Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 36»

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Impressum

© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-293-3

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

1.

„Alle Mann an Deck!“

Der Ruf Edwin Carberrys tönte durch die Gänge im Schiffsbauch und drang bis in die Räume des Vorschiffs, als wolle er die Wände zum Zittern bringen. Der Schrei bebte in Donegal Daniel O’Flynn nach. Aufgebracht, mit verstört aufgerissenen Augen, fuhr das Bürschchen von seiner Koje hoch.

„Verflixt und zugenäht! Was fällt dem bloß wieder ein, so einen Heidenspektakel zu veranstalten? Kann man nicht endlich mal seine wohlverdiente Ruhe haben?“

Smoky rekelte sich auf dem Lager neben ihm. Er setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Der Seewolf wird schon seine Gründe haben, uns zusammentrommeln zu lassen. Vielleicht gibt’s wieder Verdruß. Los, bewegen wir uns.“

„Natürlich, aber ...“

Smoky blickte Dan halb mißtrauisch, halb amüsiert an. „Mußt du immer das letzte Wort haben? Oder willst du neuerdings mit süßem Sirenengesang geweckt werden?“

„Ach, red doch keinen Quatsch“, gab Dan verärgert zurück. „Ich meine bloß, nach einer Nacht wie der vergangenen könnte Hasard uns eine Mütze voll Schlaf gönnen. Die Wache, die zur Zeit oben auf Deck Dienst schiebt, hat ihre Ruhe gehabt. Nur wir müssen darauf verzichten. Aber bestimmt nicht, weil diese verdammten Piraten die Schnauze immer noch nicht voll haben und zu einem neuen Angriff rüsten. Ich glaube einfach nicht, daß in der Richtung etwas im Busch ist.“

Matt Davies, der dritte Mann im Raum, hatte sich erhoben. Er reckte seine beiden Arme, wobei die Hakenprothese, die die rechte Hand ersetzte, einen trockenen, knackenden Laut von sich gab.

„Die Wahrheit ist, daß Dan immer noch die zwölf Edelhuren im Kopf ’rumspuken“, sagte er zu Smoky. „Caligu, dieser Bastard von einem Piratenführer, hat sie bei sich auf der Karavelle, und ich wette meinen Kopf, daß unser Bürschchen sich in seinen Träumen eben die schönsten Hoffnungen gemacht hat. Er denkt, die Weiber geraten uns doch noch irgendwie zwischen die Finger.“

Matt grinste breit und behäbig. Smoky zeigte eine wegwerfende Gebärde.

„Hoffnungen? Was für welche denn? Wer noch grün und nicht ganz trocken hinter den. Ohren ist, der weiß doch überhaupt nicht, wie er’s im Falle eines Falles anzustellen hat.“

„Verdammt, jetzt langt’s mir aber!“ Dan ballte die Hände. Seine Augen schienen plötzlich Funken zu sprühen. Er zog ein Gesicht, als würde er jeden Augenblick Gift und Steine spucken. Er hatte eine Erwiderung auf der Zunge, fand aber keine Zeit mehr, sie auszusprechen.

Soeben erschallte wieder der barsche Ruf Carberrys: „Alle Mann an Deck! Hölle und Teufel, euch Rübenschweine ziehe ich die Haut in Streifen ab, wenn ihr nicht spurt!“

Matt und Smoky setzten sich in Marsch und verließen den Raum. Dan blieb nichts übrig, als sich ihnen schleunigst anzuschließen. Ein Teil seiner Wut verflog so schnell, wie sie in ihm aufgestiegen war, aber er zischte Matt noch von der Seite zu: „Laß mich ein anständiges Frauenzimmer unterkriegen, und ich führe dir vor, wie ein O’Flynn damit umspringt.“

Im Gang trafen sie auf Batuti, Karl von Hutten und die beiden Holländer, die ebenfalls für acht Glasen zum Ausruhen in die Kojen geschickt worden waren. Nicht einmal ein Drittel der Zeit war herum. Entsprechend verbiestert sahen die Männer aus. Sie hatten eine furiose Nacht hinter sich, eine Nacht, in der sie den Piraten noch einmal kämpfend gegenübergestanden hatten – diesmal auf du und du. Die Freibeuter unter ihrem brutalen Anführer Caligu hatten sich erdreistet, von der Insel Little Cayman zu der „Isabella V.“ überzusetzen und zu entern.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte schon vor Grand Cayman einen Sieg über sie errungen, indem er ihre beiden Schiffe versenkt und sie auf die Insel verbannt hatte. Doch dann hatte die gerissene Maria Juanita eingegriffen, Caligus Gunst für sich gewonnen und ihn dazu verleitet, zunächst die Zweimast-Karavelle „Isabella IV.“ zu besetzen und dann der „Isabella V.“ nachzusegeln.

