Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 174»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-511-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
Diese erbärmlich kalte Welt, in der sich der Wind in den Frosthauch des Todes verwandelte und das Seewasser so eisig war, daß ein hartgesottener, sturmerprobter Seefahrer von einem Moment auf den anderen so steif wie ein Brett wurde, wenn er hineinfiel – nein, diese Welt konnte einem Mann wie Batuti nie und nimmer vertraut werden.
Der schwarze Herkules aus Gambia hatte nun fast alle Länder und Gewässer kennengelernt und überall Freunde gefunden. Ja, sogar im fernen China, wo man anfangs angenommen hatte, seine dunkle Hautfarbe sei aufgemalt, hatte er sich am Ende heimisch gefühlt.
Sehnsucht nach Afrika hatte er eigentlich nie empfunden, denn mit der Crew der „Isabella“ fühlte er sich fester zusammengeschmiedet als mit seinem eigenen Stamm. Aber heute – seit langer Zeit zum erstenmal – mutete ihn seine Umgebung derart fremd und unheimlich an, daß er unwillkürlich an Gambia denken mußte, Gambia mit seinen sanft geschwungenen Küsten, den weißen Sandstränden und den Palmen, die sich im lauen Wind wiegten.
Heute schien ihm sogar sein Schiff, die „Isabella VIII.“, fremd zu sein.
„Gottverdammich“, murmelte er.
Einem Geisterschiff aus Glas und Reif gleich glitt die Galeone dahin. Ihre Decks waren so glatt und tükkisch geworden, daß der Seewolf Manntaue hatte spannen lassen. Die Segel blähten sich wie trockene Haut, die Pardunen und Wanten hatten sich in lange, glitzernde Eisgebilde verwandelt. Überall wuchs das Eis, obwohl die Crew fast unablässig die Brocken abklopfte.
Keiner schien der Umklammerung klirrender Kälte entweichen zu können.
Batutis Blick glitt über die Kuhl. Eben überquerte Carberry vom Achterdeck her das Hauptdeck, steuerte auf die Back zu und glitt auf halbem Weg fast aus. Dagegen war auch er, der allgewaltige Profos der „Isabella“, nicht gewappnet, und davor bewahrte ihn auch nicht der Eisenhaken, den er an seinem Gürtel trug.
„Himmelkreuzdonnerwetter“, fluchte Carberry los. „Ar …“
Er warf einen raschen Blick zum Achterkastell zurück und stellte fest, daß der Seewolf und die Rote Korsarin ihn beobachteten. „Arm und Zwirn“, stieß er hervor, obwohl er etwas anderes, Deftigeres hatte wettern wollen. Aber vor Siri-Tong sollte man – zum Teufel – so wenige Kraftausdrücke wie möglich gebrauchen, das gehörte sich einfach so für die rauhbeinige Mannschaft eines Segelschiffs, wenn eine Lady wie die schwarzhaarige Eurasierin mitfuhr.
Carberry brummelte noch so einiges vor sich hin, ehe er aufs Vordeck stieg und sich ganz nach vorn an die Querbalustrade über der Galionsplattform begab, um mit dem Kieker Ausschau zu halten. Wonach? Das mochte der Teufel wissen, der dem Schiff heute sehr nah zu sein schien, wenn man Batutis düsteren Visionen von einem bevorstehenden Unglück recht geben wollte.
Batuti wandte etwas den Kopf und sah Dan O’Flynn auf sich zumanövrieren. Auch Dan trug diesen eisernen Haken am Gurt, den Ferris Tukker ihm wie allen anderen Kameraden an Bord auf das Geheiß des Seewolfs hin ausgehändigt hatte. Beim Arbeiten an Deck oder aber auch nur zur Fortbewegung brauchte der Betreffende nur eine Schlinge durch den Haken zu ziehen, so daß er einerseits die Hände frei hatte und andererseits nicht mehr über Bord gehen konnte.
Aber, wie schon gesagt: ausrutschen konnte man deswegen immer noch. Dan geriet aus dem Gleichgewicht, als die „Isabella“ eine neue, schlingernde Bewegung in der Dünung vollführte, und um ein Haar wäre er hart gestürzt. Er strauchelte, schoß ein Stück voran, ruderte mit den Armen und hatte sich selbst wieder in der Gewalt, als er bei Batuti anlangte.
