Czytaj książkę: «Im Angesicht der Unendlichkeit»
Thomas Häring
Im Angesicht der Unendlichkeit
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Anfang
Das Ende
Impressum neobooks
Der Anfang
Es begann alles in einer dieser schlecht beheizten katholischen Kirchen, die allesamt so riesig waren, daß man überhaupt nicht wußte, wozu diese Monumentalität gut sein sollte. Sie streckten ihre Spitzen gen Himmel, so als ob sie damit den Gott, den ihre Gemeinden anbeteten, berühren wollten, doch was, wenn sich der gar nicht im Himmel befand, so wie sich das die Menschen seit Jahrtausenden vorstellten? Vor einem der vielen Beichtstühle erstreckte sich eine ansehnliche Schlange und die Leute darin wurden langsam unruhig. „Was ist denn da los? Sind die Beiden eingeschlafen oder beichtet dort drin gerade der Mann mit den meisten Sünden der Welt?“ wunderte sich eine ältere Frau flüsternd. „Dann wäre der Kerl eher ein Fall für das Guinessbuch der Rekorde und sollte uns hier nicht länger aufhalten“, zischte ein jüngerer Mann, der sichtlich verärgert war. Doch was war wirklich im Beichtstuhl im Gange? Der Pfarrer hatte längst damit aufgehört Kreuzworträtsel und Sudokus zu lösen, so wie er es sonst üblicherweise machte, denn das, was Paolo ihm da alles beichtete, erschreckte und faszinierte ihn zugleich. Jahrelang hatte er in diesem Beichtstuhl gesessen, oft eher körperlich als geistig anwesend und hatte sich die langweiligsten Sachen anhören müssen. Was die Leute doch für einen Schwachsinn beichteten! Lächerlichkeiten, Sünden, die an Harmlosigkeit nicht zu überbieten waren, wie oft hätte er sich viel lieber schlafen gelegt, als sich diesen Blödsinn anzuhören! Und doch war es notwendig gewesen, den Leuten zuzuhören, denn die fühlten sich danach besser und erleichtert, so daß das Ganze durchaus seinen Sinn hatte. Klar, man konnte einwerfen, daß das ganze Sündengequatsche nur eine Erfindung der Kirchen gewesen war, um Macht auszuüben, aber irgendwie mußte man halt die Gläubigen an sich binden. Vor ungefähr einer halben Stunde hatte Paolo den Beichtstuhl betreten gehabt und seitdem hatte sich das Leben des Pfarrers verändert, denn was er zu hören bekam, war etwas, das er nie für möglich gehalten hätte. Doch um das Ganze auch nur annähernd begreifen zu können, mußte man das gesamte Gespräch kennen, weshalb wir nun zurückblenden und uns in dem Moment einklinken, in dem sich Paolo im Beichtstuhl niedergelassen hatte und zu reden begann: „Also, um es gleich mal vorneweg zu sagen: Ich bin seit vielen Jahren nicht mehr beim Beichten gewesen und deswegen ist es mir auch sehr schwer gefallen, hierher zu kommen. Nichtsdestotrotz brauche ich jemanden, der mir zuhört und mich berät. Sind Sie dazu bereit?“ „Das bin ich“, murmelte der Pfarrer, der überhaupt nicht ahnen konnte, auf was er sich da gerade eingelassen hatte. „Sie unterliegen dem Beichtgeheimnis und verpflichten sich hiermit, alles, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, für sich zu behalten?“ „Selbstverständlich.“ „Also gut, dann will ich mal mein Innerstes nach außen kehren. Es fing damit an, daß ich Träume hatte, schreckliche Alpträume, in denen ich von meinem Chef und meiner Frau gedemütigt und drangsaliert wurde.“ „Träume sind wichtig und nützlich.“ „Ich weiß, aber eines Nachts habe ich sowohl meinen Chef als auch meine Frau in meinen Träumen umgebracht.“ „Wenn Sie deshalb gekommen sind, dann enttäuschen Sie mich. Alles, was wir in unseren Träumen tun, geschieht nicht wirklich, deshalb können wir im Traum auch keine Sünden begehen.