Seewölfe - Piraten der Weltmeere 512

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 512
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-920-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Tod um Mitternacht

Er ging seine letzte Wache – denn der Tod erwartete ihn

Aquino and Bernardo, zwei Soldaten des spanischen Stützpunktes Nueva Gerona, gerieten sich beim Würfelspiel in die Haare. Bernardo sprang plötzlich auf und beschimpfte seinen Landsmann.

„Da hast den Würfel in der Hand umgedreht!“ stieß er zornig hervor. „Ich hab’s genau gesehen!“

„Ich habe ihn nicht angerührt“, beteuerte Aquino.

„Du bist ein Betrüger!“

„Du bist ja betrunken!“

Bernardo schlug über den Tisch hinweg mit der Faust nach seinem Gegenüber. Aquino wich aus. Bernardo hieb ins Leere, verlor das Gleichgewicht und knallte mit seinem Panzer auf den Tisch. Der Tisch kippte um. Würfel, Geld, Becher und ein Krug Wein landeten auf den Bohlen. Bernardo packte Aquino am Bein und riß ihn zu Boden.

Die beiden droschen mit den Fäusten aufeinander ein.

Plötzlich zückte Bernardo sein Messer.

„Dich bring’ ich um!“ brüllte er. Er war jetzt wie von Sinnen und raste vor Wut.

Die Hauptpersonen des Romans:

Della Rocca – Der Korse glaubt, einem Phantom nachzujagen, was ihn wiederum daran hindert, noch klar zu denken.

Moleta – Als neuer Kapitän der „Bonifacio“ kennt er nur ein Ziel: den ehemaligen Kapitän zur Strecke zu bringen.

Maradona – Ein kleiner Falschspieler, der sich auf eine Sache einläßt, die einen tödlichen Ausgang nimmt.

Bernardo – Ein spanischer Soldat, der seine letzte Wache geht, die von einem Messer beendet wird.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf weiß, daß Vorsicht immer der bessere Teil der Tapferkeit ist.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

1.

Caravajo – so hieß der Wirt der einzigen Kneipe im Hafen von Nueva Gerona. Ein Schrank von Kerl, der sein Geschäft glänzend verstand. Natürlich hatte Caravajo den Streit zwischen Aquino und Bernardo entstehen sehen. Er hatte sofort geahnt, daß es Ärger geben würde. Aber er hatte keine Zeit, sich um die beiden Soldaten zu kümmern. Caravajo hatte genug mit den anderen Gästen zu tun.

Jetzt war es soweit. Die beiden Streithähne wälzten sich am Boden. Ihre Brustpanzer gaben dumpfe, harte Laute von sich. Die Helme hatten sie verloren. Bernardo hatte an diesem Abend zuviel getrunken. Das wirkte sich bei ihm schlimm aus. Er wurde dann sehr leicht handgreiflich.

„Moment mal“, sagte Caravajo zu einer Gruppe von Männern, die sich bei ihm an der Theke versammelt hatten. Die Männer – zum größten Teil Soldaten – gehörten zu seinen Stammgästen und Freunden. Auch Aquino und Bernardo waren Stammgäste. Aber hin und wieder mußte man ihnen auf die Finger klopfen. Besonders diesem streitsüchtigen Bernardo.

„Ich bin gleich wieder da“, sagte Caravajo. Hölle, jetzt hatte Bernardo auch noch sein Messer gezückt!

Caravajo bewaffnete sich mit einem Kübel. Er trat hinter dem Tresen hervor und eilte quer durch seine Schenke. Unterwegs schöpfte er aus einem Faß Wasser. Das klatschte er Bernardo mit voller Wucht in den Nacken. Bernardo, der eben mit dem Messer auf Aquino hatte einstechen wollen, zuckte zusammen, als habe ihn ein Peitschenhieb getroffen. Er hielt in der Bewegung inne und japste.

Caravajo schleuderte den Kübel von sich. Ein kleines Kerlchen, das Maradona genannt wurde, fing ihn geschickt auf.

Maradona grinste und sagte: „Wenn Wein oder Bier drin gewesen wäre, wär’s schade gewesen. Wasser, das kann man gerade noch verkraften.“

Mit einer Gewandtheit, die ein Fremder Caravajo nicht zugetraut hätte, bückte sich der Wirt nach den Streitenden. Er riß Bernardo das Messer aus der Hand, drehte sich um und gab es Maradona, der nun grinsend hinter ihm stand. Dann zerrte Caravajo Bernardo von Aquino weg und zog ihn zu sich hoch.

