Czytaj książkę: «INTO THE BEAT»

Czcionka:


Das Buch zum Film

Nach einem Drehbuch

von Hannah Schweier und Stefan Westerwelle,

nach einer Idee von Vera Kissel

Von TextDoc Kiesel


Inhalt

Titel

Widmung

Dornröschen

Staatsballett

Premiere

Wochen später

BALLETTSCHULE / UMKLEIDE

Daheim

Kettenriss

Welcome im BATTLELAND

Powermoves

Spieluhr

Ballettkostüm

Irgendetwas

Spielplatz

(Aus dem Drehbuch)

BATTLELAND/ GANG

Anderes

Trigger

Abgrund

(Szenen aus dem Drehbuch)

Break

Abendbrot

Ausrede

U-BAHN

U-BAHNHOF

Dönerdate

Sprungkraft

Butterkopfbild

(Aus dem Drehbuch)

Audition

(Aus dem Drehbuch)

Ballettfamilie

Kopfstand

Tags darauf:

Flucht

Hoffnung

Ein Beat setzt ein,

Fundsachen

Unterdessen:

Offenbarung

(Aus dem Drehbuch)

Drama

(Aus dem Drehbuch)

Ziegengleichnis

Einverständniserklärung

»Scheiss auf die Choreo!«

Unterdessen:

Ready

Kurz zuvor:

Bühnenpower

Finale

MESSEHALLE/DAVOR

INTO THE BEAT – DEIN HERZ TANZT

Bildteil

»Deine Familie ist das Ballett.«

Victor, Katyas Vater

»Die Welt des Streetdance ist eine riesige Family.«

MARLON

Dornröschen

Die Spuren des harten Trainings waren nicht zu übersehen. Die Mädchen flatterten wie Prinzessinnen durch die Gänge der Ballett­schule. An den Füßen trugen sie Bandagen. Auch ich hatte Toe-Pads, diese Spitzenschoner, zwischen die Zehen gesetzt und meine Knöchel sorgfältig mit Tape umwickelt. Darüber hatte ich Satin­bänder gebunden und die Haare nach Vorschrift zum Dutt hochgesteckt. So saß ich nun da auf dem Parkett unserer prunkvollen Schule, wie die anderen Elevinnen auch, und wartete. Wartete auf die Ansage unserer Tanzlehrerin.

Dann kam sie durch die weiße, mit Goldfarben verzierte Flügeltür. Wie eine Königin schritt die große alte Dame auf uns zu. Jedem ihrer Schritte und jeder ihrer Gesten war die Erhabenheit anzusehen. Frau Rosebloom hatte eine unfassbar erfolgreiche Ballett­karriere als Prima Ballerina hinter sich. Sie hatte Beifall­stürme auf den Bühnen dieser Welt rund um den Globus erlebt, lange Artikel mit großen Fotos waren in den Zeitungen über sie erschienen, sie wurde gefeiert, auch nach ihrer Karriere. Sie hatte schon meinen Papa trainiert, und Elevin an ihrer Tanzschule zu sein, war Auszeich­nung und Ehre zugleich. Frau Rosebloom war eine Göttin für uns. Und Göttinnen huldigt man, auch wenn man sie nicht immer liebt.

»Guten Morgen, young Ladies«, sagte die Göttin zu uns Mäd­chen und fuhr mit ernster und fordernder Stimme fort: »Ihr habt noch acht Wochen bis zum Vortanzen. Denkt immer daran: Die New York Ballet Academy sucht nur eine für das Stipendium aus. Das ist eure große Chance. Enttäuscht euch nicht.«

Da war er wieder. Der Druck. Die Jury der Academy würde genau hinsehen, und ja, nur eine von uns, nur eine einzige von uns allen würde genommen werden.

Ich wollte genommen werden. Und ich war mir sicher, dass ich es schaffen würde.

Ich heiße Katya. Ich bin 16. Manche nennen mich anmutig und schön und selbstsicher. Sollen sie. Mir ist das egal, was andere über mich denken. Ich bin ich. Von meinen Fragen, meinen Zweifeln und Unsicherheiten wissen sie ohnehin nichts. Alles war schwer genug die letzten Jahre. Nicht nur wegen des Trainings im Ballett. Auch zu Hause. Vor allem seit der Sache mit Mama.