“ „Und was ist mit den feuchten Träumen?“ „Die sind ein Sonderfall, aber das würde jetzt zuviel Zeit kosten, näher darauf einzugehen. Sind wir fertig?“ „Nein, damit fing es ja erst an, denn ob Sie es glauben oder nicht, sowohl mein Chef als auch meine Frau behandelten mich seit jenem Traum viel besser und so zuvorkommend wie nie zuvor.“ „Das ist in der Tat erstaunlich, muß aber nichts heißen. Purer Zufall oder vielleicht haben die Beiden auch mal über sich und ihr Handeln nachgedacht.“ „Möglich, aber unwahrscheinlich. Jedenfalls hatte ich damit ein paar Probleme weniger.“ „Gut. Und jetzt brauchen Sie mir nur noch sagen, daß Ihr Chef und Ihre Frau ein und dieselbe Person sind und schon haben wir es hinter uns gebracht.“ „Warum sind Sie so nervös?“ „Da draußen warten noch jede Menge Leute und ich habe keine Lust darauf, die festgeschriebene Beichtzeit zu überziehen, denn ich will mir heute abend noch einen Horrorfilm anschauen.“ „Welchen denn?“ „Der Exorzist.“ „Ich verstehe. Aber das ist doch auch so ein Problem, das Ihr Euch selbst geschaffen habt. Würdet Ihr nicht behaupten, daß es einen Teufel gäbe, dann würde auch niemand von dem besessen sein.“ „Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit Ihnen über meine Kirche und ihre manchmal sehr merkwürdigen Anwandlungen zu unterhalten. Entweder kommen Sie jetzt zur Sache oder wir beenden dieses Gespräch.“ „Also gut, ich merke schon, Sie haben es nicht so mit Geduld und Spannung. Aber einen Horrorfilm anschauen wollen! Egal, von da an träumte ich immer realer und eines Nachts war ich hellwach und merkte, wie ich meinen Körper verließ.“ „Alles nur ein Traum.“ „Eben nicht. Ich war bei klarem Bewußtsein und ich bekam alles mit. Ich schwebte über meinem Körper und wanderte durch die Wände meines Hauses, ich schwebte über meinem Garten und dann kehrte ich in meinen Körper zurück. Das wiederholte sich Nacht für Nacht, weshalb ich langsam mutiger wurde und immer längere Reisen unternahm. Ich besuchte meine Nachbarn und beobachtete sie beim Liebesspiel, ich flog zu meinem Vater ins Altenheim und ich lernte, was in der Stadt, in der ich lebte, so alles vor sich ging, während die meisten Leute schliefen.“ „Das brauchen Sie mir nicht erzählen, das erfahre ich alles hier drin, wenn die Leute zu mir kommen und ihre Verfehlungen eingestehen.“ „Ja und eines Nachts verließ ich auf einmal diese Dimension und gelangte in eine andere Welt.“ Plötzlich wurde der Pfarrer hellhörig. „Was sagten Sie da? Habe ich das richtig verstanden?“ „Selbstverständlich. Ich schwebte umher und die Wesen um mich herum waren ebenfalls schwebend unterwegs, wir konnten uns per Gedankenübertragung verständigen und ich fragte sie wo ich denn sei. „Du bist dort, wohin Ihr nach der Trennung von Leibmensch und Geistmensch kommt“, sagten sie.“ „Wie war das? Leibmensch und Geistmensch?“ „Das habe ich sie auch gefragt und da haben sie mir erklärt, daß es so etwas wie den Tod überhaupt nicht geben würde. Wir legen nur unseren Körper, den wir für das Dasein in Raum und Zeit benötigen, ab und leben fortan als Geistmenschen weiter.“ „Faszinierend. Und was haben Sie noch erfahren?“ „Vieles, aber das für Sie Wichtigste dürfte Folgendes sein: Ihren Gott gibt es tatsächlich, allerdings nicht so, wie wir Menschen ihn uns vorstellen. Es handelt sich dabei um das sogenannte höhere Wesen, was mit Hierarchie aber rein gar nichts zu tun hat. Wenn wir unseren Körper verlassen haben, sehen wir unser ganzes Leben noch einmal vor unserem geistigen Auge ablaufen und danach beurteilen wir es und damit uns.