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Czytaj książkę: «Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil», strona 9

Czcionka:

Der Brieselang

 
Balsamisch wogten die Düfte
Über das feuchte Revier,
Die alten Störche bezogen
Freudig das alte Quartier.
In all den Luchen und Lanken
Waren die Wasser erwacht,
Die Kiefern lauschten und tauschten
Ihre Grüße sacht.
 
G. Hesekiel

Eine der ältesten Waldpartien des Havellandes ist der Brieselang, anderthalb Meilen westlich von Spandau. Die Hamburger Eisenbahn schneidet an seinem Südrande hart vorbei und bildet, wenn man auf die Karte blickt, den Fuß, auf dem er steht. Wer ihn besuchen will und die Jahre des Turner-Enthusiasmus hinter sich hat, pflegt deshalb auch die genannte Bahn zu benutzen, die ihn wochentags bis an die östlichen Vorlande des Waldes (Station Segefeld) oder Sonntags in Extrazügen direkt bis an seine Eingänge führt.

Der Brieselang ist nicht mehr, was er war. In alten Tagen ging er über Quadratmeilen hin und füllte das ganze Territorium, das man damals als Alt-Bredow-Land bezeichnen konnte. Das Nauensche Luch, die Falkenhagenschen Wiesen, der Bredowsche Forst, das Pausinsche Bruch, alles war Brieselang, ein Elsbruch im großen Stil: im Frühjahr ein Sumpf oder See, im Sommer ein Prairie, zu allen Jahreszeiten aber von mächtigen Eichen, den „Brieselang-Eichen“, überragt, die um einen Schuh höher waren als alle anderen im Lande. Das ist nun anders geworden. In allen Teilen des alten Gebiets, zumal auch auf jener Strecke, die noch den alten Namen führt, haben sich die Elemente geschieden, aus weiten Sumpfstrecken, denen man die Elsen und Eichen nahm, sind weite Wiesenstrecken geworden, und aus anderen, denen man Elsen und Eichen hinzutat, sind regelrechte Waldreviere geworden. Nur da, wo Wald und Wiese mit einander grenzen und der Wald aus seinem Heerlager einzelne Posten in die weite Wiese hinausstellt, nur an diesen Stellen zeigt der Brieselang noch seinen alten Charakter, zumal im Frühjahr, wenn das Sumpfwasser steigt und sich wieder in Lachen und Lanken um die Elsenbüsche sammelt.

Der Brieselang ist eine schwindende Macht, an Terrain verlierend wie an Charakter, aber auch noch im Schwinden ehrwürdig, voll Zeichen alter Berühmtheit und alten Glanzes. Er besteht zur Zeit noch aus zwei Hälften, aus dem eigentlichen Brieselang und aus der Buten-Heide, von denen jener, mit dem Hauptpunkt „Finkenkrug“, die südliche, diese, die Buten-Heide, mit dem Hauptpunkt „Königs-Eiche“, die nördliche Hälfte bildet. Da aber, wo beide Hälften zusammentreffen, inmitten einer Lichtung, erhebt sich die „Försterei Brieselang“, die als Zentralpunkt mit Recht den Namen des ganzen Waldes trägt.

In den Brieselang also!

1.
Finkenkrug

 
Es sauset und brauset
Das Tamburin,
Es rasseln und prasseln
Die Schellen darin.
 
Clemens Brentano
In Tagen sommerlicher Lust:
Mai, Juni, Juli und August

vergeht kein Sonntag, wo nicht Scharen von Besuchern den Brieselang umschwärmten. Aber die Tausende, die kommen und gehen, begnügen sich damit, den Zipfel seines Gewandes zu fassen, die Parole lautet nicht „Brieselang“, sondern „Finkenkrug“. Und doch ist der Finkenkrug, an der südlichsten Stelle der Südhälfte gelegen, ein bloßes Portal, durch das man hindurch muß, um in die eigentliche Schönheit des Waldes einzutreten; nicht diesseits liegt die Herrlichkeit, sondern jenseits, und alles, was den Brieselang ausmacht, seinen Charakter, seine Erinnerungen, seine Schätze, alles liegt drüber hinaus. Der Finkenkrug ist nur erste Etappe. Wer den Brieselang kennen lernen will, der muß auch, rüstigen Fußes, die beiden andern Staffeln zu erreichen wissen: die Försterei und die Eiche. Nur erst wer bei der „Königs-Eiche“ steht, der hat den Brieselang hinter sich und kann mitsprechen.

