Czytaj książkę: «Swanns Vergeltung»

Czcionka:

Deutsche Erstausgabe (ePub) November 2020

Für die Originalausgabe:

© 2018 by Shira Anthony

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Swann's Revenge«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 by Cursed Verlag, Inh. Julia Schwenk

beloved ist ein Imprint des Cursed Verlags

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Debora Exner

ISBN-13: 978-3-95823-856-5

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


Aus dem Englischen

von Lisa Schnack

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Graham Swann hat seine Vergangenheit als pummeliger Teenager hinter sich gelassen und führt jetzt ein Leben als gut aussehender, erfolgreicher Anwalt. Als allerdings sein Highschoolschwarm Dan Parker in seiner Kanzlei eingestellt wird, weiß Graham im ersten Moment nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Dan hat damals tatenlos zugesehen, als Graham von seinen Mitschülern gemobbt wurde, und das kann Graham ihm nicht verzeihen – aber er kann auch nicht ignorieren, dass er immer noch etwas für Dan empfindet. Vielleicht können sie ja einen Neuanfang wagen, wenn die Vergangenheit ihnen nicht gnadenlos dazwischenfunkt…

Für alle Träumer, die nichts mehr lieben als ein Happy End.

Danke, dass ihr lest, was ich mir selbst von Herzen wünsche.

Prolog

Fünfzehn Jahre zuvor

»Hey, Jimmy!«, rief Carl, der ein paar Meter entfernt in der Reihe der Posaunen stand. »Die PS2, die ich bestellt habe, wurde endlich geliefert. Lust auf ein Probespiel?«

An der Seitenlinie, wo er mit ein paar anderen Footballspielern saß, lachte Van leise auf. Wie ein Papagei wiederholte er: »Lust auf meinen Schwanz, Jimmy? Er ist wirklich lecker.«

Jimmy stieg die Hitze in die Wangen. Er fischte ein fast sauberes Papiertaschentuch aus seiner Hosentasche, putzte sich die Nase und tat, als hätte er nichts gehört.

»Fick dich, Vanny, du Muschi«, schoss Carl zurück.

Darüber brachen ein paar der anderen Spieler in Gelächter aus.

»Du kannst mich mal an meinem heißen Arsch lecken, Thurston.« Van streckte den Hintern raus und rieb mit der Hand darüber, während er genießerische Schmatzgeräusche von sich gab. »Für dieses Vergnügen sollte ich dich und Zebby eigentlich zur Kasse bitten.«

Jimmy hasste es, wenn sie ihn so nannten, aber er hatte sich daran gewöhnt. Carl gab mit seinen fast 140 Kilo verteilt auf über 1,82 Meter eine gewaltige Erscheinung ab und könnte die meisten der Typen wahrscheinlich windelweich prügeln. Aber Jimmy maß nur knappe 1,70 Meter und wusste es daher besser, als den Footballspielern eine freche Antwort an den Kopf zu werfen.

»Zebulon!«, rief Mr. Peterson, der Dirigent der Marschkapelle. »Was glaubst du eigentlich, wozu du hier bist? Du sollst dich mit den anderen an der Zwanzig-Yard-Linie aufstellen.«

Jimmy hatte nicht einmal mitbekommen, dass die anderen Hornbläser weitermarschiert waren. Die Footballspieler nahmen das zum Anlass, sich weiter über ihn lustig zu machen.

Er ignorierte ihr Gelächter, eilte hinüber zum Rest der Bläser und wünschte, er könnte im matschigen Rasen versinken und einfach verschwinden.

»Kommst du mit zu mir?«, wollte Carl wissen, als sie ungefähr eine Stunde später zum Übungsraum des Orchesters zurückgingen.

»Na klar.« Er würde die Hausaufgaben bei Carl erledigen. »Ich muss nur meine...«

»Unglaublich, wie du diesen letzten Ball gefangen hast«, sagte Gerry zu Danny. Er und ein paar andere Spieler überholten die Musiker auf dem Weg zur Umkleidekabine.

»Danke.« Dannys Lächeln wirkte aufgesetzt. Etwas schief geraten, war es sogar noch niedlicher. Danny sah aus wie ein ganz normaler Typ, wenn er so lächelte. Auf diese etwas unbeholfene Art, als fühlte er sich ein wenig unbehaglich. Dann wirkte er wie irgendein beliebiger Typ. Und nicht wie der beliebteste Kerl der Schule.

