Czytaj książkę: «Wechselgeld für einen Kuss»

Czcionka:

Ruth Gogoll
Wechselgeld für einen Kuss

Roman

© 2020

édition el!es

www.elles.de info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-317-3

Coverfoto:

iStock.com/SrdjanPav

1

»Was für ein Mist!« Nicola suchte in den Tiefen ihrer Handtasche herum und wurde immer ungeduldiger. Und das hier an der ALDI-Kasse! Gerade eben hatte sie doch noch einen Zehner gehabt. Und mehr brauchte sie auch gar nicht. Nur diesen Zehner. Aber auf einmal war er verschwunden. Sie hatte ihn vorhin doch hier reingesteckt . . .

»Kommt da jetzt noch was, junge Frau?« Die Kassiererin schaute sie grimmig an. »Da warten nämlich noch mehr Leute.«

»Ja. Ja, ich weiß.« Unbehaglich fühlte Nicola Wärme in ihre Wangen steigen. Wie peinlich konnte es eigentlich noch werden?

»Kann ich Ihnen aushelfen?« Ein Arm schob sich an ihr vorbei und legte einen Fünfziger auf das Band, auf dem Nicolas wenige Einkäufe immer noch darauf harrten, bezahlt zu werden.

Bevor Nicola überhaupt etwas sagen konnte, hatte die Kassiererin sich den Schein schon gegrabscht und das Wechselgeld herausgegeben. Nicolas Einkäufe landeten mit fulminantem Schwung auf der anderen Seite des Bandes, in der Grube zum Einpacken.

»He, wie kommen Sie dazu –?« Nun endlich protestierte Nicola, aber als sie die Person, die ihr den Fünfziger geliehen hatte, anpflaumen wollte, blieb ihr die Luft weg. Wie sah die denn aus? Strahlende blaue Augen und darüber dunkle lockige Haare. Wie ein junger weiblicher George Clooney.

›George‹ bemerkte ihre Reaktion, und ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sie können es mir ja zurückgeben«, sagte sie. »Aber hier bei ALDI fühle ich mich immer, als würde jemand mit einer Peitsche hinter mir stehen, weil man sich so beeilen muss. Ich hasse das.«

»Ja, ähm . . .« Nicola schluckte. »Ich auch.« Sie fühlte ein sanftes Kribbeln in sich. »Furchtbar. So viele Leute.«

»Tja.« ›George‹ grinste. »Wie wäre es denn, wenn wir irgendwo hingehen, wo weniger Leute sind?«

Das Kribbeln in Nicola verstärkte sich. Aber auf einmal kehrte ihre natürliche Mutwilligkeit zurück. »Schon meine Mami hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen«, erwiderte sie spitz.

»Dann stelle ich mich wohl besser vor, damit ich Ihnen nicht mehr fremd bin«, entgegnete ›George‹ lachend, während sie nebeneinander den ALDI verließen. »Lian Lorenz.« Sie machte eine leichte Verbeugung, als sie ihren Namen nannte.

Das beeindruckte Nicola aber in keiner Weise. Wofür hielt diese Lian – ungewöhnlicher Name irgendwie, was sollte der eigentlich bedeuten? – sich? »Und jetzt wollen Sie meinen?«, pflaumte sie sie deshalb erneut an.

»Wäre nett«, sagte Lian. »Aber Sie müssen nicht.«

Oh mein Gott. Diese blauen Augen. Wenn die nur nicht gewesen wären . . . »Nicola«, entgegnete sie. »Das muss reichen.«

Ein amüsiertes Schmunzeln spielte um Lians Lippen. »Reicht«, sagte sie. »Fürs Erste.«

»Was meinen Sie damit: fürs Erste?«, fauchte Nicola fast. Diese Frau brachte sie einfach dazu. Sie war unmöglich. Oder vielleicht ärgerte sie, Nicola, sich auch nur darüber, dass sie ihr laut pochendes Herz einfach nicht zur Ruhe zwingen konnte.

»Nun ja, Sie schulden mir«, Lian schaute auf den Zettel in ihrer Hand, »neun Euro dreiundachtzig. Wollen Sie die etwa nicht zurückzahlen?«

Jetzt hätte Nicola ihr endgültig ins Gesicht springen können. »Ach, deshalb haben Sie mir das Geld geliehen!«, blaffte sie Lian an. »Machen Sie das immer so? An der ALDI-Kasse warten, bis eine Frau kein Geld dabeihat und Sie galant einspringen können?« Das galant betonte sie so abschätzig, dass klar war, dass sie das Gegenteil meinte.