Wir tun es. Der geneigte Leser wolle uns folgen.

Es ist Sonntag vor Pfingsten. Wir haben den elf Uhr-Zug benutzt und die Sonne steht bereits in Mittag, als wir landen. Wir sind zu drei: mein Reisebegleiter, ein pommersch Blut, ich selbst, und als dritter unser Führer, ein Autochthone dieser Gegenden. Das Dreieck Spandau-Nauen-Kremmen umschließt seine Welt. Er ist hager und ausdauernd wie ein Trapper, erfahren und lederfarben wie „Pfadfinder“. Er versteht auch zu sprechen.

Können Sie es glauben, so hebt er an, daß ich diese Straße seit zwanzig Jahren nicht gekommen bin. Ich fasse den Brieselang immer von Norden her, hier unten bin ich ein Fremder … Ja, vor zwanzig Jahren! Das war ein Tag, gerade so kalt, wie der heutige warm ist, und wir hatten Wahl in Finkenkrug.

Im Finkenkrug?

Ja, in Finkenkrug. Er mag dadurch poetisch verlieren, mehr verlieren, als er politisch gewinnt, aber ich kann es nicht ändern. Es war in Finkenkrug und ich kam mit dem Falkenhagener Oberförster hier des Weges. Die Pferde waren ganz weiß, der Wald glitzerte; ich habe kein Rotkehlchen gesehen, so tot war der Wald.

Und Sie kamen an und stießen auf das leere Nest. Jeder war zu Hause geblieben.

Fehlgeschossen. Viele Hunderte waren da, immer neue Schlitten fuhren an, und ehe eine halbe Stunde um war, war es nicht mehr möglich, die Ankommenden und Hereindrängenden in den Stuben unterzubringen. Da rief Oberförster Brandt: „Wir machen ein Feuer und tagen draußen.“ Allgemeiner Jubel. Er war Oberförster, und die Paar Klafter Holz, die nun bald lichterloh und mit Geprassel an zu brennen fingen, wird er wohl nach oben hin verdefendieret haben. Es war ein entzückendes Bild. Der glitzernde Wald, das verschneite Haus, auf dessen weißes Dach die roten Lichter fielen, und um das Feuer herum, in Pelze gewickelt, all die havelländischen Bredows, die Ribbecks, die Hünekens, Erxleben von Selbelang, Risselmann von Schönwalde, dazwischen die Pastoren in ihren Filial-Reisemänteln, endlich die Kutscher und Knechte mit ihren Pferdedecken. Jede Stimme galt. Der alte Landrat von Hobe präsidierte und versicherte uns einmal über das andere, daß von Patow-Potsdam gewählt werden müsse.

Und was wurde?

Nun, er wurde gewählt. Aber nicht ohne Zwischenfälle. Es muß wahr sein, nie habe ich solche Vertilgung von Grog und Glühwein gesehen. In solchem Moment höchster Hitze sprang der Oberprediger aus Kremmen, ein scharfer Liberaler, auf die Tribüne und schrie: „Was wollt Ihr jungen Most in alte Schläuche fassen; weg mit Patow, ich stelle mich zur Wahl.“ Und sein Anhang rief ihm Bravo zu. Aber ein Pächter aus Pressentin, der schon völlig unter Grog stand, schrie in die Versammlung hinein: „’runter mit ihm und hinein ins Feuer.“ Allgemeines Gelächter. Aber der Oberprediger, der klugerweise nicht abwarten wollte, wieviel hier Ernst oder Spaß war (denn einige faßten bereits zu) rettete sich durch einen Sprung und verschwand im Unterholze des Brieselang. Er hatte den Tag nicht vergessen können.