„Spätestens in einer Stunde dürfen wir wieder Eis hacken, schwarzer Mann“, sagte er grinsend. „Die ‚Isabella‘ wird sonst zu schwer, und die Tonnenlast Eis drückt sie immer tiefer ins Wasser. Das Eisklopfen wird noch unsere Hauptbeschäftigung: morgens, mittags, abends und sogar nachts – wie damals, als wir vom Kap der Stürme aus mitten ins Packeis des Südpols segelten. Himmel, das liegt nun auch schon wieder fünfeinhalb Jahre zurück …“
„Aber das war anders“, sagte Batuti dumpf.
„Anders – wieso? Weil es dort unten Pinguine gab und hier nicht? Oder wie meinst du das?“
Batuti drehte den Kopf und musterte Dan auf eindringliche Weise. „Dan O’Flynn“, sagte er. „Batuti ist nicht zum Scherzen zumute.“ Obwohl er jetzt sehr gut englisch sprach, verfiel er hin und wieder doch in seine alte Angewohnheit, von sich selbst in der dritten Person zu reden. Und je aufgeregter er wurde, desto mehr Fehler beging er.
„Batuti, du siehst ja richtig besorgt aus“, sagte Dan. „Besorgt und krank. Ist dir nicht gut?“
„Noch geht’s mir gut“, erwiderte der Gambia-Mann mit verdrossener Miene. „Aber bald vielleicht nicht mehr. Reise steht unter einem Unstern, Dan O’Flynn.“
„Stern? Mann, Sterne gibt es hier nicht. Wir haben doch die Mitternachtssonne, hast du das vergessen?“
„Erzähle keine Witze, das bringt Unglück.“
„Batuti – fängst du jetzt schon so zu unken an wie mein Alter? Ich an deiner Stelle würde die Spökenkiekerei lieber ihm überlassen.“
Batuti wies Steuerbord achteraus, genau in die Richtung, aus der der Wind blies. „Siehst du nicht die rabenschwarze Wand?“
„Die Wolken? Herrje, wie kann man deswegen nur …“
„Böses Unheil“, orakelte Batuti.
„… so aus dem Häuschen geraten?“ vollendete Dan seinen Satz. „Wir haben schon ganz andere Wetter abgeritten. Hier, in diesen Breiten – und auch unten, am Südpol.“
„Das damals, das war anders.“
„Weil wir unser Ziel kannten?“
„Ja, deshalb.“
„Mann, wir hatten am Kap der Stürme hoffnungslos die Orientierung verloren. Wir wußten nicht mehr, wo Norden und Süden, Westen und Osten, vorn und hinten war. Wir hatten ja kaum noch eine Ahnung, wo sich bei der ‚Isabella‘ die Backbord- und die Steuerbordseite befanden.“ Dan holte tief Luft. „Hast du das vergessen? Nun denk doch nicht dauernd an Meermänner, Dämonen und üble Plagegeister und die Aussicht, daß unsere ‚Isabella‘ im Packeis steckenbleibt. Hasard hat gesagt, wir hätten keine bessere Jahreszeit als diese wählen können, um nach Thule und vielleicht auch der Nordwest-Passage zu suchen.“
Batuti schlug den Kragen seiner wollenen, mit einem Pelzbesatz versehenen Jacke höher und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht.
„Sommer“, sagte er aufgebracht. „Dies soll Sommer sein? Pfui Teufel!“
„Arktischer Sommer“, berichtigte Dan. „Das ist schon ein Unterschied zum Sommer, den wir kennen.“
„Schreiben wir wirklich Monat Juli, Dan O’Flynn?“
„Ja.“
„O Gott“, klagte der Neger. „O Gott.“
„Du meinst also, wir müßten alle den Kältetod sterben?“
„Ja.“ Batuti fror und mußte sich gewaltig zusammenreißen, damit seine Zähne nicht aufeinanderschlugen. „Oder Eisberg erdrückt uns.“ Er wies auf die in der Dünung treibenden Eisschollen, die am Rumpf der „Isabella“ vorbeizogen.