Gold, Silber, Perlen und Edelsteine, unermeßlichen Reichtum hatten sich die Piraten von dem Überfall auf das neue Schiff des Seewolfs erhofft. Doch sie hatten nur Verdruß geerntet, und zwar knüppeldicken! Philip Hasard Killigrews Mannschaft war durch den Spanier Valdez gewarnt worden. Dieser hatte sich aus den Fängen Caligus retten können, bevor dieser ihn wie geplant kielholen konnte. Valdez hatte den Seewolf über alles ins Bild gesetzt, was er auf dem Schiff der Piraten erlauscht hatte.

Die Piraten hatten eine Abfuhr erhalten, an die sie sich noch ihren Lebtag erinnern würden. Reihum hatte es blutige Köpfe gegeben. Eine Anzahl der wüsten Kerle war getötet worden. Und der Spanier Valdez hatte der durchtriebenen Maria Juanita, die bei dem Überfall mit von der Partie gewesen war, einen Messerschnitt quer durchs Gesicht verpaßt. Das war eine Blessur, die die Fortsetzung ihres einträglichen Gewerbes in Spanien erheblich in Frage stellen würde.

Die Männer stiegen einen Niedergang hinauf, öffneten das Backbordschott im Vordeck und traten auf die Kuhl. Hier gesellten sie sich zu Blakky, dem Kutscher, Gary Andrews, Stenmark, Al Conroy, Valdez und den ehemaligen Karibik-Piraten, die sich bereits um den Großmast versammelt hatten. Arwenack, der Schimpansenjunge, enterte an den Webeleinen der Luvhauptwanten ab und landete mit einem genau berechneten Satz auf Smokys mächtiger Schulter.

Pete Ballie stand am Kolderstock, Jean Ribault hockte als Ausguck im Großmars. Ben Brighton und Ferris Tucker hatten sich neben dem Seewolf in Positur gebracht. Dieser verharrte hinter der Schmuckgalerie, die den Querabschluß des Quarterdecks zur Kuhl hin bildete. Er hatte die Finger um die hölzerne Handleiste gespannt und stand leicht vorgebeugt. Die Brauen über seinen eisblauen Augen hatten sich zusammengezogen.

Matt Davies wandte sich an Buck Buchanan, der sich gerade neben ihm befand. „Sag mal, was hältst du von dem Wetter?“

Buchanan, der nicht als ausgesprochener Schnelldenker bekannt war, hob den Kopf und hielt die Nase schnuppernd in den frischen Morgenwind. Die Sonne strahlte heiter vom Himmel. Die See war leicht gekräuselt, was aber nicht bedenklich stimmte, weil nirgendwo über der Kimm auch nur die geringste Wolkenbildung zu sehen war. Die „Isabella“ fuhr unter prall geblähten Segeln einen strammen Törn, mit Kurs nach Osten, und nichts deutete darauf hin, daß etwas diese Fahrt stören könnte. Es war ein richtig beschaulicher Tag im Spätaugust.

„Also“, sagte Buck. „Ich finde, mit dem Wetter haben wir heute gewaltig Schwein.“

Matt sog die Luft scharf durch die Nase ein. „Irrtum, mein Junge. Es braut sich etwas zusammen. Gewitterwolken ziehen auf. Das sagt mir mein Instinkt.“

Buck Buchanan kratzte sich am Hinterkopf und verstand kein Wort. Karl von Hutten hatte Matts Bemerkung mitgehört. Ernst wandte er sich an Dan O’Flynn: „Was deine ewigen Motzereien betrifft, hältst du jetzt am besten die Luft an. Hasard hat miserable Laune und könnte auf die Palme gehen, wenn einer von uns vorlaut wird.“

Dan zeigte eine nachdenkliche Miene. „Ja, das stimmt. Schließlich kenne ich ihn länger als du. Ihm scheint irgendwas gewaltig gegen den Strich gelaufen zu sein. Hoffentlich rückt er bald damit heraus, um was es sich dreht. Mir wird’s schon ganz kribblig unter der Haut.“

Der Seewolf wartete ab, bis auch der letzte Mann der Crew angetreten war. Dann ließ er einen Blick über die Gesichter der Männer wandern. Diese Augenblicke hatten etwas Bedeutsames, Beunruhigendes. Sogar Jean Ribault auf seinem luftigen Posten im Großmars schaute gebannt aufs Deck hinunter und hielt unwillkürlich den Atem an.

