Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln

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Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln
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© 2020

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Zell/Mosel

Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

Tel 06542/5151 Fax 06542/61158

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-89801-904-0

Lektorat: Gabriele Korn-Steinmetz

Ausstattung: Stefanie Thur

Titelfoto: Pierre-Yves Babelon/shutterstock.com

Udo Hinnerkopf

Vom Wind Verwehte:

Aussteiger unter Segeln

Träumer, Rumtreiber und ganz normale Chaoten

Die Namen der Protagonisten sind aus Datenschutzgründen oder auf besonderen Wunsch teilweise geändert worden.

Rhein-Mosel-Verlag


Wenn der Wind der Veränderung weht,

suchen manche im Hafen Schutz,

während andere die Segel setzen!

(unbekannt)

Segel hoch, wir hauen ab!


Was treibt brave Männer und Frauen aus ihren bequemen Betten an Land in enge Kojen auf dem Meer? Sind diese Menschen unter Segeln wirklich zu beneiden? Die Aussteiger, Rumtreiber und Globe­trotter auf dem Wasser?

Autor Udo Hinnerkopf, mit seiner Frau Ayse in Bodrum an der türkischen Ägäisküste zuhause, ist über 40 Jahre lang im Mittelmeer – teils als Korrespondent der Segelzeitschrift YACHT, teils als Skipper von verschiedenen Yachten – unterwegs gewesen. In den Häfen und Marinas an den Küsten und Inseln und in den abgelegensten Buchten hat er die Aussteiger unter Segeln getroffen: die Langzeitsegler und Rumtreiber, die fröhlichen und die einsamen, und auch die, die immerzu vom Aufhören sprechen, aber dazu längst nicht mehr fähig sind.

Wann immer sich Zeit und Gelegenheit für ein Kennenlernen und ein Gespräch ergaben, hat er mit ihnen über ihre Träume und Sorgen gesprochen, und dabei die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Manchmal war er genervt von dem, was er zu hören bekam. Oft aber auch voller Verständnis und von Anteilnahme gerührt.

Viele der gehörten Geschichten hat er aufgeschrieben und eine Auswahl davon stellt er in diesem Buch vor. Er berichtet über die Motive und Sehnsüchte der Menschen, die das Leben auf dem Meer dem Leben an Land vorgezogen haben. So wie auch er das in seiner Midlifecrisis verwirklicht und nicht bereut hat.

01. Träumer oder Realisten?

Da hat einer nur eins im Sinn: Karriere, Erfolg, Anerkennung. Er lebt im besten Viertel einer schönen Stadt, fährt einen weißen Sportwagen und pflügt bei hipper Musik auf dem Kopfhörer im Val-d‘isère durch den Pulverschnee. Dafür arbeitet er 12 Stunden am Tag, an den Wochenenden oft auch mehr.

Dann wirft er alles hin, besteigt ein Segelboot und verschwindet auf dem Meer. Ist so einer noch ein normaler Mensch? Oder ein weltfremder Spinner, gar ein Psychopath?

Ich war mit Freunden unterwegs, die mir halfen die Schiffskosten und das Leben an Bord zu finanzieren. Ich wollte es genau wissen und da ich selbst genug hatte von meiner eigenen Karriere, die mit drei Hörstürzen zu Buche schlug, kündigte ich meinen Job und lichtete den Anker. Es war Frühlings- und Reisezeit. Das Bugwasser spritzte, die Sonne warf kleine Regenbogen an Deck, Delfine spielten um den Bug, und die Möwen hießen alle Jonathan.

Sternenklare Nächte, Wellengebirge, die der Wind zerzauste, Träume wurden Wirklichkeit. In den Häfen zwischen Gibraltar und Rhodos traf ich sie, die Aussteiger, die sich wie ich aufgemacht hatten … auf Booten aus Holz, Stahl, Aluminium, sogar aus Zement, und vor allem aus Fiberglas. Ich traf verlotterte Typen auf schmuddeligen Kisten, Philosophen ohne Heimat, aber auch Familienväter auf Abenteuerkurs, Querköpfe, Verlassene, Exoten und Chaoten. Und viele recht Vernünftige.

