Czytaj książkę: «Sperare Contra Spem», strona 7

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2.2.2 Theologische Wahrheit als Liebesgeschehen

Wie die Begegnung zwischen weltlichen Subjekten, so ist nach Balthasar auch das Verhältnis zwischen Geschöpf und Gott in den Kategorien eines freien, dialogischen und somit situativ-geschichtlichen Beziehungsgeschehens zu beschreiben. Inbegriff dieser Beziehung ist „das besondere Wort Gottes, das wir die biblische Offenbarung nennen und das Mitte des göttlichen Sprechens bleibt“248. Zwar bleibt auch hier richtig, dass der Mensch die Freiheit besitzt, sich für das an ihn ergehende Wort zu öffnen oder aber seine Ohren zu verschließen, aber im Unterschied zu allen innerweltlich als Objekt begegnenden Subjekten, ist Gott des erkennenden menschlichen Subjektes in keiner Weise bedürftig. Weil er der Schöpfer ist, der alles Sein seiner unendlichen Fülle entspringen lässt, liegt das Maß jedweden Seins in ihm begründet, so dass er kein Gegenüber braucht, um daran die Dimensionen seiner selbst allererst zu ermessen. In diesem Sinne ist Gott der Welt völlig transzendent.

In der Konsequenz liegt, so Balthasar weiter, die Wahrheit Gottes nicht in einer der weltlichen Wahrheit vergleichbaren Form vor. Die schon im menschlichen Objekt zu personaler Freiheit gesteigerte letzte Geheimnishaftigkeit seines Daseins ist angesichts des absoluten Selbstbewusstseins Gottes als absolute Freiheit und unendliche Intimität zu denken. Die Wahrheit des Seins Gottes wird dem Menschen deshalb anders als die aller endlichen Objekte „gar nicht in sich selbst erschlossen, sondern ausdrücklich in der Gestalt der Verschlossenheit in ihrem innern Geheimnis bekanntgegeben“249. Enthüllung des göttlichen Seins geschieht immer in Verhüllung. Gerade in der größten Unsichtbarkeit aber, in der Verhüllung Gottes in menschlicher Gestalt, tritt sein Wesen als dreieinige Liebe in unüberbietbar anschaulicher Weise hervor. „Das Unbegreifliche Gottes ist nun nicht länger ein blosser Ausfall an Wissen, sondern eine positive Gottesbestimmtheit des Glaubenswissens.“250 In Jesus Christus, und nur hier, wird das Sein Gottes erkennbar. Wenngleich Balthasar auch, wie dargelegt, „die Christen als Hüter der … Metaphysik“251 in die Verantwortung rufen will, so vertritt er doch einen zutiefst offenbarungstheologischen Ansatz. Eine Bewegung des gedanklichen Aufstiegs des Menschen zu Gott ist überhaupt nur möglich, weil und indem Gott in der Person Jesu zum Menschen absteigt und sich ihm zeigt. Einerseits heißt das, der Mensch kann Wahres von Gott einzig und allein dann aussagen, wenn er bereit ist, es sich zu-sagen zu lassen. Ergo kann jede philosophisch-metaphysische Überlegung nur dann zur Wahrheit hinführen, wenn sie ihren Ausgangspunkt in dieser Selbstaussage Gottes nimmt und in ständiger Rückbindung an diesen ihren Grund verbleibt.252 „Wenn der Theologe … die aus der Philosophie gewonnenen Erkenntnisbegriffe verwendet, so darf das nur zu dem Zweck geschehen, das Verstehen der geoffenbarten Wahrheit zu vertiefen“253. Andererseits kann man aber im Sinne Balthasars mit der gleichen Berechtigung und Bestimmtheit sagen, der Mensch kann die göttliche Wahrheit tatsächlich gültig zur Sprache bringen, weil sie ihm in Jesus Christus wahrhaftig und verlässlich zugesagt ist. „Ein wirkliches Verstehen des sich auslegenden Gottes durch Menschen (ist) möglich, oder umgekehrt: … das bleibend Geheimnishafte Gottes (hindert) ein wirkliches Verstehen von seiten des Menschen nicht“254.