Aber daran konnte ich jetzt nicht denken. Frau Rosebloom klatschte in die Hände und sagte: »Wir beginnen heute mit der Solo­variation aus Dornröschen Auroras Geburtstag«.

Dann schaute sie mich direkt an und bat mich nach vorn.

Ich war also als Erste dran. Vortanzen im Training. Nichts Besonderes. Ich eilte zum Spiegel und ging in Startstellung.

Der Pianist begann zu spielen.

»S’il te plait.« Los ging’s.

Mit den ersten Klavierklängen begann ich, die vorgegebene Choreografie und die Figuren zu tanzen.

Auf den Spitzen. Die Hände immer wieder federleicht in der Höhe. Die Arme geschwungen. Alles war fließend, graziös, fehlerfrei.

»Cinquième.«

Die schier endlosen Aufzählungen von Frau Rosebloom schreckten mich nicht.

Entrée.

Ballonné, Ballonné.

Battement tendu, Battement tendu.

Assemblé.

Fouetté en tournant.

Fouetté en tournant.

À la seconde.

Ailes de Pigeon.

Zweimal Glissade und Grand jeté …

Ich tanzte alles perfekt. Bis zur Schlussposition.

»Bravo, Katya«, sagte Frau Rosebloom anschließend. Die Worte waren ihr Applaus. »So tanzt nur eine echte Orlow.«

Ja, ich war eine Orlow. Eine echte Orlow. Die Orlows waren und sind eine Meistertänzer-Familie. Papa war stolz auf mich.

Staatsballett

Wie ich meine Freiheit liebte. Auf dem Fahrrad zum Beispiel spürte ich sie. Ich trat in die Pedalen und raste durch die Straßen. Aus den Kopfhörern dröhnte laut Popmusik. Ja, ich weiß, das ist verboten, auf dem Rad Musik zu hören. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ballett war Ballett. Und Freiheit war FREIHEIT.

Im Kindergarten musste ich meinen Bruder Paul abholen. Er war fünf. Ich mochte den Kleinen sehr. Seit Mama weg war, musste ich mich noch mehr um ihn kümmern und so war er mir noch wichtiger geworden.

In seinem grasbefleckten Fußballtrikot wartete Paul bereits. Am Fenster hielt er nach mir Ausschau. Als er mich sah, stürmte er hinaus zu mir. Ich nahm schnell die Kopfhörer ab, ehe es noch eine Erzieherin sah.

»Mann, da bist du ja endlich!«, rief Paul.

»Was denn, ich bin total pünktlich«, erwiderte ich.

Und das stimmte sogar. Denn ich hatte mich nach dem Ballett beeilt, weil wir schnell zu Papa wollten. Er hatte heute Premiere. Aber es war noch ewig Zeit.

Das machte ich Paul jetzt auch klar: »Die Premiere ist heute Abend. Wir könnten einmal um die ganze Welt fahren und wären immer noch rechtzeitig da.«

Paul schaute mich irritiert und fragend an. »Hä? Um die ganze Welt?«

So war er, unser Paul. Klein halt noch. Und ziemlich verträumt. Und manchmal ein wenig langsam im Denken. Aber klug war er trotzdem, pfiffig auch. Und immer für eine Überraschung gut.

Ich musste schmunzeln, zeigte ihm die Tupperdose und sagte: »Hier, Wegzehrung.«

Paul stieg auf mein Rad, den improvisierten Kindersitz liebte er.

Ab ging’s. Auf zu Papa ins Staatsballett.

Als wir das Foyer betraten, sahen wir Victor gleich. Unser Vater stand kerzengerade vor einem Mikrofon und gab einem Journalis­ten ein Interview. Eine Fotografin knipste Fotos. Ich wollte gerade den Finger auf meine Lippen legen, damit Paul wusste, dass er ruhig sein sollte. Aber Papa hatte uns schon gesehen und unterbrach seine Antwort für das Interview. Seine Familie war ihm wichtiger.

»Hey, Paule«, rief er voller Freude. »Da seid ihr ja.«

Paul war schon losgerannt und stürzte auf ihn zu.

