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Epilog
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Der Mörder und sein Bischof
Thomas Pfanner
Zum ersten Mal seit Tagen blickte er aus dem Fenster, eigentlich teilnahmslos, nur um sich zu beschäftigen. Wetter interessierte ihn nicht, Wetter war eine Angelegenheit für Menschen mit Zukunft. Draußen schien die Sonne und auch hier drinnen bemerkte er nun, da er darauf achtete, eine drückende Schwüle. Er sah dem Treiben auf der Straße zu, sah sich die spärlich bekleideten Menschen an, die schwitzend, aber eilig, irgendwelchen Geschäften nachgingen. Er hasste sie alle, er hasste sie für ihre Fröhlichkeit, er hasste sie für die Unbekümmertheit, mit der sie ihre Mitmenschen abdrängten, behinderten, ignorierten, gefährdeten. Er hasste den Autofahrer, der beinahe eine Frau auf dem Zebrastreifen überfuhr, er hasste ihn dafür, sich auch noch über die Frau aufzuregen; er hasste die Frau, weil sie sich nicht wehrte, sondern wegging. Solche Szenen spielten sich pausenlos dutzendfach ab, es widerte ihn an. Und doch konnte er es nicht lassen, ab und an hinzusehen.
Er rekelte sich, bewegte etwas die müden Knochen, nahm aus seinem Rucksack einen der drei restlichen Marmorkuchen und setzte sich wieder vor den Bildschirm, eine Scheibe nach der anderen achtlos in sich hineinschiebend, halb kauend, halb lutschend. Er brauchte das jetzt, sich mit etwas zu beschäftigen, während der Computer ihn warten ließ. Die entscheidende Phase lief, auf drei der vier Fenster, in die er die Bildschirmanzeige aufgeteilt hatte, leuchteten Hinweis-Meldungen, dass der Vorgang gerade bearbeitet würde, im vierten Fenster tat sich nichts, und solange das so blieb, musste er sich keine Sorgen machen. Obwohl diese Bearbeitung der Vorgänge nur wenige Minuten andauerte, empfand er die Warterei als quälende Ewigkeit. Natürlich hatte er alles gut vorbereitet, natürlich konnte nach menschlichem Ermessen nichts schief gehen, doch gerade die mutmaßliche Leichtigkeit beunruhigte ihn, denn nach menschlichem Ermessen ging immer irgendetwas schief. Seine Unwissenheit darüber, was genau schief gehen mochte, trug wesentlich zu seinem unwirklichen Zeitgefühl bei.
Dann geschah es. Alle drei Bearbeitungsvorgänge endeten fast gleichzeitig und dokumentierten dies mit einer entsprechenden Meldung. Er verlor keine Zeit, unverzüglich beauftragte er ein paar Transportfirmen und machte sich anschließend daran, alle Brücken abzubrechen. Als alles erledigt war, schaltete er den Computer aus, demontierte ihn und trug die Einzelteile ins Untergeschoss, wo er alles in seinem Transporter verstaute. Die nächsten zwei Stunden verbrachte er mit Essen und Entspannen, bis der Magen schmerzte. Andere Signale aus der Wirklichkeit nahm er nicht wahr, er achtete nie auf das, was er aß; wurde ihm schlecht, hörte er auf, so einfach ging das.
Pünktlich begab er sich ins Erdgeschoss, um rechtzeitig die verschiedenen Lieferungen entgegenzunehmen. Nacheinander trafen drei Fahrzeuge ein, Männer stiegen aus und luden ihre Fracht in der Schleuse ab. Die sechs großen Aluminium-Koffer brachte er ebenfalls in seinem Wagen unter, entnahm dem Innenraum einen grünen Overall, zog ihn an, setzte sich hinter das Steuer und verließ die Garage des Gebäudes. Draußen hielt er an, verschloss sehr sorgfältig das Tor, kletterte wieder in den Wagen und fuhr ohne einen Blick zurück weg.
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Die große, nicht übermäßig schlanke Frau betrat das General-Vikariat mit langen, festen Schritten in der Gewissheit, dass die Blicke der versammelten Männer ihr nicht nur wegen des lauten Halls ihrer knöchelhohen Stiefel folgten. Seit ihrer letzten Strafversetzung hatte sie sich angewöhnt, ihre Formen mit entsprechender Kleidung einigermaßen provokant in Szene zu setzen. Sie genoss es, eine Frau zu sein, die den Blick eines Mannes, auch eines vorgesetzten Mannes, kühl und geradeheraus erwidern konnte, die den Rücken nicht krumm machte, weder tatsächlich noch im übertragenen Sinn. Sie machte den Männern gern Probleme. Wenn sie aber zudem noch ihre Fraulichkeit hervorkehrte, dann konnte es passieren, dass die Männer dem Blick der Frau nicht mehr standhalten konnten und auf andere Teile ihres Körpers abglitten. Auf diese Weise gewann sie das Augenduell, deshalb fürchtete man sie, und auch deshalb würde sie nie wieder in ihrem Leben befördert werden.