Was treibt diese Menschen an? Warum ziehen sie das Leben auf dem Meer, dem Leben an Land vor? Das habe ich mich oft gefragt. Sind das alles Utopisten, Weltverbesserer oder schlicht nur Landmüde? Sind sie Egoisten ohne Verantwortungsbewusstsein? Verrückte vielleicht – oder gar Gescheite? Haben sie etwas gefunden, sich geändert? Oder jagen sie hirnrissigen Gespinsten hinterher? Bin ich vielleicht selbst einer von ihnen?

Fragen, auf die ich nicht immer eine Antwort bekam. Oft wusste ich nicht, wie ich mich der Geschichten, die über mir hereinstürzten, erwehren sollte. Manche Flasche Wein wurde zuviel getrunken, manche Träne geweint, oft war Verzweiflung der Auslöser für Bekenntnisse, die ich nicht unbedingt hören wollte. Oft aber auch war das Gegenteil der Fall: Begeisterung für das neue selbstbestimmte und abenteuerliche Leben.

Die Gründe für die Sehnsucht nach einer Zukunft ohne Zwänge sind so verschieden wie die Menschen. Von Midlife-Krisen ist oft die Rede, frei nach dem Motto: Ab einem gewissen Alter hadert jeder mit sich und seinem Job. Männer öfter als Frauen. Viele träumen davon, etwas ganz anderes zu machen oder noch einmal von vorne anzufangen. Sie sind in ihrem Beruf erfolgreich … oder erfolglos – und sehnen sich nach Veränderung, nach einer Tätigkeit, die ihnen sinnvoller erscheint und mehr Lebensfreude verspricht.

Jobmüde Menschen wechseln ihren Job, manche sogar den Beruf: Der Bäcker wird zum Fußballtrainer, der Jurist zum Reiseleiter. Und die, die die Nase besonders voll haben, zieht es noch weiter, dahin wo das große Abenteuer lockt, in die Ferne, auf die Berge, in die Wüste, auf Gletscher, ins Weltall gar. Sie folgen dem Geruch eines fremden Landes oder dem Atem der salzigen Meereswellen.

Nur wenige schaffen tatsächlich den Absprung. Heldenhaft ist dieser oftmals nicht. Neben Unzufriedenheit oder Überdruss ist auch schon mal eine Krise die treibende Kraft: eine gestrandete Ehe, eine berufliche Pleite.


Autor Udo Hinnerkopf

Es gibt aber auch die sorgfältigen Planer, die sich jahrelang vorbereiten. Von seinem »Plan 76« hat mir ein Spitzenmanager erzählt, den er Jahr für Jahr mit akribischer Vorbereitung umgesetzt hat.

Ich traf Menschen aus unterschiedlichsten Berufen – Handwerker, Richter, Anwälte, ausgeflippte Studenten, Professoren, Manager, abenteuernde Journalisten, ehemalige Direktoren und erstaunlich viele Lehrer. Sie alle wollten ihren großen Traum leben, der Odysseus-Bazillus rumorte ohne Unterschied. Weder Pensionsanspruch, Wohlstand, Familienbande, noch Alter und Weisheit, und auch nicht das bescheidenste Bankkonto garantierten zuverlässig, dass jemand verschont blieb. Gefährdet war und ist, wer träumen kann – nicht jeder, aber doch eine erstaunlich große Zahl.

Gegen die Versuchung, fand ich heraus, ist – wenn der Bazillus erst einmal zu wirken begonnen hat – kaum ein Kraut gewachsen.

02. Moderne Odysseuse

Etwas Wichtiges allerdings unterscheidet den modernen Odysseus vom Helden des Homer: Während jener das Gegenteil von dem suchte, was er erdulden musste – Frieden am häuslichen Herd statt Kampf mit dem Meer und seinen Gefahren – sucht der moderne Odysseus umgekehrt das, was ihm in unserer auf Effizienz gepolten Zeit fehlt: Auseinandersetzung statt Routine, Abenteuer statt Einerlei, fremde Welt statt Frust oder Stress im Alltag.