Erneut zuckten Lians Mundwinkel. »Ich bin eigentlich eher selten bei ALDI«, antwortete sie. »Das war mehr ein Zufall heute.«

»Schöner Zufall!« Nicola hievte die Tasche mit ihren Einkäufen in den Korb am Lenker ihres Fahrrads. »Sie können viel behaupten, wenn der Tag lang ist!« Aufgebracht öffnete sie das Schloss, zog es ab und warf es ebenfalls in den Korb.

Als sie schon aufsteigen wollte, fragte Lian mit einem süffisanten Unterton in der Stimme: »Und was ist jetzt mit meinen neun Euro dreiundachtzig?«

Verdammt! Nicola ärgerte sich erneut, dass sie das vor lauter Ärger schon fast vergessen hatte. Und noch mehr ärgerte sie sich, dass sie ihr Portemonnaie zu Hause vergessen hatte. Sonst hätte sie jetzt einfach irgendwo an einem Geldautomaten Geld ziehen können. »Ich kann Ihnen das Geld in einem Umschlag schicken, wenn Sie mir Ihre Adresse geben.« Hochmütig hob sie das Kinn, als wäre das eine Gnade, die sie dieser dahergelaufenen Frau erwies.

»Oh nein. Auf so etwas lasse ich mich nicht ein.« Lian Lorenz lachte. »Sie fahren doch jetzt bestimmt nach Hause. Und da Sie mit dem Fahrrad unterwegs sind, nehme ich einmal an, das ist hier in der Nähe. Also werde ich einfach mitkommen, und dort können Sie mir das Geld dann geben.« Sie lachte erneut und ließ Münzen in ihrer Hand klimpern. »Das Wechselgeld habe ich ja noch. Nur falls Sie es zu Hause nicht klein haben.«

Fast hätte Nicola ihre Kiefer durchgebissen, so presste sie sie aufeinander. »Wofür halten Sie sich eigentlich? Meinen Sie, ich lasse einfach so jede x-beliebige Fremde in meine Wohnung?«

»Sie müssen mich ja nicht reinlassen.« Lian grinste. »Ich warte gern vor der Tür, während Sie das Geld holen.«

Wenn sie jetzt nicht endgültig explodieren wollte, musste Nicola aufsteigen und losfahren. »Dann kommen Sie eben mit«, knurrte sie ungnädig. »Wie, ist mir egal.« Und schon stieß sie dermaßen in die Pedale, dass sie über den Parkplatz davonschoss.

Ob diese Lian irgendein Fahrzeug hatte oder ihr hinterherlaufen musste, das war ihr so was von völlig schnuppe. In der Tat hätte sie sie am liebsten neben oder hinter sich herkeuchen sehen, aber davon war nichts zu hören.

Ein Stück vom Parkplatz entfernt bemerkte sie plötzlich, dass ein Auto sehr nah an sie heranfuhr, neben sie, nicht an ihr vorbei.

»Sie sind schnell.« Lian lachte.

Unwillkürlich warf Nicola einen Blick neben sich. Ein Cabrio! Das war ja wohl kaum zu glauben! Und dann machte sie so einen Aufstand wegen neun Euro dreiundachtzig? Das konnten doch nur Peanuts für sie sein. »Nicht schnell genug«, gab sie mit zusammengepressten Lippen zurück.

»Aber, aber.« Erneut klang Lians Lachen aus den Tiefen der beigen Lederpolster. »Sie wollten doch nicht tatsächlich die Zeche prellen?«

Das Cabrio in british racing green war so niedrig, dass Nicola von oben wie in einen Brunnen hineinschauen konnte. Schickes Teil. Und irgendwie passte diese Lian auch dazu. Oder umgekehrt das Auto zu ihr.

Wieso kaufte die bei ALDI ein? Nicola hätte sie eher in einem Delikatessenladen gesehen.

»Davon war nie die Rede!« Warum habe ich meine Einkäufe nicht einfach dortgelassen? Schon wieder ärgerte Nicola sich. Das hier hätte sie sich gern erspart. Aber wer hatte das ahnen können? So schlimm hatte Lian-George gar nicht ausgesehen.

Sie bog in die nächste Seitenstraße ein, und Lian folgte ihr. Das zweite Haus auf der rechten Seite war das, in dem Nicolas Wohnung lag. Sie sprang vom Fahrrad, lehnte es an die Wand und nahm ihre Einkäufe aus dem Korb.

