Czytaj książkę: «Ich hab mit Ingwertee gegoogelt», strona 2

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Bericht von der Baustelle

Als ich in der 7. Klasse war, hieß mein Klassenlehrer Herr Schall. Neben Mathe und Physik unterrichtete er zuweilen auch Lebensweisheiten, außerdem sammelte er in einem kleinen Extraheft die schönsten Ausreden der Schüler fürs Zuspätkommen. Ich erinnere mich an Jens mit: »Ich bin mit der Kutsche gekommen, und unterwegs ist das Pferd gestorben.« Die habe ich später mal im Büro versucht, da haben mich alle nur komisch angeguckt.

Humor ist eine zarte Blume.

Ich erinnere mich auch, dass Herr Schall irgendwann mal erzählte: »Ich mache das mit dem Dreck immer so: Ich kehre alles unter den Schrank, und wenn der Schrank sich hebt, ziehe ich um.«

Hätte ich nur auf ihn gehört, denke ich derzeit immer wieder. Denn: Ich ziehe nicht um, ich renoviere.

Anders ausgedrückt: Seit rund zwei Wochen liegt unsere einstmals ganz nette Wohnung in Schutt und Asche, weil ich fand, »ein bisschen renovieren« wäre schön. Ich dachte anfangs einfach an etwas frische Farbe an den Wänden, zack, hellere Räume, ein wenig ausmisten vielleicht … Und dann brach die Baustelle herein.

Alles muss ja erst mal aus- und um- und aufgeräumt werden, wenn man Möbel abrücken will, und Papierstapel, die man zu sortieren beginnt, explodieren förmlich, statt kleiner zu werden, sobald man wagt, ihre über Jahre gewachsene Statik anzurühren. Und es hat sich so einiges angesammelt. Ich fand Gebrauchsanweisungen von Geräten, die wir schon seit Jahren nicht mehr haben. An manche kann ich mich gar nicht erinnern, um ehrlich zu sein. An einer war noch die Rechnung dran. In DM, das hat mir zu denken gegeben. Mein Lieblingsfundstück, ganz unten im Stapel, war das Protokoll eines Elternabends aus der 3. Klasse meines Sohnes. Und der hat dieses Jahr Abitur gemacht. Der Passus mit der Überschrift »Abstimmungsprotokoll Weihnachtsbasar: Waffelstand versus Fröbelsterne« nimmt darin eine ganze DIN-A4-Seite ein. Es gibt Dinge, die ich nicht vermisse.

Aufräumen ist nicht so meins. Und wenn ich doch mal anfange, dauert es auch immer recht lange, weil ich dazu neige, jede Notiz, jede Postkarte, jede Widmung im aussortierten Buch noch mal durchzulesen. Ich bin auch so jemand, die beim Abreißen der alten Tapete erst mal die Zeitungen liest, die darunter zum Vorschein kommen. Ich liebe das.

Renovieren dauert daher bei mir etwas länger …

Da ich mir dessen bewusst bin, habe ich auch das Angebot meines Nachbarn nicht ausgeschlagen, mir ein bisschen unter die Arme zu greifen. Goran wohnt noch nicht so lange im Haus und ist dankbar für ein bisschen Kontakt und Geplauder und die eine oder andere selbst gekochte Mahlzeit. Mein Mann ist wieder mal längere Zeit beruflich in der Weltgeschichte unterwegs und die Kids in der Schule oder beim Sport. Wohlan, dachte ich. »Wenn wir das zu zweit wuppen, können wir gleich noch die Lampen neu machen und die Türen lackieren«, sagte ich zu Goran, und Goran sagte im Brustton der Überzeugung das, was er immer sagt: »Kein Problem!«

Wenn man sonst im Alltag ständig umgeben ist von deutschen Bedenkenträgern, ist man sehr versucht, dieses »kein Problem« zu glauben und zu lieben. Und wenn in der Küche die Bank eh zum Streichen abgeschraubt werden muss, könnte doch bei der Gelegenheit auch der Fußboden … und so weiter. So nahmen die Dinge ihren Lauf.

Nun sitze ich hier auf dieser Baustelle, die mal meine Wohnung war. Der gesamte Hausrat ist in Kisten verpackt wie bei einem Umzug, nur mit dem Unterschied, dass ich keine neue Wohnung habe, in die ich die Dinge tragen kann. Alles ist klebrig, verhangen, verstaubt und bekleckert.

