Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 232»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-568-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Leicht taumelnd betrat Philip Hasard Killigrew das Hauptdeck seines Schiffes, der „Isabella VIII.“. Die Brandwunde auf seiner rechten Wange schmerzte noch heftig, und er vermochte den Unterkiefer nur unter erheblichen Anstrengungen zu bewegen. Doch kein Mensch konnte ihn dazu anhalten, auch nur einen Augenblick länger in der Kapitänskammer zu verweilen – auch Arkana und Araua nicht, die ihn verbunden und gepflegt hatten.

Unwillkürlich schloß er bei dem Bild, das sich seinen Augen bot, die Augen. In der Nacht nach der Schlacht hatte er bereits Bilanz gezogen. Ben Brighton hatte ihm einen umfassenden Bericht von ihrer Situation gegeben. Doch jetzt, am Morgen, unter dem gnadenlos klaren Sonnenlicht des erwachenden Tages war der Eindruck von der Lage noch viel schockierender.

Die harte Realität traf ihn wie ein Schlag. Fast hätte er gestöhnt, aber nicht wegen seiner Schmerzen, sondern wegen des verheerenden Zustandes seines Schiffes und seiner Mannschaft.

Das sollte noch die „Isabella“ sein, dieses rußgeschwärzte Wrack, das mit Schlagseite in der Bucht der Schlangeninsel lag und dem Untergang näher zu sein schien als jeder Hoffnung, die sich mit einer raschen Wiederherstellung der ursprünglichen Beschaffenheit verband – ihre „Isabella“?

Der Seewolf schritt über das schräge Deck bis zur Nagelbank des Großmastes und lehnte sich dagegen. Sein Blick wanderte über die Kuhl und die Back, wo noch die Blutspuren des Gefechts zu sehen waren, zum Schanzkleid, das nur noch in lächerlichen Fragmenten vorhanden zu sein schien, und zu der zweitvordersten Culverine der Backbordseite, deren letzte Überbleibsel auf den Planken verstreut lagen. Er schaute auf und betrachtete einige Zeit die Masten und Rahen, das zusammengeraffte Tuch und das laufende und stehende Gut, in dem eine heillose Unordnung herrschte. Von den drei Masten der „Isabella“ war praktisch nur noch der Großmast völlig intakt.

Hasard senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dies war nun das bittere Fazit des Kampfes bei den Caicos-Inseln. Aber nicht nur die „Isabella“ war hart angeschlagen, auch die Crew hatte es schlimm getroffen, schlimmer als je zuvor. Zwar waren keine Toten zu beklagen, doch es gab jede Menge Verletzte, deren Klagen und Fluchen noch bis tief in die Nacht an seine Ohren gedrungen war.

Jetzt lagen die Verwundeten im Mannschaftslogis, und der Kutscher und die Kriegerinnen Arkanas bemühten sich um ihr Wohlergehen, soweit die Umstände es zuließen.

Eine Woche, dachte der Seewolf. Wir brauchen mindestens eine Woche Zeit, bis wir das alles wieder halbwegs in Ordnung gebracht haben.

Und der Schwarze Segler Thorfin Njals? Und der Rote Drache von Siri-Tong? Er ließ seinen Blick wandern und sah die Schiffe in der Bucht ankern: schwere Schäden auch dort, viele Verletzte, und der Wikinger und die Rote Korsarin hatten reichlich damit zu tun, die Blessuren der Männer zu verarzten und die Lecks abzudichten, durch die das Wasser in die Rümpfe strömte.

Don Bosco war endlich besiegt. Aber war der Preis, den sie für diesen Triumph gezahlt hatten, nicht zu hoch?

Langsam, langsam, dachte Hasard, nur nicht zu pessimistisch sein. Hölle, hat es dir den Verstand verblendet?

Er holte ein paarmal tief Luft. Der kühle Morgen ließ die Lebensgeister voll erwachen. Die Hölle, das hatte Old Donegal Daniel O’Flynn einmal in einem zuversichtlichen Moment gesagt, mußte nicht unbedingt so heiß sein, wie man vielleicht glauben mochte. Irgendwo gab es immer einen Hoffnungsschimmer. So hatte er, der ewige Schwarzmaler und Hellseher, sich ausgedrückt, und wenn er schon dazu in der Lage war, dann mußte ein Philip Hasard Killigrew es erst recht sein. In dieser Lage bedeutete dies, sich selbst am Schopf zu pakken und aus dem Schlamassel zu ziehen.

