Warrior & Peace

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Warrior & Peace
Göttliches Blut
Stella A. Tack

Copyright © 2017 by


Astrid Behrendt

Rheinstraße 60

51371 Leverkusen

http: www.drachenmond.de

E-Mail: info@drachenmond.de

Lektorat: Viktoria Kravtschenko & Lillith Korn

Korrektorat: Lillith Korn

www.helfeelfe.de

Layout: Michelle N. Weber

Umschlagdesign: Stella A.Tack & Leander Fritsche

Bildmaterial Umschlag: Shutterstock & Envato Elements

Illustrationen: Ursula Pirchmoser

Druck: Booksfactory

ISBN 978-3-95991-467-3

Alle Rechte vorbehalten

Für meine Schwester Luna,

ohne die es dieses Buch gar nicht geben würde.

Inhalt

1. Ich bin der Freak …

2. Ein Pieps und ich schlitz dir die Kehle auf

3. Ich bin nicht im Himmel? Ich will mein Geld zuruck!

4. Nur Warrior hat die Eier, den alten Herren Daddy zu nennen

5. Sie waren mächtig, unsterblich, gelangweilt und hatten eindeutig zu viel freie Zeit

6. Ich wollte viel lieber von Lollipops und regenbogenpupsenden Einhörnern träumen!

7. Steuerberater von Amboss erschlagen! Götter weisen Schadenersatzklage zuruck!

8. Ein Baum steckt in meinem Bauch fest!

9. Mit ein paar Tieropfern und dem richtigen Know-how ist so einiges möglich

10. Das Schicksal ist eine Schlampe

11. Ich wurde zu einem Glühwürmchen!

12. Sie ist töricht. Oberflächlich. Bist du es ebenfalls?

13. Nichts, was ein Eisbeutel und ein Aspirin nicht auskurieren könnten.

14. Was meinst du mit Göttin?

15. Ein Wienerschnitzel in einem Hello-Kitty-Hoodie!

16. Ich bin Gott und wer zum Teufel bist du?

17. Ich habe keine Seele

18. Ich bin nackt, du bist da, ich erröte nicht mehr! Paaam. Kleidung her, Kumpel!

19. Ich bin ein Schleimklumpen und alle hassen mich

20. Peace. Gehört. Mir

21. Wie kannst du ohne Seele fühlen?

22. Ein Glück, dass ich eine Schwäche für Monster habe

23. Hatte nie gedacht, jemals eine Rüstung zu brauchen. Ich war eher der Prinzessinnen-Typ

Danksagung

Über die Autorin

Eins


Ich bin der Freak …

»Name?«

»Äh …«

»Name!«, bellte die Furie am Empfangsschalter. Dabei schraubte sich ihre Stimme in eine Tonhöhe, die das Wasserglas am Schreibtisch klirren ließ. Mühselig unterdrückte ich ein Augenrollen. Alles klar, erst mal tief durchatmen.

»Warrior Pandemos! Sie kennen mich seit meiner Geburt, Gladis, Sie wissen ganz genau, wer ich bin!«

Zweifelnd kniff die Furie ihre Schweinsäuglein zusammen und rückte betont langsam ihre spitze Brille zurecht. »So? Ich sehe dich so schlecht, Kind. Komm ein wenig näher!«

Ich beugte mich vor.

»Näher!«

Mein Bauch stieß bereits am speckigen Linoleumtisch an.

»Näher!«

Jetzt lehnte ich mich noch weiter vor.

»Näher!«

Okay, nun konnte ich Gladis’ Nasenhaare zählen. »Nahe genug?«

»Was?«

»Nahe genug?«

»Bei den Göttern! Was schreist du denn so?«

»Ich … egal. Soll ich noch näher kommen?«

»Was? Nein! Wozu? Mit dieser Kapuze kann ich dein Gesicht ohnehin nicht sehen. Ist das so eine eigenartige Modeerscheinung bei den Menschen? Zeig ein wenig Anstand und nimm dieses Ding runter!« Gladis blinzelte mich an, als würde sich eine Bombe unter meiner langen Kapuze verstecken.

Grrr. Ich knirschte mit den Zähnen und richtete mich wieder auf. »Die Kapuze bleibt«, teilte ich ihr liebenswürdig mit. »Checken Sie doch noch einmal meine Personaldaten. Warrior Pandemos. Sie kennen mich. Ich bin die Tochter Ihres Chefs.«

»Mhm«, brummte die Furie zweifelnd, tippte jedoch die Daten in ihren Computer ein.