„Willst du wohl damit aufhören?“ fuhr der Wirt den Soldaten an.

„Nein! Ich bring’ ihn um!“

Zwei gewaltige Ohrfeigen warfen Bernardos Kopf hin und her. Caravajo stieß den Mann auf einen Stuhl.

„Bist du jetzt nüchtern?“ fragte er ihn drohend.

Bernardo hatte das Gefühl, es habe ihm den Kopf von den Schultern gerissen. Aber der Kopf saß noch fest auf dem Hals. Nur dröhnte es in seinem Schädel, als schlage eine bronzene Glocke darin hin und her.

„Bitte nicht mehr hauen“, murmelte Bernardo.

„Aha, er wird vernünftig“, sagte Caravajo. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und sah den Soldaten aufgebracht an. „Aber du mußtest mit dem Messer auf deinen Freund losgehen, was? Schämst du dich nicht?“

„Er ist nicht mehr mein Freund“, erklärte Bernardo dumpf.

Aquino hatte sich aufgerappelt.

„Hört nicht auf ihn“, sagte er. „Er weiß nicht, was er redet.“

„Betrogen hat er mich“, brummte Bernardo.

„Kannst du das beweisen?“ fragte Caravajo.

„Nein.“

„Aquino hat ordentlich gespielt“, sagte Maradona. „Ich habe es gesehen.“

Stimmen wurden laut. Einige andere Zecher wollten ebenfalls beobachtet haben, daß Aquino beim Würfeln ehrlich geblieben war. Es herrschte wieder Stimmung. Caravajo sorgte für Ordnung. Der ließ nicht zu, daß sich in seiner Kneipe die Männer prügelten oder gar mit Messern aufeinander losgingen.

Caravajo packte Bernardo wieder und zog ihn zu sich hoch. Ihre Gesichter waren nur wenige Zoll voneinander entfernt.

„Du hast dich getäuscht“, sagte der Wirt. „Und du wirst dich jetzt bei deinem Freund entschuldigen, sonst lernst du mich richtig kennen.“

„Niemals!“

Caravajo holte mit der Hand aus. Bernardo duckte sich und hob abwehrend die Hände.

„Willst du wohl vernünftig sein?“ fuhr der Wirt ihn an.

„Ja!“ rief Bernardo. „Ja!“

Caravajo schleifte ihn zu Aquino. Maradona und einige andere Zecher gingen mit. Sie konnten sich ihr Lachen kaum verkneifen.

Der Wirt stellte Bernardo vor Aquino hin.

„So“, sagte er. „Und nun sag deinen Spruch auf.“

Bernardo wirkte verlegen.

„Bitte – um Entschuldigung“, brummelte er.

Aquino wollte etwas erwidern, aber der Wirt winkte ab.

„Lauter!“ rief er. „Keiner hat was verstanden! Wird’s bald?“

„Aquino“, sagte der Soldat Bernardo. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Hab’ mich vergessen. Bitte, entschuldige.“

„Das klingt schon besser“, sagte Caravajo. „So, und jetzt gebt euch die Hände, ihr beiden.“

Aquino streckte seine Hand vor. Bernardo gab einen dumpfen Laut von sich, einem Grunzen nicht unähnlich. Er ergriff die Hand und drückte sie fest.

„Schon recht“, sagte Aquino. „Ich nehm’s dir ja nicht übel. Aber ich habe dich wirklich nicht reingelegt, glaube es mir.“

„Ich glaube es.“

„In Ordnung“, sagte Caravajo, „und nachdem das geregelt ist gebe ich für alle einen aus.“

Johlen und Beifallsgeschrei ertönten. Caravajo ging grinsend zur Theke zurück und nahm seinen gewohnten Platz ein. Die Männer drängten sich und hielten ihm ihre Becher hin. Caravajo füllte sie mit Wein. Er ließ sich nicht lumpen. Hin und wieder spendierte er eine Lokalrunde. Das kurbelte das Geschäft an.

Die Welt war wieder in Ordnung. Die Soldaten setzten ihre Gespräche fort. An drei, vier Tischen wurde mit Würfeln gespielt. Aquino und Bernardo waren wieder die besten Freunde. Bernardo versuchte, es wieder auszugleichen, was er angerichtet hatte. Er holte zwei Humpen Bier und bot einen davon seinem Freund an.

