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Wege zur Rechtsgeschichte

Ulrike Babusiaux

Hans-Peter Haferkamp

Sibylle Hofer

Peter Oestmann

Johannes Platschek

Tilman Repgen

Adrian Schmidt-Recla

Andreas Thier

Jan Thiessen

Ulrike Babusiaux

Wege zurRechtsgeschichte:Römisches Erbrecht

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Prof. Dr. Ulrike Babusiaux lehrt Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.

Umschlagabbildung:

Affresco con scena di giudizio dai predia di Giulia Felice (Fresko mit einer Gerichtsszene aus dem Haus der Julia Felix) inv. 9067. (Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli, rif. prot. n. 2611 del

22. 04. 2020, classifica 28. 10. 13). Fotograf: Luigi Spina

2., überarbeitete Auflage 2021

© 2021, 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar

Lindenstraße 14, D-50674 Köln

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Korrektorat: Lektorat Schütz, Kassel

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz: büro mn, Bielefeld

EPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

UTB-Band-Nr. 4302 | ISBN 978-3-8252-5291-5 | eISBN 978-3-8463-5291-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

1 Einleitung

1.1 Ein römisches Testament aus dem Jahr 142 n. Chr.

1.2 Quellen des römischen Erbrechts

1.2.1 Beispiel eines Digestenfragments

1.2.2 Interpolationenkritik

1.2.3 Institutionen des Gaius

1.3 De testamentis et de legatis

1.3.1 Die Komplexität des römischen Erbrechts

1.3.2 Zur Methode der römischen Juristen

1.3.3 Drei Leitfragen

1.4 Gang der Darstellung

2 Voraussetzungen

2.1 Der allgemeine historische Rahmen

2.1.1 Die römische Republik

2.1.2 Der Prinzipat

2.1.3 Die Spätantike

2.1.4 Zeitlicher Rahmen dieses Lehrbuchs

2.2 Rechtsschichten des römischen Privatrechts

2.2.1 Ius naturale

2.2.2 Ius civile

2.2.3 Ius praetorium und ius honorarium

2.2.4 Ius civile und ius novum im Prinzipat

3 Das Intestaterbrecht

3.1 Die Familie als Hierarchie

3.1.1 Das Erbrecht der Hauskinder

3.1.2 Die emancipatio des Hauskindes

3.1.3 Das Erbrecht der Agnaten

3.1.4 Das Intestaterbrecht von Frauen

3.1.5 Das Erbrecht der Gentilen

3.2 Die Intestaterbfolge des ius praetorium

3.2.1 Die erste Klasse der prätorischen Erben

3.2.2 Die zweite und dritte Klasse der prätorischen Erben

3.2.3 Das prätorische Ehegattenerbrecht

3.3 Konkurrenz zwischen ius civile und ius praetorium

3.3.1 Bonorum possessio sine recum re

3.3.2 Nova clausula Iuliani im Intestaterbrecht

3.4 Kaiserrechtliche Korrekturen

3.4.1 Senatusconsultum Tertullianum

3.4.2 Ius novum und ius antiquum

3.4.3 Senatusconsultum Orfitianum

3.5 Fazit zum Intestaterbrecht

4 Die Erbenstellung

4.1 Der Erbschaftserwerb nach ius civile

4.1.1 Die Miterbengemeinschaft

4.1.2 Die Anwachsung bei Testamentserben

4.1.3 Anfall und Antritt der Erbschaft

4.1.4 Die Ersitzung der Erbenstellung

4.2 Der Erbschaftserwerb nach ius praetorium

4.2.1 Prätorische Regeln zur Erbenstellung nach ius civile

4.2.2 Der Nachlassbesitz als prätorisches Erbrecht

4.2.3 Venditio bonorum

4.2.4 Der Sklave als Zwangserbe

4.3 Die Erbfähigkeit nach ius civile und ius praetorium

4.3.1 Die Vormundschaft über Frauen

4.3.2 Erbfähigkeit von Gewaltunterworfenen

4.4 Erwerbsfähigkeit und Erwerbswürdigkeit des ius novum

