Czytaj książkę: «Das Tal der Angst»
SIR ARTHUR CONAN DOYLE
Das Tal der Angst
Der letzte Sherlock-Holmes-Roman
Leipziger Ausgabe
Vollständig neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von
Susanne Luber
neu gefasst und mit Anmerkungen versehen von
Gerd Haffmans
HAFFMANS VERLAG
BEI ZWEITAUSENDEINS
Die englische Originalausgabe The Valley of Fear erschien zuerst 1914 bis 1915 im Strand Magazine, London, die Buchausgabe folgte 1915 bei Smith, Elder & Co., London und George H. Doran Company, New York.
Die deutsche Erstausgabe erschien unter dem Titel Das Tal des Grauens, übersetzt von H. O. Herzog im Verlag Dürr & Weber, Berlin 1926.
Die vorliegende vollständige Neuübersetzung folgt weitgehend der Textfassung der historisch-kritischen Ausgabe der Oxford University Press, herausgegeben von Owen Dudley Edwards, Oxford, New York 1998.
Weiteres in der Editorischen Notiz am Schluss des Bandes.
1. Auflage, Winter 2021.
Alle Rechte vorbehalten. Alle Rechte an dieser Neuedition & Neuübersetzung vorbehalten.
Copyright © 2021 by Haffmans Verlag bei Zweitausendeins Versand-Dienst GmbH, Bahnhofstr. 30, 82340 Feldafing.
Gestaltung & Produktion: Zweitausendeins.
Umschlagsillustration: Christiane Nebel.
ISBN 978-3-96318-138-2
Inhalt
I. TEIL
Die Tragödie von Birlstone
1. Kapitel: Die Warnung
2. Kapitel: Mr Sherlock Holmes doziert
3. Kapitel: Die Tragödie von Birlstone
4. Kapitel: Dunkelheit
5. Kapitel: Die Personen des Dramas
6. Kapitel: Ein erster Lichtblick
7. Kapitel: Die Lösung
II. TEIL
Die Scowrer
1. Kapitel: Der Mann
2. Kapitel: Der Logenmeister
3. Kapitel: Loge 341, Vermissa
4. Kapitel: Das Tal der Angst
5. Kapitel: Die dunkelste Stunde
6. Kapitel: Gefahr
7. Kapitel: Eine Falle für Birdy Edwards
Epilog
ANHANG
Anmerkungen
Editorische Notiz
Kompendium
Bemerkungen zu Sherlock Holmes von Joachim Kalka
Eine Einführung in den Kriminalroman
Who’s Who
Kleine ACD-Chronik
I. TEIL
1. KAPITEL
Die Warnung
Ich möchte denken –«, sagte ich.
»Das ist anzuraten«, fiel Sherlock Holmes mir ungeduldig ins Wort.
Ich glaube, ich bin einer der langmütigsten aller leidgeprüften Menschen auf dieser Erde, aber diese sarkastische Unterbrechung ärgerte mich doch.
»Wirklich, Holmes«, sagte ich tadelnd, »manchmal sind Sie unausstehlich.«
Aber er war zu tief in Gedanken versunken, um auf meine Zurechtweisung zu antworten. Den Kopf in die Hände gestützt, das unberührte Frühstück vor sich, starrte er auf ein Blatt Papier, das er soeben aus einem Briefumschlag gezogen hatte. Nun nahm er den Umschlag zur Hand, hielt ihn gegen das Licht und examinierte ihn sorgfältig: Vorderseite, Rückseite, Klappe.
»Das ist Porlocks Handschrift«, murmelte er nachdenklich. »Ziemlich sicher ist das Porlocks Handschrift, auch wenn ich sie nur zweimal gesehen habe. Das kleine griechische ε mit diesem eigenartigen Schnörkel oben ist unverkennbar. Aber wenn die Nachricht von Porlock kommt, geht es um eine Sache von größter Bedeutung.«
Obwohl er mehr zu sich selbst sprach als zu mir, ließen seine Worte meinen Groll im gleichen Maße schwinden wie sie mein Interesse weckten.
»Wer ist dieser Porlock?« fragte ich.