Das Etikett Yachtie wird diesen Odysseus-Typen nicht gerecht. Und Alternativler, die aus Unzufriedenheit mit der Gesellschaft statt bei Kohl und Müsli auf dem Land lieber auf einem Boot leben, sind sie auch nicht unbedingt. Mit Engagement für die Gesellschaft oder für eine ferne Zukunftsutopie wie Klimaschutz haben die meisten boat people nichts im Sinn. Was sie dagegen zu finden hofften, war ein wenig privates Glück – ein zufriedeneres, bequemeres und schöneres Leben für sich selbst. Im Grunde kann man sie durch die Bank weg als rechte Egoisten bezeichnen.


Aussteiger mit Charme - Wim aus Holland

So ähnlich war auch die Einstellung von André und Nora, die ich im Hafen von Ajaccio, Korsika, auf ihrer selbstgebauten Stahlyacht traf. Flucht, sagten beide übereinstimmend, sei ihr derzeitiges Leben auf dem Boot nicht. »Wir sind überzeugte Landmenschen.« Der pockennarbige André war Professor für Mathematik in Paris, Nora Lehrerin in einem Dorf in der Bretagne. Mit ihrem knallgrünen Knickspanter wollten sie in die Karibik segeln, später zurückkommen und dann wieder in ihr altes Leben »einsteigen«.

Nora, zierlich und gar nicht so recht zu dem sehr technisch wirkenden Schiff passend, sah in der Angst ein zerstörerisches Prinzip unserer Zeit. Deshalb sei sie auch für die Pause gewesen, eine Zeit zur Selbstbeobachtung und Erfahrung. Sie habe sehr viel Angst davor gehabt alles aufzugeben, Beruf, Wohnung, Freunde – die so genannte bürgerliche Sicherheit. »Alles pseudo, nichts wert.« Inzwischen habe sie Vertrauen zu sich selbst gefunden, und das sei die positivste Selbsterfahrung, die sie je gemacht habe.

André hielt sich für den Typ des Kopfmenschen, der auch mal etwas mit den Händen machen muss. »Mein Leben als Lehrer hatte mich nicht darauf vorbereitet mit den Händen zu arbeiten. Doch im Lauf weniger Monate wurde ich ein ganz passabler Handwerker.« Er lachte. »Da lernst du, dich sehr auf dich selbst zu verlassen, sonst fliegt dir irgendwann alles um die Ohren«, resümierte er.

Engagiert waren die beiden, aber nur, was ihre persönliche Entwicklung betraf. Die Suche nach einer besseren Welt war nicht ihr Thema. Obwohl sie einmal der kritischen Generation angehört hatten. André: »Wir sind auf einer großen Reise, einer Reise zu uns selbst.«

 

Ähnlich erging es Charlie, den ich in Mahón auf Menorca traf. Er saß auf seiner Sunda und war mit sich und der Welt im Einklang. Wir tranken mehr als ein Glas und philosophierten dabei ein wenig. Charlie sagte: »Auf meinem Boot fühle ich mich frei.« Er meinte damit, dass er für niemand anderen als für sich selbst verantwortlich sei. An Land habe man ihn oft unter Druck gesetzt, zur Arbeit gezwungen, was Verantwortung geheißen habe. Lange genug habe er gezögert, aber dann habe er das einzig Richtige getan und sei gegangen.

Im Hafen von Kos begegnete ich Conni, die mit ihrem Mann und zwei Kindern unterwegs war. Sie sagte: »Auf dem Boot habe ich noch mehr Verantwortung als an Land.« Sie meinte damit nicht nur, dass die beiden Kinder gefährlicher lebten als in einem Haus mit Garten, also mehr Auf- und Umsicht nötig sei.


Conni und ihre Familie

Rosa, die mit ihrem Mann in Marmaris in der Marina einen Winter verbracht hatte, behauptete, dass das Zusammenleben für Paare auf dem Boot schwieriger sei, weil man viel enger aufeinander hocke als in der kleinsten Wohnung. »Wir leben und erleben uns viel intensiver als an Land und sind dadurch zusätzlich gefährdet«, erklärte sie. Ohne die Bereitschaft zu mehr Toleranz und Verantwortung bei allen Beteiligten, davon war sie überzeugt, sei Bordleben nicht möglich.

