Czytaj książkę: «Schattendasein - Der erste Teil der Schattenwächter-Saga», strona 4

Czcionka:

»Keine Chance«, erwiderte Gabriel. Ich konnte förmlich hören, wie er die Arme vor der Brust verschränkte. »Bevor ich mit jemand anderem auf die Jagd geh, lass ich's lieber ganz bleiben.«

»Das wird nicht gehen, fürchte ich. Die Walpurgisnacht steht vor der Tür.«

»Na und? Es wird genug Wächter geben, die an der Thingstätte nach dem Rechten sehen werden. Genau deshalb kommen sie ja von überall her.«

Er hatte Wächter gesagt. Wahrscheinlich meinte er damit Schattenwächter. Also hatten Hannah und ich wenigstens die richtige Übersetzung gefunden. Aber was sollten Schattenwächter sein? Viel schlauer als vorher war ich immer noch nicht.

»Richtig«, antwortete sein Vater ruhig. »Eben weil wir jeden dort oben brauchen, dich eingeschlossen. Gabriel, du weißt, wie wichtig das Ganze ist.«

»Vielleicht bin ich ja zur Walpurgisnacht wieder fit«, mischte sich nun jemand Drittes ein. Das musste Joshua sein. Er hatte die angenehme Stimme seines Vaters.

»Das kann sein, aber selbst wenn. Du kannst höchstens im Hintergrund agieren. Du wirst völlig aus der Übung sein und musst erst mal wieder zu Kräften kommen. Dein Bein wird am Anfang keine großen Belastungen mitmachen.«

»Ich kann mich doch an der Walpurgisnacht einem anderen Wächter-Team anschließen«, meinte Gabriel. »Und bis dahin komm ich schon allein klar.«

Ich hörte seinen Vater seufzen und hatte Mitleid mit ihm, obwohl ich ihn gar nicht kannte. Aber ich kannte Gabriel ein wenig, und ich hatte bereits am eigenen Leib erfahren, dass er einen zur Weißglut treiben konnte.

»Gabriel. Du machst das Ganze jetzt seit wie vielen Jahren? Muss ich dir wirklich erklären, warum wir Wächter am besten in Zweierteams arbeiten?«

»Ich bin ja nicht ganz blöd. Aber es ist doch nicht zwingend nötig, den Schatten zu beschwören. Warum soll ich ihn von mir Besitz ergreifen lassen, wenn ich ihn auch gleich umbringen kann?«

»Weil es sicherer ist. Erstens können wir uns keine Zeugen erlauben und zweitens sieht es nicht gut aus, wenn überall ohnmächtige Menschen herumliegen.«

Ich musste an den ohnmächtigen Mann auf dem Spielplatz denken und wurde noch hellhöriger.

»Auf der Thingstätte fällt das doch überhaupt nicht auf.«

»Mag sein, aber gerade da ist es wichtig, im Team zu arbeiten. Die Schatten lauern überall, du brauchst Rückendeckung. Und jetzt ist Schluss mit der Diskussion. Du wirst nicht alleine auf die Jagd gehen, basta.«

»Okay, dann such mir jemanden, und ich setz bis zur Walpurgisnacht aus.«

»Das wirst du nicht, jetzt sei einmal vernünftig. Noch haben wir keine Verstärkung hier in Heidelberg. Es ist wichtig, die Schatten unter Kontrolle zu halten. Vor allem jetzt, wo die Walpurgisnacht bevorsteht. In letzter Zeit ist schon genug schief gegangen. Wenn ich dich nur mal an die zwei Schatten erinnern darf, die dir entkommen sind.«

»Die krieg ich noch, das schwör ich dir.«

»Und was ist mit diesem Mädchen, das euch gesehen hat? Wie hieß sie noch gleich?«, wollte der Vater wissen.

Ich hielt die Luft an. Ob sie von mir sprachen?

»Emmalyn, aber um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich hab das im Griff.«

»Tatsächlich? Was hast du ihr denn erzählt?«

»Nicht viel, aber darum geht's auch nicht. Sie hat ja kaum Anhaltspunkte. Entweder, sie kommt zu dem Schluss, dass das Ganze etwas Satanisches war, oder aber sie fällt auf die Sache mit der Burschenschaft rein. Wie auch immer, die kann uns nicht gefährlich werden.«

»Wollen wir's hoffen.«

»Vielleicht sollten wir uns eine plausible Erklärung einfallen lassen, die du ihr auftischen kannst«, schlug Joshua vor. »Nur, damit sie zufrieden ist und nicht weiter bohrt.«

»Das wird sie nicht, und wenn, kriege ich das auch noch hin. Meinem Charme ist bisher noch jede erlegen.«

Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment grinste. Das war ja wohl die Höhe. Hannah konnte er vielleicht mit dieser Masche um den Finger wickeln, aber nicht mich.