4.4.1 Die Kaduzitätsfolgen der lex Iulia et Papia

4.4.2 Das Ehegattenerbrecht der lex Iulia et Papia

4.4.3 Erbunwürdigkeit (indignitas)

4.5 Fazit zur Erbenstellung

5 Der Schutz des Erbrechts

5.1 Legisaktionen- und Sponsionsverfahren

5.2 Die hereditatis petitio des Formularprozesses

5.3 Bonorum possessio und Erbschaftsklage

5.4 Kaiserliches Recht: Das senatusconsultum Iuventianum

5.4.1 Die einzelnen Rechtsfolgen

5.4.2 Fiskal- und Privatprozess

5.5 Fazit zum Schutz des Erbrechts

6 Die testamentarische Erbfolge

6.1 Das Testament nach ius civile

6.1.1 Manzipationstestament

6.1.2 Testierfähigkeit

6.1.3 Erbeinsetzung

6.1.4 Einsetzung von Miterben

6.1.5 Ersatzerbenbestimmung (substitutiones)

6.2 Unwirksamkeit und Aufhebung des Testaments nach ius civile

6.2.1 Verlust der Testierfähigkeit

6.2.2 Institutio ex certa re

6.2.3 Widerruf des Testaments

6.3 Das Testament nach ius praetorium

6.3.1 Maßgeblichkeit der Testamentsurkunde

6.3.2 Widerruf nach ius praetorium

6.3.3 Gesetzlicher Fälschungsschutz

6.4 Das formlose Testament des Kaiserrechts

6.4.1 Formlose Nachträge (Kodizille)

6.4.2 Das Soldatentestament

6.4.3 Persönlicher Geltungsbereich des Soldatentestaments

6.4.4 Ius singulare

6.5 Fazit zum Testamentsrecht

7 Der Schutz der Erwerbserwartung und Enterbungsregeln

7.1 Enterbungsregeln des ius civile

7.1.1 Enterbung des Haussohnes

7.1.2 Bedingte Erbeinsetzung des Haussohnes

7.1.3 Enterbung übriger Hauskinder

7.1.4 Nachgeborene Hauskinder (postumi)

7.2 Die Modifikationen des ius praetorium

7.2.1 Bonorum possessio contra tabulas

7.2.2 Teilhabe an fremder bonorum possessio contra tabulas

7.2.3 Collatio bonorum

7.2.4 Das Nachrücken von Hauskindern im prätorischen Edikt

7.3 Prätorische Teilwirksamkeit des Testaments

7.3.1 Edikt de legatis praestandis

7.3.2 Erhalt des Erbteils

7.4 Die Beschwerde wegen pflichtwidrigen Testaments

7.4.1 Die Pflichtwidrigkeit des Testaments

7.4.2 Klage gegen mehrere Erben

7.4.3 Konkurrenzen und Abgrenzungsfragen

7.5 Fazit zum Enterbungsrecht

8 Das Vermächtnisrecht

8.1 Legate nach ius civile

8.1.1 Vindikations- und Damnationslegat

8.1.2 Duldungs- und Präzeptionslegat

8.1.3 Nebenbestimmungen zum Legat

8.1.4 Erwerb des Legats

8.2 Unwirksamkeit und Beschränkungen des Legats nach ius civile

8.2.1 Inhaltsmängel

8.2.2 Legatsbeschränkungen, lex Falcidia

8.3 Prätorischer Schutz im Legatsrecht

8.3.1 Interdictum quod legatorum

8.3.2 Cautio legatorum servandorum causa

8.4 Kaiserzeitliche Eingriffe in das Legatsrecht des ius civile

8.4.1 Das senatusconsultum Neronianum

8.4.2 Lex Iulia et Papia

8.5 Formlose Vermächtnisse des ius novum (Fideikommisse)

8.5.1 Zur Formlosigkeit des Fideikommisses

8.5.2 Erbschaftsfideikommiss

8.5.3 Familienfideikommiss

8.6 Die weitere Ausgestaltung des Rechts der Fideikommisse

8.6.1 Senatusconsultum Trebellianum

8.6.2 Senatusconsultum Pegasianum

8.6.3 Heimliche Fideikommisse

8.7 Fazit zum Vermächtnisrecht

9 Die Auslegung von Testamenten

9.1 Auslegungsmaximen des ius civile

9.1.1 Plus nuncupatum quam scriptum

9.1.2 Voluntatis quaestio

9.1.3 Legatsrecht: falsa demonstratio non nocet

9.2 Die geringe Bedeutung der Testamentsauslegung im ius praetorium

9.3 Auslegung im ius novum

9.3.1 Materielle Auslegungsprinzipien

9.3.2 Umdeutung von ius civile in ius novum

