Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 506»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-914-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Roy Palmer
Standrecht
Es gab kein Gericht – man knüpfte sie einfach auf
Alonzo de Escobedo war ein wandlungsfähiger Mann. Vor kurzer Zeit hatte er noch im Kerker von Havanna gehockt – in der Gewißheit, am Halse langgezogen zu werden. Jetzt war er ein freier Mann. Dann, am 10. Juli, hatte er gedacht, die Niederlage nicht ertragen zu können – sein heroischer Sturm auf das Gefängnis war von dem Hundesohn José Cámpora und dessen Wächtern zurückgeschlagen worden. Kein Mann hatte mehr für de Escobedo kämpfen wollen.
Doch jetzt, in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli, sah wieder alles ganz anders aus. De Escobedo durfte sich bereits als Sieger fühlen. War es nicht phantastisch, wie alles klappte? De Escobedo rieb sich die Hände und lachte in sich hinein. Endlich hatte er die Gelegenheit seines Lebens, allen zu zeigen, was für ein hervorragender Stratege er war.
Die Hauptpersonen des Romans:
Gonzalo Bastida – Der dicke Wirt hängt unversehens an einem Mauerhaken seiner Kneipe und muß mit ansehen, wie ein Hurrikan durch den Schankraum rast.
Alonzo de Escobedo – Der abgesetzte Gouverneur von Havanna träumt vom Sturm auf die Residenz, landet aber in einem Kellerloch.
Cuchillo – Der Leibwächter Bastidas muß auf den Einsatz seines Messers verzichten – die Faust seines Gegners erweist sich als schneller.
Jean Ribault – Mit einem Kampftrupp der Mannen vom Bund der Korsaren hebt er in Havanna einiges aus den Angeln.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
1.
Er war ein Mann der ersten Linie, ein Offizier von der eisenharten Sorte. Nichts vermochte ihn zu beeindrucken oder gar zum Zaudern zu bringen. Die Belagerung der Residenz war in vollem Gange. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann würde er, de Escobedo, als neuer Regent den Gouverneurspalast beziehen.
Ein großes, quadratisches Haus mit Fensterläden stand an der Plaza von Havanna, ganz aus wuchtigen Quadersteinen errichtet. Vor wenigen Tagen hatten hier noch die Besitzer – reiche Bürger – gewohnt. Jetzt hatte de Escobedo das Gebäude als „provisorische Residenz“ ausgewählt. Hier hatte er sein Hauptquartier und seinen Befehlsstand eingerichtet.
Er thronte auf einem wertvollen geschnitzten Holzgestühl im Saal des Hauses und hatte vor sich auf einer riesigen Eichenholztafel Pergamentrollen ausgebreitet. Über ihm waren mit Ornamenten verzierte Deckenbalken, von den Wänden blickte eine auf Ölgemälden festgehaltene Verwandtengalerie auf ihn herunter.
Als mit der Belagerung begonnen worden war, hatte Alonzo de Escobedo seinen Stand noch direkt unter den Kerlen gehabt, mitten zwischen den Barrikaden. Inzwischen war das nicht mehr erforderlich. Er brauchte den Angriff nicht mehr aus nächster Nähe zu leiten. Es genügte, hin und wieder eine Inspektions- und Kontrollrunde zu unternehmen.
Die Kerle – mehr als hundert Mann, allesamt Galgenstricke und Lumpenhunde – wußten, was sie zu tun hatten. Hin und wieder wurde mit Drehbassen auf die Residenz gefeuert. Das gehörte zur Taktik. Es galt, die Gegner, die sich hinter den dicken Mauern des Palastes verschanzt hatten, weichzukochen und auszuhungern.
Viel hatten die Eingeschlossenen sicherlich nicht mehr zu beißen – und auch am erforderlichen Wasser würde es ihnen sehr bald mangeln. Hinzu kam, daß Bastida Ochsen und Ferkel an Kochstellen rund um die Plaza zubereiten ließ. Der Duft wehte natürlich bis zur Residenz. Ganz gehörig mußte dem „Pack“, das dort Zuflucht gesucht hatte, mittlerweile der Magen knurren.