Ausnahmslos alles, zu dem Goran »kein Problem« sagte, hat sich als Problem entpuppt. Bosnische Flüche sind sozusagen die Schwester von »kein Problem«.

Ich habe auf die Weise nebenbei ein bisschen Bosnisch gelernt. Das Wort, das mir am meisten in Erinnerung bleiben wird, ist »zašto«.

»Zašto« heißt »warum«.

Immer wenn wir anfangen und so richtig was schaffen wollen, muss Goran noch mal kurz in den Baumarkt. Zu Globus. Weil er den gut kennt. Auch wenn die nächste Filiale 14 Kilometer entfernt ist. Zu Obi sind’s nur zwei Kilometer, aber Goran sagt, er kann kein Obi.

»Kein Problem«, sage ich also. Und beiße die Zähne zusammen, dass der Zementstaub nur so knirscht. Das ist der Haken an ehrenamtlichen Helfern: Du hast kein Recht zu meckern. Wenn er endlich wiederkommt, ist immer schon Abend, und wir schaffen nix mehr.

Seit ein paar Tagen hat Goran nun seinen Schwager zu Besuch und den auch gleich zum Helfen mitgebracht. Fand ich eine gute Idee.

Seitdem fahren sie immer zu zweit zu Globus und sind für Stunden verschwunden. Sein Schwager heißt auch Goran. Goran und Goran. Könnte ich Comics zeichnen, ich würde ständig malen: Lolek und Bolek war gestern, ich habe Goran und Goran.

Ihr Deutsch ist nicht so gut, heute Morgen sagte der eine mit großer Geste: »Arzt hat gesagt, ich habe Saumagen«, und ging erst mal wieder ins Bett. Gemeint war wohl Sodbrennen. Der andere Goran blieb. Der fing dann an, mit mir über Geld zu verhandeln, weil das in der abgerissenen Küche mit den Mahlzeiten ja nun doch nicht so regelmäßig sei wie gedacht und überhaupt: »Weißtu, brauch ich Geld«, sagte er treu. »Mach ich mir neues Schlafzimmer. Mit Springbockbett, weißtu …«

Wusstich nicht.

Nun sitze ich allein inmitten einer kleinen Ruine, die mal mein Heim gewesen ist. Wenn die Abdeckplane knistert, während das Licht der Abenddämmerung auf die nimmermüden Staubpartikel und die abgeschliffenen Türrahmen fällt, ist es fast ein bisschen romantisch. Ich denke dann, bei Unsere kleine Farm hat’s auch nicht viel anders ausgesehen, und alle waren glücklich, und am Abend spielte Charles Ingalls auf seiner Fidel … Vielleicht sind es aber auch nur die Dämpfe von den offenen Farbeimern, die überall rumstehen, die da irgendwas mit meinem Gehirn machen.

Gestern Abend war ich nach langer Zeit mal wieder unter Menschen, bei der Geburtstagsfeier eines Freundes. Ich verabschiedete mich gegen Mitternacht aus einem eigentlich sehr interessanten Gespräch und hörte mich den Satz sagen: »Ich muss jetzt echt nach Hause, die zweite Lackschicht beim Klavier auftragen.« Später dachte ich, der Mann, mit dem ich mich so nett unterhalten habe, muss das für eine der dämlichsten Ausreden ever gehalten haben. Herr Schall hätte sofort sein Heft gezückt. Christian, wenn du das hier liest: Ich hatte wirklich ein Klavier zu lackieren! Und habe in der Nacht gleich noch das Wohnzimmer fertig gestrichen. Im Schein der alten Glühlampen zog ich Bahn um Bahn in einem leuchtenden pastelligen Blaugrün und ging erschöpft, aber zufrieden schlafen.