“ „Na toll. Sonst noch was?“ „Ja, wir werden auch von höherer Warte aus beurteilt und dann steht fest, ob wir beim höheren Wesen bleiben können oder uns in die Gottferne begeben.“ „Gut, damit kann ich leben. Aber Sie sind doch nicht hier, um mir das zu erzählen, oder?“ „Nicht wirklich. Das waren nur ein paar Appetithappen für Sie, damit Sie nicht glauben, ich würde nur an mich denken. In dieser anderen Dimension bewegte ich mich noch viele Male, doch irgendwann erreichte ich eine weitere Dimension, in der es nur so von menschenähnlichen Gestalten und anderen Wesen wimmelte. Dort fühlte ich mich nicht so wohl, andererseits war ich auch nicht in Gefahr. Doch eines Nachts geschah das, weshalb ich eigentlich hier bin. Wie bereits erwähnt, es handelte sich dabei nicht um einen Traum, leider. Also, ich tauchte in eine Dimension ein, die der unsrigen durchaus ähnlich ist, aber trotzdem war dort Vieles anders. Man kannte keinen Strom, man fuhr auf anderen Vehikeln und so weiter und so fort. Doch ich war dort nicht nur als Beobachter oder unerwünschter Besucher, nein, ich konnte sogar in den Körper eines Mannes eindringen und dessen Geist für eine Weile verdrängen.“ „Moment mal! Sie wollen mir also weismachen, daß Sie in einer anderen Dimension im Körper eines anderen Mannes aufgetaucht oder besser noch, eingetaucht sind?“ „Sie haben es erfaßt.“
„Schön für mich. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie eigentlich hier sind.“ „Dann hören Sie halt einfach mal zu! Ich fand jene Dimension durchaus spannend und unterhaltsam, noch dazu, da ich in ihr auf die Leute dort Einfluß nehmen konnte, denn ich war ja für eine gewisse Zeit einer der ihren. Na ja und nachdem ich mich langsam daran gewöhnt hatte, begann ich damit, mit fremden Frauen zu schlafen, Sachen zu stehlen und meine Mitmenschen in der dortigen Dimension dazu zu verführen, böse Dinge zu tun.“ „Warum?“ „Gute Frage. Vielleicht sollten Sie wissen, daß es sich bei mir in unserer Welt um einen angepaßten, gesetzestreuen Spießbürger handelt, der sich nie etwas zuschulden kommen lassen hat.“ „Ich verstehe. In der anderen Dimension leben Sie Ihre Schattenseite aus.“ „So kann man es nennen. Ja, wie soll ich sagen, es ist mir nicht leicht gefallen, hierher zu kommen, denn Sie könnten mich für verrückt halten oder für einen schlechten Menschen oder was weiß ich?“ „Guter Mann, ich fasse zusammen: Sie haben in einer anderen Dimension viel Schaden angerichtet und sind jetzt hier, um sich für Ihre Sünden von mir lossprechen zu lassen.“ „Ja, das kann man so sagen.“ „Wie soll ich mich ausdrücken? Nur mal angenommen, daß das alles, was Sie mir beschrieben haben, tatsächlich stimmt und Sie wirklich jede Menge Dreck am Stecken haben, dann kann ich Sie zwar lossprechen, allerdings weiß ich nicht, wie Sie das alles wiedergutmachen können.“ „Ja, da kommen wir zu einem weiteren Problem. Ich weiß zwar, daß ich dort unrechte Dinge tue, aber es fühlt sich gut an, denn ich finde auf diese Art und Weise meinen Seelenfrieden. Verstehen Sie, dadurch, daß ich auch meine dunklen Seiten ausleben kann, bin ich viel ausgeglichener und fühle mich wohler.“ „Hmh, da stecken wir nun wahrlich in einem Dilemma, denn zu einer aufrichtigen Beichte gehört selbstverständlich die Reue.