De Escobedos Truppe hatte indessen satt zu essen und reichlich zu trinken. Der Wein floß in Strömen. Und es mangelte auch sonst an nichts. Bastidas „Schnepfen“, die nun sozusagen als Marketenderinnen eingesetzt wurden, versorgten die Kerle mit käuflicher Liebe. Zur Zeit waren die Preise besonders niedrig – ein Sonderangebot des schlauen Bastida.
Überhaupt, dieser Gonzalo Bastida! De Escobedo war froh, sich mit ihm verbündet zu haben. Der dicke Kaschemmenwirt war seine letzte Rettung gewesen. Ohne Bastida hätte de Escobedo niemals wieder eine Streitmacht auf die Beine gestellt. Mit Gewalt hatte der Dicke die Kerle rekrutieren lassen. Bastida verfügte über die erforderlichen Mittel, die Macht und die Handlanger dafür.
Seine vier Leibwächter Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho sowie die „Soldados“ – eine Schlägertruppe – hatten an allen Ecken und Enden der Stadt das üble Gelichter zusammengetrieben. Cuchillo und Gayo hatten nur ein paar Exempel zu statuieren brauchen, und schon war der Rest der Plünderer von Havanna mit fliegenden Fahnen zu Gonzalo Bastida übergelaufen.
Daß sie es nicht schlecht hatten, das war den Kerlen inzwischen klargeworden. Keiner dachte auch nur im Traum daran, abzuhauen. War das nicht ein feines Leben? Man aß und soff, und so ganz nebenbei wurde dabei die Residenz vereinnahmt. Zwischendurch war sogar noch Zeit zum Herumhuren.
Und wenn die Verteidiger der Residenz endlich die Fahne strichen, würde man den Palast mit Hurra und Gebrüll stürmen, die Frauen vergewaltigen und die Schatzkammern plündern.
So einfach war das. Havanna gehörte dem Mob. De Escobedo und Bastida würden die neuen Herrscher der Stadt sein – de Escobedo offiziell als neuer Gouverneur, Bastida als graue Eminenz und Fadenzieher im Hintergrund. Mit Havanna gehörte ihnen auch Kuba. Spanien und der König waren weit weg. Man konnte leben wie die Made im Speck.
De Escobedo betrachtete lächelnd seine Aufzeichnungen. Mal öffnete er die eine Pergamentrolle, dann die andere. Er hatte verschiedene Pläne entworfen, wie die Kerle beim Sturm in die Residenz eindringen und sogleich die neuralgischen Punkte besetzen sollten.
Des weiteren hatte er über einen Um- und Ausbau des Palastes nachgedacht. Ideen waren genug vorhanden. De Escobedo hatte sich fest vorgenommen, sie alle in die Tat umzusetzen.
Bastida sollte ruhig glauben, daß er später auch seine Position als Chef der Unterwelt von Havanna behalten würde. De Escobedo beließ ihn bei dieser Annahme. Später würde er dem Dicken schon zeigen, wer hier die Nummer eins war.
Irgendwann würde Bastida verschwinden. Im Dschungel. Von wilden Tieren zerfetzt, von einer giftigen Schlange gebissen. Oder im Meer. Bei einem Bootsausflug verunglückt. Oder im Kerker der Residenz. Bastida würde nicht der erste sein, der in dem Gewölbe jämmerlich verreckte.
Don Antonio de Quintanilla hatte es ja schließlich vorexerziert, wie man mit lästigen Mitwissern oder Frechlingen umsprang. Sie hatten kein sehr langes Leben. Doch vorläufig war dies noch Zukunftsmusik. De Escobedo mußte mit den Wölfen heulen. Bastida und dessen Bande waren ihm Mittel zum Zweck.