Jimmy tastete nach dem eselsohrigen Stück Papier in seiner Hosentasche wie nach einem Talisman, immer noch überrascht darüber, dass Carl mit ihm befreundet sein wollte. Schließlich hatte er Carl in der Woche zuvor anvertraut, dass er schwul war.

»Natürlich magst du ihn«, hatte Carl ihm erklärt, als Jimmy ihm mit quietschender Stimme seine Schwärmerei für Danny gestanden hatte. »Die ganze Schule mag ihn. Das macht dich noch lange nicht schwul. Außerdem, du weißt, wie die drauf sind. Falls sie dich dabei erwischen, wie du sie während der Probe anstarrst…«

Jimmy hatte Carl nicht widersprochen, konnte jedoch den Blick nicht von Danny abwenden, der mitten in einer Gruppe von Spielern stand. Prüfend betrachtete er sein Spiegelbild in einem der Schulfenster und betete darum, dass die getönte Pickelcreme, die seine Mutter ihm besorgt hatte, nicht allzu sehr auffiel. Seine Mutter hatte darauf bestanden, dass er sie auftrug. Hoffentlich deckte das Zeug die schlimmsten Pickel ab.

Danny lächelte Jimmy im Vorbeigehen zu. Dabei schien sich seine Miene aufzuhellen und sein Lächeln wirkte ehrlicher als vorhin. Zumindest kam es Jimmy so vor.

»Hey, Jimmy. Mr. Crowley meinte, du würdest mir vielleicht deine Notizen zu Analysis von der Mathestunde am Freitag borgen.«

»Tat… Tatsächlich?« Jimmy sah zu Carl hinüber, der den Kopf schüttelte.

»Wir hatten dieses Fernsehdings«, erklärte Danny. »Deshalb konnte ich nicht zum Unterricht kommen und…«

»Du willst doch nicht wirklich mit Zebby abhängen, oder?«, unterbrach ihn Mark Cowell, der links neben Danny herlief.

»Na ja, ich…«

»Zebby.« Gerry beugte sich vor, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von Jimmys entfernt war, »hau ab. Danny will mit Schwulen nichts zu tun haben.«

»Gerry, ich…«, setzte Danny an.

»Zisch ab, Zebby«, befahl Mark. »Oder sollen wir dich stattdessen Debby nennen?« Er lachte und versetzte Jimmy einen Stoß vor die Brust. Rückwärts taumelnd stolperte Jimmy über irgendjemandes Fuß und landete in einer Pfütze. Die Footballspieler – alle außer Danny – prusteten los und brachen in Gelächter aus.

»Hey, alles in Ordnung?«, erkundigte sich Carl.

Jimmy wischte den Matsch vom Schalltrichter seines Instruments. »Ja. Alles gut.«

»Sind die nicht süß zusammen?«, fragte Mark mit mädchenhafter Piepsstimme. »Zum Kotzen, oder?«

Jimmy konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass das ganze Footballteam – natürlich inklusive Danny – gesehen hatte, wie er auf den Hintern gefallen war, musste er jetzt auch noch vor ihren Augen anfangen zu heulen. Er wollte sterben. Einfach verschwinden.

»Ooh, schau mal, Danny«, fuhr Van fort. »Zebby flennt. Tust du doch, Zebby, oder? Möchtest du ein Taschentuch, damit du dir die Nase putzen kannst?« Er warf ein versifftes Handtuch nach Jimmy, der es wegschlug.

»Van, ich will wirklich nicht…«

»Verfickte Arschlöcher«, zischte Carl.

Jimmy wusste, dass Carl ihm helfen wollte, kam sich deswegen aber nur noch jämmerlicher vor. Hilfloser als je zuvor. Hauptsächlich, weil er tatsächlich Hilfe nötig hatte. Die Tränen rannen ihm nun zahlreicher die Wangen hinunter. So sollte Danny ihn nicht sehen, mit laufender Nase und verquollenen Augen. Doch als sich ihre Blicke für einen Moment trafen, las er statt der erwarteten Verachtung etwas ganz anderes in Dannys Augen. Mitleid? Anteilnahme?