»Ich brauche mein Rad wohl nicht abzuschließen, bis ich zurückkomme«, warf sie beißend in das Cabrio hinein. »Sie sind ja da, um aufzupassen.«

Erneut lachte Lian, und es klang so amüsiert, dass das allein schon eine Beleidigung war. »Ich werde jeden Dieb mit wilden Dschungelschreien verscheuchen«, versprach sie völlig unernst.

Wahrscheinlich wird sie es ihm noch in die Hand drücken, weil sie das so lustig findet, dachte Nicola, aber sie wollte diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen, und deshalb sprang sie fast zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf.

In ihrer Wohnung angekommen stellte sie die Einkäufe auf den Küchentisch – und da lag ja auch ihr Portemonnaie. Wie praktisch. Sie rollte über sich selbst die Augen. Schnell nahm sie einen Zehner heraus und raste wieder zur Tür, die Treppe hinunter und zum Haus hinaus.

»Hier!« Ruckartig streckte sie den Schein mit einem steifen Arm in das Cabrio hinein und versuchte, den Blick in Lians amüsiertes Gesicht zu vermeiden. »Den Rest können Sie behalten!«

»Wie großzügig.« Lian grinste und nahm den Schein entgegen. »Ich will Sie aber auf keinen Fall übervorteilen.« Sie öffnete die Mittelkonsole und nahm das Wechselgeld heraus. »Ich habe es ja schon passend da.«

Unwillig warf Nicola den Kopf in den Nacken. »Benzingeld«, gab sie knapp zurück. »Weil Sie mir ja folgen mussten.« Sie verweigerte die Annahme des Wechselgelds, indem sie sich auf dem Absatz umdrehte und hocherhobenen Hauptes zum Haus zurückmarschierte. »Oh nein!« Entsetzt starrte sie auf die geschlossene Tür.

Und unvermeidlich – wie konnte es anders sein? – stand auch schon Lian neben ihr. »Schlüssel vergessen?«, fragte sie mit einem verdächtig süßen Tonfall in der Stimme.

»Nein, überhaupt nicht!« Gleich bekam Nicola endgültig einen Wutanfall. »Wie kommen Sie darauf?«

»Na ja, Sie stehen hier vor der Tür, Ihr Fahrrad steht noch hier, Sie schließen es nicht ab, schieben es nicht hinein und gehen selbst auch nicht rein«, bemerkte Lian trocken. »Da könnte man doch vermuten –«

»Haben Sie sonst nichts zu tun als zu vermuten, Sie . . . Sie Sherlock Holmes?«, schrie Nicola sie beinah an. Sie konnte sich gerade noch so beherrschen, dass ihre Stimme sich nicht überschlug. »Schwingen Sie sich doch endlich in Ihr schickes Halbauto und verschwinden Sie!«

»Sie finden es schick?« Völlig unbeeindruckt drehte Lian sich kurz zu ihrem Cabrio um, das da ganz unschuldig am Straßenrand stand. »Es gefällt Ihnen?«

»Was . . . hat . . . das . . . für . . . eine . . . Bedeutung?« Nicolas Nägel bohrten sich in ihre Handflächen, und sie bekam die Wörter kaum heraus. In ihrem Hals bildete sich ein furchtbarer Kloß. Wenn der Schrei herauskam, würde man sie gleich in die Psychiatrie einweisen. Der würde die ganze Straße erschüttern.

»Na ja, ich freue mich, wenn es Ihnen gefällt.« Lian grinste wieder. »Wenigstens etwas, das Ihnen an mir gefällt. Alles andere scheinen Sie ja nicht zu mögen.«

»Wundert Sie das?« Nicola atmete tief ein und aus, um sich wieder in den Griff zu bekommen.

Darauf antwortete Lian nicht, sondern ließ ihren Blick über die Fassade schweifen. »Kann Sie denn nicht irgendjemand reinlassen?«, erkundigte sie sich. »Das sind doch mehrere Wohnungen.«

»Hier unten zur Haustür schon.« Nicola versuchte, sich ganz normal zu verhalten, obwohl es ihr schwerfiel und einiges abverlangte. Aber vor dieser . . . Person wollte sie sich keine Blöße geben. Das hätte noch gefehlt! »Nur meine Wohnungstür . . .«

»Keine Nachbarin, die einen Schlüssel hat?«, fragte Lian pragmatisch.

