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Mk 10,2–9 geht in seiner vorliegenden literarischen Form zwar nicht auf Jesus zurück, dürfte aber sachlich seine Position wiedergeben153. Dies bestätigt 1Kor 7,10f (ohne die von Paulus eingefügte Parenthese V. 11a), wo Paulus die Unauflöslichkeit der Ehe auf das Wort des Kyrios zurückführt. Die Ausnahmeregelungen in Mt 5,32 (παρεϰτὸς λόγου πορνείας) und Mt 19,9 (μὴ ἐπὶ πορνείᾳ) sind matthäisch154.

Auf eine Wiederherstellung der Schöpfungsordnung zielen auch die Jesusworte in Mk 2,27 und 3,4: Der Sabbat soll als Schöpfungswerk dem Leben dienen und an dieser Maxime hat sich das Handeln des Menschen zu orientieren. Wie die Heilungen (s.u. 3.6.3) und die torakritischen Worte (s.u. 3.8.2) haben die ethischen Aussagen Jesu eine schöpfungstheologische Dimension. Weil Schöpfung gottgewolltes Leben bedeutet, Gott gleichermaßen Geber und Erhalter des Lebens ist, muss sich der Mensch seines Ursprungs bei Gott stets bewusst sein und zugleich dem lebenserhaltenden Willen Gottes folgen.

Die staatlichen Ordnungen sieht Jesus ebenfalls im göttlichen Willen begründet, wenn der Staat seinen Aufgaben nachkommt und sich zugleich auf sie beschränkt. Dieses Thema wird exemplarisch in Mk 12,13–17 behandelt155, wobei V. 17 Jesu Position markiert: „Was des Kaisers ist, gebt dem Kaiser, und was Gottes ist, Gott!“ Die Fragesteller wollten Jesus offenbar auf einem zentralen Feld der damaligen politischen Ethik zu einer Äußerung in die eine oder die andere Richtung provozieren. Die Frage war so gewählt, dass nach ihrer Meinung jede Antwort Jesus nur zum Nachteil gereichen konnte. Bejahte er ausdrücklich das Steuerzahlen an die Römer, so hätte man ihn als römerfreundlich und Feind seines eigenen Volkes hinstellen können. Verneinte Jesus hingegen die Steuern, so hätten ihn die Fragesteller als Aufrührer denunzieren können. Bedenkt man die durchgängige Verflechtung von religiösem und politischem Leben in der gesamten Antike, so ist eine kritische Komponente in V. 17a nicht zu überhören. Jesus bestreitet zwar nicht das Recht und die Macht des Staates, aber er reduziert die Bedeutung des Staates auf eine rein funktionale Ebene. Dem Kaiser sind Steuern zu zahlen, aber eben nicht mehr! Jede ideologische oder religiöse Überhöhung des Staates wird durch diese rein funktionale Bestimmung durch Jesus unmöglich gemacht. Schließlich bringt V. 17b eine weitere Relativierung des Kaisers. Hier liegt die Pointe der Antwort Jesu: Der Gehorsam gegenüber Gott ist allen anderen Dingen vor- und übergeordnet. Allein der Gehorsam gegenüber Gott bestimmt, was dem Kaiser zukommt und was nicht. Dem Kaiser gebührt die Steuer, die er zur Ausübung seiner staatlichen Macht braucht, ihm gebührt aber nicht religiöse Verehrung. Dem Kaiser gehört die Münze, aber der Mensch gehört Gott. Angesichts des Anspruches Gottes auf den Menschen kann der Kaiser und damit der Staat nur ein begrenztes Recht haben. Jesu Antwort stellt somit einen Mittelweg dar: Er ist kein antirömischer Revolutionär156, der das Recht und die Existenz dieses Staates grundsätzlich bestreitet. Er weist dem Staat auf rein funktionaler Ebene sein Recht zu, macht aber zugleich deutlich, dass das Recht des Staates in dem Recht Gottes auf den ganzen Menschen seine Begrenzung findet.

3.5.2Die ethischen Radikalismen Jesu

Der von Jesus verkündigte Gotteswille will menschliches Zusammenleben ermöglichen und Störungen durch ein neues, unerwartetes Verhalten überwinden. In den Antithesen der Bergpredigt artikuliert sich unüberhörbar Gottes unbedingter Wille.

