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Czytaj książkę: «Das Naturforscherschiff»

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Erstes Kapitel

Die »Hammonia« und das Haus Gottfried. Palma. Ins Innere. Der Lamantin. Das Negerdorf und der Zauberer. Der Fledermausbau. Der Heerwurm. Zibetkatzen und Pythonschlange. Die Gallinas. Elefantenjagd. Waldbrand. Franz unter den Gallinas. Die Rettung. Die Bestrafung des Zauberers. Wieder an Bord. Erste Präparierübung.

Vor der Barre der afrikanischen Handelsstadt Lagos am Meerbusen von Guinea lag auf den blauen Fluten des Atlantischen Meeres ein stattlicher Schraubendampfer, von dessen Topp die rotweiße Hamburgische Flagge lustig im Morgenwind flatterte. Am Heck stand mit großen goldenen Buchstaben der Name »Hammonia«, das ganze Schiff war neu, vor nicht viel mehr als etwa vier Monaten daheim in der freien Reichsstadt erst vom Stapel gelaufen und für diese seine Reise um die halbe Erdkugel auf der Werft des Hauses Gottfried am Reiherstieg eigens erbaut worden.

An Bord befanden sich die beiden Söhne des Reeders mit ihrem Erzieher, dem würdigen Doktor Bolten und dem jungen Doktor Holm, einem Vetter der Knaben, zugleich dem naturwissenschaftlichen Lehrer und Führer der kleinen Expedition, die nicht allein das geheimnisvolle Innere Afrikas, sondern auch die Sundainseln, Australien und die Perlen des Großen Ozeans besuchen sollte, und deren Zweck mehr in wissenschaftlichen als kaufmännischen Erfolgen bestand.

Das Haus Gottfried ist eine der größten und unternehmendsten Handelsfirmen Hamburgs. Wenn eins unserer jetzigen großen Kaufmannshäuser an die Handelsfürsten der ehemaligen Reichsstädte des Mittelalters erinnert, an die Fugger und Welser von Augsburg, die Krafft von Ulm, so tut es dieses. Nicht allein daß seine auf eigenen Werften erbauten Schiffe alle Meere durchpflügen, daß seine Wechsel auf allen Kontoren in den Hafenstädten der fünf Erdteile so gut gelten wie bares Geld, es gleicht besonders darin dem mächtigen Hause der weiland Welser, welche damals das heutige Venezuela mit eigenen Feldhauptleuten und Truppen besetzen und kolonisieren ließen, daß es auch seinerseits und zwar auf einer Inselgruppe des Stillen Ozeans sich eine Herrschaft geschaffen hat, die einem Königreiche gleichkommt.

Aus diesem Gottfriedschen Handelsreiche holen die Schiffe des Hauses die Landesprodukte, hierhin bringen sie wieder zum Austausch europäische Waren. Aber nicht bloß dem Gewinn dienen die großartigen Unternehmungen und Verbindungen des Hauses Gottfried, auch der Wissenschaft kommen sie zu gute, für welche der Handelsherr offenen Blick und offene Hand hat. Das »Museum Gottfried« ist Zeuge davon. In ihm findet sich vereinigt, was Forscher und Gelehrte im Auftrage des Prinzipals auf der Inselwelt der Südsee gefunden haben. Seine Schiffe führen junge Gelehrte mit, welche die Tierwelt der Tiefsee und des Landes, die Flora des Meeres und des Innern, die Rassen und Gebräuche der Einwohner erforschen, und kostbare Werke mit prachtvollen Abbildungen berichten von den Schätzen des Museums Gottfried.

Dem jüngeren Sohne des weltbekannten hamburgischen Reeders war von den Ärzten eine Luftveränderung, namentlich ein Aufenthalt in tropischen Klimaten verordnet; Herr Gottfried bestimmte daher sein neuerbautes Schiff, die Hammonia, zur Reise nach den Südseeinseln und gestattete, daß dem langgehegten Wunsche des ältesten Knaben, einen wissenschaftlichen Ausflug ins Innere von Afrika zu machen, bei dieser Gelegenheit unerwartete Erfüllung zu teil wurde. Franz bezeigte bis jetzt für das Stillleben hinter dem Kontorpulte nur außerordentlich geringe Neigung, er schien mit seinem Wandertrieb und seiner regen Teilnahme für alle naturwissenschaftlichen Entdeckungen zum Kaufmann nicht so recht geschaffen; der Vater beschloß daher, ihn die Welt jenseits des Ozeans und jenseits europäischer Kultur durch eigene Anschauung kennen lernen zu lassen und dann erst über seine fernere Zukunft zu entscheiden; für diese Reise waren zwei bis drittehalb Jahre bestimmt und den beiden Knaben nicht allein zuverlässige Begleiter, sondern auch an die geachtetsten Handelshäuser aller Häfen schon vorausgesandte Empfehlungen mitgegeben, so daß nach menschlichen Kräften überall bestens gesorgt schien und das Unternehmen die schönsten Früchte versprach.