Alonzo de Escobedo klatschte in die Hände. Sofort erschien eine der „Marketenderinnen“. Sie hieß Maria Dolores und war eins von Bastidas besten „Pferdchen im Stall“.
Maria Dolores trug ein tief ausgeschnittenes Kleid. Ihre Hüften wippten aufreizend bei jedem Schritt. Dicht vor der Tafel blieb sie stehen. „Señor Kommandant wünschen?“
„Wein“, sagte de Escobedo.
Maria Dolores nickte und holte einen Kristallkelch und einen Krug. Lächelnd füllte sie den Kelch mit schwerem dunkelrotem Wein und setzte ihn de Escobedo vor.
De Escobedo trank. Er schnalzte mit der Zunge und sagte: „Ein wirklich vorzüglicher Tropfen.“
„Soll ich nachschenken?“ fragte Maria Dolores.
„Nur zu.“
Maria Dolores ließ den Wein erneut in den Kelch plätschern. Am liebsten hätte sie ihn dem eingebildeten, arroganten Laffen ins Gesicht gekippt. Aber sie hütete sich, auch nur etwas von dem Widerwillen durchblicken zu lassen, den sie diesem Mann gegenüber empfand. Schließlich hatte man ja so etwas wie eine Berufsehre. Und Maria Dolores war gut in ihrem Fach.
„Zum Wohl“, sagte sie.
De Escobedo leerte den Kelch, setzte ihn auf dem Tisch ab und zog die Hure zu sich heran.
„Wann gehst du eigentlich zu Bett, Schätzchen?“ fragte er grinsend.
„Wenn du es befiehlst, Señor Kommandant.“
„Sehr gut. Mit wem?“
„Mit wem du befiehlst, Señor Kommandant.“
„Ausgezeichnet.“ De Escobedo erhob sich. „Ich kontrolliere jetzt die Posten. Halte dich zu meiner Verfügung.“
„Zu Befehl.“
„Jede Zuwiderhandlung wird streng bestraft“, sagte de Escobedo. „Wer nicht pariert, empfängt die Peitsche.“
„Oh, wie schrecklich“, hauchte Maria Dolores. „Ich habe richtig Angst.“
De Escobedo lachte rauh und verpaßte der Frau einen derben Hieb aufs Hinterteil. Sie kreischte und nahm Reißaus – de Escobedo ging zur Tür und trat auf den Flur. Draußen donnerte gerade wieder eine Drehbasse. Die Kugel flog über die Außenmauer der Residenz und knallte in eins der Fenster des Hauptgebäudes, das noch heil geblieben war. Klirrend zerbrach das Bleiglas. Wütende Rufe ertönten aus dem Palast. Irgendwo begann ein Kind zu weinen. Die Belagerer lachten roh und stießen höhnische Pfiffe aus.
Mit erhobenem Kopf begab sich Alonzo de Escobedo ins Freie, ganz Feldherr und überlegener Potentat. Am liebsten hätte er eine zündende Ansprache an seine „Armee“ gehalten. Es mußte der Wein sein, der ihm zu Kopf gestiegen war. Seine Siegeseuphorie steigerte sich immer mehr. Mit hämischem Grinsen blickte er zur Residenz und dachte: Bald seid ihr reif.
„Señor?“ sagte einer der beiden Posten vor der Eingangstür.
De Escobedo drehte sich langsam um und musterte die Kerle. Der eine, ein Riese mit großem Kopf und winzigen Augen, hieß Boldrago, soviel war ihm bekannt. Und der andere? Richtig – sein Name war Soto. Soto fiel durch sein wüstes schwarzes Bartgestrüpp auf, das ihm bis auf die Brust reichte. In einer regulären Truppe wäre Soto bei der Rekrutierung unverzüglich rasiert worden. Aber es handelte sich nun mal um eine Meute von Hundesöhnen, und Äußerlichkeiten wie diese mußte de Escobedo hinnehmen. Es blieb ihm nichts anderes übrig.