“ Der Pfarrer hatte die draußen wartenden Gläubigen längst vergessen, zu vertieft war er in das Gehörte und in die Problematik seines Gesprächspartners. „Natürlich könnte ich mich jetzt hinstellen und sagen: Alles kein Problem, was Sie in einer anderen Dimension anrichten, betrifft uns nicht, von daher können Sie dort anstellen was Sie wollen, aber das würde meiner Denkweise nicht entsprechen. Einerseits finde ich es gut, daß Sie Ihre Schattenseite ausleben, denn wenn Sie Ihre dunklen Triebe, Begierden und Sehnsüchte nur verdrängen, dann ist das viel schlimmer und gefährlicher. Andererseits haben andere Wesen in einer anderen Dimension unter Ihrem Handeln zu leiden.“ „Sie verstehen mich, aber wenn Sie mich jetzt dazu verdonnern würden, daß ich meinen Schaden in der anderen Dimension wiedergutmache, dann müßte ich in unserer Welt zum Arschloch werden.“ „Bitte nicht, davon haben wir hier schon mehr als genug. Natürlich könnte ich sagen, verdrängen Sie alles wieder, aber man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, nicht umsonst hat sich Ihre dunkle Seite eine Möglichkeit gesucht, um sich ausleben zu können. Stellt sich nur die Frage, ob die von der anderen Dimension hierher kommen und in die Körper von unseren Leuten eintauchen und hier jede Menge Schaden anrichten? Das würde einige Kriege, Hunger, Armut und Umweltzerstörung erklären.“ „Daran habe ich auch schon gedacht, aber damit würden wir es uns wohl zu einfach machen.“ „Wahrscheinlich. Jedenfalls kann ich Ihnen nur folgenden Ratschlag geben: Tun Sie was Sie glauben tun zu müssen, allerdings dürfen Sie sich dann auch nicht darüber beschweren, wenn Sie irgendwann mit den Konsequenzen Ihres Handelns konfrontiert werden.“ „Alles klar, Sie gehen also auf Nummer sicher und lassen mich mit meinem Problem allein.“ „Nein, so können und dürfen Sie das nicht sagen. Ich würde Ihnen schon gerne helfen, aber das ginge nur, wenn Sie Ihr Verhalten ändern wollten.“ „Ich habe nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nichtsdestotrotz möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie mir so aufmerksam zugehört haben. Allein dadurch geht es mir besser und wer weiß, vielleicht sehen wir uns ja irgendwann irgendwo mal wieder. Arrivederci!“
Sie starrten sie an. Natürlich kannte sie das schon, denn so war es ihr bislang bei allen ihren Besuchen in dieser Dimension ergangen. Es lag nicht an ihrem Äußeren, denn sie sah fast genauso aus wie diejenigen, die irgendwie spürten, daß sie nicht zu ihnen gehörte. Ihre Worte und Handlungen verrieten sie, schließlich gab es in ihrer Dimension so etwas wie Geld nicht, was für sie hin und wieder dramatische Folgen gehabt hatte. Da war zum Beispiel dieser Fahrkartenkontrolleur im Zug gewesen, der sie als Schwarzfahrerin bezeichnet hatte und dann mit ihr in seiner Kabine verschwunden war, wo er sich an ihr vergangen hatte. Seitdem glaubte sie, Sex wäre eine andere Art von Zahlungsmittel auf der Erde, doch da gab es dann auch wieder diesen überaus korrekten Kaufhausdetektiv, der davon nichts wissen hatte wollen. Und genau da hatten die Schwierigkeiten erst so richtig angefangen, denn sie landete auf dem Polizeirevier und konnte dort weder Angaben zu ihren Personalien noch zu ihrem Wohnort oder Beruf machen. Dadurch wurde sie gleich verdächtig und der Polizeibeamte erklärte: „Wissen Sie, in den Zeiten des internationalen Terrorismus müssen wir auf der Hut sein. Wir können Ihnen zwar momentan nichts nachweisen, aber wir sind überzeugt davon, daß Sie nichts Gutes im Schilde führen.