Balthasar geht sogar so weit zu behaupten, die Erscheinung Gottes in der Person Jesu Christi sei so offenbar, dass ihr, so Leben, Tod und Auferstehung in ihrer Einheit in den Blick genommen werden, objektive Evidenz zukomme. In der Gesamtschau nämlich trete ein ganzheitliches Phänomen zutage, dessen objektiv strahlende Richtigkeit und Stimmigkeit dem Subjekt unweigerlich einleuchten müsse.255 Balthasar ist deshalb unumstößlich davon überzeugt, dass jedem, der behauptet, in der Offenbarungsgestalt nicht die Wahrheit Gottes erkennen zu können, objektiv nachgewiesen werden könne, welchen der die Gesamtgestalt konstituierenden Aspekte er, sei es ohne eigenes Verschulden oder aber auch schuldhaft, übersehen hat.

Ein solches schuldhaftes Nicht-sehen-Wollen ist es vor allem, das Balthasar dem neuzeitlichen Denken, auch und gerade innerhalb der Theologie, vorwirft. „Nicht die Unsichtigkeit des Gegenstandes schafft im Erkennenden Unsicherheit und schliesslich ein Verfehlen, vielmehr das gefasste Vor-Urteil, das die Sache sich nicht so verhalten kann, wie sie sich darbietet, das wahre Ärgernis ist Besserwisserei, die ihre eigene subjektive Meinung gegen die objektive Evidenz setzt.“256 Mit diesem Begriff bezeichnet Balthasar also näherhin „solche Evidenz, die vom Phänomen selbst her auf- und einleuchtet, und nicht solche, die auf Grund von Bedürfnisbefriedigung des Subjekts festgestellt wird.“257 Voraussetzung wahrer Erkenntnis ist demnach die Bereitschaft des Menschen, sich unter größtmöglicher Absehung von der eigenen Person für die Gestalt Jesu Christi zu öffnen. Was im Hinblick auf die Erkenntnis der Wahrheit weltlicher, auch menschlicher Objekte als unterschiedlich tiefe Ausprägungen der einen Haltung der Dienstbereitschaft des Subjekts charakterisiert wurde, wird angesichts der Absolutheit göttlicher Wahrheit in eine davon qualitativ wesentlich unterschiedene totale Selbstübergabe des Subjekts an Gott überstiegen. Rezeptivität wird zum reinen Gehorsam dem von Gott her Zugesagten gegenüber, womit dem Moment der Passivität innerhalb des Erkenntnisaktes unbedingte Priorität zukommt. „Solange der Mensch noch handelt, ist noch nicht experimentell erwiesen, daß er dabei Gott gehorcht.“258 Wo eine Person sich aber in einer Haltung der Indifferenz im Sinne der „‚lassenden‘ Verfügbarkeit“259 ganz öffnet, um „Gott in ihr selbst Gott sein zu lassen, ihm allen Raum zu gewähren, den er für seine Liebe beansprucht“260, kann die Wahrheit Gottes zutage treten, „weil diese Haltung mit keinen eigenen Umrissen, Plänen, wohlgemeinten Einfällen dazwischenfährt“261. Andersherum gilt auch hier wieder, in Analogie zur weltlichen Wahrheitserkenntnis, dass diese Passivität eine Form höchster Aktivität im Sinne der aktiven Bereitschaft, das von Gott her Zugesagte dankend anzunehmen, darstellt.