»Porlock ist ein Nom de Plume, Watson, ein reines Erkennungszeichen. Dahinter verbirgt sich eine schillernde, schwer fassbare Persönlichkeit. In einer seiner früheren Botschaften hat er mir offen mitgeteilt, dass dies nicht sein richtiger Name sei, und er hat mir zu verstehen gegeben, dass alle Versuche, ihn in dieser von Menschen wimmelnden Millionenstadt aufzuspüren, umsonst sein würden. Porlock ist wichtig, weniger als Person, denn wegen einer anderen außergewöhnlichen Persönlichkeit, mit der er in Verbindung steht. Stellen Sie sich das etwa so vor wie das Verhältnis des Pilotfisches zum Hai oder des Schakals zum Löwen – das Unbedeutende verbündet sich mit dem Furchterregenden. Aber er ist mehr als furchterregend, Watson, er ist teuflisch – im höchsten Grade teuflisch. So geriet Porlock in mein Blickfeld. Ich habe Ihnen doch von Professor Moriarty erzählt?«
»Dem berüchtigten hochgebildeten Verbrecher, der in der Unterwelt so berühmt ist wie –«
»Sie machen mich erröten, Watson«, murmelte Holmes abwehrend.
»Ich wollte sagen, wie er dem großen Publikum unbekannt ist.«
»Touché, Watson! Sehr gut!« rief Holmes. »Sie entwickeln neuerdings einen unerwarteten pikaresken Humor, gegen den ich mich künftig wappnen muss. Aber wenn Sie Moriarty einen Verbrecher nennen, ist das juristisch gesehen eine Verleumdung, und gerade darin liegt der großartige künstlerische Reiz der Sache. Der größte Ränkeschmied aller Zeiten, das planende Hirn hinter schrecklichen Verbrechen, der alles steuernde Kopf der Unterwelt – ein Kopf, der die Geschicke ganzer Nationen zum Guten wie zum Bösen lenken könnte: Das ist dieser Mann. Dabei ist er über jeden gemeinen Verdacht erhaben, gegen jede Anschuldigung immun. Er versteht es bewundernswert, die Fäden zu ziehen und selbst unsichtbar zu bleiben, sodass er Sie wegen der Worte, die Sie gerade geäußert haben, jederzeit vor Gericht zerren könnte, wo ihm als Entschädigung für seine verletzten Gefühle ein Schmerzensgeld zugesprochen würde, das so hoch ist wie Ihre Jahrespension. Schließlich ist er der gefeierte Autor von ›Stellardynamik eines Asteroiden‹, einem Werk, das sich zu den höchsten Höhen der reinen Mathematik aufschwingt und von dem gesagt wird, in der gesamten Fachpresse gäbe es niemanden, der in der Lage ist, es zu rezensieren. Darf man einen solchen Mann in Verruf bringen? Der verleumderische Arzt und der in seiner Ehre gekränkte Professor – so wären Ihre Rollen vor Gericht verteilt. Darin liegt Genie, Watson. Aber mein Tag wird kommen – sofern die kleinen Ganoven mich am Leben lassen.«
»Ich wollte, ich könnte dabei sein!« rief ich eifrig. »Aber Sie wollten mir etwas über diesen Porlock erzählen.«
»Richtig. Porlock, wie er sich nennt, ist ein Glied in der Kette, die das Schwergewicht hält, aber er steht nicht im Zentrum des Geschehens. Unter uns gesagt, Porlock ist nicht gerade das stärkste Glied in der Kette. Aber er ist die einzige Schwachstelle, die ich bisher finden und erproben konnte.«
»Keine Kette ist stärker als ihr schwächstes Glied.«
»Sehr richtig, mein lieber Watson. Genau deshalb ist Porlock von so immenser Bedeutung. Er hat offenbar noch ein rudimentäres Bewusstsein für Recht und Unrecht, das ich durch die gelegentliche Übersendung einer Zehn-Pfund-Note stimuliere, welche ihn auf Umwegen erreicht. Dafür hat er mir ein oder zwei Mal Informationen zukommen lassen, die von höchstem Wert waren, denn sie ermöglichten es, ein Verbrechen zu verhüten, statt es zu rächen. Ich bin sicher, wenn wir erst den richtigen Code haben, werden wir feststellen, dass diese Botschaft von der eben erwähnten Art ist.«
Holmes strich das Papier auf seinem unbenutzten Frühstücksteller glatt. Ich trat hinter ihn, beugte mich über seine Schulter und starrte auf die sonderbare Nachricht. Sie lautete folgendermaßen:
534 K2 13 127 36 31 4 17 21 41
DOUGLAS 109 293 5 37 BIRLSTONE
26 BIRLSTONE 9 127 171
»Werden Sie daraus schlau, Holmes?«
»Offensichtlich ein Versuch, mir eine geheime Information zu übermitteln.«
»Aber was können wir mit einer chiffrierten Nachricht anfangen ohne den Code dazu?«