Ich seufzte und schloss kurz die Augen.

Seit ich denken konnte, arbeitete Gladis für meinen Vater in der Vermittlungsstelle der Unterwelt. Dabei schien die Gute keinen einzigen Tag ihren Posten verlassen zu haben. Egal, ob bei Tag oder Nacht. Wie eine faltige, hässliche Spinne hockte sie hinter ihrem Schreibtisch und machte armen Gottkindern wie mir das Leben schwer. Dabei trug sie unablässig diesen grauenhaften rosaroten Pullover mit den Katzenbabyprints. Ihre Nase war spitz zulaufend – ähnlich dem Schnabel eines Vogels – und von dunklen Warzen übersät. Die blassen Lippen presste sie ständig zu einem schmalen Strich zusammen. Die Gute sah einfach immer genervt aus.

Inzwischen hatte sich hinter mir eine lange Warteschlange gebildet. Die Leute traten ungeduldig auf der Stelle. Wie üblich warteten dämonische Geschäftsmänner in dunklen Anzügen auf ihre Erlaubnis, die Unterwelt betreten zu dürfen. Die meisten stammten von einem der Außenposten der Unterwelt oder reisten als Anwälte im Auftrag des Olymps. Die Götter verklagten sich nämlich mit Vorliebe gegenseitig, wegen … nun, wegen so ziemlich allem. Hinter den Anzugtypen wartete ein erschöpft aussehendes Pärchen auf zwei ausgeblichenen Plastikstühlen. Das Licht der Neonlampen über unseren Köpfen blinkte dabei die ganze Zeit, begleitet von einem nervigen elektronischen Summen. Eine blecherne Lautsprecherstimme plärrte indessen über Gladis’ Kopf unablässig Anweisungen: »Achtung! Ebene 8, bitte ein Putzteam zu den Sanitäreinrichtungen 1 bis 7. Zu viele verdammte Seelen sprengen die Rohre. Ich wiederhole, ein Putzteam nach Ebene 8.«

»Miss Pandemos, hören Sie mir zu?« Die ungeduldige Stimme von Gladis riss mich aus der Betrachtung einer potthässlichen Plastikpflanze, die im Wind des eingeschalteten Ventilators flatterte.

»Entschuldigen Sie, was?« Schuldbewusst sah ich die Furie an.

Seufzend rückte diese ihre Brille abermals zurecht. Eine gespaltene Zunge zuckte aus ihrem Mund hervor, während die Lautsprecheranlage wiederholt um Verstärkung auf Ebene 8 bat. »Ich sagte: Name und Adresse der Eltern!«

Ich stöhnte genervt. »Ach, kommen Sie, Gladis. Seit Jahren gehen Sie mir mit diesem Mist auf die Nerven! Sie arbeiten seit – wie lange? – fünfhundert Jahren für meinen Vater? Sie wissen ganz genau, wer meine Eltern sind. Lassen Sie den dummen Bürokram und geben Sie mir einfach den Besucherausweis. Ich bin ziemlich spät dran!«

»Name und Adresse der Eltern!«, knurrte Gladis. Ihre Augen verdunkelten sich und quollen ein Stück aus den eingesunkenen Augenhöhlen hervor. Igitt.

Die umstehenden Menschen traten vorsichtig einen Schritt zurück. Die hässliche Topfpflanze fiel bei dem Anblick prompt um und stellte sich tot. Seufzend griff ich unter die dunkle Kapuze, die mein Gesicht verdeckte, und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Regel Nummer eins in der Vorhölle: Mache niemals eine Furie wütend. Leider schien ich ein ausgesprochenes Talent dafür zu haben.

»Achtung! Achtung, Sicherheitsteam auf Ebene 8 erforderlich! Ausgebrochene Seelen bewerfen das Personal mit Fäkalien!«, dröhnte es dumpf aus dem Lautsprecher. Angestrengt unterdrückte ich den Impuls, meinen Kopf gegen etwas Hartes zu schlagen.

»Schön«, stieß ich schicksalsergeben hervor. »Vater: Hades Pluton, Herrscher der Unterwelt. Anschrift: 666 Hellgate am Styx, Abaddon. Mutter: Aphrodite Venus, Göttin der Liebe. Anschrift: 45 Sunshine Street EC1A, London.« Bei der Erwähnung meiner Eltern verzog ich leicht gequält das Gesicht. Es brachte selten etwas Gutes mit sich, die Tochter zweier größenwahnsinniger Götter zu sein.

