Czytaj książkę: «Rituale, die wirklich helfen!»
Ulrike Sammer
Rituale, die wirklich helfen!
Ulrike Sammer
Rituale,
die
wirklich
helfen!
Impressum
1. Auflage 2018
© Spirit Rainbow Verlag
UG haftungsbeschränkt
www.spirit-rainbow-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Gestaltung, Druck und Vertrieb:
Druck- & Verlagshaus Mainz
Süsterfeldstraße 83
52072 Aachen
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Print:
ISBN-10: 3-940700-83-5
ISBN-13: 978-3-940700-83-4
e-Book:
ISBN-10: 3-948108-25-0
ISBN-13: 978-3-948108-25-0
Ein persönliches Wort an Sie
Liebe Leserin, lieber Leser!
Als ich ein junges Mädchen war, kam eine Frau aus der Umgebung – eine Bekannte meiner Mutter – in unser Haus und begann wunschgemäß zu muten. Das heißt, dass sie in der Lage war, sich auf die Energieflüsse in der Erde einzustellen und ihre Besonderheiten mithilfe eines Pendels sichtbar zu machen. Über die wirklich verblüffenden Ergebnisse will ich hier nicht berichten. Immerhin setzte diese Begegnung den Beginn einer jahrzehntelangen Neugier auf nicht-alltägliche Bewusstseinsschichten bei mir in Gang. Diese Frau, die mir völlig unbekannt war, sah mich lange an, konnte offenbar etwas entdecken, das sie aber nicht in Worte fassen konnte oder wollte. Jedenfalls meinte sie, dass ich »das Zeug« hätte zu muten und Außergewöhnliches »zu spüren«.
Was das mit Riten zu tun hat, wird sich Ihnen erst später zeigen. Riten geben uns die Möglichkeit, durch eine Art »Tor« zu gehen, in eine andere Wirklichkeit einzutreten und dabei zu merken, dass man in dieser anderen Welt auch tatsächlich etwas bewirken kann.
Allerdings brauchen die gewünschten Entwicklungen Zeit.
Jetzt, mitten auf einem Weg, von dem ich nicht weiß, wohin er führt, erkenne ich manche Schritte, die schon weit zurück liegen. Ich erkenne auch, dass es schon einige Male »Aufforderungen« an mich gab, die ich jedoch damals nicht verstand oder bei denen ich mich nicht traute, mich auf sie einzulassen. Offenbar war die Zeit dazu noch nicht gekommen.
Heute stehe ich vor einem kleinen Berg von Puzzlesteinen: Vor meinen Erfahrungen mit den Macumba-Riten in Brasilien, meinen schamanistischen Erlebnissen, den Feuerläufen und den vielen Einstiegen in andere Welten durch Mayarituale, Rasseltrancen mit Felicitas Goodman, meinen Begegnungen mit Heiligen Quellen und Kultsteinen, meiner Jahrzehnte währenden »Freundschaft« mit dem Pendel, meiner ausgedehnten psychotherapeutischen Arbeit mit verschiedenen Arten von Imagination und vielem mehr.
Ein geschlossenes Bild ergeben die Puzzlesteine noch lange nicht – das hält meine respektvolle Offenheit für neue Erkenntnisse und Erfahrungen aufrecht.
Neben der Faszination für die oft ungenutzten Potentiale des Menschen, kristallisierte sich aber ein besonderes Anliegen heraus: Ich möchte die Möglichkeit von Ritualen als Eintritt in neue Erlebniswelten von jedem weltanschaulichen Überbau »reinigen«. Niemand soll sich genötigt fühlen, irgendeiner kirchlichen, esoterischen oder sonstigen Glaubensrichtung anzugehören um in den Genuss von wirkungsvollen Ritualen zu kommen. Es gibt nämlich psychologische Hintergründe, die klar machen, dass die Wirkung von Ritualen nichts mit der jeweiligen spirituellen Überzeugung zu tun hat. Da diese austauschbar ist, können sich alle Interessierten, ob sie nun einer der großen Kirchen angehören, Mitglied eines kleinen Zirkels sind oder einfach an ein universelles Wissen, das tief in uns schlummert, glauben, mit den Besonderheiten eines Rituals auseinander setzen.