Der Evangelist Matthäus fand in seinem Sondergut die 1., 2. und 4. Antithese vor und schuf auf dieser Basis eine Reihe von 6 Antithesen157. Durch πάλιν in Mt 5,33a setzt Matthäus die erste Dreierreihe von der zweiten ab. Handeln die ersten drei Antithesen vom Verhältnis zum Mitchristen (Zorn gegenüber dem Bruder, Ehebrechen, Ehescheidung), so die 4.–6. Antithese vom Verhältnis zum Nichtchristen (Schwören, Wiedervergeltung, Feindesliebe). Der traditionsgeschichtlich älteste Bestand der 1., 2. und 4. Antithese umfasst Mt 5,21–22a (ἠϰούσατε … ἔσται τ ϰρίσει), Mt 5,27–28a.b (ἠϰούσατε … ἐμοίχευσεν αὐτήν), Mt 5,33–34a (ἠϰούσατε … μὴ ὀμόσαι ὅλως) und dürfte der Verkündigung Jesu zuzuordnen sein. Im Verlauf der Tradierung wurde dieses älteste Spruchgut durch Beispiele und Erläuterungen angereichert. Auch die vom Evangelisten gebildeten Antithesen enthalten alte Traditionen, wobei allerdings nur die Forderung nach Verzicht auf Wiedervergeltung (Mt 5,39b–40/Lk 6,29), das absolute ἀγαπᾶτε τοῦς ἐχϑροῦς ὑμῶν in Mt 5,44a/Lk 6,27a und die schöpfungstheologische Begründung in Mt 5,45/Lk 6,35 auf Jesus zurückgehen dürften.

In der 1. Antithese stellt Jesus dem atl. Verbot des Tötens (Ex 20,15; Dtn 5,18) sein eigenes Recht gegenüber: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht töten! Wer aber tötet, soll dem Gericht verfallen. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder zürnt, soll dem Gericht verfallen“ (Mt 5,21–22a). Schon der Zorn gegenüber dem Bruder lässt den Menschen dem Gericht verfallen. Jesus legt das atl. Gebot damit nicht aus, sondern er überbietet es. Gefordert ist die radikale Zuwendung des Menschen zum Menschen. Andernfalls folgt unabwendbar die Gerichtsverfallenheit. Inhaltlich ist die Verwerfung des Zorns im Judentum nicht neu (vgl. 1QS 6,25–27)158. Überraschenderweise überbietet aber die Verwerfung des Zorns bei Jesus die Tora und qualifiziert sie damit als unzureichend. Der Gotteswille wird von Jesus so ausgelegt, dass er dem Menschen ständig gilt und auch unwillkürliche Regungen umgreift. Allein schon die Frage, ob es auch berechtigten Zorn gibt, wäre der Versuch der Eingrenzung des Gotteswillens.

In der 2. Antithese setzt Jesus dem atl. Verbot des Ehebruches (Ex 20,14; Dtn 5,17) die These entgegen, dass schon der begehrliche Blick wie ein Ehebruch zu werten sei: „Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat schon die Ehe mit ihr gebrochen“ (Mt 5,27f). Das Verwerfliche ist nicht der Blick, sondern die dahinter stehende Absicht, das Begehren. Mit ἐπιϑυμία („Begehren“) bezeichnet Jesus das Verlangen des Menschen, sich fremde Güter anzueignen159. Der Mensch verspricht sich davon eine Steigerung seines Lebensgefühles, einen Gewinn an Lust und Sinn. Jesus unterbindet dieses Streben, weil es eine zerstörende Kraft entfaltet. Die Heiligkeit der Ehe wird gebrochen und Menschen ihrer schöpfungsgemäßen Bestimmung entrissen.

Auch das Schwurverbot Jesu in der 4. Antithese zielt auf die Ganzheit menschlicher Existenz (Mt 5,33–34a: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde: Du sollst nicht falsch schwören, du sollst aber dem Herrn deine Eide halten. Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt“). Durch den Schwur, der die Wahrheit beschworener Aussagen dokumentiert, sind die unbeschworenen Aussagen von der Wahrheit ausgenommen. Faktisch dient damit der Schwur der Duldung der Lüge. Ein Teilbereich des Lebens, in dem der Wille Gottes – Wahrhaftigkeit – gilt, ist von einem anderen abgetrennt, wo er nicht gilt. Diese Trennung soll durch das Gebot Jesu aufgehoben werden. Der Gotteswille gilt für den Menschen in allen Lebensbereichen.

Jesus fordert den Verzicht auf Wiedervergeltung (Mt 5,39b.40/Lk 6,29)160. Dabei geht es keineswegs um ein rein passives Verhalten, das ins Erleiden führt. Die provokative Aufforderung Jesu, auch die andere Wange hinzuhalten und mit dem Mantel auch das Untergewand zu geben, verlangt im Gegenteil vom Jünger höchste Aktivität, denn er soll die Grundhaltung der Liebe in scheinbar aussichtslosen Situationen praktizieren. Jesus lebt und fordert ein ungewöhnliches, nicht berechenbares und zweckfreies Verhalten, das gerade dadurch produktiv ist.