So ging das Gespräch.

Es war inzwischen heiß geworden, so heiß, daß unsere Phantasie mit einem gewissen Neid an dem Winterbilde hing, das unser Führer eben vor uns entrollt hatte, und schon dämmerte die Frage herauf, ob nicht ein flüchtiges „Ausspannen“, eine Lagerung an schattiger Stelle gestattet sei, als wir deutlich eine Art Janitscharenmusik vernahmen, belebende Klänge, die, immer lauter werdend, unsern Füßen ihre Elastizität wieder gaben. Wir waren am Ziel, wenigstens an einem vorläufigen. Der Finkenkrug blitzte durch das Gezweig, und in guter Haltung rückten wir auf einen kastanienumschatteten Platz, zu dem sich der Waldweg hier verbreitert. Eine Alternative, vor die wir uns plötzlich und gegen Erwarten gestellt sahen, gebot uns, mitten im Wege halt zu machen. Der Finkenkrug umfaßt nämlich eine Doppelwirtschaft: links ist Kaffee und Kegelbahn, rechts ist Bier und Büchsenstand. Dies hielt sich die Wage. Aber was zuletzt unserem Schwanken ein Ende machte, war, daß nach rechts hin, wo freilich das verlockende Seidel blühte, doch zugleich auch die minder verlockende Janitscharenmusik ihren Platz genommen hatte, die, in die Waldesferne hinein unbedingt segensreich wirkend, in nächster Nähe ihr entschieden Bedenkliches hatte.

Also links.

Da hatten wir es denn wirklich ’mal getroffen. Es war auch die Damenseite, die Seite der jungen Paare, und ich kann mich nicht entsinnen, von meinen Landsmänninnen – honni soit qui mal y pense – jemals einen so ungestört guten Eindruck empfangen zu haben. Schlank, hübsch, wohlgekleidet, munter ohne Lärm, neckisch ohne Frivolität, frei ohne „Freiheiten“, schritten sie paarweise auf und ab, spielten zwischen den Bäumen, oder flogen in der Schaukel durch die Luft. Fremde, die sich auf vergleichende Völkerkunde verstehen, würden die günstigsten Urteile von dieser Stelle mit hinweg genommen haben, wenn man ihnen, die Paare vorstellend, hätte sagen können: dies ist die Schwester eines Steinmetzen, die Braut eines Büchsenmachers, die junge Frau eines Schiffszimmermanns oder Kahnbauers.

Eine kurze Rast wurde genommen, das Seidel „von gegenüber“ geprobt; dann brachen wir wieder auf, mit einem Gruß gegen das graziöse Paar, das eben jetzt im Versteckspiel hinter den Bäumen sich neckte, und traten dann in jenen schon erwähnten, an der Grenzlinie von Wald und Wiese sich hinschlängelnden Weg ein, der, zumal in Apriltagen, wenn alles wieder See und Sumpf ist und jedes Elsengebüsch zu einer Insel wird, die alten Brieselang-Zeiten herauf beschwört. Heute bot die Szenerie nichts von den Bildern jener Zeit. Links zwitscherten die Vögel im Wald, nach rechts hin dehnte sich die Wiese, mit Tausendschön, Ranunkel und rotem Ampfer gesprenkelt. Alles war Heiterkeit und Friede. Unser„Pfadfinder“, der während unseres kurzen Aufenthalts im Finkenkrug sich mehr meinem Reisegefährten als mir zu attachieren gewußt hatte, brach hier die rasch angeknüpften Beziehungen ebenso rasch wieder ab, gesellte sich mir aufs neue und antwortete eingehend und immer bereit auf meine hundert Fragen, die alsbald kurz und quer gingen wie der Weg, den er uns führte.