9.4 Fazit zur Auslegung

10 Ergebnisse

10.1 Rechtsschichten des römischen Erbrechts

10.2 Entwicklungslinien des römischen Privatrechts

10.3 Die römische Rechtsfindung

10.4 Zur Komplexität des römischen Erbrechts

Literatur

Abkürzungen

1. Einleitung

2. Voraussetzungen

3. Das Intestaterbrecht

4. Die Erbenstellung

5. Der Schutz des Erbrechts

6. Die testamentarische Erbfolge

7. Der Schutz der Erwerbserwartung und Enterbungsregeln

8. Das Vermächtnisrecht

9. Die Auslegung von Testamenten

Quellenverzeichnis

Literarische Quellen

Vorjustinianische Rechtsquellen und Sammelwerke

Corpus iuris civilis

Orts- und Personenregister

Sachregister

Übersichten

Übersicht 1: Corpus iuris civilis

Übersicht 2: Erläuterung eines Digestenfragments

Übersicht 3: Das Erbrecht in Gaius’ Institutionen

Übersicht 4: Kapiteltitel in den Abschnitten zum Universalerwerb bei Gaius

Übersicht 5: Zeittafel zur Orientierung

Übersicht 6: Die Jurisprudenz der Kaiserzeit

Übersicht 7: Zeitlicher Rahmen dieses Lehrbuchs

Übersicht 8: Rechtsschichten der Kaiserzeit

Übersicht 9a: Erbfolge der Hauskinder

Übersicht 9b: Nachrücken der Abkömmlinge

Übersicht 9c: Kein Nachrücken bei weiblichen Hauskindern

Übersicht 10: Nova clausula Iuliani

Übersicht 11: Rangfolge der Erbschaft der Mutter nach ihrem Kind

Übersicht 12: Anwendungsprüfung von ius novum und ius antiquum

Übersicht 13: Rechtsschichten des kaiserzeitlichen Intestaterbrechts

Übersicht 14a: Anwachsung bei unterschiedlichen Erbteilen

Übersicht 14b: Anwachsung bei coniunctio re et verbis

Übersicht 15: Vergleich von üblicher Ersitzung und Erbschaftsersitzung

Übersicht 16: Die Fiktion zur Klageerteilung an den bonorum possessor

Übersicht 17: Entwicklung der Vormundschaft über die Frau (tutela mulieris)

Übersicht 18: Verteilung des caducum an die im Testament bedachten Eltern

Übersicht 19: Voraussetzungen der Erbenstellung seit der lex Iulia et Papia

Übersicht 20: Die Regelungen des senatusconsultum Iuventianum

Übersicht 21: Entwicklungsstufen der hereditatis petitio

Übersicht 22: Erbeinsetzung nach dem System des As

Übersicht 23: Voraussetzungen des wirksamen Testaments nach ius civile

Übersicht 24: Unwirksamkeitsgründe des Testaments nach ius civile und ius praetorium

Übersicht 25: Die vier Arten des Kodizills

Übersicht 26: Umdeutungsmöglichkeiten des Testaments durch Kodizill

Übersicht 27: Konsequenzen der Formfreiheit des Soldatentestaments

Übersicht 28: Das Verbot des Übergehens des Haussohnes nach ius civile

Übersicht 29: Enterbungsregeln für nachgeborene Kinder (postumi)

Übersicht 30: Das Fallbeispiel Julians zur collatio bonorum

Übersicht 31: Wirtschaftliche Gründe für den Antrag auf bonorum possessio contra tabulas des emancipatus

Übersicht 32: Auswirkungen der nova clausula Iuliani

Übersicht 33: Das System der bonorum possessio contra tabulas

Übersicht 34: Entwicklungsstufen des Enterbungsrechts

Übersicht 35: Legatsformen des ius civile

Übersicht 36: Erwerb des Legats bei Beifügung verschiedener Nebenbestimmungen

Übersicht 37: Stufen des prätorischen Schutzes des Legatars

Übersicht 38: Ursprüngliche Abweichungen zwischen Legaten und Fideikommissen

Übersicht 39: Die Regelungen des senatusconsultum Pegasianum zum Ausgleich zwischen Erbe und Fideikommissar