»Leider nein.« Nicola zuckte die Schultern. »Ich wohne hier noch nicht so lange.«

Lian nickte. »Balkon?« Erneut schweifte ihr Blick über die Fassade, als würde sie nach einem solchen suchen, obwohl hier nichts davon zu sehen war. »Hat Ihre Wohnung einen?«

»J-Ja schon . . .« Erstaunt blickte Nicola sie an. »Aber die Wohnung ist im zweiten Stock. Da kann man nicht so einfach hochspringen.«

»Zeigen Sie mir Ihren Balkon?« Lian hob fragend die Augenbrauen und wies mit dem Arm um die Ecke. »Hinter dem Haus?«

»Das hat doch keinen Sinn.« Trotzig verschränkte Nicola die Arme. »Was nützt Ihnen ein Balkon im zweiten Stock? Sie wollen nur genau wissen, wo ich wohne.«

Lian trat einen Schritt vor und schaute auf das Klingelbrett. »Es gibt zwei Namen hier im zweiten Stock«, stellte sie fest. »Einer davon muss Ihrer sein. Also weiß ich doch im Prinzip schon, wo Sie wohnen.«

Dem konnte Nicola schlecht widersprechen. »Na gut, wenn Sie unbedingt wollen.« Sie seufzte. »Ist ja sowieso schon alles egal. Muss ich wieder den Schlüsseldienst holen. Und das wird teuer.«

»Wieder?«, hakte Lian schmunzelnd nach. »Sie haben sich hier schon einmal ausgesperrt?«

»Nicht hier.« Widerspenstig presste Nicola die Lippen zusammen. »Aber Schlüsseldienste sind überall teuer.«

»Dann wäre es vielleicht gut, wenn wir versuchen würden, diese Ausgabe zu vermeiden«, sagte Lian und ging mit nach oben gerichtetem Blick langsam um die Ecke herum, auf die sie zuvor gezeigt hatte.

Nicola sah sie hinterm Haus verschwinden und kam sich wie ein Kind vor, das jemand einfach so stehengelassen hatte. Was bildete sich diese komische Cabriofahrerin eigentlich ein? Sie fühlte sich gereizt und nervös und hätte am liebsten auf etwas eingeschlagen. Vielleicht stellte Lian sich ja zur Verfügung.

Entschlossen stapfte sie ihr hinterher, blieb vor der hinteren Fassade des Hauses stehen und wies mit einem Arm nach oben. »Da. Das ist mein Balkon.« Ihre Augen blitzten Lian an. »Nun haben Sie ihn gesehen und können hoffentlich abdampfen. Oder wollen Sie noch hierbleiben, bis der Schlüsseldienst kommt, weil Sie das so genießen?«

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Lian, betrachtete die Balkone kurz, nahm Anlauf und sprang an das Geländer des Balkons im Erdgeschoss, hangelte sich hoch, stieg auf das Geländer, sprang noch einmal, hievte sich auf den Balkon im ersten Stock und wiederholte das dann für den zweiten.

Die Balkontür hatte Nicola zwar nicht offengelassen, aber das Küchenfenster, das ebenfalls auf den Balkon hinauszeigte.

»Ich steige durchs Fenster«, rief Lian ihr da auch schon vom Balkon herunter zu. »Gehen Sie zur Haustür!«

»Das hättest du mir nicht sagen müssen, das weiß ich selbst«, grummelte Nicola. »Besserwisserin.«

Aber sie ging nach vorn, und im nächsten Moment öffnete sich die Tür, und Lian stand vor ihr. »Bitte sehr«, flötete sie mit einem breiten Grinsen fast und hielt Nicola ihre Schlüssel hin. »Und jetzt nicht wieder verlieren.«

Sie lachte, ging an Nicola vorbei, schwang sich ohne die Türen zu öffnen in ihr Cabrio und glitt davon.

2

»Was für eine Kratzbürste!« Lian lachte, während der Fahrtwind durch ihre kurzen Haare fuhr, ihre Locken verwirbelte und ihre Kopfhaut kribbeln ließ.

Sie liebte Herausforderungen, und dazu gehörten auch Frauen, die nicht leicht zu kriegen waren. Was gab es Langweiligeres als eine Frau, die eine vom ersten Moment an anschmachtete? Das hatte sie oft genug erlebt. Das brachte überhaupt nichts. Na ja, für eine Nacht vielleicht.

Aber diese Nicola . . . die hatte schon was. Sie war so zickig, wie eine Frau nur sein konnte, und trotzdem hatte Lian gleich zu Anfang das Interesse in ihren Augen gesehen. Es war nur kurz aufgeblitzt, weil die Wut, die Nicola offensichtlich in sich trug, es gleich wieder zurückgedrängt hatte, aber Lian entging so etwas nicht.