Zwischen diesen Aussagen lässt sich das Verantwortungsgefühl vieler Langzeitsegler einordnen. Fast alle erklärten, dass sie sich für ihre Mitsegler und für ihr Boot verantwortlich fühlen. Auch Charlie, der Verantwortung für andere ablehnte, betonte ausdrücklich, wie wichtig die Sunda für ihn sei, und dass er alles aufbiete, um sie in einwandfreiem Zustand zu erhalten, schon wegen der Sicherheit. Dagegen wollten die meisten mit allem, was über den privaten und unmittelbar nachbarschaftlichen Bereich hinausging (die auf den anderen Booten), nichts zu tun haben. Hubert etwa meinte: »Ich bin ein unpolitischer Mensch, was die Protestierer auf den Straßen machen, ist mir scheißegal.«

Wendy und Dana ankerten in der kleinen Bucht auf Formentera südlich von Mallorca neben uns. Sie waren vor vielen Jahren aus Südafrika geflüchtet und mit ihrem Boot davongesegelt, weil sie fürchteten die Apartheid sei noch nicht überwunden. Sie waren auf der Suche nach einem friedlichen Land, in dem sie sich niederlassen konnten. Wer in seinem Land etwas verändern will, hat keinen Grund, sich auf ein Boot zu setzen und abzuhauen, erkannte Dana. Flucht ist eigentlich keine Lösung. Wahrscheinlich treffe man deshalb so wenig gesellschaftlich und politisch überdurchschnittlich interessierte Menschen unter den Seglern, die längere Zeit unterwegs sind.

Doch wenn so eine Odyssee zu Ende geht, bekommen auch die modernen Rumtreiber das große Flattern. Dann nämlich brauchen sie Freunde, die ihnen helfen, vor allem mit Verständnis, wenn sie sich nicht gleich auf dem Festland zurechtfinden, vor allem jedoch Unterstützung von denen, die für sie mal die »dummen Leute an Land waren«.

In Port-Vendres bereiteten sich Linus und Marlen, beide um die 40, auf den Wiedereinstieg vor. Vor drei Jahren waren sie mit ihrer Stella Mares von Frankreich in die Karibik gesegelt, um sich von ihrem alten Beruf zu befreien – und einen neuen zu finden. Als Lehrer, Übersetzer und Taucher hatte Linus bis dahin genügend Geld im Berufespringen gesammelt. Geld war überall zu verdienen, dachte er, warum nicht einmal so verrückt sein und es unterwegs versuchen?

Nach drei Jahren war das Gesparte ausgegeben, aber kein neuer Beruf in Sicht. »Ich werde niemals die Freiheit vergessen, die ich unterwegs gehabt habe«, gestand er. »Da segelst du um die halbe Welt und erlebst so allerhand, und auf einmal soll das alles vorbei sein?« Er rutschte näher an mich heran – unsere Boote lagen Fender auf Fender nebeneinander, er dämpfte die Stimme und klang etwas ratlos. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.«

Wer mehr als zwei Jahre auf einem Boot gelebt hat, der schafft den Wiedereinstieg in die Leistungsgesellschaft, in der der Wind selten von achtern weht, wie im warmen Passat, nur, wenn er sich eisern diszipliniert und über die entsprechende Motivation verfügt – und die heißt meist ein neues Schiff und eine neue Reise. Wie Pierre aus Brügge nach seiner Weltumseglung erzählte, dessen Kasse so leer war wie ein Wassertank nach einer Ozeanüberquerung. Für ihn gab es nur eine Möglichkeit: Er musste zurück in seinen alten Beruf. Seine nächtlichen Zivilisations-Anpassungs-Übungen waren Horrorträume. Er hat ständig von einer zweiten Weltumseglung gesprochen, die er in 8 bis 10 Jahren beginnen werde. Er wird es sicher – vielleicht, möglicherweise, unter Umständen, wenn nichts dazwischen kommt – auch schaffen.

03. Ohne Moos – nix los

Kein anderes Problem drückt Langzeitsegler so sehr wie die Sorge um das liebe Geld. Das war und ist auf Aussteiger-Yachten immer wieder Tagesgespräch. Mit Phantasie und geschickten Händen schafften es einige, flüssig zu bleiben oder wieder flüssig zu werden, wenn Ebbe in der Kasse war. Andere nicht.