Auf Madeira war die Hammonia nach zwölftägiger Fahrt angelangt; hier wurden die jungen Leute einstweilen abgesetzt, und während der Dampfer aus Rio eine Ladung Reis holte, vollendete Hans, der zweite Sohn des Reeders, eine vom vortrefflichsten Erfolg begleitete Kur, die ihn so glücklich genesen ließ, daß schon jetzt im Beginn der Weiterreise fast alle Spuren des schleichenden wie eine Art von beginnendem Brustleiden aufgetretenen Fiebers beseitigt waren.

Die Hammonia war inzwischen von Rio zurückgekehrt, hatte die Gesellschaft an Bord genommen, und nach einem dankbaren Abschiede von dem schönen Madeira trat das wackere Schiff die Fahrt nach Lagos an, wo wir unsere Freunde soeben wohl und munter angekommen fanden.

An Bord herrschte Lust und Leben, alles freute sich des wundervollen, wolkenlosen Himmels und der balsamischen Luft, deren Durchsichtigkeit die Stadtbewohner früher auch nicht einmal geahnt, viel weniger für möglich gehalten hätten. Während der Dampfer mittels kleiner Schleppschiffe, die allein über das Riff vor dem Hafen den Weg finden, seine Ladung löschte, wurde das große Boot herabgelassen und für die Fahrt nach dem einige Seemeilen entfernten kleinen Örtchen Palma mit Proviant und Munition hinreichend versehen. Das Wetter gestattete diese Fahrt längs der Küste, und so hatten sich denn sämtliche Teilnehmer der Reise, ganz afrikanisch gekleidet, aufgemacht, um voll Erwartung kommender Abenteuer den sechs Matrosen nachzuklettern.

Der alte Doktor ging voran. Er war ein sehr rüstiger, wohlerhaltener Fünfziger mit ebenso milden als intelligenten Zügen, von Kopf bis zu den Füßen gleich den übrigen bewaffnet und vielleicht zum erstenmal seit seinen Knabenjahren in weißes Leinen gehüllt. Jeden Augenblick ermahnte er die jungen Leute zur Vorsicht, ohne indessen viel Gehör zu finden; die lustige Schar sprang und kletterte ihm nach, ehe seine Worte von allen verstanden worden waren.

Auf den Köpfen die breitrandigen Strohhüte mit herabflatterndem leinenen Schirm zum Schutz des Nackens, im Gürtel die breiten dolchartigen Messer und am Riemen über der Schulter die Botanisierkapseln nebst Fangnetz, so präsentierten sich der sechsundzwanzigjährige Karl Holm, und die beiden Brüder Gottfried, Franz von sechzehn, Hans von vierzehn Jahren, hübsche schlanke Knaben, auf deren jugendlichen Gesichtern die wärmere Sonne des Südens schon anfing, ihren Einfluß zur Geltung zu bringen. Außer diesen vier Hauptpersonen und den Matrosen befand sich im Boote noch ein Kommis der in Lagos ansässigen Zweigniederlassung des hamburgischen Handelshauses Geiser und Kopp, von seinen Prinzipalen den Söhnen des befreundeten Reeders als Dolmetscher beigegeben, ein junger Hamburger, den die Knaben persönlich kannten und der mit Land und Leuten durch längeren Aufenthalt vollkommen vertraut geworden war.

Vom Bord grüßen der Kapitän und Papa Witt, der Obersteuermann, ein alter Freund der Brüder, die er schon als ganz kleine Kinder gekannt und denen er jahraus jahrein von seinen Reisen die schönsten ausländischen Seltenheiten mitgebracht hatte. Wenn er zu Hause war, dann gab es gewiß für die Jungen an Sonntagnachmittagen ein Jagdvergnügen auf den kleinen umbuschten Elbinseln, eine Erzählung von fremden, geheimnisvollen Gegenden, der sie mit atemlosem Interesse horchten, oder einen Besuch in seiner Kajütte, wo dann aus Kisten und Kasten die verlockendsten Spielereien hervorkamen, genug, der Alte, selbst unverheiratet und im Dienste des Gottfriedschen Hauses ergraut, hatte seine ganze Zuneigung den beiden Knaben geschenkt, daher sah er ihnen auch jetzt so wohlgefällig nach und schwenkte den Strohhut, als die Matrosen ihre Ruder einlegten.