„Alles in Ordnung hier draußen?“ fragte de Escobedo überflüssigerweise.
„Bestens in Ordnung, Señor Kommandant“, antwortete Boldrago, der Sprecher von vorher.
„Weitermachen“, sagte de Escobedo. Er stieg die Treppe hinunter und schritt von Barrikade zu Barrikade, um die „Stellungen“ zu überprüfen.
Boldrago und Soto warfen sich indessen einen Blick zu.
„So ein Blödian“, sagte Soto. „Wozu brauchen wir den eigentlich?“
„Er ist der Gouverneur“, brummte Boldrago.
„Noch nicht.“
„Er wird’s aber“, entgegnete der Riese. „Und Bastida ist damit einverstanden. Das darfst du nicht vergessen.“
„Ich denke daran“, sagte Soto grimmig. „Aber in meinen Augen ist er trotzdem ein Blödian.“
Keiner konnte Alonzo de Escobedo so recht leiden. Auch Gonzalo Bastida empfand für seinen Verbündeten keinen Funken Sympathie. Im Gegenteil. Der dicke Wirt verachtete de Escobedo. Irgendwann, so hatte sich Bastida bereits vorgenommen, würde er de Escobedo vom Gouverneurssessel stoßen und sich selbst auf den Thron setzen. Davon aber konnte de Escobedo, dieser Narr, nichts wissen.
Weder Alonzo de Escobedo noch Gonzalo Bastida ahnten zu diesem Zeitpunkt, daß ihnen Unheil drohte – von der Faktorei des deutschen Handelsherren Arne von Manteuffel. Eine Jolle war am Kai gelandet. Vier Männer hatten sich heimlich in die Faktorei begeben.
Bastida fühlte sich viel zu sicher. Er hätte Wachtposten aufstellen sollen. Welchen groben Fehler er durch diese Unterlassung begangen hatte, sollte er noch erfahren.
Osvaldo, der Dieb, schreckte plötzlich von seinem Lager hoch. Er kroch zu El Sordo, dem Taubstummen, und rüttelte an dessen Schulter. Sofort schlug auch der Kumpan die Augen auf.
„Geräusche!“ zischte Osvaldo. „Da ist jemand!“
El Sordo bewegte aufgeregt die Hände. Es war zu dunkel. Er konnte die Worte nicht von Osvaldos Lippen ablesen. Osvaldo begriff und begann, in der Zeichensprache, die sie beide kannten, zu gestikulieren.
El Sordo zückte sein Messer. Geduckt schlich er zur Tür. Osvaldo war hinter ihm. Auch er zog das Messer aus dem Gurt.
Sie öffneten die Tür spaltbreit und spähten auf den Flur. Nichts regte sich. Und doch hörte Osvaldo es genau in diesem Moment wieder: etwas schepperte verhalten. Der Laut schien aus dem Raum zu kommen, in dem Maria schlief.
Das Haus, in dem die beiden Diebe und das Mädchen ihre Lager aufgeschlagen hatten, stand nur wenige Schritte von der Plaza entfernt. Es war eins der Gebäude, das von seinen Bewohnern geräumt worden war, als die große Plünderung in Havanna begonnen hatte. Im Hof wurden Ochsen und Ferkel am Spieß gebraten – Osvaldos, El Sordos und Marias Aufgabe, die zu de Escobedos „Versorgungstruppe“ gehörten.
Die vierte im Bunde war Juanita, eine von Bastidas Huren. Man hatte Freundschaft geschlossen und paßte irgendwie gut zusammen. So war auch der Plan des Quartetts gereift, gemeinsam aus Havanna zu verschwinden, bevor es zu spät dazu war.