Hasard kriegte ein grimmiges Grinsen zustande. Alte Lady, dachte er, dich flicken wir schon wieder zurecht, und am Ende siehst du besser aus als je zuvor, so daß dir kein Mensch dein wahres Alter ansieht.

Er wurde in seinen Überlegungen durch Ben Brighton und Ferris Tukker unterbrochen, die gerade aus dem Vordecksschott traten und auf ihn zuhielten.

Er sah sie an und sagte: „Also los, ihr beiden – raus mit der Sprache und nicht lange um den heißen Brei herumgeredet! Wie sieht es unten wirklich aus?“

Ben räusperte sich. „Sir, du solltest dich lieber schonen. Es ist nicht richtig, daß du schon wieder an Deck bist. Wir werden hier auch allein fertig.“

„Geschont habe ich mich schon die ganze Nacht über“, sagte der Seewolf. „Also?“

„Das mit dem Kiefer – ich meine, du solltest es nicht unterschätzen. Der Kutscher hat gesagt, daß er ihn vielleicht noch klammern muß. Du solltest ihn sowenig wie möglich bewegen.“

„Mister Brighton – soll das ein Redeverbot sein?“

Ben gab sich einen Ruck und sah seinem Kapitän offen in die Augen. „Nein, Sir, natürlich nicht.“

Ferris Tucker mußte grinsen.

„Dann kommt zur Sache“, sagte Hasard. „Ich erwarte präzise Angaben. Dieser verdammte Kahn hat sich immer noch nicht wieder ganz aufgerichtet. Woran liegt das, Ferris?“

Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des rothaarigen Schiffszimmermanns. „Wir haben sämtliche Lecks in Höhe der Wasserlinie abgedichtet“, erklärte er. „Jeweils vier Männer bedienen umschichtig die Lenzpumpen, trotzdem zieht die ‚Isabella‘ immer noch Wasser. Woran das liegt, ist logisch: Es gibt noch mehr Löcher, und zwar unterhalb der Wasserlinie.“

„Umwerfend logisch, Ferris“, sagte der Seewolf. „Weiter.“

„Sehr groß können sie aber nicht sein.“

„Das heißt mit anderen Worten?“

„Ich warte, bis das Leckwasser so weit raus ist, daß ich an die Lecks herankomme. Dann stopfe ich sie zu, und zwar so fest, daß sich kein Meeresfloh mehr durch die Ritzen quetschen kann“, entgegnete Ferris Tukker. „Ich behaupte, daß noch vorm Dunkelwerden die ganze Lady so dicht ist wie ein zugeschmiedetes Kanonenrohr. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer. Dafür laß ich mir den Kopf abschlagen, wenn’s nicht stimmt.“

„Gut, Ferris. Wir brauchen also nicht aufzuslippen?“

„Nein. Das erkenne ich schon jetzt.“

Hasard war mit dieser Auskunft zufrieden. Ferris wußte genau, was er sagte, er hätte sich niemals in vage Ankündigungen verstiegen. Die Tatsache, daß die Schäden am Rumpf von den Frachträumen aus behoben werden konnten, daß die „Isabella“ also in der Bucht liegenbleiben konnte und nicht mühsam an Land gezogen werden mußte – allein das bedeutete eine erhebliche Zeitersparnis.

„Was ist mit dem Rest?“ erkundigte er sich.

„Drei Tage Arbeit“, erwiderte Ben Brighton. „Nicht mehr. Richtig, Ferris?“

„Goldrichtig.“

„Danke“, sagte der Seewolf. „Das genügt mir vorerst. Ich hatte schon befürchtet, das Instandsetzen des Schiffes würde eine Woche oder noch länger dauern.“

Ferris lächelte wieder. „Ach wo! Die Hunde haben uns zwar ganz schön zusammengeschossen, aber wir sind ja Gott sei Dank nicht alle flügellahm. Wir können kräftig zupacken, oder? Das Schlimmste sind die Lecks. Habe ich die erst mal dicht, ist der Rest fast ein Kinderspiel.“ Er wies auf die kaputten Masten und das ramponierte Schanzkleid.