Aber warum sollte Danny sich dafür interessieren, wie es Jimmy ging? Schließlich war Jimmy genau das, wofür Van und die anderen Jungs ihn hielten: eine Schwuchtel, ein Homo, einer vom anderen Ufer. Einer, der niemals beliebt sein würde.

Die Footballspieler steigerten sich immer mehr in ihr Gelächter hinein.

»Lass uns hier verschwinden.« Carl zog Jimmy zum Eingang des Übungsraums des Orchesters.

»Ich steh auf deinen Look, Zebby.« Van zeigte auf Jimmys schlammverdreckte Jeans. »Sieht aus, als hätte ein Hund sein Geschäft auf deinem armseligen Arsch verrichtet. Aber so eine Scheiße geschieht Typen wie dir nur recht.«

Es schnürte Jimmy die Kehle zu. Als würde ihn jemand würgen. Er keuchte und hustete, und immer noch hinterließen die Tränen brennende Spuren auf seinem Gesicht. Panik stieg in ihm hoch, als er nach seinem Inhalator tastete und ihm aufging, dass er ihn in seinem Instrumentenkoffer vergessen hatte.

»Schon gut, Jimmy. Atme einfach weiter.« Carl drückte ihm etwas in die Hand. Den vermissten Inhalator, wie Jimmy einen Moment später feststellte. Nach einigem Röcheln und Prusten gelang es ihm endlich, die Lippen darum zu schließen und den Pumpmechanismus zu bedienen. Schon leicht benommen, würde er keine weitere Minute durchhalten, bevor er ohnmächtig werden würde.

Endlich entfaltete die Medizin ihre Wirkung und Jimmy schnappte nach Luft, während Carl ihm nervös auf den Rücken klopfte. »Alles in Ordnung?«

Jimmy nickte, brachte jedoch kein Wort heraus. Dafür schämte er sich zu sehr. Er folgte Carl durch die Tür zum Übungsraum.

»Zebby, Zebby, Zebby«, hallten die spöttischen Rufe der anderen hinter ihm durch den Flur.

Jimmy schob eine Hand in die Hosentasche. Wenn er den Tagebucheintrag berührte, den er vor Monaten geschrieben hatte, ging es ihm bestimmt gleich besser. Er kannte jede Zeile auswendig, aber das spielte keine Rolle.

Die Seite war verschwunden.

»Geht's dir gut?«, hakte Carl nach.

»Hast du zufällig ein Stück Papier gesehen?« Jimmy klopfte das Herz bis zum Hals. Ihm wurde schwindelig. Übel.

»Papier? Nö.« Carl runzelte die Stirn. »Hausaufgaben?«

Jimmy schüttelte den Kopf. »Ich muss es wiederfinden.« Er legte sein Horn auf dem nächstbesten Tisch ab und stürzte zur Tür hinaus, ungeachtet der Enge in seiner Brust.

Die Sonne ging bereits über dem Footballfeld unter, als Jimmy auf Knien den Bereich unter der offenen Tribüne und entlang des Zauns absuchte, wo das Gras nicht gemäht worden war. In dem Eintrag hatte er sein Herz ausgeschüttet. Dem Tagebuch alles anvertraut, was er nicht mal Carl erzählen konnte, geschweige denn Danny. Neue Tränen brannten ihm in den Augen, während er die weggeworfenen Bonbonpapierchen und alten Hausaufgabenhefte durchwühlte, die sich unter den Aluminiumsitzen angesammelt hatten.

Nichts.

»Hey.« Carls Stimme brachte Jimmy in die Gegenwart zurück. »Es wird dunkel. Egal, wonach du suchst, was hältst du davon, wenn wir morgen zusammen weitersuchen?«

Jimmy wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und nickte. Dann folgte er Carl zurück zum Gebäude. Ihm war bang ums Herz, und das Gefühl breitete sich langsam in seine Arme und Beine aus. Er wollte sterben. Sich verstecken.

Gerade als er durch die Tür trat, entdeckte er eine Gestalt, die in der Nähe des Eingangs zur Umkleidekabine am Zaun lehnte. Dunkelheit und Tränen verschleierten seine Sicht, sodass er sich nicht ganz sicher sein konnte, aber er hegte den Verdacht, dass es Danny war.

»Jimmy? Kommst du?«, wollte Carl wissen.