„Indifferenz ist der Grundakt der Kreatur.“262 Zu dieser Einsicht gelangt Balthasar im Zuge seiner theologischen Interpretation der ignatianischen Exerzitien. Im Zentrum der geistlichen Übungen steht seinem Verständnis nach das Motiv einer doppelten Wahl. Die primäre Wahl liegt bei Gott, der jeden Menschen auf spezifische Weise in den Dienst der Mitarbeit an seinem universalen Heilsplan nehmen will. In der persönlichen Ansprache durch Gott wird der Mensch dann seinerseits in die Wahl gestellt. Indifferenz meint nun „die aktive Bereitschaft, Gottes Wahl für mich zu übernehmen“263 und dergestalt der Idee, die Gott von mir und für mich hat, gerecht zu werden. Es geht also nicht um eine Haltung der stoischen Gelassenheit, sondern vielmehr darum, „dass wir uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichgültig machen müssen. Alle Grundbedürfnisse unseres Lebens, Gesundheit, Ehre, Besitz, Leben werden eingeordnet in den Kontext, dass alles der Ehre Gottes und damit dem Ziel unseres Lebens diene.“264

Diese Erkenntnis ruht im Letzten auf dem Erlebnis der persönlichen Berufung auf, das von Balthasar 1927 zuteil wurde. Als junger Doktorand der Germanistik nahm er an einem Exerzitienkurs teil, als ihm plötzlich mit unausweichlicher Sicherheit klar wurde: „Du hast nichts zu wählen, du bist gerufen; du wirst nicht dienen, man wird sich deiner bedienen; du hast keine Pläne zu machen, du bist nur ein kleines Steinchen in einem Mosaik, das längst bereit steht. Ich brauchte nur ‚alles zu verlassen und nachzufolgen‘, ohne Pläne zu machen, ohne Wünsche und Einsichten: ich brauchte nur dazustehen und zu warten und zuzusehen, wozu man mich brauchen würde.“265 Dieser Ruf führte Balthasar 1929 in die Gesellschaft Jesu, in der er über 20 Jahre lebte. Auch sein Austritt im Jahr 1950 bedeutete ihm keineswegs eine Abkehr. Vielmehr sah er sich von Gott in eine neue Aufgabe gestellt, die sich als unvereinbar mit seiner Ordenszugehörigkeit erwies. Gemeint ist die Gründung der Johannesgemeinschaft, eines Säkularinstitutes, das er in engster Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr ins Leben rief und seelsorgerisch begleitete.266 Wie sehr er sich gerade in seinem für ihn äußerst schmerzhaften Entschluss zum Ordensaustritt der ignatianischen Grundintention verpflichtet wusste, belegt sein „Abschiedsbrief an die Gesellschaft Jesu“, in dem es heißt: „Und wenn ich sie, Paternität, heute bitte, mich meines Gelübdes, in die Gesellschaft Jesu einzutreten für ein Leben in Armut, der Jungfräulichkeit und des Gehorsams, zu entbinden, dann wahrlich nicht, um mich dem Kreuz des Ordenslebens zu entziehen, und statt Wille und Geist zu unterwerfen einen persönlichen Plan zu verfolgen, sondern im klaren Bewusstsein, mich an Gott und unserem heiligen Vater Ignatius in einem viel engeren, die Freiheit viel strenger entziehenden Gehorsam zu binden, gemäß dem Worte: Wenn du alt geworden sein wirst, wird man dich führen, wohin du nicht willst.“267 In den 1980er Jahren bemühte sich Balthasar denn auch um eine Wiederaufnahme in den Orden, die ihm jedoch nicht gewährt wurde.

Die christliche Grundhaltung der Indifferenz ist nun im Sinne Balthasars nicht nur die „seinshafte … Voraussetzung für den Vollzug der Wahl, d. h. für die Setzung des Aktes, der christliches Sein begründet“268, sondern sie hat als bleibende Haltung jeden Lebensvollzug eines Gläubigen zu durchwalten und ist ergo auch und im Besonderen Maß-gebend für jede Theologin und jeden Theologen. Deshalb ist es wohl nicht übertrieben, den Geist der Exerzitien als einen Schlüssel auch zum balthasarschen Theologieverständnis zu bezeichnen. „In der Theologie des Ignatius sah von Balthasar das … überzeugend gelungene Korrektiv zu jedem Konzept christlicher Lehre, das vorwiegend an den [platonisierenden] Aufstiegen der Seele zum jenseitigen Bezugspunkt ihrer Herkunft und Zukunft orientiert war.“269 Nicht aktive Suche, nicht menschliches Streben nach der Wahrheit Gottes lehrt Ignatius die Wissenschaft, sondern Gelassenheit, sich das Wort Gottes zusagen zu lassen, und Bereitschaft, ihm in existentiellem Gehorsam zu folgen.