Das Gebot der Feindesliebe ist in seiner uneingeschränkten Form (Mt 5,44a/Lk 6,27a: ἀγαπᾶτε τοῦς ἐχϑροῦς ὑμῶν [„liebet eure Feinde“]) ohne Analogie. Zwar gibt es sowohl im jüdischen als auch im hellenistischen Bereich enge Parallelen, die aber jeweils unterschiedliche Motivationen erkennen lassen und nicht wirklich mit der jesuanischen Anordnung übereinstimmen161. Dennoch ist zu betonen, dass Jesus hier hellenistischem Denken deutlich näher steht als jüdischen Vorstellungen162. Er macht die Liebe grenzenlos; eine Eingrenzung ist nicht mehr möglich, auch nicht auf den Nächsten. Am Extrembeispiel des Feindes zeigt Jesus, wie weit die Liebe geht. Sie kennt keine Grenzen, sie gilt allen Menschen. Gottes radikale, uneingeschränkte Liebe drängt in den Alltag des Menschen hinein, dem zugemutet wird, mit der Feindesliebe an der Liebe Gottes zu partizipieren. Eine Begründung für die Feindesliebe lässt sich nicht aus der vorfindlichen Wirklichkeit ableiten, sondern ein solch ungewöhnliches Verhalten kann nur aus dem Handeln Gottes heraus seine Bedeutung und Verbindlichkeit erhalten. Weil der Schöpfer selbst in seiner Güte gegenüber Guten und Bösen das Freund-Feind-Schema sprengt (Mt 5,45), kann der Mensch die Grenzen zwischen Freund und Feind überschreiten, werden Menschen entfeindet163.

Mit dieser Konzeption unmittelbar verbunden ist ein neues Herrschaftsideal, das Jesus gegenüber den Jüngern in Mk 10,42b–44 formuliert164: „Ihr wisst, die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken sie, und ihre Großen gebrauchen ihre Macht gegen sie. Unter euch aber ist es nicht so. Sondern wer ein Großer werden will unter euch, soll euer Diener sein und wer unter euch der Erste sein will, soll der Knecht aller sein.“ Die antike Herrscherpraxis wird hier einer radikalen Kritik unterzogen, denn nicht Unterdrückung und Ausbeutung, sondern Dienen und Fürsorge kennzeichnen den wahren Herrscher165.

Einen weiteren ethischen Radikalismus Jesu stellt das Verbot des Richtens in Mt 7,1 dar („Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“)166. Jesus verbietet alles Urteilen, weil in jedem menschlichen Urteilen der Keim für ein Verurteilen steckt. Mit dem Passivum divinum ϰριϑῆτε in Mt 7,1b verweist Jesus als Begründung auf das Endgericht. Weil das göttliche Gericht unmittelbar bevorsteht, soll sich der Mensch bereits jetzt danach richten und auf jegliches Urteilen verzichten, denn dies hat notwendigerweise die eigene Verurteilung im Gericht zur Folge.

Ein ethischer Radikalismus ist auch die Reichtumskritik Jesu, wie sie sich in der Seligpreisung der Armen (Q 6,20), dem Aufruf zum Nicht-Sorgen (Mt 6,25–33) oder in Mk 10,25 ausspricht167: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt!“ Während die Reichen vom Reich Gottes ausgeschlossen sind, wird es den Armen zugesprochen; eine paradoxere und schärfere Kritik des Reichtums als Hindernis auf dem Weg in das Reich Gottes ist kaum vorstellbar168! Der scharfe Gegensatz zwischen dem Reich Gottes und der Welt wird auch in Q 9,59f sichtbar169: „Ein anderer aber sagte ihm: Herr, gestatte mir, zuvor fortzugehen und meinen Vater zu begraben. Er aber sagte ihm: Folge mir und lass die Toten ihre Toten begraben.“ Die Beerdigung der Eltern galt in der gesamten Antike als heilige Pflicht, so dass hier ein Frontalangriff Jesu auf Gesetz, Sitte und Frömmigkeit vorliegt170, der mit dem Ethos der neuen familia dei (vgl. Q 14,26; Mk 10,29) und der Heimatlosigkeit des Menschensohnes in Verbindung steht (Q 9,57f). Als ethische Radikalismen können auch das Ehescheidungsverbot (s.o. 3.5.1), das Fastenverbot in Mk 2,18–20 und die Tempelkritik in Mk 11,15–19 (s.u. 3.10.2) angesehen werden.