»Hübsch langsam!« ermahnte er zum zehntenmal und mit dem ganzen Abscheu des Seemanns vor Fußwanderungen. »Nichts übereilt, ihr habt Zeit genug.«

Der Kapitän nickte lächelnd. »Hofft nur von dem Anblick der Küste nicht zu viel Schönes,« warnte er. »Das meiste ist Busch!«

Ein Grüßen herüber und hinüber, ein Hurra der Matrosen auf dem Dampfer, und die wissenschaftliche Expedition hatte in aller Form begonnen. Bisher war man nur in den Häfen zivilisierter Völker gewesen oder schwamm in bequemer, ja eleganter Kajütte über das Meer, hier aber, hinter der Ansiedelung Palma, in dem kleinen Dorfe L‘epée, entfaltete sich das geheimnisvolle, unbekannte Naturleben der Neger, hier wohnten die Schwarzen, unbeeinflußt von Kultur und Sitte, ganz wie seit Anbeginn der Schöpfung, eben darum aber das Sehenswerteste, Interessanteste, was es für die jungen abenteuerlustigen Reisenden überhaupt geben konnte.

Die Knaben sahen immer wieder nach ihren Gewehren. Sollte sich denn nicht bald am Strande irgend ein »wildes Tier« erspähen lassen, und wäre es auch nur ein ganz bescheidener Vogel oder eine Fledermaus?

Aber nichts dergleichen zeigte sich. Bis nach Palma hin erglänzte die baumlose sandige Küste in unangenehm blendendem Weiß, nur verkrüppeltes Buschwerk reckte seine niederen Äste, und ohne Weg oder Steg erhob sich steil abfallend das wüste Gestade.

Doktor Bolten sah durch die Brille. »Wahrhaftig,« sagte er, »auf den ersten Anblick hin erscheint Afrika äußerst häßlich.«

»Das ist die Küste beinahe überall,« antwortete der junge Kaufmann. »Erst etwa eine halbe Stunde von der See entfernt beginnt die eigentliche tropische Vegetation. Hier herum lebt auch außer den Strandvögeln kein Tier.«

Auf eine Jagdbeute vom Boot aus war also nicht zu hoffen, und erst als das kleine Palma erreicht wurde, sahen unsere Freunde in ziemlicher Entfernung bewaldete Höhenzüge. Hier standen zwei oder drei steinerne wie Speicher erscheinende Gebäude, zwischen denen sich Negerhütten vereinzelt erhoben und wo auch mehrere schwarze Gesichter den Reisenden begegneten, obwohl doch kein eigentliches Dorf vorhanden war. Das Negerreich L‘epée lag hinter einem breiten, mit geringem Pflanzenwuchs bestandenen Landstrich, dahin ging es in Begleitung von mehreren als Gepäckträger gemieteten Krunegern ohne Aufenthalt vorwärts.

Mit jeder Viertelstunde wurde die Gegend hübscher und die Vegetation üppiger. Hier flog ein bunter, farbenprangender Schmetterling, dort blühten nie gesehene Blumen oder reiften Früchte an saftigen Stielen, so daß die Knaben voll Entzücken bald hierhin, bald dorthin sprangen.

»Langsam! langsam!« ermahnte Doktor Bolten, »jede Anstrengung kann für den Weißen in diesem Klima tödlich werden. Der Weg ist ohnehin beschwerlich genug!«

Und das war er wirklich. Die Luftwurzeln der Bäume erstreckten sich in mächtigem Umfang Hunderte von Schritten weit in die Umgebung hinaus, Rankengewächse flochten grüne, hängende Mauern, und Sumpfstellen nötigten oft zu weiten, zeitraubenden Bogen.