In der bewussten Einnahme einer Haltung der Indifferenz geht es also darum, „den ganzen Menschen zu einem antwortenden Raum auf den göttlichen Inhalt zu machen.“270 Eine solche Übereignung der gesamten Existenz ist nach Balthasar nun nichts anderes als Glauben im christlichen Vollsinn.271 „Glaubende Existenz wäre somit Existenz im Liebestod. Nicht in einer beliebigen, durch das Ermessen des Augenblicks temperierten und vom Menschen manipulierten Hingabe, sondern in einer Antizipation der Lebenshingabe bei jeder einzelnen Situation christlicher Existenz.“272 Anders als im Prozess der Erkenntnis weltlicher Wahrheit, der primär in der Aneignung der objektiven Wahrheit durch das Subjekt besteht, verhält es sich bei der Glaubenswahrheit demnach so, „daß hier nicht das erkennende Subjekt von etwas Besitz ergreift, sondern von dem Gegenstand der Erkenntnis, d. h. von der Person Gottes in Besitz genommen wird.“273 Die sich bereits auf der Ebene der Erkenntnis endlicher Subjekte anfanghaft vollziehende Verlagerung von Aktivität auf das Objekt bei gleichzeitig zunehmender Passivität des Subjektes im Sinne der vertrauensvollen Hinnahme der zugesagten Wahrheit findet hier zu ihrer endgültigen Vertiefung. Der Mensch als Erkenntnissubjekt hat sich in einer Haltung völliger Passivität zur göttlichen Verfügung zu stellen. Indem er sich dergestalt von Gott ergreifen lässt, geschieht eine „ontische Erhebung des Menschen“274. Die Fähigkeit, glaubend und darin erkennend auf das von Gott zugesprochene Wort zu antworten, ist also keine natürliche Möglichkeit des Menschen, sondern sie wächst ihm durch gnadenhafte Einwohnung des göttlichen Geistes zu, „d. h. Gott selbst wird zum eigentlich vollziehenden Subjekt im Menschen.“275 Aus rein menschlichen Kräften wäre eine Erkenntnis der göttlichen Wahrheit deshalb gar nicht möglich, weil Gott nur von Gott erkannt werden kann.

Mit diesem Diktum greift Hans Urs von Balthasar ein Axiom Karl Barths auf276, das er mit der Überführung in sein Denken aber zugleich auch wesentlich modifiziert. Barth nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Einsicht, dass Gott faktisch erkannt werden kann. Diese Erkennbarkeit Gottes sieht er einzig in der wesentlichen Bereitschaft Gottes erkannt zu werden begründet. „‚Gott ist erkennbar‘ heißt: ‚Gott kann erkannt werden‘ – er kann es aus sich selbst und durch sich selbst. Er ist in seinem Wesen, so wie es uns in seinem Handeln zugewendet ist, so beschaffen, daß er von uns erkannt werden kann.“277 Die Erkennbarkeit Gottes ist demnach zuerst Gottes eigene, in seinem trinitarischen Sein begründete Möglichkeit; Vater und Sohn erkennen einander im Heiligen Geist. In diesem Sinne ist „Gott … von Ewigkeit und in Ewigkeit sich selbst erkennbar.“278