Warum sollte sie es nicht versuchen? Im Moment hatte sie ja Zeit, in den nächsten Wochen hatte sie nichts anderes zu tun, da konnte sie sich auch um diese Nicola kümmern. Das war auf jeden Fall spannender, als nur irgendwo herumzusitzen – und wenn es in der Südsee war – und zu relaxen.

Sie ließ ihren Blick an der Straße entlangschweifen, die sie gemütlich entlangcruiste, und entdeckte nach kurzer Zeit einen Blumenladen. Welche Frau mochte keine Blumen? Selbst so eine wie Nicola Harnoncourt – die Klingelschilder waren wirklich sehr nützlich gewesen, was den Namen betraf – konnte dem Charme eines Blumenstraußes gewiss nicht so einfach widerstehen.

Sie betrat den Laden, und er erschien zuerst einmal leer. Dann kam eine Frau mit einer grünen Schürze von hinten nach vorn. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Können Sie mir einen Strauß zusammenstellen, der ein Frauenherz zum Schmelzen bringt?«, fragte Lian.

Die Floristin blickte sie irritiert an.

Lian lachte. »Keine roten Rosen, bitte. Das wäre zu banal. Sie ist eine . . . ganz besondere Frau.«

Endlich hatte die Floristin ihre erste Überraschung überwunden. »Ihre Frau?«, fragte sie.

»Leider nein«, erwiderte Lian schmunzelnd. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«

Nachdenklich betrachtete die Blumenfachfrau die verschiedenen Vasen, die das Angebot ihres Geschäfts enthielten. »Blaue Iris vielleicht«, sagte sie. Sie schaute Lian fragend an. »Mag sie Blau?«

Lian zuckte die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Habe sie eben erst kennengelernt.«

»Oh.« Das warf die Floristin offensichtlich in ihrer Planung zurück. »Blaue Iris bedeuten Ich stehe mit meinem ganzen Sein zu dir. Dafür ist es dann vielleicht noch etwas früh.«

Amüsiert lachte Lian auf. »Ja, ich glaube, da muss ich noch etwas Geduld haben.« Sie schüttelte zweifelnd den Kopf. »Obwohl das wirklich nicht meine starke Seite ist.«

»Geduld«, nahm die Blumenhändlerin den Faden auf. »Das wären Veilchen.«

»Veilchen?« Ein lautes Lachen verließ Lians Lippen. »Ich soll ihr Veilchen schicken?«

»Sie sollen gar nichts.« Die Floristin hob die Hände. »War nur ein Vorschlag.« Etwas bedauernd lächelte sie. »Die Blumensprache ist ja auch aus der Mode. Die versteht heute niemand mehr.«

Kurz überlegte Lian. Dann fühlte sie, wie ihre Mundwinkel zu zucken begannen. »Doch, sie wird es verstehen«, sagte sie. Sie amüsierte sich köstlich bei dem Gedanken. »Veilchen sind auf jeden Fall keine roten Rosen. Die sie garantiert von jeder anderen bekommen hat und bekommen würde.«

Die Blumenhändlerin fühlte sich für eine Entscheidung in dieser Hinsicht offensichtlich nicht zuständig und wartete einfach ab, was Lian als Nächstes sagen würde.

»Gut«, sagte Lian. »Veilchen. Kann man daraus überhaupt einen Strauß machen?«

Nun zuckten die Mundwinkel der Floristin fast genauso wie Lians zuvor. »Ich kann aus allem einen Strauß machen«, versprach sie selbstbewusst.

Lian nickte. »Dann tun Sie das doch, bitte. Und dann schicken Sie die Veilchen«, sie musste erneut lachen bei der Vorstellung, wie Nicolas Gesicht aussehen würde, wenn sie diesen Strauß bekam, »an diese Adresse hier.«

Sie griff nach einem Werbeprospekt, suchte eine unbedruckte Stelle und schrieb Nicolas Namen und Adresse darauf. Außerdem zog sie eine Grußkarte aus dem Ständer vor der Verkaufstheke und schrieb darauf: Erwarten Sie mich heute Abend. Ich komme über den Balkon. Das Ganze verzierte sie mit zwei ineinander verschlungenen großen Ls.

Es fiel ihr wirklich schwer, ihre zuckenden Mundwinkel zu beherrschen, als sie der hilfreichen Blumenfrau die Karte überreichte. »Und was macht das jetzt alles zusammen?«

Die Floristin nannte ihr den Preis, Lian bezahlte, verabschiedete sich und verließ das Geschäft.

Kaum glitt die Glastür hinter ihr zu, spitzte sie die Lippen und begann gutgelaunt zu pfeifen, während sie erwartungsvoll vor sich hinlächelte.

