Czytaj książkę: «Für Immer mit Dir»
F Ü R I M ME R M I T D I R
(DIE PENSION IN SUNSET HARBOR—BUCH 3)
S O P H I E L O V E
Sophie Love
Sophie Love ist seit jeher ein Fan von Liebesromanen, weshalb sie sich sehr freut, ihre erste Reihe an Liebesbüchern: FÜR JETZT UND FÜR IMMER (DIE PENSION IN SUNSET HARBOR – BUCH 1) zu veröffentlichen.
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BÜCHER VON SOPHIE LOVE
DIE PENSION IN SUNSET HARBOR
FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch 1)
FÜR IMMER UND EWIG (Buch 2)
FÜR IMMER MIT DIR (Buch 3)
WENN ES DOCH NUR FÜR IMMER WÄRE (Buch 4)
EWIG UND DREI TAGE (Buch 5)
INHALT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL EINS
Emily schaute auf das wunderschöne Mädchen, das in Daniels Bett schlief. Ihr blondes Haar verteilte sich auf dem weißen Kissen. Die Ähnlichkeit zu Daniel war unverkennbar. Sie sah wie ein kleiner Engel aus.
Draußen war es dunkel und der Raum wurde nur von dem Mondlicht erhellt, das durch die Vorhänge drang und das Zimmer in ein blasses Blau tauchte. Emily hatte die Zeit komplett aus den Augen verloren und wusste nicht einmal, wie spät es war, doch von der Erschöpfung zu schließen, die ihren ganzen Körper übermannte, musste es schon bald früher Morgen sein.
Als Emily hörte, wie sich die Tür knarzend öffnete, warf sie einen Blick über ihre Schulter und sah Daniels Umrisse im Türrahmen, die von dem warmen Licht des Kamines im Kutscherhaus erleuchtet wurden. Allein schon sein Anblick ließ ihren Herzschlag aussetzen. Er war wie eine Illusion, wie ein Soldat, der aus dem Krieg zurückgekehrt war.
„Schläft sie noch?“, flüsterte er.
Emily nickte. Obwohl er wieder zurückgekommen war und nun, nach sechsundzwanzig Wochen der Abwesenheit, vor ihr stand, konnte Emily es immer noch nicht fassen, sie konnte ihre Schutzschilde noch nicht ganz senken. Es schien, als ob sie nur darauf wartete, dass er ihr eröffnete, wieder fortgehen zu wollen, dass er Chantelle so schnell aus ihrem Leben reißen wollte wie er sie dorthinein gebracht hatte.
Zusammen verließen sie das Schlafzimmer und schlossen die Türe leise hinter sich, um das schlafende Kind nicht zu wecken.
„Es muss eine lange Fahrt von Tennessee hierher gewesen sein“, meinte Emily. Dabei hörte sie selber, wie gekünstelt ihre Stimme klang, und spürte, wie unwohl sie sich plötzlich in Daniels Gegenwart fühlte. „Du musst erschöpft sein.“
„Ich glaube, das sind wir alle“, erwiderte Daniel. Mit diesem einen Satz zeigte er, dass er genau wusste, welche Qualen sie wegen ihm erlitten hatte.
Während sie zusammen an dem Tisch saßen, sah Daniel Emily mit intensivem Blick und einem ernsten Ausdruck in den Augen an.
„Emily“, begann er mit brechender Stimme. „Ich weiß nicht, wie ich das sagen und wie ich die Worte formulieren soll. Du weißt, dass mir so etwas schwerfällt.“
Dabei lächelte er schwach. Emily erwiderte sein Lächeln, doch spürte gleichzeitig, wie ihr Herz vor Kummer hart gegen ihren Brustkorb schlug. Wurden ihre schlimmsten Befürchtungen wahr? Eröffnete er ihr nun, dass er und Chantelle weggehen würden? War er nur zurückgekommen, um ihr persönlich zu sagen, dass ihre Beziehung vorbei war? Schon spürte sie, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Sofort streckte Daniel seinen Arm aus und tätschelte ihre Hand über den Tisch hinweg. Diese Geste war der letzte Tropfen, der die Tränenflut in ihren Augen ausbrechen ließ, sodass die Kugeln über ihre Wangen rollten und auf die Tischplatte tropften.