Dan O’Flynn schüttelte den Kopf. „Die Gefahr ist wirklich gering. Das Meereis nördlich von Thule und der großen Insel, die von den Wikingern ‚Grünland‘ getauft wurde, bricht unter der Sonneneinstrahlung allmählich auf, die Eisgrenze weicht immer mehr zum Pol zurück. Die Schollen, die uns auf ihrem Weg zur Labrador-See entgegentreiben, sind dünn. Die Sonne frißt an ihnen, und das Eis ist so mürbe, daß der Bug unserer ‚Isabella‘ es mühelos zerbricht. Wir haben das doch nun schon oft genug erlebt.“
„Ja.“
„Dann weiß ich nicht, über was du dir Sorgen machst.“
„Darüber, daß es noch kälter werden kann“, sagte der schwarze Goliath.
„Ist das alles?“
„Ganze Welt ist verdreht. Wohin segeln wir?“
„Mit raumem Wind nach Ostnordost.“
„Und dort liegt Thule?“
„Hasard vermutet es.“
„Ganzes Welt verkehrt und verrückt“, murmelte der Gambia-Mann.
„Batuti, soll ich dem Seewolf melden, daß du gern umkehren würdest?“ fragte Dan sanft.
Batuti riß die Augen weit auf und starrte sein Gegenüber entsetzt an. „Himmels willen, nein! Was soll Seewolf von Batuti denken? Nein, spielt sich gar nix ab! Kein Wort, verstanden, Dan? Batuti ist kein Meuterer. Geht mit Crew durch dick und dünn, auch wenn der Steven abfriert!“
„Na also“, sagte Dan lachend. „So gefällst du mir schon besser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Kerl wie du jetzt schon die Hosen voll hat.“
Batuti mußte jetzt auch grinsen. Er bückte sich etwas, zupfte an seinem Beinkleid herum und meinte: „Voll nicht. Nur zu dünn.“
„Mit anderen Worten, du brauchst ein Fell, um dir ein Paar nähen zu lassen?“
„Ja. Vom weißen Bär.“
„Na, dann laß uns hoffen, daß wir bald einen Eisbären erwischen“, sagte Dan O’Flynn.
Batuti stieß ihn mit dem Ellenbogen an und deutete auf den Profos, der nach wie vor angestrengt durch seinen Kieker spähte. „Profos ist auch scharf auf Bären, will Jagd auf ihn machen.“
„Genau.“
„Wie nennen Eskimos den Eisbär?“
„Nanoq.“
„Nanoq und Nanohuaq.“
„Nanohuaq, das ist ein besonders großes Exemplar.“
„Und daraus kann man vier Paar Hosen schneidern, hat Hendrik Laas gesagt.“ Batuti hatte sich zusehends beruhigt und sprach wieder korrektes Englisch.
Dan, der immer noch unverwandt auf des Profos’ breiten Rücken sah, mußte plötzlich wieder grinsen.
„Na, vielleicht segelt uns Meister Petz ja auf einer Eisscholle entgegen“, sagte er.
Hasard stand dicht neben Siri-Tong an der vorderen Querbalustrade des Achterdecks und blickte ebenfalls zu seinem Profos.
„Sieh ihn dir an“, sagte er. „Er ist wirklich beinah besessen von dem Wunsch, als erster einen Eisbären zu sichten. Da ich es als wahrscheinlich ansehe, daß wir bald auf die Küste von Grönland stoßen, könnte es ja auch tatsächlich passieren, daß wir einen solchen Burschen sichten.“
„Ist Grönland selbst nicht viel wichtiger für uns?“ fragte sie.
