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Thomas Häring

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Undank ist der Welten Klon

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Impressum neobooks

Undank ist der Welten Klon

Früher hatte ich immer geglaubt gehabt, daß die Mehrzahl von Klo Klon lauten würde, aber dann hatte ich diesen verrückten Professor getroffen, der mir heimlich meinen genetischen Fingerabdruck abgenommen hatte und aus meinen in Massen ausgefallenen Haaren hatte er mein Ebenbild geschaffen und das stand nun samt seinem Schöpfer vor meiner Haustür. „Hallo, Herr Witschke, das hier ist Ihr Klon. Wollen Sie nicht gleich mal mit ihm aufs Klo gehn? Passen Sie bitte gut auf ihn auf!“ verlangte der irre Wissenschaftler und dann war er auch schon verschwunden. Da stand ich nun, ich armer Thor, und war noch genauso nackt wie zuvor. Wenigstens schien das meinen Klon nicht zu stören, die Nachbarin im Haus gegenüber machte dagegen gleich immer ein großes Geschrei, aber die Polizistin, die dann jedesmal herbeigerufen wurde, freute sich immer aufs Neue über meinen Anblick und verschwand dann meistens für eine halbe Stunde mit mir in meinem Haus. Ehrlich geschrieben wußte ich zunächst überhaupt nicht, was ich mit meinem Klon anfangen sollte, doch da es ihm genauso ging, brachte ich ihn erst einmal ins Haus. Dort zeigte ich ihm alle Räume und erklärte ihm das Nötigste, jedoch stellte ich sehr schnell fest, daß er nicht wirklich etwas begriff. „Das kann ja was werden“, dachte ich mir und merkte plötzlich, daß mein Goldfisch in seinem Mund zappelte. Oh je!

Mit der Zeit gewöhnten wir uns aneinander und ich programmierte ihn so gut ich konnte. Er lernte recht schnell und ich richtete ihn so ab, wie ich ihn brauchte. Das Tolle an meinem Klon war, daß er keine Fragen stellte, aber trotzdem hervorragend zuhören konnte. So nickte er verständnisvoll, wenn ich mich über meinen Chef beschwerte, lauschte gebannt, sobald ich über meine privaten Probleme sprach und hörte sich sogar meine selbst komponierten Klavierstücke an. Irgendwann konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, ohne meinen George Kloni, wie ich ihn liebevoll nannte, zu leben und wußte auch nicht mehr, wie mir das früher gelungen war. Er machte mir das Frühstück, putzte die Wohnung, brachte den Müll raus, kochte, wusch ab, staubsaugte, goß die Pflanzen, kurz und gut: Er machte alles, worauf ich eigentlich keinen Bock hatte. Doch dann machte ich eines Tages meinen ersten großen Fehler. Ich war leicht erkältet und ziemlich müde, also schickte ich ihn in die Arbeit und schärfte ihm ein, daß er nichts weiter reden solle, dann würde niemand den Schwindel bemerken. Er hielt sich daran, doch als ich am Tag darauf wieder selbst malochen ging, da hagelte es Lob von allen Seiten, sogar mein Chef klopfte mir auf die Schulter und schon in dem Moment hätte mir klar sein müssen, daß ich dieses Spiel nicht gewinnen konnte, denn Kloni war einfach besser als ich. Damals habe ich das natürlich noch nicht begriffen, sondern mich nur darüber gefreut, daß alle so zufrieden waren. „Du bist ein guter Junge“, lobte ich Kloni zuhause. „Ich weiß“, bemerkte er selbstzufrieden und auch das hätte mir zu denken geben müssen. Zu jener Zeit hatte ich bereits seit zwei Jahren eine Freundin, die ich sehr mochte, auch wenn sie mir manchmal tierisch auf die Nerven ging. Eines Tages hatte ich keine Lust darauf, mir ihr stundenlanges Lamento anzuhören, weshalb ich Kloni zu ihr schickte, damit er sie fickte. Am darauffolgenden Tag sprang sie mir überglücklich in die Arme und bedankte sich noch einmal voller Begeisterung für die „schönste Nacht meines Lebens“. „Was hast Du denn mit der gemacht?“ wollte ich von Kloni wissen. „Das, was sie von mir wollte“, lautete seine Antwort. Ich erschrak fürchterlich, denn das bedeutete ja, daß ich in Zukunft immer an der Potenz und Verspieltheit meines Klons gemessen wurde und das war rein gar nicht in meinem Interesse. Außerdem hatte sich meine Freundin auch noch für die Blumen bedankt. Ich hatte ihr noch nie Blumen geschenkt! Schön langsam begann mir zu dämmern, daß man seinem Klon vielleicht nicht zu viele Aufgaben zuschanzen sollte, denn er war ohne Zweifel in vielen Dingen besser als ich und er wurde auch immer selbstbewußter.