»In diesem Fall gar nichts.«
»Was heißt ›in diesem Fall‹?«
»Weil es viele Geheimschriften gibt, die ich so leicht entziffere wie die kryptischen Botschaften in der Seufzerspalte einer Boulevardzeitung. Solche unbeholfenen Tarnungsversuche sind für mich ein intellektueller Spaß. Aber das hier ist etwas anderes. Diese Zahlen beziehen sich offenkundig auf Worte in einem bestimmten Buch und auf einer bestimmten Seite. Aber solange ich nicht weiß, in welchem Buch und auf welcher Seite, bin ich machtlos.«
»Weshalb dann ›Douglas‹ und ›Birlstone‹?«
»Natürlich weil das Worte sind, die auf der betreffenden Seite nicht vorkommen.«
»Aber warum hat er nicht dazugeschrieben, um welches Buch es sich handelt?«
»Ihre angeborene Schlauheit, mein lieber Watson, jene Ihnen eigene Gerissenheit, die Ihre Freunde so zu schätzen wissen, dürfte Ihnen sagen, dass es unklug ist, eine chiffrierte Nachricht und den Code dazu im selben Brief zu schicken. Wenn etwas schief geht, sind Sie erledigt. Aber mit getrennter Post müssten schon beide Briefe in falsche Hände geraten, bevor etwas Schlimmes passiert. Die zweite Post ist heute überfällig, und ich würde mich wundern, wenn sie uns nicht entweder den Brief mit dem Code oder, was wahrscheinlicher ist, das Buch selbst bringt, auf das sich diese Zahlen beziehen.«
Holmes’ Überlegungen wurden wenige Minuten später bestätigt, als unser Hausbursche Billy mit dem erwarteten Brief erschien.
»Die gleiche Handschrift«, bemerkte Holmes, als er das Kuvert öffnete. »Und sogar unterschrieben!« ergänzte er triumphierend, als er den Brief entfaltete. »Na also, wir kommen voran, Watson.«
Seine Miene verdüsterte sich jedoch, als er den Brief überflog.
»Großer Gott! Das ist eine Enttäuschung! Ich fürchte, Watson, das lässt alle unsere Erwartungen platzen. Ich kann nur hoffen, dass Porlock nichts zustößt.« Der Brief lautete folgendermaßen:
›Lieber Mr Holmes, ich kann in der Sache nicht weitergehen. Es ist zu gefährlich. Er verdächtigt mich. Ich spüre, dass er einen Verdacht hat. Heute kam er überraschend herein, als ich gerade den Brief adressierte, in dem ich Ihnen den Code schicken wollte. Ich konnte ihn gerade noch zudecken. Wenn er das gesehen hätte, wäre ich geliefert. Aber ich sah den Argwohn in seinen Augen. Bitte verbrennen Sie die chiffrierte Nachricht, die nun für Sie wertlos ist. – Fred Porlock.‹
Holmes saß eine Weile stumm da, drehte den Brief in den Fingern und starrte blicklos ins Kaminfeuer.
»Es kann natürlich sein, dass nichts dran ist«, sagte er schließlich. »Vielleicht war es nur sein schlechtes Gewissen. Er weiß, dass er ein Verräter ist, vielleicht las er deshalb die Anklage in den Augen des anderen.«
»Dieser andere ist wohl Professor Moriarty?«
»Kein Geringerer. Wenn einer dieser Leute von ›ihm‹ spricht, weiß jeder, wer gemeint ist. Es gibt für alle nur einen alles beherrschenden ›Er‹.«
»Aber was hat er vor?«
»Hm! Allerdings eine schwierige Frage. Wenn man es mit einem der klügsten Köpfe Europas zu tun bekommt, der alle Mächte der Finsternis hinter sich hat, gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Jedenfalls ist Freund Porlock in tödlicher Angst. Vergleichen Sie einmal die Handschrift des Briefes mit der auf dem Kuvert – nach seiner Aussage hat er die Adresse geschrieben, bevor er diesen unheildrohenden Besuch bekam. Hier ist sie klar und fest, im Brief dagegen kaum leserlich.«
»Warum hat er dann überhaupt den Brief geschrieben und die Sache nicht einfach fallen lassen?«
»Weil er befürchtet, ich würde dann Nachforschungen über ihn anstellen, was ihn in ernste Schwierigkeiten gebrachte hätte.«
»Das ist sicher richtig«, sagte ich. »Es ist ja zum Verrücktwerden« – ich hatte die chiffrierte Botschaft in die Hand genommen und betrachtete sie eingehend – »wenn man bedenkt, dass dieser Zettel wahrscheinlich ein wichtiges Geheimnis birgt, das kein Mensch je ergründen wird.«
Sherlock Holmes hatte sein unberührtes Frühstück beiseitegeschoben und zündete seine unappetitliche Pfeife an, die Gefährtin seiner intensiven gedanklichen Arbeit.