Die grenzüberschreitenden ethischen Radikalismen Jesu sind drastische Aufforderungen, die von Gott nicht gewollte Entzweiung zwischen Menschen zu überwinden und dem Willen des Schöpfers wieder Geltung zu verschaffen. Ihrem Wesen nach unbegrenzt und nur im Horizont des nahenden Gottesreiches verstehbar171, fordern die Radikalismen ein Verhalten, das sich ausschließlich von Gott bestimmt weiß172. Im Anbruch des Gottesreiches wird der Wille Gottes nochmals neu, radikal und endgültig proklamiert. Jesus formuliert ihn aus eigener Vollmacht, leitet ihn nicht aus dem Alten Testament ab, das damit im Lichte des Reiches Gottes überboten, zugleich aber auch vertieft und ausgeweitet wird. Erst im Willen Gottes erreicht somit der Mensch seine schöpfungsgemäße Bestimmung. An das endgültige Wort Gottes darf er sich halten, von diesem Wort her gilt es zu leben und zu handeln. Indem der Mensch sich ganz auf Gott ausrichtet und damit von sich selbst löst, kann er sich von der Liebe bestimmen lassen, um das Wohl des anderen zu suchen. Auch im Versagen gegenüber dem Willen Gottes und der drohenden Gerichtsverfallenheit ist der Mensch ausschließlich auf Gott angewiesen, denn allein in der Umkehr kann er seinem gerechten Urteil entgehen. Der Radikalität der Forderung Jesu entspricht somit die Totalität des Angewiesenseins des Menschen auf Gott173. Die Frage der Erfüllbarkeit der ethischen Radikalismen stellt sich bei Jesus nicht, denn sie würde zu einer von ihm nicht gewollten Negierung der Entscheidungsfreiheit und damit zu einer Gesetzlichkeit und Funktionalisierung führen. Die Radikalismen sind bewusste Verfremdungen und haben als exemplarische Worte Appellcharakter, sich angesichts des nahenden Gottesreiches ganz auf den Willen Gottes einzulassen und gerade dadurch Menschsein zu ermöglichen.

3.5.3Die Liebesforderung als Zentrum der Ethik Jesu

Als Geschöpf ist der Mensch dem Willen Gottes verpflichtet. Damit muss er sich nicht einem willkürlichen Despoten unterordnen, sondern Gottes Wille ist von seiner Liebe umgriffen, die in seinem Schöpferhandeln Gestalt gewinnt. Das Liebesgebot in seiner dreifachen Form als Gebot der Nächstenliebe (vgl. Mt 5,43), der Feindesliebe (Mt 5,44) und als Doppelgebot der Liebe (Mk 12,28–34) bildet die Mitte und das Zentrum der Ethik Jesu.

Das Doppelgebot der Liebe

In Mk 12,28–34 wird dem Schriftgelehrten auf seine Frage „Welches ist das erste von allen Geboten?“ von Jesus geantwortet: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der eine Gott, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von deinem ganzen Herzen und von deiner ganzen Seele und von deiner ganzen Vernunft und von deiner ganzen Kraft. Das zweite ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als dieses“ (V. 30.31). In seiner vorliegenden literarischen Gestalt geht das Doppelgebot der Liebe nicht auf Jesus zurück, denn die Häufung der Vernunftbegriffe, die ausgeprägte anthropologische Differenzierung, die ausdrückliche Überordnung des Liebesgebotes über die Opfer in V. 33, die starke Betonung des Monotheismus und die vom hebräischen Text und der LXX abweichende Hinzufügung von διάνοια lassen darauf schließen, dass literarisch eine Tradition des hellenistischen Judenchristentums vorliegt. Deshalb wurde vielfach das Doppelgebot der Liebe nicht als Proprium der Verkündigung Jesu angesehen174. Andererseits gibt es aber auch Hinweise, dass das Doppelgebot der Liebe sachlich doch auf Jesus von Nazareth zurückzuführen ist175: 1) Die Zusammenstellung von Dtn 6,5 und Lev 19,18 ist zwar in der jüdischen Tradition vorbereitet176, findet sich dort aber ebenso wenig wie die Nummerierung der beiden Gebote177. 2) Der Text enthält keinerlei christologische Aussagen, die starke Betonung des Monotheismus schließt sie sogar aus178. 3) Sowohl die Kontext- als auch die Wirkungsplausibilität sprechen für eine sachliche Zurückführung des Doppelgebotes auf Jesus. Es ist einerseits in die Traditionen des Judentums eingebunden und kann deshalb dem Juden Jesus von Nazareth zugeordnet werden, andererseits lässt es ein besonderes Profil erkennen; das Doppelgebot der Liebe könnte sehr gut eine Besonderheit der Verkündigung Jesu sein, die seinen Anspruch dokumentiert179. Zumal die Entschränkung des ‚Nächsten‘ über die nationale Perspektive von Lev 19,18 hinaus das Gebot der Feindesliebe illustriert. Die starke Wirkungsgeschichte (vgl. Mk 12,28–34par; Gal 5,14; Röm 13,8–10; Joh 13,34f) spricht ebenfalls dafür, dass beim Doppelgebot ein Impuls Jesu am Anfang stand. 4) Der Sachgehalt des Doppelgebotes findet sich nicht nur in der Wort-, sondern auch in der Erzählüberlieferung. Die Liebe gegenüber dem Fremden illustriert die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30–37)180, mit der die Frage beantwortet wird, wer mein Nächster ist. Es geht um die Reichweite und Grenze der Liebesverpflichtung. Jesus erzählt die Geschichte aus der Perspektive des unter die Räuber Gefallenen. Am Beispiel des religiös und politisch diskriminierten Samaritaners illustriert er die Grenzenlosigkeit der Verpflichtung zur Liebe, die ihr Ende nicht am Zumutbaren und Üblichen findet. Bewusst werden die beiden lieblosen Juden und der barmherzige Samaritaner kontrastiert; ein Verfremdungseffekt, der verdeutlichen soll, dass sich Nächstenliebe nicht an Konventionen und Vorurteile hält, sondern es wagt, sich darüber hinwegzusetzen und in souveräner Freiheit jene Hindernisse zu übersteigen, die sonst die Wege zueinander versperren. Die Liebe gegenüber den Sündern veranschaulicht die Erzählung von der Sünderin in Lk 7,36–50181. Die von Jesus gewährte Gemeinschaft mit Gott orientiert sich nicht an religiösen Schranken, sondern an den Bedürfnissen der Menschen, die aufrichtig Vergebung suchen.