Gladis tippte geschäftig meine Angaben in ihren uralten Computer, der zum Öffnen einer Datei nervtötende zehn Minuten brauchte. Mit diesem Ding konnte man locker jemanden erschlagen. Ich meine, sofern man es überhaupt schaffte, ihn hochzuhieven. »Sehr schön! Willkommen im Limbus, auch Vorhölle genannt, Miss Pandemos. Was für einen Antrag möchten Sie denn gerne stellen?«

 

Zornig funkelte ich sie an. Hinter mir hüstelte einer der Anzugtypen. Idiot! »Ich wünsche einen Besucherausweis für den Olymp, zum allmonatlichen Gesundheitscheck«, diktierte ich ihr laut und deutlich. Ein prüfender Blick auf die Wanduhr über Gladis’ Schreibtisch ließ mich ungeduldig das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern. Der Minutenzeiger war abgebrochen und der schmalere für die Sekunden lief rückwärts, sodass ich nur vage am Stundenzeiger abschätzen konnte, dass es halb drei am Nachmittag sein musste. Mein Termin war um zwei gewesen. Verdammt! Mutter würde mir den Hals umdrehen. Gladis tippte immer noch geschäftig. »Sie wollen also in den Olymp? Haben Sie die Befugnis dazu, Miss Pandemos?«

»Natürlich habe ich die Befugnis! Sie ist … Ohhh, verdammt!« Erschrocken hielt ich inne. Augenblicklich wurde mir heiß und kalt gleichzeitig. Ich hatte den dummen Zettel zu Hause liegen lassen! Nervös klopfte ich meine Hosentaschen ab. Nichts außer ein paar Centmünzen, einem Kaugummi und … igitt, einem alten Taschentuch. Ich wusste, ich hatte etwas vergessen. Aber wie gesagt, ich war einfach zu spät dran gewesen. Die Furie zog eine Augenbraue in die Höhe. Ihr Tippen auf den Computertasten wurde eine Spur langsamer. Ich knirschte mit den Zähnen.

»Kann ich die Bescheinigung denn sehen?«, fragte Gladis süßlich, was meinen ohnehin schon strapazierten Nerven den Rest gab. Knurrend knallte ich meine schwarz behandschuhte Faust gegen die gläserne Trennscheibe zwischen uns. »Verdammt noch mal, nein! Ich habe den Passierschein vergessen, aber Sie wissen genau, dass ich die Berechtigung für den Olymp habe, Gladis! Geben Sie mir einfach den blöden Wisch!«

Gladis zog ungerührt eine faltige Augenbraue nach oben. Die Haut auf der gesamten linken Gesichtshälfte rutschte dabei nach unten. »Mäßigen Sie Ihren Ton, Miss Pandemos. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, den Sicherheitsdienst zu rufen.«

»Sie scherzen wohl?!«, blaffte ich und blickte der alten Furie finster in die Augen. Nun, zumindest sah sie das Aufblitzen meiner dunklen Sonnenbrille. »Geben Sie mir einfach den Ausweis oder ich sage meinem Vater, er soll Sie rauswerfen!« Okay, ich sollte womöglich die Klappe halten, doch mit jeder Sekunde, die ich hier unten mit unnötigem Papierkram verplemperte, kam ich noch später zu meinem Termin im Olymp. Die Götter waren bei so etwas ganz und gar nicht cool. Es würde mir einen Haufen Ärger einbringen. Die Neonleuchten über uns blinkten hektisch, während auf meinem Gesicht kalter Schweiß ausbrach. Ich musste wirklich dringend zu diesem Gesundheitscheck. Die blecherne Ansagestimme verkündete indessen, dass eine Fahndung nach fünf flüchtigen Seelen, Sterbezeit circa 17. bis 18. Jahrhundert, herausgegeben wurde. Hilfreiche Informationen sollten bitte in der Vorhölle abgegeben werden.

Gladis stieß ein ungeduldiges Knurren aus, das ihre hundert Falten bedrohlich zum Zittern brachte. »Sie drohen mir, Miss Pandemos? Schön, ich habe sie gewarnt. Vielleicht flößen Ihnen zwei Tage in Downtown ein paar Anstandsregeln ein.« War sie zuvor noch extrem langsam gewesen, so drückte sie jetzt blitzschnell den roten Knopf neben ihrem Tisch.