Aufrecht und kühlen Blickes marschierte sie durch die große Vorhalle direkt zu dem imposanten Empfang, hinter dem sich zwei Priester in schwarzem Outfit leise unterhielten. Nicht unfreundlich fragte sie die beiden:
»Wo finde ich das Büro des General-Vikars?«, wobei sie den Grund für das Flüstern erkannte, denn ihre feste Stimme hallte von der Decke wider. Beide Angesprochenen deuteten zum Fahrstuhl, einer gab mit belegter Stimme »Zweiter Stock« zurück; dann schauten auch diese beiden nur noch hinter ihr her.
Als sie im zweiten Stock aus dem Aufzug trat, ließ sie einen langen Augenblick das Chaos auf sich wirken. Ein großer Raum tat sich vor ihr auf, den zahlreichen Arbeitsplätzen nach zu urteilen, das Sekretariat eines wichtigen Menschen. Vielleicht zwanzig Personen führten etwa fünfzehn Gespräche, Polizisten, Kripo-Leute, Angestellte des Vikariats, Priester und noch ein paar Leute, die sie nicht sofort einordnen konnte. Als sie in dem Gewühl ihren Partner entdeckte, setzte sie sich in seine Richtung in Bewegung.
»Na, Schönste, auch die Arschkarte gezogen?«, begrüßte er sie freundschaftlich.
»Natürlich, wir sitzen doch immer gemeinsam in der Tinte. Was haben wir denn hier, Daniel?«
Sie verschränkte die Arme unter ihrer Brust und blickte ihren Partner halb wachsam und halb freundschaftlich an.
»Du hast es noch nicht gehört, hm? Diesmal keine Psychopathen-Kiste, eher hohe Schule des organisierten Verbrechens. So eine Art perfektes Verbrechen. Genau die Sorte publicityträchtiger Pleite, um die unsere Karriere-Bullen einen großen Bogen machen.«
In Erwartung der unvermeidlich auf sie zukommenden schlechten Nachricht seufzte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Aha. Schon bin ich misstrauisch. Könnte ich es einen Tick konkreter haben?«
Daniel Joya, ein kräftiger, gedrungener Mann spanischer Abstammung, der gelegentlich darunter litt, einen halben Kopf kleiner als seine Kollegin zu sein, blinzelte zu ihr hinauf.
»Klar doch, das hier ist Herr Bauchmüller.« Er zeigte auf einen blassen schmalen Menschen mit ungesunder Gesichtsfarbe, mit dem ihr Kollege bei ihrem Eintreffen gesprochen hatte.
»Herr Bauchmüller ist der Rendant hier, so eine Art oberster Kassenwart. Erzählen Sie doch meiner Kollegin, was Sie mir eben erzählt haben.«
Bauchmüller sah ihr mit flackerndem Blick in die Augen, senkte die Lider aber unverzüglich und sprach zu ihrem Bauch. »Wir, nun, wir haben vor zwei Jahren das Online-Banking eingeführt, alle Gelder zwischen den verschiedenen uns angeschlossenen Einrichtungen und Trägern und uns werden über Internet bewegt. Und, nun, und nun sind uns etwa siebeneinhalb Millionen Euro abhandengekommen.«
Sie starrte auf den Scheitel des Stotterers mit milder Verachtung herab und fragte sich, was sie wohl damit zu tun haben sollte. Solche Geschichten gehörten tatsächlich nicht zu ihrem Bereich.
»Aha, und?«
»Nun, es ist nicht wieder aufgetaucht. Jemand hat es. Jemand, den wir nicht kennen.«
Sie verlor die Geduld.