»Komm Paul, lass uns fliegen, fliegen … «, rief Papa und breitete seine Arme weit zum Propeller aus. So war er. Auf seine Kinder ließ unser Papa nichts kommen.

Laut johlend stürmte Paul auf ihn zu. Papa riss ihn an sich, warf ihn freudig in die Höhe und ließ ihn durch die Lüfte sausen.

Der Journalist sah zu und sagte: »Na, da will wohl jemand in die Fußstapfen seines Vaters treten.«

»Na, schauen wir mal«, meinte Papa. »Ich glaube, er schießt lieber als Stürmer Tore …« Dann sah er zu mir und sprach weiter. »… Aber machen Sie sich keine Sorgen, die nächste Orlow steht schon längst in den Startlöchern.«

Die nächste Orlow – das war ich. Jedenfalls für Papa, der seinen Stolz über seine Tochter auch jetzt nicht verbergen konnte. Freudig nahm er mein Gesicht in seine Hände und gab mir zur Begrüßung einen Kuss. Dann nahm er mich in den Arm und sagte: »Kommt, wir machen ein Familienfoto für die Zeitung.«

Die Orlows für die Ewigkeit sozusagen.

Premiere

Bis zur Premiere war wie gesagt noch ein wenig Zeit. Aber wir blieben im Staatsballett. Hier war nicht immer solche Hektik, aber heute war wirklich irre viel los. Trotzdem lief alles routiniert. Wie immer vor einer Premiere. Ich war schon oft dabei. Für Paul war das alles noch ein bisschen neu. Aber er fühlte sich auch sichtlich wohl. Und war stolz auf seinen Papa, der ihn zwischendurch immer mal wieder auf den Arm genommen hatte. Und dann war Papa auch schon im Feder­kostüm, seinem Kostüm für den Auftritt.

Wir standen in der Nullgasse zwischen den Vorhängen, schauten zur Bühne, wo Papa noch mal übte und nachher, wenn die Zuschauer im Saal waren, auftreten und bestimmt gefeiert werden würde.

Romy, die Abendspielleiterin, schob sich an uns vorbei. »Eine Minute noch, okay!«, sagte sie.

Wir warteten voller Spannung.

Gleich musste Papa raus auf die Bühne.

Das Orchester setzte ein. Musik erklang.

Papa schien ein wenig aufgeregt, das war eigentlich untypisch für ihn. Er ist sonst immer ganz cool. Auch vor den Auftritten.

»Ich mach den großen Sprung heute nur für dich«, sagte er und lächelte mich an.

»Toi, toi, toi, Papa!«, sagte ich und spuckte ihm auf die Schulter.

Er ging auf seine Position Richtung Bühne, zwinkerte mir noch mal zu, setzte seine Vogelmaske auf und konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf seinen Auftritt. Noch mal tief Luft holen.

Im Zuschauersaal brandete Applaus auf.

Dann eröffnete er sein Solo, perfekt und exakt zum richtigen Zeitpunkt. Stolz schaute ich zu aus unserer Ecke in der Nullgasse. Wir konnten alles gut sehen. Papa tanzte hingebungsvoll und ausdrucksstark im Lichtkegel.

Plötzlich stand Romy neben mir. Jetzt, da die Vorstellung lief, schien die Anspannung von ihr gewichen zu sein.

»Hey, Katya«, sagte sie. »Schön, dich zu sehen.«

Und dann meinte sie flüsternd, wie unglaublich ähnlich ich meiner Mutter mittlerweile sähe. Da war er wieder, dachte ich. Der Vergleich. Wie oft hatte ich den schon gehört – den Orlow-Vergleich …

Zum Glück ging es jetzt gerade nicht um mich. Jetzt stand Papa auf der Bühne im Rampenlicht. Und ich nur in der Nullgasse.

»Und was macht New York?«, fragte Romy.

»Das wird«, sagte ich und lächelte Romy an.