Eines Tages kamen Polizisten in mein Haus und durchsuchten alles. Sie fanden jede Menge Sachen, von denen sie nichts wissen konnten und am Abend stellte ich Kloni zur Rede: „Sag mal, bist Du noch ganz dicht? Wenn das so weitergeht, dann bringst Du mich noch in den Knast.“ Er zuckte nur mit den Schultern und entgegnete: „Ich habe von Dir gelernt, daß es in diesem Land verboten ist, Bomben zu basteln.“ „Du bist ja schlimmer als ein kleines Kind. Also, paß mal gut auf ...“ Und dann erklärte ich ihm ganz genau, wie es bei uns ablief. Daß der Ehrliche immer der Dumme war und daß man manchmal Dinge tun mußte, die man eigentlich nicht tun durfte, aber am Ende schien er es begriffen zu haben, denn er faßte zusammen: „Wenn ich also hier alleine wohnen möchte, dann muß ich Dich umbringen, auch wenn ich das eigentlich nicht darf.“ Ich stutzte. George Kloni war drauf und dran, mir den Rang abzulaufen und offensichtlich plante er bereits einen Putsch. Daraufhin änderte ich meine Strategie und stellte auf „teile und herrsche“ um. Ich gewährte ihm einige Freiheiten, er durfte sogar abends alleine außer Haus, denn ich wußte, daß er sich besser und anständiger benehmen würde, als ich es je konnte. Das Problem an der Sache war bloß, daß ich feststellen mußte, daß Kloni wesentlich beliebter war als ich und daß er sich mehr und mehr anschickte, mich überflüssig zu machen. Ich verdrängte meine Sorgen, indem ich etwas Flüssiges zu mir nahm und ich verwahrloste immer mehr. Meine Freundin traf sich nur noch mit Kloni, sie hatte von mir die Schnauze voll und wußte Bescheid, daß es mich inzwischen in doppelter Ausführung gab. Im Grunde hatte sich alles geändert. Kloni ging zur Arbeit, machte den Haushalt und führte eine glückliche Beziehung. Ich dagegen hing den ganzen Tag nur herum und wußte nichts mit mir anzufangen. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Irgendwann hatte ich keinen Alkohol mehr, weshalb ich mich aufraffte und das Haus verließ. Mein Orientierungssinn hatte stark nachgelassen und so verlief ich mich, bis ich plötzlich vor einem Haus stand, das eine merkwürdige Klingel hatte, welche mich so faszinierte, daß ich sie drücken mußte. Der verrückte Professor öffnete und rief entsetzt: „Kloni! Du meine Güte! Was hat er denn nur mit Dir gemacht?“ „Ich bin nicht Kloni. Kloni kriecht gerade meinem Chef in den Arsch, danach fickt er meine Freundin in den Arsch und ich bin total im Arsch“, gestand ich resigniert. „Ach so ist das“, murmelte er und bat mich herein. Er machte mir einen Zaubertee und danach ging es mir noch schlechter. Am Ende einigten wir uns darauf, daß ich bei ihm einziehen und sein Assistent werden sollte. Wenn das von Anfang an sein Ziel gewesen war, so hatte er es nun erreicht.