Schließlich möchte ich jeden einzelnen Leser dazu ermuntern, seine persönlichen Rituale zu entwerfen und eigene Erfahrungen damit zu machen. Die Impulse, die ich dazu geben werde, sind gleichzeitig ein Leitfaden, welche »inneren Räume« gefahrlos zu begehen sind. So kann man sich mit Respekt auf Experimente mit sich selbst einlassen um heraus zu finden, welche Rituale besonders gut zu einem persönlich passen und einem das Gefühl geben, mit sich eins zu sein und das eigene Leben wirkungsvoll zum Besseren beeinflussen zu können.Wenn dieses Buch ein Stück der Faszination an den unfassbar vielen Möglichkeiten, die wir alle ungenützt in uns haben, zu vermitteln vermag, dann kann ich Ihnen nur viel Glück auf dem Weg in Ihr eigenes Innenleben wünschen!
Ihre Ulrike Sammer
Der Verstand allein reicht nicht aus,
die Wirklichkeit zu erfassen.
(Johann Wolfgang von Goethe)
A. Rituale – Ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens
1. Sind Rituale noch zeitgemäß?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der große, öffentliche Rituale, die von der Gesamtheit der Bevölkerung praktiziert werden, verschwinden oder bereits verschwunden sind. Früher gaben sie von der Kindheit bis zum hohen Alter Orientierung und Halt. Die eindrucksvollen, kirchlichen Feste, die Aufmärsche und Prozessionen, die Frühlingsfeste und der Erntedank – all das wurde traditionellerweise immer begangen und der Alltag wurde danach eingeteilt. Gebete und Wünsche an Gott wurden ausgesprochen und natürlich auch an ihre Erfüllung geglaubt. »Gott kümmert sich ja um seine Schäfchen …«
Damals schien allen Menschen klar zu sein, dass man sich mit den höheren Mächten verbinden muss – sonst könnte es einem schlecht ergehen. Der wohlinformierte heutige Mensch des Medienzeitalters denkt da anders. Er sucht häufig nach Werten, die mit Spiritualität nicht viele Gemeinsamkeiten haben. Wie wir an den ständig sinkenden Zahlen der Angehörigen von großen Glaubensgemeinschaften leicht ablesen können, ist die Verbindung zu einem höheren Wesen für viele nicht mehr so wichtig. Und Rituale als Zeichen dieser spirituellen Ausrichtung treten dadurch zwangsläufig auch in den Hintergrund. Allgemein akzeptierte Formen der »Brücke« zu anderen, höheren Wesenheiten, zum »Himmel«, zu anderen Energien, ungewohnten Wahrnehmungsweisen, zu fremden Aspekten unseres Seins oder wie immer man zur Spiritualität sagen möchte, gibt es selten, und wenn, fehlt den Ritualen, die ein Tor in »andere Welten« öffnen können, weitgehend die gesamtgesellschaftliche Zustimmung.
Nun könnte man glauben, dass offenbar den Ritualen in unserer Zeit ein nahes Ende beschieden ist. Tatsächlich kann man aber neuerdings eine gegenläufige Bewegung beobachten. Es gibt eine Menge Publikationen über Rituale. So zeigt ein Blick ins Internet eine große Zahl an Einträgen. Diese sind aber alle von einer bestimmten Geisteshaltung, einer Religion oder dem Glauben jeweils einer Gruppe geprägt. Das heißt: die Anhänger einer Richtung sollen mit schönen, sinnlichen Ritualen unterstützt, aber natürlich auch an die Gruppe oder an die Kirche gebunden werden. Vor allem gilt das für verschiedene religiöse oder esoterische Denkweisen. Magische Zirkel haben Rituale fast schon »gepachtet«. Aber sogar Gruppen diverser sexueller Vorlieben entwickeln ihre Rituale, die sie im Internet oder anderswo vorstellen. Dadurch wird es aber für anders denkende Menschen schwierig. Man hat den Eindruck, dass man über den Weg eines Rituals schon »in die Fänge« einer (manchmal sektenartigen) Gruppe gerät.