»Also. Ihr Geld ist verschwunden, es ist nicht wieder aufgetaucht und nun ist Ihnen auch klar, dass es weg ist. Außerdem ahnen Sie, dass es sich nicht in Luft aufgelöst haben kann, weshalb Sie denken, jemand anderer muss sich in den Besitz des Geldes gebracht haben. Ich erschauere vor so viel Spürsinn. Joya, kannst du mir die Dinge vielleicht einleuchtend erklären?«
Ihr Kollege räusperte sich. »Denke schon. Fakt ist, dass insgesamt drei Überweisungen gelaufen sind, aus denen sich dieser Raub zusammensetzt, jeweils 2,49 Millionen Euro, alle drei von der Hausbank dieser Spezialisten«, er blickte abfällig zu dem Mann neben ihm, der immer noch ihren Bauch anstarrte, »jeweils an die gleiche Bank, wenn auch auf drei verschiedene Konten. Die Konten lauteten auf drei Bistümer in Afrika, mit denen die Hiesigen öfter Geschäfte abwickeln. Der Haken ist, dass keines dieser drei Bistümer ein Konto bei dieser Bank unterhält. Die Bistümer haben das Geld mithin auch nicht erhalten.«
Katja Preuß schüttelte den Kopf und rieb sich die etwas zu große Nase. Bauchmüller wagte einen undefinierbaren Blick auf ihre langen Finger. Sie antwortete mit einem aggressiven Stirnrunzeln und beschloss, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Na bravo. Bei der Gelegenheit, wie sind diese Geistesriesen eigentlich dahintergekommen?«
»Die sind wirklich lustig, Katja, die haben erst gedacht, einer dieser Bischöfe hätte das ganze Geld geklemmt, gibt es nur nicht zu. Haben echt lange und kompliziert ihre eigenen Leute verdächtigt und ausgeforscht, bis sie endlich geglaubt haben, dass jemand anderer es getan hat. Ich denke, die hegen ein gesundes Misstrauen gegen ihre schwarzen Glaubensbrüder. Jedenfalls mehr als gegen ihre weiße Technik. Nun ist es ihnen aber doch klar, dass die Kohle nicht in Afrika steckt, sondern richtig weg ist, ohne Wenn und Aber.«
Katja fixierte Bauchmüller, während sie noch nicht ganz begriff, wo das Problem war.
»Aha, dann gibt es also keinen Adressaten, das Geld ist aber noch da, oder?«
Joya lächelte, es erfreute ihn immer wieder, Frauen über die Tücken der Technik aufzuklären. »Nicht direkt. Das Geld wurde abgeholt, die Konten gelöscht.«
Sie machte ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter. Um was ging es denn eigentlich hier? »Ich bin begeistert. Dann wissen wir doch, wer das Geld abgeholt hat. Überhaupt, wo ist das Problem? Irgendwer muss doch so ein Konto eröffnen, mit Ausweis und Gesichtskontrolle. Es muss doch jemanden geben, der gefunden werden kann.«
»Ach, Katja, wir haben doch schon Erfahrung mit diesen Dingen. Das ist wieder so eine typische Internet-Sache. Irgendwer gibt vor, irgendjemand anderer zu sein, den man schon kennt, eröffnet ein Konto, schickt online eine Unterschrift, bucht eine Weile wild herum und verschwindet dann wieder, ohne jemals die Bank wirklich betreten zu haben.«
Sie schaute ihn an, wie eine Mutter ihren Sohn anschaut, wenn er mit zerrissenen Hosen erscheint. »Joya. Dieser Internet-Wahn ist ja gut und schön, aber irgendeine Socke in so einer Bank muss sich doch Gedanken machen, wenn einer ein Konto aufmacht, ein paar Millionen verschiebt und dann auf einmal weg ist.«
Er grinste sie an. Nun erhielt er die Gelegenheit, das System als Ganzes zu kritisieren. »Ja sicher, aber nur wohlig warme Gedanken. Die verdienen doch daran, im Kern ist es denen egal, wer da was macht, Hauptsache, er bezahlt Gebühren und hält die Bilanz-Summe hoch. Die machen sich wesentlich mehr Gedanken über arme Schlucker, die ihr Konto um hundert Euro überziehen.«
»Ist ja lustig, nur: Du hast doch gesagt, dass der angebliche Inhaber ein afrikanisches, oder nein, mehrere afrikanische Bistümer wären. Fragt da nicht mal jemand nach? Ich meine, als die Transaktion anstand.«
»Doch, die haben sich rückversichert, hier im Vikariat allerdings, sozusagen bei sich selbst. Deshalb haben diese Trolle hier auch die ganze Zeit an einen korrupten Afrikaner gedacht. Ist schon ein Ding, diese Priester-Großköpfe haben alle Internet-Anschluss, aber telefonisch sind die partout nicht zu erreichen. Wahrscheinlich nur eine Steckdose, entweder-oder, nun ja.«
Katja funkelte den Buchhalter an, der ihr immer noch nicht in die Augen sehen konnte. »Und was ist mit Ihnen, Bauchmüller, Sie sind doch bestimmt der Ansprechpartner für solche Dinge? Sonst würden Sie nicht so aussehen, als hätte man Sie geprügelt. Die Bank hat also bei Ihnen nachgefragt. Was haben die gefragt und was haben Sie darauf geantwortet?«
Bauchmüller wand sich sichtlich. »Na ja, die haben gefragt, ob es diese Bistümer wirklich gibt, ob wir finanzielle Beziehungen zu denen haben und ob die solvent sind.«
»Siehste?«
Joya klatschte in die Hände. Er liebte es, seine schlimmsten Ahnungen bestätigt zu sehen. Sie ließ sich nicht ablenken.