Meist kreiste alles Denken von Anfang an um’s liebe Geld. Pensionierte Ehepaare mit mehr oder weniger dickem Rentner-Portemonnaie, kennen dieses Thema nicht so sehr. Dafür kommt es bei allen anderen umso häufiger auf den Salontisch. Die Diskussion, wie man an Bord leben und gleichzeitig Geld verdienen kann, ist so alt wie die Geschichte von Joshua Slocum, dem ersten Einhand-Weltumsegler – abendfüllend und selten langweilig. Die Kreativität der Beteiligten kennt keine Grenzen. Reale Marktchancen haben nur etwa zwei bis drei Prozent der entwickelten Ideen.

Am Anfang steht immer die Frage: Was braucht man? Wilfried und Ruth, die mit ihrem umgebauten Rettungskutter im Hafen von Menorca neben uns lagen, kamen im Schnitt mit 500 Euro im Monat aus, Versicherungen und Schiffsunterhalt ausgeklammert. Gregor und Bella brauchten zusammen 1200, Jorgo und Christina nur 400. »Kommt darauf an, über welche finanziellen Grundlagen man verfügt und wie man sich diese einteilt«, meinte Rosa, »und natürlich auch darauf, welche Ansprüche man hat.«

Die Mehrzahl der Aussteiger unter Segeln lebt vom Ersparten. Das Motto ist meistens: Je weniger du ausgibst, desto länger kannst du unterwegs sein. Der Haken bei dieser Philosophie ist nur, dass, wer nicht ganz cool und abgebrüht ist, sich niemals so recht entspannen kann.

Für Marie von der Blueberry war es ein Trauma bis zum Schluss: »Ich hab’ immer auf das schwindende Geld gestarrt, wie das Kaninchen auf die Schlange.« Sie konnte einfach nicht ohne ständiges Schuldgefühl von der Substanz leben. Als ihr Zwei-Jahres-Törn langsam zu Ende ging, freute sie sich darauf, bald wieder an Land zu sein und in einer richtigen Wohnung mit mindestens einer Badewanne zu leben – und arbeiten zu können.

Clevere Jungs haben ein paar Tricks entwickelt, wie sie zu Geld kommen konnten, ohne auch nur einem einzigen Einheimischen einen Arbeitsplatz wegzunehmen. Die Zeiten der segelnden Holzfäller und Bauarbeiter sind längst vorbei, fasste Sascha das Problem zusammen. Alexander zum Beispiel hatte billig zusammengezimmerte Holzschiffe aus Pinienholz, so lange um- und ausgebaut, bis er sie verkauft hatte. Nach jedem Verkaufserfolg suchte er nach einem neuen Umbauprojekt. Von der Differenz lebte er »nicht schlecht«, wie er unter vorgehaltener Hand erklärte.

Holger nähte Segel und Persenninge an Deck seines Kutters. Timmi hatte eine komplette Werkstatt an Bord. Jürgen malte Schiffsportraits, Eve – natürlich sind auch die Bordfrauen kreativ – schneiderte Bikinis aus selbst gebatikten Stoffen und verkaufte sie, vor allem auf Charterbooten. Claire häkelte Decken, Claus tippte Konzepte für seinen Auftraggeber und schrieb Werbetexte. Helm arbeitete recht erfolgreich nach der Methode »Staubsauger-Verkäufer«: Kam er zu einem Drink an Bord, hatte er in kürzester Zeit eine Lücke in der Ausrüstung entdeckt. Wortgewaltig konstruierte er daraus einen Seenotfall. Dann ließ er sein Opfer zwei Tage schmoren und kam schließlich als Problemlöser daher: Ich hätte da ganz preiswert … Das Teil, das er anbot, hatte er einem anderen Skipper für dessen geplante Route als völlig nutzlos ausgeredet.


Jürgen malt Schiffe

Außer diesen Cleveren gab es auch noch eine Reihe recht netter Typen, die ihr Geld im Schweiße ihres Angesichts verdienten. Ihr Motto: besser ein Charterschiff als gar keins. Das waren natürlich keine echten Weltenbummler mehr, denn Skipper auf einer Charter­yacht ist inzwischen ein fast so gewöhnlicher Beruf wie Omnibusfahrer zwischen Hamburg und Stade oder – Lokomotivführer zwischen München und Rosenheim.