„Ja, natürlich.“
„Aber der gute Edwin glaubt erst daran, daß es die weißen Bären gibt, wenn er sie wirklich gesehen hat, nicht wahr?“
„Das hat er ja nun schon x-mal gesagt.“
Sie lachte hell auf. „Aber war denn das Fell, das Hendrik Laas ihm geschenkt hatte, nicht der beste Beweis für die Existenz von Nanoq?“
„Du weißt doch, was für ein Seemannsgarn unser Carberry spinnt.“
„Ja.“
„Nun, und er glaubt eben auch von anderen Leuten, daß sie ihm im wahrsten Sinn des Wortes ‚einen Bären aufbinden‘. So sehr er sich über das Geschenk gefreut hat, er nimmt bislang immer noch an, daß Hendrik Laas irgendwie maßlos übertrieben oder schlichtweg geschwindelt habe.“
„Und du? Glaubst du daran?“
„Daß es weiße Bären gibt? Ja, ich bin ziemlich sicher.“
Sie entblößte ihre perlweißen Zähne. „Er ist schon ein Dickschädel, unser Profos, das muß ich sagen. Aber andererseits finde ich es uneigennützig von ihm, daß er aus dem weißen Fell Mützen, Jacken und Hosen für die Zwillinge hat schneidern lassen – und für mich diese Mütze.“ Sie tippte spielerisch mit den Fingern gegen den Rand ihrer neuen Kopfbedeckung. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt und darunter verborgen und den Kragen ihrer Biberfelljacke so weit hochgeschlagen, daß er die gesamte Halspartie verhüllte. Sie sah hinreißend aus. „Armer Profos“, fuhr sie fort. „Wegen uns hat er auf seine kostbaren Eisbärhosen verzichtet. Na, vielleicht kriegt er ja auch noch welche.“
„Bedaure ihn bloß nicht zu sehr.“
„Bist du – eifersüchtig?“
„Auf Carberry?“ Hasard lächelte. „Um Himmels willen, nein. Aber lassen wir das.“
Er wandte sich dem Backbordniedergang zu und stieg zum Quarterdeck hinunter. Siri-Tong folgte ihm, bemüht, nicht auf dem harten, gefährlich glatten Belag der Planken auszurutschen.
Hasard suchte das Ruderhaus auf, trat neben den Rudergänger Pete Ballie, wandte diesem den Rücken zu und überprüfte noch einmal, was er auf seiner handgefertigten Karte eingetragen hatte. Siri-Tong erschien im offenen Schott.
Er drehte sich zu ihr um und sagte: „Wenn alle Daten einigermaßen präzise sind, müßten wir noch heute die Westküste Grönlands erreichen. Spätestens bis zum Dunkelwerden.“ Er lächelte plötzlich und berichtigte sich: „Nein – spätestens bis zu dem Zeitpunkt, an dem es eigentlich dunkel werden müßte.“
„Du vertraust also deiner Skizze?“
„Sie vereint in sich all das, was ich bisher über Grönland und Thule vernommen habe. Falls wir unseren Streifzug durchs Eismeer zu einem guten Abschluß bringen, ist sie eines Tages wahrscheinlich die genaueste Karte, die jemals über dieses Gebiet angefertigt wurde.“
„Vermutlich ja.“
„Nur die Beschaffenheit der Regionen nordwestlich von Labrador und der großen Bucht westlich von Labrador ist für mich nach wie vor ein einziges großes Fragezeichen.“
„Auch jene Küste werden wir noch erkunden“, sagte sie.
„Du bist jetzt also zuversichtlich?“
„Ja. Dein Forscher- und Entdekkergeist muß mich wohl angesteckt haben.“
„Vielleicht habe ich einen Fehler begangen, als ich mich nach dem Verlassen der großen Bucht nicht gleich nach Westen gewandt habe. Aber die Windverhältnisse waren dagegen.“
„Es wäre wirklich zu mühselig, gegen diesen Wind zu kreuzen“, bestätigte sie ihm. „Und außerdem wäre es ja wohl eine grobe Unterlassung, dem sagenhaften Thule keine Visite abzustatten. Dort gibt es kein Gold, wie Hendrik Laas gesagt hat, aber einen Menschenschlag, den kennenzulernen es sich lohnt.“
„Ich muß dich wirklich angesteckt haben.“
„Aber es ist keine Krankheit.“
„Was denn?“
„Im Moment kann ich nur das eine sagen“, erwiderte sie. „Alles, was wir in dieser seltsamen Ecke Welt bisher erlebt haben – die Geschichte mit Cyril Auger und dessen Flaschenpost, mit den Karibu-Jägern, den Indianern am Ufer der Bucht, die Stürme, die Abenteuer, die Erlebnisse mit dem Wal – all das hat mich nur neugieriger gestimmt. Ich würde jetzt auch nicht mehr aufgeben.“
Er blickte sie ernst und offen an und sagte: „Ich danke dir.“
2.