Man wollte eine breite Lagune erreichen, sich dort übersetzen lassen und dann jenseits des Wassers das Negerdorf besuchen. Als nach vieler Mühe der Rand des Gewässers sichtbar wurde, fand sich auf den Fluten desselben ein äußerst reges Treiben. Einige zwanzig bis dreißig Rindenkähne mit Balancierstangen, aber ohne Mast oder Segel, voll von schwarzen Gestalten, strebten sämtlich dem Mittelpunkt der Lagune zu, und vom anderen Ufer her kamen immer noch mehr nach. Kaum gelang es dem Dolmetscher, durch wiederholte Zurufe endlich einen der Schiffer zur Umkehr zu bewegen und ihn an das Land zu locken. Erst nachdem der Schwarze Geld gesehen, ruderte er schnellstens herbei, trieb aber mit rückwärts gewandten Blick fortwährend zur Eile und ermahnte seine Genossen, durch verdoppelte Arbeit die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Die vier Kruneger warfen das Gepäck ins Boot, nahmen ohne weiteres ihr einziges Kleidungsstück, einen Streifen Baumwollenzeug, von den Hüften, banden ihn um die Köpfe und schwammen wie Fische dem leichten Fahrzeug voran. Es war, als sei die ganze Bevölkerung plötzlich toll geworden.

Nur ein einziges Wort rief jeder dem anderen zu: »Manati!« —

»Sie haben wahrhaftig Glück, meine Herren!« sagte der jugendliche Dolmetscher. »Es wird sich Ihnen eine äußerst interessante, sehr seltene Jagd zeigen.«

Die beiden Knaben griffen wie elektrisiert zu ihren Gewehren. »Ein Haifisch?« rief der eine, »Ein Krokodil?« der andere.

»Keines von beiden, auch darf niemand an dem Fang des Tieres teilnehmen. Tun Sie das nicht, meine Herren, es könnte uns alle in Gefahr bringen. Jetzt aber sehen Sie selbst!«

Ganz in der Nähe erschien jetzt ein Boot, in welchem drei Männer Platz genommen hatten, zwei gewöhnliche Neger und ein dritter von eben so komischem als abscheulichem Aussehen. Die nackten Glieder waren wie das Gesicht mit feuerroter, dick aufgepinselter Farbe so bemalt, daß Flammen und Zacken, Tierköpfe und geringelte Schlangen überall die schwarze Haut zu bedecken schienen; das Haar hatte dieser Mann durch hineingeflochtene Massen von Pflanzenfasern zu einem nach allen Seiten weit abstehenden, den Kopf ellenbreit umgebenden Wulst gestaltet und die Zähne spitz gefeilt. Um Hals und Handgelenke, aus dem Haar, an den Füßen und vom Gürtel starrten die Posen des Stachelschweines, Federn von allen Farben flatterten im Winde und ganze Gehänge von Muscheln klapperten und rasselten bei jeder Bewegung. In der Hand trug der Neger eine Büchse aus Bambus. Seine beiden Begleiter hatten außer den Rudern noch starke eiserne Harpunen.

»Das ist der Zauberer des Stammes,« erläuterte der Dolmetscher. »Er spielt den Oberpriester im Schlangentempel, den Arzt und nicht selten auch den unmittelbaren Botschafter der Götter, letzteres besonders, wenn auf Befehl derselben dieser oder jener Neger gemaßregelt werden soll. Mit einem Wort, er ist der König des Königs.«

»Aber wo bleibt das Wild?« rief Franz. »Ich sehe nur Wasser und Menschen.«

»Gleich, gleich,« beruhigte lächelnd der junge Kaufmann. »Wenn ich es Ihnen erzähle, so ist ja der Spaß verdorben.«

Die Negerboote hatten jetzt einen Kreis gebildet, und in der Mitte befand sich das Fahrzeug des Zauberers. Unsere Freunde sahen aus nächster Nähe, was vorging. Der rotbemalte Neger nahm vom Boden des Kahnes eine große Muschel und begann nach der ohrenzerreißenden, von ihm selbst vollführten Musik dieses wunderlichen Instrumentes einen Tanz, wobei er sich wie rasend auf einem Beine drehte. Die Zieraten rasselten, die Federn flogen und die Spitzen der Posen glänzten im Sonnenlicht wie feurige Reifen, die von allen Seiten den Körper umgaben. Unter den Negern herrschte lautlose Stille.

»Es muß doch ein Krokodil sein,« raunte Franz, den die Ungeduld fast verzehrte.

»Das hier ist ja alles süßes Wasser, also —«

»Ach, was tut der Spitzbube jetzt?«

Alle Hälse reckten sich. Der Zauberer hatte Musik und Tanz beendet und nahm nunmehr aus seiner Bambusdose ein Pulver, das er unter fortwährendem Murmeln neben dem Boot ins Wasser streute. Die beiden ihn begleitenden Neger hatten ihre Harpunen handgerecht erfaßt.

»Jetzt geben Sie acht!« flüsterte der Dolmetscher.