„Es tut mir so leid“, sagte Daniel. „Ich weiß, das ist nicht genug, aber es ist alles, was ich dir sagen kann, Emily. Es tut mir so leid, was ich dir angetan habe, als ich einfach so davonlief.“
Emily geriet vor lauter Überraschung, dass die Worte, auf die sie sich insgeheim vorbereitet hatte, nicht gekommen waren, ins Stammeln.
„Aber du hast doch das Richtige getan“, entgegnete sie. „Du gingst zu deiner Tochter. Du hast die Verantwortung angenommen. Ich hätte nichts Anderes von dir erwartet.“
Jetzt war Daniel derjenige, der überrascht dreinblickte, so als ob die Worte, die er erwartet hatte, nicht gefallen wären. „Aber ich habe dich verlassen“, sagte er.
„Ich weiß“, erwiderte Emily, wobei ihr Herz wieder genauso sehr schmerzte wie damals, als er sie gerade verlassen hatte. „Und das hat mir sehr wehgetan, das werde ich nicht leugnen. Aber in meinen Augen machen dich deine Taten zu einem guten Mann.“ Schließlich konnte sie durch die Tränen hindurch wieder etwas sehen. „Du hast dich der Situation gestellt. Du bist zu einem Vater geworden. Dachtest du wirklich, ich würde dir das übelnehmen?“
„Ich…ich weiß nicht“, antwortete Daniel, während er nach Luft rang.
Dabei trug er einen Gesichtsausdruck, den Emily an ihm noch nie zuvor gesehen hatte. Es war der Ausdruck tiefer Erleichterung. In diesem Moment erkannte sie, dass er mit ihrer Wut gerechnet hatte, dass sie ihren Zorn auf ihn loslassen würde. Doch Emily war nie wütend gewesen, sondern hatte nur unglaublich große Angst davor gehabt, dass es für sie beide keine Möglichkeit mehr geben würde, ein gemeinsames Leben aufzubauen, nun, da sich Daniel um eine Tochter kümmern musste.
Jetzt lag es an Emily, ihn zu trösten und ihm zu versichern, dass er sich wegen seinem Verhalten nicht schuldig fühlen musste. Deshalb drückte sie seine Hand.
„Ich bin glücklich“, sagte sie lächelnd, obwohl die Tränenspuren auf ihrem Gesicht immer noch deutlich zu sehen waren. „Sogar noch mehr als das, ich bin überglücklich. Diese Möglichkeit, dass du sie mit dir nach Hause bringen würdest, hatte ich nie in Betracht gezogen. Ich könnte gerade nicht glücklicher sein.“
Auf Daniels Gesicht legte sich ein breites Grinsen. In einer schnellen Bewegung stand er auf, riss Emily aus ihrem Stuhl und zog sie in seine Arme. Dann drückte er Küsse auf ihr Gesicht und ihren Nacken, als ob der die Tränen, die er verursacht hatte, wegküssen wollte. Emily spürte, wie sich ihr gesamter Körper lockerte und die ganze Spannung von ihr abfiel. Ihr Körper hatte die vergangenen sechs Wochen in einer Art Schlaf verbracht und nun erweckte Daniel all die Bereiche, die vernachlässigt worden waren, wieder zum Leben. Sie erwiderte seinen Kuss begierig, womit sie die Leidenschaft zwischen ihnen nur noch weiter anfachte. Er war ihr Daniel, mit dem gleichen holzigen Geruch nach Wald und frischer Luft, mit seinen rauen Händen, die über ihren Körper strichen, und in dessen Haaren sie ihre Finger vergrub. Er schmeckte nach Daniel, nach Minze und Tee, ein Geruch, der wie eine Art Pawlow’sche Glocke auf sie wirkte und sie sofort erregte.
Als er den Kuss beendete, tat Emily die Distanz zwischen ihnen schon fast körperlich weh.