„Da, trink. Es ist ganz schön heiß heute nacht was?“

„Kann man wohl sagen.“

Maradona gesellte sich zu ihnen und gab Bernardo das Messer zurück. „Von dieser Luft wird man durstig, wie?“

„Ich habe schon viel zuviel gesoffen“, erwiderte Bernardo.

„Ach, ein bißchen Bier kann nicht schaden“, meinte Aquino augenzwinkernd. „Es ist ja nicht so stark wie Wein.“

„Vom Schnaps ganz zu schweigen“, fügte Maradona hinzu.

Bernardo sah zunächst Aquino, dann das Kerlchen an. „Da habt ihr wohl recht.“ Er griff nach dem Humpen, hob ihn an die Lippen und leerte ihn in einem Zug um mehr als die Hälfte seines Inhalts.

Der Lärm in der Kneipe schwoll an. Neue Gäste waren erschienen, Soldaten, die seit zehn Uhr abends dienstfrei hatten. Caravajos Kaschemme füllte sich immer mehr. Bald war kein Platz mehr frei.

Aquino, Bernardo und Maradona richteten den Tisch wieder auf, der bei dem Kampf umgekippt war. Sie hockten sich hin und würfelten ein paar Runden. Maradona verhielt sich sehr klug. Er war einer der besten Spieler auf der Insel und kannte auch eine Menge Tricks. Doch zunächst ließ er Bernardo gewinnen. Das stimmte den Soldaten friedlich.

 

Nun war Aquino an der Reihe. Maradona richtete es so ein, daß auch er einige Silberlinge gewann. Zu vorgerückter Stunde aber, als die beiden Soldaten genug Bier getrunken hatten, knöpfte er ihnen das Geld wieder ab. Sie merkten es gar nicht mehr richtig. Sie waren voll des süßen Weines, des Bieres und des Rums.

Maradona strich grinsend das Geld ein. Dann seufzte er und trank noch einen Humpen Bier. Was blieb ihm anderes übrig? Es gab ja sonst keinen Zeitvertreib auf der Isla de Pinos. Nueva Gerona war sozusagen das Ende der Welt. Die paar anderen Nester, die hier existierten, konnte man sowieso vergessen.

Maradona war einer der wenigen Zivilisten im Hafen Nueva Gerona. Eines Tages war er mit einem Auswandererschiff eingetroffen, das hier Station eingelegt hatte. Der Kapitän hatte ihn an Land gesetzt, weil er dauernd Leute durch Falschspiel hereingelegt und somit für Streit an Bord gesorgt hatte. So war Maradona in Nueva Gerona hängengeblieben. Seit über zwei Jahren war er schon hier.

Ständig nahm er sich vor, die Insel wieder zu verlassen und nach Kuba zu gehen. Aber Handelsfahrer, die ihn mitnehmen konnten, kamen fast nie vorbei. Die spanischen Kriegsschiffe, die die Isla de Pinos anliefen, durften keine Zivilisten an Bord nehmen. Geld, sich einen eigenen Kahn zu kaufen, und sei es nur eine Jolle, hatte Maradona nicht genug.

So mußte er notgedrungen warten. Irgendwann würde sich die Chance ergeben, von diesem Ort, den er haßte, zu verschwinden. Maradona wartete auf diesen Tag, auf diese Gelegenheit.

Das schlimmste in Nueva Gerona war, daß es kaum Frauen gab. Die wenigen weiblichen Wesen, die den Mut hatten, hier zu leben, waren die Frauen von Offizieren. Sie wohnten also im Fort. Man konnte sie höchstens aus der Ferne bewundern. In Caravajos Kaschemme erschienen sie ohnehin nicht. Das schickte sich nicht für anständige Frauen.

Und sie gingen auch höchst selten durch den Hafen, diese Paradiesvögel. Wenn sie es dennoch taten, wurden sie von einer Eskorte Soldaten begleitet. Natürlich konnte es sein, daß ein paar gierige, lüsterne Küstenstrolche vor lauter Verlangen über sie herfielen. Dem mußte vorgebeugt werden.

Caravajo versprach seinen Kunden immer das Blaue vom Himmel herunter. Angeblich hatte er schon vor langer Zeit eine Ladung Huren bei einem halb abgewrackten, verlausten Capitán bestellt, die irgendwann eintreffen mußten. Aber keiner glaubte mehr so recht daran. Nie würde es richtige Liebesdienerinnen in Nueva Gerona geben. Hier herrschte Enthaltsamkeit. Wollte man sich richtig austoben, mußte man nach Batabanó übersetzen oder gar nach Havanna segeln.

