Czytaj książkę: «Frauen sind die besseren Männer»
ebook 2020
© 2015 mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagabbildung: Peter Dunsch
Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)
ISBN 978-3-96311-484-7
Inhalt
Das Wunder von Halle. Ein Vorwort
Aufklärung tut dringend not
Filmverriss mit Folgen
Lügen haben kurze Räder
Pleite im letzten Akt
Die Frischzellenkur
Strafe muss sein!
Hausschuhe sind ein Scheidungsgrund
Ehe rettet sich, wer kann
Eine Frau mit Führerschein
Schuld war der Computer
Parkplatzprobleme
Knöllchenkrieg
Oma schlägt zurück
Scheidungsrichter küsst man nicht
Ein vergessener Hochzeitstag
Hauptsache, man wirkt männlich
Dabei sein ist alles!
Sehnsucht nach Schuhen
Geldautomaten kennen kein Erbarmen
Grüße aus dem Urlaub
Das Wunder von Halle.
Ein Vorwort
Immer und immer wieder lagen mir in den letzten Jahren aufgebrachte Leser in den Ohren, ob und wann es denn endlich Neuauflagen meiner ersten Bücher geben würde. Bis zur Stunde konnte ich diesem allzu menschlichen Verlangen nicht positiv begegnen. Vehement sperrt sich seit Jahren der Dietz Verlag dagegen, die beiden von Manfred Bofinger illustrierten Satirebände „Das Auto im Manne“ und „Schuld war der Computer“ neu drucken zu lassen. Auch der Sachsenbuch Verlag zeigte keinerlei Interesse, mit dem Titel „Paradies für Kunstverbrecher“ seine Bilanzen aufzumöbeln und ließ stattdessen lieber mich von einem Bodyguard vermöbeln, als ich mich weigerte, das Verlagsgebäude zu verlassen.
Alle Bemühungen verliefen im Sande. Nichts half. Keine guten Worte, keine Drohbriefe, in denen ich postmodern eine wichtige Backzutat versteckte, als wäre es eine hochgiftige Substanz. Ich hoffte, auf diese Weise hätte ich etwas Mehl. Auch ein konsequent geführter Hungerstreik, den ich nach zwei Stunden wegen meines knurrenden Magens abbrach, schlug fehl. Selbst das Anketten ans heimische Bett führte nicht zum gewünschten Erfolg. Alle Aktionen liefen ins Leere. Verlagsentscheidungen sind für viele Autoren weder verständlich noch nachvollziehbar.
Dabei könnten die beiden Verlage heute richtig reich werden mit den Büchern. Zur Geburtsstunde meiner drei Ladenhüter musste ich mich mit einer überschaubaren Fangemeinde begnügen. Die hätte ich locker auf einem Tandem mitnehmen können. Sie, als die Fangemeinde, bestand nämlich damals aus einer jungen Frau, die mir noch heute flammende Leserbriefe schickt – aus der geschlossenen Psychiatrie. Inzwischen hat aber mein Leserkreis gigantische Formen angenommen. Viele davon laufen frei herum und würden selbst das Fassungsvermögen eines Regionalligastadions sprengen. In Mitteldeutschland bin ich nämlich inzwischen weltberühmt. Und das sage ich in aller Bescheidenheit.
Apropos Mitteldeutschland: Plötzlich und völlig unerwartet wurde ich vom Mitteldeutschen Verlag aus Halle an der Saale gefragt, ob ich denn an einem Best-of meiner ersten und längst vergriffenen Bücher interessiert wäre. Noch ehe ich Nein sagen konnte, stimmte ich zu und unterschrieb ungelesen den Vertrag. Das Finalprodukt halten Sie nun in den Händen, und wir haben uns richtig Mühe gegeben. Jede Geschichte wurde noch einmal liebevoll überarbeitet, ohne dabei die typische Sprache des jungen Levin zu entstellen. Mein Freund und Illustrator Peter Dunsch, der mit seinen bewährt schwarzhumorigen Zeichnungen bereits seit 2003 meine Bücher zu sächsischem Weltruhm führt, gab auch diesem einzigartigen Werk gutenbergscher Druckkunst den letzten Schliff. Meine Frau sagte letztens zu mir: „Ohne Peter wären deine Bücher nicht halb so schön. Sei froh, dass du ihn hast!“
„Aber Liebling“, erwiderte ich überrascht, „ich hasse ihn doch gar nicht.“
Mit diesem Buch hat der Mitteldeutsche Verlag einen unschätzbaren kulturpolitischen Beitrag geleistet. Dass es so und nicht anders gekommen ist, haben Sie einem jungen und engagierten Verlagsteam eines altehrwürdigen Verlagshauses zu verdanken. Ihre belletristische Verlagstat ist für mich wie auch für Peter Dunsch: ‚Das Wunder von Halle‘.