»Was? Nein! Was tun Sie da?«, fragte ich, doch es war zu spät. Der Raum bebte. Die Warteschlange kam unruhig in Bewegung, einige Anstehende strauchelten. Das Wasserglas neben Gladis klirrte und ein paar Brocken Putz fielen von der Decke. Schnell hielt ich mich am Tresen fest, als das Ruckeln genauso plötzlich wieder aufhörte. Wie aus dem Nichts knallte eine breite Tür mitten in den Warteraum hinein. Durch die Erschütterung bröckelte weiterer Putz von der Decke und prasselte auf die Köpfe der Umstehenden nieder. Die Warteschlange zog sich noch einen Schritt zurück, als die Tür aufgerissen wurde und zwei bullige Höllenhunde den Raum betraten.

Ich stöhnte. »Nicht die Hunde.« Speichel tropfte den Bestien von den verfilzten Mäulern. Ihre rot glühenden Augen waren starr auf mich gerichtet. Ein fieses Knurren erfüllte das schäbige Büro, als die Hunde ihr räudiges Fell schüttelten und zu wachsen begannen. Binnen Sekunden hörte man das Brechen von Knochen und das Reißen von nassem Fleisch. Klauen formten sich zu Händen. Fell zu Haut und Läufe zu Beinen. Seufzend kratzte ich mich am Kopf und starrte auf die beiden Sicherheitsmänner, Milon und Kroton, die wie zwei Berge ungeschlachter Muskeln vor mir standen und die Zähne fletschten.

»Wow! Hey, Milon! Kroton! Schon lange nicht mehr gesehen, wie gehts euch zweien? Gladis und ich hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit, es besteht also kein Grund zur Aufregung.« Bedächtig ging ich einen kleinen Schritt rückwärts, die Hände kapitulierend erhoben. Höllenhunde sind … na ja, man konnte sie wohl als Security der Unterwelt bezeichnen. Sie waren stark, schnell, zäh und beinahe unmöglich umzubringen. Allerdings zählten Dinge wie überlegtes Handeln oder regelmäßige Waschtage nicht wirklich zu ihren Stärken. Jeder Befehl wurde befolgt, egal, wie hirnrissig er auch sein mochte. Unschuldig riss ich die Augen auf und entschied spontan, dass Flucht eindeutig besser war als Knast. Scheiß auf den Gesundheitscheck! Ich würde ihn nachholen. Flink drehte ich mich auf den Fersen um und nahm Reißaus. Zumindest versuchte ich es. Ich kam jämmerliche vier Meter weit, bevor Milon mich von hinten packte und zu Boden drückte. Keuchend wich mir die Luft aus der Lunge.

»O Mann, wozu war das denn nötig?«, grunzte ich und riss erschrocken die Augen auf, als sich Kroton ebenfalls auf mich fallen ließ. »Pfff!« Wie bei einem Luftballon schoss die restliche Luft aus mir hinaus.

»Bringt sie nach Downtown! Ich werde ihrem Vater von den fehlenden Manieren seiner Tochter berichten«, krächzte Gladis zufrieden, während mir die beiden Höllenhunde die Hände auf den Rücken drehten.

»Ach, kommt schon. Das muss wirklich nicht sein. Ich komme noch zu spät.«

Meine Rippen schmerzten von dem Zusammenprall und meine Lunge … War dieses merkwürdige Pfeifen normal? Hm. Ungerührt von meinem Gezappel stießen die Typen mich durch die offen stehende Tür. Das Letzte, was ich sah, war, wie die Warteschlange zufrieden weiterrückte, bevor die Tür ratternd vor meiner Nase zuschlug.

»Nicht schon wieder!« Kläglich ließ ich den Kopf hängen. Das war ein wirklich beschissener Tag und dabei war es gerade erst Nachmittag. Im Selbstmitleid schwimmend, sah ich auf. Ich war im Inneren eines Aufzugs. Davon gab es einige in Abaddon. Anders war es ziemlich mühselig, von einer Ebene in die nächste zu gelangen. Man konnte sich hier unten locker für ein paar Jahrzehnte verirren. Es war wie ein Labyrinth aus bunten Kuchenschichten, die in einer wirren Konstellation zusammengeschustert worden waren. Jede Ebene sah ein wenig anders aus. Manche waren ganz normale Orte. Kleinstädte mit lauschigem Ortskern, wo man Kaffee trinken und Eis essen konnte. Andere waren bizarre und albtraumhafte Welten aus Rauch und Feuer, in denen man jenen Wesen begegnete, die normalerweise nur mit Maulkorb herumlaufen sollten. Auf Ebene 99 gab es zum Beispiel einen Kobold namens Frank, der für die Buchhaltung zuständig war. Klasse Typ. Er hatte immer Lollis mit Kirschgeschmack in seiner untersten Schreibtischschublade. Wenn man sich allerdings auf Ebene 61 verirrte, wurde man von einem Seeungeheuer gefressen. Um so etwas zu vermeiden, waren die Aufzüge ein wahrer Segen. Leider fuhr der hier nur zu einer Station: Downtown.