Das eigentliche Problem aber war Maria. Die Dreizehnjährige hatte sich als Junge verkleidet. Sie hatte Angst davor, von den Kerlen mißhandelt zu werden. Im Hause ihres ehemaligen Dienstherrn Don Felipe hatte sie schlechte Erfahrungen gesammelt. Osvaldo und El Sordo hingegen hatten sie aus einem Kellerverlies befreit in dem sie wie ein Tier dahinvegetiert hatte. Die beiden hatten sie anständig behandelt. Maria würde ihnen dies nie vergessen. Das waren eben „anständige Diebe“.
Cuchillo, Bastidas gefährlichster Leibwächter, schien allerdings den Verdacht zu hegen, daß der vermeintliche Mario kein richtiger Junge war. Cuchillo hatte es auf das Mädchen abgesehen. Man mußte ständig damit rechnen, daß er auftauchte, um sich näher mit ihr zu befassen.
Aus diesem Grund hatten Osvaldo und El Sordo in der Kammer neben der Treppe Posten bezogen. Marias Kammer befand sich weiter hinten. Man mußte also an den beiden vorbei, um das Zimmer des Mädchens zu erreichen.
Jetzt schien sich herauszustellen, daß Osvaldos Rechnung nicht aufging. Er konnte nicht ständig auf der Hut sein. Er hatte so tief und fest wie ein Bär geschlafen. Und El Sordo hörte sowieso nichts. Ein Eindringling befand sich im Haus – sie hatten ihn nicht bemerkt. Er bedrohte Maria!
Osvaldo und El Sordo schlichen nebeneinander über den Flur zu der Kammer des Mädchens. Osvaldo war als erster an der Tür. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. Cuchillo war ein blitzschneller, gewandter Messerkämpfer. Es würde nicht leicht sein, ihn zu überrumpeln. Aber – immerhin waren sie ja zu zweit.
Mit einem Ruck öffnete Osvaldo die Tür. Dann blieb er wie erstarrt stehen. El Sordo sah ihm über die Schulter und gab einen dumpfen Laut von sich, der wie ein verblüfftes Grunzen klang.
Im Schein einer Öllampe hockten Maria und Juanita nebeneinander auf dem Bett. Die Fensterläden hatten sie verdunkelt. Sie schauten auf, winkten den Männern zu und lachten leise.
„He“, sagte Osvaldo. „Was macht ihr denn da?“
„Huuu?“ stieß El Sordo fragend hervor.
„Kommt rein“, sagte Juanita. „Wollt ihr die ganze Bande aufwecken?“
Osvaldo und El Sordo traten ein. Ziemlich verdattert blieben sie vor der Frau und dem Mädchen stehen. Osvaldo räusperte sich.
„Wir dachten, Cuchillo sei hier“, sagte er leise.
„Quatsch“, erwiderte Juanita. Plötzlich zog sie einen spitzen Dolch unter der Bettdecke hervor. „Er soll nur erscheinen. Dann rechne ich mit ihm ab. Er ist ein brutales, gemeines Schwein.“
„Um Gottes willen, nein“, sagte Osvaldo.
„Beruhige dich“, sagte Maria. „Juanita hat das nicht wirklich vor. Wir haben uns nur zusammengesetzt und ein wenig geplaudert. Wir finden, daß diese Nacht günstig für unser Vorhaben ist.“
„Hokuspokus“, sagte Juanita. Sie schlug die Bettdecke zurück. Ein kleiner Berg Münzen erschien darunter – Dukaten, Reales, Piaster, Silberlinge. „Ich habe jetzt genug zusammengespart und verdient“, erklärte sie. „Das reicht mir. Hauen wir ab und schlagen wir uns zur Südküste von Kuba durch. Wir werden dort einen eigenen Laden eröffnen, vielleicht eine Kneipe.“ Ihre Augen verengten sich. „Es bleibt doch dabei, oder?“
„Klar“, antwortete Osvaldo. „Wir haben von Anfang an vorgehabt, Havanna den Rücken zu kehren, das weißt du. Dabei bleibt es.“
„Aber aufgepaßt!“ Juanita war gedankenschnell auf den Beinen und richtete die Spitze ihres Dolches auf El Sordos Gurgel. „Wenn ihr versucht, mich reinzulegen und mir mein Geld abzunehmen, könnt ihr schon jetzt euer letztes Gebet sprechen!“
El Sordo wich langsam zurück. Dieses Weib war ihm nicht ganz geheuer.