Maradona hätte natürlich für ein Boot sparen können. Aber das Sparen entsprach nicht seiner Art. Hatte er mal Geld, mußte er es gleich wieder umsetzen – in flüssige Ware. Von den Silberlingen, die er gewonnen hatte, kaufte sich das Kerlchen Wein und Bier.

Schließlich war Maradona so betrunken wie Aquino und Bernardo. Aber er konnte sich noch recht gut auf den Beinen halten. Als Aquino und Bernardo ins Freie wankten, um zum Fort zurückzukehren, folgte er ihnen.

Die Soldaten schlugen die falsche Richtung ein und torkelten zum nahen Strand. Hier kippten sie in den Sand.

„He“, brummte Bernardo. „Wo sind wir denn?“

„M-meer“, lallte Aquino.

„Das seh’ ich.“ Bernardo hob die Stimme, um das Rauschen der Brandung zu übertönen. „Ja! Aber wo, zur Hölle, ist das Fort?“

„Verschwunden“, antwortete Aquino. Dann lachte er. „Abgesoffen!“

„Schön wär’s, was?“ Maradona wankte auf die beiden zu. „Aber es steht noch da, das Fort. He, was macht ihr denn hier? Wollt ihr etwa baden?“

„Baden?“ tönte Bernardo. „Ich bin doch nicht verrückt! Wasser ist schädlich! Frißt Leib und Seele kaputt!“

Aquino kicherte. Er nahm eine Handvoll Sand auf und schleuderte sie nach Bernardo. Bernardo kriegte die Ladung voll ins Gesicht. Er fluchte, kroch bis zur Brandung und bewarf Aquino mit Schlick. Maradona hockte unterdessen unter den Palmen und verfolgte grinsend das Geschehen.

Ja, so war das Leben auf der Isla de Pinos. Es gab eine Menge Sand, Palmen, Mangroven und natürlich Pinien – daher der Name der Insel. Mittendrin in dem Idyll standen das Fort, ein paar Baracken und die Kaschemme von Caravajo. Man lebte in den Tag hinein, die Soldaten schoben ihren öden Wachdienst und paßten auf die Proviant- und Waffenlager auf. Man aß, trank, schlief.

Trotzdem mußte man in Nueva Gerona noch zufrieden sein. Im Inneren der Insel, an Orten wie Santa Fé, glich das Leben der Hölle auf Erden. Denn dort befanden sich die Marmorbrüche – und die Gefangenenlager. Die Kerle in Ketten mußten wie Sklaven schuften. Manch einer starb im Marmorbruch, vor Erschöpfung oder unter einem dicken Block, der aus seinen Halteseilen brach und zu Boden krachte, was immer wieder passierte.

Maradona erhob sich und überließ Aquino und Bernardo ihrem weiteren Schicksal. Sie würden sich noch ein wenig mit Sand bewerfen und dann ins Fort zurückkehren. Man kannte das schon.

Das Wachlokal sowie das Proviant- und Waffenlager waren dem Fort weit vorgelagert. Im Lokal befanden sich umschichtig immer ein Sargento und ein Dutzend Soldaten, die ihren langweiligen Dienst taten. Maradona schritt schwankend an der Hütte vorbei und grüßte den Sargento. Der grinste hinter ihm her.

Maradona ging in seine Behausung, eine Fischerhütte am Hafen. Er warf sich auf sein Lager und faßte, bevor er einschlief, einen heroischen Entschluß. Gleich am nächsten Tag – an diesem Tag – würde er ein neues Leben beginnen. Entweder ging er einer redlichen Arbeit nach wie die Fischer, oder aber er kratzte genug Geld zusammen, um sich einen Kahn zu kaufen, der groß genug war, daß man damit nach Kuba gelangen konnte. Über diesem Vorsatz schlummerte Maradona ein.

Es wurde hell. Es war der 22. Juli 1595, ein blasser Morgen in Nueva Gerona, Isla de Pinos.

Cabo San Antonio war die westlichste Spitze der Insel Kuba. Ein schönes Stück Land mit sanft gebogenen Palmen. Ein Hort, der zum Verweilen einlud, allerdings ein wenig windig und manchmal sogar recht stürmisch. Am frühen Nachmittag dieses 22. Juli näherte sich eine Dreimastgaleone dem Kap. Es war die „Bonifacio“, das Schiff des Piratenkapitäns della Rocca, der auch der „Perlen-Wolf“ genannt wurde.