Ohne Geld bläst einem der Wind bald kalt ins Gesicht. Dafür sorgen die hohen Liegegebühren in den Häfen und vor allem in Marinas. Wer nicht zahlen kann, muss erst gar nicht einlaufen, sondern besser draußen ankern.

Neben finanziellen gibt es auch psychologische Probleme, die mit Geld zu tun haben: Mike gehörte zu den Typen, die eines Abends aus dem Haus gehen, um Zigaretten zu holen – und nicht mehr zurückkommen. Es geschah an einem Novemberabend vor Jahren in einem Vorort von Sydney, erzählte Mike, wo er mit seiner Frau in einer kleinen Villa wohnte. Kinder hatten sie keine. So spontan sein Entschluss aussah, so lange war er vorbereitet: In sieben Jahren hatte er sich ein Segelboot zusammengespart, ohne dass seine Frau etwas davon wusste – ihre Wäscherei ging gut, sie hatten viel zu tun, Mike machte die Buchhaltung, Charlot, seine Frau, die Arbeit an den Waschmaschinen. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, verschwand er und segelte los. Wochen später meldete er sich aus Singapur und schlug seiner Frau einen Deal vor: Sie sollte die Wäscherei behalten und er bekäme jeden Monat einen kleinen Scheck. Charlot ging darauf ein und belegte einen Schnellkurs in Buchhaltung. Dies schien ihr die einzige Möglichkeit, ihn jemals wieder zu sehen.

Mikes Grund für die so lange geplante Flucht war die beängstigende Vorstellung, bis in alle Ewigkeit in der Wäscherei hocken zu müssen. Ihn lockte die heimliche Sehnsucht zum Meer, der Blick hinter den Horizont. Seine Frau verstand das nicht – sie hasste das Meer und konnte und wollte nicht loslassen. Und hoffte, er käme irgendwann zurück.

Mikes Boot wurde in Borneo ausgeraubt und auf den Seychellen wäre er beinahe gestrandet. In Griechenland hatte er gerade seine soundsovielte Sinnkrise hinter sich. Jede hatte den selben Namen: Einsamkeit. Gelegentliche Mitsegler und Hafenbekanntschaften, so fand er schließlich heraus, waren kein Ersatz für menschliche Nähe und Wärme.

Ob er noch nicht die Nase voll habe und zu seiner Penelope zurück wolle?, fragte ich ihn. Nein, irgendetwas treibe ihn, er wusste nur noch nicht ganz genau, was.

Mike, der Suchende, war einer von vielen ausgemergelten, bärtigen, barfüßigen Gestalten undefinierbaren Alters, mit wenig Geld in abgeschnittenen Jeans, allein oder mit einem Gelegenheitsgirl auf einem abenteuerlichen Boot unterwegs. Alle erzählten sie mir immer sich ähnelnde Vorgeschichten und die gleichen Probleme mit dem lieben Geld – und mit sich selbst.

Manchmal roch es nach Räucherstäbchen und einem Pfeifchen. Aber die Bezeichnung Yachtie (abgeleitet von Hippie) ist so wenig zutreffend wie Softie für Männer, die auch mal weinen. Denn auf ihren Yachten sitzen auch die Sechziger, die, mit einer sich ins Unvermeidbare schickenden Ehefrau und einer soliden Pension ausgestattet, noch etwas erleben wollen. Die Fünfzigjährigen, die ihr Geschäft vorzeitig verkauft oder aufgegeben haben, gerade noch rechtzeitig, bevor sie für das letzte Abenteuer zu klapprig waren. Die Vierzigjährigen, die irgendwann auf Zeit ausgestiegen waren und die den Wiedereinstieg in die Kosten-Nutzen-Welt noch vor sich hatten. Die Dreißigjährigen, die eine Atempause machten, ein Sabbatical, und entweder Mitglied im Anti-Karriere-Club waren oder neue Kräfte sammeln wollten. Schließlich die Zwanzigjährigen, die ein bisschen Zeit und Geld hatten – weiß der Teufel woher – und unbekümmert in den Tag hineinsegelten.