Das versprach ein interessanter Urlaub zu werden.

3

Nicola kochte innerlich schon seit zwei Stunden, es brodelte förmlich in ihr, und die Blasen schlugen immer höher, seit sie diesen . . . Blumenstrauß – sie gab ein abschätziges Geräusch von sich, als sie das Wort nur dachte – bekommen hatte. Und diese Karte . . .

Am liebsten hätte sie irgendetwas an die Wand geworfen. Aber ehrlich gesagt war sie nicht sehr mit weltlichen Gütern gesegnet, und sie brauchte alles, was sie hatte. Und dann noch für diese . . . Lian. Nein, das war die Frau nicht wert. Wütend biss sie die Zähne zusammen.

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Nicola überlegte, ob sie überhaupt öffnen sollte. Lian hatte gesagt, sie wollte über den Balkon kommen – weshalb Nicola sowohl die Tür als auch das Fenster verriegelt hatte –, also konnte sie es nicht sein. Sie hätte dann wohl eher ans Küchenfenster oder die Balkontür geklopft. Zumindest hätte Nicola sie gehört, wenn sie sich heraufschwang. Und sonst kannte sie noch niemanden so richtig in dieser Stadt oder in diesem Haus.

Es klingelte noch einmal, und diesmal wurde das Klingeln von einer Stimme begleitet. »Frau Harnoncourt? Sind Sie da? Könnte ich mir von Ihnen ein bisschen Zucker leihen?«

Das war eine Nachbarin, die sie bereits kennengelernt hatte. Nicola biss sich auf die Unterlippe. Normalerweise hatte sie nicht viele Vorräte, das konnte sie sich gar nicht leisten, aber Zucker konnte man nun einmal nur in relativ großen Packungen kaufen, und sie hatte genügend übrig, um ihrer Nachbarin etwas davon abzugeben.

Allerdings hatte Nicola den Verdacht, dass der Zucker lediglich ein Vorwand war. Auch wenn sie noch nicht lange hier wohnte, aber diese Nachbarin wusste eigentlich alles, was im Haus vor sich ging, das hatte Nicola schon mitbekommen.

Merkwürdigerweise fand Nicola sie trotzdem nicht unsympathisch. Diese begeisterte Ehefrau und Mutter hatte trotz ihrer offensichtlichen Neugier, die sie auch gar nicht versteckte, etwas Erfrischendes. Also öffnete Nicola ihr.

»Guten Abend, Frau Schindler«, begrüßte sie sie zwar immer noch leicht genervt, aber trotzdem durchaus freundlich. Seltsamerweise hatte Frau Schindler so eine beruhigende Ausstrahlung, dass sie selbst Nicola alle aufmüpfigen Gedanken vergessen ließ, die sonst sehr schnell in ihr aufloderten. »Wie viel Zucker brauchen Sie denn?«

»Vierzig Gramm.« Frau Schindler lächelte. »Stellen Sie sich vor, ich will Pudding machen als Nachtisch, mache das Päckchen auf, und dann erst sehe ich, dass ich keinen Zucker mehr habe. Nun steht alles fast fertig da, die Milch hat schon gekocht, alle warten auf den Pudding, und ich . . .«, sie lachte, »bin mal wieder eine schlechte Hausfrau.« Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Das ist aber nichts Neues, deshalb stört es mich auch gar nicht. Mein Mann und meine Kinder sind sowieso daran gewöhnt.« Ihre Augen strahlten, als hätte sie gerade eine höchst erfreuliche Erfolgsgeschichte erzählt.

Ganz gegen ihren Willen und ganz sicher entgegen ihrer Stimmung in den letzten Stunden musste auch Nicola lachen. »Ich hole Ihnen schnell den Zucker. Warten Sie kurz.«

Sie lief rasch in die Küche, griff sich eine Tasse, schüttete den Zucker hinein und brachte die Tasse wieder zur Tür.

Dort hätte sie sie allerdings fast fallengelassen.

Frau Schindlers strahlende Augen richteten sich vor der Wohnungstür nämlich gerade auf eine große Frau, die neben ihr stand. »So sportlich möchte ich auch mal sein«, verkündete sie seufzend und warf einen entsagungsvollen Blick auf Nicola, der dann wieder zu Lian zurückschwenkte. »Wie Sie da an den Balkonen hinaufgeklettert sind . . .«

Natürlich hatte sie das mitbekommen, dachte Nicola. Konnte ja auch gar nicht anders sein.

»Gut, dass Sie keine Einbrecherin sind«, fuhr Frau Schindler fort. Plötzlich stutzte sie und zog die Stirn kraus. »Sind Sie doch nicht, oder?«, fragte sie etwas verunsichert nach.