»Wow. Was für ein Traum«, meinte Romy. »Wir drücken alle die Daumen, dass das was wird. Dein Vater redet von nichts anderem mehr.«

Wieder lächelte ich sie an. Es war schön, zu wissen, dass andere an einen glauben. Und Romy war Profi durch und durch. Ihre Aussage bedeute was. Aber noch mal, eigentlich war das jetzt nicht wichtig. Denn jetzt und hier ging es um Papa. Er ließ sich gerade in der Drahtseilkonstruktion befestigen.

Gleich würde er fliegen.

Der große Sprung.

Wie oft hatte er ihn geprobt.

Wie oft hatte er davon erzählt.

Passend zur Musik, die immer dramatischer wurde, nahm er Anlauf und setzte zum großen Sprung an.

Jetzt gleich hob er ab, schwebte höher und höher durch die Lüfte.

Gigantisch sah das aus.

Grandios sah das aus.

Ich schaute gebannt wie alle anderen zu.

Der Lichtkegel der Scheinwerfer verfolgte den fliegenden Tänzer …

Doch dann passierte das Schreckliche.

Das, was niemand erwartet hatte.

Keiner hatte es kommen sehen.

Alles lief ab wie im Zeitraffer.

Der Aufschrei im Zuschauersaal.

Der dumpfe Knall seines Aufschlags auf dem Bühnenboden.

Die fassungslose Stille …

Ehe alle zu ihm stürzten – zu Papa auf dem Boden.

Noch immer sind meine Augen wie vor Schreck geweitet, wenn ich an diese verdammte Szene denke. Noch immer zittere ich am ganzen Körper. Noch immer kann ich kaum glauben, was seither passiert ist.

Alle dachten, Papa würde nach diesem Unfall nie wieder laufen können.

Zum Glück hatten sie nicht recht.

Aber alles kam ganz anders.

Wochen später

(Aus dem Drehbuch)

TANZSCHULE / BALLETTSAAL

INNEN – TAG

Im Ballettsaal sitzt Katya unter den Elevinnen auf dem Boden.

Sie ist in Gedanken.

FRAU ROSEBLOOM

(zu den Elevinnen)

All right, Ladies. Wir haben noch drei Wochen.

Ihr habt ab jetzt nichts anderes als Ballett im Kopf.

Trainiert in jeder freien Sekunde. Keine Pause.

Keine Ablenkung. Okay?

Die Elevinnen nicken.

FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

I hope so. See you tomorrow.

Die Mädchen packen ihre Taschen.

Frau Rosebloom kommt zu Katya.

FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

Er kommt heute nach Hause, richtig?

Katya nickt. Frau Rosebloom lächelt warm.

FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

Keine Angst, Katya.

Ihr habt schon ganz andere Dinge gemeinsam geschafft.

Alles wird gut, glaub mir.

Katya lächelt Frau Rosebloom ermutigt an.

FRAU ROSEBLOOM (CONT’D)

Victor kann übrigens sehr stolz auf dich sein.

Du hast noch mal enorme

Fortschritte gemacht.

New York ist für dich zum Greifen nah.

KATYA

Danke.

FRAU ROSEBLOOM

Richtest du ihm liebe Grüße aus?

KATYA

Mach’ ich, Frau Rosebloom.

Frau Rosebloom nickt und schaut Katya liebevoll hinterher.

BALLETTSCHULE / UMKLEIDE

INNEN – TAG

In der Umkleide steht Katya an ihrem Spind und zieht sich um. Janine setzt sich auf die Bank und seufzt übertrieben.

KATYA

Ja, Janine?

JANINE

(gespielt freundlich)

Nichts. Ich wollte dir nur sagen, wie unglaublich stark du bist.

Erst die Sache mit deiner Mutter vor drei Jahren und jetzt das …

Hoffentlich kann er bald wieder richtig laufen.

JANINE (CONT’D)

Ich hab’ ihn doch noch vor ein paar Tagen tanzen sehen.

Janine schüttelt mit betroffener Miene den Kopf.

JANINE (CONT’D)

Und dann der ganze Druck mit New

York. Jeder, der normal ist, müsste

doch daran kaputt gehen.

Katya blickt auf. Sie spürt, Janine holt zum Schlag aus.

JANINE (CONT’D)

Aber was soll’s? Es stand ja sowieso schon in der Zeitung: Orlows Nachfolgerin wartet in den Startlöchern.