Das stille Wasser begann sich zu kräuseln, leichte Schaumwellen schlugen gegen den Kahn, und vom Grunde herauf leckte eine breite, rote Zunge begierig das Pulver. In diesem Augenblick schüttete der Zauberer den ganzen Inhalt der Büchse aus, und sofort kam ein plumper, schwarzer Kopf mit kleinen Schlitzaugen zum Vorschein. Das Tier stürzte sich, alle Vorsicht vergessend, auf den ihm gespendeten Leckerbissen und schluckte aus allen Kräften; eben so schnell aber hatten auch die Neger ihre Harpunen gehandhabt. Die langen Holzschäfte zitterten und verschwanden ruckartig unter der Oberfläche; das Wasser, dunkelrot gefärbt, schlug hohe Wellen, und von den im Boot befestigten Rollen liefen rauschend die starken Bastseile in die Tiefe hinab.

Ein rasender Beifallssturm ertönte jetzt von allen Booten. Die Neger klatschten in die Hände, trampelten mit den Füßen, jauchzten und schrieen um die Wette. Von allen Seiten stürzten sich schwarze Gestalten in das Wasser und tauchten wie Enten, um die Todeszuckungen des erlegten Tieres zu beobachten; ein lauter Zuruf begrüßte die Spitzen der wiedererscheinenden Harpunen. Nun war das Wild tot und konnte ans Land geschafft und verzehrt werden.

Zehn Hände befestigten unter der Oberfläche des Wassers Schlingen von Bast; der Zauberer saß wieder in seiner früheren unbeweglichen Ruhe, und unter allgemeiner Fröhlichkeit ruderte man dem Dorfe zu.

Das gefangene Tier glitt schwimmend durch die Fluten. Als es an das Ufer gezogen wurde, zeigte sich ein sonderbarer, nur wenigen Gattungen eigener Körperbau. Bei einer Länge von vier Metern und einem Durchmesser von mehr als einem halben Meter war es beinahe zwei Meter breit und spindelförmig gestaltet. Der ungeheure Körper fand sich mit einzelnen straffen Borsten besetzt und war bläulich grau, auf dem Rücken fast schwarz.

»Ein Lamantin!« rief Holm, »nun erkläre ich mir diese allgemeine Jagdfreude. Die Tierart ist fast ausgestorben; wir können uns Glück wünschen, noch ein Exemplar gesehen zu haben.«

Die vier treulos gewordenen Kruneger fanden sich jetzt auch wieder vor, das Gepäck wurde ans Land geschafft, und nun konnte man nach Herzenslust ein echtes, wirkliches Negerdorf in Augenschein nehmen. Vorher aber beobachteten die Reisenden, wie das getötete Tier in aller Eile seiner Haut entkleidet und ausgenommen ward. Nachdem das geschehen, drängten sich die Neger schnatternd und schreiend, nicht selten sogar unter Anwendung von Faustschlägen scharenweise herzu, und nach ganz kurzer Zeit lag an der Schlachtstelle nur noch das blutige Gerippe; alles Fleisch dagegen kochte in eisernen, auf drei oder vier zusammengelegten Steinen stehenden Töpfen, und um die fortgeworfenen Eingeweide balgten sich zahlreiche Hunde.

Unsere Freunde wurden in aller Form bewillkommnet. Der alte König, dem schon mehr als ein weißer Reisender vorgestellt sein mochte, empfing sie sitzend mit der ganzen Würde seiner nackten, nur von einem schmalen Lendenschurz verhüllten Persönlichkeit. Er stellte in schwerfälliger Rede das Dorf mit allem, was darin war, den Gästen zur Verfügung und bat sie, jede Hütte als ihr Eigentum zu betrachten. Beim Abschied fragte er aber etwas verstimmt, ob man ihm denn nichts mitgebracht habe. – Und nun kamen die Geschenke zum Vorschein; die Fremden hatten sie nur des Spaßes halber versteckt, um zu sehen, wie weit die königliche Selbstverleugnung gehen würde. Spiegel und Scheren, Metallknöpfe und brennend roter Kattun wanderten in die unersättlichen Hände der schwarzen Majestät, Kopf an Kopf standen im Kreise die Dorfbewohner und schnalzten mit den Zungen oder schlugen sich vor Entzücken auf die Brust, wenn wieder ein neuer glänzender Tand ausgepackt wurde, aber ihr Herr und Gebieter teilte mit keinem, sondern knurrte wie ein angeketteter Vierfüßler, sobald sich nur seine Frauen oder Kinder begehrlich näherten. Als er endlich den letzten Gegenstand hinter sich verborgen, streckte er die Hand aus und bat auch noch um Doktor Boltens Uhrkette. Nachdem ihm aber der Besitzer derselben die daran befindliche Uhr gezeigt und diese an das königliche Ohr gehalten hatte, da veränderte sich die Sache plötzlich. Seine Majestät mochte höchstwahrscheinlich einen solchen lebenden Fetisch früher schon gelegentlich einmal gesehen haben, aber weit davon war doch gut vorm Schuß. Er murmelte noch einige verworrene Laute, dann aber verschwand er hinter einer Matte, vorsichtig mit der schwarzen Hand einen seiner erbeuteten Schätze nach dem andern in das Versteck ziehend.