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Seufzend legte sich die Nacht schlafen. Sie hatte Angst im Dunkeln, auch eine Psychotherapie hatte ihr nicht geholfen. Auf der Höhe der Mitte des Berges hatten sich Barbara und Sonja ein Nachtlager eingerichtet. „Weißt Du, eigentlich bin ich froh, daß ich kein Berg bin“, flüsterte Barbara und schüttelte ihren lockigen Kopf. „Manchmal redest Du einfach nur Blödsinn“, fiel Sonja dazu ein. Sie schaute in die dunkle Nacht und dachte an ihren Ex-Freund, den sie bei ihrer letzten Bergbesteigung in den Abgrund gestoßen hatte. „Warum mußte sich das Arschloch auch über meine Sommersprossen lustig machen?“ erinnerte sich Sonja und dann versuchte sie zu schlafen, denn sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich. Der Mond war gerade auf Diät, er nahm ab und deswegen fühlte er sich etwas komisch. Leise legten sich die Träume über die erstarrte Welt, sie benebelten die Menschen und starteten die Heimkinovorführungen, billige Unterhaltung, an die sich am nächsten Morgen nur die Wenigsten erinnern würden können. Barbara und Sonja hatten sich an jenem Tag heftig gestritten, es war dabei um Grundsätzliches gegangen, ihre Freundschaft hing an einem seidenen Faden. Normalerweise war es so, daß einen Extremerlebnisse zusammenschweißten, doch in jenem Film war es genau andersherum. Barbara konnte nicht einschlafen, sie dachte angestrengt nach: „Wir sind viel zu verschieden und wir sind Beide zu starrköpfig. Klar, es geht hierbei nur um eine Freundschaft und um keine Beziehung, aber so kann es nicht weitergehen. Wir zanken uns wegen Kleinigkeiten und das ist ziemlich nervenaufreibend.“ Der Wind hauchte sanfte Luftzüge an ihr Gesicht, doch sie verstand nicht was er nuschelte, denn er flüsterte viel zu undeutlich. Ringsherum war alles still, die Tiere schliefen, die Natur ruhte und Sonja röchelte. Alles war soweit in bester Ordnung, doch Leben bedeutete mehr als Sicherheit und Normalität. Aus der Tiefe der Nacht hörte man weit unten Motorengeräusche. Barbara schaute sehnsuchtsvoll in den Himmel. Wieder mal weit und breit kein UFO in Sicht. Oft wünschte sie sich, von Außerirdischen abgeholt und auf deren Planeten mitgenommen zu werden, denn sie hatte das Leben auf der Erde ziemlich häufig satt. Mittlerweile war sie 29 Jahre alt und wußte immer noch nicht so recht, wohin ihr Weg noch führen sollte. Sie hatte Arzthelferin gelernt und nach ein paar Jahren im Beruf aufgehört und ein Studium begonnen, das sie inzwischen abgeschlossen hatte. Eigentlich ein abwechslungsreiches und erfülltes Leben, könnte man meinen, doch das täuschte. Sie träumte von einem anderen, aufregenderen Leben und die Bergtour war nur der Anfang vom Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Am Abend des nächsten Tages würden sie wahrscheinlich denn Gipfel erreichen, bis dahin hatten sie noch Zeit. Schön langsam wurde auch sie müde und schlief irgendwann ein. Die Nacht dagegen war wieder aufgewacht, denn sie hatte einen unruhigen Schlaf. Nicht immer war sie so melancholisch, doch da sie nie die Sonne sah, gehörte sie eher zu den düsteren Gestalten, denen man den Lichtmangel schon anmerkte. Während viele Menschen in ihren Betten lagen, befanden sich Barbara und Sonja gefangen in der freien Natur, aber sie fühlten sich gut, wenn auch erschöpft.

 