Pling. Die Aufzugtüren schwangen auf. Ich blickte in einen feuchten steinernen und sehr, sehr dunklen Tunnel. Schon wieder. Meine Schultern sackten herab. Ich war so was von am Arsch. Das grelle Licht des Fahrstuhls durchdrang nur wenige Meter die Dunkelheit. Ich sah einen blauhäutigen Pixie über den Boden huschen. Geblendet durch die plötzliche Helligkeit blieb das Wesen wie gebannt stehen und zischte mit seinen kleinen, messerscharfen Zähnen in meine Richtung. Die gelben Augen verzogen sich zu bösartigen Schlitzen, bevor es krallenschabend wieder in der Dunkelheit verschwand. Oje, das würde meinem Vater gar nicht gefallen. Die Biester waren schlimmer als jede Rattenplage und sie konnten mit ihren Zähnen selbst Aufzugskabel durchbeißen, sodass es ihretwegen immer wieder zu schrecklichen Abstürzen kam. Man brauchte Tonnen an Schädlingsbekämpfungsgift, um die Pixies in Schach zu halten. Dort, wo man einen sah, waren meistens tausende andere in den hohlen Wänden oder dahinter versteckt. Misstrauisch musterte ich den Boden, suchte nach weiteren mordlüsternen Nagetieren, aber der Gang war leer. Ich trat aus dem Fahrstuhl. Die Türen knallten hinter mir zu und nahmen damit auch noch den letzten Rest Helligkeit mit sich. Es rappelte. Der Boden bebte leicht, ließ mich wanken, bevor der Aufzug genauso schnell wieder verschwand, wie er gekommen war. Ich blinzelte angestrengt und begann mir vorsichtig einen Weg nach vorne zu bahnen. Ich war so oft in Downtown unterwegs, dass die Höllenhunde meines Vaters mich nicht einmal mehr schützend begleiten mussten. Ich wusste, wohin mein Weg mich führte. Vor mir lag ein langer, kalter Schacht, von dessen Decke es immer wieder ekelhaft tropfte. Von überall und gleichzeitig nirgendwo hallten gequälte Schreie durch das Mauerwerk. Der Boden war nass und bei jedem Schritt schmatzte es leise. Das Scharren der kleinen Pixie-Krallen war unüberhörbar. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Wenn man vor Dunkelheit, Schimmel, Platzmangel, Pixies oder dem Verlust von WLAN Angst hatte, starb man hier unten tausend Tode. Was natürlich auch der Sinn der Sache war. Mit Hölle und so. Wenn man jedoch so oft wie ich hier unten war, wusste man, dass es nur zehn Meter weiter einen Lichtschalter gab. Auch das ständige Tropfen und gequälte Geschrei, das in der Dunkelheit nachhallte, war wirklich nichts, vor dem man sich fürchten musste. Theoretisch. Hier unten lagen zwar Folterkammern, diese wurden jedoch nur noch selten benutzt. Dafür befanden sich hier aber auch die Sanitäranlagen der Angestellten. Das benötigte Wasser für die Toiletten wurde aus dem Styx, dem See der verdammten Seelen, abgepumpt, sodass man mitsamt Klowasser und Inhalt auch gleichzeitig Dutzende verstorbene Seelen hinunterspülte. Das Stöhnen und Schreien war lediglich ein schwacher Protest vor dem Angepinkelt-und-runtergespült-Werden. Okay, es scharrte wieder. Etwas zwickte mich fest ins Bein. Ich sprang einen gefühlten Meter nach oben und kreischte erschrocken. Ein Pixie lachte gackernd. Fluchend rieb ich mir das Bein und warf dem Vieh einen bitterbösen Blick zu, was dieses nur irre Kichern ließ. Bei den Göttern! Diese Dinger waren so was von durchgeknallt! Na toll.

Jetzt hatte ich doch Schiss. Ich brauchte Licht, sonst würde ich hier unten noch als Pixie-Dessert enden.

Schimpfend humpelte ich an den Wänden entlang, wo ich tatsächlich die kalte Klinke fand. Eine Tür. Ich richtete mich auf und tastete mich weiter, fuhr in etwas Glitschiges – Ahhh! O Gott! Hoffentlich kein Trollrotz! – und fand schließlich den Lichtschalter. Mit dem Ellbogen drückte ich drauf. Es klickte leise und … nichts. Stirnrunzelnd versuchte ich es erneut. Wieder nichts. Ein Wasserrinnsal tropfte mir über den Nacken. Ich konnte die Seelen über mir stöhnen hören, gefolgt von einem lauten Spülgeräusch.