Der Bugspriet mußte erneuert werden, der Besan ebenfalls. Auch den Fockmast, den es im Gefecht bis zur Hälfte weggefegt hatte, galt es durch einen neuen zu ersetzen. Ferris mußte die fehlenden Rahen erneuern und das laufende und stehende Gut richten. Segel mußten teils geflickt, teils neu gesetzt werden, eine Aufgabe, die in erster Linie Will Thorne, dem Segelmacher, zufiel. Fast das gesamte Schanzkleid mußte renoviert werden, und auch ein neues Ruderhaus war erforderlich, denn das alte war im Gefecht zerstört worden. Nahm man die zahlreichen Beschädigungen auf dem Achterdeck, der Kuhl und der Back hinzu, so bedurfte es wirklich schon eines sehr sonnigen Gemüts, von einem „Kinderspiel“ zu sprechen.

Aber Hasard kannte die Fähigkeiten seines Zimmermanns, er wußte, daß er auch auf Ben Brighton, Big Old Shane, Will Thorne und die anderen trotz aller durchstandenen Strapazen wie gewohnt zählen konnte. Der Gedanke daran verlieh ihm innerlichen Auftrieb.

„Gut“, sagte er. „Ich will jetzt nach unseren Verletzten sehen.“

Ben sagte: „Ich glaube, Smoky hat es am schwersten erwischt.“

Der Seewolf wandte sich ab, ging zum Vordecksschott und tauchte im Halbdunkel des Vorschiffs unter. Als er das Logis erreichte, konnte er das Stöhnen seines Decksältesten Smoky deutlich vernehmen.

Arkanas Kriegerinnen schauten auf, als sie die Gestalt des Seewolfs im Eingang des Logis wahrnahmen. Der Kutscher, der sich auf dem Rand von Smokys Koje niedergelassen hatte, schien die Anwesenheit seines Kapitäns indes nicht zu bemerken.

Leise, fast lautlos trat Hasard hinter den Rücken seines Kochs und Feldschers. Er blickte ihm über die rechte Schulter und konnte im Schein einer Öllampe, die der Kutscher angezündet und an einen Nagel des Deckenbalkens gehängt hatte, nun auch Smokys wachsbleiches Gesicht erkennen.

Smoky hatte die Augen geöffnet, aber er schien nicht viel von dem zu sehen, was um ihn herum vorging.

„Hölle“, sagte er. „Bist du das, Kutscher?“

„Ja.“

„Was in aller Welt hast du Himmelhund hier – o Mann, was rumort da bloß in meinem verdammten Schädel? Satan, das geht ja auf keine Walhaut!“

„Du solltest nicht soviel sprechen“, sagte der Kutscher. „Davon wird’s nämlich bestimmt nicht besser.“

„Sag bloß, du bist hier, um das letzte Gebet mit mir zu leiern. Verflucht, das kannst du dir sparen.“ Smoky verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

Der Kutscher schüttelte den Kopf. „Unsinn. Ich dachte mir nur, es ist besser, wenn ich mir dein Prachtexemplar von einem Kopf noch mal ganz genau ansehe.“

„Und? Was ist los? Hat mir jemand mit der Axt reingehauen?“

„Das weißt du nicht mehr?“

„Keine Spur. Was ist passiert?“

Der Kutscher erklärte es ihm und fügte hinzu: „Bei alledem hast du aber noch Glück gehabt, denn du hast keine richtige Fraktur erlitten. Höchstens einen kleinen Knacks – und natürlich eine ordentliche Gehirnerschütterung.“

„Na, so ein Glück aber auch“, brummte Smoky. „Was soll ich tun? Vielleicht singen? Himmel, ich bin ganz verrückt vor lauter Freude.“

„Vielleicht ist er wirklich durchgedreht“, sagte Stenmark aus einer dunklen Ecke des Logis heraus. „Hört euch doch an, was für Sprüche er von sich gibt.“

„Kutscher, sag dem alten Schweden, er soll sein Maul halten“, knurrte der Decksälteste. „Ich hab keinen Talg in den Ohren, und wenn mich hier jemand beleidigt, dann kriegt er’s mit meiner harten Faust zu tun.“

Der Kutscher schien aufzuatmen. „Wenn du schon Stenmark an seiner Stimme wiedererkannt hast, weißt du wohl auch, wo du dich befindest.“

„Aber sicher. An Bord der ‚Isabella‘. Ho, wieso sind wir eigentlich noch nicht abgesoffen?“