»Und? Was haben Sie geantwortet?«
»Dass alles seine Richtigkeit hat.«
Nun schaute er ihre Füße an. Sie fragte sich nebenher, nach welchen Kriterien die Kirche eigentlich ihre Leute aussuchte. Katholische Persönlichkeiten mit leichten Denkschwächen wurden offenbar bevorzugt.
»Ah, und wie kamen Sie auf dieses schmale Brett? Gab es irgendeine Begründung für diese Aussage?«
»Nun ja, drei Tage zuvor traf ein gemeinsamer Bittbrief der drei Bischöfe ein, in dem sie darum baten, Fürsprache zu erhalten bei der Eröffnung der Konten. Über die wollten sie zukünftig ihre Zuwendungen abwickeln.«
»Wer hat das entschieden?«
»Der General-Vikar. Er kennt zumindest einen der Bischöfe persönlich.«
Katja schüttelte ihre lange blond gefärbte Mähne.
»Mein lieber … Geht das bei Ihnen immer so mit leichter Hand?«
»Ja, wieso nicht? Ich meine, das ist der Alltag, solche Sachen gibt es täglich, hunderte Bittsteller rufen hier an, wollen etwas, immer geht es um Geld.«
»Und immer kriegen sie es, was? Wieso seid ihr Brüder eigentlich noch nicht pleite? Ach ja, deutsche Kirchensteuer, war mir entfallen, bin ja deswegen ausgetreten. Davon mal abgesehen: Haben Sie sich die Mühe gemacht, die Unterschriften auf Echtheit zu prüfen?
Bauchmüller tappte in die Falle. »Ja, doch, es sind die echten Unterschriften. Wir hatten keinerlei Anlass zu zweifeln.«
»Na klar. Dass es Scanner mittlerweile für neunundneunzig Euro an jeder Ecke gibt, ist wahrscheinlich noch nicht bis zu euch vorgedrungen.«
Sie war nicht amüsiert. Wegen der Leichtsinnigkeit dieser Truppe hatte sie nun einen Fall am Hals, der ihr nur Schwierigkeiten einbringen konnte. Auf so was warteten ihr Vorgesetzten nur.
»Nur noch eine kleine Frage. Siebeneinhalb Millionen sind doch kein Pappenstiel. Hat die Höhe der Summe nicht irgendwelche Alarmglocken bei Ihnen in Gang gesetzt?«
»Da kann ich helfen«, fädelte sich Joya in das Gespräch ein, mit einem falschen Lächeln den Buchhalter streifend. »Habe mich schlau gemacht. Diese Online-Geschichte wird von einem Programm kontrolliert, das den Zahlungsverkehr überwacht. Bis zu einer bestimmten Summe schaut es nur zu, versucht jemand, mehr Geld zu bewegen, schlägt es Alarm und stoppt alles. Dieses Programm ist standardmäßig auf fünfzigtausend Euro eingestellt.«
Katja lehnte sich an einen Schreibtisch und faltete die Hände. »Und? Warum hat es nicht alles gestoppt?« Offenbar waren noch nicht alle Dummheiten erzählt.