»Nein, bin ich nicht«, erwiderte Lian lächelnd.

Und schon lachte Frau Schindler wieder. »Na, dann bin ich ja beruhigt. Sonst hätte ich jetzt immer darauf achten müssen, alles abzuschließen, und ich bin doch so furchtbar schusselig.« Sie griff nach der Tasse, die Nicola immer noch in der Hand hielt. »Darf ich? Meine Kinder haben sich so auf den Pudding gefreut.« Sie zwinkerte erst Nicola und dann auch Lian zu. »Und besonders mein Mann. Er ist eigentlich das größte Leckermaul von allen.«

Auch wenn man ihr ansah, dass sie gern noch geblieben wäre, um mehr über Nicola zu erfahren und vielleicht als spezielles Leckerchen sogar auch noch über Lian, verabschiedete sie sich nun mit der Tasse in der Hand in den ersten Stock hinunter, wo sie wohnte. Auf der Treppe drehte sie sich allerdings noch einmal sehnsuchtsvoll um, als ob es ihr wirklich schwerfiele. Doch dann überwand sie sich und lief eilig die Stufen hinab.

Diesen kurzen Übergang nutzte Nicola, um sich an den Ärger zu erinnern, der sie stundenlang in Aufregung versetzt hatte, und sie fühlte ihn sofort wieder in sich hochsteigen, bis das brodelnde Gefühl zurückkehrte. »Ich dachte, Sie wollten über den Balkon kommen?«, keifte sie Lian an.

Lian zuckte die Schultern. »Tja, das wollte ich, aber das letzte Mal war ich dafür noch passender gekleidet.« Sie lachte und wies auf den eleganten Abendanzug, den sie trug. »Nun bin ich es leider nicht mehr.« Etwas spöttisch verzog sie einen Mundwinkel. »James Bond würde natürlich trotzdem an der Fassade hochklettern und hätte hinterher kein Stäubchen auf dem Anzug, aber leider bin ich nicht James Bond. Deshalb wollte ich das meinem Anzug nicht antun.« Sie schmunzelte.

»Zweifellos sind Sie nicht James Bond«, schnappte Nicola. »Und selbst wenn Sie es wären . . . Als Bond-Girl bin ich nicht geeignet.« Mit einem abweisenden Gesichtsausdruck verschränkte sie die Arme vor der Brust.

»Das habe ich auch in keiner Weise angenommen«, erwiderte Lian galant. »Dafür sind Sie viel zu intelligent.«

Diese Bemerkung nahm Nicola ein wenig den Wind aus den Segeln. »Ähm . . . ja«, konnte sie fast nur stottern, was sie maßlos ärgerte. »Kommen Sie rein.« Sie trat zurück, ließ die Wohnungstür offen und ging durch die kleine Diele in das große Zimmer voraus, das gleichzeitig Aufenthaltsraum, Schlafzimmer und Küche war. Die Küchenzeile war ein wenig abgeteilt, und ihr Bett stand in einer Art Nische, aber das war auch alles, was es an Unterteilung gab.

Warum tue ich das jetzt? dachte sie. Warum lasse ich sie nicht einfach draußen stehen und schlage ihr die Tür vor der Nase zu? Plötzlich musste sie innerlich schmunzeln. Damit sie dann doch noch über den Balkon kommt?

Kurz stellte sie sich vor, wie die Nachbarn dann die Feuerwehr rufen würden, weil sie alle Einstiegsmöglichkeiten verriegelt hatte und Lian wie ein Klammeraffe an der Fassade hing. Aber das würde sie natürlich nicht. Sie würde vermutlich ganz elegant und James-Bond-mäßig hinunterklettern. Genauso elegant, wie sie gerade in ihrem Anzug vor Nicola stand.

»Ich war nicht ganz sicher, ob Sie mir überhaupt öffnen würden«, sagte sie jetzt und zeigte beim Lächeln ihre ebenmäßigen weißen Zähne.

Ob die überkront sind? dachte Nicola. Solche Zähne konnte doch kein Mensch von Natur aus haben. »Hätte ich auch nicht«, gab sie gereizt zurück. »Aber meine Nachbarin wollte sich Zucker leihen.«

»Da habe ich aber Glück gehabt.« Lians Lächeln hätte wirklich aus der Zahnpastawerbung stammen können.