Bei dem Namen ist es doch

sowieso egal, wie man tanzt …

Katya rastet aus.

KATYA

(gereizt)

Halt doch einfach mal deine Klappe.

Katya geht. Janine schaut ihr grinsend hinterher.

Daheim

Unsere Wohnung ist schön. Und groß, eine riesige Altbauwohnung mitten in der Stadt. An den hohen Wänden hängen viele Familien­fotos. Fotos aus alten Tagen, aus der Zeit eines glücklichen Fa­milien­­lebens.

Ich wuselte durch die Küche. Seit Papa an diesem Abend nach seinem Sturz auf der Bühne ins Krankenhaus kam, war alles anders und so viel stressiger als sonst. Ich hatte das Gefühl, die Zeit reichte hinten und vorn nicht. So vieles blieb liegen, sogar das Geschirr stapelte sich in der Spüle. Die vollen Einkaufstüten wollte ich wenigstens jetzt gleich schnell wegräumen.

Aber was machte Paul denn da? Er warf alle Decken und Kissen aus der ganzen Wohnung auf einen Haufen.

»Paul, was machst du?«, fragte ich entsetzt.

»Was wohl?«, sagte mein Bruder. »Ich mache mich bereit, damit Papa mit mir fliegen kann.«

»Aber doch nicht jetzt, Paul!«, wies ich ihn zurecht. Wer bitte sollte dieses Durcheinander denn wieder beseitigen?

Da hörte ich den Schlüssel im Schloss.

Paul hörte es auch und rief: »Papa!«

Schon wollte er sich auf den Ankömmling in der Tür stürzen. Nur dass das gar nicht Papa war, sondern eine große robuste unbekannte Frau. Sie war Ende dreißg, vielleicht Anfang vierzig. Cool sagte sie: »Das ist ja eine nette Begrüßung. Du musst Paul sein, richtig?«

Paul suchte Schutz hinter meinem Rücken.

»Und du bist Katya, die Große, hm? Du siehst ja wirklich wie ’ne richtige Ballerina aus.«

Schwungvoll stellte die Frau zwei Koffer in unserer Wohnung ab und sagte: »Achso. Ich bin Frau Nemec – vom ambulanten Pflegedienst. Ich komme jetzt jeden Tag – zumindest so lange, bis euer Vater wieder auf den Beinen ist. Wir wollen’s ja nicht übertreiben – nicht wahr?!«

»Wo ist denn Papa?«, fragte Paul.

»Richtig. Da war ja noch was …«, sagte die Frau Nemec.

Und dann trat sie einen Schritt zur Seite und hinter ihrem Rücken kam unser Papa zum Vorschein, er humpelte durch die Tür.

Er ging an Krücken. Seine Beine waren geschient. Sein Be­wegungs­ablauf war holprig und schwerfällig – deswegen hat es wohl auch eine Weile gedauert, ehe er im Türrahmen auftauchte.

Als Paul ihn sah, warf er sich ihm voller Überschwang an den Hals und rief: »Papa! Da bist du ja endlich.«

»Hey, mein Junge«, sagte Papa. Ich sah sofort, wie er sich bemühte, stark zu wirken, zumindest äußerlich. »Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin. Guck mal, ich kann jetzt auf vier Beinen laufen. Ist das nicht super?«

»Hey Papa«, sagte nun auch ich, lief zu ihm und umarmte ihn.

»Hallo, mein Mädchen.« Die Umarmung tat uns beiden gut. Endlich war Papa wieder da. Nach so langer Zeit. Nach so vielen Wochen, wo wir ihn nur im Krankenhaus besuchen konnten.

»Können wir jetzt fliegen?«, fragte Paul.

Paul wieder. Ohne Worte, dachte ich.

Papa sagte: »Vielleicht ein wenig später, ja?«

Frau Nemec zwinkerte mir zu. »Dann wollen wir mal loslegen, was?«, sagte sie. »Wisst ihr, ich bin ein bisschen wie Mary Poppins. Ich komme aus dem Nichts und gehe erst, wenn die Arbeit getan ist.«

Dann schaute sie Paul an und sagte: »Und du, junger Mann, flieg mal voraus. Ich hab eure schöne Wohnung noch gar nicht gesehen.«

Paul schien die Art von der Frau Nemec zu gefallen, jedenfalls lächelte er sie an und führte sie in die Küche.