»Was zum …?« Murrend drückte ich den Schalter ein drittes Mal. Doch es blieb ebenso stockdunkel wie zuvor. Fluchend lehnte ich mich gegen die Tür. Nicht schon wieder! Die Stromversorgung in der Hölle war einfach grauenhaft. Meist wurden die Leitungen von flüchtenden Pixies angeknabbert. Jetzt musste ich meinen Weg zu den Folterkammern im Dunkeln zurücklegen. Ganz toll. Wunderbar! Genervt stützte ich mich an der Wand ab und überlegte. Die Spülung hatte mich daran erinnert, dass ich eigentlich schon seit dem Mittagessen aufs Klo musste. In meinem Stress, den Termin im Olymp nicht zu verpassen, hatte ich es einfach ignoriert. Jetzt aber musste ich wirklich, wirklich dringend. Zu meinem Glück befand sich hinter dieser Tür eine der Toiletten. Zumindest, wenn sie in den letzten Tagen nicht zu einem Abstellraum oder etwas Ähnlichem umfunktioniert worden war. Hier unten wusste man nie. Vielleicht funktionierte zumindest das Licht im Inneren des Raumes. Die Sanitäranlagen wurden seit Neuestem auch mit dem Notstromgenerator versorgt, da einfach zu viele Angestellte im Dunkeln falsch gezielt hatten. Die Putzfrauen hatten sich geweigert, die ständige Schweinerei aufzuwischen. Es gab erste Streiks, bis sich am Ende sogar die Verdi – verdammte Dienstleistungsgewerkschaft – eingeschaltet und Hades die Verantwortliche entweder beschwichtigt oder an den Daumen aufgehängt hatte. Meine Chancen standen also nicht schlecht. Einen Versuch war es zumindest wert. Blinzelnd tastete ich wieder nach der Klinke, fand sie und drückte. Die Tür schwang problemlos auf. Ich streckte den Kopf hinein und musste augenblicklich würgen. Ein strenger Geruch nach künstlicher Zitrone, Urin und schwarzer Magie schlug mir entgegen. Ich rümpfte die Nase und hatte überhaupt keine Lust mehr, in diese Stinkhöhle hineinzugehen, aber meine Blase hatte inzwischen so sehr ihre liebe Not, dass ich todesmutig in die Toilette hineinpolterte. Sofort scharrten kleine Pixie-Krallen am Holz und haarsträubendes Lachen erklang. Schnaubend trat ich dagegen. Die Pixies quietschten erschrocken und rannten davon. Sehr schön. Jetzt musste ich nur noch den Lichtschalter finden. Die Beine zusammenkneifend, fuhr ich mit den Händen über die gesprungenen Fliesen hinweg und drückte den Schalter. Schummrig grünes Notlicht leuchtete auf. Ich blinzelte und fluchte. »Scheiße, was soll denn das sein?« Hier drinnen sah es aus, als hätte sich ein Troll die Seele aus dem Leib gewürgt und sich anschließend noch ein paarmal kräftig darin gewälzt. Unter meinen Schuhen klebte es schmatzend, als ich mich vorsichtig der Kloschüssel näherte. Das Ding sah aus, als hätte eine gigantische Schnecke ihr Geschäft darauf verrichtet. In der Schüssel blubberte es. Quiekend sprang ich zurück und wäre beinahe auf der Sauerei am Boden ausgerutscht. Vor lauter Ekel schüttelte es mich. Nie im Leben würde ich hier pinkeln können. In der Schüssel brodelte es erneut. Es klang beinahe wie ein Hilfeschrei. Misstrauisch linste ich noch einmal hinein und sah unter all dem Schleim etwas zappeln. Eine Seele! O mein Gott, die arme.

 

»Hey? Alles gut da drin?«, fragte ich zaghaft. Die Seele begann panisch zu flimmern. »Klar, blöde Frage. Soll ich dich da rausholen?« Die Seele zappelte heftiger. Der grüne Schleim schlug Blasen. Ein unglaublich schrecklicher Geruch stieg dabei nach oben. Es ätzte mir praktisch die Nasenhaare weg. Ich unterdrückte ein Würgen und suchte hektisch nach der Klobürste. Nie im Leben würde ich da mit der Hand reingreifen. Ich fand das Ding unter einer so dicken Schleimschicht, dass ich tatsächlich dankbar für meine Handschuhe war, die ich ständig anhatte. Mit spitzen Fingern hob ich den Stiel, versuchte, den Modder abzuwedeln, und gab es sofort wieder auf. Das Zeug klebte wie Kleister. Die Seele zappelte inzwischen so heftig, dass es in der Schüssel wie in einem versifften Whirlpool brodelte.