Wenn man sich nun die Frage stellt, ob traditionelle Rituale für den Menschen von heute überhaupt noch brauchbar sind, so kommt man bald zu dem Schluss, dass zwar die Rituale grundsätzlich nicht ihre Wirkung verloren haben, aber dass der moderne Mensch zur Zeit meist nicht in der Lage ist, sich wirklich darauf einzulassen: Einzulassen auf einen Weg, der ihn ganz und gar erfasst. Das wäre allerdings eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein Ritual nicht bloß zu einer folkloristischen Veranstaltung verkommt. Die Bereitschaft, ein Stück Kontrolle für eine kurze Zeit einmal beiseite zu lassen, fällt vielen Zeitgenossen sehr schwer. Tatsächlich »funktioniert« ein Ritual ohne ein gewisses Maß an eigener Beteiligung von »Leib und Seele« nicht. Alte Rituale (vor allem jene aus den großen Kirchen) sind aber leider oft durch negative Erfahrungen belastet. So ertönt vielerorts der Ruf nach zeitgemäßen, modernen und vor allem unbelasteten Ritualen. In der Tat kann man sogar eine Art »Hunger« nach möglichst fremdartigen, exotischen Ritualen feststellen.
Und so muss man sich fragen:
Braucht der Mensch überhaupt Rituale? Was bedeuten sie für unser Leben? Können traditionelle Rituale einfach übernommen werden? Oder müssen wir neue, zeitgemäße schaffen? Und wie könnten Rituale, die unserem heutigen Bewusstsein entsprechen, ausschauen?
Wenn man erst einmal begriffen hat, dass Rituale das Tor zu anderen Bewusstseinsebenen (die uns allen prinzipiell zur Verfügung stehen) sind, dann ist es eigentlich klar, dass man sich obige Fragen stellen muss. Wir alle wissen, dass nur ein kleiner Teil des Gehirns von uns Menschen genutzt wird. Es schlummern noch viele Möglichkeiten in uns. Kann und darf man sich überhaupt gegen eine Entwicklung stemmen? Liegt es nicht in unserer Natur, dass langsam die brach liegenden Teile zu ihrer Entfaltung kommen sollen?
Ziel dieses Buches ist es, die allgemeine Struktur von Ritualen und deren heilende Funktion für die menschliche Psyche kulturübergreifend herauszuarbeiten und den Weg für eigene, neue und individuelle Formen frei zu machen.
Es wird daher versucht, die Mechanismen der beteiligten Bewusstseinsschichten klar zu machen und jeden zu ermuntern, seine eigenen Rituale zu erfinden.
Lassen wir uns also auf das Unerwartete ein!
2. Zur Abgrenzung: Was sind Bräuche, Gewohnheiten, Alltagsrituale oder Zwangsrituale?
Bevor wir uns mit den Ritualen auseinandersetzen, müssen wir uns vorher einigen, wovon wir überhaupt reden, das heißt: uns die Bedeutung der Begriffe klar machen.
Rituale, Bräuche und Gewohnheiten werden im allgemeinen Sprachgebrauch fast immer verwechselt. Die Tatsache, dass es bei allen drei Formen wiederkehrende Abläufe gibt, lässt die meisten Menschen diese Begriffe wahllos vertauschen.
Wo liegen nun die Unterschiede?
Brauchtum ist ein Begriff der Volkskunde für die Bräuche und Sitten einer bestimmten menschlichen Gemeinschaft. Das Brauchtum wird in der Regel von der Mehrheit der Individuen dieser Gemeinschaft akzeptiert und weitergegeben. Ein Brauch ist eine gewachsene Tradition innerhalb einer festen sozialen Gruppe. Bräuche sind daher identitätsstiftend: Menschen, die irgendetwas miteinander gemeinsam haben (aus derselben Gegend kommen, denselben Beruf haben, dieselbe Religion ausüben …), setzen dafür ein Zeichen in Form eines Brauches. Rituale haben dagegen eine andere Funktion, als eine Gruppenzugehörigkeit zu bestätigen. Manchmal liegt allerdings über einem Ritual (zum Beispiel der spirituellen Erinnerung der Christen an die Menschwerdung eines Gottes) ein massives Brauchtum (in diesem Fall das des Weihnachtsfestes), das alles überschattet. So gibt es das speziell österreichisch gefärbte Weihnachtsfest, das die Besonderheit der hier lebenden, christlichen Menschen unterstreicht und somit zu ihrem Identitätsgefühl beiträgt.
Bräuche dienen also der Sinn- und Identitätsstiftung. Sie vereinen und wirken gemeinschaftsbildend. Bei Staatsbesuchen tönen die Nationalhymnen und die jeweiligen Flaggen werden gehisst. Sowohl Sport- und Musikvereine, Berufsgruppen und Universitäten, Kinder- als auch Jugendgruppen bilden und bewahren regionales wie nationales Brauchtum.