»Darauf möchte ich mich lieber nicht verlassen«, erwiderte sein Vater.

Ich erschrak, als es an der Tür klingelte. Mist, was sollte ich jetzt machen? Doch bevor ich überhaupt irgendetwas machen konnte, öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers – und Gabriel stand mir gegenüber. Er starrte mich an, und ich hätte bei seinem Anblick am liebsten gelacht. Leider war mir in diesem Moment so gar nicht nach Lachen zumute.

»Wie bist du hier reingekommen?«

»Deine Schwester war so freundlich.«

»Und wie lang stehst du schon da?«

»Lang genug, würd ich sagen«, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Zwar konnte ich das, was ich gehört hatte, bisher nicht wirklich in einen sinnvollen Zusammenhang bringen, aber das musste er ja nicht wissen.

»Was ist los?«, fragte jemand und trat an die Tür. Das musste Gabriels Vater sein. Er war etwa Mitte vierzig und sah ziemlich gut aus. Die dunklen Haare, die seine Kinder anscheinend von ihm hatten, waren an einigen Stellen grau durchwachsen, doch das machte ihn nur noch attraktiver. Er hatte etwas von George Clooney. Mit seinen grünen Augen sah er mich an. »Wer ist das?« Er sah von mir zu Gabriel. Gabriel gab keine Antwort.

»Emmalyn«, stellte ich mich selbst vor und reichte ihm die Hand.

Er ergriff meine Hand und schüttelte sie, während er mich kurz musterte. Er hatte einen festen Händedruck. »Emmalyn. Na wenn das mal keine Überraschung ist. Ich bin Noah.«

Es klingelte erneut an der Tür. Gabriel warf mir einen kalten Blick zu und ging dann den Flur entlang, um die Tür zu öffnen. Es waren Lilly und Erwin.

»Hast du keinen Schlüssel?«, fragte Gabriel etwas ungehalten.

»Ich hatte keine Zeit, ihn mitzunehmen. Erwin hat es schon so nur knapp geschafft.«

Gabriel stöhnte. »Komm rein und mach die Tür zu.« Er war sichtlich sauer. Mit schnellen Schritten kam er auf mich zu. Ehe ich wusste, wie mir geschah, griff er mich am Handgelenk und zog mich den Flur entlang. Unsanft schob er mich durch eine Tür und schloss sie hinter sich. Das musste Gabriels Zimmer sein, aber ich hatte keine Gelegenheit, mich umzusehen. »Was machst du hier?«, fragte er hart.

»Ich wollte mit dir reden.«

»Ach ja? Tu das, und dann geh wieder.«

»So einfach wirst du mich dieses Mal nicht los.«

Er sah mich böse an. Ich bemerkte, dass seine Augen noch einen Ton dunkler wurden, wenn er wütend war. »Also, was hast du gehört?«

»Lass es mich mal so sagen: Ich hab alle Puzzlestücke beisammen und muss sie nur noch zusammensetzen.«

Gabriel lachte. Es war kein echtes Lachen. »Das glaub ich dir nicht. Was auch immer du gehört hast, du wirst damit nichts anfangen können.«

»Das seh ich etwas anders«, meinte ich selbstsicher, auch wenn ich mich in diesem Moment alles andere als selbstsicher fühlte.

Gabriel kam auf mich zu und griff nach meinen Handgelenken. »Das ist kein verdammtes Spiel«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und funkelte mich wieder an.

»Du tust mir weh«, erwiderte ich, hielt seinem Blick aber stand.

Ich hörte, wie sich die Zimmertür öffnete. »Würdest du sie bitte loslassen«, ertönte Noahs Stimme.

Gabriel zögerte einen Moment, ließ mich dann aber endlich los. Ich rieb mir unauffällig die Handgelenke, während wir uns beide der Tür zuwandten. Noah und Joshua standen dort und beobachteten uns. Joshua nickte mir freundlich zu, und ich nickte zurück.

»Also, was ist hier los?«, wollte Noah wissen.

»Nichts«, antwortete Gabriel. »Emmalyn wollte gerade gehen.«

»Das wollt ich nicht«, widersprach ich. Dieses Mal würde ich mich nicht so einfach geschlagen geben.