„Männer“, sagte der Seewolf, ohne die Stimme sonderlich zu heben. „Wir haben uns erfolgreich gegen die Piraten zur Wehr gesetzt und ihnen zum zweiten Mal eine Lehre erteilt. Ich bin deswegen stolz auf euch. Aber vor dem nächtlichen Kampf, gestern in den frühen Morgenstunden, ist etwas passiert, was ich nicht einfach so hinnehmen kann. Ich habe von Valdez erfahren, daß zu dieser Zeit die ehemalige „Isabella IV.“ an der Insel Cayman Grae vorübergesegelt ist, und zwar nordwärts zwischen Little Cayman und Cayman Grae hindurch.“

Dan O’Flynn konnte sich gerade noch rechtzeitg bezwingen, sonst hätte er jetzt einen Pfiff ausgestoßen. Er konnte sich ausmalen, auf was der Seewolf anspielte, jeder konnte es sich zusammenreimen, denn es gehörte kein besonderer Scharfsinn mehr dazu.

Trotzdem, Philip Hasard Killigrew fuhr fort: „Die Piraten entdeckten uns also in unserem Versteck, der kleinen, geschützten Bucht von Cayman Grae. Caligu lachte sich ins Fäustchen, ließ hochdrehen und eine Bucht im Norden der Nachbarinsel Little Cayman ansteuern. Den Rest wissen wir ja – wie Valdez sich aus seinem Gefängnis befreite, nach Little Cayman schwamm und von dort aus nach Cayman Grae mit einem Einbaum übersetzte und so weiter und so fort. Aber auf was es mir im Moment ankommt, ist folgendes: von jenem Zeitpunkt an war unser Schiff entdeckt – ohne, daß eine Menschenseele auf der „Isabella V.“ von dieser Tatsache auch nur etwas ahnte. Mir wurde jedenfalls nicht gemeldet, daß die Zweimast-Karavelle unsere Bucht passiert hatte, und darum hätte es ohne weiteres geschehen können, daß der nächtliche Überfall der Piraten gelang. Nur Valdez hat uns durch seine Warnung davor bewahrt.“

Stille lag über der Szene, als der Seewolf abbrach und sich zu Carberry umwandte.

Der Profos stand hoch oben auf der Poop, hielt die Arme verschränkt und erweckte einen höchst grimmigen Eindruck.

„Profos“, sagte der Seewolf. „Wie konnte deiner Meinung nach diese unglaubliche Unterlassung passieren?“

Carberry zögerte nicht mit der Antwort. „Ganz einfach. Der Posten, den wir als Ausguck an Land aufgestellt hatten, muß geschlafen haben. Jawohl, er hat gepennt wie ein fetter, vollgefressener Bär!“

„Und wer, Profos, hatte auf der Felsenspitze unmittelbar über der Bucht die Frühwache von vier bis acht?“

„Patrick O’Driscoll.“

Der Seewolf fuhr herum und fixierte den vierschrötigen Iren mit einem durchdringenden Blick. O’Driscoll stand etwas abseits am Backbordschanzkleid der Kuhl und schaute seinerseits zu dem schwarzhaarigen, blauäugigen Riesen herüber. Für einen Moment verfingen sich ihre Blicke ineinander. Dann senkte der Ire die Lider und sah auf die Decksplanken, als läge dort etwas für ihn parat, das den erdrückenden Vorwurf abschwächen und sein Verhalten rechtfertigen konnte.

Die Crew wurde unruhig. Dan O’Flynn wollte etwas rufen, aber Smoky stieß ihn an und zischte: „Halt die Klappe. O’Driscoll soll die Suppe selbst auslöffeln, die er sich eingebrockt hat. Schließlich hätten wir seinetwegen alle draufgehen können.“

„Patrick O’Driscoll!“ rief der Seewolf. Seine Stimme hatte sich verhärtet und war scharf geworden. „Du hättest die Piraten mit der ‚Isabella IV.‘ sehen und mir melden müssen. Hast du sie bemerkt – ja oder nein?“

Der Ire hob abrupt den Kopf. Sein Blick war flackernd geworden. Er wich seinem Kapitän mit den Augen aus, wies aber zu dem Spanier hinüber und schrie: „Verdammt noch mal, der Scheißkerl von einem Don lügt! Möchte wissen, was dem überhaupt einfällt. Der will sich doch nur aufspielen. Und überhaupt, schenkt ihr einem dahergelaufenen Phillip neuerdings mehr Glauben als mir, einem ehrlichen Seemann? Es ist gut möglich, daß die Piraten nördlich und nicht südlich der Insel vorbeigesegelt sind. Jawohl, so und nicht anders muß es gewesen sein!“

Valdez gab sehr ruhig zurück: „Dieser Mann spricht nicht die Wahrheit.“

O’Driscoll lief dunkelrot im Gesicht an. Er stieß einen heiseren Schrei aus und wollte sich auf den Spanier stürzen. Aber Batuti und Buck Buchanan waren neben ihm, packten ihn bei den Schultern und hielten ihn zurück.