»Ja.« Jimmy spähte noch einmal zu der Gestalt hinüber, doch wer auch immer es gewesen sein mochte, war verschwunden.

Kapitel 1

Graham Swann schwang sich auf sein Rennrad. Die Sonne stand schon so hoch am Himmel, dass die feuchte Shorts lange vor Beginn des Schlusslaufs getrocknet sein würde.

Nebel bildete sich über dem Asphalt und verwandelte die Bäume zu beiden Seiten der Rennstrecke in verschwommene Umrisse. Nach den ersten drei Meilen kam der Cape Fear River in Sicht. Funkelnd spiegelte sich das Licht auf der Oberfläche und durchdrang den trüben Nebelschleier.

Der Fahrer vor Graham wurde langsamer, um schnell einen Schluck zu trinken. Graham erkannte ihn an seinem unglaublich durchtrainierten Körper und den türkisfarbenen Streifen an der Seite der Triathlon-Shorts. Auf Oberarmen und Waden trug der Mann seine Teilnehmernummer – 247 – und sein Alter. Mit 32 war er genauso alt wie Graham. Sie waren in derselben Schwimmergruppe gestartet, aber der Typ hatte das Ziel einige Minuten früher erreicht. Was angesichts seiner starken Schultern und der muskulösen Brust keine Überraschung war.

Für die nächsten Meilen hielt Graham das Tempo, indem er Nummer 247 auf den Fersen blieb. Mehr als einmal musste er sich daran erinnern, dass es nicht darum ging, den knackigen Hintern von 247 zu bewundern, sondern um das Erreichen der Ziellinie. Er biss sich auf die Wange, als er sich dabei erwischte, wie er sich die Lippen leckte. Tri-Shorts überließen nichts der Vorstellungskraft.

247 fuhr etwas langsamer als Graham. Doch bei einem Triathlon dieser Länge kam es darauf an, ein möglichst gleichmäßiges Tempo zu halten. Ein paar Meter vor der Markierung auf halber Strecke gab Graham sich einen Schubs und zog vorbei. Nummer 247 winkte ihm zu und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das dafür sorgte, dass Grahams Magen einen Salto schlug. Kastanienbraune Locken lugten in 247s Nacken unter dem Helm hervor, und Graham hätte zu gern gewusst, von welcher Farbe die Augen hinter der verspiegelten Brille waren.

Konzentrier dich! Graham trat härter in die Pedale. An der Vierzig-Meilen-Markierung überholte er einige weitere Fahrer und konnte bereits ein paar der jüngeren Konkurrenten sehen, als er in die Übergangszone einfuhr.

Die letzten paar Meter bis zum Fahrradständer schob er das Rad, tauschte seine Fahrrad- gegen Laufschuhe, und ein paar Sekunden später schlugen seine Füße bereits auf dem Asphalt auf. Die warme Brise roch salzig und er wünschte, er hätte guten Gewissens einen Urlaub in Terris Strandhaus einschieben können. Hoffentlich entspannte sich die Lage im Büro ein bisschen, wenn die neuen Mitarbeiter nächste Woche anfingen.

Konzentrier dich! Wenn er sich nicht für die Dauer dieses kürzeren Wettkampfs konzentrieren konnte, wie sollte er dann einen Ironman-Triathlon bewältigen?

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, fiel ihm auf, dass sich jemand an seine Fersen geheftet hatte. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass Nummer 247 sein Tempo von einer Meile in sieben Minuten wie ein Kinderspiel aussehen ließ. Graham winkte ihm zu. 247 erwiderte die Geste und lief schneller, passte sich Grahams Rhythmus an.

Großartig. Graham wappnete sich innerlich für den wohl bevorstehenden Small Talk – übliche Themen waren die Hitze oder das letzte Rennen des anderen –, doch umsonst. Stattdessen grinste 247 ihn nur an und lief einfach weiter hinter ihm her. Er hielt einen angenehmen Abstand, was Graham zu schätzen wusste.

Als sie sich der Zwölf-Meilen-Markierung näherten, stolperte die Frau, die ungefähr eine Viertelmeile vor ihnen gelaufen war.

Graham sah sich nach einem freiwilligen Helfer für die Frau um, doch es war keiner in Sichtweite. 247 legte einen Sprint hin, der Graham in Atemnot brachte. Hatte er die ganze Zeit vorgehabt, Graham hinter sich zu lassen? Aber statt weiterzulaufen und einen Freiwilligen aufzutreiben, rannte 247 zu der Frau und kniete sich neben ihr hin.