Noah und Joshua kamen ins Zimmer und schlossen die Tür hinter sich. Joshua humpelte auf seinen Krücken zu Gabriels Bett und ließ sich darauf fallen. Einen Moment sprach niemand. Ich zögerte kurz, setzte mich dann aber neben Joshua aufs Bett.

»Wie geht's dir? Ich hoffe, mit deinem Bein ist alles in Ordnung.«

Joshua lächelte. »Es geht schon wieder. War zum Glück nicht so schlimm, wie es am Anfang aussah.«

»Was weiß sie?«, fragte Noah in Joshuas Antwort hinein an Gabriel gewandt. Alle Blicke richteten sich auf Gabriel.

»Sie weiß gar nichts.«

Noah sah skeptisch aus und schien Gabriel kein Wort zu glauben. Plötzlich war ich nicht mehr so sicher, ob ich darüber froh sein sollte. Wo war ich da nur hineingeraten?

»Was hast du gehört?«, wollte Noah nun von mir wissen. Er sprach leise und deutlich, aber dennoch hatte er etwas Einschüchterndes an sich.

»Es tut mir leid, ich wollte nicht lauschen.«

»Sag mir, was du gehört hast oder was du weißt.« Die Worte hätten hart klingen können. Das taten sie aber nicht, denn Noah sprach sanft.

Ich holte tief Luft. »Ich weiß von den Schatten und den Wächtern. Ich weiß, dass Wächter in Teams arbeiten und, dass es zu gefährlich ist, alleine auf die Jagd zu gehen.« Ich wiederholte extra die Wörter, die ich gehört hatte, um den Eindruck zu erwecken, dass ich den totalen Durchblick hatte, den ich natürlich nicht hatte. Nicht einmal ansatzweise konnte ich mir zusammenreimen, was das alles zu bedeuten hatte. Da hatte Gabriel also ausnahmsweise mal recht. »Ich weiß, dass zur Walpurgisnacht an der Thingstätte etwas Wichtiges passieren wird. Und ich hab gesehen, wie Gabriel und Joshua mit Schwertern hinter einem Mann her waren. Außerdem war da noch dieses komische Wesen, das verbrannt ist, und die Polizei, die ziemlich desinteressiert war. Und ich weiß, dass das Ganze nichts mit Satanismus oder irgendwelchen Studentenverbindungen zu tun hat, wie du mir weismachen wolltest.« Bei den letzten Worten wandte ich mich an Gabriel. »Die Idee mit der geheimen Burschenschaft war ja ganz nett, aber solang du noch nicht mal dein Abi hast, solltest du dir vielleicht was andres einfallen lassen.«

»Ich hab's ja schon immer gesagt«, meinte Joshua, verstummte aber sofort, als sein Bruder ihm einen bösen Blick zuwarf.

»Siehst du, sie weiß so gut wie gar nichts«, wandte sich Gabriel nun an Noah. »Und mit dem, was sie weiß, kann sie nichts anfangen. Wir sollten das Ganze einfach vergessen.«

»Ich seh das anders«, erwiderte Noah und musterte mich erneut. »Sie weiß schon zu viel. Wir haben keine andere Wahl. Außerdem ist sie viel zu neugierig, wie sich bereits herausgestellt hat, und wird nicht locker lassen. Wir können kein Risiko mehr eingehen.«

»Das kannst du nicht machen«, meinte Gabriel.

Ja, das können Sie nicht machen, wollte auch ich sagen, brachte aber keinen Ton hervor. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, sie wollten mich umbringen, weil ich zu viel wusste. »Doch, das kann ich. Wir werden ihr die Wahrheit sagen müssen.« Ich atmete erleichtert aus, während Noah sich in einen Sessel setzte und die Hände faltete, als ob er uns eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen wollte.

Ein Aushilfsjob

Das, was Noah erzählte, hatte rein gar nichts mit einer Gute-Nacht-Geschichte zu tun. Im Gegenteil, wenn man mir das alles als Kind vor dem Schlafengehen erzählt hätte, hätte ich garantiert Alpträume bekommen. Während Noah sprach, stand Gabriel mit dem Rücken gegen die Fensterbank gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihm war deutlich anzusehen, dass er sauer und alles andere als einverstanden war, dass sein Vater mich einweihte. Fast hätte er mir leidgetan, aber nur fast.

»Also, Schatten und Wächter«, begann Noah und sah mich eindringlich an. »Wir sind Wächter. Vielleicht hast du dich ja schon mal gefragt, ob es im ganzen Universum nicht noch mehr als nur uns Menschen gibt.« Er machte eine kurze Pause und sah mich an.