»Okay. Okay. Halt mal still, ich hole dich raus!«, wies ich sie an und stocherte im Matsch herum. Sofort schossen zwei leuchtend blaue Tentakel hervor und krallten sich verzweifelt in die Bürste. Ich zog und war erstaunt, wie schwer die Seele war. Seelen, die schon lange verstorben waren, verloren mit der Zeit ihre Form. Am Anfang ähnelten sie zwar noch ihrem körperlichem Ich, doch nach ein paar Jahrzehnten glichen sie eher leuchtenden Kugeln mit kleinen Tentakelchen. Diese hier war eine ebensolche, mit glitschigen Ärmchen. Eine von der schweren Sorte noch dazu. »Hoppla.« Beinahe rutschte mir der Stiel aus der Hand. Schnell nahm ich auch die zweite Hand zu Hilfe und zog weiter. Die Seele zappelte, zog sich hoch und schoss so blitzartig aus der Schüssel hervor, dass ich erschrocken nach hinten stolperte. Die Bürste flog in hohem Bogen durch den Raum, während die Seele wie ein großer und wabbeliger Tintenfisch auf mir landete. »Ahhh!«, jaulte ich erschrocken auf, als mich ein heftiger Stromschlag traf. Die Seele war warm, beinahe heiß, und ihr Körper war so durchscheinend wie der einer Qualle. In ihrem Inneren zuckten bunte Lichter wie Blitze umher. So eine hatte ich tatsächlich noch nie gesehen. Sie war viel zu groß und dann auch noch so frech, mich nach dieser Rettungsaktion anzuzischen. Das Ding verpasste mir prompt einen weiteren schmerzhaften Stromschlag.

»Na warte, du kleines Biest!« Fluchend stürzte ich mich auf sie, doch sie schoss wie ein Flummi in die Luft und noch während ich sie zu packen versuchte, versetzte sie mir einen weiteren kräftigen Stromstoß, der mich gegen das schleimige Waschbecken stieß. Es krachte, Splitter flogen in alle Richtungen und ich starrte verdutzt auf ein faustgroßes Loch mitten in der Tür. Ein paar Pressholzspäne fielen zu Boden. »Scheiße!« Ich riss die Tür auf und sah, wie die Seele praktisch Fahnenflucht beging. Das schwache grüne Notlicht war hell genug, dass ich gerade noch erkennen konnte, wie sie sich in einen Abwasserrost quetschte und mit einem nassen Ploppen im Kanal verschwand. Ich hechtete hinterher, spähte durch das rostige Gitter, von dem ein paar grüne Schleimspuren hinabtropften. Wasser floss als dunkler Strom entlang. Der leicht säuerliche Geruch des Styx schlug mir entgegen. Dutzende Seelen paddelten darin herum. Manche von ihnen waren schon so weit fermentiert, dass sie nur noch als lose Schliere zu erkennen waren. Andere hingegen waren noch recht kompakt, sodass sich Gesichter und Ansätze von Gliedmaßen abzeichneten. Die von eben war jedoch nicht darunter. Sie war weg und ließ mich ziemlich schleimig zurück. Wahnsinn.

Eine Weile guckte ich noch verdattert den Gully hinab, hörte das Gluckern des Styx unter mir und das Stöhnen der Vorbeitreibenden. Was war das denn gewesen? Die feuchte Kälte des Flurs kroch mir langsam in die durchlässigen Schuhe. Fröstelnd wischte ich mir die Hände an der Wand ab, versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, wie dringend ich inzwischen aufs Klo musste, und wich ein paar tollkühnen Pixies aus, die mir kreischend das Hosenbein hochkrabbeln wollten. Ich trat ihnen auf die kleinen Füßchen, bis sie jaulend das Weite suchten. Langsam ging ich weiter durch den schnurgeraden Tunnel. Als Kind hatte ich hier mit Kreide viereckige Flächen auf den Boden gemalt und darauf Himmel und Hölle gespielt. Inzwischen waren die Farbspuren von den vielen Füßen und der Nässe kaum mehr zu sehen. Außerdem verloren Hüpfspiele ein wenig von ihrem Reiz, sobald man einen Sport-BH tragen musste. Lustlos schlenderte ich durch den Tunnel, duckte mich unter ein paar zischenden Rohren hindurch und hörte mein Ziel, noch bevor es überhaupt in Sicht kam.

