Czytaj książkę: «Afrika - Leben, Lachen, frei sein»
Afrika - Leben, Lachen, Frei sein
1. Auflage, erschienen 7-2021
Umschlaggestaltung: Romeon Verlag
Text: Silas Jäkel
Layout: Romeon Verlag
ISBN (E-Book): 978-3-96229-802-9
Copyright © Romeon Verlag, Jüchen
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Silas Jäkel
AFRIKA
LBEN, LACHEN, FREI SEIN
INHALT
Vorwort
Die Entscheidung
Nervöse Blase
Truthahn, Chicken und der König der Löwen
Fünf rote Löwinnen
Expect the Unexpected
Brutus, Jacobi und Gumbi
30 Volontäre und ein Dieb
Move your Body
AM-Tour with Missy Joe & Co.
Jessi versus Amanda
Sleepout with Enrico
Lagerfeuer mitten im Busch
Schicksalsschläge - Beste Mentoren
54 Schildkröten
Reisebüro Lea
Komplikationen
Der fliegende Bowen
Humor lernt keine Vokabeln
Tränen zum Abschied
Safari Time
Brezel, Eis und Schokolade
Wilde Massagen
Etosha-Nationalpark
3,1415926535
Black Mamba Story 2.0
Circle of Life
Elephants in the Darkness
Papa Olaf
Moro Moro
Presence
Ganz viel Angstpipi
15 Tausend stinkende Robben
Dünenreiten in Swakopmund
Walvis Bay
Langsam, langsamer, Lea
Steinmenschen und Einhörner
Es lebe der Sport
Big Daddy
A Sky full of sta(i)rs
Fast & Furious
Die Antwort
Für alle, die ich in Afrika kennenlernen durfte.
Danke, dass ihr die Zeit so besonders für mich gemacht habt!
Für meine Familie.
Danke, dass es euch gibt. Ich liebe euch!
Für Dennis.
Danke Jung, dass ich mir so viel von deinem Humor und deiner Verrücktheit abschauen konnte.
Für meinen Opa.
Ich habe dir versprochen, dich oben im Himmel glücklich zu machen, indem ich glücklich bin. Ich bin es Opa…
VORWORT
„Ruhig bleiben, wenn alle in Panik geraten.
Bewusst sein, wenn andere durch Angst gesteuert werden.
Vertrauen ins Leben haben, anstatt sich über alles zu beklagen.
Menschen zum Lachen bringen, anstatt sie zu bewerten.
Den Jahren Leben geben, anstatt sie sie zu zählen.
In Dankbarkeit leben und Momente kreieren, die uns glücklich machen und unser Denkmal erschaffen.“
Warum 2020 das geilste Jahr meines Lebens wurde ...
DIE ENTSCHEIDUNG
(CHAPTER ONE)
„Lieber Herr Jäkel,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir würden uns freuen, Sie als Volontär/ Volontärin begrüßen zu können. Anbei sende ich Ihnen die entsprechenden Informationen zum Projekt sowie ein Anmeldeformular zu. Die Anmeldung ist in dem Fall verbindlich …“
Ich legte mein Handy auf den Schreibtisch und starrte an die Wand. „Verbindlich“ stand in der Mail. Verbindlich. Dieses Wort hatte irgendwie schon so was Verbindliches an sich. Ich musste schlucken. Es löste etwas in mir aus. Ich merkte, wie ich nervös meinen Kuli zwischen den Fingern hin und her bewegte.
„Knack.“ Schon wieder einer, bei dem die Halterung abgebrochen war. Noch nie hatte es eine Halterung mehrere Tage und Wochen mit mir ausgehalten. Hin- und hergerissen kratzte ich mich an der Schläfe. Soll ich es wirklich machen? Du Silas? Irgendwie klangen meine Gedanken jetzt nicht mehr so optimistisch wie noch vor ein paar Tagen. Da hatte ich mit einer Mail mein Interesse an dem Projekt zum Ausdruck gebracht und eine Anfrage an die Organisation abgetippt. Ich konnte es kaum erwarten, mich verbindlich anzumelden. Und jetzt, ein paar Tage später? Als es verbindlich wurde, kamen natürlich wieder die Zweifel. Wie immer bei großen Entscheidungen. Auf ihr Kommen konnte ich mich stets verlassen. Jetzt war ich wieder in meinem Zimmer und beobachtete, wie in meinem Kopf ein negativer Gedanken den anderen ablöste.
Du schaffst das nicht! Du kannst das nicht!