»Tja, an dieser Stelle kommt zu der Internet-Sache noch die Hacker-Sache. Diese Einstellung wird von einem anderen Programm geregelt, das hat variable Einstellungsmöglichkeiten, kann jeder Kunde individuell für sich entscheiden. Ab wann Alarm gegeben wird, kann man also einstellen, stufenlos zwischen zehntausend und 2,49 Millionen. Dummerweise hat jemand die Einstellung auf eben dieses Maximum verändert. Daher die Splittung auf drei Überweisungen von je 2,49 Millionen. Die ganze Aktion lief in zwei Abschnitten, zuerst die Kontoeröffnung, da hat keiner Verdacht geschöpft, anschließend die Transaktion, deren Überwachung man den Maschinen überließ.«
»Ist ja großartig. Darf ich das so verstehen, dass niemand auf den Aufpasser aufgepasst hat, ja? Wissen wir wenigstens, wie diese ominöse Einstellung verändert wurde, ob jemand von außen oder jemand hier drinnen daran gedreht hat?«
»Nö, noch nicht. Kollegen gehen dem gerade in der Zentrale des Providers nach, zusammen mit den anderen Fragen.«
Sie hob eine Augenbraue. »Gibt es da noch etwas, was ich wissen sollte?«
»Kann man so sagen. Bisher stehen wir noch an dem Punkt, an dem das Geld zwar überwiesen, aber noch nicht verschwunden ist.« Sie schüttelte den Kopf und blickte Bauchmüller finster an. »Ach ja, ich vergaß. Egal wie lange man Geld im Internet hin und her schiebt, irgendwann muss ein Lebender in eine existierende Bank marschieren und die paar Koffer Geld abholen. Nun sag es also, wieso ist das gelungen?«
»Das wird dir gefallen, dieser Teil ist die Krönung. Das Geld wurde gar nicht abgeholt, es wurde dem oder den Dieben gebracht.«
Vor Erstaunen fiel ihr beinahe der Kaugummi aus dem Mund. »Ist jetzt nicht wahr, ne?«
Sie schaute Bauchmüller böse an. Wie dumm konnten diese katholischen Persönlichkeiten noch sein? »Nein, nein, nicht die hier, das Geld wurde von der Bank abgeholt, von einer anderen Bank ordnungsgemäß angefordert, von einer Transportfirma ordnungsgemäß mit dem Panzerwagen abgeholt und ausgeliefert, für jeden Transfer eine andere Firma, aber alle drei mit demselben Ziel. Alle drei Lieferungen wurden zuvor per Internet bestellt.«
»Da gehst du Parterre. Also ist das Geld bei der anderen Bank? Ist es nicht? Und wer hat dann zum Donner die Lieferung bestellt und angenommen? Kommen wir jetzt endlich an das Ende dieses kleinen Puzzles?«
»Tja, das hat schon was. Besteller und Lieferadresse sind den Unternehmen bekannt, ein langjähriger Kunde sozusagen: die Filiale der Dresdner Bank neben dem Rathaus. Die Sache hat zwei Haken. Der erste Haken besteht darin, dass die Lieferung ohne Sichtkontakt abläuft, man übergibt die Geldkoffer über eine Panzerschleuse mit Stahlwand zwischen den Beteiligten. Soll wohl verhindern, dass sich falsche Geldboten Zutritt zum Tresor verschaffen können. Besonders dumm ist aber der zweite Haken: Die Filiale ist seit drei Wochen geschlossen, war mithin zum Zeitpunkt der Aktion definitiv zu, leer und außer Betrieb. Tja, und sie wird seit gestern abgerissen.«
Nun nahm sie den Kaugummi freiwillig aus dem Mund und rollte ihn geistesabwesend mit den Fingern rund: »Sag das noch mal.«
»Oh, du wusstest es nicht? Nun, dieser Diebstahl, oder wie auch immer der Staatsanwalt es nennen wird, fand bereits letzte Woche statt, genauer gesagt vor neun Tagen. Es gibt keine Spuren mehr, der Ort des Verbrechens, der einzige real existente Ort ist real existent gesprengt und in Trümmer gelegt worden. Gerade eine Stunde, bevor diese Clowns uns angerufen haben. Keine Spuren, außer du drehst eineinhalbtausend Tonnen Kleinteile gewissenhaft um.«
»Danke, jetzt bin ich bedient.«
Sie suchte sich einen Stuhl und setzte sich darauf, um ihre Gedanken zu ordnen. Ihr Kollege setzte sich zu ihr. »Wo ist dein Problem, Katja?«
»Wo mein Problem ist? Schau dich doch um. Was fehlt hier?«
»Die Sonderkommission?«
»In der Tat, die Dimension einer solchen Straftat verlangt doch nach einer umfangreichen Fahndung mit Spezialisten und aller Unterstützung, die man sich vorstellen kann. Ganz sicher werden hier auf gar keinen Fall zwei Nasen gebraucht, die bisher nur psychopathische Mörder gejagt haben.«