Die Gewohnheiten eines einzelnen Menschen hingegen werden nicht als »Brauch« bezeichnet. Bräuche sind nicht nur Ausdruck des gesellschaftlichen, religiösen und politischen Umfelds, sie sind auch die Verbindung zu unserer Vergangenheit, die sonst meist in Vergessenheit gerät. Durch sie wird uns bewusst, dass wir die Nachkommen eines reichen kulturellen Erbes sind. Bräuche zeichnen sich durch Regelmäßigkeit, Traditionsbezug sowie begrenzte und wiederkehrende Handlungsabläufe aus. Sie sind stets Verhaltensteile einer bestimmten Gruppe und bestimmen den Ablauf der Zeremonien. Sie sollen das Wesentliche dieser Gruppe näher bezeichnen, beleuchten und ihre Identität herstellen. Ein aktives Mitglied dieser Gruppe stellt sich auf sein Brauchtum ein und führt es ganz selbstverständlich aus. Obwohl Brauchtum immer mit einer Vielzahl von Menschen zu tun hat, kann ein Brauch auch die Handlung eines Einzelnen sein oder auch gänzlich vermieden werden. Heute hat das keine Konsequenzen, aber früher wurde man durchaus diskriminiert, wenn man einen Brauch boykottierte.
Viele Österreicher färben zu Ostern Eier – man kann aber auch zu Ostern weder Eier färben, noch sie essen und sich trotzdem als Österreicher fühlen. Und man kann auch ganz privat und heimlich zu einem beliebigen Zeitpunkt zu Hause Eier färben, ohne gesellschaftlich diskriminiert zu werden.
Wenn wir Sitten, Bräuche und Gewohnheiten miteinander vergleichen, sehen wir, dass mit ihnen unterschiedlich umgegangen wird. Sitten unterliegen, wenn sie nicht beachtet werden, verschiedenen Sanktionen. Traditionellerweise regelt die Sitte die Beziehung zwischen den Geschlechtern sowie viele Umgangsformen. Sie ist die hinter dem Brauch stehende moralische Ordnung und fordert z.B. Hilfsbereitschaft bei Verunfallten, Unterstützung von nahen Verwandten, ein Minimum an sozialem Empfinden sowie Respekt im Umgang mit Religiösem und Heiligem. Oft ist die Sitte auch rechtlich als »öffentliche Moral« festgelegt. Verletzt man sie (z.B. bei Grabschändung, Tiermisshandlung, öffentlicher Unzucht, Gotteslästerung etc.), gehen die Sanktionen von offener Missbilligung bis zu Ächtung und Boykott.
Anders ist es beim Brauch. Seine Nichteinhaltung (z.B. bei Geburtstagswünschen, Trinkgeld, Patengeschenken) wird wenig sanktioniert, oft sogar übergangen.
Ein Brauchtum ist zu unterscheiden zum einen vom Ritus, der die soziale mit der religiösen Welt zu verbinden sucht, zum anderen von der Gewohnheit, die eine nüchterne zweckmäßige, nicht notwendigerweise soziale Routine darstellt. Das Ritual kann (muss aber nicht) Teil des Brauchtums sein.
Bräuche – früher und jetzt
Volkskundliche Brauchtumsforschungen legten dem Brauch häufig mythologische, bis in die Gegenwart wirkende, Bedeutungen zugrunde. Meistens handelte es sich dabei um germanische oder keltische Fruchtbarkeitswünsche, Dämonenabwehr oder andere magische Handlungen. Manchmal findet man auch jetzt noch alte, »heidnische« Bräuche, wie zum Beispiel das Waschen des »Hölzernen Mannes von Pusarnitz« (einer geschnitzten Statue in Kärnten) das Regen herbeiführen soll. Interessanterweise liegt dieser hölzerne Mann in einer katholischen Kirche – ein Zeichen dafür, wie mehr oder weniger »unverhüllt« der alte, magische Glaube im Volk verankert ist.
Der Übergang von einer landwirtschaftlich geprägten zu einer industriellen, modernen Gesellschaft brachte aber oft einen Verlust der Bedeutung vieler Gewohnheiten und regionaler Bräuche mit sich, die in der vorindustriellen Welt angesiedelt waren. Dieser Traditionsverlust wird manchmal sehr bedauert. Umgekehrt stellen Volkskundler fest, dass ständig neues Brauchtum entsteht. Manche Bräuche, die besonders ehrwürdig erscheinen, sind in Wirklichkeit relativ jung – wie zum Beispiel das Erntedankfest.