„ Ich suche noch ein lustiges Motiv für den Levin. Kannst du dazu mal unser Auto umparken?“
Und vielleicht geht ja das Wunder noch weiter. Denn inzwischen giert die verwöhnte Leserschaft mit der Hartnäckigkeit Deutscher Steuerfahnder nach Hörbüchern und E-Books. Immer aufdringlicher attackieren sie mich, beugen sich nach Veranstaltungen tief über den Lesetisch und hauchen mir ihren nicht immer angenehmen Atem ins Gesicht. Als Autor braucht man eine enorme Leidensfähigkeit. Man muss viel aushalten können, ohne selbst ausgehalten zu werden. Meine Erklärungen, ich hätte doch bisher weder E-Books noch Hörbücher geschrieben, werden nicht akzeptiert. Dieser immense Druck, der dadurch auf meinen zerbrechlichen Schultern lastet, ist kaum noch zu ertragen. Ich fühle mich wie die erfolgsverwöhnten Bayernspieler immer der Meisterschaft und dem nächsten Sieg verpflichtet. Der Fan ist eben eine Macht, der gern mit meinen Büchern lacht.
März 2015
Aufklärung tut dringend not
Ich möchte versuchen, den knochenharten Job eines verheirateten Buchautors am Beispiel eines einzigen Arbeitstages zu schildern. Nehmen wir an, es ist ein Donnerstag. Drei Tage aufreibender Schreib- und Schwerstarbeit sind bewältigt – vier weitere gilt es erhobenen Hauptes zu bestehen. Schriftsteller haben noch immer die Siebentagewoche.
7.32 Uhr! – Gnadenlos rasselt der Wecker. Eine merkwürdige Zeit! Aber auf 7:30 Uhr bekomme ich den altersschwachen Wecker einfach nicht gestellt. Ich quäle mich aus dem Bett und verschwinde im Bad, dabei versuche ich, die beiden verlorenen Minuten wieder hereinzuholen.
7.58 Uhr! – Frisch gestylt, rasiert und besprayt verlasse ich die häusliche Frischeoase und schlüpfe in ein bequemes T-Shirt und in eine ausgebeulte Jogginghose.
8.01 Uhr! – Ich gehe zum Briefkasten und hole die Zeitung. Den Leitartikel lese ich bereits im Aufzug. Die knappen, aber treffenden Formulierungen versetzen mich in Schreiblaune.
8.06 Uhr! – Ich setze die Kaffeemaschine in Gang und schiebe zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. Die Zeit dehnt sich zur Ewigkeit. Ehe ich bemerke, dass sich der Zeitschalter auf acht Minuten verstellt hat, erfüllt beißender Brandgeruch die Küche. Ich will das Fenster aufreißen. Welches Fenster? Unsere Küche hat kein Fenster, nur eine Durchreiche zur Wohnstube.
8.13 Uhr! – Endlich! Ich sitze am Frühstückstisch, trinke den ersten Schluck Kaffee, beiße eine kleine Ecke vom Brot ab und überfliege die Schlagzeilen. Plötzlich klingelt es. Felix Stürzler, mein Nachbar, steht vor der Tür.
„Mein Fernseher ist kaputt“, stöhnt er.
„Was kann ich denn dafür?“
„Ich wollte mir nur euer Gerät borgen. Du guckst doch ohnehin kaum fern.“
„Aber … wie stellst du dir das vor?“
„Ist doch nur für ein paar Tage“, beschwichtigt mich Felix und schleppt bereits unseren Fernseher aus der Wohnung.
8.47 Uhr! – Ich widme mich wieder der Zeitung und bin jetzt im Sportteil angelangt. Die fette Schlagzeile Kaiser Franz mit Millionen-Werbevertrag hebt sich von der belanglosen Berichterstattung ab. Was hat dieser Mann, was ich nicht habe? „Geld ist für mich nur bedrucktes Papier“, hat er mal in einem Fernsehinterview gesagt. Ich möchte gern Franz Beckenbauer sein, dann hätte ich nicht meine Probleme, sondern seine!