„Wir sind sozusagen mit einem blauen Auge davongekommen. Gut, sehr gut, Smoky, alter Junge.“

„Gut? Was soll daran gut sein? Spinnst du, Kutscher? Dich alten Knochenflicker scheint es ja schlimmer erwischt zu haben als mich.“

„Nein, nein“, sagte der Kutscher hastig. „Ich dachte bloß schon, bei dir wäre ein Fall von temporärem Gedächtnisschwund eingetreten.“

„Schon wieder?“ Smoky stieß einen tiefen Laut aus, der einem abfälligen Grunzen ähnlich war. „Das fehlte noch. Das hab ich doch schon mal gehabt.“

„Auch daran kannst du dich erinnern?“

„Klar doch. Mensch, Kutscher, träumst du?“

Hasard schob den Kutscher sanft beiseite und beugte sich über die Koje. „Smoky, jetzt ist aber Schluß. Halt den Mund, versuche, so ruhig wie möglich zu liegen, und sieh zu, daß du schläfst. Das ist die beste Medizin für dich. Der Kutscher wird dir ein schmerzstillendes Mittel einflößen, aber wenn du nicht still bist, wirkt es nicht.“

„Ich habe ihm vorhin schon etwas zu trinken gegeben“, sagte der Kutscher. „Es braucht nur seine Zeit, bis die starken Kopfschmerzen etwas nachlassen.“

„Also doch“, flüsterte Bob Grey im Hintergrund. „He, Stenmark, Smoky hat das Teufelszeug gesoffen, ohne es zu merken. Ganz richtig im Schapp scheint er also doch nicht mehr zu sein.“

„Kutscher“, sagte Smoky. „Wer zum Henker hat dir die Erlaubnis gegeben, mir eins von deinen stinkenden Giften zu verabreichen? Mir wird ganz elend, wenn ich dran denke.“

„Ich habe das veranlaßt“, sagte der Seewolf. „Und jetzt mach das Schott dicht, alter Freund, oder ich lasse es dir zudübeln und verschalken.“

„Sir, ist das ein Befehl?“

„Ja.“

Smoky schwieg und beobachtete nur noch aus den Augenwinkeln, wie Hasard und der Kutscher sich entfernten und zu den Kojen von Bob Grey, Stenmark und Pete Ballie hinübergingen.

Bob Grey hatte eine Wunde am linken Unterschenkel. Stenmark hatte einen Eisensplitter in den rechten Oberschenkel erhalten, als die Backbordculverine in die Luft und den Männern, die sich in der Nähe befunden hatten, buchstäblich um die Ohren geflogen war.

Pete Ballie war ebenfalls ziemlich schwer verletzt worden, denn während des Gefechts war ihm das Ruderhaus über dem Kopf zusammengestürzt.

Um die übrigen Mitglieder der Crew, die Blessuren davongetragen hatten, war es nicht so schlimm bestellt. Hasard sprach mit ihnen allen und mußte Luke Morgan, der um jeden Preis schon jetzt an Deck zurückkehren wollte, regelrecht zusammenstauchen, um ihn in seiner Koje zu halten.

Schließlich verließ er das Logis, trat durchs Vordecksschott auf die Planken der Kuhl, die durch die Sonnenstrahlen erwärmt wurden, und wartete auf den Kutscher.

Lange ließ der Kutscher nicht auf sich warten. Er blieb dicht vor seinem Kapitän stehen und sah ihn an.

„Weiß schon, was du mich fragen willst, Sir“, sagte er. „Aber ich kann dich beruhigen. Für keinen der Männer besteht akute Gefahr. Smoky hat tatsächlich keinen Schädelbruch erlitten. Bobs Wunde sah anfangs schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist. Übler hat es Stenmark erwischt, aber Gott sei Dank ist sein Knochen unversehrt.“

„Und Pete?“

„Jede Menge Schrammen und Beulen, und auch zwei oder drei Rippen sind angeknackst. Aber das kriegen wir rasch wieder hin, keine Angst.“

„Glaubst du, daß du die Männer jetzt allein versorgen kannst?“ fragte Hasard.