„Lüge!“ schrie der Ire. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen! Was bin ich denn plötzlich für euch – ein Dreck? Wenn ihr mir nicht traut, braucht ihr bloß Bescheid zu sagen und ...“

„Ruhe!“

Die Stimme des Seewolfs schnitt ihm das Wort ab. Hasard stand immer noch auf seinem Platz hinter der Querbalustrade des Quarterdecks. Er sprach kühl und beherrscht.

„Willst du jetzt endlich meine Frage beantworten, O’Driscoll?“

„Habe ich doch schon.“

„Du hast die Piraten also nicht gesichtet?“

„Ich habe die Schnauze voll!“ brüllte O’Driscoll wieder los. „Gestrichen voll! Überhaupt, ich pfeife auf die Fahrt nach England. Ich will ausgezahlt werden.“ Er atmete heftig und blickte wild die Kameraden an, die ihn festhielten. „Laßt mich los, ihr Narren!“

Er befreite sich aus ihrem Griff, tat ein paar heftige Schritte am Großmast vorbei und stand direkt unter seinem Kapitän. Forsch blickte er zu diesem auf, aber sein Blick hatte immer noch jenen unsteten, flackernden Ausdruck. „Es ist mein gutes Recht. Ich habe die Schnauze voll und will meinen Anteil. Ich hab’s satt, ewig meine Rübe hinzuhalten. Ich will noch ein bißchen leben. Wenn du mich ausgezahlt hast, Kapitän Killigrew, kannst du mich auf Kuba oder Haiti absetzen. Dann sind wir fertig miteinander, und jeder geht seinen Weg.“

Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten. Seine Stirn war finster umwölkt. „Das hast du dir fein vorgestellt, O’Driscoll. Aber so geht’s nicht. Wo bleibt hier überhaupt der Respekt?“

„Ich weiß, daß du mich nicht leiden kannst, Profos.“

„Du spinnst ja!“ sagte Carberry erbost.

„Wenn es nach euch ginge, könnte ich ruhig den Haien zum Fraß fallen“, schrie O’Driscoll. „Keiner würde auch nur einen Finger krümmen, um mir zu helfen. Keinem würde es leid tun, wenn ich verrecken würde. Ich ...“

Jetzt wurde es der Crew zuviel, jetzt rückten Smoky, Matt, Blacky und von Hutten und gleich hinter ihnen Batuti, Stenmark, Dan und einige andere vor, um ihre Meinung kundzutun. O’Driscoll wollte vor ihnen wegschlüpfen wie ein Aal, aber er verkalkulierte sich. Batuti verstellte ihm den Weg. Der riesige Gambia-Neger, Smoky und Blacky packten ihn von zwei Seiten und hielten ihn fest.

Karl von Hutten sagte: „Du schleichst wie eine Katze um den heißen Brei herum und redest total am Thema vorbei, Pat. Was soll denn dieses übertriebene Selbstmitleid? Mir scheint, du willst dich bloß rechtfertigen. Außerdem hast du keinen Grund, dich hier dermaßen aufzuplustern. Wenn du tatsächlich auf deinem Wachtposten nicht die Augen offengehalten hast, hätten wir alle Mann vor die Hunde gehen können.“

„Deine Schuld wäre es gewesen“, fügte Dan O’Flynn wütend hinzu.

„Dir sollte man die Hammelbeine langziehen“, sagte Smoky drohend.

Philip Hasard Killigrew hob eine Hand und brachte damit die Mannschaft zum Schweigen. „O’Driscoll, wenn es dein Wunsch ist, mit dem dir zustehenden Anteil unserer Beute irgendwo an Land zu gehen, so halten wir dich nicht. Bei der nächsten Gelegenheit erledigen wir das.“ Er blieb eiskalt und ließ sich nicht zu einer heftigen, unkontrollierten Erwiderung hinreißen. „Ich halte dich nicht“, sagte er noch einmal, „aber solange du unter meinem Kommando fährst, hast du dich unterzuordnen. Du hast die gleichen Pflichten wie die anderen. Auch beim Wachegehen. Ich frage dich jetzt noch einmal: Hast du die Piraten gesehen oder nicht?“

Hasards Worte verklangen und wichen einem lähmenden Schweigen, das sich ausbreitete und nur durch das gelegentliche Knarren der Blöcke und Rahen unterbrochen wurde.