„Wir können das nicht tun“, sagte er leise. „Nicht hier. Nicht, wenn Chantelle hier schläft.“
Emily nickte, obwohl ihre Lippen immer noch vor Verlangen kribbelten. Aber Daniel hatte Recht. Sie mussten sich jetzt wie verantwortungsvolle Erwachsene verhalten. Es lag nun in ihren Händen, das Beste für das kleine Mädchen zu tun, und es würde immer an erster Stelle kommen.
„Kannst du mich einfach nur halten?“, fragte Emily.
Daniel sah sie an, und Emily bemerkte einen bewundernden Ausdruck in seinen Augen. Diesen Blick hatte sie so sehr vermisst und doch schien es so, als wäre er durch die vergangenen sechs Wochen nur noch verstärkt worden. Noch nie hatte jemand Emily auf diese Weise angesehen und der Blick ließ ihren Herzschlag aussetzen.
Sie stand auf, nahm Daniels Hand und führte ihn zu der Couch, auf die sie sich nebeneinander fallen ließen. Als Emily die grüne Seide berührte, musste sie unwillkürlich daran denken, wie sie sich hier neben dem Kamin geliebt hatten. Dann schlang Daniel seine Arme um ihren Körper und während sie seinem Herzschlag lauschte und seinen Geruch einatmete, fühlte sie sich sofort wieder so wohl und zufrieden wie in jener Nacht. Es gab keinen Ort, an dem sie in diesem Augenblick lieber wäre als hier mit Daniel, ihrem Daniel.
„Ich habe dich vermisst“, hörte sie Daniel sagen. „So sehr.“
In dieser Position, zusammengekuschelt und ohne Augenkontakt, fiel es Emily aus irgendeinem Grund leichter, über ihre Gefühle zu sprechen. „Wenn du mich so sehr vermisst hast, dann hättest du mich doch anrufen können.“
„Das konnte ich nicht.“
„Warum denn nicht?“
Sie hörte Daniel seufzen.
„Was dort geschah, war so nervenaufreibend und emotional fordernd, dass ich den Gedanken, dass du mich aufgeben könntest, nicht ertragen konnte. Wenn ich dich angerufen hätte, dann hättest du womöglich meine Befürchtungen bestätigt, verstehst du? Ich konnte das alles nur mit der Hoffnung durchstehen, dass du hier immer noch auf mich wartest, wenn ich zurückkomme.“
Emily schluckte. Auch wenn seine Worte ihr wehtaten, war sie dennoch froh über seine Ehrlichkeit. Sie wusste, dass diese ganze Sache für ihn extrem schwierig gewesen war und dass sie geduldig sein musste. Doch gleichzeitig hatte auch sie eine Tortur hinter sich. Sechs lange Wochen ohne ein einziges Wort, in denen sie gewartet und sich gefragt hatte, was wohl geschehen würde, wenn Daniel wiederkam, oder ob er überhaupt noch einmal wiederkam. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, dass er seine Tochter mit hierherbringen könnte. Jetzt musste sie sich darüber Gedanken machen, inwiefern sich ihre Leben – und ihre Beziehung – verändern würden, nun, da sie sich um ein Kind kümmern mussten. Sie beide betraten neues, unsicheres Terrain.
„Das hört sich so an, als hättest du wenig Vertrauen in mich“, sagte Emily leise.
Darauf erwiderte Daniel erst einmal nichts. Schließlich begann er, mit seiner Hand durch ihr Haar zu streichen. „Ich weiß“, sagte er. „Ich hätte dir mehr vertrauen sollen.“
Emily seufzte schwer. Für den Moment reichte ihr das, die Bestätigung zu erhalten, dass sein fehlendes Vertrauen in sie eine ohnehin schon schwere Situation viel schwieriger gemacht hatte, als sie es eigentlich hätte sein müssen.