Dies aus gutem Grund, Della Rocca, ein Mann aus Korsika, hatte es sich in den Kopf gesetzt, so viele Perlen wie irgend möglich zusammenzuraffen. Er war der Sohne eines Perlenfischers und hatte schon als Junge davon geträumt, einmal Herr eines ganzen Berges der kostbaren Kügelchen zu sein.

Allerdings gelangte man nicht durch harte Arbeit zu dem ersehnten Reichtum, das hatte della Rocca schnell begriffen. Arbeit schadete außerdem der Gesundheit. Wollte man etwas werden, dann mußte man plündern und brandschatzen. So hatte sich della Rocca in die Karibik begeben. Er hatte eine Bande von mehr als zwei Dutzend Kerlen zusammengestellt, mit der er seine Beutezüge unternahm. Der Schlupfwinkel der Bande befand sich auf der Insel Cozumel vor der Küste von Yucatán.

Della Rocca war ein gerissener Hund. Er hatte seine Schätze in Truhen untergebracht und diese Truhen an geheimen Plätzen, die auf die Karibik verstreut waren, vergraben. Das Eingraben hatte immer jeweils einer seiner Kerle oder ein Eingeborener vornehmen müssen, den della Rocca anschließend ins Jenseits befördert hatte. So wußte nur einer von der Position der Perlenverstecke – der Korse.

Um die genauen Positionen nicht zu vergessen, hatte della Rocca sie in einem Buch festgehalten, dem Perlen-Logbuch. Die Namen der Plätze hatte er in einen Zahlenschlüssel übersetzt, den wiederum auch nur er kannte. Das Buch befand sich in einem Versteck der Kapitänskammer auf der „Bonifacio“.

Jetzt war das Geheimversteck am Kopfende der Koje jedoch leer. Und auch della Rocca befand sich nicht mehr an Bord seiner Galeone. Er hatte es vorgezogen, heimlich mit einer Handvoll Kerle an Bord der Zweimastschaluppe zu verschwinden, die in der Bucht der Piraten auf Cozumel geankert hatte.

Der Rest der Bande schäumte vor Wut. Moleta, der Bootsmann, hatte sich zum neuen Anführer erklärt. Jetzt befand er sich mit seiner Meute auf der Suche nach della Rocca und den fünf anderen „Verrätern“.

Moleta hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß della Rocca mit dem Lotsen Manoel Ribas und vier anderen Komplicen Cozumel verlassen hatte, um die übrigen Spießgesellen hereinzulegen und zu betrügen. Man wollte sie um ihren Anteil prellen – um ihren Anteil an der Perlenbeute.

Denn es war ja wohl klar, daß della Rocca, wegen des Diebstahls seines Buches unsicher und nervös geworden war. Er hatte Angst, daß ihm der Dieb zuvorkam. Wer war der Dieb? Zardo – der Kerl, den sie aufgehängt hatten, nachdem er mit der Wahrheit nicht hatte herausrücken wollen? Moleta wußte es nicht. Aber das war egal. Della Rocca, dieser verdammte Bastard, hatte sie alle zum Narren gehalten. Man mußte ihn finden, um jeden Preis.

Mit Schnaps hatte der Korse seine Kerle betäubt, damit er ungehindert und unbehelligt den Schlupfwinkel räumen konnte. Raffiniert – und doch nicht gerissen genug. Moleta war auch nicht auf den Kopf gefallen. Er konnte sogar lesen, schreiben und rechnen, im Gegensatz zu den anderen.

Er konnte sich erinnern: Das dem Stützpunkt von Cozumel am nächsten gelegene Perlenversteck befand sich am Cabo San Antonio. So war die Bande aufgebrochen und mit der „Bonifacio“ in See gegangen. Die Huren, die den Kerlen als Zeitvertreib gedient hatten, blieben auf Cozumel zurück. Um sie kümmerte sich keiner mehr. Sollten sie sehen, wie sie sich über Wasser hielten!

Die Galeone steuerte in die Bucht am Cabo San Antonio. Moleta stand mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck. Das Spektiv, dessen er sich vorher bedient hatte, hatte er zusammengeschoben und weggesteckt. Er blickte in die Runde und nickte grimmig.