»Das ist nicht unbedingt gesagt«, entgegnete er, während er sich zurücklehnte und den Blick zur Decke schweifen ließ. »Vielleicht gibt es einige Anhaltspunkte, die Ihrem machiavellistischen Geist entgangen sind. Betrachten wir das Problem im klaren Licht der reinen Vernunft. Die Botschaft bezieht sich auf ein Buch. Davon können wir ausgehen.«
»Das ist reichlich vage.«
»Dann wollen wir sehen, wie wir das Problem einkreisen können. Wenn ich es genau betrachte, erscheint es schon weniger undurchdringlich. Welche Indizien haben wir, welches Buch gemeint sein könnte?«
»Gar keine.«
»Na, na, ganz so schlimm ist es nicht. Die Botschaft beginnt mit der Zahl 534, ziemlich groß geschrieben, nicht wahr? Als Arbeitshypothese können wir annehmen, dass dies die Seite bezeichnet, auf die die Chiffre sich bezieht. Jetzt ist aus unserem unbekannten Buch schon ein dickes Buch geworden – wir sind einen Schritt weiter. Welche Indizien haben wir noch hinsichtlich dieses dicken Buches? Das nächste Zeichen lautet K2. Was denken Sie, Watson?«
»Kapitel zwei natürlich!«
»Wohl kaum, Watson. Sie werden mir zustimmen, dass das Kapitel irrelevant ist, wenn die Seitenzahl angegeben ist. Außerdem dürfte, wenn Seite 534 sich im zweiten Kapitel befindet, das erste Kapitel unerträglich lang sein.«
»Kolumne!« rief ich.
»Brillant, Watson. Sie sprühen heute geradezu vor Geist. Wenn das nicht ›Kolumne‹ bedeutet, sollte ich mich sehr täuschen. Und so taucht vor unserem inneren Auge ein dickes Buch auf, zweispaltig gedruckt, wobei jede Spalte von erheblicher Länge ist, denn eins der darin vorkommenden Worte ist mit 293 bezeichnet. Sind wir damit schon an die Grenze der rationalen Analyse gestoßen?«
»Es scheint leider so.«
»Da tun Sie sich Unrecht. Ich erwarte von Ihnen noch eine brillante Idee, noch einen Geistesblitz, mein lieber Watson. Wenn das in Frage stehende Buch ungewöhnlich oder selten wäre, hätte er es mir zugeschickt. Stattdessen wollte er mir lediglich den Schlüssel dazu schicken, bevor seine Pläne durchkreuzt wurden. Das steht klar und deutlich in seinem Brief. Und das wiederum bedeutet, dass es sich um ein Buch handeln muss, von dem er annimmt, dass ich es ohne Schwierigkeiten beschaffen kann. Er besitzt es, und er nimmt an, dass ich es auch besitze. Kurz und gut, Watson, es ist ein sehr verbreitetes Buch.«
»So wie Sie das sagen, klingt es allerdings plausibel.«
»Wir haben unsere Suche also eingegrenzt auf ein dickes Buch, das zweispaltig gedruckt und weit verbreitet ist.«
»Die Bibel!« rief ich triumphierend.