Der Farbton heißt Sanfter Morgentau, ich hatte mich am Ende gegen Stilles Wasser und Dächer von Paris entschieden. Die Farben im Baumarkt reden ja inzwischen mit einem. Ich weiß nicht, ob das noch Produktgestalter oder schon Psychologen sind, die die Farbbeschreibungen kreieren. Ich warte ein bisschen darauf, dass sie vor den Regalen direkt einen Stuhlkreis aufbauen und regelmäßige Meetings abhalten: »Hallo, ich bin Susanne, und ich habe mein Schlafzimmer in Caramel gestrichen.« – »Hallo, Susanne.«

Vor mir in der Farbabteilung schob ein unmotivierter Mitarbeiter einem etwas verloren wirkenden, blassen Herren seine frisch angemischte Farbe über den Tresen: »So bitte, einmal Flammendes Herz

Der Kunde nahm seinen Eimer und schlurfte mit hängenden Schultern davon. Ich sah ihm lange nach und wünschte ihm von Herzen alles Gute.

Als ich jedenfalls bei Sonnenaufgang die Augen aufschlug und beim gespannten Blick ins frisch gestrichene Zimmer nebenan ein Farbenmeer von lichtdurchflutetem Morgentau erwartete, wurde mir schlagartig klar, dass man bei Glühlampenlicht nichts streichen sollte, was auch tagsüber da ist. Niemals.

Sanfter Morgentau sah nicht wirklich aus wie sanfter Morgentau. Es war mehr so eine Brise Nikotin mit einer verspielten Nuance von Aufwachraum. Eine Farbe, die eine klare Sprache spricht. Eine Farbe, die sagt:

»Könnte echt mal wieder gestrichen werden.«

Verzweifelt rief ich meine Freundin Ela an, um ihre Meinung einzuholen.

Als sie wenig später eintrat und begeistert ausrief: »Oh cool! Echtes Schleswig-Holsteiner Bahnhofsgrau!«, da wusste ich wieder, wozu man Freundinnen hat.

Allmählich legt sich der Staub. Tag für Tag wird es nun etwas gemütlicher auf meinem Bahnhof, ich habe im DB-Shop eine passende Uhr gekauft, dann kann man einfach sagen: »Das ist Stil, alles Absicht, original Schleswig-Holsteiner Bahnhofs-Chic.« Wenn ich das selbstbewusst genug vortrage, setze ich vielleicht einen neuen Trend.

Die Konten sind leer, aber bald ist die Renovierung geschafft.

Mit ein bisschen Glück sieht’s am Ende vielleicht fast so schön aus wie vorher.

Fransen und Flausen

»Well, he was Thailand based

She was an Airforce wife

He used to fly weekends

It was the easy life …«

1981. Meine Welt war so quadratisch wie die Cover der LPs, die ich im Laden gegenüber für lang gespartes Taschengeld erstand. Nach der Single von »Cambodia« kaufte ich die LP »Select«, auf deren Cover die sagenhaft schöne wilde Kim zu sehen war, fortan das Idol meiner frühen Jugend: Kim Wilde. So wollte ich aussehen, so cool, so schön, so zerzaust-feminin.

Es brauchte noch ein wenig Anlauf, um mich dann zusammen mit meinen Freundinnen Tessa und Kirsten auf den Weg zum Friseursalon zu begeben. Salon Vera am Hindenburgdamm, zwischen Butter Lindner und Kartoffel Krohn. Ich hätte nachdenklich werden sollen. Aber es war halt der einzige Friseur, den wir kannten, weil er auf unserm täglichen Weg zur Grundschule lag.

Wild entschlossen, die LP unter dem Arm, betrat ich den Laden und hielt einer mittelblonden, mittelalten und nunmehr mittelmäßig verwirrten Dame mit Schere und Kamm das Cover unter die Nase: »Das will ich. Können Sie das?«

Sie sagte nicht Ja, sie murmelte irgendwas, aber sie sagte auch nicht Nein. So setzte ich mich.

Ich mache es kurz: Sie machte es kurz.

Ich wollte Kim Wilde und ging als Lady Di nach Hause. Ab waren die langen Haare, mich zierte eine 1A-Seitenscheitel-Föhnfrisur.

Ich weiß nicht, was am schlimmsten war: die händeklatschende Begeisterung meiner Mutter über das blonde Prinzesschen, das da mit gesenktem Haupt im Treppenhaus erschien (ich weiß noch, dass sie kurz hinter mich schaute, vielleicht, ob Kirsten dabei war, vielleicht suchte sie aber auch die Schleppe) … oder der Satz meines Vaters: »Na, das ham se ja ganz ordentlich geschnitten, Mädchen!« … oder die tröstenden Worte meiner sehr mitleidig dreinblickenden Freundinnen, die vergeblich versuchten, mit Haargel etwas Unordnung auf meinem Kopf anzurichten.