Ich tigerte wild in meinem Zimmer auf und ab. Du machst es eh nicht. Ich kenne dich doch … Ich gab meinen Gedanken recht und ließ mich frustriert in den Stuhl sinken. Wahrscheinlich sollte es so ablaufen wie immer. Wahrscheinlich würde ich ein Leben lang zu den Menschen gehören, die tolle Träume und Visionen haben, aber nichts davon jemals umsetzen werden. Vor allem wenn es verbindlich wird. Irgendwann würde ich es dann bereuen, es nicht getan zu haben. Vor gut zwei Monaten war es auch schon so gewesen, dass Zweifel meine Pläne zunichtegemacht hatten. Auch da hatten sich meine Zweifel durchgesetzt. Ich wollte nach Paris. Allein. Beziehungsweise mit Millionen anderen Menschen. Wie in jedem Jahr sollte auf dem Champs Elysées die letzte Tour de France-Etappe vor einem Millionenpublikum zu Ende gehen und der Gesamtsieger feierlich gekürt werden. Einmal wollte ich in meinem Leben live dabei sein. Vor Ort mit allen anderen. Nur einmal. Zwischen allen jubelnden Zuschauern stehen und die Radprofis mit den dicken Schenkeln und durchtrainierten Waden zum Sieg brüllen. Doch es gab natürlich einen Haken: Es scheiterte an der Umsetzung, an der praktischen Umsetzung. Ein Schritt hatte mir von der Idee bis zur Praxis gefehlt. Nur noch einen Schritt hätte ich machen müssen. Just one step. Sämtliche personenbezogene Daten und Kontonummern hatte ich bei Eurowings auf der Homepage schon eingegeben. Der Sitz war reserviert und der Flugplan stand. Hinflug Samstagmorgens, Rückflug Sonntagabend nach der Etappe, dazwischen eine Übernachtung im Hotel. Zweihundert Euro insgesamt. Doch dazu kam es nicht. Ich traute mich nicht, verbindlich zu buchen. Wie gelähmt starrte ich damals auf den Bestell-Button. Es lag nicht am Geld und den zweihundert Euro. Nein, nein. Mein Respekt und die Angst vor dem Flug und der Reise waren zu groß. Immer wieder redete ich mir Flugangst ein, bis ich schließlich den Buchungsprozess abbrach und aufgab. Angst vorm Unbekannten. Angst vor der Praxis. Angst, meine Komfortzone zu verlassen. Die Sicherheit und meine Zweifel siegten. Es blieb bei dem Traum und der Idee.
Wütend haute ich mit der Faust auf meinen Schreibtisch. Vor lauter Schreck flog das abgebrochene Kugelschreiberteil in hohem Bogen auf den Teppich. Reiß dich diesmal zusammen, Silas, versuchte ich mir einzureden. Es konnte nicht sein, dass ich schon wieder einen Traum aufgab. Du bist 21. Wie lange willst du noch warten? Möchtest du immer davonlaufen, wenn es ernst wird? Come on. Entschlossen schlug ich mir dreimal mit der Faust auf den Brustkorb. Dies tat ich immer dann, wenn ich mich zu irgendwas pushen wollte. Wenn ich positive Energie brauchte. In der Regel klappte das ganz gut. Vor Klausuren im Abitur zum Beispiel. Wütend über meine Unentschlossenheit, fiel mein Blick vom Anmeldeformular im Posteingang auf das Sideboard vor mir. Papa hatte es über meinem Schreibtisch angebracht. Früher hingen dort irgendwelche Vokabeln und Stundenpläne, doch das war lange her. Verdammt lange - zum Glück. Jetzt hing dort neben einem Bild von meiner Familie ein Zettel mit einem Spruch. Diesen hatte ich vor Kurzem in irgendeinem Podcast aufgeschnappt und in krakeliger Schrift aufgeschrieben. Ich hatte schon fast ganz vergessen, dass er da hing. Langsam wanderten meine Augen Wort für Wort am Spruch entlang: „The greatest risk: Dying before you have actually pushed yourself to live. You will either find a way or you will find an excuse. If you can or not, you are right.“
Je öfter ich den Satz durchging, desto entschlossener wurde ich. Dieser Satz war so wahr. Er erinnerte mich wieder, warum ich an dem Projekt teilnehmen wollte. Ich grinste. Ich dachte an meine Unzufriedenheit in den letzten Wochen, Monaten und Jahren. An die Momente, in denen ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als aufzubrechen. Als zu starten. Einfach mal raus. Raus aus der Komfortzone, dem Alltag entfliehen und endlich anfangen zu leben. Leben. Lebendig sein. Dinge machen, die sich hinter meiner Angst verstecken. Ich wollte mir wenigstens einmal im Leben beweisen, dass ich es mir selbst wert bin, den letzten Schritt zu gehen. Silas, du bist es wert, Mann. Hörst du? Du bist es wert. Dein Leben ist es wert. Entschlossen ballte ich die Fäuste und klopfte mir auf die Brust. Sie bebte vor Energie und Entschlossenheit. Du wirst es bereuen, wenn du diesen Schritt nicht gehst. Verdammt - Ich wollte nichts mehr bereuen in meinem Leben. Wieder wanderten meine Augen über mein Gekritzel an der Wand:
„Dying before you have actually pushed yourself to live“. Oh Mann. Mir graute es vor dem Gedanken, irgendwann am eigenen Sterbebett zu sitzen, aufs eigene Leben wie auf einen Film zurückzublicken und dann etwas zu bereuen. Keine Bilder in dem Film zu sehen. Vor einer leeren Wand zu stehen und zu denken: Hätte ich doch besser das gemacht … Hätte ich da doch besser nicht gezweifelt, dann hätte ich … Verdammt - ich wollte dieses Szenario nicht erleben. Nicht ich. Nein, nicht ich! Wieder schlug ich mit meinen Fäusten auf die Brust. Diesmal noch entschlossener und kräftiger als davor. Ich merkte, wie ich immer entschlossener in meiner Entscheidung wurde. Wie meine Entscheidung immer verbindlicher wurde. Wie ich immer mehr dahinter stand. Mit meinem Herzen, mit meiner Seele. Ich schloss meine Augen und fing an zu lächeln. Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge, spürte, wie das Blut durch meine Brust zirkulierte, und fing an, langsam von fünf rückwärts zu zählen.
„5,4,3,2…“ Bei 1 öffnete ich meine Augen. Meine Mundwinkel, die vorhin noch meine Laune und Stimmung nach unten gezogen hatten, schnellten in Windeseile nach oben. Ich fing an zu strahlen wie ein Stern am Himmel. Ich wurde immer heller und heller. Ich hatte eine Wahl für mein Leben getroffen. Tief atmete ich durch, um sie mir noch einmal bewusst zu machen. Der Gedanke an das bevorstehende Abenteuer packte und euphorisierte mich. Wie ein Flummi sprang ich vor lauter Freude vom Schreibtischstuhl auf, sprang auf mein Bett und ließ einen lauten Schrei los.
„Silas, alles okay?“
„Ja Mama, haha. Alles gut.“ Das Glück überrannte mich und ich wusste gar nicht mehr, wohin mit der ganzen Energie. Ich jubelte wild gestikulierend mit Armen und Beinen, wälzte mich im Bett herum wie ein glückliches Schwein im Matsch und konnte meinen Schritt kaum fassen. Ich streckte mich vom Bett aus zum Schreibtisch und schnappte mir mein Handy. Ich druckte das Anmeldeformular aus und schickte es noch am selben Tag ausgefüllt zurück. Was sich vorhin noch so komisch und falsch angefühlt hatte, fühlte sich jetzt richtig an. Es fühlte sich gut an.
Ab jetzt gab es kein Zurück mehr. Ab jetzt konnte es keine Ausreden mehr geben. Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
„Noch fünf Monate“, murmelte ich. Fünf Monate, bis der Flieger geht. Nicht nach Paris. Nicht zur Tour de France. Nach Namibia. Nach Afrika. Verbindlich. Ich hob das abgebrochene Stück vom Kugelschreiber auf. Es landete im hohen Bogen neben meinen Selbstzweifeln im Müll.
NERVÖSE BLASE
(CHAPTER TWO)
Mit angestrengtem Blick saß ich vorne neben meinem Vater im Auto. Er unterhielt sich gerade mit meiner Mutter und meinem Bruder, die beide auf der Rückbank saßen. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, sodass ich gar nicht wusste, worum es gerade ging. Ich wusste nur eines: Noch nie hatte ich eine Entscheidung in meinem Leben mehr bereut … In gut zweieinhalb Stunden sollte mein Flieger gehen. Ich war gut in der Zeit, doch es ging mir dreckig. So richtig dreckig. Ich hatte den Druck meines Lebens auf meiner Blase. Ingwertee - ein Liter. Schlechte Entscheidung. Diesen Liter hatte ich vor gut einer Stunde beim Mittagessen noch in mich reingekippt. Doch anders als ich wollte er nicht auf große Reise gehen. Panisch schaute ich aus dem Fenster und suchte nach diesem blauen P-Schild. Es wollte einfach nicht auftauchen. Tatsächlich passierten wir mehrere blaue Schilder abseits der Autobahn, doch keines deutete auf einen Parkplatz mit Pinkelmöglichkeit hin. Auf einem der Schilder stand bereits Flughafen Düsseldorf.