Damit diese Erkennbarkeit Gottes für sich selber nun auch zu seiner Erkennbarkeit für uns werden kann, bedarf es nach Barth einer der göttlichen Bereitschaft entsprechenden Bereitschaft auf Seiten des Menschen. Eine solche grundsätzliche Ansprechbarkeit des Geschöpfes für Gott ist nun aber keinesfalls als ein selbständiges, dem Menschen eigenes Vermögen zu verstehen, das gleichsam in Wechselbeziehung mit der göttlichen Bereitschaft erkannt zu werden stünde. Vielmehr ist es so, dass die menschliche Möglichkeit Gott zu erkennen „nicht nur zuerst und entscheidend, sondern einzig und allein in der Bereitschaft Gottes, d. h. in der in der Gnade und Barmherzigkeit seiner Offenbarung uns geschenkten Erkennbarkeit Gottes besteht. Eben in der hier einzig und allein in Betracht kommenden Bereitschaft Gottes ist nun aber die Bereitschaft des Menschen eingeschlossen“279, die also ausschließlich darin bestehen kann, sich der Gnade Gottes in voller Erkenntnis und vor allem Anerkenntnis des eigenen Unvermögens und der Bedürftigkeit zu öffnen.

Das Problem, das sich für Barth an dieser Stelle nun aber auftut, liegt in seinem Menschenbild begründet. Der Mensch in seiner Sündenverhaftetheit, so seine unumstößliche Überzeugung, ist de facto gar nicht in der Lage, sich selbst dergestalt in völligem Gehorsam der Gnade Gottes anzuvertrauen. Vielmehr muss er geradezu in hybrider Selbstbehauptung die Fähigkeit, Gott zu erkennen, stets für sich reklamieren. Die „Realität zeigt uns den Menschen an sich und als solchen nicht im Frieden, sondern im Streit mit der Gnade. Ist es anders, dann haben wir bestimmt nicht nur diese Realität, nicht diese Realität an sich und als solche vor Augen.“280 Dieses Bild kann sich nach Barth einzig unter christologischem Aspekt ändern. Als wahrer Mensch hat Jesus Christus, stellvertretend für alle Menschen, die dem Menschen einzig gebührende Bereitschaftshaltung Gott gegenüber eingenommen; als wahrer Gott verfügt er zugleich über seine Erkennbarkeit. „Die in der Bereitschaft Gottes eingeschlossene Bereitschaft des Menschen ist Jesus Christus. Und also ist Jesus Christus die Erkennbarkeit Gottes von uns her, wie er die Gnade Gottes selber ist und also auch Gottes Erkennbarkeit von Gott her.“281 In diesem Sinne kann mit Barth letztlich nur von einer einzigen Bereitschaft zur Gotteserkenntnis die Rede sein.

Gleichwohl aber, und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur späteren Interpretation des Axioms bei Hans Urs von Balthasar, ist bei Barth der Mensch Subjekt eben dieser Erkenntnis. Zwar liegt auch nach barthschem Verständnis die Fähigkeit Gott zu erkennen keinesfalls im natürlichen menschlichen Vermögen begründet. Wohl aber erhält der Mensch im vom Heiligen Geist gewirkten Glauben, als der „zeitliche(n) Gestalt seines ewigen Seins in Jesus Christus“282, Anteil an Christi Haltung gehorsamer Bereitschaft für Gott. „Wir haben nur das Zeugnis von Jesus Christus anzunehmen und wir haben dann nur auf Jesus Christus zu sehen … dann sehen wir den Menschen, dem Gott erkennbar ist, dann sehen und verstehen wir uns selbst als solche, denen Gott erkennbar ist, dann kann also auch in Wahrheit vom Menschen in seiner Beziehung zu Gott geredet … werden.“283 Barth denkt also Gott und Mensch als einander im Erkenntnisprozess gegenüberstehend. Balthasar dagegen spricht von einer Selbstübereignung des Menschen an Gott: das menschliche Subjekt muss sich, um die göttliche Wahrheit erkennen zu können, geradezu von Gott vereinnahmen lassen.