„Wie war sie?“, wollte Emily neugierig wissen. Gleichzeitig versuchte sie Daniel dazu zu bringen, sich ihr zu öffnen, damit er nicht alleine im Stillen leiden musste. „Ich meine, deine Zeit in Tennessee?“
Daniel holte tief Luft. „Ich wohnte in einem Motel und besuchte Chantelle jeden Tag in dem Versuch, sie vor all dem zu schützen und ihr ein warmes, freundliches Gesicht zu sein. Sie lebten zusammen mit Sheilas Onkel. Das war kein Ort für ein Kind.“ Seine Stimme brach. „Chantelle versuchte, möglichst niemandem in den Weg zu kommen. Sie hatte gelernt, keinen der beiden zu stören.“
Emilys Herz zog sich zusammen. „Sah Chantelle, wie die beiden Drogen nahmen?“
„Das glaube ich nicht“, antwortete Daniel. „Sheila führt zwar ein Leben in Chaos und Unordnung, aber sie ist kein Monster. Chantelle ist ihr wichtig, das weiß ich. Nur nicht genug, um für sie einen Drogenentzug zu machen.“
„Hast du versucht, sie zu einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik zu überreden?“
Emily hörte, wie Daniel die Luft zwischen seinen Zähnen einsog.
„Jeden einzelnen Tag“, erwiderte er müde. „Ich sagte ihr sogar, dass ich dafür zahlen würde. Ich sagte ihr, dass ich für beide einen Platz finden würde, sodass sie nicht mehr bei ihrem Onkel leben müsste.“ In Daniels Stimme konnte Emily hören, wie sein Herz brach, und wie verzweifelt er über das elende Leben seiner Tochter war. Das traf Emily tief. „Aber man kann niemanden dazu zwingen, sich zu verändern, wenn sich diese Person nicht verändern will. Schließlich akzeptierte Sheila, dass es Chantelle bei mir besser gehen würde.“
„Warum erzählte sie dir damals nicht, dass sie schwanger war?“, fragte Emily.
Daniel lachte traurig. „Sie dachte, dass ich ein schlechter Vater wäre.“
Emily konnte sich gar nicht vorstellen, was für ein Mann Daniel einmal gewesen sein musste, damit jemand so etwas von ihm dachte. Ihrer Meinung nach würde Daniel einen perfekten Vater abgeben. Sie wusste, dass er in seiner Jugend einmal eine gewisse rebellische Bad-Boy-Phase durchlebt hatte, aber das konnte wohl kaum der wahre Grund sein, weshalb Sheila ihm nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt und die Existenz ihrer Tochter vor ihm geheim gehalten hatte. Das war eine Ausrede, eine Lüge einer Drogenabhängigen, die die Schuld an ihrem eigenen Versagen von sich schieben wollte.
„Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?“, vergewisserte sich Emily.
Sie spürte, wie Daniel wieder mit seiner Hand über ihren Kopf strich. „Ich weiß nicht, wie ich mich vor sechs Jahren verhalten hätte, als sie geboren wurde. Oder während Sheilas Schwangerschaft. Ich war nicht wirklich der Typ, der feste Bindungen einging. Ich wäre vielleicht davongelaufen.“
Daraufhin drehte Emily sich so um, dass sie Daniel ansehen konnte, und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Nein, das hättest du nicht getan“, widersprach sie ihm. „Du wärest der gleiche Vater für das Mädchen gewesen, wie du es jetzt bist. Du wärest ein guter Mann gewesen, der das Richtige getan hätte.“
Daniel küsste sie sanft. „Danke, dass du das sagst“, meinte er, doch sein Tonfall ließ die Zweifel, die er hegte, deutlich durchscheinen.
Emily kuschelte sich wieder an ihn und verstärkte ihren Griff. Sie wollte ihn nicht so sehen, so voller Schmerz und Selbstzweifel. Er schien nervös zu sein und Emily fragte sich, ob er Schwierigkeiten hatte, sich daran zu gewöhnen, wieder zuhause und plötzlich Vater zu sein. Daniel musste sich so sehr auf Chantelle konzentriert haben, dass er seine eigenen Gefühle vernachlässigt hatte, und erst jetzt, in seinem warmen, sicheren Kutscherhaus, erlaubte er sich, wieder zu fühlen.