Während einige bestehende Bräuche besonders gepflegt wurden, kamen andere neu auf und wurden schnell populär, zum Beispiel Importe aus anderen Kulturen wie Halloween. Zudem entstanden neue Trägergruppen, zum Beispiel Vereine. Gleichzeitig wurden Bräuche in regionaltypische, meist auf Täler bzw. Bundesländer bezogene Kulturmerkmale umgewandelt, etwa in Vorarlberg der Funkenbrauch oder in Tirol der Schemenlauf. Diese Bräuche werden gerne zur medialen Selbstdarstellung Österreichs und als Fremdenverkehrsattraktion verwendet.
Im Laufe der Zeit können Bräuche allerdings ihre Bedeutung verlieren. Hierbei erleiden sie manchmal das gleiche Schicksal wie ein Ritual, bei dem es auch durch die Entkopplung von Form und Inhalt zur Aushöhlung und Sinnentleerung kommen kann. Bräuche können sich verändern oder auch ganz vergehen. Wenn schließlich Gruppen ein Bedürfnis nach einem Brauch haben, wird ein neuer erfunden.
Bräuche fallen eben nicht vom Himmel. Sie entstehen aus vielerlei Gründen. Oft sind religiöse, wirtschaftliche, persönliche und soziale Motive miteinander verknüpft. Sie entstehen überall dort, wo Menschen zusammenleben und auch überall dort werden sie »gebraucht« – auf dem Land und in der Stadt.
Einige Kennzeichen von Bräuchen
Viele Feste verkommen heute leider zur reinen Folklore.
Der Fremdenverkehr hat rasch die ökonomische Verwertbarkeit der Bräuche erkannt und zu ihrer Weiterführung beigetragen. Die Suche nach dem angeblich »Echten« führte die Forschung zum Problem des «Folklorismus«. Folklorismus bezeichnet »die spielerische Nachahmung« volkstümlicher Motive für eine kommerzielle Nutzung, für Werbung und Tourismus. Manchmal trifft man aber noch authentische Bräuche wie das »Kufenstechen« in Kärnten oder das »Maibaum aufstellen«, wo sich die »echten« Männer beweisen müssen.
Die Dramaturgie spielt bei Bräuchen eine sehr große Rolle. Im Gegensatz zum Ritual, das durchaus auch im Stillen stattfinden kann, gibt es bei Bräuchen eine Reihe von spektakulären »Zutaten«.
Sehr beliebt sind bestimmte Speisen und deren Zubereitung. So ist es bei uns Brauch, in der Adventzeit etliche typische Plätzchen und Kekse zu backen. Obwohl man sie sonst durchaus auch genießen könnte, fällt kaum jemanden ein, im Frühling oder Sommer Vanillekipferln, Zimtsterne oder Früchtebrot zu backen.
In manchen Gegenden werden zur gleichen Zeit das Thomas-Ringgebäck oder dessen Nachfolger, die Windringe hergestellt. Das Weihnachtsfest wird auch Julfest genannt und Jul bedeutet Rad. Es ist das Rad des Jahres, das zur Wintersonnenwende seine Vollendung findet. Auch unser Adventkranz steht für das Jul-Rad.
Auch die »Lebkuchen«, die mit zahlreichen Ausstechern geformt wurden, hatten vor allem früher verschiedene Formen, die an die Wintersonnenwende und den Neuanfang erinnern sollten.
Traditionellerweise gibt es in vielen österreichischen Familien zu Weihnachten einen Mohnstrudel. Mohn ist ein Symbol der Großen Mutter. Er verkörpert Fruchtbarkeit, aber auch seit den Griechen und den Römern, den Schlaf der Vegetation.
Natürlich gibt es noch viele andere Speisen, die zum Brauchtum gehören, wie der geweihte Schinken, die Ostereier und das Osterbrot oder die in Schmalz gebackenen Krapfen im Fasching.
Besondere Dekorationen finden heute immer mehr an Bedeutung. Die Geschäfte sprudeln zu den entsprechenden Zeiten vor Oster-, Halloween-, Nikolo-, Weihnachts- oder Neujahrs-Krims-Krams über. Früher gab man kein Geld für solche Artikel aus, sondern man nahm, was die Natur zu bieten hatte.