Ehrlich gesagt hatte ich mich das noch nie gefragt, aber ich wollte nicht ungebildet rüberkommen, also zuckte ich nichtssagend mit den Schultern.

Noah schien nicht unbedingt eine Antwort von mir zu erwarten. Er fuhr fort: »Neben unserer Welt existiert noch eine Parallelwelt, die sogenannte Schattenwelt. Dort leben die Schatten. Solange sie in ihrer Welt bleiben, können sie uns in unserer Welt nichts tun, aber sie können ihre Welt verlassen. Es gibt Portale, die beide Welten miteinander verbinden und die sich jedes Jahr zu bestimmten Zeitpunkten öffnen.«

Ich hätte gerne gewusst, wann genau das war, aber ich traute mich nicht, Noah zu unterbrechen.

»In Deutschland haben wir ein Portal«, übernahm nun Joshua, »die Thingstätte hier in Heidelberg. In der Walpurgisnacht öffnet sich dieses Portal für einige Zeit, und die Schatten können unsere Welt betreten.«

Ah ja, die Walpurgisnacht schien so ein bestimmter Zeitpunkt zu sein. »Und wie muss ich mir so einen Schatten vorstellen?«, fragte ich vorsichtig nach, wobei ich jeden Blickkontakt mit Gabriel vermied.

»Du bist schon mal einem begegnet«, antwortete Joshua. »Das Wesen auf dem Spielplatz, das verbrannt ist; das war ein Schatten.«

Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter, als ich an das Wesen zurückdachte. Es war von vornherein klar gewesen, dass es etwas Übernatürliches gewesen sein musste, aber ich hatte es mir nicht eingestehen wollen. Ich liebte zwar Geschichten und erfundene Welten, aber dennoch hatte für mich immer nur diese eine Welt existiert. Ich hatte mir einfach nicht vorstellen können, dass da noch mehr sein sollte.

»Diese Wesen sehen aus wie normale Schatten«, fuhr Noah fort. »Die Schatten heften sich an die Menschen und können so die Kontrolle über sie übernehmen. Du kannst sie ganz leicht daran erkennen, dass ein beschatteter Mensch seinen Schatten immer entgegengesetzt zu den ganz normalen Schatten wirft. Das bedeutet, dass der Schatten beispielsweise vor dem Menschen ist, obwohl er aufgrund der Sonneneinstrahlung eigentlich hinter ihm sein sollte. Das Hauptziel der Schattenwesen ist es, die Weltherrschaft zu übernehmen. Sie wecken die niederen Instinkte der Menschen, lassen sie aggressiv werden. Damit das Ganze nicht eskaliert, gibt es uns Wächter. Ich bin nicht mehr aktiv, aber Joshua und Gabriel sind es. Neben ihnen gibt es auf der ganzen Welt natürlich noch weitere Wächter. Sie jagen die Schatten und töten sie.«

»Wie können die Wächter denn gegen die Schatten kämpfen?«, wollte ich wissen. »Sie haben doch keine übernatürlichen Kräfte, oder?« Ich traute mich nicht, zu Gabriel zu schauen, aber ich war mir sicher, dass er in diesem Moment die Augen verdrehte.

Noah unterdrückte ein Lächeln. »Nein, wir sind ganz normale Menschen. Die Schwerter helfen uns beim Kampf, und dann beherrschen wir auch eine spezielle Kampfsportart.«

»Das kann schon mal etwas brutal aussehen, wie du mitbekommen hast«, fügte Joshua hinzu. »Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten, einen Menschen von einem Schatten zu befreien. Eine davon ist, ihn mit dem Schwert abzutrennen und ihn dann zu verbrennen. Dem Menschen passiert dabei nichts, er verliert lediglich für eine Weile das Bewusstsein, was meistens ganz hilfreich ist.«

Ich dachte an den ohnmächtigen Mann zurück und begann langsam, zu begreifen, auch wenn das Ganze immer noch etwas verwirrend war. »Und warum kann Gabriel das nicht allein machen?«, fragte ich leise und warf einen vorsichtigen Seitenblick auf ihn. Ich bemerkte, dass auch er mir einen kurzen Blick zuwarf.

»Das frag ich mich auch«, war aber alles, was er sagte.