Unsere Freunde verteilten, nach Herzenslust lachend, draußen noch den Inhalt eines zweiten Packens an das Volk und zwar zumeist an Frauen und Kinder, die sich dafür mit den Gesichtern in den Sand warfen und durchaus den Gästen die Füße küssen wollten.

Nachdem sich der König von seinem jähen Schrecken einigermaßen erholt hatte, schickte er Abgesandte, welche die üblichen Gegengeschenke brachten, Straußfedern, Elfenbein und zum großen Ergötzen der Knaben auch zwei mit Bastseilen gefesselte, hübsche kleine Äffchen, die neugierig und beweglich umhersahen und, als ihnen versuchsweise eine Vorderhand gelöst wurde, sogleich die kräftigsten Ohrfeigen verteilten. Der Dolmetscher wollte sie nach Palma mitnehmen, zumal Holm versicherte, daß sich diese Art sehr leicht zähmen lasse. Möglicherweise konnten ja die drolligen Tiere während der ganzen Reise als unterhaltende Gesellschafter dienen; die Knaben tauften sie wenigstens zu diesem Zweck schon jetzt.

Schwarznase wurde dem älteren der beiden Brüder, Wickelschwanz dem jüngeren zugesprochen. Dieser war der drolligste. An allen vier Händen gefesselt, glaubten ihn die Knaben zur Flucht unfähig, aber ehe sie sich dessen versahen, hatte er den langen Schweif um einen herabhängenden Baumast geschlungen und blickte von dort zähnefletschend auf seine Bändiger hinab. Nach dieser schnellen Tat erhielt er seinen Namen, und da nun doch auch der andere benannt werden mußte, so hieß man ihn Schwarznase.

Der Dolmetscher hatte einen Neger, welcher geläufig Englisch sprach, an seiner Stelle als weiteren Führer gemietet, und nun nahm er selbst, beladen mit den fürstlichen Geschenken, Abschied, ohne erst den Lamantinbraten kosten zu wollen. »Essen Sie nur nicht zu viel von den schwarzen Kugeln aus Maniokmehl, die hier als Brot gelten,« warnte er, »dergleichen kann nur ein Negermagen überwinden. Und schlafen Sie unter keinen Umständen auf dem Erdboden, trinken Sie auch kein Wasser, ohne etwas Chinin hinterher zu nehmen.« Nachdem man versprochen, alle diese Anordnungen pünktlich zu befolgen, ruderten ein paar Neger den jungen Hamburger wieder über die Lagune zurück. Das Boot der »Hammonia« sollte in Palma liegen bleiben und die aus Lagos mitgebrachten Kruneger den kleinen Zug als Gepäckträger begleiten. Es war den Reisenden ein etwas seltsames Gefühl, als sie nun unter der schwarzen Horde im afrikanischen Urwalde allein blieben, aber dem ließ sich doch bei dem ganzen Unternehmen nicht aus dem Wege gehen und mußte daher überwunden werden. Überdies war auch das Verhalten der Neger ein durchaus vertrauenerweckendes, freundliches. Sie kamen von allen Seiten mit dampfenden Fleischstücken herbei, brachten das kugelförmige Maniokbrot und noch verschiedene landesübliche Gerichte außerdem, die zum Teil gar nicht schlecht schmeckten, so z.B. halbreife Maiskörner, unzerquetscht mit Fett, Pfeffer und Salz geschmort, Bataten, Melonen und ein Getränk wie Kaffee aus den Früchten der Kolanuß.