Merlin sprach nicht viel, nicht einmal dann, wenn er redete. Er wohnte in einer kleinen Einzimmerwohnung in Berlin und verdiente sich seinen Lebensunterhalt, indem er billigen Schmuck verkaufte. Was auch immer Merlin sich für sein Leben vorgenommen hatte, das konnte es wohl kaum gewesen sein. Den lieben langen Tag stand er auf den Straßen Berlins herum und bot seine Ware an. Merlin hatte keine Freunde, nur Kunden. Er führte ein tristes, eintöniges Leben, in dem die einzige Abwechslung darin bestand, daß er seinen Standort täglich wechselte. Das hatte rein gar nichts mit Angst vor der Polizei zu tun, denn Merlins Job war total legal. Er wollte halt nicht andauernd dieselben Leute sehen müssen, was sogar in so einer großen Stadt wie Berlin möglich gewesen wäre, man brauchte nur jeden Tag ins Parlament gehen. Merlin war ein guter Beobachter und verfügte über beachtliche psychologische Qualitäten, die ihm niemand zugetraut hätte. Er konnte Menschen gut einschätzen und wußte, wie er mit welchen Typen umzugehen hatte. Irgendwie schmiß er Perlen vor die Säue, denn für seinen Job war er überqualifiziert, doch da er nicht studieren konnte, durfte und wollte, waren seine Erfahrungen und Tricks einfach verschenkt. Andererseits machte das Ganze seinen Job einigermaßen erträglich und doch wußte er, daß es so nicht weitergehen konnte, da sich alles immer nur wiederholte und nichts Neues passierte. Merlin war ein Zauderer, der alle Entscheidungen, die anstanden, hundertmal überdachte, da er Angst davor hatte, einen Fehler zu machen und genau deswegen kam es häufig zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung und damit hatte er den Salat. Seine Eltern lebten außerhalb von Berlin, hin und wieder stattete er ihnen einen Besuch ab, doch man hatte sich nicht mehr viel zu sagen. Da sich seine Schwester mit einem Kosmetiksalon selbständig gemacht und an billigem Schmuck kein Interesse hatte, war der Kontakt zu ihr fast vollständig abgebrochen. Merlin wußte, daß es an der Zeit war, sein Leben zu ändern und genau deswegen hatte er diese Reise gebucht, die ihn in wenigen Tagen auf Lanzarote bringen sollte. Dort erhoffte er sich Antworten auf die Fragen des Lebens, warum auch immer. Seine Wohnung war nicht sonderlich geschmackvoll eingerichtet, er besaß nur das Notwendigste und im Grunde ging es ihm nur darum, seine Miete zu bezahlen und seine Lebensmittel erstehen zu können. Seitdem er die Schule verlassen hatte, trieb er sich als Straßenverkäufer herum und da er nun auch schon 25 Jahre alt war, wurde es höchste Zeit, langfristigere Pläne als bisher zu schmieden. Er liebte die Gewohnheit, denn solange er alles unter Kontrolle hatte, fühlte er sich sicher, doch andererseits dürstete sein Herz nach Abwechslung und Lebensfreude. Zu lange hatte er sich treiben lassen und in seinem Trott vor sich hin gelebt. Zwar besaß er nicht den Mut, alles hinter sich zu lassen und von vorne anzufangen, aber immerhin begann er einzusehen, daß es so nicht weitergehen konnte. Die Erkenntnis war also vorhanden, es fehlte lediglich noch die Umsetzung, doch schon bald würde sich zeigen, in welche Richtung sein Leben führen würde.

Die Stimmung war so beschissen wie immer, das Klima vergiftet und die verschossenen Giftpfeile lagen überall herum. „So, da siehst Du mal, was Du angerichtet hast!“ warf Helga ihrem Ehemann vor. Der hörte gar nicht hin, sondern frühstückte unbeeindruckt weiter. „Wigald, ich rede mit Dir!“ rief sie wütend. „Na und? Das tust Du jeden Tag. Warum mußten mich diese Idioten auch frühpensionieren? Mit 58 schon in Rente und dann jeden Tag mit Dir verbringen, so habe ich mir die Hölle auf Erden vorgestellt.“ „Du verdammtes Arschloch! Jeden Tag habe ich Dir versüßt, immer habe ich mir die größte Mühe gegeben, es Dir recht zu machen und jetzt dankst Du es mir, indem Du mir jede Sekunde meines Lebens vermiest.“ „Du hast doch damit angefangen. Andauernd nörgelst Du nur an mir herum und alles was ich mache paßt Dir nicht. Du hast mir den Krieg erklärt und ich schieße halt zurück.“ „Und Dich habe ich tatsächlich mal geliebt! Was für eine Tragödie!“ entfuhr es Helga, bevor sie die Küche verließ. Er nahm sich die Zeitung zur Hand und entdeckte darin eine Anzeige, in der für einen Urlaub auf Lanzarote geworben wurde. „Das wäre doch was für mich, aber mit dieser Frau kann ich mich ja nirgends blicken lassen, die blamiert mich ja überall mit ihren Launen und Gefühlsschwankungen“, kam Wigald in den Sinn. Helga kehrte in die Küche zurück, sie hatte Tränen in den Augen und ihr Blick fiel kurz auf die Zeitung, die ihr Göttergatte in der Hand hielt. „Ach ja, so ein Urlaub würde mir bestimmt gut tun“, platzte es aus ihr heraus. Er reagierte nicht. Da baute sie sich vor ihm auf, riß die Zeitung beiseite und brüllte ihm ins Gesicht: „Hey, Du Penner! Ich rede mit Dir! Ich möchte gerne auf Lanzarote! Ob Du mitkommst oder nicht ist Deine Sache!“ „Mach’ was Du willst“, meinte er gelangweilt und widmete sich wieder der Zeitungslektüre. Am Nachmittag, beim alltäglichen Kaffeetrinken, kam sie wieder auf das Thema zu sprechen: „Was ist jetzt mit Lanzarote?“ „Was soll damit sein? Kannst ja hinfliegen“, bemerkte er. „Ich will aber, daß Du mitkommst“, beharrte sie. „Meinetwegen. Aber nur, wenn wir dort getrennte Wege gehen.“ Sie erschrak. Was meinte er damit? „Du glaubst doch nicht, daß ich mir von Dir meinen Urlaub versauen lasse“, erläuterte er und zog sich, nachdem er aufgestanden war, zu seinem Nachmittagsschläfchen zurück. „Also gut, Du Vollidiot, das kannst Du haben“, dachte sich Helga wütend, telefonierte und buchte zwei Einzelzimmer. Helga wußte nicht was das alles sollte, andererseits war sie froh darüber, daß er wenigstens mitkam. Vielleicht würde dieser Urlaub ihre verkorkste Ehe retten, wenn schon sonst nichts mehr half. „So, wir fliegen in drei Tagen und haben getrennte Zimmer“, erzählte sie ihm, nachdem er aufgewacht war. Da lächelte er. Zum ersten Mal seit vielen Jahren sah sie ihn lächeln und jetzt wußte sie auch wieder, warum sie sich damals in ihn verliebt hatte. Es war schon komisch: Seit so vielen Jahren waren sie nun schon verheiratet und hatten sich doch immer weiter voneinander entfernt, anstatt sich näher zu kommen. Dieser Urlaub war ihre allerletzte Chance, soviel stand fest. Noch einmal hatten sie die Möglichkeit, zu retten, was eigentlich schon längst nicht mehr zu retten war. Sie hatten nichts mehr zu verlieren.