Sie fragen nach Wildstand und Wilddieben. Nun, der Wilddiebe hat der Brieselang wohl nicht allzuviel, aber der Walddiebe desto mehr. Sie glauben gar nicht, was in solchem Walde alles steckt und wie viele Hunderte von Menschen daraus ihre Nahrung oder doch einen Teil ihres Erwerbes ziehen. Es mag wohl zwanzig Arten von „Jägern“ geben, die hier im Brieselang zu Hause sind. Vielleicht noch viel mehr.

Und das wären?

Ich will Ihnen nur ein halbes Dutzend nennen. Da sind die Kräuterjäger, die Käfer-, Fliegen- und Insekten-Jäger, die Eier- und Vogeljäger, die Laubfroschjäger, die Schlangenjäger, die Ameisenjäger. Auf dem Schwanen-Kruge versammeln sich im Juni allerlei Gestalten, jung und alt, die Jagd auf wilde Rosenstämme, auf „Hagebutten-Sträucher“ machen, während andere, etwas früher schon, aber mit derselben Pertinazität, dem jungen Faulbaum nachstellen.

Dem Faulbaum?

Ja! das Faulbaumholz gibt eine allerbeste Kohle für die Pulverfabrikation. Selbst Pappeln und Linden kommen gegen den Faulbaum nicht auf. Da ist denn immer Nachfrage, und so macht sich der Handel. Nun werden Sie fragen: ist das legal? Und die Frage ist nur allzu berechtigt. Aber wer will in der Kohle noch nach der Legalität des Holzes spüren? Wer kauft Pottasche und verlangt Ausweis über den eingeäscherten Wald?

Ich verstehe. Aber Sie sprachen auch von Schlangenjägern. Das klingt ja bedenklich. Sind wir hier auf Reptilien-Terrain?

Nicht gerade hier. Aber weiter rechts, nach dem Spandauer Forst hinüber, da sind die Schlangen zu Hause.

Blindschleichen, Kolumbellen.

Nicht so harmlos. Die echte Kreuzotter. Es sind dort Stellen, wo sie so dicht wie Regenwürmer liegen. Diese Stellen kennen die Schlangenjäger ganz genau. Ihre ganze Waffe besteht in einem Stock, der vorn gegabelt ist. Nun lüften sie das halbverfaulte Gebälk, darunter die Kreuzotter liegt und im nächsten Moment fahren sie mit dem Stock derart in die Erde, daß die Gabel sich wie ein Halsring um die Schlange legt. Nun ist sie wehrlos und wird durch eine zweite Manipulation in einem Behälter, meist einer Flasche, untergebracht.

Ist dies nun wissenschaftliche Passion?

Unter Umständen ja. Aber zumeist Erwerb. Solche Kreuzotter hat ihren Wert. Da sind Händler, auf deren Preiskuranten die Rubrik „Schlange“ eine halbe Spalte füllt.

Aber wer kauft dergleichen?

Hunderte von Personen. Da sind zuerst die Zoologen und Toxikologen von Fach, da sind die unerbittlichen Männer der Vivisektion, die von dem harmlosen Kaninchen ’mal gern auf ein kleineres Ungetüm mit Giftzahn und Giftblase überspringen (ein höherer Sport, weil gefährlich) und da sind endlich die chemisch-physikalischen Oberlehrer dieses oder jenes Progymnasiums, die das Naturalien-Kabinett in Pritzwalk oder Pasewalk auf der „Höhe der Wissenschaft“ zu erhalten, d. h. mit allerhand Reptilien in Glasflaschen auszustaffieren wünschen.

Auch mit Kreuzottern?

Gewiß. Die Herren von der Feder glauben immer, daß sich die Welt bloß aus Autographen- und wenn es hoch kommt aus Kupferstichsammlern zusammensetzt. Sie glauben gar nicht, was alles gesammelt wird.