Die vier Weißen saßen auf ihren mitgebrachten Schlafdecken unter den wogenden Kronen der großen, vielgestaltigen Waldbäume, deren Arten nicht zu zählen waren, und in deren Blättergewirre die verschiedensten Vögel ihre Nester bauten. Papageien, besonders der schöne aschgraue mit purpurnen Schwanzfedern, die prachtvollen Whaidafinken, deren Schweif sechsmal so lang ist wie der Vogel selbst, Mandelkrähen mit blauem Gefieder, Bienenfresser und Halmvögel, alles rauschte und schwirrte durcheinander; dazwischen stolzierten zahme Perlhühner, und ringsum blühte es in nie gesehener Schöne.

Unsere Freunde führten natürlich Blechteller, Löffel, Messer, und Gabel mit sich, sonst hätten sie wie die Wilden das Fleisch mittels der Zähne zerreißen und es aus dem Kochtopf weg ohne Teller verzehren müssen. Der Manati schmeckte leidlich, fast wie ein feiner Schweinebraten, desto weniger aber wollten die Maniokkugeln munden. Bleischwer, noch feucht, ohne Fett oder Hefe gebacken, glichen sie rohem, festen Teig und wurden daher dankend abgelehnt. Die in Blechbüchsen von Hamburg mitgebrachten Cakes schmeckten denn doch besser.

»Warum wohl die Neger über den Lamantin so begierig herfielen?« fragte Hans. »Ein besonderer Leckerbissen ist er keineswegs?«

»Für uns,« versetzte Holm, »aber für die Neger ist alles Fleisch ein Leckerbissen. Sie betreiben keine Landwirtschaft, also gibt es auch kein Schlachtvieh. Das, was an genießbarem Wild frei herumläuft, verzehren größtenteils die Raubtiere; es bleiben den Menschen daher nur die Affen, deren zähes Fleisch einen außerordentlich schlechten Braten gibt. Bisweilen steigt die Not so sehr, daß eine schreckliche Krankheit, der Guambo oder Fleischhunger, sich der Unglücklichen bemächtigt; sie werden tiefsinnig und fallen über Tiere her, um sie roh zu verzehren. Viele Gelehrte behaupten, daß daraus die ersten Anfänge des Menschenfressens entstanden sind.«

»Findet man denn auch den Lamantin nur selten?« fragte Franz.

»Sehr selten. Die Gattung der Fischsäugetiere besitzt in der Familie der Seekühe oder Sirenen einen aussterbenden Zweig. Lamantin und Dugong werden noch zuweilen, das Borkentier gar nicht mehr angetroffen. Dieser Seeriese wurde acht Meter lang und lieferte, an den Grenzen des Eismeeres lebend, den Walfischfahrern einen so vortrefflichen, frischen Braten, daß er ausgerottet worden ist. – Dabei fällt mir übrigens ein, daß ich den Zauberer doch um ein wenig von seinem Pulver bitten will. Was bieten wir ihm nur als Tauschmittel?«

»Ein Rasiermesser!« riet Hans. »Niemand trägt hier einen Bart, daher sind alle diese Messer übrig geblieben.«

»Eine Pistole,« meinte Franz. »Dann tut er es sicher.«

»Aber er schießt vielleicht später auf uns selbst,« zögerte Holm, »alle diese schwarzen Kerle sind falsch oder wenigstens doch unzuverlässig.«

»Ich habe es!« rief Doktor Bolten. »Ein Hundehalsband aus Messingdraht mit kleinen Glocken, das kann er zur Erhöhung seines Ansehens persönlich tragen.«

Alle lachten, und nun wurde das Dorf besichtigt, um die Höhle des Zauberers zu finden. Sämtliche Bambushütten ruhten etwa einen halben Meter hoch über dem Erdboden auf Pfählen, waren spitz wie Bienenkörbe, mit Pflanzenfasern nach Art deutscher Bauernhäuser gedeckt, fensterlos und mit einer niedrigen, zum Kriechen eingerichteten Tür versehen. Eng gedrängt in ununterbrochener Reihe lagen diese elenden Wohnstätten nebeneinander und bildeten zusammen ein geschlossenes Viereck, dem kein Feind vom Rücken her sich nähern konnte.

Vor jeder Tür lagen Feldsteine zum Gebrauch als Feuerherd, und an den untersten Baumzweigen hing eine Art von aufgeklappter, einem Feigenkorb ähnlicher Matte, – die Wiege der schwarzen Säuglinge, deren lautes Geschrei erst den Reisenden das Geheimnis verriet. In den Hütten selbst waren nirgends Mobilien zu finden, nur ein Lager aus trocknen Bambusblättern und ein ausgehöhlter Kürbis, als Wassereimer dienend.