Balthasar will die In-Besitz-Nahme durch Gott nun aber keineswegs als Selbstverlust des Menschen verstanden wissen. Im Gegenteil: Es sei daran erinnert, dass seiner Überzeugung nach der Mensch sich angesichts eigener Kontingenzerfahrungen auf das absolute Sein Gottes und seine Wahrheit verwiesen sieht. „Und wenn der Mensch sich dann in freier Entscheidung zu diesem Akt der Glaubensunterwerfung unter das umgreifende Wissen seines Herrn und Schöpfers entschließt, dann gehorcht er zugleich seiner Natur“284, d. h. er findet darin auch zu seiner eigenen Wahrheit, die wiederum insofern Moment göttlicher Wahrheit ist, als der Mensch sich als von Gott geliebtes Geschöpf erkennen wird. Einzig ein so verstandener Glaube ist nach Balthasar das geeignete Erkenntnisorgan für göttliche Wahrheit.285

Wenn die Erkenntnis göttlicher Wahrheit dergestalt an den Glauben des Subjekts gebunden ist, so gilt das notwendig auch mit Blick auf die Theologie, der ihrem Selbstverständnis nach der vernunftmäßige Nachvollzug dieser Wahrheit obliegt. „Es gehört zum Wesen dieser und nur dieser Wissenschaft, daß ihre wissenschaftliche Objektivität auf dem Glaubenentscheid beruht, daß es also [theologisch gesehen] keine neutrale Objektivität geben kann, den Gegenstand des Glaubens auch ohne Glauben bzw. von Glaube oder Unglaube absehend zu behandeln.“286

Diese Einsicht Balthasars bestätigt sich noch einmal mit Blick auf den Inhalt der Wahrheit, nämlich das Wesen Gottes als Liebe. „Theologische Wahrheit, die sich nicht selbst immer leuchtender als der ungebreifliche Ein- und Durchbruch der ewigen … Liebe erweisen würde, wäre keine“287. Das heißt nun aber keineswegs, Theologie könne oder solle sich in reiner Affektivität ergehen. Theologie ist auch im balthasarschen Verständnis alles andere als Rückzug in den Bereich der Emotionalität und Innerlichkeit. „Es soll scharf und richtig gedacht werden. Aber es soll auch sachgerecht gedacht werden, nämlich so, daß man dieser einen, einzigartigen, inhaltlich und methodisch unvergleichlichen Sache gerecht wird.“288 Die Sache der Liebe ist nun aber kein objektivierbarer Gegenstand, der gleichsam aus der Distanz heraus zu analysieren und beurteilen wäre. Die „Logik der Liebe wird von keinem außenstehenden Beobachter erfaßt“289, „der Ort, von wo aus Liebe beobachtet und bezeugt werden kann, kann nicht außerhalb der Liebe [in der ‚reinen Logizität‘ der sogenannten Wissenschaft] liegen“290. Theologie kann daher nur treiben, wer bereit ist, sich seinerseits ganz für Gott zu öffnen, um sich von ihm in dieses Liebesgeschehen einbeziehen zu lassen. Theologie ist deshalb nach balthasarschem Verständnis überhaupt nur aus einer Haltung der Kontemplation und Anbetung heraus möglich. „So ist Gebet die einzige sachliche Haltung vor dem Mysterium. (…) Über diese Haltung des Gebets kommt auch die Haltung der Erkenntnis nicht hinaus.“291 In diesem Sinne prägte Balthasar das Diktum von der knienden Theologie292, die einzig die Bezeichnung, Rede von Gott zu sein, verdiene.293

Weil theologische Erkenntnis dergestalt an den personalen Glaubensvollzug gebunden ist, erwächst Gewissheit hinsichtlich der Wahrheit der in dieser Begegnung zwischen Gott und Mensch eröffneten Beziehung, in Analogie zu weltlichen personalen Begegnungen, einzig aus ihrer Bewährung. Anders als andere Wissenschaften hat Theologie nicht Sachverhalte zu beweisen, sondern Bewährtes zu bezeugen und als mit der menschlichen Vernunft vereinbar auszuweisen. „Theologie kann, vom Evangelium aus betrachtet, nichts anderes sein, als eine Form der Zeugnisablegung.“294 Und weil das zu Bezeugende die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen ist, wird das Zeugnis immer auch ein zu praktizierendes sein. „Es gibt … im Sinne der Offenbarung gar keine wirkliche Wahrheit, die nicht in einer Tat, einem ‚Wandel‘ zu inkarnieren wäre, so sehr, daß die Inkarnation Christi zum Kriterium aller wirklichen Wahrheit wird“295.