“ Sie verstand nur Bahnhof, weshalb sie stumm nickte. In der Nacht wurde es ihr dann doch zu blöd, so daß sie wieder in ihre Dimension zurückkehrte, was zur Folge hatte, daß es bei der Polizei zu lauten Streitereien kam, die man beendete, indem man ihren Fall für erledigt erklärte und ihre Akte im Reißwolf verschwinden ließ. Nun war sie gewarnt und wußte, daß sie zukünftig vorsichtiger sein mußte. Es war nicht so, daß es ihr in ihrer Dimension nicht gefiel, ganz im Gegenteil. Jedoch hatte sie eines Tages ihre Fähigkeit entdeckt, die Dimensionen zu wechseln und seitdem verbrachte sie ihre Freizeit damit. Es machte ihr Spaß und sie lernte viele neue Dinge kennen, doch inzwischen hatte sie auch erfahren, daß es manchmal gefährlich war, wenn man sich irgendwo aufhielt, wo es andere Bräuche gab. Eines Tages war Paolo zufällig auf sie getroffen und hatte erschrocken kehrt gemacht, denn sie war eine von den vielen Frauen gewesen, mit denen er es in der anderen Dimension getrieben hatte. Seitdem wußte er, daß es auch einen Reiseweg aus der anderen Richtung gab, doch dann war ihm zu seiner Erleichterung eingefallen, daß sie ihn gar nicht kennen konnte, denn er war ja immer in den Körper dieses anderen Mannes geschlüpft, von daher brauchte er sich keine Sorgen darüber machen, daß sie ihn wiedererkennen und ihm eine Szene machen würde. Für sie war die Erde ein faszinierender, aber auch merkwürdiger Ort, denn so ähnlich sie und die Erdenbewohner sich auch waren, in vielerlei Hinsicht schienen Welten zwischen ihnen zu liegen. Doch ihr ging es bei der ganzen Sache weder um Völkerverständigung noch um irgendwelche interdimensionalen Abkommen oder Verträge, sie wollte einfach nur ein wenig ihrer Realität und damit auch ihrer Dimension entfliehen, so daß der Aufenthalt auf der Erde für sie so etwas wie Urlaub war. Mit der Zeit war sie vorsichtiger geworden und hatte gelernt, was sie tun durfte und was nicht, um nicht sonderlich aufzufallen. Hin und wieder leistete sie sich noch ein paar grobe Schnitzer, aber dabei handelte es sich um verzeihliche Fehler und so perfektionierte sie ihre Tarnung, paßte sich den Gewohnheiten auf der Erde an und es gelang ihr immer öfter, sich mit anderen Leuten zu unterhalten, die sie für ihresgleichen hielten. Zu ihrer eigenen Sicherheit begab sie sich immer wieder in andere Länder, denn sie konnte es sich natürlich nicht leisten, Menschen näher kennenzulernen, Freundschaften zu schließen oder gar Beziehungen zu beginnen. Ihr Interesse wuchs beständig und so kam es, daß sie ihrer Dimension nach und nach immer mehr den Rücken kehrte, denn das Fremde, Ungewöhnliche, Exotische reizte sie viel mehr als das, was sie schon kannte. Natürlich blieb ihr Verschwinden in der anderen Dimension nicht unbemerkt und so überraschte es nicht, daß sie eines Tages von ihrem Bruder zur Rede gestellt wurde. „Luziana, was ist los mit Dir? Du kommst immer seltener zu Besuch und es kursieren die wildesten Geschichten über Dich“, begann er vorsichtig, denn er wollte nicht, daß sie gleich aufbrausend wurde. „Ach, Bruderherz, das verstehst Du nicht. Ich habe nur etwas gefunden, das mir unheimlich viel Spaß macht“, bemerkte sie. „Und das wäre?“ „Ich kann es Dir nicht sagen, Du würdest mich sonst für verrückt halten.“ „Irrtum. Ich halte Dich momentan für verrückt; wenn Du es mir erzählst, dann vielleicht nicht mehr.“ „Also gut, aber behalte es bloß für Dich: Es ist mir gelungen, diese Dimension zu verlassen und in eine andere einzutauchen.“ „Was redest Du da denn schon wieder für einen Blödsinn? Es gibt nur uns und unsere Existenz, alles Andere ist Humbug und Aberglaube.