So schnell, wie 247 gelaufen war, hätte er wahrscheinlich einen Medaillenplatz in ihrer Altersgruppe errungen. Dass jemand nur ein paar Meilen vor der Ziellinie anhielt, kam so gut wie nie vor.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich 247. »Können Sie aufstehen?«

Die Frau schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als sie sich den Knöchel rieb.

»Da vorne muss es einen Helfer geben«, sagte 247 zu Graham. »Ich bleibe bei ihr. Würden Sie Bescheid sagen, damit ihr jemand zu Hilfe kommt?«

»Ich… Ja, sicher.« 247 blieb bei ihr? Dadurch verlor er jede Chance auf einen Rang.

Nicht mein Problem. Trotzdem bewunderte Graham den Kerl. Die meisten Teilnehmer an dieser Art von Wettbewerb nahmen den Wettkampf sehr ernst. Und so fit, wie 247 war…

»Danke!«, rief ihm 247 hinterher, als Graham die beiden hinter sich ließ.

Eine halbe Meile weiter die Straße hinunter winkte Graham einen freiwilligen Helfer heran und erklärte ihm die Situation. Und sogar noch während des Endspurts dachte er an 247.

Eine halbe Stunde später setzte er sich an die Ziellinie und verschlang einen faden Bagel und eine Banane, die er sich von einem der Tische mit Erfrischungen geschnappt hatte. Beides schmeckte erstaunlich gut, allerdings hatte er vor dem Wettkampf auch nicht viel runterbekommen. Die Banane war fast aufgegessen, als 247 die elektronische Ziellinie überquerte. Er musste Graham erspäht haben, denn er nickte und lächelte ihm zu, bevor er zu einem älteren Mann hinüber joggte, der ihn mit einem High Five und einer festen Umarmung begrüßte. Die große Ähnlichkeit ließ vermuten, dass es sich um seinen Vater handelte.

247 schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, und Graham erhaschte einen Blick auf seine außergewöhnlich blauen Augen. Zu seiner Überraschung überkam ihn das starke Gefühl eines Déjà-vus. Waren sie sich schon einmal begegnet? Graham überlegte, kam jedoch nicht darauf, ob er ihn von einem anderen Wettkampf kannte.

Nein. Du würdest dich an ihn erinnern.

In dem Moment stieß eine Läuferin mit ihm zusammen.

»Tut mir leid.« Sie lächelte ihn an.

»Macht nichts.« Graham warf einen Blick zur Ziellinie, doch 247 war in einer Gruppe von Gratulanten verschwunden.

Die Frau zögerte für einen Moment, als wollte sie noch etwas sagen, änderte dann aber ihre Meinung und ging weiter. Graham seufzte erleichtert auf. Er hatte sich noch nie wohlgefühlt, wenn ihm eine Frau – oder ein Mann – Aufmerksamkeit entgegenbrachte, und war froh, dass er sich keine Ausflüchte einfallen lassen musste, um einer Unterhaltung aus dem Weg zu gehen.

Einige Zuschauer brachen in Jubel aus und schwenkten Kuhglocken, als ein paar weitere Läufer ins Ziel kamen. Zeit zu gehen. Graham bahnte sich einen Weg zur Übergangszone, in Gedanken bei 247 und der Frage, wie dessen volle Lippen schmecken mochten. Bei der Vorstellung wurde es eng in seiner Hose, sodass Graham tief durchatmete.

Nachdem er sich frisch gemacht hatte, würde er das Rad verladen, in Terris Haus eine Dusche nehmen und sich vor der After-Race-Party in der Innenstadt von Wilmington kurz hinlegen. Mit ein bisschen Glück würde 247 sich dort blicken lassen.

Kapitel 2

»Dritter Platz in meiner Altersgruppe«, berichtete Graham. Terri hatte angerufen, als er sich gerade an einem der Tische niedergelassen hatte.