Vier Glasen nach Beginn der Abendwache, die wie gewöhnlich um vier Uhr nachmittags einsetzte, war es soweit. Bill, der Moses, beugte sich ein wenig fröstelnd und mit einem Gefühl, als habe er schwere Eisklötze an Armen und Beinen hängen, über den Rand der Segeltuchverkleidung des Großmarses und brüllte: „Deck, Deck, Land Steuerbord voraus in Sicht! Sir, wir haben’s geschafft!“
Er trat auf der Stelle und schlug die Arme vor der Brust zusammen, um der Kälte Herr zu werden. Dann mußte er sich wieder an der Umrandung festhalten, um nicht die Balance auf dem luftigen Posten zu verlieren. Die Gefahr, abzustürzen und sich auf dem Hauptdeck das Genick und sämtliche Knochen im Leib zu brechen, war noch größer als die Aussicht, im Großmars zum Klumpen zu frieren.
An Oberdeck wurden Kieker auseinandergezogen und ans Auge gehoben – oder einfach nur die bloßen Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen abgeschirmt.
Hasard und Siri-Tong standen an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks. Sie spähten beide durchs Spektiv und konnten im Rund der Optik jenen schmalen grauweißen Streifen erkennen, der sich im Osten über die Kimm geschoben hatte.
Das Land, das die Wikinger „Grünland“ getauft hatten …
„Land“, dröhnte nun Carberrys Stimme von der Back herüber. „Woher, zum Teufel, willst du triefäugiger Hering eigentlich wissen, ob das tatsächlich Land ist, was, wie?“
„Sir“, entgegnete Bill von hoch oben. „Ich dachte mir …“
„Du sollst nicht denken, sondern nachdenken, Sapperlot noch mal!“
„Bei allem Nachdenken, Mister Carberry – es scheint mir Land zu sein!“
„Es scheint!“ brüllte Carberry so laut, daß die ihm am nächsten stehenden Männer des Vordecks vorsichtshalber zurückwichen. „Was soll das jetzt wieder heißen – es scheint? Die Sonne scheint, du halbgarer Kabeljau!“
„Mister Carberry, Sir!“ schrie Bill zurück. „Was soll’s denn sonst sein – außer Land?“
„Eis und Schnee!“ brüllte der Profos, daß man es daheim in Plymouth noch vernehmen konnte.
„So müssen die Trompeten von Jericho geklungen haben“, sagte der Kutscher, der gerade mit verwunderter Miene aus dem Kombüsenschott blickte. „Oder waren es Posaunen?“
„Ist doch egal“, meinte Blacky, der nicht weit entfernt am Backbordschanzkleid der Kuhl stand.
„Ruhe da unten“, röhrte die Stimme des Narbenmannes von der Back. „Bill, du dreimal verlauster Affenarsch …“
„Edwin!“ rief die Rote Korsarin.
„Verzeihung, Madam!“ rief Carberry um einiges lauter zurück. „Aber es ist meine Pflicht, diesen Kerl auf eine ordnungsgemäße Ausübung seiner Aufgabe zurechtzutrimmen. Bill, he, Bill!“
„Sir?“
„Das da vorn kann Schnee oder Eis sein, vom Land losgelöst, verstanden? Man ruft erst ‚Land in Sicht‘, wenn man sich seiner Sache völlig sicher ist, verstanden?“
„Mister Carberry, ich habe noch nie einen so flachen Eisberg gesehen“, verteidigte sich Bill.
„Hast du überhaupt schon mal einen gesehen?“
„Jawohl …“
„Stimmt“, gab der Profos in barschem Tonfall zurück. „Soviel wollen wir dir zugestehen. Aber was nun, wenn dein ‚Land‘ eine riesige Eisscholle ist, was, wie?“
„Dann kapituliere ich!“ rief Bill fast verzweifelt.
„Etwas anderes bleibt dir auch nicht übrig …“
„Ed!“ rief der Seewolf.