Darüber hinaus hatten die Dinge, mit denen man das Haus schmückte, eine besondere Bedeutung, wie zum Beispiel die Mistel. Misteln wachsen in Symbiose mit Bäumen. Vermutlich haben Misteln auf Eichen eine besondere Heilkraft, da sie rituell von den Druiden mit einer goldenen Sichel unter Beachtung des Mondstandes vom Baum geschnitten wurden. Misteln galten bei den Kelten als besonders heilig. Sie waren davon überzeugt, dass diese Pflanze alle Krankheiten zu heilen und Unfruchtbarkeit bei Mensch und Tier zu beheben vermag. Später, zu christlichen Zeiten, hängte man sie in Ställen und Wohnungen auf, um die bösen Geister (der Rauhnächte) abzuwehren. Palmkätzchenbüsche mit immergrünen Zweigen vor Ostern, frische Birkenbäumchen zu Fronleichnam, Reisig und geschmückte Nadelbäume zu Weihnachten – den meisten Menschen in unserer Kultur sind sie überaus wichtig und sie wollen nicht darauf verzichten, auch wenn sie heute nur als »Stimmungsmacher« genutzt werden.
Bräuche orientieren sich
im Jahresverlauf nach den verschiedenen Qualitäten der Jahreszeiten oder Monate. So gibt es Neujahrsbrauchtum, Brauchtum im Frühling, im Sommer, im Herbst und im Winter und spezielle Bräuche für jeden Monat. Silvester hat ein reiches Brauchtum um das Glück zu beeinflussen und mit möglichst bunten und lauten Raketen die »bösen Mächte« zu verjagen. (Übrigens ein Brauch, den ich in Asien zu allen möglichen Jahreszeiten erlebte.)Der Fasching fällt in die Zeit, wo es vielen langsam durch den Lichtmangel schwer fällt, sich in guter psychischer Verfassung zu halten. Da braucht es laute und lustige Bräuche, um die Schatten von der Seele zu vertreiben. Viele Bräuche beinhalten das Element des Verkleidens: entweder in besonders eleganten Kleidern (wie auf den zahlreichen Bällen in Wien) oder in Kostümen, die es erlauben, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Dieses Ausprobieren des »Anderen« in der geschützten Atmosphäre des Brauches hat offenbar eine sehr wichtige Funktion: manche außergewöhnlichen Erlebnisse und Erfahrungen können dabei gemacht werden.
nach dem christlichen Kirchenjahr: Brauchtum zu Weihnachten (einschließlich der Adventszeit), Fasching, Fastnacht, Ostern (inkl. Fastenzeit), Pfingsten, Kirchweih, Allerheiligen…
nach religiösen Daten anderer Religionen und Kulturen (Jüdisches, Islamisches Brauchtum…)
nach den Tätigkeiten im Bauernjahr (Erntebräuche)
nach nationalen Festen
nach Phasen im Ablauf des Lebens (wie etwa Liebeswerbung, Verlobungsbrauchtum, Hochzeits- oder Bestattungsbräuche)
nach den Besonderheiten verschiedener Berufsgruppen (Bergarbeiter, Schützen, Handwerkern, Soldaten, Studenten…) Zusätzlich liefern Bräuche auch einen sozialen Rahmen, in dem man sich sicher bewegen kann. Die Zeichen, Anweisungen und Rollen für bestimmte Gelegenheiten stellen klar, wie man sich verhalten soll und was erwartet wird. Sie regeln zum Beispiel den zwischenmenschlichen Umgang bei einem Todesfall. Aber auch die Grußerwiderung oder Krankenbesuche im Spital und dergleichen gehören heute zum Brauch.
Und schließlich gibt es eine Reihe von »magischen Handlungen«, die selbst von normalerweise ganz nüchternen Menschen ausgeführt werden. So sitzen viele Millionen Menschen während der Olympiade vor den Fernsehern und drücken für bestimmte Sportler die Daumen. Sie wissen zwar nicht, ob es wirklich hilft, wenn man den Daumen mit den anderen Fingern derselben Hand quetscht, aber sie haben echte Schuldgefühle, wenn sie dies vergessen haben und ihr spezieller Favorit nicht gewonnen hat.