„Ich bin für dich da“, sagte sie, während sie mit ihrer Hand sanft über seine Brust strich. „Immer.“
Daniel seufzte schwer. „Danke. Das ist alles, was ich sagen kann.“
Emily wusste, dass seine Worte von Herzen kamen. Ein Dankeschön reichte ihr für den Moment, weshalb sie sich an seine Brust kuschelte und zuhörte, wie sich sein Herzschlag verlangsamte, als er allmählich einschlief. Kurz darauf wurde auch sie von ihrer Müdigkeit übermannt.
*
Sie wurden abrupt aus dem Schlaf gerissen, als sich Chantelle im Nebenzimmer regte. Sofort sprangen Emily und Daniel von der Couch, doch wurden im ersten Moment von der Helligkeit des Raumes überrascht. Im Kamin glühte immer noch die Kohle.
Einen Augenblick später öffnete sich die Schlafzimmertür einen winzigen Spalt.
„Chantelle?“, sagte Daniel. „Du kannst herauskommen. Du musst nicht schüchtern sein.“
Langsam öffnete sich die Tür vollständig und gab den Blick auf Chantelle frei, die in einem von Daniels übergroßen T-Shirts bekleidet und mit wirrem Haar dort stand. Obwohl sie weder Daniels dunkles Haar noch seinen leicht gebräunten Teint hatte, so war die Ähnlichkeit zwischen ihnen unbestreitbar. Vor allem die Augen. Sie beide hatten das gleiche stechende Blau.
„Guten Morgen“, sagte Emily, die jetzt erkannte, wie steif sie durch die wenigen Stunden, die sie und Daniel auf der Couch geschlafen hatte, doch war. „Soll ich dir etwas zum Frühstück machen?“
Chantelle kratzte sich am Kinn und wandte den Blick schüchtern zu Daniel. Dieser nickte ihr aufmunternd zu, um ihr zu signalisieren, dass sie hier reden durfte, ohne angeschrien oder eine Nervensäge genannt zu werden.“
„Mhm“, erwiderte Chantelle mit kleinlauter Stimme.
„Was hättest du denn gerne?“, fragte Emily. „Ich könnte dir Pfannkuchen, Toast oder Eier machen. Oder hättest du lieber ein Müsli?“
Chantelles Augen weiteten überrascht und Emily wurde schmerzhaft bewusst, dass sie bisher wahrscheinlich noch nie die Wahl gehabt hatte, was sie essen wollte. Vielleicht hatte ihr sogar niemand je etwas zum Frühstück gemacht.
„Also ich hätte gerne Pfannkuchen“, meinte Emily. „Was ist mir dir, Chantelle?“
„Pfannkuchen“, wiederholte sie.
„Hey, weißt du was?“, fügte Emily hinzu. „Wir könnten ins große Haus gehen und dort frühstücken. Ich habe Blaubeeren im Kühlschrank, die könnte ich für die Pfannkuchen verwenden. Was hältst du davon, Chantelle? Würdest du gerne das große Haus sehen?“
Diesmal nickte das Mädchen begeistert. Daniel sah erleichtert aus, dass Emily an diesem Morgen die Initiative ergriffen hatte. Emily konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, wie sehr ihn das Ganze doch verwirrte.
„Hey“, wandte sie sich vorsichtig an ihn, denn sie wollte ihm nicht auf die Füße treten. „Warum hilfst du Chantelle nicht beim Anziehen?“
Schnell nickte er, wenn auch ein wenig peinlich berührt, dass ihm das nicht selber eingefallen war. Dann führte er das kleine Mädchen in gekünstelter Manier ins Schlafzimmer. Als Emily die beiden beobachtete, sah sie, wie unangenehm Daniel diese einfache Aufgabe eines Vaters zu sein schien. Unwillkürlich musste sie sich fragen, welche Schwierigkeiten er in Tennessee erlebt hatte, während er sich noch an seine neue Vaterrolle gewöhnen musste, und ob er sich so sehr um praktische Dinge, wie etwa die Wohnung, Schule und Ernährung, gesorgt hatte, dass er es noch gar nicht wirklich verarbeiten hatte, nun ein Vater zu sein zu müssen.