Der schwarze Dolmetscher schüttelte zweifelnd den Kopf. Er glaubte nicht, daß es gelingen werde, den Zauberer zur Herausgabe seines Mittels zu bewegen, aber er fragte nach der Hütte desselben und führte dann die Gäste dorthin. Am äußersten Ende der ganzen Reihe stand ein etwas größeres Gebäude, das nach allen Seiten offen, nur von Pfeilern getragen wurde, und dessen Dach nicht so steil herabging. Ein seitwärts belegener Anbau erwies sich als die Behausung des Zauberers, das offene Rondell aber war der Tempel. An den Wänden standen Fetische aus Holz, Elfenbein und Ton, sämtlich Tier- oder Menschenbilder in zwerghafter Form und mit der bekannten, keinem heidnischen Götzen fehlenden, scheußlichen Fratze; es waren aber auch lebende, als göttlich verehrte Wesen vorhanden und zwar Schlangen sonder Zahl. An den Wänden, um die Pfeiler geringelt, unter dem Dach, auf dem Fußboden und den nächsten Baumzweigen, überall kroch und schlüpfte es, hatte sich sogar um die Fetische geringelt oder lag zusammengerollt wie eine schleimige Masse im Winkel.

Aus der niederen Tür sah das verschmitzte Gesicht des Zauberers. Er streckte den Ankömmlingen gebieterisch die Rechte entgegen und rief ein befehlendes Wort, natürlich das Verbot, den Tempel zu betreten; das verstanden alle.

»War wahrhaftig nicht nötig!« sagte lebhaft Doktor Bolten. »Man hätte Lust, das Schlangengezücht mit dem Absatz zu zertreten.«

»Giftige sind nicht darunter,« versicherte der Dolmetscher. »Sie werden gleich sehen, daß sich die Tiere um des Zauberers ganzen Körper ringeln.«

Er rief nun den listigen Patron aus seiner Hütte hervor und sobald dieser kam, krochen ihm die Schlangen überall an den nackten Gliedern empor, legten sich um Hals und Arme, hingen in den Stacheln des Gürtels und bedeckten förmlich die schwarzen Beine, ohne dadurch den Neger aus seiner künstlich angenommenen Würde irgendwie herausschrecken zu können. Er fragte, was die Weißen von ihm verlangten, und nachdem er es erfahren, schüttelte er den Kopf. »Nein, durchaus nicht. Das Zauberpulver wollte er behalten.«

Dann aber kam das Lockmittel zum Vorschein. Franz nahm den Strohhut ab und setzte sich das Hundehalsband auf den Kopf. Die kleinen Glöckchen klangen lustig.

Der Schwarze reckte den Hals. Erst bot er Pfeffer, Palmöl und Elfenbein, als aber alles verschmäht und zugleich das begehrte Band wieder in die Tasche spediert wurde, da kroch er trotz Schlangen und rasselndem Muschelputz eilends in das Innere der Höhle und kam gleich darauf mit der Bambusdose zurück. Der Dolmetscher mußte den Tausch vermitteln, und nun wurde die niedere Tür der Wohnung auffallend schnell geschlossen. Es schien als fürchte er, daß die Weißen den Handel bereuen könnten.

Holm steckte sehr erfreut die Büchse zu sich. »Jetzt müssen wir beraten, wo unser Nachtlager aufgeschlagen werden soll,« sagte er, »hier im Dorfe oder im freien Walde. Was meint ihr dazu? Ich bin dafür, daß wir einen Ausflug machen und dann zurückkehren, um unsere Matten an diese Bäume zu hängen.«

Alle stimmten bei, und so ließ man denn einen der Neger mit dem Gepäck im Dorfe zurück, nahm nur etwas Lebensmittel und machte sich auf den Weg, tiefer und tiefer in den Urwald hinein.

»Jetzt denkt daran, eure Kapseln und Behälter zu füllen,« ermahnte Holm. »Einer sammelt Pflanzen und der andere Insekten. Die Gewehre schußfertig.«

»Aber wenn uns ein Löwe begegnet!« rief Hans, dem doch in so weiter Entfernung von der Küste etwas zaghaft zu Sinn wurde. »Dann sind wir alle verloren.«

»Löwen gibt es im äquatorialen Afrika nicht, Hänschen. Nur rechts und links von diesem mittleren Erdgürtel werden sie angetroffen, – in Sierra Leone sehen wir vielleicht späterhin den König der Tiere.«

Ograniczenie wiekowe:
12+
Data wydania na Litres:
30 sierpnia 2016
Objętość:
670 str. 1 ilustracja
Właściciel praw:
Public Domain
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