„ Hallo, Uwe, ich glaube, mit deinem Auto stimmt was nicht!“
8.50 Uhr! – Es klingelt. Felix Stürzler steht schon wieder vor unserer Wohnungstür.
„Ich brauche deine Hilfe!“
„Aber du hast doch schon unseren Fernseher.“
„Ja, aber meinen muss ich zur Reparatur bringen.“
„Soll ich dir tragen helfen?“, frage ich vorsichtig.
„Denkst du etwa, ich kann das schwere Ding allein schleppen?“
„Nein, natürlich nicht“, entschuldige ich mich und ziehe meine Jacke über.
„Vergiss deinen Autoschlüssel nicht!“, sagt er mit einem kategorischen Imperativ. Wie selbstverständlich nehme ich meinen Autoschlüssel vom Schlüsselbrett. Im Aufzug, wir haben das Gerät abgesetzt, frage ich ihn: „Wozu brauchen wir meinen Autoschlüssel?“
„Irgendwie muss ich doch meinen Fernseher in die Werkstatt bekommen!“
„Heißt das … willst du etwa damit sagen, dass …“
„Nun gib schon den Schlüssel her!“ Er reißt ihn mir aus der Hand. „Mein Wagen ist in Reparatur!“
9.14 Uhr! – Ich sitze mit genau vierzehn Minuten Verspätung am Schreibtisch und beginne die beiden Satiren, die ich letzte Woche verfasst habe, zu überarbeiten. Nach dem ersten Absatz meldet sich das Telefon. Meine Frau ist dran.
„Du, es wird heute etwas später. Geh bitte einkaufen! Wir brauchen Brot, Butter, Milch, Ketchup, eine Gurke, ein paar Tomaten, aber keine holländischen, Kaffee, Filtertüten, ein Stück Seife, die Fernsehzeitschrift für nächste …“
„Die brauchen wir nicht mehr.“
„Wieso?“
„Ich habe Felix unseren Apparat geliehen, seiner ist …“
„Du hast was!?“ – Ich lege schnell auf, schnappe den Einkaufskorb und sprinte zur Tür. Wieder klingelt das Telefon.
„Warum hast du aufgelegt?“
„Aber Schatz, ich habe nicht aufgelegt, wir müssen unterbrochen worden sein.“
„Du gehst jetzt sofort in die Kaufhalle und holst all das, was ich dir aufgetragen habe! Und wenn ich nach Hause komme, steht unser Fernseher wieder da, wo er immer steht! Verstanden?“
10.08 Uhr! – Ich setze die schweren Einkaufstaschen in der Küche ab und verstaue alles im Kühlschrank, zerstreut wie ich bin, auch die Seife. Plötzlich klingelt das Telefon. Diesmal ist es mein Verleger Dr. Wilfried Hunger.
„Wie weit sind Sie mit den noch ausstehenden Texten?“, fragt er ungeduldig.
„Nun ja, um ganz ehrlich zu sein …“, antworte ich ausweichend.
„Nun hören Sie mir mal gut zu! Sie denken wohl, Sie sind der einzige begabte Autor. Bis nächste Woche liegen die Geschichten auf meinem Tisch oder Sie können Ihr nächstes Buch in den Wind schreiben!“
„Sie können auf mich zählen. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.“
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und lasse die neuen Satiren vorerst ruhen. Als ich die erste Textdatei laden will, klingelt erneut das Telefon.
„Hast du den Fernseher geholt?“ Früher klang die Stimme meiner Frau reizend, jetzt nur noch gereizt.
„Schatz, ich bin gerade vom Einkauf zurück. Aber ich gehe sofort zu Felix runter und hole ihn.“
„Das will ich dir auch geraten haben! Sonst gnade dir Gott!“
10.39 Uhr! – Ich klingle verzweifelt bei Stürzlers. Niemand macht auf oder will aufmachen. Ich muss es später noch einmal versuchen.
10.44 Uhr! – Zurück am Schreibtisch. Ich hoffe, endlich die nötige Ruhe zu finden, um an meinen Geschichten weiterarbeiten zu können. Das Telefon meldet sich.