„Ohne die Hilfe von Arkanas Mädchen?“

„Ja, das meine ich.“

„Vielleicht könnten mir die Zwillinge noch ein bißchen Unterstützung leisten“, sagte der Kutscher. „Wenigstens für die Zeit, in der ich mit dem Zubereiten und Austeilen der Mahlzeiten beschäftigt bin.“

„Das veranlasse ich. Die Kriegerinnen können von Bord gehen, sonst passiert im Logis noch weiß der Teufel was.“

Der Anflug eines Lächelns, glitt über die Züge des Kutschers. „Sir, wie geht’s deinem Kiefer?“

„Ich schätze, er wird mir nicht abfallen.“

„Und die Brandwunde?“

„Die wird eine feine Narbe hinterlassen“, erwiderte der Seewolf. „Zufrieden?“

„Im großen und ganzen schon.“ Der Kutscher wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick ertönte über ihnen die Stimme von Bill.

„Deck! Siri-Tong und der Wikinger setzen zur ‚Isabella‘ über! Mister Brighton, Mister Carberry, würden Sie das bitte dem Kapitän melden?“

Ferris Tucker war wieder unter Deck verschwunden, der Profos stand bei Hasards Erstem Offizier und Bootsmann, nicht weit von der Kuhlgräting entfernt. Beide schauten zu Bill hoch, der als Ausguck in den Großmars aufgeentert war. Carberry stemmte beide Fäuste in die Seiten und verzog zornig das Gesicht.

„Du Stint!“ brüllte er. „Der Kapitän ist bereits an Deck, kannst du das nicht sehen? Sperr gefälligst deine Klüsen auf, du triefäugiger Bohrwurm, oder du kannst was erleben! Wisch dir den Schlick aus dem Gesicht!“

„Aye, Sir!“ gab Bill pflichtschuldigst zurück.

Hasard ließ den Kutscher stehen und ging zu Ben und dem Profos hinüber. Carberry schrie noch ein paar wüste Beleidigungen zu Bill hinauf – die gewohnte Musik an Bord hatte wieder begonnen, die Dinge schienen ins rechte Lot zurückzukehren und bald wieder ihren gewohnten Lauf zu nehmen.

Hasard trat ans Schanzkleid und blickte zu den beiden Booten, die vom Schwarzen Segler und vom Roten Drachen abgefiert worden waren und jetzt unter dem rhythmischen Schlag der Rudergasten zur „Isabella“ herüberglitten. Schon konnte er die Gestalten von Siri-Tong und Thorfin Njal auf den Duchten erkennen. Die Rote Korsarin erhob sich, beschattete ihre Augen mit der rechten Hand und spähte zur „Isabella“.

Vorsichtig fuhr sich der Seewolf mit der Hand übers Gesicht. Die Wunde brannte immer noch wie Feuer. Er war nicht sonderlich eitel, aber er konnte sich ausmalen, daß er keinen sehr erfreulichen Anblick bot. Sein Gesicht war verunstaltet, nicht zuletzt auch durch die alte Narbe, die von der linken Stirnhälfte über die Augenbraue auf die linke Wange verlief, und es würde für alle Zeiten gezeichnet bleiben.

Arkana schien dies nicht als gravierend zu empfinden; sie hatte sich nur große Sorgen um seinen Unterkiefer bereitet. Und Siri-Tong? Würde sie sich abgestoßen fühlen? Nun, sie mußte sich mit den Tatsachen abfinden. Aber irgendwie war es ihm doch unbehaglich, ihr in diesem Zustand gegenübertreten zu müssen.

Er drehte sich zu Ben und dem Profos um. Sie hatten ihn beobachtet, taten jetzt aber so, als gelte ihre ganze Aufmerksamkeit den nahenden Beibooten.

Hasard räusperte sich.

„Wenn Siri-Tong und der Wikinger an Bord sind, halten wir eine Lagebesprechung ab“, sagte er. „Wir müssen uns gegenseitig bei den Reparaturarbeiten helfen und unsere Kräfte so gut verteilen, wie es möglich ist. Ben, sorge du dafür, daß Arkana und Araua mit den Kriegerinnen zusammen so schnell wie möglich die ‚Isabella‘ verlassen.“

„Aye, aye, Sir!“

Hasard überlegte, ob sich Arkana durch diese Maßnahme vielleicht brüskiert fühlen würde, aber er verwarf den Gedanken daran gleich wieder. Sie würde es verstehen, wie sie stets alle seine Entscheidungen begriffen hatte. Zu viele Frauen an Bord der „Isabella“ waren auf die Dauer ein Risiko für die Disziplin und Ordnung. Er, Hasard, würde einen anderen, besseren Weg finden, um sich für das zu bedanken, was Arkana und ihre Mädchen für ihn getan hatten.