Ethik der Liebe

Inhaltlich ist die Liebesforderung die Mitte der Ethik Jesu. Das Liebesgebot ist radikal, es lässt keine Einschränkung mehr zu und entspricht darin der uneingeschränkten Schöpfergüte. Jesu Liebesforderung ist konkret, denn in den Texten dominieren konkrete Beispiele: Segnen, Gutes tun, sich versöhnen, vergeben, den Bruder nicht „Dummkopf“ nennen, den Armen das Geschuldete zurückerstatten und sein Vermögen verschenken; nicht richten, nicht nur den Splitter im Auge des Bruders sehen. Jesus geht es keineswegs um eine neue Gesinnung, denn sowohl die Konkretheit der Forderungen als auch ihr radikaler, zugespitzter Charakter sollten jeden Zweifel darüber zerstören, dass sie tatsächlich ernst gemeint waren. Gerade in ihrer Radikalität ist Jesu Liebesforderung exemplarisch. Seine Worte sind exemplarische Sätze, seine Erzählungen sind exemplarische Geschichten und seine Taten sind exemplarische Handlungen, die ihre Kraft in verschiedenen Situationen in unterschiedlicher Weise freisetzen. Sie können nicht eins zu eins umgesetzt werden, denn es gehört zum Wesen der Liebe, dass sie spontan ist und als ein den ganzen Menschen umfassendes Geschehen sich immer wieder in jeder Situation neu realisiert. In diesem Sinn sind Jesu Forderungen nicht Vorschriften, sondern viel mehr als das: Sie sind exemplarische Hinweise, sie greifen Musterbeispiele heraus, die man um ihrer Anschaulichkeit willen leicht behalten kann und die zeigen, wie das von Jesus gemeinte Verhalten aussehen könnte. Der Geltungsbereich von Jesu Forderungen geht weit über das hinaus, was in den Texten angesprochen wird. Zugleich schließt aber der Gehorsam gegenüber seinen Forderungen immer das Moment der eigenen Freiheit mit ein, um herauszufinden, was Liebe in neuer Situation konkret bedeutet. Die von Jesus postulierten Entgrenzungen führen keineswegs in Grenzenlosigkeit, sondern orientieren sich aktiv an der Liebe, deren Gestalt nie beliebig sein kann.