Das Knallen einer Peitsche mischte sich mit dem Geschrei eines Mannes, der eindeutig keinen Spaß zu haben schien. Der Geruch von feuchtem Schimmel löste sich abwechselnd mit dem von verbranntem Fleisch ab, als ich mich Schritt für Schritt weiter durch den engen Flur tastete. Bis sich die Dunkelheit langsam lichtete und den Anblick auf ein Paar wuchtige eiserne Flügeltüren preisgab. Beide standen sperr­angelweit offen. Über ihnen war ein blinkendes rotes Neonschild mit den Worten Herzlich willkommen in der Verdammnis! angebracht. Höllenfeuer zuckte aus den Türen hervor und beleuchtete eine bereits wartende Schlange von Menschen, Olympiern und Abaddoner, die in etwa genauso begeistert aussahen, hier unten zu sein, wie ich mich fühlte. Ein jeder kam aus einer anderen Richtung. Verschiedene Tunnel, die sich wie Flussarme zu einem einzigen großen Flusslauf vor den Höllentoren zusammenschlossen. Manche Menschen waren alleine. Die Augen vor Angst weit aufgerissen, die Gesichter bleich. Andere wurden in ganzen Gruppen von schattenhaften Höllenhunden an Ketten nach vorne geschleift. Mit jedem Schritt wurde das Gewinsel der Gefolterten lauter. Der Geruch nach Urin, Angstschweiß, Blut und Eiter mischte sich mit dem vom paradiesischen Kokostraum. An den Türen hingen überall diese künstlich riechenden Tannenbäumchen, die den Gestank der Kerker ein wenig verbessern sollten. Eigentlich hatte die Gewerkschaft Lufterfrischer gefordert. Meinem Vater war der Kragen dann allerdings geplatzt, weshalb er die Gewerkschaftsführer für ein paar Tage an den Daumen hat aufhängen lassen. Also gab es jetzt Dufttannenbäumchen. Auch nett, wie ich fand. Unauffällig mischte ich mich in die Schlange der unglücklich Verdammten und schielte auf die Armbanduhr des Mannes vor mir. Eine blutbespritzte Rolex. Sehr teuer. Aber verdammt! Wenn die Uhr hier unten richtig ging, war es bereits halb vier. Damit hatte ich meinen Termin im Olymp mehr als verpasst. Niedergeschlagen folgte ich der Menge durch die dunklen Türen, wobei sich der Rolex-Armband-Typ vor mir prompt in die Hose pinkelte, als ein kahlköpfiger Troll ihm ein glühendes Eisen gegen den Handrücken presste. Sein heiserer Schrei schraubte sich in gellende Tonlagen. Ach ja, die Anfänger. Man erkannte immer, wenn jemand zum ersten Mal hier unten war.

»Nicht aufgeben. Es wird besser«, versicherte ich dem Typen, der ohne viel Federlesen die Augen in den Höhlen verdrehte und in Ohnmacht fiel. Oha. Eine Dramaqueen also auch noch. Knurrend stieß der Troll den ohnmächtigen Mann in den Raum hinter sich, wo er ein paar der umstehenden Menschen umkegelte.

»Hey, Teddy! Na, alles klar?«, grüßte ich den zwei Meter großen Troll, dessen Haut grünlich schimmerte. Seine Pranken mit den gelben Nägeln packten das Brenneisen fester, als er zustimmend grunzte. Zu mehr Konversation war der Arme nicht fähig. Sein Wortschatz reichte von grunz bis grunz-grunz. Alles andere überstieg seinen Horizont. Für einen kurzen Plausch reichte es aber allemal.

»Ich habe gehört, du wurdest zum zweiten Folterknecht befördert. Gratuliere!«, plauderte ich munter weiter und schob den Ärmel meiner schwarzen Jacke ein Stückchen nach oben, sodass ein schmaler Spalt Haut zwischen dem Ärmelstoff und den Handschuhen sichtbar wurde. Dort prangte eine tätowierte Nummer, meine lautete: 30013 A/H. Jedes Gottkind bekam nach der Geburt ein solches Zeichen auf den Arm tätowiert. Im Klartext: Ich war Gottkind Nummer 30013 auf dieser Welt. A stand dabei für meine Mutter, Aphrodite. H für Hades, meinen Vater.