
Wir durchsuchten das Erdgeschoss, was rasch erledigt war, da es nur die Küche und eine kleine Abstellkammer beherbergte. Abgesehen von noch mehr Ratten und Mäusen stießen wir auf kein weiteres Lebewesen. Offenbar hatte es sich auch unter den Obdachsuchenden herumgesprochen, dass es im Hause nicht mit rechten Dingen zuging.
»Spürt Ihr es auch?«, fragte ich Coctorius. »Die unheilige Präsenz, die diesen Ort vergiftet?«
Der Pfarrer nickte schwach. Er zitterte am ganzen Leibe.
»So schlagt die Bibel auf an einer beliebigen Stelle – der Herr wird Eure Hand dabei lenken – und rezitiert laut die heiligen Worte, auf dass der Dämon vor Furcht erbebt!«
Der Pfarrer folgte meiner Aufforderung, gab ihm das heilige Buch doch Kraft und Zuversicht. Sogleich begann er mit immer kräftiger werdender Stimme zu lesen: »Es war aber dort am Berg eine große Herde Säue auf der Weide. Und die unreinen Geister baten ihn und sprachen: Lass uns in die Säue fahren! Und er erlaubte es ihnen. Da fuhren sie aus und fuhren in die Säue, und die Herde stürmte den Abhang hinunter ins Meer, etwa zweitausend, und sie ersoffen im Meer …«
Der Pfarrer sprach mit solch inbrünstiger Stimme, als stünde er auf der Kanzel und als würden seine Worte auf die gebannt lauschende Gemeinde hinunterprasseln.
Auch im Hause tat sich nun etwas. Ein Ächzen und Stöhnen drang aus den Wänden, als würden gemarterte Seelen darin wohnen.
Ich wandte mich der Treppe zu, die nach oben führte. Von dort wehte mir eiskalter Wind entgegen, der den unflätigen Gestank nach Schwefel und Schlimmerem mit sich trug.
Ich ließ mich nicht einschüchtern, sondern stieg weiter die Stufen hoch. Der Pfarrer folgte mir dichtauf, während er unermüdlich weitere Verse aus der Heiligen Schrift rezitierte.
Das Schwert ließ ich stecken – gegen den Teufel und seine Heerscharen war es machtlos. Dafür hielt ich in der Rechten mein silbernes Kreuz, während ich mit der Linken den Griff der Fackel umklammerte. In meinem Gürtel steckte zudem mein silberner Dolch.
Ich war auf der drittletzten Stufe, als sich der Dämon manifestierte. Zunächst sah ich nur ein rotglühendes Augenpaar aufblitzen, zugleich vernahm ich eine tiefe boshafte Stimme. Die Sprache war mir fremd. Trotz der offensichtlichen Gefahr nahm ich eine weitere Stufe.
Nach wie vor sah ich nur die Augen der Kreatur, die mit der Dunkelheit verschmolz. Selbst meine Fackel vermochte die Finsternis nicht zu durchdringen. Im Gegenteil, schien es doch, als würden die Schatten das Licht aufsaugen. Die Flamme flackerte. Einen Moment lang befürchtete ich, sie würde verlöschen, doch als ich den Stab mit dem Kreuz berührte, loderte der Feuerschein auf, heller und strahlender als zuvor.
Der Dämon brüllte wütend auf, hatte er doch erkannt, dass er in mir kein willfähriges Opfer vor sich hatte.
Die letzten zwei Stufen nahm ich mit Schwung, während ich gleichzeitig die Fackel nach vorn stieß. Ich hatte gehofft, die Flamme im Leib der Kreatur zu versenken, doch blitzschnell wich sie zurück.
Ein Wehklagen und Wimmern drang nun von überall her, und verwundert hielt ich inne. Es stammte nicht von dem Dämon, sondern klang wie aus Dutzenden verschiedener gepeinigter Kinderkehlen.
Hielt er die Kinder in dem Haus gefangen?
Allein der Gedanke, dass der Dämon unschuldigen Kindern etwas angetan hatte, entfachte eine unbändige Wut in mir. Ich stieß ein weiteres Mal mit der Fackel vor, doch wiederum wich der Dämon geschickt aus. Nach wie vor hielt er sich in der ihn umgebenden Schwärze verborgen. Allein die Augen blitzten in höllischem Zorn.
Das alles wurde begleitet von seinem Gebrüll, dem sich immer höher schraubenden schrillen Wehklagen der Kinder und der Stimme des Pfarrers, der mit bebender Stimme die Heilige Schrift rezitierte.
Es gelang mir, den Dämon weiter zurückzudrängen, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Wieder flackerte die Flamme, drohte zu verlöschen. Ich wechselte das silberne Kreuz in die andere Hand, sodass ich mit der Linken nun Kreuz und Fackel zugleich umklammerte. Mit der Rechten aber zog ich den Silberdolch hervor.
Solcherart bewaffnet, stürzte ich mich dem in die Enge getriebenen Dämon entgegen. Als ich in die ihn umgebende Schwärze eindrang, war es mir, als umhüllten mich klebrige, schleimige Spinnenfäden. Sie versuchten mich aufzuhalten, doch als die Flammen sie erfassten, wichen sie zurück.