Übersicht 40: Fortbestehende Differenzen zwischen Fideikommiss- und Legatsrecht

Übersicht 41: Regeln der Testamentsauslegung nach ius civile

Übersicht 42: Umdeutungsentscheidungen vom ius civile zum ius novum

Vorwort zur 2. Auflage

Die erste Auflage des Lehrwerkes hat gute Aufnahme gefunden, so dass eine zweite Auflage auch von Verlagsseite gewünscht wurde. Sie bot zudem die Gelegenheit, manche Schwächen des Erstlings zu beseitigen. Geblieben sind die mit diesem Lehrwerk verfolgten Anliegen. So wird nach wie vor eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Rechtsgebiet des römischen Privatrechts geboten, also eine Akzentsetzung gegenüber den bisher meist üblichen Gesamtdarstellungen. Unverändert ist auch das Anliegen, dem römischen Erbrecht einen Platz in der Ausbildungsliteratur zu geben, um einerseits seiner historischen Bedeutung gerecht zu werden, andererseits, die historische Schichtung des römischen Privatrechts auch für Student*innen erfahrbar zu machen.

Für den Anstoß, diesen Ansatz in einem Unterrichtswerk zu verfolgen, danke ich erneut Prof. Dr. Peter Oestmann (Münster), der die Idee einer neuen Lehrbuchreihe aufgebracht und das Konzept entscheidend geprägt hat. Es mag für die Tragfähigkeit dieses Konzeptes sprechen, dass das Lehrbuch von Prof. Dr. Minoro Tanaka (Nagora) und Prof. Dr. Takeshi Sasaki (Kyoto) ins Japanische übertragen wurde, wofür ich beiden sehr verbunden bin.

Im Einzelnen zu Dank verpflichtet bin ich Prof. Dr. Ulrich Manthe (Passau) für den Korrekturhinweis zur Datierung des senatusconsultum Trebellianum, Prof. Dr. Jens Peter Meincke (Köln) für Hinweise zum richtigen Verständnis des senatusconsultum Tertullianum sowie Prof. Dr. Minoru Tanaka (Nagora) zur Interpretation von D. 35.1.102 Papinianus 9 responsorum. Vor allem aber hat diese neue Version von den vielfältigen kritischen Anmerkungen meiner Mitarbeiterin, Frau lic. phil. Thamar Xandry profitiert, die sich nicht nur den Mühen einer umfassenden Korrektur meines Textes, sondern vor allem auch den Detailproblemen der Übersetzung angenommen hat. Ihre philologischen und textkritischen Hinweise haben zu einer Totalrevision der meisten Übersetzungsvorschläge geführt. Dabei wurden die bestehenden Übersetzungen zur Überprüfung und Anregung herangezogen (Nachweise, Fn. 6), niemals aber einfach übernommen.

Dank gilt schließlich Frau stud. iur. Alice Isepponi, die mich bei der Aktualisierung des Literaturverzeichnisses unterstützt hat, sowie Frau Yvonne Kastner, Herrn BLaw Silvan Schmidt und Frau BLaw Nicole Jaggi für diverse Korrekturarbeiten an der neuen Version.

Meinen Student*innen in Zürich, die das Lehrwerk nun seit mehr als 10 Semestern nutzen, danke ich für ihre Anregungen und Rückfragen, die immer wieder neue Aspekte der altbekannten Fragen zu Tage treten lassen. Ihnen sei das Werk daher gewidmet.


Zürich, im Juli 2020Ulrike Babusiaux

1 Einleitung

1.1 Ein römisches Testament aus dem Jahr 142 n. Chr.

Im Jahr 1940 veröffentlichten die französischen Papyrologen Octave Guéraud und Pierre Jouguet ein römisches Testament. Es bildet bis heute das einzige, fast vollständig überlieferte Exemplar eines original römischen Testaments auf Wachstäfelchen:

Antonius Silvanus eques alae primae

Thracum Mauretanae, stator praefecti,

turma Valeri, testamentum

fecit. Omnium bonorum meorum

castrensium et domesticum

Marcus Antonius Satrianus

filius meus ex asse mihi heres

esto. Ceteri alii omnes exheredes

sunto. Cernitoque hereditatem

meam in diebus centum proximis. Ni

ita creverit, exheres esto. Tunc

secundo gradu (Marcus?) Antonius

R………………… lis frater

meus mihi heres esto cernitoque

hereditatem meam in diebus

sexaginta proximis. Cui do lego, si mihi

heres non erit, denarios argenteos septingentos

quinquaginta. […]