Die Unordnung auf dem Kopf, das Stachelig-Fransige, es hätte so gut zu den Gedanken darunter gepasst. Diese blieben einstweilen unter einem akkurat geföhnten Pony verborgen.

Cat Stevens kommt mir in den Sinn: »First cut is the deepest.«

Vielleicht war der auch mal beim falschen Friseur.

Sehnsucht nach Rauchzeichen

Ich stehe in der Küche. Mein Induktionsherd hat sich ausgeschaltet, weil er mich vor irgendeiner Gefahr beschützen will, die ich nicht sehe. Die Nudeln sind noch jenseits von al dente, ich habe Hunger, ein Warnsignal blinkt, und ich finde die Bedienungsanleitung nicht.

Im Radio reden sie darüber, wie man Organe mit 3D-Druckern herstellen kann.

Und ich habe es heute Morgen nicht mal geschafft, die Verteilerliste für die Lesebühne in Outlook zu importieren. – Wann ist mein Leben so kompliziert geworden?

Mittlerweile kann ich die Aussteiger verstehen, die ihre Handys verschenken, in abgelegene Hütten ziehen und ihr Gemüse selbst anbauen.

Es ist so weit, dass ich mich nach offenem Feuer sehne, ehrlichem Holz.

All die Herausforderungen des Alltags – sie sind mir zu komplex. Ich bin studierte Sozialarbeiterin, aber wenn ich über der Vielzahl von Möglichkeiten der Energieversorgung, der Versicherung, Altersvorsorge und Telefontarife sitze und mir obendrein all diese PINs und PUKs und IBANs und BICs merken soll, ganz ehrlich: Ich möchte mir manchmal selbst einen Betreuer bestellen.

Ständig ist man mit Informationsverarbeitung und Entscheidungen beschäftigt. Schon vor dem Deoregal im Supermarkt geht es los, überall geht es hier um Confidence und Protection, um Zuverlässigkeit und Diskretion. Meine Güte! Ich will die Dinger benutzen und nicht einstellen.

Und wenn ich mit dem Einkauf durch bin, bin ich so durch, dass ich an der Kasse stehe und mit meinem BVG-Ticket bezahlen will oder statt der PIN die Summe eingebe, die ich bezahlen soll.

Neben all dem Was und Wieviel schwebt ja auch immer die große Frage des Warum über meinem Kopf.

Warum gibt es Zahnbürsten mit Bluetooth?

Warum heißt ausgerechnet das alkoholfreie Bier Beck’s Blue?

Überhaupt: Namensgebung für Produkte …

Ein älterer Mann saß neulich in einem E-Rollstuhl neben mir. Der E-Rolli kam aus der Serie »Quickie«, das stand in fetten Lettern auf der Rückenlehne. Ich meine: »In Würde altern« wird dir da nicht leicht gemacht, oder? Mit der Logik kannst du auch gleich noch ’ne Datingplattform für Senioren erfinden und sie Alttours nennen. Oder Retropopp. Doch ich schweife ab.

Ständig musst du dich also orientieren und entscheiden. Warst du früher krank, bist du zum Arzt gegangen. Heute gibt es derart viele Fachrichtungen, dass du über der Entscheidung, ob du jetzt zum Orthopäden, Chiropraktiker, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker gehst, so alt geworden bist, dass eh nur noch der Geriater infrage kommt.

Beim Abendbrot sind meine Söhne und ich neulich beim Thema Akupunktur gelandet. Eine Freundin hatte mir von ihren Erfolgen im Kampf gegen den ewigen Heißhunger auf Süßes berichtet. Da ich ein Kind habe, das meine Liebe zum Essen teilt und morgens schon mal Sätze sagt wie »Ich spüre die Macht in mir. Es könnte auch Hunger sein …«, flocht ich das Thema unauffällig ein. Ich erzählte den Kids von den Grundannahmen der Akupunktur, wir diskutierten das Für und Wider alternativer Behandlungsmethoden und hatten ein richtig interessantes Gespräch. Dachte ich. Bis mein Jüngster fragte: »Mum … wann gehen wir mich denn nun gegen Döner impfen?«

Nichts begriffen, denkt man.