In diesem Augenblick, als ob uns der Beweis, „was alles gesammelt würde“, auf der Stelle geführt werden sollte, trat aus einem wilden Elsbusch-Boskett eine sonnenverbrannte Gestalt hervor, deren Kostüm (eine Art Jagdtasche, aus der drei oder vier aufrechtstehende Zigarrenkisten hervorragten; dazu ein Stock mit flatterndem Gazebeutel) keinen Zweifel darüber lassen konnte, welcher Kategorie von Sammlern er zugehörte. Es war ein Muster-Exemplar.

Er trat mit rascher Wendung an uns heran, machte mit seinem Käscherstock eine Bewegung wie ein Tambour-Major, wenn die Musik aufhören oder wieder anfangen soll, und sagte dann im Berliner Dialekt: Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle, mein Name ist Lampe, Kalitten-Jäger.

Bei diesem Schlußwort wiederholte er die Bewegung mit dem Stock. Im ersten Augenblick, als er so jäh und plötzlich wie die bekannten Drei auf der schottischen Heide vor uns hintrat, erschrak ich ein wenig. Und zunächst mit Recht. Die Klasse von Jägern nämlich, der er, auch wenn er sich nicht dazu bekannt hätte, ganz unverkennbar angehörte, zählt keineswegs zu den angenehmen, am allerwenigsten zu den harmlosen Erscheinungen, wie man, ihrem Namen nach, ohne weiteres schließen sollte. Sie vereinigen den Hochmut des Turners, des Dauerläufers und des Gelehrten in sich; jeder „steht und fällt mit der Wissenschaft“.

Zu dieser Gruppe gehörte Lampe nun glücklicherweise nicht. Das Berlinertum wirkte hier als Gegengift. Seine Selbstironie brachte wieder alles ins Gleichgewicht und ließ noch einen gefälligen Überschuß. Er bat, wie gesagt, sich uns anschließen und „seine Fahne hochhalten zu dürfen“. Unsere Herzen fielen ihm gleich zu, und so ging es weiter.

Herr Lampe, Sie sind gewiß auch Kräuterjäger?

Nicht doch. Wer seinen Käscher mit Ehren tragen will, muß die grüne Trommel zu Hause lassen. Fauna apart und Flora apart. Sie glauben gar nicht, welche profunde Wissenschaft die Käferei ist. Hundertundzwanzig Bockkäfer bloß im Brieselang. Das will gemacht sein.

Gewiß. Aber ich habe mir sagen lassen, daß die Dinge doch Hand in Hand gehen und daß die „Käferei“, wie Sie sagen, ohne „Kräuterei“ gar nicht recht bestehen kann. Beispielsweise wenn Sie eine Weißdornhecke sehen, so wissen Sie auch schon, was in dieser Hecke vorkommen kann, eben so gewiß wir wissen, wo die Kretins und die Kröpfe zu suchen sind. Ursach und Wirkung, Theorie von der Ernährung. Bergwasser.

Ich danke Ihnen für Ihre Vergleiche. Aber Sie haben Recht. Das Land und die Leute, die Kräuter und die Insekten stehen in allernächster Beziehung zu einander und obwohl ich für strenge Scheidung bin und die Mengerei in der Wissenschaft nicht leiden kann, so kann man doch nicht käfern in absoluter Ignorierung der grünen Trommel. Rund heraus, ich kenne dies und das. Aber das ist nicht Wissenschaft.

Ich höre, daß der Brieselang eine eigene Flora haben soll, daß hier Dinge vorkommen, die sonst in der ganzen Mark nicht mehr zu finden sind. Hat das seine Richtigkeit?

Gewiß. Der Brieselang hat seine eigenen Pflanzen und seine eigenen Insekten, er ist unser gelobtes Land und selbst die Rudower Wiese, in „all dem Ruhm ihrer Orchideen“, muß sich gegen den Brieselang verstecken.

Was kommt denn wohl so vor? Ich meine zunächst von Pflanzen.

Da haben wir zunächst das Wanzen-Knabenkraut. Da haben wir ferner Neottia Nidus avis, das Vogelnest. Noch seltener ist Coptolanthera rubra, der rote Rundbeutel. Die Krone von allem aber ist vielleicht Dicranum montanum, der gebirgliebende Gabelzahn. Wie der speziell in den Brieselang kommt, wo die Maulwurfshügel für alles, was Berglinie heißt, aufkommen müssen, ist mir unerfindlich.