2.

Am zweiten Tag nach der Schlacht waren Luke Morgan, Matt Davies, Sam Roskill und einige andere leicht Verwundete bereits wieder auf den Beinen und begrenzt einsatzfähig. Ferris Tucker und seine Helfer hatten programmgemäß die Frachträume leer gepumpt und sämtliche Lecks abgedichtet, und jetzt nahmen die Arbeiten auf dem Oberdeck ihren Lauf.

Am dritten Tag hatte die „Isabella“ wieder einen Bugspriet und einen neuen Fockmast, und am Abend stand auch der Besan. Will Thorne, Blacky und Jeff Bowie setzten eine neue Blinde, während Ferris und sein Trupp an den Rahen hobelten und feilten, die die im Gefecht verlorengegangenen Spieren ersetzen sollten. Der Profos, Big Old Shane, die O’Flynns und ein paar andere werkten eifrig am Schanzkleid der Backbordseite.

Pete Ballie stand am Morgen des vierten Tages aus seiner Koje auf und meldete sich zum Dienst zurück. Bob Grey und Stenmark wollten ihm folgen, aber sie wurden von Hasard energisch ins Logis zurückgewiesen. Die Instandsetzung der „Isabella“ lief auf Hochtouren.

Gegen Mittag ließ der Seewolf eine der auf den Inselbergen postierten Kanonen an Bord holen, damit er die fehlende Culverine ersetzen konnte. Am Abend waren die neuen Rahen hochgehievt und an den Masten angeschlagen. Auch das Rigg war fast vollständig wiederhergestellt. Ferris Tucker arbeitete bis zum Dunkelwerden an dem neuen Ruderhaus und hätte auch im Schein von Öllampen und Talglichtern noch weitergewerkt, wenn Hasard ihn nicht auf Freiwache geschickt hätte.

Am Morgen des fünften Tages wurden die letzten Arbeiten abgeschlossen – dann nahte die Stunde des Abschieds, und noch am Vormittag verließ die „Isabella VIII.“ mit dem Mahlstrom die Inselbucht. Sie glitt durch den Felsendom und über das Höllenriff, segelte sich frei und lief unter Vollzeug bei einem handigen Nordwestwind nach Südosten ab.

Ein vielfacher Böller, von den Kanonen der Schlangeninsel als Salut abgegeben, war der letzte Gruß der Zurückbleibenden an die Seewölfe, die sich jetzt wieder anschickten, den Atlantik zu überqueren, neuen Zielen und Abenteuern entgegen.

Hasard nahm den 20. nördlichen Breitenkreis, der sie an Puerto Rico und den nördlichsten der Inseln über dem Winde vorbeiführte, als Orientierungsmarke und legte den Kurs bei anhaltendem Wind aus Nordwesten entsprechend fest. Zügig hatte die Reise über den Atlantischen Ozean, die etwa drei Wochen dauern würde, begonnen, und ebenso rasch ging es während der nächsten Tage weiter, so daß die „Isabella“ auf ein Etmal, also eine Tagesleistung, von mehr als hundertundfünfzig Seemeilen kam.

Der Seewolf suchte oft auch tagsüber seine Kammer im Achterdeck auf, um sich in das Studium der Seekarten zu vertiefen, die sie auf den Maskarenen gefunden hatten. Manchmal holte er seine Söhne zu Hilfe, manchmal auch Dan O’Flynn, dann wieder Ben, Shane oder Old O’Flynn. Obwohl sie alle davon überzeugt waren, daß die Karten ein Geheimnis enthielten, gelangten sie immer noch keinen Schritt weiter.

Die erste Karte enthielt seltsame, scheinbar wirre Muster und war mit Randbemerkungen versehen, die kein Mensch zu entziffern wußte. Da war einmal eine lange dünne Linie eingezeichnet, dann wieder schien eine Stadt dargestellt zu sein, die aber nicht am Wasser lag, als Hafenstadt also ausschied. Eine Landkarte war es also, keine Seekarte, aber diese recht banale Feststellung hatten Hasard und seine Leute ja schon mehr als einmal getroffen.