Therese war eine alte Frau, da konnte sie sich noch so schminken, man sah ihr ihre 83 Jahre einfach an. Noch lebte sie allein daheim, aber sie hatte sich bereits im Altenheim angemeldet und den Mietvertrag ihrer Wohnung gekündigt. Doch bevor sie das Leben endgültig hinter sich ließ, um in die Öde der Ereignislosigkeit einzutauchen, wollte sie noch einmal etwas erleben, wovon sie später zehren konnte. Deshalb hatte sie einen zweiwöchigen Aufenthalt auf Lanzarote gebucht und davon hatte sie nicht einmal ihr Sohn abbringen können, auf den sie sonst ziemlich oft hörte. Therese hatte den Zweiten Weltkrieg miterlebt, sie hatte die Landung des ersten Menschen auf dem Mond genauso mitverfolgt wie das Attentat auf John F. Kennedy, aber sie selbst hatte auch so ihre Geschichten zu erzählen, nur leider wollte die niemand hören. Ihr Mann war vor fünf Jahren gestorben, doch sie hatte sich relativ schnell daran gewöhnt gehabt. Hin und wieder traf sie sich mit einer Bekannten und dann redeten sie stundenlang miteinander, um die Einsamkeit und das damit verbundene Schweigen zu vergessen. Therese hatte es nicht leicht gehabt in ihrem Leben, immer hatte sie gearbeitet, Freizeit und Ruhe waren ein Fremdwort für sie gewesen. Doch irgendwie hatte sie das dumpfe Gefühl, daß sie irgendetwas vergessen hatte. „Vielleicht habe ich mich zu wenig mit den wirklich wichtigen Fragen des Lebens beschäftigt. Zum Beispiel habe ich nie darüber nachgedacht, warum ich eigentlich auf der Welt bin“, überlegte sie sich. Es passierte wirklich nicht mehr viel in ihrem Leben und deshalb hoffte sie, daß ihr der Urlaub noch einmal ein wenig Lebenselixier bringen würde, damit sie ein paar weitere Jahre durchhielt, denn irgendwie hatte sie noch keine Lust zum Sterben. Therese war eine starke Frau, jedoch hatte sie fast keinen Zugang zu ihren Gefühlen. Sie war eine Vernunftehe eingegangen und hatte nie gewußt, ob sie ihren Mann wirklich geliebt hatte. Sie schaltete den Fernseher ein und versuchte sich abzulenken. Die Tage kamen ihr so endlos und immer gleich vor, im Fernsehen dagegen passierte immer etwas und die Wiederholungen störten Therese auch nicht sonderlich, da sie längst nicht mehr wußte, was sie schon mal gesehen hatte und was nicht. „Ich bin schon so alt und kein bißchen weise. Ich habe ein arbeitsreiches Leben geführt und hatte immer etwas zu tun oder zu erledigen. Und jetzt bin ich schon seit 20 Jahren kaltgestellt“, erinnerte sie sich und öffnete die Kühlschranktür. Sie fühlte sich komisch, denn irgendwie war ihr klar, daß Leben mehr bedeutete, als sich durch Arbeit abzulenken. „Aber bin ich nicht viel zu alt, um mich noch zu ändern?“ fragte sie sich. Doch allein die Tatsache, daß sie sich so eine Frage überhaupt stellte, zeigte, daß sie noch nicht erstarrt und verkalkt wie manche ihrer Altersgenossen war. Therese hatte noch den Willen, die andere Welt, die ihr bislang verborgen geblieben war, wenigstens zu erkunden, bevor sie abtrat. Daß der Lanzarote-Aufenthalt ihre erste und zugleich letzte Urlaubsreise sein würde, stand unausgesprochen im Raum. Aber darum ging es überhaupt nicht. Therese hatte noch einmal die große Chance, dem Sinn des Lebens ein wenig näher zu kommen, nachdem sie ihn ihr ganzes Leben lang ignoriert hatte.