Noah verdrehte die Augen, doch ich war mir sicher, dass die Geste nicht mir galt. »Zu zweit ist es leichter. Das Ganze kann gefährlich werden, schließlich lassen sich die Schatten nicht freiwillig verbrennen. Außerdem trennen wir die Schatten nur im Notfall ab, weil die andere Methode einfach unauffälliger ist. Mit einer Beschwörungsformel können wir die Schatten dazu bringen, den beschatteten Menschen freizugeben und stattdessen uns zu beschatten. Wir Wächter sind geschult, sodass sie nicht sofort die Kontrolle über uns übernehmen können. So haben wir die Möglichkeit, sie ohne Zeugen zu töten.«

»Verstehe«, murmelte ich und dachte an den Spielplatz. Jetzt war mir auch klar, warum Gabriel und Joshua so erschrocken gewesen waren, als ich ihnen in die Quere gekommen war. Sie konnten keine Zeugen gebrauchen, denn wie sollten sie ihnen die Sache erklären? Mir fiel das komische Verhalten der Polizei ein. »Und was hat die Polizei damit zu tun? Die schienen mir doch recht unbeeindruckt, als sie das Blut und die Asche am Tatort fanden.«

Noah deutete ein Lächeln an. »Wir arbeiten mit der Polizei zusammen.«

Ich nickte. »Inwiefern?«, wollte ich dann aber genauer wissen. »Ich dachte, das Ganze wär so geheim.«

»Ist es auch. Sieh mal, wir Wächter haben nebenher auch noch unseren ganz normalen Beruf, dem wir nachgehen müssen, und natürlich gibt es auch immer wieder Polizisten unter uns. Der Polizeipräsident gehört ebenso zu uns wie viele Wachleiter. So stellen wir sicher, dass uns kein Schatten entgeht. Besonders aggressives oder auffälliges Verhalten bei Menschen deutet darauf hin, dass ein Schatten im Spiel ist. Dadurch, dass unsere Leute in den Führungspositionen sitzen, bekommen wir einen Hinweis und können der Sache nachgehen, bevor ein Streifenwagen losgeschickt wird. Haben wir es wirklich mit einem Schatten zu tun, können wir alle Spuren verwischen und die Sache ist erledigt. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir dadurch Zeit sparen, weil wir nicht permanent und überall patrouillieren müssen.«

»Dann wussten die beiden Polizisten also Bescheid«, meinte ich.

»Zum Glück«, erwiderte Noah. »Nicht eingeweihte Polizisten können unangenehme Fragen stellen. Es kann schon mal vorkommen, dass unwissende Polizisten in einen unserer Fälle verwickelt werden. Bisher ist aber alles gutgegangen, da die Wachleiter die Sache nie weiterverfolgt haben.«

So langsam begriff ich, in was für eine Situation ich Gabriel und Joshua gebracht hatte. »Es tut mir leid«, sagte ich, und ich meinte es wirklich ernst.

Noah lächelte. »Ist schon okay. Du hast es ja nicht böse gemeint, und zum Glück ist ja alles noch mal gut gegangen. Ich muss dich aber um etwas bitten: Du darfst mit niemandem über das reden, was du heute erfahren hast. Das musst du mir versprechen.«

Ich nickte.

»Mit wirklich niemanden«, mischte sich nun Gabriel ein und sah mich an. »Damit meine ich Mark und Tim und vor allem auch Hannah. Wirklich niemand.«