Auch und gerade der Theologe und die Theologin müssen sich also mit ihrer ganzen Existenz, mit ihrem Denken und Handeln, in den Dienst und unter die Verfügung der göttlichen Offenbarung stellen. „Theoria vollendet sich in der Verfolgung des Weges Jesu Christi bis ans Ende; nur so erhält sie an der theologischen Wahrheit Christi Anteil.“296 Theologie ist daher für Balthasar auf das Engste verbunden mit Heiligkeit, worunter aber „eher eine objektive als eine subjektive, ja vielmehr eine ‚methodologische‘ als eine aszetische oder moralische Haltung“297 zu verstehen ist. Worum es primär geht, ist die Bereitschaft des Menschen, sich ganz auf die Erfahrung Gottes einzulassen. „Es liegt im Wesen des Wortes Gottes, daß es als Samenkorn im Acker der Herzen ein- und aufgehen will, daß es gleichsam nur in einer ‚Momentaufnahme‘ als ein reines, objektives An-sich erfaßt werde“298. Wenngleich die göttliche Wahrheit dem Menschen auch vor-gegeben ist, so wird sie doch nur im je subjektiven Raum in ihrer Objektivität vernehmbar und kann auch nur von dort her als Wahrheit bezeugt werden. Nur „die Liebe als das denkbar Subjektivste im Erkennenden fordert und ermöglicht … aus sich heraus den ganz anderen Pol des denkbar Objektivsten im Erkannten“299, weil sie das Interesse an je neuen Erkenntnissen wach hält, ohne das geliebte Gegenüber dadurch vereinnahmen zu wollen.

Die Erkenntnismöglichkeiten innerhalb der Theologie werden, im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften, nicht etwa durch menschliches Streben nach immer mehr und tieferer Einsicht vorangetrieben; im Gegenteil: Nur da wo der Mensch sich seiner eigenen Fragen und Bedürfnisse so weit als irgend möglich entleert, wird er das Wort Gottes hören können. Dann aber, so Balthasars unumstößliche Überzeugung, und damit schließt sich der gedankliche Kreis, ist jeder Irrtum und Zweifel ausgeschlossen; die Wahrheit ist durch Gott verbürgt. Als Hörende steht Theologie in der „christliche(n) Gewissheit, vom Gott der Offenbarung immer schon gefunden worden zu sein. (…) Im letzten ist es weniger eine Suche als eine Zuwendung zu Dem, der auf die Umkehr des Menschen wartet“300.

Balthasars Theologieverständnis ist, so wird man zusammenfassend sagen können, in diesem Sinne zutiefst theozentrisch, näherhin trinitarisch fundiert: „Gott ist sein eigener Exeget“301. Der Vater legt sich menschwerdend in seinem Sohn aus302; im Geist Gottes erhalten die Menschen, insbesondere die eigens dazu berufenen TheologInnen, Anteil an diesem Auslegungsprozess. „Das Objekt theologischen Erkennens, der dreifaltige Gott selbst, wird, indem er sich selbst auslegt, zum Subjekt wirklicher Theologie.“303

Aus dieser inneren Struktur des theologischen Erkenntnisprozesses leitet Balthasar nun zwei Folgerungen ab, die sich im engeren Sinn auf die Theologie als wissenschaftliche Disziplin beziehen. Zum Ersten sieht er damit ihre eindeutige Verortung gegeben. „Die Auslegung des Geistes erfolgt innerhalb der von ihm aufgebauten und geschützten Strukturen: Kirche mit der ihr gehörenden Heiligen Schrift und Überlieferung, mit der sie kennzeichnenden Unterscheidung von ‚Hirt‘ und ‚Herde‘: Diese Elemente sind die Voraussetzung für ein immer weitergehendes lebendiges Auslegen des Geistes“304. Eine Wissenschaft, die sich nicht ausdrücklich in den Dienst der kirchlichen Gemeinschaft stellt oder gar die Unterordnung unter die kirchliche Autorität verweigert, kann also keinerlei Anspruch darauf erheben, Ausdruck göttlicher Wahrheit zu sein und verdient so den Namen ‚Theologie‘ nicht; Theologie ist notwendig kirchlich.