3.6Jesus als Heiler: Die wunderbaren Kräfte Gottes

R.PESCH, Jesu ureigene Taten?, Freiburg 1970; W.SCHMITHALS, Wunder und Glaube, BSt 59, Neukirchen 1970; O.BÖCHER, Christus Exorcista, BWANT 96, Stuttgart 1972; G.THEISSEN, Urchristliche Wundergeschichten, Gütersloh 1974; G.PETZKE, Die historische Frage nach den Wundern Jesu, NTS 22 (1976) 180–204; K.KERTELGE, Die Wunder Jesu in der neueren Exegese, Theologische Berichte 5 (1976), 71–105; O.BETZ/W.GRIMM, Wesen und Wirklichkeit der Wunder Jesu (ANTI 2), Frankfurt, 1977; R.KRATZ, Rettungswunder, Frankfurt 1979; A.SUHL (Hg.), Der Wunderbegriff im Neuen Testament (WdF 295), Darmstadt 1980; M.SMITH, Jesus der Magier, München 1981; H.WEDER, Wunder Jesu und Wundergeschichten, VuF 29 (1984) 25–49; L.E HOGAN, Healing in the Second Temple Period, NTOA 21, Fribourg/Göttingen 1992; M.WOLTER, Inschriftliche Heilungsberichte und neutestamentliche Wundererzählungen, in: K.Berger/F.Vouga/M.Wolter/D.Zeller (Hg.), Studien und Texte zur Formgeschichte, TANZ 7, Tübingen/Basel 1992, 135–175; J.P. MEIER, A Marginal Jew II (s.o. 3), 509–1038; G.H. TWELFTREE, Jesus the Exorcist, WUNT 2.54, Tübingen 1993; D.TRUNK, Der messianische Heiler, HBS 3, Freiburg 1994; W.KAHL, New Testament Miracle Stories in their Religious-Historical Setting, FRLANT 163, Göttingen 1994; G.THEISSEN/A.MERZ, Der historische Jesus (s.o. 3), 256–283; B.KOLLMANN, Jesus und die Christen als Wundertäter, FRLANT 170, Göttingen 1996; DERS., Neutestamentliche Wundergeschichten, Stuttgart 2002; M.BECKER, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum, WUNT 2.144, Tübingen 2002; K.-W.NIEBUHR, Jesu Heilungen und Exorzismen, in: Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie, hg. v. W.Kraus/K.-W.Niebuhr, WUNT 162, Tübingen 2003, 99–112; L.SCHENKE, Jesus als Wundertäter, in: ders. (Hg.), Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, Stuttgart 2004, 148–163; M.LABAHN/B.J. PEERBOLTE (Hg.), Wonders never Cease. The Purpose of Narrating Miracle Stories in the New Testament and its Religious Environment, LNTS 288, London 2006; M. HENGEL/A. M. SCHWEMER, Jesus und das Judentum (s.o. 3), 461–497; C. S. KEENER, Miracles. The credibility of the New Testament accounts I.II, Grand Rapids 2011; R. ZIMMERMANN (Hg.), Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen I: Die Wunder Jesu, Gütersloh 2013.

Jesus von Nazareth wurde zuallererst als Heiler wahrgenommen und sein Heilungs-Charisma begründete den Erfolg seines Wirkens182. Sowohl die Synoptiker als auch das Johannesevangelium stellen das erfolgreiche exorzistische und therapeutische Handeln Jesu in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen183. Alle Kriterien der Frage nach Jesus (s.o. 3.1.2) lassen nur den Schluss zu, dass Jesus vor allem in den Dörfern rund um den See Genezareth als einflussreicher Heiler auftrat, von der überwiegend armen Bevölkerung verehrt wurde und Nachfolger um sich scharte.

3.6.1Das kulturgeschichtliche Umfeld