Christoph hatte einen sehr guten Freund, mit dem er oft, gerne und leidenschaftlich diskutierte. Sie arbeiteten Beide als Maschinenschlosser in einem großen Betrieb und unternahmen in ihrer Freizeit viel zusammen, was möglich war, da sie Beide keine eigene Familie hatten, obwohl sie bereits knapp 40 Jahre alt waren. „Möglicherweise bremsen höhere Steuern die Binnennachfrage, aber dafür hat der Staat dringend benötigte Mehreinnahmen, mit denen er in Zukunftsprojekte investieren kann“, erläuterte sein Freund Hermann. „Und wenn schon? Die Nachfrage muß steigen, dann haben wir mehr Wirtschaftswachstum und automatisch höhere Steuereinnahmen“, entgegnete Christoph. „Die Nachfrage wird in diesem Jahr ohnehin steigen, nächstes Jahr werden wir in ein Loch fallen. Hast Du das gelesen? Der iranische Präsident hat unsere Bundeskanzlerin mit Hitler verglichen.“ „Na ja, der muß es wissen. Bestimmt hat er Hitler persönlich kennengelernt. Sei mir nicht böse, aber ich mag mich mit so primitiven Dingen nicht beschäftigen. Vielleicht wünscht sich der Mann ja insgeheim, daß wir Deutschen in seinem Iran einmarschieren.“ Diese Diskussion fand während ihres gemeinsamen Joggens statt, doch irgendwie waren sie mit ihren Gedanken schon ganz woanders. In ein paar Tagen flogen sie in Urlaub auf Lanzarote, um endlich etwas Abwechslung zu erleben, da so ein Routinejob doch irgendwie langweilig war. Andererseits hatten sie einen sicheren Arbeitsplatz, waren hoch qualifizierte Fachkräfte und verrichteten gute Arbeit. Zugegeben, es gab Gerüchte hinter ihrem Rücken, daß sie womöglich schwul wären, doch die entbehrten jeglicher Grundlage. Christoph hatte eine langjährige, gescheiterte Beziehung hinter sich und Hermann war eher einer, der sich auf Kurzzeitbeziehungen spezialisiert hatte; sobald es ihm zu eng oder zu nah wurde, riß er aus. Miteinander redeten sie nie über ihre Frauengeschichten, das war ihre jeweilige Privatsache. Sie redeten relativ viel, dafür daß sie Männer waren, doch natürlich verließen sie dabei nie die Verstandesebene. Themen wie Sport, Politik, Autos, Wirtschaft, manchmal auch Philosophie und Religionen, gehörten zu den Bereichen, die sie wie zwei alte Ackergäule abgrasten. Politisch hatten sie verschiedene Ansichten und konnten sich deshalb sehr gut streiten. Aber sie akzeptierten die Meinung des Anderen, da sie jenen als Menschen schätzten und kannten. „Weißt Du, wenn es mir auf Lanzarote gefällt, dann steige ich aus unserer Gesellschaft aus und bleibe für immer dort“, versprach Hermann. „Das glaubst Du doch wohl selber nicht. Gerade Du pflichtbewußter Erfüllungsgehilfe des Großkapitals könntest niemals ohne Deine Arbeit leben“, behauptete Christoph. Nach jenen Worten hörten sie mit dem Laufen auf, verabschiedeten sich und gingen nach Hause. Es war schön, schon bald der Routine zu entkommen und sie hofften, daß sie in diesem Urlaub endlich abschalten und zu sich selbst finden konnten. Denn so geordnet und einwandfrei ihr tägliches Leben auch war: Irgendwie langweilten sie sich. Das konnte doch noch nicht alles gewesen sein. Aber es war gut, daß sie nicht in die Zukunft schauen konnten, sonst wären sie wohl in ihrem Schneckenhaus geblieben, wo alles geregelt war. Sie dagegen hatten den Kopf ein kleines bißchen raus gesteckt.