»Ich bin mir durchaus der Bedeutung des Wortes niemand bewusst, aber danke für den Hinweis.« Ich wandte mich an Noah. »Es wird nicht leicht sein, aber ich verspreche, dass ich es für mich behalten werde.« Er nickte. »Gut. Hast du sonst noch Fragen? Ansonsten wären wir hier fertig.« Ich überlegte einen Moment. Sobald ich zu Hause sein würde, würden mir sicher haufenweise Fragen einfallen, doch im Moment musste ich erst einmal verdauen, was ich gehört hatte. »Nein, ich hab keine Fragen mehr.« Wieder nickte er. »Ich werd mal nach Lilly sehen.« Er stand auf. An der Tür drehte er sich noch einmal zu mir um. »Eines noch, Lilly weiß nichts von alledem. Wir wollen sie solange wie möglich aus der Sache heraushalten.« Ich nickte, dann verließ er das Zimmer, während ich mit Gabriel und Joshua alleine zurückblieb. Eine ganze Weile sagte keiner von beiden etwas. Schließlich fragte Joshua: »Ist alles okay?« Ich sah ihn an und nickte. Er nickte zurück, schenkte mir noch ein Lächeln und humpelte hinaus. Wieder war ich alleine mit Gabriel. Ich fühlte mich unbehaglich. Er war immer noch sauer auf mich, da war ich mir sicher. Er sah mich an, sein Blick durchbohrte mich fast. »Und, bist du jetzt zufrieden?« Ich zuckte leicht zusammen. »Ich wollte dich nie in Schwierigkeiten bringen. Aber du musst auch verstehen, dass ich das nicht einfach so hinnehmen konnte. Da sind nun mal Dinge passiert, die nicht normal waren. Es ist doch nur verständlich, dass man da neugierig wird.« »Ich wünschte trotzdem, du hättest dich einfach rausgehalten.« Ich auch, hätte ich fast gesagt. Stattdessen stand ich auf. »Ich geh dann jetzt wohl besser«, meinte ich, blieb aber noch einen Moment unschlüssig stehen. Von Gabriel kam keine Reaktion, also verließ ich sein Zimmer, ohne mich noch einmal umzudrehen. Im Flur traf ich auf Joshua. Er lehnte an der gegenüberliegenden Wand. Ob er auf mich gewartet hatte? Wir lächelten uns an. »Gabriel ist wütend auf mich«, sagte ich mit einem Seufzen. »Du hast ihn in seinem Ego gekränkt«, erklärte Joshua. »Du warst eben schlauer als er. Aber keine Angst, der kriegt sich schon wieder ein. Woher kennt ihr euch eigentlich?« Ich zuckte die Schultern. »Weißt du, theoretisch kennen wir uns kaum. Er ist in derselben Klasse wie mein Bruder Mark. Das war's auch schon.« »Mark?« Joshua überlegte einen Moment, dann schien der Groschen gefallen zu sein. »Oh Mann, du bist Marks kleine Schwester? Ist ja irre. Wie geht's Mark? Ich hab ihn ewig nicht mehr gesehen.« »Dem geht’s gut. Hör mal, es tut mir echt leid. Wenn ich gewusst hätte, in was für Schwierigkeiten ich euch damit bringe, hätte ich mich rausgehalten. Ich hoffe, du bist nicht auch sauer auf mich.« »Ach was, da braucht's schon mehr, um mich zu verärgern. Um ehrlich zu sein, kann ich dich gut verstehen. Ich hätt wahrscheinlich das Gleiche gemacht wie du.« Ich fühlte mich schon ein kleines bisschen besser. »Danke«, meinte ich. Joshua lächelte, und ich lächelte zurück. »Ich geh dann jetzt mal nach Hause. Muss das erst mal alles verdauen.« Er nickte. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag Bescheid.« »Danke, das ist lieb.« Ich betrachtete ihn einen Moment. Er war so anders als sein Bruder. Joshua sah ebenso gut aus wie Gabriel. Auch er hatte dunkle Haare, allerdings war es eher ein dunkler Braunton, und er war genauso durchtrainiert. Mehr als das teilte er aber nicht mit Gabriel. Joshuas Augen waren von einem schönen Blau, und er hatte eine völlig andere Art. Gabriel konnte zwar nett sein, aber er konnte auch ganz schön nerven. Er war irgendwie düster, sarkastisch und zugleich sexy. Joshua hingegen war verständnisvoll und lieb. »Ich würd dich ja fahren ...«, sagte er nun und deutete auf seinen Fuß. Ich riss mich aus meinen Gedanken und lächelte. »Bin mit dem Fahrrad da, aber trotzdem danke.« Er nickte. »Na dann. Mach's gut, Emmalyn.« »Du auch.« Ich warf noch einen Blick auf Gabriels verschlossene Tür, dann ging ich.

Ich fuhr den gesamten Weg mit dem Fahrrad zurück, um einen freien Kopf zu bekommen, doch es half nichts. Ich war immer noch völlig verwirrt, als ich mein Fahrrad in die Garage schob und dann in die Küche ging, um mir einen Tee zu machen. Ich wollte mich einfach nur in mein Zimmer verkrümeln und in Ruhe über alles nachdenken, doch dazu sollte es nicht kommen. Als ich die Küche betrat, saßen dort mein Bruder und Hannah und tranken Kaffee.

»Da bist du ja endlich«, meinte Hannah. »Ich wart schon seit über einer halben Stunde auf dich. Hast du vergessen, dass wir an dem Referat arbeiten wollten?«

Das hatte ich in der Tat völlig vergessen. Schuldbewusst nickte ich und entschied mich spontan um. Statt mir Tee zu machen, nahm ich mir ebenfalls eine Tasse Kaffee mit viel Milch und Zucker. Ich mochte Kaffee eigentlich nicht besonders, außer er enthielt mindestens fünfzig Prozent Milch. Aber das Koffein würde mir sicher guttun.

Hannah sprang auf und griff nach ihrer Tasse. »Wo warst du denn?«, fragte sie, als wir gemeinsam nach oben in mein Zimmer gingen.