Vielleicht war sie das auch, ein Model für Werbung, ging es Nicola durch den Sinn. Gut genug dafür sah sie auf jeden Fall aus. »Haben Sie«, bestätigte sie knapp. »Und was wollen Sie jetzt aus diesem Glück machen?«

Mit einem suchenden Blick schaute Lian sich um. »Veilchen mögen Sie wohl nicht?«

Nicola hatte die Veilchen in der Küche stehenlassen, sie wusste nicht, warum. Sie hätte sie natürlich auch in den Mülleimer werfen können, so wütend, wie diese Geste sie gemacht hatte, aber irgendetwas hatte sie davon abgehalten. Vielleicht hatte sie es einfach nur den armen, unschuldigen Blümchen, die ja schließlich nichts für die Unverschämtheit der Frau konnten, von der sie kamen, nicht antun wollen oder können.

»Etwas anderes war Ihnen wohl zu teuer?«, fauchte sie Lian an. »Hat das Benzingeld, das ich Ihnen gegeben hatte, nicht gereicht?«

»Siebzehn Cent?« Lian lachte. »Aber zu Ihrem Temperament passen Veilchen wirklich nicht. Das hätte ich bedenken sollen.«

»Hätten Sie vielleicht«, stimmte Nicola grimmig zu. »Oder Sie hätten gleich darauf verzichten sollen, mir Blumen zu schicken, welcher Art auch immer. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?« Ihre Augen blitzten Lian an. »Sie haben sich doch nicht etwa irgendetwas davon versprochen?«

Lian hob die Augenbrauen. »Sollte ich das?« Amüsiert schüttelte sie den Kopf. »Ein Abendessen vielleicht?«, fragte sie. »In einem Restaurant Ihrer Wahl?«

Das trockene Auflachen, das sich Nicolas Kehle entrang, endete in einem Nicken. »Ja, sicher«, sagte sie. »Ich weiß schon, wie Sie sich das vorstellen. Erst essen, dann zu Ihnen nach Hause. Und dann muss ich das Abendessen abarbeiten, nicht wahr?«

»Ts, ts, ts.« Lian bewegte einen Finger wie tadelnd durch die Luft. »Was haben Sie nur für eine schmutzige Phantasie. Ich esse gern gut, Sie nicht? Und das tut man im Allgemeinen in einem Restaurant.«

»Wenn man nicht zu Hause kocht«, blaffte Nicola zurück. »Weil man sich Restaurants nicht leisten kann.«

»Okay . . .«, erwiderte Lian gedehnt, legte leicht den Kopf schief und betrachtete Nicola kurz. »Dann essen wir eben zu Hause.« Blitzartig griff sie nach Nicolas Taille, zog sie in ihre Arme und küsste sie. »Wenn du es so willst«, fügte sie hinzu, als sie Nicola losließ und wieder einen Schritt zurücktrat.

Nicola war von dem Kuss so überrascht worden, dass sie die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, die sie jetzt wieder ausstieß. »Du bist . . . Du bist wirklich . . .« Sie fand keine Worte. »Unverschämt ist gar kein Ausdruck für dich.«

»Vielleicht finden wir zusammen noch einen anderen«, erwiderte Lian lässig und lächelte sie mit einer Harmlosigkeit an, als wäre gar nichts geschehen. »Im Restaurant. Ich habe nämlich wirklich Hunger.«

»Wenn du denkst, dass ich jetzt mit dir in ein Restaurant gehe . . .« Nicola verschränkte die Arme vor der Brust und blies die Backen auf.

»Ich denke«, sagte Lian langsam und sehr freundlich, »dass du doch auch Hunger haben musst. Ich sehe nämlich nicht, dass du gekocht hast.« Sie blickte kurz auf die Küchenzeile. »Also was spricht dagegen, dass wir zusammen essen gehen?« Mit einer harmlosen Geste zuckte sie die Schultern. »Jeder muss essen. Und offensichtlich sollten wir das beide jetzt tun, weil es unseren Bedürfnissen entspricht.«

»Bedürfnissen!« Nicola lachte abschätzig auf. »Deine Bedürfnisse sehe ich!«

Lian grinste. »Es gibt noch andere Bedürfnisse als essen, das ist wahr. Und wenn ich eine Frau wie dich sehe, kann ich auch nicht verhindern, daran zu denken –«

»Denken!«, unterbrach Nicola sie empört. »War das eben Denken bei dir? Das nenne ich aber ganz anders!«

»Ich musste doch wissen, ob es sich lohnt.« Lians Grinsen war ein Ausdruck äußerster Amüsiertheit.

»Ob es sich . . .«, Nicola schnappte nach Luft, »lohnt? Was soll das denn heißen?«

38,49 zł