Osvaldo hob die Hand. „Laß das, Juanita. Wir haben unser eigenes Geld. Es ist nicht sehr viel, aber wir geben uns damit zufrieden.“
„Bevor wir fliehen, sollten wir aber Don Felipes Villa noch einen Besuch abstatten“, sagte Maria.
„Wegen des Geheimversteckes“, sagte Osvaldo. „Vielleicht ist noch Geld darin.“ El Sordo nickte eifrig dazu.
„Meinetwegen.“ Juanita steckte ihren Dolch wieder weg. „Mir geht es nur darum, klare Fronten zu schaffen. Wir legen unser Geld zusammen. Aber das soll euch nicht dazu verleiten, mich auszubooten.“
„Natürlich nicht, Juanita“, sagte Maria. „Auf unsere beiden Freunde kannst du dich wirklich verlassen.“
„Ich hab’ schon die verrücktesten Sachen erlebt“, erwiderte die Frau.
„Warum gehst du nicht allein fort, wenn du so mißtrauisch bist?“ fragte Osvaldo.
Die Hure maß ihn mit einem scharfen Blick. „Das habe ich euch schon mal erklärt. Alleine habe ich Angst.“
„Du und Angst?“ Osvaldo mußte unwillkürlich lachen. „Das kann ich mir nicht vorstellen!“
„Und doch ist es so“, entgegnete Juanita. „Denk darüber, wie du willst. Wenn im Dschungel Wegelagerer oder Wilde über mich herfallen, habe ich keine Chance. Außerdem kann ich an der Südküste, ganz gleich, ob in Batabanó oder anderswo, allein wenig ausrichten. Ich könnte höchstens wieder in einer Kneipe zu arbeiten anfangen. Aber ich will mich selbständig machen.“
„Gut, gut“, sagte Osvaldo. „Langer Rede kurzer Sinn: ich gehe jetzt unser Geld holen. Wir stecken alles in einen Beutel. Maria wird den Beutel verwalten. Einverstanden?“
„Jawohl“, erwiderte die Hure. Sie grinste jetzt. „Und dann packen wir unsere Klamotten und kratzen die Kurve.“
Sie grinsten jetzt alle vier. „Aber wir dürfen Burrito nicht vergessen“, gab Maria zu bedenken.
El Sordo gestikulierte heftig. Die Frau und das Mädchen schauten zu ihm. Sie schüttelten die Köpfe und blickten zu Osvaldo. „Er meint, das sei doch selbstverständlich. Niemals würde er Havanna ohne unser Maultier verlassen.“
„Klarer Fall“, sagte Juanita. „Ich sehe, wir sind uns wirklich einig.“
Osvaldo wischte sich den Schweiß ab, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte. „Ja. Aber ihr beiden habt uns eben einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Könnt ihr uns das nächste Mal, wenn ihr das Geld zählt, nicht vorher Bescheid sagen?“
„Ihr habt so schön geschlafen“, versetzte Maria lachend. „Da wollten wir euch nicht stören.“
„Wegen Cuchillo braucht ihr euch nicht zu sorgen“, sagte Juanita. „Es ist jetzt die dritte Nacht, in der Bastida mit seinen Kerlen feiert. Die Hunde erscheinen hier erst wieder, wenn die Residenz erobert ist. Und dann sind wir längst weg.“ Ihre Worte waren von solch unwiderlegbarer Logik, daß Osvaldo, El Sordo und Maria nichts darauf zu erwidern hatten.