»Ähm, ich bin ein bisschen mit dem Fahrrad gefahren. Ich brauchte mal wieder etwas Bewegung und hab dabei völlig die Zeit vergessen.« Was für eine lahme Ausrede, doch Hannah schien sie mir tatsächlich abzunehmen. Sie sah mich nur ein wenig skeptisch an.

»Also ich hab immer noch genug von der letzten Sportstunde. Was wolltest du eigentlich?«

Verwirrt sah ich sie an. »Was meinst du?«

»Na du hast doch gestern Abend versucht, mich anzurufen. Klang wichtig.«

»Ach das.« Oh verdammt, was sollte ich denn jetzt sagen? Im Lügen war ich noch nie sonderlich gut gewesen. »Also das, ähm, das hat sich schon erledigt.«

»Was war denn?«

Warum konnte sie es nicht einfach gut sein lassen? Ich wollte sie nicht anlügen, aber ich hatte keine Wahl. »Ähm, es war so, dass ich dachte, ich hätte etwas Neues über Gabriel herausgefunden, aber das war nur falscher Alarm. Die Sache mit der Burschenschaft scheint tatsächlich zu stimmen.« Normalerweise stotterte ich nicht so viel, aber Hannah schien das gar nicht zu bemerken.

»Siehste, hab ich doch gleich gesagt«, erwiderte sie nur, und damit war die Sache vorerst erledigt.

Wir arbeiteten an unserem Referat, auch wenn ich mich nur schwer darauf konzentrieren konnte. Das Thema war nicht unbedingt das Beste, um nicht an Gabriel und die ganze Wächtersache denken zu müssen, aber ich hatte keine Wahl. Nächsten Freitag mussten wir das Referat vortragen, wir hatten also nur noch eine knappe Woche Zeit. Da wir bisher noch nicht viel gemacht hatten, saßen wir fast den ganzen Tag daran, aber wenigstens war das Referat bis zum Abend fertig. Nun mussten wir nur noch das Handout machen und das Vortragen üben.

Nachdem Hannah gegangen war, fiel ich müde und völlig fertig auf mein Bett. Endlich alleine, dachte ich, doch dieser Zustand sollte nicht lange anhalten, denn ich war mit Tim verabredet. Nur etwa zehn Minuten, nachdem Hannah weg war, erschien er in meinem Zimmer. Wir waren so gut wie jeden Samstag verabredet, und er schlief auch fast immer bei mir. Wie hatte ich das nur vergessen können?

Ich versuchte, mir gegenüber Tim nichts anmerken zu lassen. Wir bestellten uns eine Pizza und sahen uns gemeinsam mit Mark einen Film an. Ich bekam nicht allzu viel von dem Film mit, aber das fiel nicht wirklich auf. Tim unterhielt sich immer noch ganz gerne über die Filme, die wir gesehen hatten, doch dazu hatte er ja heute Mark.

Normalerweise fand ich es immer etwas nervig, dass Tim sonntagmorgens wegen seiner Fußballspiele immer schon so früh los musste, doch diesen Sonntag störte mich das überhaupt nicht. Und das, obwohl Zeitumstellung war und man uns auch noch eine Stunde geklaut hatte. Ich hatte mal wieder die halbe Nacht nicht geschlafen, da mir einfach noch zu viel im Kopf herumgespukt hatte. Nach dem Frühstück ließ ich mir ein heißes Bad ein. Ich duschte zwar morgens immer und badete lieber abends, aber vielleicht würde es ja helfen, um mich etwas zu entspannen.

Ich saß kaum zehn Minuten in der Wanne und genoss die Ruhe, als es an der Tür klopfte. Meine Mutter kam herein und hielt mir das Telefon entgegen.

»Da ist jemand am Telefon für dich«, sagte sie leise.

»Wer denn?«, wollte ich wissen, doch meine Mutter zuckte nur mit den Schultern und verschwand wieder. »Hallo?«, meldete ich mich.

»Hallo Emmalyn, hier ist Noah.«

Noah? Ich kannte keinen Noah, doch dann fiel es mir wieder ein. Gabriels und Joshuas Vater. Ich setzte mich auf.

»Ich hoffe, ich störe nicht«, meinte er.