Sobald alle fertig waren, verließen sie das Kutscherhaus und liefen den Kiesweg entlang zur Pension. Auf dem Weg kickte Chantelle die kleinen Steine vor sich her und lachte bei dem Geräusch, das sie mit ihren Schuhen erzeugen konnte. Die ganze Zeit über klammerte sie sich an Daniels Hand, doch keiner von beiden schien sich dabei sonderlich wohl zu fühlen. Daniel machte einen steifen und ungemütlichen Eindruck, so als ob er verzweifelt versuchen würde, bloß nichts falsch zu machen oder das zerbrechliche Geschöpf, das nun seiner Pflege übergeben worden war, zu verletzen. Chantelle auf der anderen Seite sah verzweifelt aus, so als ob sie Daniels Hand nie wieder loslassen wollte, als ob ihr das unglaublich großen Schmerz zufügen würde.
Emily war sich nicht sicher, wie sie am besten vorgehen sollte. Zögerlich ergriff sie die andere Hand des kleinen Mädchens und war erfreut und erleichtert zugleich, dass Chantelle nicht zusammenzuckte oder ihre Hand wegzog. Auch Daniel schien Emilys Verhalten zu beruhigen, denn er sah nun wieder etwas mehr wie er selbst aus. Im Gegenzug lockerte sich auch Chantelles Klammergriff an seinem Arm.
Hand in Hand gingen die drei die Verandastufen zur Eingangstür hinauf und Emily führte sie hinein.
Chantelle zögerte an der Türschwelle, so als ob sie sich nicht ganz sicher wäre, wirklich an solch einen Ort zu gehören, weshalb sie Daniel mit fragendem Blick ansah. Dieser lächelte ihr sanft zu und nickte. Langsam trat Chantelle ein, was Emilys Herz vor lauter Emotionen einen Schlag aussetzen ließ. Sie musste gegen die Tränen ankämpfen.
Sofort erkannte Emily, dass Chantelle von dem Haus, in dem sie sich befand, überwältigt war. Sie sah sich um, von der großen, breiten Treppe mit seinem polierten Geländer und dem cremefarbenen Teppich, über den Kronleuchter bis hin zu der riesigen, antiken Rezeption, die sie in Ricos Laden gekauft hatten. Das Mädchen schien von den Kunstwerken und den Fotografien im Flur fasziniert zu sein. Unwillkürlich kam Emily in den Sinn, dass ein Kind wohl genauso aussehen würde, wenn es zum ersten Mal das Haus des Weihnachtsmannes betrat.
Emily führte sie ins Wohnzimmer, wo Chantelle nach Luft schnappte, als sie das Klavier entdeckte.
„Du kannst darauf spielen, wenn du willst“, ermutigte Emily sie.
Chantelle brauchte keine weitere Aufforderung; schnell ging sie zu dem antiken Klavier, das in der Nische bei dem Erkerfenster stand, und begann, auf die Tasten zu hauen.
Emily lächelte Daniel an. „Ich frage mich, ob wir wohl eine angehende Musikerin vor uns haben.“
Daniel beobachtete Chantelle mit fast schon hilfloser Neugier, als ob er noch immer nicht glauben könnte, dass es sie wirklich gab. Das löste in Emily die Frage aus, ob er zuvor überhaupt schon einmal mit Kindern in Kontakt gekommen war. Sie selbst hatte häufig auf Bens Nichten aufgepasst, weshalb sie zumindest ein wenig Ahnung von Kindern hatte. Daniel jedoch schien keinerlei Erfahrung in diesem Bereich zu haben.
In diesem Moment hörte Chantelle auf zu spielen. Das Geräusch der krummen Töne hatte die Hunde auf die Spur gebracht, dass jemand nach Hause gekommen war, weshalb sie von Hauswirtschaftsraum aus zu bellen begannen.