[…] Do lego Anthoniae Thermutae

matri heredis mei supra scripti denarios argenteos

quingentos. Do lego praefecto meo

denarios argenteos quinquaginta. […]

Hoc testamento dolus malus abesto. Familiam pecuniamque

testamenti faciendi causa emit Nemonius

duplicarius turmae Mari, libripende Marco Iulio

Tiberino sesquiplicario turmae Valeri,

antestatus est Turbinium signiferum turmae

Proculi. Testamentum factum

Alexandreae ad Aegyptum in castris Augustis

hibernis legionis Secundae Traianae Fortis

et alae Mauretanae, sextas kalendas

Apriles Rufino et Quadrato consulibus. […]1

Antonius Silvanus, Reiter der ersten mauretanischen Reiterabteilung

von Thrakern, Gehilfe des Präfekten,

Zug des Valerius, hat sein Testament

gemacht: Über mein gesamtes Vermögen,

das im Lager befindliche und das häusliche,

soll mein Sohn Markus Antonius Satrianus

mein Alleinerbe sein.

Alle übrigen anderen sollen enterbt

sein. Und er soll meine Erbschaft

in den nächsten 100 Tagen förmlich antreten. Wenn er sie nicht

auf diese Weise angetreten hat, soll er enterbt sein. Dann

soll in zweiter Linie (Marcus?) Antonius

R ………., mein Bruder (oder Cousin),

mein Erbe sein und er soll

meine Erbschaft in den nächsten 60 Tagen

förmlich antreten. Diesem vermache ich mittels Vindikationslegat, wenn er

nicht mein Erbe sein wird, 750

Silberdenare. […]

[…] Ich vermache mittels Vindikationslegat der Antonia Thermutha,

der Mutter meines oben eingetragenen Erben,

500 Silberdenare. Ich vermache mittels Vindikationslegat meinem Präfekten

50 Silberdenare. […]

Diesem Testament soll Arglist fern sein. Das gesamte Vermögen

hat, um ein Testament zu errichten, Nemonius,

Vorreiter vom Zug des Marius, gekauft, während Markus Julius Tiberinus Waaghalter war,

Untervorreiter vom Zug des Valerius,

er hat Turbinius zum Zeugen angerufen, den Fahnenträger des Zugs des

Proculus. Das Testament wurde

in Alexandria bei Ägypten in den kaiserlichen

Winterlagern der Zweiten Trajanischen Legion, der Tapferen,

und der mauretanischen Reiterabteilung am 27. März 142 n. Chr.

unter dem Konsulat des Rufinus und des Quadratus errichtet. […]

Das hier nur auszugsweise wiedergegebene Testament des Antonius Silvanus vom 27. März 142 n. Chr. zeigt die minutiöse Planung des Erblassers: Es beschränkt sich nicht auf die Einsetzung eines Erben, sondern bestimmt auch einen Ersatzerben für den Fall, dass der eingesetzte Erbe nicht antreten will oder kann, und setzt Vermächtnisse aus. Das einmalige Zeugnis gewährt einen Einblick in die römische Testierpraxis und damit in das wichtigste Dokument, das ein Römer im Laufe seines Lebens errichten konnte. Obwohl zweifelhaft ist, ob der Testator in diesem Fall überhaupt das römische Bürgerrecht hatte, folgt sein Testament erkennbar den Vorgaben, die das im 2. Jahrhundert n. Chr. geltende römische Recht für die Errichtung von Testamenten vorsah. Die Regeln der Testamentserrichtung sowie die Rechtsfolgen, die ihre Nichtbeachtung zeitigen, ergeben sich aus dem Erbrecht als dem Teil des Vermögensrechts, der die Übertragung des ‚Pflichtenlebens‘ nach dem Tod des Inhabers regelt. Die für Rom gültigen erbrechtlichen Regeln lassen sich aus den Schriften der römischen Juristen erschließen.

Genauso wie die römischen Testamente sind jedoch auch die Juristenschriften weder unversehrt noch vollständig erhalten. Die Hauptquelle des römischen Juristenrechts aus der Zeit vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. bildet eine als Gesetzgebungswerk konzipierte Sammlung der römischen Rechtsquellen durch den byzantinischen Kaiser Justinian I. (527 – 565 n. Chr.).