»Na ja, könnte man auch anders sehen. Der oder die Täter haben immerhin die katholische Kirche beklaut, für sich allein schon ein todeswürdiges Verbrechen, aber da die Katholen wegen Blödheit kräftig mitgeholfen haben, wird es noch einen Zacken schlimmer, oder anders ausgedrückt: Die katholische Kirche hat sich auf eine Art und Weise übers Ohr hauen lassen, die in den Medien außerordentlich genüsslich breitgetreten werden könnte. Daher hat unser Oberboss vorhin ein kurzes Schwätzchen mit mir gehalten und mir erklärt, wie es läuft. Keine Presse, kein großes Tamtam, still und leise den Täter schnappen und Schluss.«
Sie schnaubte erbost. »Still und leise, ja? Junge, wir sind doch für diese Geschichte nicht ausgebildet. Wir sind qualifiziert für die Jagd nach Mördern und Entführungsopfern, nicht für Bandenkriminalität, und ganz sicher nicht für Internet-Banking. Wenn der Oberboss es auf diese Art durchziehen will, dann ist da was faul. Das stinkt doch.«
»Ich denke, da liegt der Hase im Pfeffer. Ich bin mir nicht so übermäßig sicher, dass es hier wirklich darum geht, diesen Diebstahl aufzuklären. Nach Lage der Dinge kriegen wir den oder die Täter ohnehin nicht, egal wie groß die Welle ist, die wir machen. Diese Art von Verbrechen wird doch regelmäßig unter den Teppich gekehrt, manchmal bekommt der Dieb auch noch Schweigegeld obendrauf und das aus gutem Grund. Nein, ich glaube nicht, dass die Guten diesen Fall wirklich aufklären wollen. Die geben uns den Fall, um unsere Erfolgsbilanz zu zerbröseln.«
Sie betrachtete ihn skeptisch, obwohl sie wusste, dass er recht hatte. Unwirsch schüttelte sie ihre Haare aus dem Gesicht.
»Na bravo. Und warum kündigen wir nicht auf der Stelle?«
»Weil wir diesen Job lieben. Blöde Frage. Außerdem handeln wir hier mit Gerüchten. Kann ja auch ganz anders sein, vielleicht halten sie uns für die besten Kripofanten der Stadt.«
Sie schlug ihm sachte auf den Hinterkopf. »Klar, und Ostern melden sie in der Sahara Glatteis.«
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»Hey, Mann, das ist aber ein netter Zug von dir.«
Der Penner sah seit heute gar nicht mehr aus wie ein Penner. Er stand da, neu eingekleidet und mit nicht weniger als fünf Kronen im nunmehr strahlenden Gebiss und sah sich hoch erfreut sein neues Reich an.
»Das sieht ja toll aus. Zwei große Zimmer, Kabelfernsehen, großer Kühlschrank, eigener Keller, alles da, was das Herz begehrt. Und ich darf wirklich weitertrinken? Ich meine, dass hier ist kein Samariter-Projekt, bei dem ich mich bessern muss oder so?«
Der Mann, der ihm antwortete, sah auf den ersten Blick mehr nach Penner aus als sein Gegenüber. Die hängenden Schultern, der trübe Blick und der depressive Gesichtsausdruck harmonierten gut mit der nachlässigen und leicht schmuddeligen Kleidung. Und doch, die ruhige und leise Stimme ließ eine Härte erahnen, die fatal an abgrundtiefen Hass erinnerte.
»Nein, alles rein eigennützig, ein Geschäft. Wie ich schon sagte, ich bin fast nie da, da ich eine Menge Geschäfte laufen habe, und ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Wir haben ja darüber gesprochen, dass ich mich am besten auf jemanden verlassen kann, der keine andere Perspektive hat.«
»Ja ja, Ehrlichkeit ist mir am liebsten, ich wollte es nur noch mal genau wissen.«
»Kein Problem. Du passt auf das Haus auf, während ich weg bin, dafür verlässt du das Haus nicht in dieser Zeit. Vorräte werden telefonisch nachbestellt bei den Nummern, die ich in das Telefon eingespeist habe, alle anderen Telefonate sind gesperrt. Dafür wiederum kannst du tun und lassen, was du willst hier drin, also auch trinken, was der Keller hergibt.«
»Oh, das ist wirklich ein feiner Zug von dir. Sogar besser, als mir auf deine Krankenkassen-Karte die Zähne machen zu lassen.«
»Ist nur logisch, bei dem Zustand deiner Zähne dauert es keine zwei Wochen, bis du den Notdienst anrufst. Ich gehe lieber auf Nummer sicher.«
Die beiden Männer gaben sich die Hand und der ehemalige Penner nahm sein neues Heim in Besitz, während der andere das Haus verließ. Von weitem betrachtet hätte man die beiden kaum auseinanderhalten können, beide waren gleich groß, von ähnlicher Statur, etwa gleich alt und sogar von gleicher Haarfarbe. Aber der Mann, der im Haus blieb, hatte sein Leben hinter sich, seine Züge beschrieben trotz der wenig mehr als dreißig Jahre einen verbrauchten Mann, die glanzlosen Augen erwarteten nichts mehr. Der Mann, der das Haus verließ, trug die Zeichen des Schicksals ebenfalls im Gesicht, doch er hatte ein Ziel. Und um dieses Ziel zu erreichen, musste noch sehr viel getan werden.