Und nicht nur das: Für einen Moment wurde es taghell, und wie von einem Blitz erleuchtet, präsentierte sich mir der Dämon in seiner ganzen Scheußlichkeit. Es handelte sich um eine spinnenartige Kreatur mit pelzigem Körper und spindeldürren Beinen. Als er das Maul öffnete, bleckten mir Reihen nadelspitzer Zähne entgegen.
»Stirb, Dämon!« Ich sprang vor, bereit, ihm den silbernen Dolch in den Leib zu rammen.
Doch stattdessen stieß ich gegen die Wand. Verblüfft musste ich feststellen, dass sich der Dämon in nichts aufgelöst hatte.
Ich fuhr herum, erwartete seinen Angriff von hinten, doch nichts geschah. Der Schein meiner Fackel erhellte allein Coctorius’ verblüfftes Gesicht. Er hatte mitbekommen, was geschehen war, und seine Lesung unterbrochen.
»Weiter! Lest weiter!«, herrschte ich ihn an, denn ich spürte, dass der Dämon noch in der Nähe war. Ich fühlte seine drückende Präsenz. Er belauerte uns.
Statt meiner Aufforderung Folge zu leisten, ließ Coctorius die Bibel fallen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grässlichen Grimasse, die Augen glitzerten im selben glühenden Rot wie die des Dämons. Mit einem tiefen, tierischen Knurren sprang er mich an, die Hände zu Klauen geformt. Nicht nur die Überraschung hielt mich gefangen, vor allem war es der Gedanke, dass es nach wie vor Coctorius war, den ich vor mir sah – und der sich in ein Monstrum verwandelt hatte! Er prallte gegen mich, sodass ich zu Boden ging. Und schon war er über mir. Seine Klauen umfassten meine Kehle, die Krallen, die ihm urplötzlich gewachsen waren, bohrten sich in mein Fleisch. Die Fackel war meiner Hand entfallen, ebenso das Kreuz.
Schon wurde mir schwarz vor Augen, während ätzender Geifer aus dem Maul des Pfarrers auf mein Gesicht tropfte. Meine einzig verbliebene Waffe war der Silberdolch. Mit letzter Kraft hob ich den Arm und stieß die Klinge dem Dämon tief in die Brust.
Die Kreatur, in die Coctorius sich verwandelt hatte, heulte auf. Die Klauen erschlafften, sodass ich sie mühelos beiseite schlagen konnte. Ich stieß seinen Körper von mir und rollte mich zur Seite. Er blieb auf dem Bauch liegen. Rasch ergriff ich die Fackel. Im Schein der Flamme erkannte ich, dass eine grauenvolle Veränderung mit Coctorius vor sich ging: Die Haare ergrauten innerhalb von Sekunden und fielen aus. Die Klauen wurden wieder zu Händen, deren Fleisch Blasen warf, als hätte Coctorius die Pest. Er wimmerte und schrie in höchster Pein.
»Coctorius!« Ich beugte mich zu ihm hinab und drehte ihn auf den Rücken. Auch sein Gesicht veränderte sich, wurde faltig und runzlig wie das eines uralten Mannes.
Er starb vor meinen Augen!
Aber noch hatte er es nicht überstanden. Er öffnete den Mund, nein, vielmehr war es, als öffnete jemand anderes seinen Mund von innen. Er wurde ihm so unnatürlich weit aufgerissen, dass er an den Mundwinkeln einriss und Blut herausspritzte. Coctorius würgte und rang verzweifelt nach Luft. Mit den Händen fasste er sich an die Kehle. Sein Gesicht lief blau an, während die weit aufgerissenen Augen zu platzen drohten.
Dann quoll es aus ihm heraus. Ein schwarzer Schleim, die Essenz des Dämons. Träge wälzte sich die Lache über den Boden und versuchte, in die Dunkelheit zu entfliehen.
Doch diesmal handelte ich schneller und stieß die Fackel in die schleimige Schwärze. Zischend und brodelnd ging sie in Flammen auf.
Der Dämon starb – doch um welchen Preis!
Schwer atmend wartete ich ab, bis ich sicher sein konnte, dass die schleimige Kreatur tatsächlich vollständig vom Feuer verzehrt worden war.
Der klagende Chor der Kinder war verstummt.
Ich widmete mich wieder dem Pfarrer. Den Dämon hatte ich aus seinem Körper vertreiben können, doch das Gift, das dieser darin hinterlassen hatte, tat seine schreckliche Wirkung. Die welke Haut hing nur noch in Fetzen vom Fleisch. Schwärende Wunden bedeckten Coctorius’ Gesicht. Es ging zu Ende mit ihm, und ich konnte nicht mehr tun, als hilflos die Fäuste zu ballen. Ich kniete neben ihm nieder, hob seinen Kopf und beschwor ihn, gegen das Gift des Dämons anzukämpfen.
Er bäumte sich auf, spuckte Blut und presste seine Lippen gegen mein Ohr.