Carberry drehte sich seinem Kapitän zu, senkte den Kopf ein wenig und zeigte Hasard sein narbiges, häßliches Gesicht, das von den Rändern einer flauschigen Mütze gerahmt, dadurch aber keineswegs schöner wurde. „Sir?“
„Wir steuern direkt darauf zu, dann werden wir ja Gewißheit erhalten, um was es sich handelt. Pete, wir halten mehr Steuerbord.“
„Aye, Sir.“
Carberry zeigte klar, wandte sich der Crew zu und brüllte: „Anbrassen, ihr Pfeifen, wir gehen höher an den Wind! Seid ihr taub?“
Blacky grinste den Kutscher schief an und meinte: „Na bitte, jetzt hackt er auf uns herum. Ich sage dir, die Kälte bekommt ihm nicht.“
Der Kutscher nickte, verließ die Kombüse und hievte zwei mit Sand gefüllte Holzkübel heraus. Es war Sand zum Löschen der Holzkohlefeuer unter den Kombüsenkesseln. Im Gefecht benutzte man ihn auch, um den Männern an den Geschützen einen besseren Stand auf den Planken zu verschaffen – man streute ihn auf dem Batteriedeck aus. Warum also sollte man den Sand nicht auch dazu verwenden, das Ausrutschen auf dem elenden Eis zu vermeiden?
Der Seewolf hatte natürlich sofort zugestimmt, als der Kutscher ihm diesen Vorschlag unterbreitet hatte. Jetzt, als der Koch und Feldscher der „Isabella“ emsig darum bemüht war, so viel Sand wie möglich auf dem Hauptdeck auszustreuen, verließ Hasard seinen Platz auf dem Quarterdeck und stieg zu ihm hinunter.
„Ausgezeichnet, Kutscher“, lobte er. „Du solltest hinterher auch noch ein wenig Asche aus deinen Kombüsenfeuern dazutun, das hält besser.“
„Aye, Sir.“ Der Kutscher blickte nach Steuerbord. Der kalte Wind schnitt ihm ins Gesicht. „Wenn wir Sturm kriegen, haben wir einen sicheren Stand auf Deck bitter nötig, Sir. Aber ich schätze, die überkommenden Seen werden mir einen Strich durch die Rechnung ziehen. Jeder Spritzer Wasser gefriert bei diesen Temperaturen sofort, und ich glaube, bei richtig dickem Wetter kann ich gar nicht so schnell streuen, wie sich das Deck wieder mit einer Eisschicht überzieht.“
Hasard sah ebenfalls zu der schwarzen Wolkenwand, die sich unheilverkündend zusammengeballt hatte und nun näher und näher heranschob.
„Bestimmt hast du recht“, erwiderte er. „Aber wir werden versuchen, eine schützende Bucht zu erreichen, ehe das Theater losgeht.“
Der Kutscher grinste plötzlich. „Du glaubst also auch, daß wir wirklich Land vor uns haben?“
„Ja.“
„Jesus, was ist denn bloß in den Profos gefahren?“
„Die Kälte geht ihm ans Gemüt, aber er will’s nicht zugeben“, erwiderte der Seewolf. „Außerdem will er endlich einen richtigen Eisbären sehen.“
„Schön, aber deswegen braucht man doch nicht gleich so verbiestert zu sein …“
„Was gibt es zum Abendessen?“ unterbrach ihn Hasard.
„Eine kräftige Fleischsuppe, Sir.“
„Gut. Dazu teilst du eine Sonderration Rum aus, und zwar eine doppelte. An alle. Ich hoffe, daß das die allgemeine Stimmung wieder etwas hebt.“
„Heißen Rum?“
„Ja, natürlich. Wir müssen uns von innen aufwärmen.“
Aus dem Großmars ertönte Bills neue Sichtmeldung: „Land! Es ist wirklich Land, Sir! Ich kann’s jetzt in aller Deutlichkeit erkennen, daß es weder ein Eisberg noch eine Scholle ist!“
„Hurra!“ jubelte die Crew.
„Eisscholle heißt das“, sagte Carberry in grunzendem Tonfall. „Nicht Scholle. Eine Scholle ist ein platter Fisch. Aber was soll’s!“
Er hob wieder sein Spektiv, äugte mit grimmiger Miene hindurch und hielt nach den „verfluchten weißen Biestern“ Ausschau. Das schneeüberwachsene, eisglitzernde Land rückte näher und näher, aber weit und breit war kein Tier zu sehen – geschweige denn eine Menschenseele.
Hasard war auf das Quarterdeck zurückgekehrt, holte die Karte aus dem Ruderhaus und breitete sie vor Siri-Tong, Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker und den beiden O’Flynns auf der Gräting aus.