Eigentlich schon, dachte ich. »Nein, gar nicht.« Was zum Geier wollte der von mir? »Ich wollte dich bitten, heute noch einmal zu uns zu kommen. Wir müssten noch etwas mit dir besprechen.« »Worum geht's denn?« »Das möchte ich am Telefon lieber nicht sagen. Hast du Zeit?« Ich hatte keine Lust, aber was sollte ich machen? »Ja, ich denk, das sollte sich machen lassen. Aber es wird etwas dauern, bis ich bei Ihnen bin. Die Verkehrsanbindung zum alten Schlosshotel ist nicht die beste, und dann ist auch noch Sonntag. Da fahren die Busse nicht so oft.« »Mach dir darüber keine Sorgen, Gabriel wird dich abholen.« »Okay.« Ich war nicht sicher, was ich davon halten sollte. »Passt es dir in einer halben Stunde?« Ich nickte, bis mir einfiel, dass er mich ja gar nicht sehen konnte. Zum Glück, immerhin saß ich in der Badewanne. »Ja, das passt.« »Sehr gut. Dann bis nachher.« Bevor ich noch etwas erwidern konnte, hatte er auch schon aufgelegt. Na super, ich hatte gehofft, die ganze Sache einfach vergessen zu können. Ich seufzte und tauchte unter.

Gabriel hatte ein schwarzes Auto und fuhr in etwa so, wie ich es mir vorgestellt hatte. So, als ob Ampeln, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Verkehrsschilder nichts weiter als Richtlinien wären, und aus den Lautsprechern dröhnte laute Musik, die sehr nach Linkin Park klang. Trotzdem fühlte ich mich nicht wirklich unsicher. Er hatte alles unter Kontrolle. Nur mit dem gleichzeitig fahren und sich unterhalten haperte es noch ein wenig.

»Was will dein Vater denn von mir?«, wollte ich wissen.

Gabriel schnaubte. »Das soll er dir mal schön selber erklären«, war dann auch alles, was er sagte.

Den Rest der Fahrt schwiegen wir, aber mir war das gar nicht so unrecht.

»Du hast gestern sicher mitbekommen, dass wir dringend einen Ersatz für Joshua brauchen«, begann Noah.

Wir saßen in seinem Arbeitszimmer. Noah, Joshua und ich hatten auf Sesseln Platz genommen, Gabriel stand wie am Tag zuvor mit verschränkten Armen gegen die Fensterbank gelehnt.

»Die Schattenjagd erfordert nicht nur höchste Konzentration, sondern auch körperliche Fitness, und daran hapert es bei Joshua gerade. Ich habe gleich gestern noch einen Ersatz angefordert. Das Problem ist, dass die zwei Schattenwächter ein Team bilden müssen. Es ist wichtig, dass sie einander verstehen können und sich gegenseitig vertrauen. Neben Deutsch sprechen Joshua und Gabriel auch Spanisch und Englisch. Im Moment können wir aber leider auf der ganzen Welt keinen kurzfristig verfügbaren Ersatz finden, der eine der drei Sprachen ausreichend beherrschen würde.«

Das war ja alles schön und gut, aber warum erzählte er mir das? Mir war nicht ganz klar, was ich damit zu tun hatte.

Noah fuhr fort: »Leider kann ich nicht für Joshua einspringen. Ich bin den körperlichen Anforderungen einfach nicht mehr gewachsen, und außerdem bin ich auch mit meinen sonstigen Aufgaben vollkommen ausgelastet. Es ist uns untersagt, unwissende Menschen in das Geheimnis einzuweihen. Daher bleibt uns nur eine Wahl.«

Er sah mich an, ebenso wie Joshua. Nur Gabriel blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Moment mal, was war hier los? Hatte ich irgendetwas verpasst? Doch schließlich erkannte ich, worauf er hinaus wollte. Ich legte eine Hand auf mein Herz. »Sie meinen doch nicht etwa mich?« Nein, das konnte nicht sein.

Aber Noah nickte.

»Ist das denn überhaupt erlaubt?«, fragte ich hoffnungsvoll nach. »Immerhin bin ich ja nur ein ganz normaler Mensch.«

»Der Rat wär garantiert nicht begeistert«, murmelte Gabriel.

Noah ignorierte seinen Kommentar und sah stattdessen weiter mich an. »Alle Schattenwächter sind ganz normale Menschen. Der Großteil von ihnen ist nur damit aufgewachsen, das ist der einzige Unterschied.«

»Aber ich dachte, das Ganze ist gefährlich!« Ob sie mich doch umbringen wollten? Das schien mir eine sichere Methode zu sein, denn ob ich so eine Schattenjagd überleben würde, war in meinen Augen äußerst fragwürdig. Außerdem hatten sie die Möglichkeit, die Polizei aus der Sache herauszuhalten, sie müssten also nur meiner Mutter irgendwie erklären, was aus mir geworden war.

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