“ „Siehst Du, ich habe es ja gleich gewußt, daß ich mit Dir darüber nicht reden kann.“ „Hast Du wieder was genommen? Du sollst doch die Finger von dem Zeug lassen, es tut Dir nicht gut.“ „Mein Bewußtsein hat sich von alleine erweitert, dazu brauche ich keinen Stoff. Weißt Du, den Leuten kann es egal sein, was ich mache und sie sollen sich gefälligst um ihre eigenen Probleme kümmern.“ „Ganz so einfach ist es auch wieder nicht, Luziana. Du weißt, daß wir alle ein Teil des großen Ganzen und damit auch füreinander verantwortlich sind. Wir sind aufeinander angewiesen und brauchen uns gegenseitig. Das bedeutet, daß wir aufeinander achten müssen und uns natürlich Gedanken machen, wenn jemand von uns ausschert und eigene, gefährliche Wege beschreitet.“ „Du hast ja überhaupt keine Ahnung! Die Dimension, in der ich mich sehr oft aufhalte, ist der unsrigen sehr ähnlich und doch so verschieden. Die Lebewesen dort machen alle ihr eigenes Ding, jeder lebt und arbeitet für sich oder höchstens noch seine Familie. Dort gibt es etwas, das sie Geld nennen und damit wird bezahlt.“ Das mit dem Sex verschwieg sie ihrem Bruder lieber, denn sie wußte, wie aggressiv er darauf reagieren würde. „Alles schön und gut, aber es geht nicht, daß Du Deine hiesigen Verpflichtungen wegen irgendeiner Pseudowelt vernachlässigst. Ich meine es gut mit Dir und ich warne Dich: Lange werden sich das die Anderen nicht mehr mit anschauen.“ „Du willst mir drohen? Du, den ich fast alleine aufgezogen habe, weil unsere Mutter fast immer nur damit beschäftigt war, der Gemeinschaft zu dienen? Weißt Du was, wenn Ihr mir so kommt, dann kann ich auf diese Dimension hier gut und gerne verzichten. Dort, wo ich hingehe, ist es ohnehin viel schöner.“ „Das Paradies ist nichts weiter als eine Illusion, Luziana. Du wirst es niemals finden, da es überhaupt nicht existiert.“ „Und wenn schon? Die auf der Erde sind wenigstens weltoffener und toleranter als Ihr hier.“ „Aha, so ist das also. Gut zu wissen, denn wir haben es jedenfalls geschafft, daß es bei uns in eine gemeinsame Richtung läuft, wir arbeiten zusammen und helfen uns, aber wenn es Dich in diese Schattenwelt zieht, dann sage ich dazu nur: Scheißende soll man nicht aufhalten.“ Nach diesen Worten ging ihr Bruder und setzte seine Arbeit fort, während sie sich zurückzog, um das Ganze noch einmal zu überdenken. Sie wußte, daß sie in ihrer Dimension nicht weiterleben konnte, als ob nichts geschehen wäre, denn ihre Erlebnisse hatten sie verändert und sie wollte auch nicht länger so ein Leben wie bisher führen. Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen, schließlich konnte sie nicht andauernd zwischen den Welten wandern, das würde auch nichts bringen. Noch einmal betrachtete sie das Leben in ihrer Dimension, die wunderbare Gemeinschaft, die aber auch zu einem Gefängnis werden konnte und das Leben, das sie schon zur Genüge kannte. „Wer nichts riskiert, hat schon verloren“, dachte sie sich und wußte, was sie zu tun hatte. Wenig später kehrte sie in die andere Dimension auf der Erde zurück und ließ sich in einer großen Stadt nieder, in der sie eine von Vielen war und ihr niemand sonderlich Beachtung schenkte. Nun galt es, sich eine eigene Existenz aufzubauen, denn nach ihren zahlreichen Besuchen auf der Erde wußte sie inzwischen, worauf es ankam und was sie zu tun hatte, um ein ruhiges Leben führen zu können. Das Spiel konnte beginnen.
Darmowy fragment się skończył.