Wunderheiler sind (nicht nur) in der Antike ein allgemeines kulturgeschichtliches Phänomen. Das Auftreten Jesu vollzieht sich im Kontext von jüdischen und hellenistischen Wundermännern184. In den Qumrantexten finden sich im Zusammenhang einer ausgeprägten Geisterlehre deutliche Hinweise auf magisch-pharmakologische Praktiken und auf Beschwörungsriten zur Dämonenabwehr185. „Da sich die auf Dämonenaustreibungen hindeutenden Befunde aus Qumran der Herkunft nach als überwiegend nicht-essenisch erwiesen, sind die dort implizierten Heilpraktiken über die Qumrangemeinde hinaus für weitere Teile des zeitgenössischen Judentums repräsentativ.“186 In der frührabbinischen Überlieferung sind Choni der Kreiszieher und Rabbi Chanina ben Dosa von besonderer Bedeutung. Choni (1.Jh. v.Chr.) bewirkte durch das Ziehen eines magischen Kreises Regenwunder und wird sowohl in der rabbinischen Überlieferung als auch bei Josephus (Ant 14,22–24) erwähnt187. Chanina ben Dosa trat wie Jesus im 1.Jh. der Zeitenwende in Galiläa auf und wirkte offenbar vor allem als Wunderheiler (speziell als Gesundbeter), aber auch zahlreiche andere Wundertaten werden ihm zugeschrieben (Fernheilungen, Macht über Dämonen)188. Zudem überliefert das Mischnatraktat Aboth drei Aussprüche Chanina ben Dosas, die ihn „as a warm-hearted lover of men, a true Chasid“189 darstellen. Es ist wohl mehr als ein Zufall, dass die beiden bedeutendsten jüdischen Wundertäter des 1.Jh. in Galiläa auftraten. Die klimatischen und kulturellen Besonderheiten dieses Landes begünstigten offenbar die außerordentlichen Ereignisse, die in seinen Grenzen geschahen. Als eine eigenständige Erscheinung sind die jüdischen Zeichenpropheten des 1.Jh. n.Chr. zu werten190. In den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des jüdischen Krieges traten nach Josephus in Palästina immer wieder Zeichenpropheten auf, die durch Endzeitwunder ihre (politischen) Ansprüche legitimieren wollten. Ein Prophet aus Samaria verhieß um 35 n.Chr. seinen Anhängern, dass er die verschollenen Tempelgeräte auf dem Garizim finden werde (Jos, Ant 18,85–87). Daraufhin ergriffen die Samaritaner die Waffen, um auf den heiligen Berg zu ziehen. Kurz nach 44 n.Chr. kündigte Theudas die Spaltung des Jordans an (Ant 20,97–99), was eine Wiederholung des von Josua und Elia überlieferten Jordanwunders gewesen wäre (vgl. Jos 3; 2Kön 2,8). Der Prokurator Fadus ließ Theudas enthaupten und tötete zahlreiche seiner Anhänger. Unter dem Prokurator Felix (52–60 n.Chr.) trat ein anonymer Prophet auf, der Wunder und Zeichen in der Wüste und damit einen neuen Exodus ankündigte (Ant 20,167–168; Bell 2,259). Ein aus Ägypten stammender Prophet führte seine Anhänger zum Ölberg und verhieß, dass die Mauern Jerusalems auf seinen Befehl hin zusammenbrechen würden (Ant 20,168–172; Bell 2,261–263; vgl. Apg 21,38). Wiederum griffen die Römer ein und töteten zahlreiche seiner Anhänger. Kennzeichnend für die Zeichenpropheten ist eine Kombination aus eschatologischen und politisch-sozialen Motiven: Die Wunder des Anfangs wiederholen sich in der Endzeit und sind als Beglaubigungszeichen die Initialzündung für weitere Ereignisse in der einsetzenden Heilszeit, zu denen auch die Befreiung des Hauses Israel von den Römern zählte. Jesus wurde von Gegnern nach Apg 5,36 als ein solcher Zeichenprophet verstanden und der Prozess der Römer gegen Jesus zeigt, dass sie Jesus von Nazareth dieser Kategorie zuordneten (s.u. 3.10.2).