 

Da standen sie nun auf dem Gipfel, die beiden Frauen und blickten erschöpft, aber glücklich, nach unten. Es war vollbracht, sie hatten den Berg erfolgreich bestiegen, doch irgendwie hielten sie bereits nach neuen Gipfeln Ausschau, was selbstverständlich in erster Linie symbolisch gemeint war. „Vielen Dank! Ohne Dich hätte ich es niemals bis hier hoch geschafft“, gab Sonja freimütig zu und umarmte ihre Freundin. „Alleine wäre ich bestimmt nicht hier hochgestiegen. Wir haben es gemeinsam geschafft und uns unseren Urlaub redlich verdient“, stellte Barbara fest. „Ach ja, Lanzarote“, schwärmte Sonja und ihre Gedanken flogen weit in die Ferne. Sie träumte davon, endlich den Mann ihres Lebens zu finden, mit dem sie alt und glücklich werden würde. Bisher hatte sie viel Pech gehabt, denn die Männer, mit denen sie zusammen gewesen war, waren allesamt ziemlich durchgeknallte Typen gewesen, es konnte einfach nur besser werden. Sonja war Sekretärin an einer Realschule und hatte genug von all diesen Oberlehrern und dem eingebildeten Direktor, der nicht einmal einen richtigen Satz Englisch sprechen konnte und darauf auch noch stolz war. Mit ihrer Arbeit kam sie einigermaßen klar, doch das Umfeld nervte sie, denn sowohl die Lehrer als auch die Schüler taten so, als wäre ihre Angelegenheit die wichtigste auf der ganzen Welt und das war ziemlich anstrengend, denn alles sollte immer am besten sofort erledigt werden. Für so einen Job brauchte man wirklich gute Nerven, die von Sonja waren schon ein wenig angekratzt und deswegen freute sie sich über die Gipfelersteigung und auf den bevorstehenden Urlaub. „Dieses Panorama ist einfach herrlich!“ stieß Barbara hervor. Sie war eine sehr sportliche Frau und liebte Herausforderungen. Doch auch ihr Privatleben war nicht so, wie sie es sich vorstellte. Entweder hatte sie zu hohe Ansprüche oder die Männer, mit denen sie sich näher einließ, machten Schluß, aus welchen Gründen auch immer. So hatte sie sich daran gewöhnt, ihre Nächte meist allein zu verbringen und wußte gar nicht mehr, was sie eigentlich vermissen sollte. Trotzdem sehnte sie sich nach einer glücklichen Beziehung und die Hoffnung starb zuletzt. Doch die biologische Uhr in ihr tickte bereits und da stellte sich schön langsam auch die Frage, ob sie Kinder in die Welt setzen wollte. Eine Antwort darauf hatte sie noch nicht gefunden, aber auch ihre berufliche Zukunft stand in den Sternen und diese Ungewißheit machte sie schon ein wenig unsicher. „So, ich glaube, jetzt können wir uns langsam an den Abstieg wagen“, befand Barbara, bevor sie sich noch länger den Kopf zerbrach. Eigentlich schade, daß sie den Ausblick gar nicht so genießen hatte können. Sonja bewunderte Barbara wegen ihrer Tatkraft und ihrer nie zu versiegen scheinenden Energie. Barbara beneidete Sonja darum, daß sie einen sicheren Job hatte und daß sie irgendwie mit beiden Beinen auf dem Boden stand. Zusammen gaben die Beiden ein richtig gutes Team ab. „Ich glaube, bergab wird es noch schwieriger als beim Aufstieg“, befürchtete Sonja nicht zu Unrecht. Nichtsdestotrotz machten sie sich konzentriert ans Werk und stiegen herab vom Berg, der sie doch etliche Stunden intensiv beschäftigt hatte.