„Magst du Hunde?“, fragte Emily Chantelle, denn sie hatte beschlossen, in dieser Sache die Führung zu übernehmen.
Das Mädchen nickte begeistert.
„Ich habe zwei davon“, fuhr Emily fort. „Rain ist ein Welpe und Mogsy ist seine Mutter. Willst du sie kennenlernen?“
Chantelles Grinsen wurde breiter.
Als Emily sie den Flur entlangführte, spürte sie Daniels Hand auf ihrem Arm.
„Hältst du das für eine gute Idee?“, fragte er im Flüsterton, während sie in Richtung Küche gingen. „Sie werden ihr keine Angst einjagen? Oder sie beißen?“
„Natürlich nicht“, versicherte ihm Emily.
„Aber man hört doch ständig von Hunden, die Kinder anfallen“, widersprach er.
Emily verdrehte nur die Augen. „Das hier sind Mogsy und Rain, weißt du nicht mehr? Sie sind die albernsten und hilflosesten Hunde, die es gibt.“
Als sie die Küche erreichten, bedeutete Emily Chantelle, zum Hauswirtschaftsraum zu gehen. Sobald sie dessen Tür geöffnet hatte, sprangen die Hunde schon hervor und kläfften sie an. Daniel schien vor Anspannung fast zu platzen, als Rain im Kreis um Chantelle herumrannte und Mogsy sich mit ihren Pfoten auf ihrem Oberteil abstützte, um das Mädchen abzulecken. Doch Chantelle genoss das alles sehr und brach in wildes Gelächter aus.
Überrascht weiteten sich Daniels Augen. Instinktiv erkannte Emily, dass er Chantelle gerade zum ersten Mal so voller Freude erlebte.
„Ich glaube, sie mögen dich“, verkündete Emily Chantelle mit einem Lächeln. „Wir können sie mit nach draußen nehmen, wenn du möchtest.“
Das Mädchen sah sie mit ihren großen, blauen Augen an. Sie sah so glücklich aus wie ein Kind an Weihnachten.
„Wirklich?“, stammelte sie. „Darf ich wirklich mit ihnen draußen spielen?“
Emily nickte. „Natürlich.“ Dann gab sie Chantelle ein paar Hundespielsachen. „Ich werde euch vom Fenster aus beobachten.“
Dann öffnete sie die Hintertür, die zum Hof hinausführte, und ließ die Hunde hinausspringen. Chantelle zögerte noch einen Moment, so als ob sie sich noch nicht wirklich traute, alleine hinauszugehen und den ersten Schritt in ihre Unabhängigkeit zu wagen. Doch schließlich fand sie ihr Selbstvertrauen, trat hinaus und warf für die Hunde einen Ball, den sie fangen konnten.
Als Emily zurück in die Küche ging, setzte Daniel gerade eine frische Kanne Kaffee auf.
„Geht es dir gut?“, fragte sie vorsichtig.
Daniel nickte. „Ich habe mich einfach noch nicht daran gewöhnt. Ich sorge mich vor allem darum, dass ihr nichts passiert. Am liebsten würde ich sie in Watte einpacken.“
„Das ist doch ganz normal“, erwiderte Emily. „Aber du musst ihr eine gewisse Unabhängigkeit gewähren.“
Daniel seufzte. „Warum fällt dir das alles so einfach?“
Emily zuckte mit den Schultern. „Das tut es nicht. Ich improvisiere nur. Solange wir ein Auge auf sie haben, ist sie dort draußen vollkommen sicher.“
Sie lehnte sich an die Spüle und blickte durch das große Fenster in den Garten hinaus, wo Chantelle herumrannte und von den Hunden begeistert gejagt wurde. Doch während Emily Chantelle beobachtete, fiel ihr auf, wie sehr das Mädchen Charlotte ähnelte, als diese in ihrem Alter gewesen war. Die Ähnlichkeit war verblüffend, fast schon beängstigend. Der Anblick weckte eine weitere von Emilys verloren geglaubten Erinnerungen, von denen sie seit ihrer Ankunft in Sunset Harbor schon zahlreiche gehabt hatte, und auch wenn sie sie mit ihrer Plötzlichkeit stets überraschten, so schätzte sie jede einzelne von ihnen doch sehr. Sie waren wie Puzzlestücke, jede Erinnerung half ihr, sich ein Bild von ihrem Vater und ihrem gemeinsamen Leben vor seinem Verschwinden zu machen.