»Gut, Watson, sehr gut! Aber nicht gut genug, muss ich leider sagen. Auch wenn wir hier im Haus eine Bibel haben, könnte ich mir doch kein Buch vorstellen, das mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit bei Moriartys Komplizen stets in Griffweite liegt. Außerdem gibt es so viele unterschiedliche Ausgaben der Heiligen Schrift, dass man nicht davon ausgehen kann, dass zwei Personen identische Exemplare mit identischer Seitenzählung besitzen. Nein, es muss offensichtlich ein Buch sein, das standardisiert ist. Denn er geht ja davon aus, dass die Seite 534 in seinem Exemplar genauso aussieht wie die Seite 534 in meinem.«
»Aber das trifft für die wenigsten Bücher zu.«
»Richtig. Und genau das ist unser Rettungsanker. Unsere Suche betrifft also ein Standardwerk, von dem fast jeder ein Exemplar besitzt.«
»Bradshaws Kursbuch!«
»Das ergäbe einige Schwierigkeiten, Watson. Der Bradshaw hat einen knappen und prägnanten Wortschatz, aber auch einen sehr limitierten. Er würde kaum ausreichen, um damit eine allgemeine Nachricht zu formulieren. Nein, den Bradshaw wollen wir aus unseren Überlegungen streichen. Ein Wörterbuch dürfte aus den gleichen Gründen ausscheiden. Was bleibt also übrig?«
»Ein Almanach?«
»Großartig, Watson! Ich müsste mich sehr täuschen, wenn Sie diesmal nicht den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Ein Almanach! Probieren wir es einmal mit Whitaker’s Almanack. Er ist weit verbreitet. Er hat die erforderliche Anzahl von Seiten. Er ist zweispaltig gedruckt. Der Wortschatz ist am Anfang etwas dürftig, aber zum Ende hin wird er, wenn ich mich recht erinnere, ziemlich weitläufig.« Er nahm den Band von seinem Schreibpult. »Seite 534, zweite Spalte, ein eng gedruckter Artikel, der sich, wie ich sehe, mit dem Handel und den wirtschaftlichen Ressourcen von Britisch-Indien befasst. Schreiben Sie mit, Watson. Nummer 13 lautet ›Mahratta‹ – kein besonders vielversprechender Anfang, fürchte ich. Nummer 127 ist ›Regierung‹, was immerhin einigen Sinn ergibt, obwohl es wenig mit uns und Professor Moriarty zu tun hat. Versuchen wir es weiter. Was macht die Mahratta-Regierung? O weh! Das nächste Wort ist ›Schweineborsten‹. Wir sind erledigt, mein guter Watson! Es ist aus.«
Er hatte in scherzhaftem Ton gesprochen, aber das Zucken seiner buschigen Augenbrauen verriet mir seine Enttäuschung und seinen inneren Ärger. Ich starrte hilflos und unglücklich ins Kaminfeuer. Eine lange Stille folgte, dann erklang ein plötzlicher Ausruf von Holmes. Er lief zum Bücherschrank und kam mit einem anderen, in gelbes Leinen gebundenen, Buch zurück.
»Das kommt davon, Watson, wenn man immer auf dem neuesten Stand ist«, rief er. »Wir sind der Zeit voraus und müssen dafür büßen, wie üblich. Heute ist der 7. Januar, und hier steht schon der aktuelle Band im Regal. Aber Porlock hat seine Botschaft höchstwahrscheinlich nach dem letztjährigen zusammengebastelt. Zweifellos hätte er uns das in seinem geplanten Brief mitgeteilt. Aber lassen Sie uns sehen, was die Seite 534 zu bieten hat. Wort Nummer 13 ist ›Dort‹ – das ist schon vielversprechender! Nummer 127 lautet ›ist‹ – also ›Dort ist‹.« Holmes’ Augen glänzten vor Erregung, und seine schlanken, nervösen Finger zuckten, als er die nächsten Worte auszählte. »›Gefahr‹ – Ha! Großartig! Schreiben Sie mit, Watson: ›Dort ist Gefahr – kann – sehr – bald – geschehen – gewisser‹. Dann kommt der Name ›Douglas‹, und weiter: ›reich – Landgut – jetzt – in – Birlstone – Herrenhaus – Birlstone – Überzeugung – ist – dringend‹. Na also, Watson! Was sagen Sie nun zur reinen Vernunft und ihren Früchten? Wenn unser Gemüsehändler so etwas wie Lorbeerkränze führen würde, würde ich gleich Billy hinschicken und einen holen lassen.«
Ich starrte auf die seltsame Botschaft, die ich, während er sie dechiffrierte, auf einem Bogen Kanzleipapier mitgeschrieben hatte, den ich auf meinem Knie balancierte.
»Welch sonderbar ungereimte Art, sich auszudrücken«, sagte ich.