Und nun die Käfer.

Nun wissen Sie, da gibt’s kein Ende. Aber ich will es gnädig machen. Da ist der Widderkäfer, der Bastkäfer, der Feuerkäfer: dies sind die leichten Truppen. Dann kommt die Garde: der Schwarzkäfer, der Panzerkäfer. Aber das eigentlich schwere Geschütz, das den Ausschlag gibt, das ist doch Procrustes coriaceus und Saperda Seydlii. Besonders Saperda. Sie lächeln; aber glauben Sie mir, wie unser einem zu Mute wird, wenn man bloß das Wort Saperda aussprechen hört, davon können Sie sich keine Vorstellung machen. Ich hatte einen legitimistisch-historischen Freund, dessen Gesicht sich immer verklärte, wenn er „Montmorency“ sagte; sehen Sie, so geht es mir mit Saperda. Und sagen Sie selbst, klingt es nicht schön, apart, dies Doppel a und das r in der Mitte. O, wir haben auch ein Herz.

Ist denn nun Saperda im ganzen Brieselang verbreitet?

Verbreitet? Ich weiß nicht, was Sie verbreitet nennen. Wenn eine Sache verbreitet ist, nun, so ist es mit ihr vorbei, so ist sie entzaubert. Es gibt keine verbreitete Schönheit. Schönheit ist immer rar. Saperda findet sich auf einem einzigen Baum, an der Segefelder-Straße.

Davon habe ich gehört.

Nicht mehr wie billig. Manche Messerklinge ist da zerbrochen worden. Der Baum sieht aus wie ein Scheibenpfahl, den hundert Kugeln gestreift, durchbohrt, zersplittert haben. Es gibt keinen unter uns, der den Baum nicht kennte. Bei Segefeld liegt der Sand wie eine Sahara. Aber wir durchwaten ihn mit Freudigkeit; – der Weg zu den großen Pilgerstätten hat noch immer durch die Wüste geführt.

2.
Försterei Brieselang

 
Lesen konnt ich in seinen festen Zügen
Seinen lang und treu bewahrten Entschluß:
Auch mit keinem Fingerdrucke zu lügen;
Sicher und wohl ward mir bei seinem Gruß.
 
Nic. Lenau

Unter solchem Geplauder hatten wir eine Stelle erreicht, wo der Weg, die bis dahin innegehaltene Scheidelinie zwischen Wald und Wiese aufgebend, nach links hin scharf einbiegt. Hier schlug sich Lampe in die Tiefen des Waldes, während wir, den Weg weiter verfolgend, alsbald auf eine große Lichtung mit Gärten, Häusern und Stallgebäuden hinaus traten. Wir hatten den Zentralpunkt dieser Waldregionen erreicht: Försterei Brieselang. Daneben das „Remonte-Depot“ gleichen Namens. Die Lichtung, die diese beiden Häuserkomplexe einschließt, hat den Charakter einer großen Waldwiese. Ein Wasserlauf, „der neue Graben“, der in früheren Jahren das Sumpfland entwässert hat und nun zum Holzflößen dient, zieht sich quer durch die ganze Breite; eine Brücke führt darüber hin. Jenseits des Wasserlaufes aber steigt der Wald („die Büten-Heide“) aufs neue an und schließt gegen Norden hin das Bild. Am jenseitigen Rande des Waldes: die Königseiche und Dorf Pausin.

Ein Hirschgeweih über der Tür ließ uns nicht lange in Zweifel, wo wir die Försterei, für die wir einen Gruß mitbrachten, zu suchen hätten. Wir traten ein. Es war um die dritte Stunde. Der Förster, ein Mann von nah an siebzig, fuhr aus seinem Nachmittagsschlaf auf, strich sich die momentane Runzel von der Stirn und stand grüßend vor uns. Wer in solchen Momenten Haltung bewahrt, ist allemal eine liebenswürdige Natur.