Capitán Don Luis Marcelo, der Kommandant der Stadtgarde, gab ein schwaches Stöhnen von sich. Dann öffnete er die Augen. Der schwerverletzte Mann hatte Schwierigkeiten, zu begreifen, wo er sich befand. Allmählich aber ging es ihm wieder auf. Nach den Straßenkämpfen, bei denen er verwundet worden war, hatte man ihn in die Residenz gebracht. Hier lag er nun und konnte sich kaum rühren. Die Schmerzen setzten ihm gewaltig zu.
Nur undeutlich vermochte Marcelo die Gestalten zu erkennen, die an den Seiten und am Fußende seines Lagers standen und miteinander tuschelten. Was wollen die? fragte er sich gequält. Warten die auf mein Ende? Ist der Priester schon da, um die Letzte Ölung vorzunehmen?
Wut stieg in Marcelo auf. Er war nie eine große Leuchte gewesen. Sein schlimmstes Laster war der Wein. Aber jetzt zeigte sich eine Reaktion in ihm. Nein, er wollte nicht so einfach sterben! Vielmehr wollte er dem verdammten Teufel von der Schippe springen, solange noch ein Fünkchen Leben, Geist und Verstand in ihm waren!
Der Zorn gipfelte in einem saftigen Fluch. Sofort ertönte eine Stimme über Marcelo. „Capitán, Sie dürfen sich nicht aufregen.“ Es war die Stimme des Arztes, Marcelo erkannte sie wieder.
Don Luis Marcelo riß die Augen so weit wie möglich auf. Jetzt konnte er die Gestalten endlich erkennen – den Arzt, einen Assistenten, mehrere Soldaten. Ein Priester war nirgends im Raum zu entdecken.
Aha, dachte der Capitán grimmig, es ist also doch noch nicht soweit.
Draußen ertönte das Donnern einer Drehbasse. Eine Kugel heulte heran und krachte gegen die Außenmauer. Ein Beben ging durch den Raum. Wieder stieß Marcelo eine tüchtige Verwünschung aus.
„Aber, aber, Señor“, sagte der Arzt besorgt. „Ich bitte Sie …“
„Und ich gebe Ihnen einen Befehl“, sagte Marcelo frostig. „Rufen Sie sofort meinen Stellvertreter, den Primer Teniente Echeverria.“
„Sie dürfen jetzt nicht sprechen“, warnte der Arzt.
Marcelo blickte ihn aus funkelnden Augen an. „Es ist ein Befehl, haben Sie nicht verstanden?“
„Doch – jawohl.“ Der Arzt gab einem der Soldaten ein Zeichen. Der Soldat verschwand, um Echeverria zu holen.
Marcelo war über sich selbst erstaunt. Er hatte große Schmerzen, aber die Schmerzen kümmerten ihn in diesem Moment einen Dreck. Was noch verwunderlicher war: er verspürte nicht das geringste Verlangen nach Wein. Vielmehr fühlte er eine neue Art der Verantwortung und war von dem Wunsch beseelt, sofort etwas gegen das Gesindel zu unternehmen, das Havanna in eine Stadt des Terrors verwandelt hatte.
Der Primer Teniente Echeverria erschien mit dem Soldaten, der ihn geholt hatte, und salutierte vor dem Krankenbett seines Kommandanten.
„Teniente“, sagte der Capitán, „die Hunde haben mich übel zugerichtet. Aber ich kratze noch nicht ab.“
„Ich bin darüber sehr erfreut und wünsche Ihnen, daß Sie schnell wieder auf die Beine kommen, Señor Capitán“, erwiderte Echeverria.
„Danke.“ Marcelo glaubte es ihm. Echeverria war ein ehrlicher Mann. Ein guter Offizier und Soldat. Einer der wenigen, die ihn – trotz seines Trink-Lasters – wirklich schätzten. „Schildern Sie mir die Lage mit wenigen Worten, Teniente“, sagte Marcelo heiser.