„Ich bin’s, Richard!“, dröhnt die tiefe Stimme meines Freundes und Kunstmalers Richard Querstrich durch die Leitung.
„Du, im Moment hab ich alle Hände voll zu tun!“, versuche ich ihn abzuwimmeln.
„Schön für dich. Ich liebe auch diese kreativen Phasen. Aber was ich sagen wollte, ich habe ein neues Bild gemalt.“
„Schön, Richard, bei Gelegenheit sehe ich’s mir an.“
„In Ordnung, die Gelegenheit hast du jetzt. Du brauchst nur mal schnell an deine Wohnungstür zu kommen!“
Verdutzt lege ich auf. Tatsächlich, Richard Querstrich steht vor unserer Tür, ein Handy am Ohr und lächelt mich spitzbübisch an.
„Da staunst du, was? Genial. Diese Dinger sind einfach genial.“
„Ich hab nicht viel Zeit.“
„Nur fünf Minuten für einen guten Freund“, bettelt er, steht bereits im Korridor und wickelt sein Bild aus.
„Aber wirklich nur fünf Minuten“, werde ich weich.
Aus den fünf Minuten wird eine geschlagene Stunde mit zwei Flaschen Bier und drei Gläschen Kognak. Ich lobe das Bild in der Hoffnung, ihn auf diese Weise loszuwerden. Leider erwächst mir daraus eine Kaufverpflichtung.
„Ich mache dir einen Sonderpreis!“, lockt Richard geschäftstüchtig. „Dreihundert Euro. Komm, das ist halb geschenkt!“
„Ich möchte es nicht einmal ganz geschenkt!“, wehre ich ab.
„Dir gefällt es also gar nicht, du Heuchler“, wirft er mir beleidigt an den Kopf.
„Nein, Richard, nur im Moment habe ich andere Sorgen, als dir ein Bild abzukaufen.“
„Na schön, du elender Feilscher, ich komme dir entgegen. Einhundert Euro. Mein letztes Angebot.“
Ich gebe Richard den Hunderter und freue mich über die teuer erkaufte Ruhe.
12.10 Uhr! – Mein Magen fordert ungeduldig sein Recht auf Nahrung ein. Bevor ich weiterarbeiten kann, muss ich ihn erst mal zufriedenstellen. Ich hole mir ein halbes Grillhähnchen und würge das trockene Fleisch hinunter.
12.43 Uhr! – Ich lese die erste Geschichte und weiß plötzlich, wo ihre Schwächen liegen. Mitten in meine Suche nach passenden Formulierungen schrillt die Klingel. Felix steht vor unserer Wohnungstür, Hose und Jacke zerrissen und mit Brandflecken, die noch etwas qualmen.
„Was ist denn mit dir passiert?“, frage ich über diesen seltenen Anblick belustigt.
„Frage lieber, was mit deinem Wagen passiert ist!“
Der Schock sitzt. Ich ahne Schlimmes.
„Du hattest einen Unfall!“, stelle ich dann doch erstaunlich nüchtern fest, obwohl die drei Kognaks noch immer ihre Wirkung zeigen.
„Mit Fahrerflucht! – Hier ist dein Schlüssel!“
„Du bist getürmt?“, frage ich entsetzt.
„Ich hab die Nerven verloren“, winselt Felix, macht auf den Absätzen kehrt und verschanzt sich hinter seiner Wohnungstür.
Mir dreht sich plötzlich alles im Kopf. Es ist völlig unmöglich, in diesem Zustand geistiger Umnachtung noch eine einzige Zeile zu schreiben. Ich gehe ins Wohnzimmer, versinke in einem der weichen Sessel und warte. Warte worauf? Dass es vielleicht wieder klingelt?
13.21 Uhr! – Es klingelt wieder. Zwei uniformierte Beamte sehen mich vorwurfsvoll an.
„Sind Sie der Halter des Wagens L-BU 1810?“
„Ja, das bin ich …“
„Oh“, stöhnt der zweite, „der ist ja voll wie ein Schichtbus.“
„Herr Wachtmeister, ich kann alles erklären.“
„Wir sind gespannt.“
„Ich bin seit mindestens drei Tagen nicht gefahren, weder mit meinem, noch mit einem anderen Auto“, versuche ich den misstrauischen Grünlingen begreiflich zu machen.