Die zweite Karte sagte ihnen ebensowenig wie die erste. Sie war ein Pergament mit drei absonderlichen Bauwerken, die nebeneinander eingezeichnet waren: zwei große und ein kleineres Dreieck, die nach allem Dafürhalten aus großen Steinquadern erbaut waren. Neben diesen Skizzen waren Zahlen aufgeschrieben, die sich ohne weiteres lesen ließen, aber keinen Sinn zu ergeben schienen – Bauten von hundertsechsundvierzig und hundertsechsunddreißig Yards Höhe gab es doch wirklich nicht. Oder?

Existierten diese Konstruktionen vielleicht doch? Wenn ja, in welchem Teil der Erde befanden sie sich dann?

Bei den Zeichnungen mochte es sich um Tempel oder ähnliche Kultstätten handeln. Die andere, auf der dritten Karte, zeigte eine langgestreckte Gestalt mit einem löwenähnlichen Kopf und einem mächtigen Hinterleib, die wie eine hingekauerte Riesenkreatur anmutete – und ganz in ihrer Nähe waren wieder die seltsamen Dreiecke.

Immer wieder kehrte der Seewolf zu seiner ursprünglichen Annahme zurück, daß die Landkarte den Verlauf eines ziemlich breiten Stromes zeigte, von dem kleine Flüsse abzweigten, die wiederum durch einen künstlich gezogenen Kanal miteinander verbunden waren.

Der alte Sidi Barim hatte den Zwillingen einmal von solchen alten Bauwerken berichtet, die einem Märchen zufolge bis in den Himmel wuchsen. Könige, die vor Tausenden von Jahren bestattet worden waren, sollten im Inneren begraben liegen. Philip und Hasard junior vermuteten, daß die „Spitzhäuser“ in Ägypten, in Persien oder anderswo standen. Aber durfte sich ihr Vater auf diese vagen Angaben, die vielleicht noch durch ihre Phantasie verzerrt wurden, verlassen?

Er wußte, daß ihm die Karten noch viel Kopfzerbrechen bereiten würden. Aber er hatte sich jetzt, nachdem die Abenteuer um Tortuga und die Schlangeninsel überstanden waren, erneut in die Sache verbissen. Er würde nicht lockerlassen, bis er das Geheimnis entschleiert hatte, koste es, was es wolle.

Vielleicht lagerten dort, in dem rätselhaften Land mit den uralten Bauwerken, unermeßliche Schätze. Vielleicht stießen sie, die Männer der „Isabella“, dort auf ungeahnte Phänomene, Neuigkeiten, die der Klärung und Verbreitung bedurften.

Auch Dan O’Flynn war fest entschlossen, das Rätsel der Karten zu lösen. Hartnäckigkeit führte in vielen Dingen zum Ziel, vermutlich auch in diesem Fall.

Der alte Entdeckergeist der Seewölfe war wieder geweckt. Die Wunden der Schlacht um die Caicos-Inseln begannen zu vernarben, das Gewesene gehörte bald der Vergangenheit an. England, das sie schon so lange nicht mehr gesehen hatten, lockte, aber noch stärker war der Drang, nach den eigentümlichen Bauten und der kauernden Wesenheit zu forschen.

Vorderasien, dachte der Seewolf, während er nach neuerlichem Abwägen und Schätzen vom Pult aufstand und auf die Heckgalerie der „Isabella“ hinaustrat, der Orient, möglich, daß dort der Schlüssel zu allem liegt.

Er sah auf das leicht schäumende, auseinanderfächernde Kielwasser hinunter. Wahrscheinlich werden wir einen Abstecher ins Mittelmeer unternehmen, überlegte er, vorausgesetzt, es gerät nichts dazwischen.

Bob Grey und Stenmark waren jetzt auch wieder zum Dienst angetreten. Hasard hatte sie nicht ins Logis zurückgeschickt, da der Kutscher ihm erklärt hatte, die beiden könnten durchaus mit leichteren Arbeiten betraut werden. Demgemäß hatte der Seewolf Bob und den Schweden zum Spleißen von Tauen einteilen lassen, einer Aufgabe, die sie im Sitzen auf der Back versehen konnten.

Viel frische Luft, reichhaltiges Essen, der gewohnte Umgang mit den Kameraden und das Fluchen des Profos’ trugen eher zur Genesung bei als das allzu lange Liegen in der Koje oder Hängematte.