Patrick O’Driscoll blickte erneut zu Boden. Er äußerte sich nicht.

Der Seewolf hob seine Rechte an und ließ sie dann wieder auf die Handleiste fallen. „Also gut. In diesem Fall muß ich annehmen, daß du wirklich auf deinem Posten geschlafen hast. Profos!“

„Sir?“

„Hiermit verurteile ich diesen Mann zu dreißig Hieben mit der neunschwänzigen Katze. Sie, Mister Carberry, führen die Züchtigung durch.“

„Nein!“ schrie O’Driscoll. „Das ist Unrecht! Das könnt ihr nicht machen!“

„Das Urteil wird sofort vollstreckt“, ordnete Killigrew mit donnernder Stimme an.

Der Profos stapfte den Niedergang vom Achterkastell zum Quarterdeck hinunter, marschierte auf die Kuhl zu und rief: „Auf der Kuhlgräting festbinden, den Mann. Hopp, hopp, kommt in Gang, ihr Himmelhunde. Dan O’Flynn, du bringst mir die Neunschwänzige!“

Patrick O’Driscoll, der roh und grobschlächtig veranlagte Ire, schlug plötzlich um sich. Damit warb er nicht gerade um Sympathie. Er handelte sich einen Boxhieb von Smoky ein, der ihn in die Seite traf. Batuti rammte ihm seine rechte Faust, groß wie eine Ankerklüse, gegen den Brustkasten, daß es krachte.

Sie packten O’Driscoll und zerrten ihn am Großmast vorbei zur Gräting. Hasard vefolgte ihr Tun vom Quarterdeck aus. Seine Miene war hart und unbeweglich, wirkte beinahe wie gemeißelt. Bislang hatte er es verabscheut, einen seiner Männer züchtigen zu lassen. Aber jetzt war es unumgänglich. Was O’Driscoll sich geleistet hatte, durfte er nicht durchgehen lassen. Die Crew war hervorragend und einmalig aufeinander eingespielt, Freundschaft schmiedete die Männer fest aneinander, und für ihren Kapitän hätten die meisten bedenkenlos ihr Leben hingegeben.

Dennoch, O’Driscolls Verhalten war nicht nur der allgemeinen Disziplin abträglich – es hätte auch Schule machen können. Bei aller Abneigung und Kritik, die die Mannschaft gegenüber dem fluchenden Iren empfand, hätte sich ohne eine angemessene Bestrafung früher oder später eine laxe, zu kumpelhafte Verhaltensweise gegenüber ihrem Kapitän durchsetzen können. Hinzu kam, daß die Männer sich gerade durch die zuletzt errungenen Siege in Hochstimmung versetzt fühlten. Schwelgten sie zu sehr in ihrem Triumph, ließen Selbstbeherrschung, Kontrolle und Deckdisziplin sehr rasch nach. Das konnte zu einer Katastrophe führen.

Nein, O’Driscoll mußte seine Lektion haben. Für ihn war es mehr als nur der körperliche Schmerz – es war eine Schmach. Er würde sich künftig gewaltig zusammenreißen, wie der Seewolf hoffte. Und auf die anderen würde das Auspeitschen auch wie eine kalte Brause wirken und sie daran erinnern, wer Herr an Bord der Dreimast-Galeone „Isabella V.“ war.

Philip Hasard Killigrew war für ein gewisses demokratisches Prinzip an Bord. Aber alles hatte seine Grenzen. Wenn er biestig wurde, so wußte die Mannschaft, daß er seine guten Gründe dafür hatte, daß er auf lange Sicht etwas durchzupauken gedachte, das sie selbst noch nicht überblikken konnten. Dann galt es, die Köpfe einzuziehen und zu kuschen. Der Seewolf besaß die Härte, das Durchsetzungsvermögen und die Kühnheit eines Francis Drake, unter dem er sich vom unbedeutenden Mann aus dem Vorschiff bis zum Kapitän hochgedient hatte – und das in verblüffend kurzer Zeit. Er hatte überragende Qualitäten, dieser schwarzhaarige Riese, und eine davon schätzten seine Männer bei allem Drill ganz besonders. Er war nicht nachtragend.

2.