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»Wir haben vielleicht eine Spur. Jedenfalls gibt es ein paar Hinweise, die uns dem Geld näher bringen könnten.« Katja warf die Zigarette aus dem Fenster, lehnte sich an den Sims und fixierte ihre Aufzeichnungen.
»Ah, lass hören.«
»Zuerst einmal lässt sich feststellen, dass wir es wahrscheinlich mit nur einem einzigen Täter zu tun haben.«
»Wie kommen wir darauf?«
»Unsere Spezialisten sagen, dass, rein von der zeitlichen Abfolge her, ein einzelner Mann das alles hätte schaffen können. Außerdem handelt es sich, grundsätzlich gesehen, in erster Linie um einen Hacker-Angriff, einen von der Sorte, der meistens von einem vereinsamten Computer-Menschen allein durchgezogen wird. Die Randerscheinungen, die Vorbereitung und das Einsammeln des Geldes sprechen ebenfalls für diese These, eine Bande hätte das Ding anders organisiert.«
Joya schüttelte den Kopf, seit einiger Zeit hegte er eine Abneigung gegen Einzeltäter, vor allem, weil sie sich so schwer schnappen ließen.
»Na, ich weiß nicht, du hast immer so eine Neigung zu Einzeltätern. Das passt doch nicht. Kein Hacker hat jemals auf diese Weise so viel Geld geraubt. Nach meiner Ansicht handelt es sich um eine Bande. Außer, der Hacker hat quasi im Auftrag einer Bande gearbeitet und das Geld weitergegeben. Dann ist er aber schon tot. Findest du es nicht besser, das Geld zu suchen? Ist doch leichter zu finden als ein Täter, oder?«
Katja vollführte mit ihren Zähnen imaginäre Kaubewegungen. »Mhm, ja, da ist noch ein Klärungsbedarf, aber da kommen wir später noch hin. Ich will erst den Täter, ich glaube, an den ist nicht so sehr schwer ran zu kommen. Erst mal haben wir diesen einen Kerl, der nachweislich die Internetverbindung bedient hat. Wir wissen inzwischen, welchen Provider er benutzt und unter welchem Namen er sich angemeldet hat. Das hilft aber nicht weiter. Wir kennen ihn noch nicht.«
»Wieso nicht? Die speichern doch alles und jedes von ihren Kunden?«
»Schon, nur hilft uns das hier nicht weiter. Unser Mann hat eines dieser kostenlosen Probe-Abos abgeschlossen, online natürlich, hundert Stunden in einem Monat frei, daher hat auch keiner gemerkt, dass die angegebene Bankverbindung jemand anderem gehört. Er hat einfach einen x-beliebigen Menschen aus dem Telefonbuch angegeben und für den eine Bankverbindung erfunden, merkwürdigerweise bei genau der Bank, bei der dieser Mensch aus dem Telefonbuch tatsächlich ein Konto hat. Tja, und innerhalb dieser vier Wochen hat unser Hacker den Deal durchgezogen. Keine Chance.«
»Telekom?«
»Klappt auch nicht. Stell dir das vor: Irgendwer ruft bei der Telekom an und bittet darum, den stillgelegten Anschluss der Deutschen Bank, die dort ja zuvor jahrelang saß, für vier Wochen noch einmal zu aktivieren. Die haben das gemacht und haben die schriftliche Bestätigung an die bekannte Adresse geschickt. Unser Mann bekam es also auch noch schriftlich und die Dresdner hat bis heute nicht die Rechnung für diese vier Wochen. Soweit kann unser Überwachungsstaat wohl doch noch nicht sein.«
Katja wedelte unwirsch mit der Hand. Sie wollte endlich etwas Greifbares hören. »Na prima. Und wo sind die Hinweise?«
»An dem Tag, als das Geld dorthin gebracht wurde, hat ein Passant einen Handwerker-Wagen beobachtet, wie er die Garage der Bank verließ. Ein Mann ist ausgestiegen und hat das Tor verschlossen. Muss ein Angehöriger der Mittelschicht sein. Heutzutage schließen nicht viele Gangster hinter sich ein Tor. Hat unser Passant alles beobachtet und aufgeschrieben.«
»Lass mich raten: ein Rentner mit Hund?«
Ihr Kollege grinste breit und prostete ihr mit der Kaffee-Tasse zu.