Und andererseits: Wenn das seine Möglichkeit ist, die Komplexität der Welt auf das eigene Leben herunterzubrechen – sei’s drum! Vielleicht ist das das Geheimnis der Informationsverarbeitung in Zeiten der Reizüberflutung: das Übersetzen in die eigene Sprache und die eigene Lebenswelt. Nur speichern, was man begreift. Den Dingen eigene Namen geben, die man versteht. Wohlan denn.

Die Sprache und das Sprachverständnis sind in ständigem Wandel. Ich verstehe sie nicht immer, die Generation nach uns, aber umgekehrt ist es ja nicht anders. Als mein älterer Sohn, der Basketballer ist, sich mal einen Morgen nicht richtig fit fühlte, fragte er ganz ernsthaft aus der Dusche heraus, ob wir noch »das Shampoo für die Sprungkraft« hätten, die bräuchte er heute ganz dringend.

Mein Modekatalog warb mal für Prämien mit der Überschrift: »Jetzt Freundin gewinnen!« Ein begeisterter 13-Jähriger fragte: »Okay! Was muss ich da machen, um eine Freundin zu gewinnen?«

Es kann vorkommen, dass sie »Karfreitag« mit »C« schreiben und, wenn ich ein Gedicht rezitiere, Dinge sagen wie: »Das ist doch ein schöner Spruch fürs Amnesiealbum.«

Zitiere ich aus einem Louis-de-Funès-Film und amüsiere mich köstlich, flüstert der eine tröstend zum andern: »Den Humor musst du nicht verstehen. Das war früher, als die Filme noch in Wände geritzt wurden.«

Genau. Damals, als die Menschen in Höhlen lebten und ihre Döner selbst erlegten.

Die Nudeln derweil sind immer noch jenseits von al dente.

Ich geh mal Holz holen.

So siehst du aus

Frühling, ein Café in der Gutsmuthstraße. Kurz überlege ich, ob ich mir das Frühstück »Crystal Mett« gönne, das aus einem Kristallweizen und einem Mettbrötchen besteht, bestelle mir dann aber doch nur einen Kaffee. Die nette junge Frau hinterm Tresen sagt: »Du hast die Nummer zwölf, alle weiteren Bestellungen dann bitte auf die Zwölf.«

»Voll auf die Zwölf«, erwidere ich. Sie guckt ratlos. Ich fand’s komisch.

Aber ich sehe halt auch nicht komisch aus.

Das hat mir schon mal jemand gesagt: eine junge Hip-Hopperin, die mal mit mir zusammen auf einer kleinen Lesebühne in Schöneberg eingeladen war. Ich kam von der Bühne zurück, und sie sagte mit erschüttertem Gesicht: »Das war komisch. Du siehst gar nicht aus, als ob du komisch bist.«

Grundsätzlich mag ich es sehr gerne, nicht genau in irgendwelche Schubladen zu passen, und kann über solche Sätze dann sehr schmunzeln.

Aber in letzter Zeit wird mir irgendwie ständig gesagt, wie und wonach ich aussehe – oder eben nicht.

Vor ein paar Tagen zum Beispiel habe ich bei Karstadt einen Besteckkasten gekauft. Das Ding war in einem großen Karton verpackt, und nein, ich wollte natürlich keine Tüte. Der Azubi an der Kasse – um die zwanzig, Vollbart, Gangsterrapperblick und tiefe Stimme – sagte: »Na, dann auf Wiedersehen. Und, äh, viel Freude damit.«

Das hatte man ihm wohl so beigebracht, es kam allerdings noch nicht so richtig authentisch rüber. Ich fragte mich auch, was sich ein zwanzigjähriger Mann wohl darunter vorstellt, wenn ich viel Freude habe. Mit einem Besteckkasten.

Ich fragte ihn, ob ich nicht so einen »Bezahlt«-Aufkleber bräuchte, wenn ich jetzt mit dem Ding aus dem Laden spaziere, darauf er: »Ach Quaaatsch. Sie sehen doch nu echt nich’ aus, als ob sie klauen, Mann. Bei mir wär’ das schon anders, aber so …«, dabei machte er eine unbestimmte Handbewegung von oben nach unten, die vermutlich auf mich als Gesamterscheinung hinweisen sollte.