»Toll«, rief sie durch den Lautsprecher. »Hab ich's doch gewusst. Du musstest nur hart genug trainieren, damit du auf dem Treppchen landest.«

»Danke. Ich wäre als Vierter ins Ziel gekommen, wenn der Typ vor mir nicht angehalten und jemandem geholfen hätte.« Graham beschwor das Bild von 247s Oberschenkeln herauf und wie sie sich angespannt hatten, als er sich neben der verletzten Läuferin hingekniet hatte. Schnell sah er sich im Zimmer um. 247 war nicht aufgetaucht.

»Deshalb ist es nicht weniger beeindruckend«, versicherte ihm Terri. »Du nimmst erst seit ein paar Jahren an Wettkämpfen teil. Dafür wäre der vierte Platz immer noch erstaunlich gut gewesen. Wann fährst du zurück nach Raleigh?«

»Morgen irgendwann.«

»Darüber haben wir doch gesprochen, Graham. Du solltest ein bisschen länger bleiben. Das Haus ist die ganze Woche nicht belegt, und du hast seit mehr als einem Jahr keinen Tag freigenommen.«

»Die Frischlinge fangen am Montag an«, entgegnete er. »So sehr es mir auch widerstrebt, ich muss da sein und sie in der Firma willkommen heißen. Ich meine, mich erinnern zu können, dass du mir eine Standpauke gehalten hast, weil ich dies das letztes Mal nicht gemacht habe.«

»Mir kommen gleich die Tränen«, erwiderte sie. »Endlich hörst du mal auf mich.«

»Als ob.«

»Trotzdem, du hast Urlaub nötig. Sie würden sich bestimmt genauso freuen, wenn du sie nächste Wo…«

»Danke, dass du den Kühlschrank vollgepackt hast«, unterbrach er sie.

Sie seufzte theatralisch. »Gern geschehen. Denk bitte dran, den Rest mit nach Hause zu nehmen, damit Mrs. Martin nicht das ganze Haus dekontaminieren muss.«

»Verstanden. Keine Dekontamination.«

Irgendwo in der Nähe lachte jemand laut auf. »Ich mach mal Schluss. Freibier und Pizza warten und ich bin am Verhungern.«

Sie seufzte. »Geh schon. Und hab zur Abwechslung mal ein bisschen Spaß.«

»Werd ich haben.« Wahrscheinlich eher nicht. Normalerweise schnappte er sich ein paar Stücke durchgeweichter Pizza, spülte sie mit einigen Flaschen Bier hinunter und machte sich wieder auf den Heimweg.

»Wir sehen uns am Montag«, verabschiedete sich Terri.

»Bis dann.« Er beendete den Anruf und legte das Handy auf den Tisch.

»Ist der Platz schon besetzt?«

Graham war es am liebsten, wenn er so wenig wie möglich mit anderen Leuten zu tun hatte. Deshalb überlegte er sich eine Entschuldigung, die seinen schnellen Aufbruch erklären würde. »Eigentlich…«

Er sah auf und erstarrte. 247 lächelte auf ihn hinunter.

Grahams Puls raste los wie ein Läufer an der Startlinie. »Jetzt schon.« Er deutete auf den Stuhl neben sich und gab sein Bestes, damit man ihm nicht ansah, wie glücklich er darüber war, den Typen wiederzusehen – er hatte schon vor Jahren gelernt, dass es immer am besten war, wenn man sich cool gab.

247 setzte sich und hob die Bierflasche, die er in der Hand hielt. Graham stieß mit seiner eigenen an.

»Auf ein großartiges Rennen«, bemerkte 247.

»Auf ein großartiges Rennen.«

»Ich bin Dan.« 247 reichte ihm die Hand. Sein Handschlag war warm, fest und dauerte gerade lang genug, um Graham wissen zu lassen, dass Dan ebenfalls interessiert war.

»Graham.«

»Schön, dich endlich kennenzulernen.« Dans Lächeln wirkte warm und einladend. Fast vertraut.

»Finde ich auch.«

Dan nahm einen tiefen Zug von seinem Bier.