„Dirk, du musst abfahren“, navigierte meine Mutter von hinten meinen Vater. „Rechts, Dirk, rechts …“
„Jaaa …!“ Papa setzte den Blinker und bog auf die Spur, die am Autobahnkreuz Hahn von der A46 auf die A3 nach Oberhausen führt.
„Ich habe die Ausfahrt doch gesehen …!“
„Papa?“ Ich schaute ihn mit schmerzvollem Gesicht an.
„Alles gut?“, fragte er mich und klatschte mir dabei auf den linken Oberschenkel. „Freust du dich, dass es endlich losgeht?“
„Nein, ich meine ja. Ich meine nein, ich muss dringend pinkeln. Kannst du bei der nächsten Möglichkeit rausfahren? Und mir vielleicht nicht auf den Oberschenkel hauen.“ Ich hatte zwar eine Wechselunterhose im Handgepäck dabei, aber keine Wechseljeans. Er nickte und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
„Wie lange fahren wir noch?“ Ich spürte, dass das Zusammenkneifen im Beinbereich nicht mehr lange gut gehen konnte.
„Noch fünfundzwanzig Minuten“, wiederholte ich mit aufgerissenen Augen. Das schaff ich nie. Krampfhaft versuchte ich mich an die Fahrt vor gut vier Wochen zu erinnern. Auch damals ging es zum Düsseldorfer Flughafen. Ich überlegte, ob es davor noch eine Ausfahrt oder einen Rastplatz gegeben hatte. Mit damals meinte ich Silvester. Damals war ich zum ersten Mal in meinem Leben geflogen. Nach Hamburg. Meine Familie und ich wollten dort Silvester feiern und das Musical König der Löwen besuchen. Wir hatten auf den letzten Drücker Tickets bekommen und da kam mir die Idee, dass ich doch einen Testflug machen könnte. Ein Testflug für meine Reise nach Afrika einen Monat später, um wenigstens einmal im Leben davor geflogen zu sein. Um ein Gefühl fürs Fliegen zu bekommen. So kam es dann, dass an jenem Dienstag meine Eltern mit dem Auto nach Hamburg fuhren, während ich um halb fünf morgens aus dem Bett kroch, um mit ordentlich Muffensausen den Testflug über ihren Köpfen in Angriff zu nehmen. Zu meiner Erleichterung klappte damals alles super, sodass ich mich nach der Landung in Hamburg fragte, warum ich mit meinem ersten Flug bis Anfang 20 gewartet hatte. Es war gar nicht so schlimm gewesen, wie ich es mir in Gedanken immer eingeredet hatte.
„Och nein Papa, da war doch eine Ausfahrt“, sagte ich enttäuscht, als wir an einer Ausfahrt vorbeifuhren. Das Parkplatzschild wurde im Seitenspiegel kleiner und kleiner, während die Gefahr eines Malheurs mit jedem Schlagloch größer und größer wurde.