Ich bin mir ganz sicher, er hat das nett gemeint. Dennoch war ich total knurrig, als ich den Laden dann tatsächlich unbehelligt verlassen hatte.

Es ist eine alte Wunde. Seit meiner Grundschulzeit geht mir das so, dass mich alle für harmlos halten. Eine Reißzwecke auf dem Lehrerstuhl, Fenster mit Tusche bemalt oder Stinkmorchel hinter der Tafel versteckt: Selbst wenn ich ein Vergehen beichtete und die Schuld unumwunden auf mich nahm, lächelten die Lehrerinnen und sagten: »Das ist ja lieb, Susanne, dass du den Schuldigen schützen willst, aber so einfach dürfen wir ihn nicht davonkommen lassen.«

Wie gerne würde ich einmal so aussehen, als ob ich klaue.

Aber jetzt spielt allmählich auch noch das Alter gegen mich, scheint mir.

Bei einem Hautarzt letzte Woche gab es auch so einen Moment. Ich zeigte ihm einen kleinen Hautausschlag an den Unterarmen, der mich seit ein paar Tagen plagte, und lauschte doch sehr gebannt, als er spontan von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten redete, ob ich denn häufig wechselnde Sexualpartner … In diesem Moment sah er zu mir auf, unterbrach sich und sagte milde, während er andeutungsweise meine Hand tätschelte: »Entschuldigung. Geschlechtskrankheiten können wir wohl sicher ausschließen.« – Hallo?!

Nein, ich bin wirklich nicht scharf auf derlei Diagnosen – aber ist es zu viel verlangt, dass ich wenigstens infrage kommen will?!

Ich beginne zu ahnen: Die Diskriminierung des Alters hat viele Gesichter.

Es war nicht mein Tag.

Am Ende musste ich mir dann auch noch Blut abnehmen lassen. Um die Arzthelferin darauf vorzubereiten, dass ich Schwierigkeiten mit Spritzen habe, sagte ich vorneweg: »Ich gehöre zu den Ängstlichen, nicht dass Sie sich wundern.«

Ernst sah sie mich an, betrachtete mich von oben bis unten, zwinkerte mir dann verwegen zu und sagte: »Echt? Sie sehen gar nicht so aus.«

Und dafür hätte ich sie in dem Moment wirklich küssen können.

Föhn

Wenn jemand einen Föhn kriegt, dann ist das eine umgangssprachliche Formulierung für »verrückt werden, zu viel kriegen«. Hintergrund ist wohl, dass der Föhnwind aus dem Alpenvorland im Ruf steht, wettersensiblen Menschen physisch wie psychisch sehr zuzusetzen.

Ich denke darüber nach, weil ich gerade eben bei Saturn war und einen Mitarbeiter am Eingang fragte: »Entschuldigung, kriege ich bei Ihnen einen Föhn?«

Er hat mit »Ja« geantwortet, und egal wie er die Frage interpretiert hat, in jedem Fall recht behalten, denn in Elektrofachgeschäften kriege ich eigentlich immer einen Föhn. Das ist wie mit Flughäfen, es gibt Orte, die machen mich unter Garantie wahnsinnig.

Ich habe vor vielen Jahren, als ich eine Zeit lang auf Amrum wohnte, mal in einem Supermarkt gestanden und einen jungen Mann, der gerade Regale einräumte, um Auskunft gebeten. Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen Satz: »Entschuldigen Sie, wo sind bei Ihnen die Eier?« Und daran, dass ich sofort rot wurde und verzweifelt versuchte, den peinlichen Moment zu überspielen. Auch der Verkäufer wurde rot, aber letztlich schafften wir es beide, so zu tun, als hätte ich eine ganz normale Frage gestellt. Also: »Entschuldigen Sie, wo sind bei Ihnen die Eier?«

Erst als er antwortete: »Hinten …«, war nichts mehr zu retten, und ich musste mich sehr schnell abwenden, um das aufsteigende Glucksen niederzuringen.

Leider ohne Erfolg.

Ich bin dann lange woanders einkaufen gegangen.