Zum Zweiten aber stellt Balthasar epistemologische Überlegungen an, die in einem sehr eigentümlichen Spezifikum seines Theologieverständnisses münden, das es im Folgenden unbedingt eingehender zu betrachten gilt. Angesichts der unendlichen Fülle göttlicher Wahrheit, so sein Grundgedanke, ist der Auslegungsprozess ein unabschließbarer. Dabei stehen die unterschiedlichen weltgeschichtlichen Epochen vor sich wandelnden Denkhorizonten, aus denen je eigene Fragen, aber auch je eigene Antwortmöglichkeiten erwachsen. Balthasar geht nun davon aus, dass es in Entsprechung zu jeder neuen religiösen, kulturellen und politischen Situation „eine neue, an die gewandelte Situation sich anpassende, aber diese Situation zugleich entscheidend miterschaffende Offenbarungsweise Gottes“305 gibt. Gott verbindet sich mit jeder Zeit neu und gibt sich kraft seines Geistes stets neu zu erkennen. „Die beiden Glaubensquellen des Katholizismus sind so, aufs letzte zurückverfolgt der Sohn und der Geist; die Offenbarung des Sohnes ist niedergelegt in der Schrift, die des Geistes ist kirchliche lebendige Auslegung der Schrift“306.

Solche lebendige Auslegung geschieht nun nach Balthasar immer da, wo der Geist Menschen in besonderer Weise zu experimenteller, unmittelbarer und in diesem Sinne mystischer Erfahrung und Erkenntnis Gottes beruft. Ein wesentliches Spezifikum des balthasarschen Theologieverständnisses liegt also darin, dass ihm Mystik als unverzichtbare theologische Erkenntnisquelle gilt.

Diese Eigentümlichkeit entspringt, so wird man wohl sagen müssen, der langjährigen intensivsten Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr. Von Speyr wurde eine Vielzahl mystischer Erfahrungen zuteil, die in einem umfangreichen Werk theologisch ausgewertet sind. Der Einfluss ihrer Einsichten auf das Werk Balthasars ist kaum zu überschätzen, legen sie doch nach seiner eigener Aussage den Grund für das Meiste, das nach 1940 von ihm veröffentlicht wurde.307 Mehr noch: In allen zentralen theologischen Fragen Balthasars sind seine Gedanken letztlich unlösbar mit denen von Speyrs verquickt. Dies gilt im besonderen Maße – ohne vorgreifen zu wollen sei das an dieser Stelle bereits erwähnt – für seine Theologie der Hölle.

Es wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nun nicht möglich sein, den Versuch zu unternehmen, Ursprung und Genese einzelner theologischer Aussagen nachzuvollziehen, um dergestalt eine Zuordnung zu Denker oder Denkerin vornehmen zu können. Ein solches Unterfangen wäre im Sinne Balthasars auch gar nicht sachgerecht, betont er doch mit Blick auf Adrienne von Speyr ausdrücklich: „Ihr Werk und das meine sind weder psychologisch noch philologisch zu trennen, zwei Hälften eines Ganzen“308. Wohl aber erscheint es im Sinne eines angemessen Zugangs zur Gedankenwelt Balthasars an dieser Stelle sinnvoll, in einem Exkurs die symbiotische Verbindung beider einmal grundsätzlich, wenn auch in gebotener Kürze zu bedenken. Vor diesem Hintergrund wird dann auf Balthasars Würdigung christlicher Mystik als locus theologicus zurückzukommen sein.