»Sind wir uns schon mal begegnet?«, wollte Graham wissen, als die Neugier die Oberhand gewann. »Vielleicht bei einem anderen Wettkampf?«

»Glaub nicht.« Dans blaue Augen funkelten vergnügt. »Das war mein erster in dieser Gegend. Abgesehen davon würde ich mich bestimmt an dich erinnern.«

Sein Erinnerungsvermögen war vielleicht nicht das beste, aber Graham gefiel die Antwort. »Wie geht es der Frau, der du geholfen hast?«

»Sie wird bald wieder in Ordnung sein. Die Zerrung war nicht allzu schlimm.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie ist nur falsch aufgetreten. Echt traurig. Sonst wäre sie wahrscheinlich die Erste in ihrer Altersgruppe geworden.«

»Und du hättest mich mühelos geschlagen«, stellte Graham fest. »Wirklich nett von dir, dass du ihr geholfen hast.«

»Keine große Sache. Mir kommt es bei diesen Wettkämpfen nicht drauf an, ob ich auf dem Treppchen lande oder nicht. Mir gefällt der Gedanke, dass auch jemand für mich angehalten hätte, wenn ich in der Situation gewesen wäre.«

Das gab Graham zu denken. Er hätte auf jeden Fall einen Freiwilligen zu Hilfe geholt, aber er hätte mit ziemlicher Sicherheit nicht wegen der Frau angehalten, und übrigens auch nicht für Dan. »Du machst das schon seit einer Weile, nehme ich an.«

Dan nickte. »Seit dem College. Hab so lange trainiert, bis ich vor ein paar Jahren den Ironman geschafft habe. Aber ich mag die kürzeren Rennen lieber. Wie sieht's bei dir aus?«

»Eine Freundin von mir nimmt an Wettkämpfen teil«, erklärte Graham. »Sie meinte, ich sollte es mal mit Triathlon versuchen. Hat ein paar Jahre gedauert, bis ich im Schwimmen gut genug war, aber vor drei Jahren hab ich an meinem ersten Halb-Triathlon teilgenommen. Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr fit genug für den Ironman bin.«

»Guter Plan.«

»So gut auch wieder nicht«, gab Graham zu. »Ich hab ein Riesenproblem damit, genug Zeit zum Trainieren freizuschaufeln.«

»Das Gefühl kenne ich. Mittlerweile trainiere ich meistens noch vor dem Morgengrauen, wenn überhaupt. Und dann auch nur auf dem Heimtrainer im Keller.«

Graham lachte leise. »Ist bei mir genauso.« Wenigstens bot das Fitnessstudio in dem Gebäude, in dem er wohnte, eine großartige Aussicht auf die Innenstadt von Raleigh. Von dort hatte er schon einige Sonnenaufgänge beobachtet.

»Einen wahren Triathleten erkennt man angeblich daran, dass er seinen Tri-Anzug unter der Arbeitskleidung trägt, falls er ein paar Extraminuten zum Trainieren abzweigen kann.«

»Daran, und an der hübschen Bräune, die da aufhört, wo deine Shorts anfangen.« Graham schüttelte lachend den Kopf.

»Aber ein billiges Bier und ein paar Stück lausige Pizza nach dem Wettkampf sind den Aufwand wert.« Dan hob seine Flasche und schüttelte sie, bevor er sie wieder abstellte. »Ich brauche noch eins.«

»Ich kenne ein Restaurant, wo sie besseres Bier und die besten frischen Austern der Stadt servieren«, sagte Graham daraufhin. Die Party neigte sich schon dem Ende zu und der Gedanke an ein weiteres Budweiser reizte ihn nicht besonders.

»Ich bin dabei.« Der Druck von Dans Oberschenkel an seinem stieg Graham zu Kopf und er lehnte sich in die Berührung hinein. Dabei rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, um in der Hose Platz für seine Erektion zu schaffen. Dan war definitiv für mehr als nur Drinks zu haben. Er wäre Grahams erster One-Night-Stand, den er bei einem Wettkampf aufgerissen hatte.

Sie verließen die Bar zur Front Street und genossen die kühle Brise, die vom Fluss herüberwehte. Bis zu Randy's Sea Dog waren es nur drei Blocks die Straße hinunter. Das Restaurant war bereits sehr gut besucht, doch sie fanden eine freie Nische am Fenster. Sie mussten sich ziemlich hineinquetschen, da der Platz für zwei Männer ihrer Größe recht knapp bemessen war. Aber so eng an Dan gepresst zu sitzen, machte den Abend gleich noch viel interessanter.

»Was kannst du empfehlen?«, erkundigte sich Dan, nachdem der Kellner ihre Getränkebestellung aufgenommen hatte.