Smoky, Batuti und Karl von Hutten hatten den widerspenstigen Iren auf der Kuhlgräting festgebunden. Rohlederriemen hielten seinen Körper auf dem hölzernen Gitterwerk. Nur durch ein Wunder hätte er sich aus eigener Kraft befreien können. Patrick O’Driscoll hatte seine Taktik geändert. Er fluchte und lamentierte nicht mehr. Er biß jetzt nur noch die Zähne zusammen und nahm schweigend hin, was unabwendbar war. Er wußte, daß er bei der Crew endgültig unten durch sein würde, wenn er es nicht wie ein Mann trug.

Edwin Carberry stand bereit, seines Amtes zu walten. Dan O’Flynn brachte ihm die neunschwänzige Katze. Carberry ließ sie einmal probeweise durch die Luft pfeifen, dann blickte er sich zu seinem Kapitän um.

Hasard gab das Zeichen.

Er verzichtete auf den Trommler, wie es vielleicht auf Drakes Galeonen oder den anderen Schiffen der königlichen Krone in Funktion getreten wäre. Hasard war kein Freund großen Zeremoniells, unter den derzeitigen Gegebenheiten ohnehin nicht. O’Driscoll sollte seine Strafe haben, aber rasch, damit bald alles vorüber und vergessen war.

Carberry führte den ersten Schlag.

Es wäre glatt übertrieben gewesen, jetzt zu behaupten, der Profos habe etwa Hemmungen gehabt. Carberry kochte innerlich vor Wut wie die anderen Männer der Crew – aber nicht, weil er gelegentlich mit dem Iren auf Deck aneinandergeraten war. Er war ein Rauhbein und Lästermaul, der Profos, aber rachsüchtig war er nicht. Nur handelte er in der Überzeugung, daß O’Driscoll wirklich einen Riesenbock geschossen hatte. Er führte sich vor Augen, wie das gewesen wäre, wenn Valdez nicht von der Karavelle der Piraten geflüchtet und zu ihnen gestoßen wäre. Caligus Galgenvögel und Schlagetots hätten sie überrumpelt und wie die Fliegen niedergemetzelt. Ihre Heimfahrt nach England hätte in der Bucht von Cayman Grae ein Ende gefunden – weil der Ausguckposten, dieser verdammte Narr, geschlafen hatte!

Die Peitsche zuckte auf den bloßen Rücken des Iren nieder und riß blutige Striemen. O’Driscoll preßte die Lippen zusammen und schloß die Augen. Die Crew hatte einen Halbkreis gebildet. Schweigend wohnte sie der Züchtigung bei.

Hasard sah ohne Mitleid oder Befriedigung zu, wie der Profos Schlag um Schlag auf den gefesselten Mann niederklatschen ließ. Hätte man den Iren beim Rumstehlen oder einer anderen Kleinigkeit erwischt, so wäre er noch mit sechs Hieben davongekommen. Aber ein Fehler wie dieser ...

Hasard verfolgte den Vollzug seines Befehls ohne jede Emotion. Niemals würde er verstehen, daß sich gewisse goldbetreßte Kapitäne und Offiziere an solchen Auspeitschungen delektierten und gewissermaßen Genuß dabei empfanden. Er würde solcher Empfindungen niemals fähig sein, aber er dachte auch nicht im anderen Extrem, weil er felsenfest davon überzeugt war: dreißig Hiebe waren das Maß, das Patrick O’Driscoll verdient hatte.

Carberry ging nicht zimperlich mit dem Iren um. Mit voller Wucht ließ er die Neunschwänzige niedersausen und zählte dabei mit: „Achtzehn, neunzehn, zwanzig ...“

Bis zu zwei Dutzend hielt O’Driscoll tapfer durch, dann schrie er auf bei dem neuen Satz Striemen, die ihm die Haut weiter aufrissen und Blut seinen Rücken hinunterlaufen ließen. Beim vorletzten Schlag zögerte der Profos dann doch etwas, denn die Schreie gellten furchtbar über Deck.

„Dreißig“, sagte der Seewolf. „Dreißig habe ich gesagt, und dreißig habe ich auch gemeint, Profos, verdammt noch mal!“

„Aye, aye, Sir.“

Carberry vollendete seinen Auftrag. O’Driscolls letzter Schrei ging in einen erstickten Laut über. Er war besinnungslos, als die Männer ihn losbanden, ein regloses und schlaffes Bündel Mensch, das sich beim Erwachen unter Deck noch vor Schmerzen in seiner Koje krümmen würde. Für einige Zeit würde O’Driscoll sein Lager nur noch in Bauchlage genießen, soviel stand fest.