Merlin saß im Flugzeug und freute sich auf einen ruhigen Flug, doch auf dem Platz neben ihm befand sich Helga und die hatte Einiges auf dem Herzen: „Wissen Sie, junger Mann, seit 35 Jahren bin ich nun mit meinem Wigald verheiratet, aber so einen Zirkus hatten wir noch nie. Wir fliegen Beide auf Lanzarote, haben im Hotel allerdings getrennte Zimmer und sogar im Flugzeug sitzen wir nicht nebeneinander. Na ja, was soll’s? Wir Beide werden uns auch gut unterhalten, finden Sie nicht?“ „Ganz bestimmt“, ließ Merlin verlauten, was Helga als Einladung verstand, weiterzureden: „Mein Vater mochte meinen Mann ja von Anfang an nicht. Aber er mochte eigentlich keinen meiner Freunde, weil er immer Angst davor hatte, mich zu verlieren. Die ersten Jahre Ehe mit Wigald waren wirklich toll. Er kümmerte sich liebevoll um mich und brachte mir des Öfteren kleine Geschenke mit. Ich war fasziniert von diesem Mann und seiner Art zu leben. Sind Sie eigentlich verheiratet?“ „Nicht daß ich wüßte.“ „Ha, Sie sind mir vielleicht ein Witzbold. Jedenfalls wurde Wigald mit der Zeit immer desinteressierter und rücksichtsloser. Irgendwann stellte ich erschrocken fest, daß er mir nicht mehr zuhörte, denn als ich „es brennt!“ rief, da sagte er nur gelangweilt „ja, ja, ich weiß was Du meinst.“ Na ja und jetzt versuchen wir unsere Ehe zu retten.“ „Waren Sie denn schon bei einer Eheberatung?“ „Ja, aber dort war es furchtbar. Ständig hat mich dieser schreckliche Eheberater unterbrochen und außerdem hat er zu meinem Mann gehalten. Typisch Männer! Entschuldigen Sie, das war jetzt nicht persönlich gemeint.“ „Keine Ursache.“ „Alles habe ich für meinen Wigald getan, aufgeopfert habe ich mich jahrzehntelang und was ist der Dank?“ „Vielleicht haben Sie ihn mit Ihrer Liebe förmlich erdrückt?“ „Meinen Sie wirklich? Auf diese Idee bin ich noch nie gekommen. Aber warum hat er mir das dann nie gesagt?“ „Die Rollen waren ja fest verteilt und da ist es sehr schwer, später mal etwas daran zu ändern.“ „Sie reden ziemlich kluges Zeug, dafür daß Sie noch so jung sind. Darf ich erfahren, was Sie beruflich machen?“ „Ich verkaufe billigen Schmuck.“ „Da bin ich jetzt aber beruhigt, ich hatte schon befürchtet, daß Sie Psychologe oder so was Schreckliches wären. Auf alle Fälle hoffe ich, daß wir unsere Probleme in den Griff kriegen werden, denn genauso wie man in meinem Alter keinen Job mehr bekommt, so kriegt man auch keinen Mann mehr ab. Ja, und was wollen Sie auf Lanzarote?“ „Über mich und mein Leben nachdenken. So wie bisher kann, soll und wird es nicht weitergehen.“ „Interessant. Gefällt Ihnen Ihr Job nicht mehr?“ „Kann man so sagen. Nach so vielen Jahren ist er mir einfach zu langweilig geworden. Aber das ist nur ein Punkt von vielen. Und was macht Ihr Mann beruflich?“ „Er ist im Ruhestand. Leider. Seitdem streiten wir uns beinahe täglich. Früher, als er noch Industriekaufmann war, da kam er abends erschöpft heim und freute sich darüber, daß ich mich um ihn kümmerte und er abschalten konnte. Heute scheine ich ihn nur noch zu nerven und irgendwie redet er fast gar nicht mehr mit mir. So ist das kein Zustand mehr. Entweder wir finden wieder zueinander oder wir lassen es bleiben und gehen fortan getrennte Wege.“ „Na ja, da wünsche ich ihnen jedenfalls viel Erfolg“, erwähnte Merlin, bevor er sich wegdrehte und zu schlafen versuchte. Helga schaute sich die anderen Fluggäste an und begann zu essen. Sie war sehr nervös, denn acht Reihen hinter ihr saß ihr Wigald.

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