Na toll, dachte ich und versuchte, an etwas anderes zu denken. Noch immer konnte ich nicht richtig glauben, dass es heute losging. Es war Mittwoch und ich hatte seit Montag Urlaub. Unbezahlten Urlaub für fast acht Wochen. Acht Wochen. Der Gedanke daran ließ den Druck in meiner Blase fast verschwinden. Acht Wochen kein Büro, keinen Anzug und keine Krawatte tragen. Keine nervigen, schlecht gelaunten Kunden, die die ganze Welt schlecht reden, in allem Probleme sehen und dich dafür verantwortlich machen, wenn etwas nicht funktioniert. Wieso gibt es auf dem Sparbuch keine Zinsen? Wieso kann ich nicht über mein Geld verfügen? Pfändung? Was ist das? Wieso seid ihr als Bank und Mitarbeiter so scheiße? Auf dieses ganze Rumgejammer und Beschweren hatte ich keine Lust mehr. Im September 2017, vor gut zweieinhalb Jahren, hatte ich meine Ausbildung als Bankkaufmann begonnen. Ein Bild von dem Tag, als ich mit 35 anderen Azubis in glattgebügelten Bankklamotten vor dem Bankgebäude auf einer Treppe stand, hängt noch immer bei meiner Oma in der Küche an der Wand. Stolz hatte sie es aus der Zeitung ausgeschnitten. Ich musste beim Gedanken ans Bild schmunzeln. Zum Glück stand ich damals beim Fotoshooting in der letzten Reihe. So konnte man die wenigen rosa Flecken auf dem weißen Hemd nicht sehen. Zum Glück. Vor Aufregung hatte ich mich nämlich am ersten Ausbildungstag auf der Hinfahrt im Auto übergeben und den Bananen-Haferflocken-Himbeer-Smoothie auf dem gesamten Beifahrersitz verteilt. Und wenige Sprenkel halt auf meinem Hemd. Danach ging es mir besser und dem Auto nach einer Sitzreinigung auch. Nur wenige wussten bisher von dieser Story. Während alle Azubis der Willkommensrede des Vorstandsvorsitzenden bei geschmierten Mettbrötchen lauschten, überlegte ich, wie viel die Sitzreinigung wohl kosten würde.
An jenem ersten Ausbildungstag war noch alles gut. Auch die Wochen und Monate danach. Ich machte meine ersten Erfahrungen am Schalter mit Kunden, zählte ihnen 50er- und 100er-Scheine vor, füllte Überweisungsbelege aus und eröffnete selbstständig Konten und Sparbücher. Es machte Spaß, jeden Morgen zur Arbeit zu fahren und acht Stunden im Büro zu verbringen. Ich war motiviert und tat alles, um Vorgesetzten und Paten zu gefallen, von ihnen ein gutes Feedback zu erhalten und meine Karriere in der Bank zu pushen. Ich hielt vertriebliche Vorträge vor meinem Lehrjahr zum Finanzkonzept und durfte als einer der Ersten einen Einsatz in einer internen Abteilung verbringen. Ein Zeichen dafür, dass man bisher während seiner Ausbildung gut performt hatte. Doch dann kam es zum Bruch:
Der zweite Tag im Electronic Banking sollte alles verändern. Meine ganze Sichtweise über mein Leben. Er bestand aus heftigen Bauchschmerzen, Magenkrämpfe und einer Notoperation am Abend im Krankenhaus. Schwere Blinddarm- und Bauchfellentzündung lautete die Diagnose der Ärzte. Gefolgt von bangen Minuten im weißen Nachthemd auf dem kalten Operationstisch und Gedanken darüber, was ich bisher in meinem Leben erreicht hatte. Was ich vorweisen konnte. Sie änderten mein Denken über Erfolg, Karriere und Geld. Über das Leben an sich, über meine Pläne und Ziele. Die Minuten im Krankenhaus vor der Operation machten mich traurig. Ich merkte, dass ich mein Glück in den letzten Jahren über Dinge, Ziele und Erfolge definiert hatte, die in diesem Moment nichts wert waren. Gar nichts. Sie waren gar nichts wert. Ich bereute, bisher nicht wirklich gelebt zu haben. Ich schwor mir, dass dieser Tag der Wendepunkt in meinem Leben sein sollte. Der Wendepunkt hin zu einem aufregenden, glücklichen und erfüllten Leben.
Noah schien es nicht zu bereuen, dass er mitgekommen war. Er war zum ersten Mal in seinem Leben an einem Flughafen und staunte nicht schlecht, als alle paar Sekunden ein Flugzeug über unser Auto flog und im wolkenbedeckten Düsseldorfer Nachthimmel verschwand. Es dämmerte bereits. Papa fuhr vorbei an mehreren Schranken und Schildern und parkte auf dem Drei-Minuten-Parkplatz vor der Abflughalle. Ich konnte es kaum erwarten, bis das Auto zum Stehen kam. Hektisch öffnete ich die Beifahrertür. Jetzt war Eile geboten. „Ich laufe schnell zur Toilette. Bin gleich wieder da!“
„Aber wir können hier doch nicht so lange parken und Stehenbleiben, Silas“, sagte meine Mutter, doch es war zu spät. Die Tür war noch gar nicht richtig ins Schloss gefallen, da war ich auch schon hinter der Drehtür verschwunden. Ihre Rufe und ihr Fensterklopfen kamen zu spät.