Hasard sah zu, wie sie ihn wegtrugen. Er bewunderte Männer, die unter der Neunschwänzigen stumm bleiben konnten, wenn ihr Rücken zerfleischt wurde, aber er akzeptierte ebenso die befreiende Wirkung ungehemmten Drauflosschreiens. O’Driscoll hatte immerhin lange durchgehalten, bevor der erste Laut über seine Lippen drang.

Der Seewolf drehte sich zu Ben Brighton und Ferris Tucker um. „Mister Brighton, wie bleiben auf Ostkurs und steuern die Windward-Passage an. Es bleibt bei der bisherigen Einteilung der Deckswachen. Schickt die Hälfte der Crew wieder in die Kojen zurück.“

„Aye, aye, Sir.“

Als der Seewolf das Quarterdeck verlassen und im Achterdeck verschwunden war, sagte Bootsmann Ben Brighton zu Ferris Tucker: „Himmel, wenn er ‚Mister Brighton‘ sagt, ist mit ihm wirklich nicht gut Kirschen essen.“

Am Morgen des nächsten Tages – es ging auf den September des Jahres 1579 zu – rief Philip Hasard Killigrew den Spanier Valdez zu sich in die Kapitänskammer. Valdez war auf der ehemals „San Josefe“ getauften Galeone unter dem Generalkapitän Don Francisco Rodriguez gefahren, aber er schaute sich trotzdem in einem Ausdruck offener Bewunderung in der Kammer um. Für Rodriguez war er eben nur „einer von denen da unten“ gewesen. Ein Einblick in das Allerheiligste des fetten Schiffskommandanten war ihm stets verwehrt gewesen.

„Setz dich, Valdez“, sagte Hasard. Er saß hinter seinem Pult und wartete, bis sich der Mann ehrfurchtsvoll auf einem Kastanienholzstuhl niedergelassen hatte.

Der Stuhl war mit reichem Schnitzwerk versehen. Valdez strich behutsam mit der Rechten darüber. Seine Verlegenheit war offensichtlich. Er war ein einfacher Mann, ein im Pulverdampf ergrauter Soldat, der schon mit den Konquistadoren marschiert war – einer, der immer seinen Kopf für Vaterland und Glorie hingehalten, aber nie die Ambition besessen hatte, Unterführer oder gar mehr zu werden. Ein richtiger Landsknecht, der nichts als den Krieg kannte, und sich, wie er bewiesen hatte, selbst aus der ärgsten Klemme zu helfen wußte. Sein Gesicht spiegelte Härte, die Erfahrungen und Entbehrungen der langen Dienstjahre. Es war faltig. Für Valdez war es Spätherbst geworden, er spürte Müdigkeit in den Knochen und war froh, wenn er in die Heimat zurückkehren konnte.

Hasard lehnte sich zurück, stützte die Ellbogen auf und stellte die Fingerspitzen gegeneinander. Ihm gefiel dieser Mann. Er war einer, der schwerlich jemand übers Ohr zu hauen vermochte – einfach und geradeheraus.

„Capitan“, begann Valdez von sich aus. „Ich verstehe schon, warum Sie mich haben rufen lassen. Vielleicht hätte ich den Mund nicht zu voll nehmen sollen. Also, die Sache mit dem Iren tut mir leid. Hätte ich mir ja ausrechnen können, daß es Ärger für einen aus Ihrer Mannschaft gibt, wenn ich über das Vorbeifahren der Piraten-Karavelle an der Südseite der Insel berichte. Also wirklich, ich habe das nicht gewollt.“

„Du brauchst dir nichts vorzuwerfen“, erwiderte der Seewolf. „Ich hätte O’Driscoll sowieso zur Rechenschaft gezogen, denn ich hätte mir auch ohne deine präzisen Angaben einiges zusammenreimen können. Sprechen wir also nicht mehr davon. Ich wollte dich etwas ganz anderes fragen. Wie gefällt es dir bei uns?“

Valdez strahlte plötzlich. „Sehr gut, Capitan, ganz ehrlich. Ich hätte nie gedacht, daß man mit den Ingleses so gut auskommen kann.“

„Du hast dich schon ausgezeichnet in die Mannschaft eingeordnet“, sagte Hasard lächelnd. „Du hast uns vor den Piraten gewarnt und uns vor einem schimpflichen Ende bewahrt. Ich werde das nie vergessen, Valdez, und mein Versprechen erfüllen: Ich werde dich nach Spanien zurückbringen.“