Das tat Echeverria. Es sah übel aus für die Bewohner der Residenz. Der Palast war vom Pöbel umzingelt, keine Maus konnte heraus. Die Kerle feierten bereits ihren Sieg. Rädelsführer waren de Escobedo und Bastida. Die Stadt – bis auf das Gefängnis und die Residenz – gehörte ihnen. Viel schlimmer aber war in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß bei den Eingeschlossenen Uneinigkeit herrschte.
„Uneinigkeit?“ fragte Marcelo. „Etwa zwischen Militär und Zivilisten?“
„So ist es“, antwortete Echeverria.
„Das hätte ich mir denken können“, flüsterte Marcelo.
„Señor Capitán“, sagte der Arzt. „Ich muß Ihnen verbieten, weiter mit dem Teniente zu reden. Ich …“
„Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel!“ fuhr Marcelo den Mann an. Entrüstet verließ der Arzt daraufhin den Raum.
Marcelo grinste schwach. „So, jetzt sind wir wenigstens ungestört.“
„Sie sollten auf den Rat des Arztes hören“, sagte der Primer Teniente.
„Ja, schon gut. Wenn ich richtig verstanden habe, verteidigen Sie mit der Garde und der Miliz die Residenz?“
„Ja. Wir tun unsere Pflicht.“
„Wie sieht es mit der Munition aus?“
„Sie ist knapp bemessen.“
„Proviant?“
„Er geht zur Neige“, erwiderte Echeverria. „Auch am Trinkwasser wird es uns bald mangeln. Die vielen Bürger, die hier Schutz gesucht haben, haben die Vorräte kaum rationiert.“
„Und wer ist der Sprecher der Bürger?“
„Don Alfonso Cortés y Menacha.“
Marcelo murmelte wieder einen Fluch. „Ausgerechnet der. Das hat uns gefehlt. Aber auch das habe ich mir ausmalen können.“
Don Alfonso Cortés y Menacha war einer der Magistratsbeamten von Havanna. Ein behäbiger, zum Fettansatz neigender Mensch, der im Grunde seines Herzens alles andere als ein Kämpfer war. Sicherlich hatte er mächtige Angst vor den Kerlen, die die Residenz mit Drehbassen beschossen.
„Don Alfonso würde sicherlich gern kapitulieren, wie?“ fragte Marcelo. „Ich könnte es mir jedenfalls vorstellen.“
„Ja“, bestätigte Echeverria. „Aber genau das wollen die Belagerer ja erreichen.“
„Fein haben sie sich das ausgedacht“, sagte Marcelo erbittert.
„Don Cortés y Menacha weist immer wieder darauf hin, daß die Frauen und Kinder am meisten gefährdet seien“, erklärte der Primer Teniente. „Seiner Ansicht nach müßte es unser aller Bestreben sein, sie vor weiteren Entbehrungen zu bewahren.“
Der Capitán hustete. „Und was erwartet unsere Frauen und Kinder Ihrer Meinung nach, wenn wir die Flagge streichen?“
„Ich bin überzeugt, daß de Escobedo und seine ominöse Streitmacht keinen schonen werden“, erwiderte Echeverria ernst. „Ganz im Gegenteil. Sie werden wie die Teufel hausen, wenn wir aufgeben.“
„Weitere Details können Sie sich sparen.“
„Ja, Señor.“
„Teniente“, sagte Marcelo. „Würden Sie sich zutrauen, mit einem Trupp ihrer besten Soldaten einen Ausfall gegen die Kerle zu unternehmen?“
„Ja, Señor Capitán.“
„Bedenken Sie, daß es ein Himmelfahrtskommando wäre.“
„Ich weiß Bescheid“, entgegnete Echeverria. „Aber das schreckt mich nicht ab. Wenn Sie mir den Befehl geben, stelle ich sofort eine Einsatzgruppe zusammen.“
Darmowy fragment się skończył.