Frauen aller Altersgruppen waren dabei – mit oder ohne Geld, und mit überraschenden Fähigkeiten und viel Selbstvertrauen. Oftmals auch Frauen, die gerade gestartet waren und ehrgeizige Pläne verfolgten. Aber auch Aussteiger, die irgendwann einmal Visionen hatten und jetzt ihr Scheitern verarbeiteten. Leute, die es gerade bis zum zweiten Hafen geschafft hatten und sich dort in eine einheimische Schöne verknallten (Hallo Martin!) Leute, die von der Charterei endgültig die Nase voll hatten, aber nicht wussten, was sie stattdessen tun sollten. Und schließlich Leute, die reduziert auf dem engen Raum ihres Bootes, losgelöst von allem, was einengt und behindert, etwas über sich und die Welt erfahren wollten und nach einer langen, gut finanzierten und durchgeführten Reise wieder nach Hause fanden.

 

Oberflächlich betrachtet ist das Leben dieser »segelnden Dauerurlauber« in der Tat beneidenswert. Vor der Kulisse des nicht immer blauen Meeres, in den südlich brodelnden, manchmal auch stinkenden Häfen, pflegt man Kontakte, geht hilfsbereit miteinander um und tauscht Erfahrungen aus. Das soziale Leben ist scheinbar problemlos, Nachbarschaft an der Pier unverbindlich. Wenn man mal zu offen war oder sich nicht mehr sehen kann – Anker auf und weg! Es gibt keine Verpflichtungen, kein ewiges Angebundensein, völlig anders als in der Reihenhaussiedlung.

Doch unter der Oberfläche sieht es oft ganz anders aus. Rico, ein Typ der schon Jahre auf seinem Boot lebte, kreuz und quer durchs Mittelmeer gesegelt war, den ich im Hafen auf Rhodos traf, entdeckte eines Tages, wie sehr er Leute beneidete, die ohne Ehrgeiz und mit sich und der Welt zufrieden leben konnten. Er sei schon immer ein Getriebener gewesen, auf dem Boot habe sich das sogar noch verstärkt, obwohl er ja keinerlei Geldsorgen habe. Mit seinem Beruf als Börsenmakler habe er genug verdient. Nun wolle er endlich Zeit für sich haben.

»Das kann dich regelrecht umhauen, wenn du plötzlich mit dem Meer, der Sonne und dir selbst alleine bist«, erzählte er. Erst nach einem Jahr war er bereit, sich so zu akzeptieren, wie er war. Seitdem segelte er wie der »Fliegende Holländer« ruhelos über die Meere.


Ursula repariert die Ankerwinsch

Ganz anders Boris, der ebenfalls im Hafen von Rhodos lag. Vor ein paar Jahren hatte er seine Firma gegen eine monatliche Rente an seine Mitarbeiter abgegeben und sich auf einen umgebauten Rettungskutter zurückgezogen. »Es gibt Leute, die müssen die Welt sehen, ich dagegen will nur meine Ruhe haben«, erkannte er sich selbst. Das hat er auch geschafft – er war einer der entspanntesten Typen, die ich getroffen habe.

Von Ibiza bis nach Rhodos brauchte er vier Jahre. Wo es ihm gefiel, blieb er Wochen, im Winter Monate. Für ihn war nicht das Unterwegssein wichtig, sondern das Leben auf dem Schiff an sich, ganz egal wo, Hauptsache die Sonne schien und es war warm.

Boris zeigte mir Bilder von früher: Als gestandener Manager im Anzug mit Krawatte, als Familienvater mit Sohn und Ehefrau, und dann als Kerl mit Bart im Blaumann vor dem abgebeizten Kutter auf einer Werft.

Sein Schiff war die Folge der Familientrennung, nicht deren Ursache, wie er betonte. Berufliche Disharmonien kamen dazu. Je mehr er die Tricks seiner Branche durchschaute, desto weniger war er überzeugt von dem, was er tat. »Entweder glaubst du an den weißen Riesen oder du wirst zum Zyniker.« Boris wollte weder Dummkopf bleiben noch Zyniker werden, deshalb sei er gegangen. Das Schiff war ein alter Jugendtraum. »Na ja, so hat es sich halt ergeben«, berichtete er. Geld sei kein Problem, er grinste. Das was er für den Verkauf seiner Firma bekommen habe, sei gut in der Schweiz angelegt.

»Niemand kriegt mich mehr hier runter.« Beim Abschied lachte er augenzwinkernd und winkte.