1.2 Quellen des römischen Erbrechts

Im Rahmen seines Programms der Wiederherstellung der territorialen und rechtlichen Reichseinheit ließ Kaiser Justinian Auszüge aus den römischen Juristenschriften und der Gesetzgebung der römischen Kaiser anfertigen, um sie als eigenes Gesetzbuch zu verkünden. Da sich dieses Gesetzbuch wesentlich auf die Wiederverwertung der römischen Rechtstradition stützt, wird die Sammlung Justinians auch als Kompilation bezeichnet (von compilare, wörtlich „ausrauben“, „ausplündern“). Seit der Neuzeit hat sich – in Abgrenzung vom kirchlichen Recht (Corpus iuris canonici) – der Name Corpus iuris civilis durchgesetzt.

Den ersten Teil der Kompilation bildet ein Lehrbuch des Kaisers Justinian für den juristischen Anfänger, das den Titel Institutiones (instituere = „beginnen; unterrichten“, davon Institutiones = „Anweisungen, Unterricht“) trägt. Der zweite Teil, Digesta, besteht aus verschiedenen Ausschnitten (Fragmenten) aus den Schriften der Juristen des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Der dritte Teil, Codex, erfasst die Rechtsanordnungen (Konstitutionen) der Kaiser seit Hadrian (117 – 138 n. Chr.) bis zu Diokletian (284 – 305 n. Chr.), berichtet also über die kaiserliche Rechtssetzung der Zeit vom 2. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. Der Codex ist lediglich in einer zweiten, überarbeiteten Fassung überliefert. Erst der vierte Teil der Kompilation ist ein eigenes Werk Kaiser Justinians. Es handelt sich um Rechtsanordnungen, die Justinian zur Reformierung des überlieferten römischen Rechts erließ. Sie werden entsprechend ihrer reformatorischen Intention als Novellen (Novellae – von novus = „neu“) bezeichnet und sind zumeist in griechischer Sprache überliefert.

Übersicht 1: Corpus iuris civilis


Den für die Kenntnis des antiken römischen Rechts wichtigsten Teil der justinianischen Kompilation bilden die in den Digesten gesammelten Auszüge aus den Juristenschriften. Der Name Digesta (von digerere = „zerteilen, ordnen“) wird schon von den römischen Juristen für ihre Schriften verwendet; er bezeichnet eine nach Themen geordnete Sammlung der von einem Juristen erteilten Rechtsauskünfte und Rechtsentscheidungen. Das griechische Pendant Pandectae (pandectes – „das alles in sich Fassende“) betont dagegen den umfassenden Charakter der Sammlung. Beide Bezeichnungen des justinianischen Werkes deuten auf den Zweck der Kompilation hin: Sie sollte erschöpfend über den Stand des Rechts informieren. Ihr Ziel war es, den Rechtsunterricht und die Rechtspraxis zu Justinians Zeit auf eine einheitliche und autoritative Basis zu stellen.

Diesem Zweck entsprach auch der Auftrag, den Kaiser Justinian (527 – 565 n. Chr.) der für die Digestenkompilation eingesetzten Kommission von juristischen Experten erteilte: Sie sollte die Auswahl aus den verfügbaren Juristenschriften so vornehmen, dass die jeweils treffendste Formulierung für eine Rechtsaussage gewählt und unnötige Wiederholungen gestrichen würden. Gleichzeitig sollten Widersprüche beseitigt werden, also insbesondere Berichte über Kontroversen zwischen einzelnen römischen Juristen gestrichen werden. Das so ausgewählte Material sollte in 50 Bücher eingeteilt sein, die ihrerseits in (sachlich geordnete) Titel untergliedert werden sollten. Diese Ordnung strebte eine Verbesserung der Zugänglichkeit zum Recht und eine Rechtsvereinheitlichung an. Der Preis für diese Harmonisierung war der Verlust eines Großteils des Ausgangsmaterials: Von Kaiser Justinian selbst erfährt man auch, dass nur etwa 5 % der Juristenschriften in die Digesten aufgenommen wurden. Das Übrige ist dagegen nahezu vollständig verloren gegangen.