Die Abflughalle war größer, als ich sie in Erinnerung hatte. Passagiere liefen kreuz und quer mit ihren Koffern durcheinander, schauten auf ihre Handys und starrten auf den großen Monitor an der Wand, der sämtliche Flugzeiten und Gates anzeigte. Immer wieder musste ich stehende Menschen umkurven, ehe ich neben einem Check-in-Schalter endlich eine Tür mit einem Toilettensymbol entdeckte.
Endlich, dachte ich und stolperte Richtung Tür. Gefühlt drei Kilo leichter öffnete ich sie nach ein paar Minuten wieder und trat mit erleichtertem Blick hervor. Ich war bereit. Meine Blase war bereit. Jetzt konnte es losgehen.
„Da bist du ja endlich“, sagte meine Mutter, als ich zurück beim Auto war. „Wir dachten schon, du kommst nicht mehr wieder.“ „Hat ein bisschen gedauert“, grinste ich. „Ist den alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie besorgt. „Oder ist was mit deinem Magen?“ Prüfend schaute sie mich mit diesem einen Blick an, den jede Mutter draufhat. In der Regel konnte man ihr nichts vormachen. Aber diesmal gab es nichts zu verheimlichen.
„Alles gut, Mama. Wirklich! Mir geht es super.“ Ich ging zum Kofferraum und hievte meinen blauen Koffer auf den Boden. Er hatte schon so manche Reise miterlebt. Zerbeult und zerkratzt stand er auf dem Bürgersteig und wartete, wie es jetzt weitergehen sollte. Mein Vater reichte mir meinen beigen Rucksack, den meine Oma mir gestern für die Reise geschenkt hatte.
„Danke, Papa.“ Ich stülpte ihn auf meinen Rücken und legte das schwarz-grau-karierte Nackenkissen um den Hals. Es hatte eine Massagefunktion, doch die Batterie hatte ich aus Vorsicht zu Hause gelassen. Ich wollte nicht schon wieder aus der Sicherheitskontrolle gewunken werden und mir die Blöße geben. An Silvester hatte schon ein zusammengeknülltes Knoppers-Papier in meiner Jeans dafür ausgereicht. Diesmal hatte ich vorsorglich selbst die kleinste Fluse entfernt. „Hast du alles?“, fragte mich mein Vater. Ich nickte. Jetzt kam der Part, vor dem ich am meisten Respekt hatte. Goodbye zu sagen und von meiner Familie für die nächsten Wochen Abschied zu nehmen. Schon gestern hatte ich einen Kloß im Hals, als meine Oma mir mit Tränen in den Augen an der Tür zuwinkte. Ich musste schlucken, als ich meinen Vater anschaute. Ich nahm ihn in den Arm und versprach ihm wie schon damals vor der Blinddarm-OP, dass ich wiederkommen werde. Er klopfte mir auf die Schulter.
„Hab viel Spaß. Wir sind stolz auf dich!“ Ich ging weiter zu Mama, die neben ihm stand.
„Pass bitte auf dich auf …“
„Ich verspreche es dir, Mama.“ Ich drückte sie ganz fest an mich. So fest hatte ich meine Mama schon lange nicht mehr in den Arm genommen. Es fühlte sich gut an. So vertraut. Ich streichelte ihr mit meiner Hand über den Kopf.
„Melde dich und ruf mal an …“ Ich blickte zu Noah. Er schaute mich an und streckte die Arme zu mir aus. Ich bückte mich zu ihm und hob ihn hoch. „Mach es gut, Pupsi. Und ärgere Paula schön.“ Wie ein Affe klammerte er sich um meinen Hals. Ich küsste ihn auf die Stirn.
„Bring mir was mit“, sagte er, nachdem ich ihn auf dem Bürgersteig abgesetzt hatte. „Vielleicht einen Löwen. So einen kleinen, flauschigen, ja?“
„Ich schaue mal.“ Ich wuschelte ihm durch die Haare. „Bis in vier Wochen.“ Ich ging zu meinem Koffer, klappte den Griff aus und rollte ihn hinter mir her zur Abflughalle. Beim Eingang drehte ich mich noch mal zu meinen Eltern und meinem Bruder um. Sie waren wieder ins Auto gestiegen und winkten, als sie an mir vorbeifuhren. Ich schaute ihnen noch eine Weile nach, bis sie hinter einem Parkhaus nicht mehr zu sehen waren. Jetzt war ich auf mich allein gestellt. Der erste Schritt war gemacht. Das Abenteuer Afrika konnte beginnen …