Valdez rutschte auf seinem Stuhl herum. „Nur, wenn es irgendwie möglich ist. Natürlich wäre ich verflixt froh, die Heimat wiederzusehen. Die Knochen, die ich für die Konquistadoren zu Markte getragen habe, würde ich ganz gern in der Heimaterde begraben lassen!“

„Na, na.“ Hasard lachte auf. „Jetzt übertreibe mal nicht. Unkraut vergeht bekanntlich nicht, und so, wie ich die Dinge sehe, geht noch einige Zeit ins Land, bevor sie dich verbuddeln.“

Valdez wurde ernst. „Mag sein. Aber manchmal gibt es Überraschungen. Man hat Jahre über Jahre den Tod vor Augen gehabt, ist ihm immer wieder von der Schippe gesprungen, aber wenn man endlich Ruhe und Frieden hat, schlägt er zu.“

„Sei nicht so pessimistisch. Ich kenne einen Kombüsenhengst namens Mac Pellew, der auf Drakes ‚Golden Hind‘ fährt – dem steht der Miesgram eher zu Gesicht. Aber dir nicht, Valdez.“ Er stand auf, schritt bis an eines der Bleiglasfenster der Achtergalerie, drehte sich um und lehnte sich gegen die Bank. „Ich möchte wissen, ob du außer deinen Heimatplänen noch Wünsche hast.“

„Außerdem? Ich? Nein, keine.“

„Ich würde sie dir gern erfüllen.“

Valdez schüttelte den Kopf. „Danke, Capitan, aber ich kann mir kein größeres Geschenk vorstellen, als den Fuß wieder auf spanischen Boden zu setzen. Alles andere interessiert mich nicht. Ich bin wohl müde geworden und habe mich irgendwie verändert.“ Er schaute den Seewolf plötzlich fest an. „Also, ich glaube, ich habe jetzt erst richtig erkannt, wofür ich bisher gekämpft und geblutet habe. Mein Körper ist narbenbedeckt, Capitan, und bisher habe ich das für den angemessenen Tribut gehalten, den einer seinem Vaterland zu zollen hat. Aber ich habe das alles nicht für mein Spanien getan – nein, ich war verblendet. Goldgierige, machtbesessene Hundesöhne haben uns ausgenutzt. Oh, was für Narren sind wir doch alle gewesen!“

„Erstaunlich, welche Wandlung du da durchlaufen hast.“

„Die hat auf Grand Cayman eingesetzt. Erst da sind mir einige Dinge so richtig bewußt geworden. Die Welt könnte schön und gut sein, wenn es nicht Arschlöcher ... Verzeihung, Capitan, ich wollte sagen, hundsgemeine Kerle wie den Generalkapitän Don Francisco Rodriguez gäbe. Ich kann das ja jetzt sagen, jetzt kann er mir nicht mehr an den Hals fahren.“ Valdez stieß ein grimmiges Lachen aus. „Dieser Bastard hat sogar noch Huren zur Kasse gebeten, um sie heimlich nach Spanien durchzuschleusen. Nur die Gier nach Reichtum bestimmt sein Handeln. Keine aufrichtigen Prinzipien, wie Karl von Hutten das ausdrückt.“ Valdez legte die Hände auf die Oberschenkel. Er rutschte nicht mehr herum und hatte seine Befangenheit überwunden. „Also, bei Ihrer Mannschaft ist alles so anders, Capitan. Engländer, ein Franzose, zwei Dänen, zwei Holländer, ein Schwede und sogar ein Neger fahren auf diesem Schiff, aber es gibt keine Unterschiede und vor allem keine Intrigen. Alle halten zusammen und sind irgendwie Brüder.“

„Brüder, die gegen Spanien kämpfen.“

„Ich kann euch deswegen nicht hassen. Ich würde ja nie mein eigenes Nest beschmutzen, ich sage bloß: Mir gefällt es in dieser kleinen, verschworenen Gemeinschaft. Und schließlich tut diese Mannschaft genauso ihre Pflicht gegenüber der englischen Königin, wie wir es für die spanische Krone getan haben – meine Kameraden und ich.“ Sein Mund hatte plötzlich einen bitteren Zug. Der Gedanke an die Landsleute, die von Caligu und dessen Teufeln niedergemetzelt worden waren, an den degradierten Ersten Offizier de Morales beispielsweise oder an den Sargento oder all die anderen braven Männer – der Gedanke war niederschmetternd. Valdez hatte immer noch nicht ganz überwunden, was sich an Bord der Zweimast-Karavelle seinen Augen geboten hatte.

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