Cosmas, der Kerl, der das Ruder bediente, fragte: „Ist es die richtige Bucht?“

„Ja Erkennst du sie nicht wieder?“

„Ich bin nicht ganz sicher.“

„Ich aber“, sagte der Bootsmann. „Hier liegt die Truhe mit den Perlen vergraben.“

„Aber wo ist die Schaluppe?“ fragte Cosmas.

„Keine Ahnung“, erwiderte Moleta barsch. „Ich bin doch kein Hellseher. Vielleicht hat della Rocca sie irgendwo versteckt.“

„Wo?“ Cosmas stieß einen Fluch aus. „Teufel, der Ausguck hat weit und breit keinen Kahn entdecken können. Ich schätze, der Korse ist schon wieder weg. Dieses Schwein! Hätten wir bloß gemeutert, solange wir noch Zeit dazu hatten. Das wäre besser gewesen.“

„Hätten, wäre“, ahmte Moleta ihn hämisch nach. „Es lohnt sich nicht, über den Wein, den man verschüttet hat, Krokodilstränen zu vergießen. Wir werden den Korsen, diesen Bastard, schon finden. Und dann gnade ihm Gott. Oder der Satan in Person.“

Die Bande war sich einig. Zerfetzen würde sie della Rocca, wenn sie ihn fand. Der Korse würde sterben – aber auch für Manoel Ribas und die vier anderen Flüchtlinge gab es keine Gnade. Sie würden ebenfalls dran glauben. Denn sie steckten mit dem Korsen unter einer Decke. Sie waren genauso dreckige Ratten wie della Rocca.

Genau vierundzwanzig Kerle – Moleta mitgerechnet – befanden sich an Bord der „Bonifacio“. Mit finsteren Mienen standen sie an Deck. Sie hatten sich mit Säbeln, Entermessern, Messern, Musketen und Pistolen bewaffnet und fieberten dem Moment entgegen, in dem sie an Land übersetzen würden.

Das Schiff drehte in der Bucht bei. Moleta ließ die Segel aufgeien. Der Anker klatschte ins Wasser. Der Bootsmann gab seine Befehle, und die Kerle hievten die Jolle von der Kuhl hoch und schwenkten sie aus. Sie fierten das Boot an der Steuerbordseite der Galeone ab. Eine Jakobsleiter wurde ausgebracht.

Moleta stellte einen Trupp von zwölf Kerlen zusammen. Er übernahm die Führung. Die Kerle enterten in die Jolle ab und nahmen auf den Duchten Platz. Moleta setzte sich auf die achtere Ducht und griff nach der Ruderpinne. Die Jolle war überladen und lag tief im Wasser. Aber das kümmerte keinen. Die Distanz zum Ufer war kurz, man würde sie problemlos überbrücken.

Die elf anderen Kerle blieben an Bord der Galeone und blickten dem Boot nach, wie es ablegte und zum Strand glitt Moleta gab das Tempo an. Die Riemen tauchten ins Wasser, schwangen wieder hoch. Die Jolle wirkte träge und schwerfällig und schob sich langsam in die Uferbrandung. Sie wurde von den Wellen hochgehoben, beschleunigte etwas und drückte sich mit dem Bug auf den Sand.

 

Rovigo, ein Mann mit einer Augenklappe, der an Bord der „Bonifacio“ stand, brummte: „Ich würde mich nicht wundern, wenn uns della Rocca einen Hinterhalt gelegt hätte.“

„Der?“ sagte sein Nebenmann zur Rechten mit bösem Lachen. „Das soll er mal versuchen. Es geht übel für ihn aus. Wir sind ihm masthoch überlegen. Moleta und die anderen knallen ihn und die fünf Verräter ab, sobald sie auch nur ihre Ärsche aus der Deckung heben.“

„Viel Munition haben wir nicht“, gab Rovigo zu bedenken.

„Na und?“ rief ein anderer Kerl. „Was heißt das schon?“

„Daß wir sparsam damit umgehen müssen“, entgegnete Rovigo.