Die ursprüngliche Fülle des Ausgangsmaterials lässt sich noch aus den Inskriptionen (von inscriptio = „Überschrift, Titel“) ablesen, welche die Kompilatoren den Auszügen vorangestellt haben. So stehen über jedem Fragment, das Aufnahme in die Digesten gefunden hat, der Name des Juristen, aus dessen Schriften das Fragment entnommen wurde, sowie der Titel des Werkes, meist unter Angabe der Buchnummer oder der Nummer der Papyrusrolle, auf der sich die Ausführungen befanden. Die Inskription gibt damit Aufschluss über den Urheber sowie den Anlass und die Entstehungszeit des durch Justinian überlieferten Textes und erlaubt oftmals eine Hypothese über den ursprünglichen Kontext der juristischen Aussage.2

1.2.1 Beispiel eines Digestenfragments

Die jeweilige Textstelle aus den Schriften der römischen Juristen wird im Folgenden nach der Fundstelle in Kaiser Justinians Digesten („D.“) angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle bezeichnet die erste Ziffer das Buch der justinianischen Digesten, die zweite den Abschnitt innerhalb eines Buches und die dritte steht für das einzelne Fragment, das heißt das eigentliche Juristenzitat, auch lex genannt. Im Mittelalter treten noch weitere Unterteilungen, sogenannte Paragraphen hinzu, die auch in den heute verwendeten Ausgaben am Rande vermerkt werden. Zu beachten ist die Zählung der Paragraphen. Sie beginnt mit der Einleitung (principium), die mit pr. bezeichnet wird; erst danach folgt die Zählung mit 1, 2, 3 etc. Gleichsinnig wird auf die Institutionen Justinians mit „Inst.“ und entsprechender Zahlenfolge sowie auf den Codex Iustinianus mit „C.“ verwiesen. Beim Codex Iustinianus nennt die Inskription den oder die Kaiser, welche die Entscheidung getroffen haben; soweit bekannt, wird auch das Datum und der Adressat des Erlasses mitgeteilt.

Als Beispiel für die Zitierung eines Digestenfragments soll ein Auszug aus dem fünften Titel des 28. Buches der justinianischen Digesten dienen, der sich mit den Voraussetzungen der Erbeinsetzung (institutio heredis) befasst:

Übersicht 2: Erläuterung eines Digestenfragments


Mit D. 28.5.1pr. wird auf die Fundstelle des Fragments in Kaiser Justinians Sammlung verwiesen, die von Justinians Kompilatoren eingefügte Inskription „Ulpianus libro primo ad Sabinum“ gibt dagegen Aufschluss über den ursprünglichen Sinnzusammenhang des zitierten Satzes: Es handelt sich um Ausführungen aus dem ersten Buch von Ulpians Sabinus-Kommentar. Thema des Fragments ist die Reihenfolge der Anordnungen im Testament; dabei wird festgehalten, dass die Erbeinsetzung an erster Stelle zu stehen hat. Nur im Ausnahmefall kann eine ausdrückliche Enterbung noch vor der Erbeinsetzung erfolgen. Alle anderen Anordnungen, die vor der Erbeinsetzung geschrieben stehen, sind dagegen unwirksam. Es fällt sofort ins Auge, dass Antonius Silvanus (Kap. 1.1) diese Regel befolgt hat, da sein Testament mit der Erbeinsetzung seines Sohnes beginnt.

Wie verlässlich sind aber die aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammenden justinianischen Quellen, um den Rechtszustand der Zeit vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. zu beschreiben? Die Frage nach der Authentizität der in der Kompilation überlieferten Schriften der römischen Juristen zielt weniger auf Überlieferungsmängel wie Abschreibfehler oder Verluste von Buchseiten als vielmehr auf zielgerichtete Eingriffe der Mitarbeiter Kaiser Justinians. Ausmaß und Tragweite derartiger Veränderungen werden unter dem Stichwort „Interpolationenkritik“ behandelt.

1.2.2 Interpolationenkritik

Als Interpolationen (von interpolare = „fälschen, verfälschen“) werden Textveränderungen bezeichnet, mit denen die Kompilatoren den klassischen Text an das justinianische Recht angepasst haben, ohne die Veränderung als solche kenntlich zu machen. Mehrfach wird in den kaiserlichen Anordnungen, die die Kompilation begleiten, betont, Kaiser Justinian habe seinen Kompilatoren den Auftrag erteilt, derartige Veränderungen vorzunehmen. Es besteht daher kaum ein Zweifel, dass die Kommission zur Zusammenstellung der Digesten von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hat.