»Klar, die gefährlichste Bevölkerungsschicht, gleich nach den bekifften Golf-Fahrern. Dieser Rentner hat sogar eine Personenbeschreibung zu bieten, leicht gefärbt von seinen politischen Ansichten, so in der Art slawischer, dunkler Typ, stechende Augen, staatsfeindlicher Gesichtsausdruck. Im Kern unbrauchbar. Aber er hat auch echte Fakten zu bieten: das Kennzeichen des Wagens.«
»Dann wird es ja jetzt interessant.«
»Wie man's nimmt. Bei dem Wagen handelt es sich um einen Vito, vor sechs Wochen in Köln einem Dachdecker-Betrieb gestohlen. Wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben, ist aber bis jetzt noch nicht wieder aufgetaucht. Wird früher oder später aber gefunden. Lieferwagen sind nicht allzu begehrt in Polen. Mit den Fingerabdrücken und einer DNS-Analyse werden wir ihn bald haben.«
Preuß verzog die Mundwinkel.
»Na, dein Wort in Gottes Gehörgang.«
*
Der junge Mann gefiel ihr sehr. Sie schätzte die ruhigen, zurückhaltenden Typen, bei denen sie sicher sein konnte, dass sie nichts kaputt machten und pünktlich bezahlten. Und bei dem hier sah sie noch mehr Vorteile.
»Sie sind also Handelsvertreter, sagen Sie? Wo sind Sie denn so unterwegs?«
»Wie ich schon sagte, hauptsächlich Schweiz, Italien, ein bisschen Österreich. Ich bin eigentlich immer unterwegs, aber ich brauche eine Wohnung hier, eine Art Rückzugsmöglichkeit, um auszuspannen und meine Korrespondenz zu erledigen.«
»So, aber eine Familie haben Sie nicht?«
»Nein, steht auch nicht zu befürchten. In meinem Beruf hat man Bekanntschaften, aber keine Beziehung, das geht nicht. Zu viel Arbeit.«
»Nun, meinen Sie nicht, dass ich hin und wieder ein wenig aufräumen sollte, immerhin sind das drei Zimmer. Da kommt schon einiger Staub zusammen.«
»Nein, danke. Einer der Gründe, warum ich keine Frau habe, ist der, dass ich es absolut nicht leiden kann, wenn jemand in meinen Sachen rumstöbert. Ich habe eine sehr genaue Ordnung von allen Dingen, wenn etwas anders steht, als ich es verlassen habe, dann finde ich das nicht gut, gar nicht gut. Daher würde ich gerne die Wohnung bei Ihnen nehmen. Hier wird die Privatsphäre respektiert, hier gibt es keine Einbrecher, kein Gesocks und die Leute gehen ihrer Wege. Sehen Sie, wenn ich von meinen Reisen zurückkehre, dann bin ich extrem erholungsbedürftig, da muss ich mich auf diese Dinge verlassen können. Kann ich mich bei Ihnen sicher fühlen?«
»Aber natürlich. Sie bekommen das Zimmer, war ja nur ein Angebot.«
Sie fand den jungen Mann schon etwas merkwürdig, aber auf der anderen Seite überwogen die Vorteile. Sie bekam einen Mieter, der garantiert keinen Ärger machte, der fast nie anwesend sein würde und der noch dazu die Jahresmiete im Voraus zahlte. Mehr konnte sie nicht verlangen. Jeder pflegte schließlich die eine oder andere Macke, jedenfalls war ihr noch nie ein Mensch ohne Macke begegnet, und solange es sich um harmlose Macken handelte, drückte sie gerne ein Auge zu. So überließ sie also dem jungen Mann beide Schlüssel der Wohnung, nahm das Geld in Empfang und sah interessiert zu, wie er seine Habseligkeiten hinaufschaffte. Viel gab es allerdings nicht zu sehen, ein paar Koffer, immerhin zeugte das Vorhandensein eines Computers von einer gewissen Solidität. Dann schloss sich die Tür hinter ihrem neuen Mieter. Sie wunderte sich, wie jemand so viele merkwürdige Koffer sein eigen nennen konnte, einige aus Aluminium, andere wieder aus Nylon, aber doch stabil. Andererseits konnte ihr das auch egal sein, dachte sie sich, während sie die Stufen zu ihren eigenen Räumen hinunterging, schließlich hatte sie gerade einen für eine möblierte Wohnung in dieser gottverlassenen Gegend sehr erfreulichen Betrag eingenommen.