„Meinetwegen“, sagte ein dicker Bursche. „Aber das heißt noch lange nicht, daß della Rocca uns an den Kragen kann. Wir spießen ihn mit unseren Säbeln auf.“

„Wenn wir die Schweinehunde bloß schnappen“, sagte Rovigo. „Das wird ein Fest. Wir lassen sie langsam krepieren. Wie Würmer sollen sie verrecken.“

Moleta und die Piraten aus der Jolle waren unterdessen ausgestiegen und hatten das Boot aufs Ufer gezogen. Der Bootsmann ließ vorsichtshalber einen Kerl als Wachtposten bei der Jolle zurück. Dann machte er sich mit den anderen auf den Weg zu den Palmen und zur buschbestandenen Uferböschung.

Die ganze Zeit über hielten sie die Augen nach allen Seiten offen. Schließlich konnte der Gegner – della Rocca und die fünf „Verräter“ – irgendwo im Dickicht lauern. Vielleicht zielten die Kerle schon mit ihren Musketen auf den Trupp? Moleta wurde ein wenig mulmig zumute. Riskierte er zuviel? Hätte er vorsichtiger sein und erst ein paar Kundschafter losschicken sollen?

Verdammt, verdammt, dachte er. Ganz so einfach, wie er sich das gedacht hatte, war es doch nicht, den Anführer einer solchen Horde zu spielen. Man mußte Verantwortung tragen und schnell Entscheidungen treffen können. Außerdem war man der Kritik der Kerle ausgesetzt. Moleta begann zu schwitzen.

Zur Umkehr war es zu spät. Er durfte nicht wankelmütig werden und mußte durchhalten. Ihm fiel ein, daß ja auch noch der Ausguck der „Bonifacio“ da war. Wenn sich im Dickicht etwas regte, würde der es schon melden. Hoffentlich paßte der Kerl auf. Oder pennte er jetzt etwa?

Der Bootsmann warf einen Blick über die Schulter zurück. Deutlich konnte er die Gestalt des Ausgucks im Großmars erkennen. Nein, der Kerl schlief nicht. Das konnte er sich gar nicht erlauben. Er hielt die Augen offen. Hin und wieder spähte er sogar mit dem Spektiv in den Dschungel.

„Wie weit ist es noch?“ fragte einer der Piraten.

„Mal sehen“, brummte Moleta.

„Du weißt es nicht genau?“ erkundigte sich ein anderer lauernd.

„Halt dein Maul!“ fuhr Moleta ihn an.

Er dachte: Was seid ihr doch für ein saublöder Haufen! Irgendwie begriff er in diesem Moment, warum der Korse immer zur Peitsche gegriffen hatte, wenn er sich anders nicht hatte durchsetzen können. Die Kerle waren wirklich zu dumm. Eine andere Sprache als die der Gewalt verstanden sie nicht.

Heiß war es am Cabo San Antonio. Moleta wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Wann kühlte es endlich ein wenig ab? Hölle, war es hier schwül. Wahrscheinlich würde es die ganze Nacht über schwül bleiben. Da half nur eins – kräftig saufen. Aber so üppig waren die Vorräte an Bord nicht mehr. Ja, auch das stand Moleta noch bevor. Er mußte Proviant, Waffen und Munition besorgen. Della Rocca hatte sich reichlich eingedeckt, ehe er sich verdrückt hatte. So mangelte es der Bande jetzt an Eßwaren, Trinkbarem und Pulver.

Eins nach dem anderen, dachte der Bootsmann, das kriegen wir schon noch hin. Er blieb abrupt stehen und duckte sich. War da nicht etwas – im Gestrüpp?

Die Kerle hatten ebenfalls ein Geräusch gehört. Sie rissen ihre Waffen hoch und zielten auf das Dickicht. Es raschelte. Die Kerle fluchten.

Moleta rief: „Della Rocca, komm raus, du Schwein! Wir haben dich gesehen!“

Aber es flatterte nur ein großer Vogel aus dem Gestrüpp auf. Die Kerle lachten und ließen ihre Musketen und Pistolen wieder sinken.

„He, wir machen uns ja gegenseitig verrückt“, sagte einer von ihnen.

„Weiter“, sagte Moleta schroff.

Sie stiefelten weiter. Moleta blickte in die Runde und überlegte, wo sich das Versteck befinden mochte. Della Rocca hatte die genaue Position ja wie ein Geheimnis gehütet. Die Kerle würden also suchen müssen, um die Truhe zu finden. Vielleicht mußten sie den ganzen Strand umgraben.

Verflucht, dachte Moleta, bloß das nicht!

Einer seiner Kerle verharrte. Moleta dachte sofort wieder an eine Falle. Aber der Kerl deutete auf den Boden.

„Da!“ rief er. „Spuren!“

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