»Die hiesigen Austern sind erstaunlich gut und die Garnelen sind unschlagbar. Die sind auch von hier.«

»Klingt großartig.«

Dan schloss den Mund um eine Auster, und seine Augen funkelten verschmitzt, als er sie übertrieben anzüglich aus der Schale saugte. Er leckte sich über die vollen Lippen und sah Graham in die Augen. Jedes Mal stellte Graham sich vor, was Dan wohl mit diesem sündigen Mund anstellen würde, wenn sie allein und nackt wären.

Zwei Stunden später, nachdem sie einige Pfund Garnelen gepult und verputzt und ein paar weitere Bier getrunken hatten, machten sie sich auf den Weg zum River Walk. Dunkel und still lag der Cape Fear River vor ihnen, als sie nach dem Schlachtschiff North Carolina am anderen, weit entfernten Ufer Ausschau hielten.

»Im Dunkeln wirkt es viel imposanter«, stellte Dan fest. »Mein Urgroßvater hat im Zweiten Weltkrieg auf so einem Schiff gedient. Ich habe bisher nichts Größeres gesegelt als eine winzige Jolle.«

»Die Zeiten haben sich geändert.« Zum Glück, denn Dan beugte sich für einen heißen Kuss zu ihm hinunter, was in den Vierzigerjahren undenkbar gewesen wäre. Zumindest in der Öffentlichkeit. Graham legte die Hände auf Dans Hüfte und zog ihn näher zu sicher heran, während er Dans Mund mit der Zunge erforschte. Dan strich mit einer Hand über Grahams Hintern und drückte zu, woraufhin Graham freudig aufstöhnte.

Als sie sich voneinander lösten, waren beide außer Atem. Dan presste einen Oberschenkel zwischen Grahams Beine und gegen seinen Schwanz. Im Gegenzug ließ Graham eine Hand unter Dans Shirt gleiten, strich mit den Fingern über seinen Bauch nach oben und kniff ihn fest in die aufgerichtete Brustwarze, die er dann zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her rollte.

»Oh, verdammt«, zischte Dan.

Graham zog die Hand weg und sein Gelächter hallte von einem der Gebäude wider. »Ich habe ein Haus am Strand«, wisperte er an Dans Hals. »Vielleicht sollten wir die After-After-Party dorthin verlegen.«

Dan nickte lachend. »Bin dabei.«

In einvernehmlichem Schweigen gingen sie zu dem Parkhaus neben dem Gebäude, in dem die Wettkampfparty stattgefunden hatte. Graham presste Dan gegen die Wand des Fahrstuhls, kaum dass die Türen sich geschlossen hatten, umfasste Dans Hinterbacken und packte fest zu. Jeder war mal dran, das war nur fair.

»In welchem Stockwerk hast du geparkt?« Dan grinste.

»Im obersten.« Die Versuchung, Dan vorzuschlagen, dass sie einfach weiter mit dem Fahrstuhl hoch und runter fuhren, war groß, aber dann hörte Graham, wie eine Autotür zugeschlagen wurde, und entschied, dass sein Auto die bessere, viel privatere Alternative war. Er drückte den Knopf für den vierten Stock und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Graham lehnte sich mit dem Rücken gegen die Türen und vergrub die Finger in Dans Hintern, während Dan die ersten Knöpfe von Grahams Shirt öffnete.

Lachend taumelten sie aus dem Fahrstuhl, als er endlich anhielt.

»Ich schätze mal, das ist deins.« Dan zeigte auf das einzige Auto auf diesem Stockwerk.

Graham nickte und öffnete einen Moment später die Fahrertür. »Das wird ein bisschen eng«, gab er zu, nachdem er beide Sitze so weit wie möglich nach hinten geschoben hatte.

Dan grinste. »Genug Platz für das, was mir vorschwebt.« Er zog Grahams Shirt aus der Hose, sodass seine Brust entblößt wurde.

»Wir könnten uns dafür jede Menge Ärger einhandeln.«

Dan wirkte kein bisschen besorgt. Und dank der späten Stunde und des ansonsten leeren obersten Stockwerks bestand kaum die Gefahr, dass irgendjemand sie sehen würde. Aber ganz auszuschließen war es nicht, was Grahams Begierde nur noch mehr befeuerte.

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222 str. 4 ilustracje
ISBN:
9783958238565
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Bookwire
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