Wenn dies je zutraf, so hier. Wir setzten uns zunächst in eine Geisblattlaube, die den Eingang umrankte, als aber die Nachmittagsschwüle zu drücken begann, rückten wir, – ein paar Forsteleven hatten sich uns zugesellt – weiter vor und stellten die Bänke ins Freie. Und nun die ganze Waldwiese samt Graben, Brücke und Remonte-Depot (das zur Hälfte eine Brandstelle war) vor uns, begann das Geplauder.

Der alte Förster verstand es. Ich darf wohl sagen, so hob er an, der liebe Gott hat es gut mit mir gemeint. Mein Großvater war Förster, mein Vater war Förster, ich bin Förster und meine drei Jungens sind auch Förster, oder sollen es werden. Wir haben alle Waldblut in den Adern, Brieselang-Blut. Ein Jahr bin ich einmal in einer Kiefern-Heide gewesen, aber mir wurde erst wieder wohl, als ich wieder Elsen und Eichen um mich her hatte.

Ist der Brieselang ihre Heimat?

Nicht so ganz, aber doch beinah. Wir sind auf dem Glin zu Hause. Mein Vater war in Diensten beim alten Blücher, der dazumal Groß-Ziethen hatte. Ich habe oft auf des alten Feldmarschalls Knie geritten. „Willst Du auch ein Förster werden?“ Das will ich. „Na, denn werd’ ein so braver Kerl wie dein Vater.“ Das hab’ ich nicht vergessen. Es war doch ein gnädiger, alter Herr. Als es Anno 15 wieder losging, sagte er zu meinem Vater: „Grote, denk Dir, der Deubelskerl ist wieder da; wir müssen ihm noch ’mal eins geben; aber diesmal ordentlich, daß er genug hat un nich wiederkommt.“ Und dabei sah er ganz ernsthaft aus, gar nicht so schabernackisch wie sonst wohl; es mocht’ ihm wohl schwanen, daß er am Ende selber nicht wiederkommen könne. Und hören Sie, es war auch dichte dran, als er da bei Ligny unter seinem Schimmel lag!

Wir nickten alle. Vom Wald her aber schmetterte Finken- und Drosselschlag immer frischer zu uns herüber und mit dem Daumen rückwärts deutend, sagte der alte Förster: ja, das klingt ins Herz.

Das tut’s, erwiderte jetzt mein Reisegefährte (den es nachgerade wohl Zeit ist aus seiner stummen Rolle zu erlösen, in der er bisher eigensinnig beharrte), aber wollen Sie glauben, Herr Förster, daß es Gegenden gibt, wo die Vögel denn doch noch anders singen, so melodisch, so tieferschütternd, daß man aufhorcht, als habe man den Klang einer Menschenstimme, die ersten Töne einer wehmütigen Volksweise gehört.

Der Tausend auch, sagte der Förster, Sie machen mich neugierig.

Und diese Vögel, von denen ich spreche, die singen da, wo wir’s am wenigsten glauben möchten, in Australien bei den Antipoden. Ein Engländer ist dort gereist, hat die Waldstimmen belauscht, hat die Töne in Noten festgehalten und zuletzt eine Art Melodien-Buch herausgegeben, aus dem wir nun genau erfahren können, wie die australischen Vögel singen.

Ist es möglich!

Es ist sogar gewiß. Ich habe das Buch. Und unter all diesen Stimmen ist eine, die es mir besonders angetan hat, das ist die Stimme des Leather-head. Leather-head heißt Lederkopf, ein Name, den dieser Vogel führt, weil er einen völlig kahlen Kopf hat. Ich will Ihnen die Melodie pfeifen; sie geht leise; Sie müssen scharf aufhorchen.

Unser Reisegefährte pfiff nun in langgezogenen Tönen die Klagemelodie des Leather-head. Selbst im Walde war es still geworden. Es war, als ob die Vögel drinnen mit zu Rate saßen.