„Dann erklären Sie uns doch bitte mal“, fordert der zweite Polizist, „warum die Motorhaube Ihres Wagens noch warm ist!“
„Die Reste der Motorhaube“, verbessert ihn der erste.
„Ich hatte mein Auto verborgt.“
„Das ist kein sehr origineller Witz!“, funkelt mich der zweite böse an.
„Wir müssen Sie auffordern mitzukommen!“
„Wohin?“
„Ins Krankenhaus zur Blutprobe.“
„Ich kann trinken, wann ich will und wie viel ich will“, protestiere ich energisch. „Ich kenne meine Rechte.“
„Aber nicht, wenn Sie in trunkenem Zustand Auto fahren!“
„Ich bin nicht Auto gefahren, schon seit drei Tagen nicht.“
„Wer dann?“
„Ich.“ Die beiden Polizisten drehen sich verwundert um. Felix Stürzler steht hinter ihnen, den Kopf schuldbeladen gesenkt. Die beiden Polizisten entschuldigen sich und nehmen Felix Stürzler in ihre Mitte.
13.46 Uhr! – Ich bin endlich allein. Vor Felix habe ich vorerst Ruhe. Ich überlege einen Moment, ob ich noch einmal den Computer anmachen soll, entschließe mich aber, den heutigen Arbeitstag zu beenden.
13.49 Uhr! – Das Telefon klingelt. „Hast du endlich unseren Fernseher geholt?“ – Der Fernseher, schreie ich innerlich auf. „Tut mir leid, es ist etwas dazwischengekommen.“
„Dazwischengekommen!?“, brüllt meine Frau. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“
„Das frage ich mich mittlerweile auch.“
„Auf der Stelle holst du unseren Fernseher!“
„Das ist im Moment nicht möglich.“
„Was soll das heißen, nicht möglich?“
„Felix ist nicht zu Hause. Vor einer halben Stunde wurde er verhaftet.“
„Verhaftet? Weshalb?“, flötet meine Frau schadenfroh durchs Telefon.
„Er hat einen schweren Unfall verursacht und ist danach abgehauen.“
„Ich hab’s immer gewusst, eines Tages geht es diesem Verkehrsrowdy an den Kragen“, weiß meine Frau und sagt mit tiefster Verachtung: „Das sieht diesem Feigling ähnlich, Fahrerflucht!“
„Und das auch noch mit unserem Auto“, ergänze ich der Vollständigkeit halber.
„Sag das noch mal!“, schreit meine Frau hysterisch.
Schweren Herzens erfülle ich ihr diesen Wunsch.
„Das ist ja interessant, das ist ja hochinteressant“, sprüht sie ihren Zynismus durch die Leitung. „Erst gibst du diesem Choleriker unseren Fernseher und dann auch noch das Auto. Ich möchte wetten, du hast heute noch keinen müden Euro verdient.“
„Aber hundert Euro ausgegeben, für ein mittelmäßiges Bild von Richard Querstrich.“
Filmverriss mit Folgen
Man sollte am Sonntagabend, zur besten Krimizeit, nie ans Telefon gehen. Anrufe um diese Zeit bringen in der Regel nichts Gutes. Wie oft habe ich mir schon geschworen, diesen aufdringlichen Klingelton einfach zu ignorieren. Wichtige Anrufe sind eh nie dabei.
Als es letzten Sonntagabend bei uns klingelte, gewann ich den Spurt zum Telefon. Es war ein wichtiger Anruf, und er war für mich.
„Ich brauche dich, dringend!“, hauchte eine zarte Frauenstimme. Sie gehörte Martina Stiebstein, einer blutjungen Zeitungsredakteurin.
„Bist du allein zu Hause?“
„Ich sitze in der Redaktion, in anderthalb Stunden ist Redaktionsschluss, und mir fehlt noch immer ein Beitrag“, erklärte sie ohne Umschweife und schien meine anzügliche Frage überhört zu haben.
„Wie soll ich denn in neunzig Minuten einen Beitrag herzaubern?“, fragte ich ratlos.
„Es handelt sich um eine Filmkritik.“
„Ist das nicht Schmierfinks Sache?“
„Der hat sich heute Morgen den Arm gebrochen, beim Tennis.“
„Und die anderen, die sonst die Kritiken schreiben?“, versuchte ich abzulenken.