»Im Gegenteil, er hat das sehr geschickt gemacht«, erwiderte Holmes. »Wenn Sie eine einzige Druckspalte nach Wörtern durchsuchen, mit denen Sie etwas Bestimmtes ausdrücken wollen, können Sie kaum erwarten, alles zu finden, was Sie brauchen. Einiges müssen Sie der Kombinationsgabe des Empfängers überlassen. Der Sinn dieser Nachricht ist völlig klar. Irgendeine Teufelei ist im Gange gegen einen Menschen namens Douglas, wer immer das ist. Jedenfalls wird hier gesagt, dass er als reicher Gutsbesitzer auf dem Lande lebt. Porlock ist überzeugt – das Wort ›Überzeugung‹ kommt dem so nahe wie möglich – dass es dringend ist. Damit haben wir unsere Aufgabe gelöst und unsere kleine Analyse fachmännisch zu einem guten Ergebnis geführt!«
Holmes hatte mit dem echten Künstler die unparteiische Freude an guter Arbeit gemein, genauso wie die tiefe Enttäuschung, wenn er hinter seinen selbst gestellten Erwartungen zurückblieb. Er freute sich immer noch schmunzelnd über seinen Erfolg, als Billy die Tür aufriss und Inspektor MacDonald von Scotland Yard eintreten ließ.
In jenen Tagen gegen Ende der achtziger Jahre war Alec MacDonald noch längst nicht auf der Höhe des landesweiten Ruhms, den er jetzt genießt. Er war ein junger Beamter bei der Kriminalpolizei, aber er wurde bereits geschätzt, denn er hatte sich in einigen Fällen ausgezeichnet, die ihm übertragen worden waren. Seine hochgewachsene, starkknochige Gestalt ließ auf erhebliche Körperkraft schließen, während seine breite Stirn und die tiefliegenden lebhaften Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, ebenso deutlich einen scharfen Verstand verrieten. Er war ein ruhiger, präzise denkender Mann mit beharrlichem Charakter und dem harten Akzent seiner schottischen Heimatstadt Aberdeen. Holmes hatte ihm schon zweimal in seiner Laufbahn zum Erfolg verholfen, wobei er sich selbst mit dem intellektuellen Vergnügen der Problemlösung als einziger Belohnung begnügte. Der Schotte brachte seinem Amateurkollegen deshalb aufrichtige Verehrung und tiefen Respekt entgegen, was sich unter anderem darin zeigte, dass er Holmes jedes Mal zu Rate zog, wenn ein Fall sehr schwierig wurde. Mittelmäßigkeit kennt nichts Höheres als sich selbst, aber Begabung erkennt Genie sofort, und MacDonald hatte genug Begabung für seinen Beruf, um es nicht als Herabsetzung zu empfinden, wenn er einen Mann um Rat fragte, der mit seinen geistigen Gaben wie auch mit seiner Erfahrung in Europa einzig dastand. Holmes war kein Mann, der leicht Freundschaften schloss, aber er mochte den großen Schotten, und ein Lächeln erhellte seine Züge, als er ihn begrüßte.
»Sie sind früh auf, Mr Mac«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Jagd. Aber ich fürchte, Ihr Besuch bedeutet, dass Unheil im Schwange ist.«
»Wenn Sie gesagt hätten ›ich hoffe‹ statt ›ich fürchte‹, käme es der Wahrheit wohl näher, Mr Holmes«, antwortete der Inspektor mit verschmitztem Grinsen. »Gern, ein kleines Schlückchen vertreibt die Morgenkälte aus den Knochen. Nein, rauchen möchte ich nicht, vielen Dank. Ich muss auch gleich weiter – die ersten Stunden eines Falles sind die wichtigsten, das weiß niemand besser als Sie. Aber – aber –«
Der Inspektor stockte und starrte mit dem Ausdruck fassungsloser Ungläubigkeit auf das Blatt Papier, das auf dem Tisch lag – jenes Blatt, auf das ich die entschlüsselte Botschaft gekritzelt hatte.
»Douglas!« stieß er hervor. »Birlstone! Was soll das heißen, Mr Holmes? Mann Gottes, das ist ja die reinste Hexerei! Wie, um Himmels willen, kommen Sie an diesen Namen?«
»Es war eine chiffrierte Nachricht, die Dr Watson und ich soeben Gelegenheit hatten zu entschlüsseln. Aber was ist los – stimmt etwas nicht mit diesem Namen?«
Der Inspektor blickte wie betäubt vor Verblüffung zwischen Holmes und mir hin und her.
»Allerdings«, antwortete er. »Mr Douglas von Birlstone Manor House ist heute Nacht auf schreckliche Weise ermordet worden.«