Wie sich Bräuche im Laufe der Zeit ändern können
In Mitteleuropa kommen um »Dreikönig« herum die Sternsinger in alle Häuser und bieten an, eine Formel mit Kreide auf den Türsturz zu schreiben.
Diese Formel sieht je nach Jahr etwa so aus: 20 C+M+B 17. Dabei steht C für Caspar, M für Melchior und B für Balthasar, die angeblich die »Heiligen Drei Könige« waren und nun in dem gegenwärtigen Jahr das Haus beschützen sollen.
Sucht man aber nach Belegen in der Vergangenheit, kommen ganz andere Fakten zu Tage: Die Namen der Heiligen Drei Könige erscheinen zuerst bei Beda Venerabilis, einem frühmittelalterlichen englischen Theologen und Geschichtsschreiber. Der klaute die Namen in orientalischen Legenden. Balthasar ist der chaldäische Name der Propheten Daniel, Melchior ist hebräisch und bedeutet »Mein König ist Licht«, Casper heißt in älteren Legenden Gathaspar, in syrischen Quellen ist er der Magier Gudophorhem und der ist schließlich der indisch-parthische König Gondophares.
Nach anderer Theorie bedeuten C+M+B »Christus Mansionem Benedicat«, übersetzt »Christus beschützt dieses Haus«. Durchaus nicht zufällig haben diese drei Anfangsbuchstaben eine wichtige und alte Bedeutung. Im Mittelalter standen sie für die drei gütigen Frauen Catharina, Margareta und Barbara. In heidnischen Zeit hatten sie als Vorgängerinnen die sogenannten »drei Bethen« von denen man im Alpenraum noch mancherlei Zeugen findet: Anbeth, Wilbeth und Borbeth, die einerseits für die drei Stadien der Frau (Jungfrau, Mutter und alte Weise), andererseits für Erde, Mond und Sonne stehen.
Dieses (und viele andere Beispiele zeigen), dass häufig Teile verschiedener Mythen und Legenden zu einer neuen, angeblichen »Entstehungsgeschichte« zusammengemixt wurden und in einen nahezu beliebigen Kontext gestellt wurden. Dieser wurde dann über einige Generationen weiter überliefert und erhielt bald einen Nimbus von »schon immer Dagewesenen«.
Bräuche stützen Gruppen
Bräuche geben Halt, Struktur und Ordnung, wo wir die unübersichtliche Welt nicht mehr begreifen können. Sie sind Fixpunkte, an denen man sich orientieren kann. Jeder, der einen schmerzlichen Verlust von geliebten Menschen oder Besitz erlebt hat oder andere Krisen erfährt weiß, wie gut es tut, wenigstens ein Minimum an Gewohntem und Vertrautem in seinem Leben zu haben. Seit jeher haben daher die Kulturen Bräuche auch für schwierige Situationen geschaffen. Vermutlich meint man diese verankerten Verhaltensformen, wenn man von »Heimat« spricht. Es sind wohl weniger die bekannten Berge und Täler, als die Verhaltensweisen, bei denen man sich auskennt, die einem das angenehme Gefühl einer bestimmten Vertrautheit geben. So treffen sich meist in der Fremde diejenigen, die dieselben Bräuche kennen, um sich gegenseitig das Gefühl der Fremdheit zu erleichtern. Das kann man nicht nur bei Auslandsösterreichern oder bei ausländischen Bewohnern in unserem Land beobachten. Sogar Menschen aus den Bundesländern, die es in die Hauptstadt gespült hat, »rotten« sich in Vereinen zusammen, um die spezielle Eigenart ihrer Heimat und ihre Bräuche zu pflegen. Durch die identitätsstiftende Funktion des Brauchtums wird das manchmal aus den Fugen geratene Leben wieder in eine Ordnung gebracht. Aber auch die sehr persönlichen Familienbräuche verbinden.
Untersuchungen über Problemlösungen in Familien ergaben, dass es offenbar sehr wichtig ist, ein spezielles Familienmuster zu entwickeln, das die Mitglieder eint. Es ist ein Fundament von gemeinsamen Vorstellungen und Überzeugungen. Zur Aufrechterhaltung dieses Musters entwickeln Familien ganz bestimmte Mechanismen. Einerseits gibt es Verhaltensmuster, die zur alltäglichen Routine der Familie gehören und ihr gewöhnlich gar nicht bewusst sind. Andererseits spielen Familienzeremonien im Bewusstsein der Familie eine sehr wichtige Rolle. Sie haben einen hohen Symbolwert und bleiben manchmal über lange Zeit erhalten.