„Büchner ist im Urlaub, Niesenstiesel in den Flitterwochen und Schoppentau bei einem Redaktionslehrgang in Frankfurt. Und jetzt hat mich unser verehrter Herr Chefredakteur mit der Filmseite beauftragt.“
„Ein Unglück kommt zum Zelten nie allein“, scherzte ich.
„So ist es“, bestätigte Martina Stiebstein. „Jetzt kann mir nur noch einer helfen, und das bist du.“
„Was bekomme ich für diesen Gefallen?“
„Den üblichen Satz.“
„Damit kann man aber keine großen Sätze machen“, hielt ich dagegen.
„Falls du an etwas anderes gedacht hast – tut mir leid, ich bin verheiratet.“
„Ich auch.“
„Uwe, bleibe bitte ernst! Für mich ist das ziemlich wichtig.“
„Okay, um welchen Film handelt es sich?“
„Tatort.“
„Welchen?“
„Den von heute Abend.“
„Hab ich aber leider nicht gesehen“, bedauerte ich erleichtert.
„Denkst du, Büchner, Niesenstiesel und Schoppentau sehen sich die Filme an, die sie hinterher verreißen?“
„Aber Filmkritiken liegen mir nun mal nicht“, begann ich, mich wie ein Wurm zu winden.
„Winde dich nicht wie ein Wurm!“, kam es ungehalten aus dem Hörer. „Filmkritiken können bereits Zehnjährige schreiben. Dazu gehört gar nichts.“
„Und was schreibt man da so?“
„Na, zum Beispiel, dass die Handlung ziemlich geradlinig war, wodurch keine echte Spannung aufkommen wollte, und außerdem wären die Dialoge alles andere als umgangssprachlich gewesen, sondern wirkten steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen.“
„In einer Stunde maile ich dir meine Kritik!“, versicherte ich Martina Stiebstein. Ich wäre ja bescheuert, mir für so einen läppischen Text die hundert Euro durch die Lappen gehen zu lassen.
Also setzte ich mich sonntagabends an meinen Computer und schrieb die erste Filmkritik meines Lebens. Als ich sie über die Datenautobahn jagte, hielt ich sie für die beste, die ich je verfasst hatte. Ich schrieb meine ehrliche Meinung, offen und schonungslos – ohne Rücksicht auf Verluste. Immerhin war ja die Handlung ziemlich geradlinig, wodurch keine echte Spannung aufkommen konnte, und außerdem waren die Dialoge alles andere als umgangssprachlich, sondern wirkten steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen.
Als ich den Text noch einmal las, konnte ich nur noch den Kopf schütteln, welch schwachsinnige Streifen die Sender ihren zahlenden Zuschauern zumuten. Der Intendant sollte sich schämen. Der Intendant schämte sich nicht, er rief mich an.
„Sind Sie der Autor dieser Filmkritik?“ Er klang verärgert.
„Ganz recht“, antwortete ich standhaft, „und ich stehe dazu!“
„Prima“, erwiderte er, und seine Stimme wurde freundlicher. „Ich möchte Sie gern sprechen! Persönlich, unter vier Augen!“
„Das ehrt mich. Wann passt es Ihnen?“
„Sagen wir morgen, um drei Uhr nachmittags!“
„Und wo treffen wir uns?“
„Sie kommen ins Funkhaus, in mein Büro!“
„Ich werde pünktlich sein.“
„Das will ich hoffen!“
Mir mussten die Sicherungen durchgeknallt sein. Erst nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, wurde mir klar, dass das eine Falle war. Eine Einladung zum Intendanten einer Fernsehanstalt nach einem saftigen Filmverriss konnte doch nichts Gutes bedeuten. Ich rief Martina Stiebstein an und beichtete ihr das Unheil, das sich drohend über mir zusammenbraute.
„Ich hoffe, du gehst nicht hin.“
„Morgen Nachmittag drei Uhr.“
„Dann zieh dich warm an! Oder besser noch, regle gleich deinen testamentarischen Nachlass!“
Ich wollte weder das eine noch das andere. Viel mehr erwog ich, diesen Termin einfach platzen zu lassen. Aber was sollte ich antworten, wenn Martina Stiebstein mich fragen würde, wie es gelaufen sei. Feigheit vorm Feind? Das wollte ich mir unter keinen Umständen nachsagen lassen, dann würde ich schon lieber den heldenhaften Tod durch eine Intendantenkugel sterben. Natürlich fuhr ich nicht ins Funkhaus, ohne mich vorher warm angezogen und mein Testament aufgesetzt zu haben. Man kann ja nie wissen.