Diesmal erinnerte sich Emily daran, einmal schreckliches Fieber, vielleicht sogar eine Grippe gehabt zu haben. Sie waren wieder einmal nur zu dritt gewesen, weil ihre Mutter sie über das Wochenende nicht nach Sunset Harbor hatte begleiten wollen, weshalb ihr Vater sein Bestes gab, um sich um seine Tochter zu kümmern. Sie erinnerte sich daran, dass einer der Freunde ihres Vaters seine Hunde vorbeigebracht hatte und dass Charlotte mit ihnen spielen durfte, wohingegen Emily dafür zu krank war und drinnen bleiben musste. Sie hatte sich damals so darüber geärgert, dass sie nichts von den Hunden zu sehen bekam, dass ihr Vater sie hochgehoben hatte, damit sie aus dem Fenster sehen konnte – aus demselben Küchenfenster, aus dem sie nun ebenfalls hinausschaute – um die Geschehnisse zu beobachten.
Emily trat vom Fenster zurück und schnappte nach Luft. Sie stellte fest, dass ihre Wangen feucht waren, sie musste wohl geweint haben, während sich Chantelle vor ihren Augen in Charlotte verwandelt hatte. Nicht zum ersten Mal hatte Emily das starke Gefühl, dass Charlottes Geist mit ihr kommunizierte, dass sie auf irgendeine Weise in Chantelle weiterlebte und Emily ein Zeichen geben wollte.
In diesem Moment trat Daniel hinter sie und schlang seine Arme um ihre Hüfte. Er bot eine willkommene Ablenkung, weshalb sie ihren Kopf zurückfallen ließ, bis er auf seiner Brust ruhte.
„Was ist los?“, fragte er sanft und mit beruhigender Stimme.
Er muss die Tränen gesehen haben, die über Emily Wangen rollten. Doch diese schüttelte nur den Kopf. Sie wollte Daniel nicht von ihrer Erinnerung erzählen, oder dass sie das Gefühl hatte, Charlottes Geist würde in Chantelle weiterleben, denn sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde.
„Nur eine Erinnerung“, antwortete sie.
Daniel drückte sie dicht an sich und wiegte sie in seinen Armen. Wenn Emily wieder einen ihrer Momente hatte, kümmerte er sich auf so andere Weise um sie als um Chantelle. Bei Emily hatte er sicheren Grund gefasst und sie konnte sehen, wie selbstsicher er im Umgang mit ihr im Vergleich zu seiner Tochter war. Sie hatte sich so oft auf seine schützende Schulter gelegt und nun war sie diejenige, auf die er sich stützte.
„Es ist alles ein wenig überwältigend, nicht wahr?“, meinte sie, als sie ihn schließlich ansah.
Daniel nickte mit qualvoller Miene. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Zum Ersten muss ich sie an der Schule anmelden. Das nächste Halbjahr beginnt am Mittwoch. Außerdem muss ich mich um die Schlafsituation kümmern.“
„Du machst dir nur deinen Rücken kaputt, wenn du weiterhin auf der ausklappbaren Couch schläfst“, stimmte Emily zu. Dann hatte sie eine Idee. „Ziehe doch hier ein.“
Daniel zögerte einen Moment. „Das ist nicht dein Ernst. Du hast hier doch viel zu viel zu tun, um uns auch noch aufzunehmen.“
„Das will ich aber“, beharrte Emily. „Ich will, dass Chantelle genug Freiraum und ein eigenes Zimmer hat.“
„Das musst du nicht tun“, entgegnete Daniel, der sich immer noch ein bisschen gegen den Vorschlag wehrte.