Es gibt Familien, in denen sich die Eltern weiterentwickelt haben und manche Bräuche loslassen wollen, aber die erwachsenen, längst ausgezogenen Kinder wider Erwarten besonderen Wert auf ein bestimmtes Essen zu Weihnachten oder bestimmte Spiele zum Jahreswechsel legten. Es legt den Schluss nahe, dass Kinder, deren Verbindungsglieder zur Ursprungsfamilie immer weniger werden, weil sie mittlerweile einen eigenen Bezugskreis geschaffen haben, über ein paar alte Bräuche Nähe herstellen wollen und können.Der Zusammenhalt einer Familie hängt daher von der Aufrechterhaltung ihrer Muster ab. Man kann Familien also nur sehr empfehlen, sich ihre besonderen Zeremonien zu schaffen und sie zu pflegen. Manchmal sind es auch nur ein paar »Insider«, Familienwitze oder bestimmte Speisen zu diversen Gelegenheiten.
Gewohnheiten und sogenannte »Alltagsrituale«
Eine Gewohnheit stellt eine zweckmäßige Routine dar. Sie kann ein Teil des Tagesablaufes eines einzelnen Menschen oder auch vieler Menschen sein, trotzdem kann man sie nicht zum Brauchtum einer Gesellschaft zählen. Das Lesen einer Zeitung im Zug oder das Einschalten des Fernsehgeräts am Abend sind individuelle Gewohnheiten. Auch wenn sehr viele Menschen abends ihren Fernseher einschalten, fehlt dieser Betätigung das identitätsstiftende Element des »Brauchs«.
Die »Gesellschaft der Fernseher« gibt es (zumindest offiziell) nicht und niemand wird diskriminiert, wenn er einmal seinen Abend anders verbringt. Ebenso ist das Zähneputzen zwar wichtig für die Gesundheit, aber es beinhaltet keinerlei moralischen Anspruch. Es ist eindeutig Privatsache und daher weder als Brauch noch als Ritual zu bezeichnen.
Umgangssprachlich wird oft von »Alltagsritualen« gesprochen. Gemeint sind allerdings Gewohnheiten, also sich im Alltag wiederholende Handlungen, die man nicht immer neu hinterfragt und die deshalb etwas Entspannendes, Beruhigendes, Sicherheit vermittelndes haben.
In Zeiten, in denen kaum etwas länger gewiss ist, weder am Arbeitsplatz noch im Privatleben, suchen wir umso mehr nach Fixpunkten, Sicherheiten und Entlastungen vom Stress der ständig neuen Herausforderungen. Die Gewohnheiten der Familie oder im Freundeskreis helfen. Während der gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen man gerne und aufmerksam miteinander spricht, Sorgen loswerden kann und Anerkennung erfährt, kommt die Welt für eine Zeit lang zur Ruhe und wir in ihr.
Diese »Alltagsrituale« sind also überaus sinnvolle Einrichtungen. Sie geben oder bringen Struktur in ein Leben, das aus den Fugen zu geraten droht und helfen den Alltag zu rationalisieren. Wer sich auf seine Gewohnheiten verlassen kann, der muss nicht täglich darüber nachdenken, ob er sich duschen, sich Socken anziehen oder die Suppe mit dem Löffel essen soll. Auch in schwierigen Zeiten muss man seine Kraft nicht für diese kleinen Entscheidungen vergeuden. Erziehung bedeutet daher auch, kleinen Kindern nützliche Gewohnheiten anzulernen. Es fehlt aber ohne Zweifel der Bezug zu anderen Bewusstseinsebenen oder eine spirituelle Ausrichtung. Beides ist für Rituale ausschlaggebend.
Diese sogenannten Alltagsrituale sind also keine Rituale in unserem Sinne. Ich möchte sie daher in Zukunft nicht so benennen und von unserem Thema ausklammern.
Zwangsrituale
Wie wir später sehen werden, bringen Rituale Ordnung in unser Leben. Das ist die gute Seite.
Aber natürlich lässt sich auch jede Ordnung übertreiben: Ein streng durchstrukturiertes Leben erstickt die Spontanität und die Lebendigkeit leidet. Und daher kann man sich fragen: Gibt es auch ein Zuviel an Alltagsritualen?