Als die Sekretärin hinter mir die Tür schloss, sprang der Intendant aus seinem Ledersessel und stürzte sich auf mich. Im ersten Moment glaubte ich, nicht durch eine Pistolenkugel ins Jenseits befördert zu werden, sondern durch die bloßen Hände dieses Fleischklopses. Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle ab. Aber der Intendant hatte plötzlich ein strahlendes Lächeln aufgesetzt und führte, wie ich im zweiten Moment feststellte, keine mörderischen Absichten im Schilde.
„Setzen Sie sich!“, lud er mich zuvorkommend ein, nachdem er mich dreimal väterlich an seine Brust gedrückt hatte. Er führte mich zu seinem Schreibtisch und drückte mich sanft in einen Sessel.
„ Wie gefiel Ihnen dieser Liebesfilm?“ „Es ging so, aber mein Nachbar wurde rollig.“
„Was möchten Sie trinken?“
„Ich …“, würgte ich und konnte kein weiteres Wort herausbringen.
„Einen Kognak vielleicht?“, bot er mir an, schoss zur Anrichte rüber und holte ein edles französisches Tröpfchen.
Wir prosteten uns zu.
„Auf Ihren genialen Artikel!“, salutierte er und stürzte den Kognak in einem Zug hinunter.
„Ich habe mich über Ihre Kritik sehr gefreut“, erklärte er, als er sein Glas abgestellt hatte. „Fred, hab ich zu mir gesagt, der Mann versteht was vom Film. Ich darf Ihnen verraten, dass wir beide dieselbe Meinung vertreten. Auch ich finde, dass die Handlung ziemlich geradlinig ist, wodurch keine echte Spannung aufkommen will, und außerdem sind die Dialoge überhaupt nicht umgangssprachlich, sondern wirken steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen. Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Ich danke Ihnen!“
Ich war von der Entwicklung der Dinge absolut überrascht.
„Wissen Sie, alle Filme dieses Regisseurs kotzen mich an. Sie sind durch die Bank von einem geradezu widerlichen Dilettantismus durchsetzt. Aber ich muss sie senden, ob ich will oder nicht. Vertrag bleibt Vertrag!“
„Da kann ich Ihnen nicht widersprechen“, antwortete ich, nicht nur, um etwas zu sagen, sondern auch, um ihm zu zeigen, wie sehr mich seine Worte rührten.
„Deshalb bin ich jedem Kritiker“, sprach er weiter, „der diesen hirnrissigen Schwachsinn erkennt und gebührend verreißt, zu ewigem Dank verpflichtet. Eine Ablehnung seiner Filme kann aber leider erst dann erfolgen, wenn die Intendanten der anderen dritten Programme ihr Einverständnis geben. Und das ist schwierig. Für diese Kunstbanausen zählt doch nur die Quote und kein filmisches Kunstwerk“, schniefte er erregt.
„Sie sprechen mir aus dem Herzen“, pflichtete ich ihm bei. „Wenn Sie es wünschen, werde ich mich um den Verriss seines nächsten Tatorts wieder persönlich kümmern.“
„Sie würden mir damit einen großen Gefallen erweisen. Mich hat allerdings stutzig gemacht, woher Sie Ihr fundiertes Wissen um diesen Film haben, wo er doch kurzfristig wegen einer Sondersendung um eine Woche verschoben wurde.“
Und da soll mal noch einer behaupten, Filmkritiker hätten ein sorgenfreies Leben. Aber wenigstens wusste ich jetzt, dass die Handlung des Tatorts ziemlich geradlinig sein soll, wodurch keine echte Spannung aufkommen wird, und außerdem sind die Dialoge alles andere als umgangssprachlich, sondern wirken steif und konstruiert und wie von Marionetten gesprochen. Ich werde mir jedenfalls nächsten Sonntag diesen miserablen Krimi nicht antun. Vielleicht schreibe ich in dieser Zeit eine Filmkritik. Es gibt so viele Filme, die man noch nicht gesehen hat.
Darmowy fragment się skończył.