„Siri-Tong“, sagte er. „Männer.“ Es klang fast ein wenig feierlich. „Wenn das jetzt tatsächlich die Westküste Grönlands ist – was ich kaum noch bezweifle –, dann befinden wir uns mit Sicherheit an einem Platz, den noch kein Seefahrer vor uns gesehen und betreten hat.“
„Außer Hendrik Laas und seinen Eskimos“, wandte Ben ein.
„Natürlich. Ich will meine Worte so verstanden wissen: Dieses Stück Welt ist bislang von keiner der seefahrenden Nationen entdeckt worden. Nach meinen Berechnungen befinden wir uns nördlich des 75. Breitengrades, über den weder Cabot noch Frobisher noch sonst jemand hinausgekommen ist.“
„Es ist also – ein historisches Ereignis, wenn wir Thule finden?“ sagte Ferris Tucker.
„So kann man es nennen“, entgegnete Hasard.
„Himmel, wenn doch Thorfin Njal mit dabeiwäre“, sagte die Rote Korsarin. „Die Fahrt hätte ihn bestimmt begeistert. Seine Vorfahren sind doch schon auf Grönland gewesen, oder?“
„Ja, wenn auch nicht so hoch im Norden. Sie haben die Südküste besiedelt und der Insel ihren Namen gegeben“, erwiderte Hasard. „Sie müssen fabelhafte Seeleute und tollkühne Kerle gewesen sein, diese Nordmänner – bei den geringen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen. Schon vor siebenhundert Jahren haben sie Erstaunliches vollbracht.“
„Ja, das hast du uns erzählt“, sagte Dan O’Flynn.
Was er über die Fahrten der Nordmänner und die erste Entdeckung der „Neuen Welt“ wußte, hatte Hasard teils von Thorfin Njal erfahren, teils den Erzählungen des Hendrik Laas entnommen, teils in Büchern gelesen. Schon 867 war der Wikinger Naddodr auf Island gewesen, und von dort aus hatte 982 Erik Rauda als erster Wikinger nach Grönland übergesetzt, wo die rauhen Männer genau wie auf Island eine Siedlung gegründet hatten. Erst 1367 hatten sie die riesige Insel dann fluchtartig wieder verlassen. Ihre Stämme waren durch Hungersnot und den „Schwarzen Tod“, die Pest, dezimiert worden.
Vier Jahre nach Erik Raudas Entdeckung Grönlands hatte der Nordmann Björn Herjolfsson dann „zufällig“ die Neue Welt gesehen, ohne sich der Tatsache bewußt zu werden, daß er Berührung mit einem neuen Kontinent gehabt hatte. Leif Erikson, der Sohn Eriks des Roten von Grönland, hatte Herjolfssons Bericht gehört und daraufhin einen abenteuerlichen Plan gefaßt – nämlich, weiter nach Süden zu segeln und sich zu vergewissern, ob das Land, auf das Herjolfsson seinen Fuß gesetzt hatte, nach Süden hin eine Fortsetzung hatte.
1003 war er mit seiner Mannschaft aufgebrochen, um „eine neue Welt“ zu finden, die er später als „Helluland“ bezeichnete. Dieses Land mußte, mit Labrador und Neufundland identisch gewesen sein. Noch tiefer im Süden hatte Leif Eriksen eine fruchtbare Region entdeckt, die er „Markland“ taufte, dann schließlich jenes legendäre „Vinland“, dem er diesen Namen wegen des dort vorgefundenen wilden Weines verlieh. In ihren Lang- oder Drachenschiffen hatten die Wikinger diese Fahrten bis 1024 fortgesetzt. In ihren „Sagas“ waren die Geschichten über die außergewöhnlichen Entdeckungsreisen enthalten.
Viel später, im Jahre 1497, war von Bristol aus ein Mann mit einem Schiff und achtzehn Mann Besatzung aufgebrochen, der nicht nur seinen großen Wagemut mit einem gewissen Kolumbus gemeinsam gehabt hatte. Wie Kolumbus hatte er aus Genua gestammt und war Bürger Venedigs gewesen, bevor er nach England gegangen war.