Ich blickte besorgt ins Wohnzimmer, wo Papa sich langsam und sehr vorsichtig in den Sessel setzte. Ich ging zu ihm, schaute ihm in die Augen. Sein Blick war leer. Als er mich sah, lächelte er.

»Na, war alles halbwegs okay?«, fragte er mich.

»Klar«, sagte ich. »Romy hat sich super um alles gekümmert. Sie hat sogar ’nen Trick gefunden, wie man Paul ins Bett bekommt.«

»Ach wirklich? Na, den muss sie mir mal verraten«, sagte Papa und schaute dann mit ausdruckslosem Blick auf den Boden.

»Das bleibt wohl eher ihr Geheimnis«, meinte ich. Dann schwiegen wir. Ich sagte nichts. Er sagte nichts. Eine gefühlte Ewigkeit.

Dann sagte ich, um ihn ein wenig aufzumuntern: »Ich soll dir ganz liebe Grüße von Frau Rose­bloom ausrichten. Sie hofft, dass es dir bald wieder besser geht.«

Papa nickte nur.

»Sie meint übrigens«, schob ich schnell hinterher, »dass ich das mit New York ganz sicher packe.«

Ich hatte gespürt, wie Papa litt und dass er »im freien Fall« war. Ich wollte ihn aufmuntern. Vielleicht gelang mir das sogar, aber es schnürrte mir trotzdem die Kehle zu. Ich hatte das Gefühl, kaum noch Luft zu bekommen, so sehr tat er mir leid. Und ich merkte, wie der Druck auch auf mich wuchs. Mehr noch als je zuvor.

Papas Blick hellte sich aber dann doch etwas auf. Er schaute mich an und nach einer kleinen Pause sagt er: »Klar, wir Orlows lassen uns nicht unter­kriegen.«

Dann nahm er meine Hand, lächelte mich sogar an und meinte: »Es wird alles gut, versprochen.«

Ich gab Papa einen Kuss auf die Wange, verließ das Wohnzimmer und setzte mich ins Esszimmer.

Von dort schaute ich noch eine Weile durch die offene Tür zu Papa. Er hörte wohl nicht, wie tief und schwer ich atmete. Ich wusste, es ging ihm überhaupt nicht gut. Und ich spürte die Last, die jetzt auf mir lag – auf einer Orlow.

Aus der Küche kam Frau Nemec und fragte mich: »Na, Haus­auf­gaben schon gemacht?«

Ich schaute sie an. Und nickte.

»Sehr gut«, sagte Frau Nemec. »Wenn Vinzenz tropft, gibt’s volle Keller.«

Sie bemerkte meinen fragenden Blick und machte mit einfachen Worten klar, was sie meinte: »Na, wer nicht rastet, der rostet nicht. Das hat meine Oma immer gesagt. Und die musste es wissen. Die war schließlich Ungarin.«

Jetzt musste auch ich über den Spruch schmunzeln.

Frau Nemec schob die Tür zum Wohnzimmer ganz auf, ging zu Papa und sagte in ihrem unnachahmlich fordernden Tonfall: »So, Herr Orlow. Jetzt wollen wir mal mit unserem kleinen Sport­pro­gramm beginnen, richtig? Sind sie so weit?«

»Wenn’s sein muss.« Papas Lust schien überschaubar.

»Na prima«, sagte Frau Nemec. »Sie kennen den Spruch mit Vinzenz …?«

Dann half sie Papa beim Aufstehen. Puh, das sah mühevoll aus. Und es schien schmerzhaft zu sein, so sehr verzog Papa sein Gesicht.

Ich konnte das nicht ertragen. Ich wollte raus hier, einfach nur raus.

Und genau das machte ich auch. Hier brauchte mich grad niemand. Paul spielte, Papa und Frau Nemec waren mit den Übungen beschäftigt. Und essen konnte ich auch später irgendwann am Abend.

Darmowy fragment się skończył.

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