Smoky betrat an diesem Nachmittag zum erstenmal wieder die Kuhl und schaute sich blinzelnd nach allen Seiten um. Die Sonne stach ihm in die Augen, und sie rief sofort wieder das schmerzhafte Zerren und Zukken in seiner Kopfhaut hervor, das ihn während der vergangenen Tage ununterbrochen geplagt hatte – bis zum Mittag dieses Tages.

„Au, verdammt!“ brummte der Decksälteste und faßte sich mit der Hand an den Kopf. „Ist wohl doch noch zu früh. Hölle, aber einen Versuch ist es wert. Soll ich denn unten im Logis vergammeln? Nein, das will ich nicht.“ Etwas unsicher bewegte er sich voran.

Stenmark und Bob Grey hoben die Köpfe und beobachteten ihn über die Balustrade der Back hinweg.

„Hör mal“, sagte Bob. „Er führt Selbstgespräche.“

Der Schwede grinste. „Mann, Mann, ich hab den Verdacht, daß in seinem Gehirnkasten ein paar Bolzen locker sind. Wie das wohl weitergeht?“

„Sprich ein wenig lauter, dann steigt er zu uns ’rauf und weicht uns selbst die Birnen ein.“

Stenmark senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Bloß nicht. Aber sieh mal, wie er schwankt, der gute alte Smoky.“

„Er läuft gleich aus dem Ruder“, sagte Bob respektlos.

Smoky manövrierte zum Steuerbordschanzkleid der Kuhl und hielt sich mit einer Hand an den Leehauptwanten fest. Er holte tief Luft. Das Atemschöpfen ließ das unangenehme Flirren vor seinen Augen aussetzen, das eben begonnen hatte, und auch die dumpfen Kopfschmerzen ebbten etwas ab.

Na bitte, dachte er, nur weiter so. Wird schon klappen.

Blacky, Matt Davies, Batuti, Sam Roskill und die anderen Männer, die gerade Wache auf dem Hauptdeck hatten, sahen verstohlen zu ihm hinüber. Smoky bemerkte es aber doch. Die denken, du bist nicht mehr ganz echt, sagte er sich. Na wartet, ihr Halunken, ihr werdet euch noch wundern.

Auch Carberry hatte jetzt den Decksältesten entdeckt. Er fuhr herum, marschierte quer über den achteren Teil der Kuhl und steuerte auf Smoky zu.

„Was?“ rief er. „Wie? Was willst du denn hier? Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, hier aufzukreuzen?“

Smoky verdrehte die Augen ein wenig.

„Der liebe Gott“, erwiderte er mit seltsam veränderter Stimme. „Und Knecht Ruprecht.“

Der Profos blieb stehen und stemmte beide Fäuste in die Seiten. Somit nahm er seine typisch drohende Haltung ein, was bei ihm stets gleichbedeutend war mit aufziehendem Sturm.

„Wer?“ fragte er barsch. „Rede mal deutlicher, du Barsch, es kommt hier so dünn an. Wenn man gegen den Wind spricht, muß man sich anstrengen. Also los, noch mal!“

„Wind?“ wiederholte Smoky scheinbar überrascht. „Wo weht hier der Wind? Kein Lüftchen regt sich, und der Kirchturm steht ganz still.“ Er wies zum Großmast hoch. „Wenn’s windet, wackeln die Glocken, aber die Glocken bummeln nicht.“

Matt, der jedes Wort verstanden hatte, kratzte sich am Kinn. „Bummeln? Bammeln muß es doch heißen, oder?“

„Bimmeln“, verbesserte Sam Roskill. „Das ist doch wohl klar. Mensch, Matt, mach bloß keinen Ärger.“

Blacky wandte sich zu ihnen um.

„Heda!“ sagte er. „Sind bei euch die Schotten auch nicht mehr dicht?“

Matt grinste. Sam verzog ärgerlich das Gesicht, er fühlte sich auf den Arm genommen.

Carberry schien immer noch nicht richtig begriffen zu haben. Er trat noch einen Schritt näher an Smoky heran.

„Mal aufpassen, Mister Smoky!“ brüllte er, um sicher zu sein, daß der große Mann ihn auch wirklich verstand. „Was redest du da von Türmen und Glocken? Was ist das für eine Art, einfach aus dem Logis zu kriechen und blödes Zeug zu faseln? Weißt du, daß ich das melden muß? Hasard hat ausdrücklich verboten, daß du …“

Darmowy fragment się skończył.

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