John Cabot hatte dieser Mann geheißen, und er hatte mit seiner „Matthew“ von Bristol aus zwei Fahrten quer über den Atlantik unternommen. Sie waren nicht so gut überliefert wie die des Kolumbus, diese Reisen, aber anhand einer von einem gewissen Juan de la Cosa gezeichneten Karte war für die Nachwelt festgehalten worden: 1497 hatte John Cabot Neufundland entdeckt – und dafür hatte er von König Heinrich VII. die stolze Summe von zehn. Pfund erhalten. 1498 hatte er sich weiter südlich gewandt und einen Fluß namens Delaware entdeckt.
Cabots Sohn Sebastian, der der wichtigste Planer späterer Reisen zur Entdeckung der Nordwest-Passage werden sollte, schien auf einer Seereise im Jahre 1509 jene große Bucht erreicht zu haben, in der auch die Seewölfe und Siri-Tong gewesen waren. Aber Hasard hatte hierüber nirgends genaue Aufzeichnungen zu finden vermocht. Es gab nur die ebenso faszinierenden wie haarsträubenden Berichte, die in englischen Hafenkneipen wie Nathaniel Plymsons „Bloody Mary“ in Plymouth kursierten – aber aufgrund solcher Erzählungen konnte man keine präzise Navigation betreiben. So konnte Hasard nur vermuten, daß Sebastian Cabot sich in derselben Bucht befunden hatte wie er.
Die Cabots hatten weder – wie beabsichtigt – einen Seeweg nach Cathay, also Asien, erschlossen noch Gold gefunden. Sie stießen aber dennoch auf eine Quelle großen Reichtums, nämlich auf die Kabeljaugründe auf der Neufundlandbank.
Zwei portugiesische Entdecker, die Brüder Corte Real, waren dem Beispiel der Cabots gefolgt und hatten Grönland und Labrador praktisch „wiederentdeckt“. Nachdem der Reichtum der Kabeljaufischerei auf der Neufundlandbank vollends enthüllt worden war, wurde er auch ausgebeutet. Von jetzt an segelten in jedem Sommer viele Seeleute dorthin, um in diesem Gebiet, das sie „Bacalaos“ nannten – nach dem spanischen Wort Bacalao für Kabeljau –, zu fischen.
Sie kamen aus Dartmouth, Lissabon, Harfleur, Dieppe und St. Malo, diese Fischer, und viele von ihnen waren durch das Ausschöpfen der enormen Fanggründe, durch unbeschadetes Segeln auf glücklich gewählten Kursen und durch günstigen Verkauf zu Wohlstand gelangt.
Immer wieder befanden sich Männer mit höhergesteckten Zielen unter ihnen: 1524 beispielsweise war ein gewisser Giovanni de Verrazzano von Dieppe aufgebrochen und hatte im Norden des neuen Kontinents einen Küstenstreifen entdeckt, den er „Neuengland“ genannt hatte. Zehn Jahre später hatte Jacques Cartier aus St. Malo Neufundland erreicht und segelte im folgenden Jahr, also 1535, den großen St.-Lorenz-Strom aufwärts über Hochelaga hinaus, bis er durch Stromschnellen aufgehalten wurde. Bei einer dritten Reise im Jahre 1541 kehrte Chartier während des Winters nach Hochelaga zurück, das später Montreal getauft wurde.
Sebastian Cabot hatte 1551 die „Merchant Adventurers Company“ gegründet und war der führende Verfechter der Suche nach einer Passage vom Atlantik zur Südsee – entweder von England aus nordöstlich um Skandinavien herum oder nordwestlich durch die Straße von Bacalaos. Zunächst hatte man die nordöstliche Richtung gewählt, da dies leichter erschien. Aber das sollte sich als ein tragischer Irrtum herausstellen: Alle Schiffskapitäne, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, auf diesem Kurs die Passage zum Stillen Ozean und nach China zu finden, scheiterten.
Jetzt, zu Zeiten der königlichen „Lissy“, richteten sich die Anstrengungen der Seeleute, der Kaperfahrer und Entdecker, nach Nordwesten, geführt durch eine Abhandlung von Sir Humphrey Gilbert, die „Discourse of a Discoverie for a New Passage to Cataia“ hieß, also „Abhandlung über die Entdeckung einer neuen Passage nach Asien“.
Darmowy fragment się skończył.