Aus dem weiten Feld hellenistischer Wunderheiler/Wundertäter ist der neupythagoreische Wanderphilosoph Apollonius von Tyana von besonderer Bedeutung (gest. um 96/97 n.Chr.), dessen Biographie Anfang des 3.Jh. von Philostrat niedergeschrieben wurde191. Hinter zahlreichen legendären Ausschmückungen wird eine Gestalt sichtbar, die in abgeklärter philosophischer Souveränität über zahlreiche Fertigkeiten in allen damaligen Wissenschaftsgebieten verfügt, Demonstrations-, aber auch Heilungswunder vollbringt, Menschen vor vielfältigen Gefahren rettet und mit den Herrschenden der Zeit immer wieder in Konflikt gerät. Auffallend ist, dass sich nicht nur zu fast allen Heilungen und Wundern Jesu bei Apollonius Vergleichbares findet192, sondern auch ihr Anfang (wunderbare Geburt) und ihr Ende (Auferstehung und Erscheinungen) Parallelen bieten, so dass Jesus von Nazareth und Apollonius von Tyana durchaus als Parallelgestalten angesehen werden können193.

3.6.2Die Vielfalt des heilenden Wirkens Jesu

Die Exorzismen bilden das Zentrum des heilenden Wirkens Jesu194. Sie finden sich in allen Überlieferungsschichten, in der Logien- und der Erzähltradition, lassen zumeist kein nachösterliches Interesse erkennen und können in das Gesamtwirken Jesu eingeordnet werden195. Zudem zeigt die Beelzebul-Kontroverse196, dass wahrscheinlich schon zu Jesu Lebzeiten eine Kontroverse über die Herkunft seiner heilenden Fähigkeiten ausbrach: „Er hat den Beelzebul, und: Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ (Mk 3,22b). Jesus antwortet auf diesen Vorwurf mit einem Weisheitswort, wonach das Reich des Satans keinen Bestand haben kann, wenn es in sich gespalten ist. Sein eigenes erfolgreiches exorzistisches Wirken weist jedoch auf etwas ganz anderes hin: „Niemand kann aber in das Haus des Starken eindringen und seine Habe rauben, wenn er nicht zuvor den Starken gefesselt hat; dann erst wird er sein Haus ausrauben“ (Mk 3,27; vgl. Mt 9,34). Die grundsätzliche Entmachtung des Satans und die dadurch ermöglichte Wiederherstellung schöpfungsgemäßen Lebens war offensichtlich das Zentrum der Wirklichkeitserfahrung Jesu, die durch die Exorzismen zugleich hergerufen und bestätigt wurde. Darauf weisen neben Mk 3,27 vor allem die Vision Jesu in Lk 10,18 („Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“)197, die Verbindung zwischen den Exorzismen und dem hereinbrechenden Reich Gottes in Q 11,20 und die Bitte im Vaterunser um die Befreiung vom Bösen (Mt 6,13b) hin. Der Kampf gegen das Böse bzw. den Bösen war der zentrale Inhalt der Lehre und des Handelns Jesu198. Er teilt damit Überzeugungen im antiken Judentum, wonach die Entmachtung des Teufels und seiner Dämonen ein Kennzeichen der hereinbrechenden Endzeit ist (vgl. AssMos 10,1: „Und dann wird seine [sc. Gottes] Herrschaft über seine ganze Schöpfung erscheinen, und dann wird der Teufel nicht mehr sein, und die Traurigkeit wird mit ihm hinweg genommen sein“; ferner TDan 5,10–13;TLev 18,12; Jes 24,21f; Jub 10,1.5; 1QS 3,24f; 4,20–22; 1QM 1,10 u.ö.). Die eigentliche Opposition zum Kommen des Reiches Gottes ist bei Jesus die Herrschaft des Satans. Angesichts des hereinbrechenden und in der Wundertätigkeit Jesu offenbar werdenden Gottesreiches199 werden Menschen nun von den sie unterjochenden Mächten des Satans befreit und wieder ihrer schöpfungsgemäßen Bestimmung zugeführt (vgl. Q 7,22f). Speziell die Exorzismen zielen auf die Wiederherstellung eines schöpfungsgemäßen Zustandes, sie sind Zeichen und Protest gegen die Unterjochung des Menschen durch das Böse (vgl. Lk 13,16: „Diese Tochter Abrahams aber, die der Satan seit 18 Jahren in seinen Banden hält, sollte am Sabbat nicht von ihrer Fessel befreit werden dürfen?“)200. Die Erzählung von der Rückkehr eines unreinen Geistes (Q 11,24–26) zeigt, wie sehr Jesus innerhalb geläufiger exorzistischer Anschauungen lebte. Im Exorzismus ereignet sich ein Kampfgeschehen. Jesus überwindet mit gebräuchlichen Techniken (Bedrohung des Dämons, Namenserfragung, Ausfahrwort, Rückkehrverbot) vor allem Krankheitsgeister und befreit u.a. von Epilepsie (Mk 1,23–28; 9,14–29) und Manie (Mk 5,1–20)201.

Auf die enge Verbindung zwischen Exorzismen und Heilungen/Therapien verweist Lk 13,32b: „Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen“. In den Therapien findet kein Kampf statt, sondern im Mittelpunkt steht die Übertragung heilender Kraft auf den Kranken202. Krankheit erscheint hier als ein Mangel an Lebenskraft, als Schwäche bis hin zur Todesnähe, der mit einer positiven Gegenkraft begegnet wird. Die Übertragung dieser Gegenkraft kann in verschiedener Weise stattfinden: In Mk 5,25–34 (Heilung einer blutflüssigen Frau) wird die heilende Kraft ohne Wissen Jesu aktiviert. In Mk 1,29–31 (Heilung der Schwiegermutter des Petrus) hat eine Berührung heilende Wirkung und beim Aussätzigen (Mk 1,40–45) vollbringen eine Berührung und ein wunderwirkendes Wort die Heilung. Heilpraktiken (z.B.Speichel, wunderwirkendes Wort) werden in Mk 7,31–37 (Heilung eines Taubstummen) und Mk 8,22–26 (Blindenheilung) geschildert. Bei der Heilung des blinden Barthimäus (Mk 10,46–52) steht das Glaubensmotiv im Mittelpunkt. Fernheilungen werden in Mk 7,24–30 (Syrophönizierin) und in Mt 8,5–10.13 (Hauptmann v. Kapernaum) geschildert; beide Überlieferungen dürften als ältesten Kern die Erinnerung an die Heilung eines heidnischen Kindes durch Jesus bewahrt haben. Nicht nur die Erzähl-, sondern auch die Wortüberlieferung bezeugt Jesu Wirken als Heiler. Der Lobpreis der Augenzeugen in Q 7,22f setzt es voraus: „Blinde sehen wieder, und Gelähmte gehen umher, Aussätzige werden rein, und Taube hören. Tote werden auferweckt, und Armen wird die Frohbotschaft verkündigt. Und selig ist, wer an mir nicht Anstoß nimmt.“ Eine beachtliche Parallele besitzt dieser Text in 4Q 521, wo ebenfalls die göttlichen Taten des Gesalbten zur Errichtung des Endheils aufgezählt werden203: Die Befreiung der Gefangenen, die Aufhebung von Blindheit und die Aufrichtung der Niedergedrückten (vgl. Jes 42,7); weiter heißt es: „Gott wird die Kranken heilen, die Toten auferwecken und den Elenden frohe Botschaft verkündigen.“ Auch Q 10,23f („Selig die Augen, die sehen, was ihr seht … Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wünschten zu sehen, was ihr seht, und sahen es nicht, und hören, was ihr hört, und hörten es nicht“) zeigt, dass die Gegenwart von Jesus als die Zeit der Heilswende angesehen wurde.