Das ist schön, sagte der Förster, aber Ihr Engländer kann sich die Melodie erfunden haben.

Ich gestehe, fuhr unser Reisegefährte fort, daß ich dann und wann denselben Verdacht hatte. Aber denken Sie, wo mir plötzlich die Gewißheit kam! Sie haben vom Aquarium gehört. Nun, in dem Aquarium befindet sich auch eine Vogelhecke, die mir das Liebste vom ganzen ist. Jeder hat so seinen Geschmack. Und wie ich nun den Gang entlang komme und das Gezwitscher der anderen Vögel einen Augenblick schweigt, was höre ich da plötzlich aus der Voliere heraus? Die leisen, langgezogenen Töne meines Leather-head, einmal, zweimal, dreimal. Mir war, als ob ich einen alten Bekannten wiedersähe. Da saß er und starrte mich lange an, wie wenn er gefühlt hätte: der hat dich verstanden.

Alles schwieg. Der Erzähler pfiff die Melodie noch einmal. Dann knipste der Förster mit den Fingern und sagte: nichts für ungut, aber ich bin doch für eine richtige Brieselang-Drossel; ihr Leather-head hat mich ganz melancholisch gemacht. Ich bin für das Fidele.

Ich auch, ich auch, riefen die anderen. Der Lederkopf war abvotiert.

Inzwischen begann sich Gewölk am Himmel zu sammeln. Dann brach die Sonne wieder durch, aber die Schwüle wuchs. „Haben Sie viel Gewitter im Brieselang?“ fragte ich.

Oft nicht, aber wenn sie kommen, kommen sie gut. Im vorigen Juli ging es hier eine Stunde toll her. Sehen Sie dort die Brandstelle (er zeigte nach rechts); da stand vor Jahresfrist noch das Remonte-Depot, einhundertundachtzig Pferde, alle schwarz.

Und es schlug ein?

Es schlug ein und es gab ein Wetter, wie ich es hier nicht wieder haben möchte, und doch war es zugleich eine Stunde, daß mir das Herz im Leibe lacht, wenn ich daran denke. Da habe ich gesehen, was ein preußischer Futtermeister ist.

Ein Futtermeister?

Ja, solch Remonte-Depot, müssen Sie wissen, hat einen Wachtmeister von altem Schrot und Korn, der regiert das Ganze; er ist wie ein kleiner König. Und ich sage Ihnen, dieser Futtermeister, … nun, der verstand es. Das Remonte-Depot hatte acht Türen. Als nun das Wetter über uns stand und die ersten Blitze herunterfuhren, stellte er seine acht Knechte an die acht Eingänge, sich selber aber mitten auf diesen Platz da.

Da stand er wie ein Feldherr, während das Feuer in breiten Scheiben niederfiel. „Kerls“, schrie er, „wenn ich rufe: Vorwärts, Türen auf! dann ist’s Zeit, dann hat’s eingeschlagen“. So vergingen wohl zehn Minuten; die Blitze ließen nach, ein Hagelwetter kam, Körner wie die Tauben-Eier. Mit einemmal schwieg auch das; der Hagel war wie abgeschnitten. Aber im nächsten Augenblick „Krach“ und der Blitz lief über den First hin. „Vorwärts!“ Alle Türen flogen auf; die Schloßen fielen nieder wie ausgeschüttet, und im nächsten Moment jagten die einhundertundachtzig schwarzen Pferde an mir vorbei, hier über die Brücke hin, in die Büten-Heide hinein, auf Pausin zu. Zwölf Minuten später hatten wir die Spritzen hier; denn als die einhundertundachtzig schwarzen Pferde wie die wilde Jagd durchs Dorf jagten, da wußten die Pausiner, was los war. „Das Remonte-Depot brennt“ und heidi ging es in den Wald hinein, auf das Depot zu. Solch Wettfahren hat die alte Büten-Heide ihr Lebtag nicht gesehen. Ein schöner Tag war es, aber ich mag ihn nicht wieder erleben.