Eine echte Herausforderung stellen mitunter auch Bäckereibesuche dar. In Suderburg auf dem Weg zum Bahnhof hörte ich mich neulich sagen: »Ich hätte gerne einen Goldjungen, bitte!« Ich dachte im selben Moment: Wollen wir das nicht alle? Aber so hießen die Schrippen da halt, und »Schrippe« hätte wieder keiner verstanden. Im Kopf wiederholte ich den Satz, er wurde davon nicht weniger grotesk. Damit könntest du auch zu einer Kinderwunschpraxis gehen, dachte ich. Oder ein Inserat aufgeben: »Ich hätte gerne einen Goldjungen, bitte.« Würde mich schon interessieren, wer sich da so meldet.

Noch schwerer fiel es mir jüngst in Warnemünde, bei der Bäckerei meine Brötchenbestellung aufzugeben und um »drei scharfe Segler« zu bitten. Irgendwie erschien mir das so … maßlos.

Und mal ehrlich, warum sind die knackigen Sachen eigentlich immer Kerle? Schusterjungen, Goldjungen, scharfe Segler, Weltmeister … und daneben? Die süße Schnecke und die Sahneschnitte. Wenn wir also schon dabei sind, Gedichte von den Häuserwänden zu kratzen, könnten wir eigentlich auch gleich mal in den Backstuben vorbeischauen.

Aber in letzter Zeit gibt es ja eh den Trend, das Brot selber zu backen, statt es schnöde im Laden zu erstehen. Ich jedenfalls habe solche Freundinnen, solche, die kurz vor der Party, wenn ich mit nassen Haaren und halb geschminkt zwischen Geschirrspüler und Wäsche aufhängen hektisch die Schleife ums Geschenk zurre und nicht weiß, was ich anziehen soll, anrufen und Sätze sagen wie: »Ach, ich bin dann fertig. Und ich hab noch eben ein Brot gebacken, hatte ich irgendwie Lust zu, bring ich fürs Büfett mit.«

Sätze wie dieser machen mich ehrfürchtig. Noch eben ein Brot gebacken. Lust! Ich bin mehr so die, die noch eben im Späti eine Tüte Chips kauft, weil sie mal wieder vergessen hat, dass man was fürs Büfett mitbringen soll.

Ich bin im Moment sowieso derart vergesslich, dass ich schon überlegt habe, mal zu so einer Gedächtnissprechstunde zu gehen und einen Test zu machen. Der kürzeste Dialog zu diesem Thema fand neulich zwischen meiner Freundin Tine und mir statt:

Sie: »Und, hast du inzwischen den Termin in der Gedächtnissprechstunde gemacht?«

Ich: »Nein, habe ich vergessen.«

Aber das ist eine andere Geschichte.

Da man sich den eigenen Dämonen ja hin und wieder stellen muss, bin ich das Brotbackthema mal aktiv angegangen. So schwer kann das nicht sein, dachte ich mir in einer optimistischen Stunde. Also: Feinstes Biovollkorndinkelmehl, Buchweizenmehl, Sonnenblumenkerne, Hefe, ayurvedisches Himalayasalz – alles besorgt. Und gebacken, was das Zeug hielt. Und wofür? Dafür, dass mein Sohn nach dem ersten Bissen beim Frühstück erst lange schwieg und dann fragte: »Sag mal, wie hieß noch mal dieser Terry-Pratchett-Roman mit dem kriegerischen Zwergenvolk?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Wieso kommst du jetzt darauf?«

»Na ja, die backen doch immer Kampfbrote. Die sind auch nicht zum Essen, die benutzen sie als Wurfgeschosse, wenn sie angreifen.«

Ich habe es danach noch ein paar Mal versucht mit Hefeteig … und dann aufgegeben.

Beim letzten Versuch hatte ich laut meiner Familie einen irren Glanz in den Augen und sang resigniert Dinge wie »Tausendmal gerührt, tausendmal ist nix passiert« in die Teigschüssel. Vielleicht hätte ich es mal mit Howard Carpendale probieren sollen: »Geh doch, ich sage dir, geh doch.«

Kurzum, das Einzige, was dann noch ging an diesem Morgen, war ich, und zwar zum Bäcker. Auf dem Weg dachte ich über meine Familie nach. Ich bestellte vier Brötchen. Kriegerisches Zwergenvolk, dachte ich. Krass. Wir waren schon vier sehr unterschiedliche Menschen. Die Verkäuferin fragte: »Vier normale?«

Über die Antwort musste ich dann doch einen Moment nachdenken.

Darmowy fragment się skończył.