Czytaj książkę: «Das Kind vom anderen Stern»

Czcionka:

Bisher sind von Ross Welford erschienen:


eISBN 978-3-649-64011-0

© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe

Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Hafenweg 30, 48155 Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Originally published by HarperCollins Publishers under the title:

The kid who came from space

© Ross Welford 2020

Translation © Petra Knese 2020 translated under licence from

HarperCollins Publishers Ltd

Ross Welford asserts the moral rights to be identified

as the author of his work.

Aus dem Englischen von Petra Knese

Umschlaggestaltung © HarperCollins Publishers 2020

Umschlagillustration © Tom Clohosy Cole 2020

Lektorat: Jutta Knollmann

Satz: Sabine Conrad, Bad Nauheim

www.coppenrath.de

Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-63778-3.

Ross Welford


Aus dem Englischen von Petra Knese


Inhalt

1. Teil

HELLYAN 1. Kapitel

ETHAN 2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Vier Tage zuvor

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

2. Teil

HELLYANN 15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

3. Teil

ETHAN 29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

HELLYANN 53. Kapitel

ETHAN 54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

4. Teil

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

HELLYANN 60. Kapitel

ETHAN 61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel


Suche nach vermisstem Mädchen geht weiter

Kielder, Northumberland, 27. Dezember

Bei der Suche nach einem zwölfjährigen Mädchen, das am Heiligabend aus Kielder verschwunden ist, bittet die Polizei die Bevölkerung um Mithilfe.

Tamara »Tammy« Tate wurde zuletzt am 24. Dezember um 18 Uhr gesehen, als sie ihr Elternhaus in der Nähe der Gaststätte Stargazer verließ. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs.

Tamara hat helle Haut, ist etwa 1,60 m groß und von mittlerer Statur. Sie hat blondes Haar und braune Augen. Bei ihrem Verschwinden trug sie eine Jeans und eine rote Daunenjacke von North Face.

Suchtrupps aus Polizei und Freiwilligen haben in den letzten Tagen die umliegenden Wälder und Moore an der Grenze zu Schottland durchkämmt.

Wer Tamara gesehen hat oder Aufschluss über ihren aktuellen Aufenthaltsort geben kann, wird dringend gebeten, sich bei der Polizei zu melden.

Sachdienliche Hinweise werden unter der Nummer 131411 oder anonym unter 1800 333 000 entgegengenommen.

HELLYAN
1. Kapitel


Noch einmal lese ich das leuchtende Schild vor mir:

Gattung: Mensch, weiblich

Herkunft: Erde

Alter: etwa zwölf Jahre

Dieses brandneue Exponat wird in die Ausstellung Erd-zone überführt, sobald eine emotionale Stabilität erreicht wurde.

Beim Anblick des verwahrlosten Wesens möchte ich am liebsten durch die unsichtbare Barriere fassen und seine Hand halten. (Was weder erlaubt noch möglich ist, denn die Barriere würde mir sofort einen schmerzhaften Schock versetzen.)

Sein Haar …

Okay. Ich darf nicht die ganze Zeit »es« und »sein« sagen. Auf dem Schild steht, dass es weiblich ist, also »sie« und »ihr«.

Ihr Haar ist lockig. Wie es wohl gewaschen aussieht? Ihre blasse, haarlose Haut ist mit winzigen dunklen Flecken überzogen (Sommersprossen nennt man das in ihrer Sprache). Ihre Kleidung gleicht der der anderen Bewohner aus der Erdzone: eine Hose aus derbem Stoff, oben herum ein dick wattiertes Kleidungsstück in einem helleren Ton und an den Füßen große Schuhe, die mit verschlungenen Schnüren zugebunden sind.

Ihr Gesicht ist schmutzig und tränenüberströmt, ihre Augen sind feucht und gerötet. Sie hat geweint (das ist normal, das tun Menschen andauernd), obwohl die atomare Auto-Medikamentierung ihre kognitiven Funktionen zum Großteil lahmgelegt hat …

(Moment mal. Klingt das zu kompliziert? Philip meint, ich soll lieber schreiben: »Ihr Gehirn funktioniert nur noch langsam, weil sie Medikamente bekommen hat.« Und das trifft es auch, so gut wie. Entscheidet selbst.)

Dennoch funkeln ihre Augen voller Leben. Vielleicht ist die Dosis nicht richtig berechnet worden oder ihr Körper ist in der Lage, die Wirkung der Medikamente abzuschwächen.

Jedenfalls sieht sie mich an. Und ich bin erstaunt, wie ausdrucksstark so ein menschliches Gesicht sein kann.

Als sie die Hand auf die Brust legt, glaube ich für einen Moment, dass sie die Geste der Herzler macht, aber natürlich tut sie das nicht.

Sie blickt mich eindringlich an und sagt: »Ta-mii.«

Mehr nicht, bloß diese beiden Silben.

Und wieder: »Ta-mii.«

Rasch vergewissere ich mich, dass mich niemand beobachtet, halte meinen PM hoch und filme. Mit den Exponaten zu kommunizieren, ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber man wird auch nicht dazu ermuntert.

Ta-mii. Ist das ihr Name?

Ich wiederhole die Silben, obwohl ich mich mit den Lauten schwertue.

»Ta-mii«, sage ich.

Sie nickt und verzieht das Gesicht, als wollte sie lachen und gleichzeitig weinen. Ich begreife nicht, warum. Menschen sind seltsame Wesen.

Wie sie lege auch ich eine Hand aufs Herz und sage meinen Namen. Das Menschenmädchen versucht, ihn zu wiederholen, aber es klingt kein bisschen nach meinem Namen. Beim nächsten Versuch geht es schon etwas besser. Ich probiere ein wenig hin und her und spreche meinen Namen dann so aus, dass sie ihn vielleicht wiederholen kann.

»Helly-ann«, sage ich und ihr Mund verformt sich ganz langsam zu einem Lächeln.

Sie blinzelt ein paarmal und spricht mir nach. Unwillkürlich muss auch ich lächeln.

Dann blickt sie wieder ernst und sie sagt zwei weitere Silben: »Ii-sen.«

Plötzlich ertönt aus dem Lautsprecher über mir eine Stimme: »Ihre Zeit ist um. Gehen Sie weiter. Hinter Ihnen hat sich eine Schlange gebildet, auch andere wollen das neue Exponat besichtigen. Beanspruchen Sie nicht mehr als die Ihnen zustehende Zeit. Der Nächste.«

Das Menschenmädchen sieht mir nach, dann zieht es sich in die hinterste Ecke seines Geheges zurück und setzt sich auf den Boden. Da rücken auch schon zwei neue Besucher an.

»Ta-mii«, sage ich vor mich hin, während ich an dem HM vorbeigehe, der am Rand des Ausstellungsraums steht.

»Das ist Ihr drittes Mal hier, wenn ich mich recht erinnere«, sagt der HM. »Und dann kommunizieren Sie auch noch mit den Exponaten? Ich behalte Sie im Auge.«

Natürlich sagt er das nicht laut. Das braucht er auch gar nicht, sein scharfer Blick genügt.

So läuft das bei uns. Alle halten sich an die Regeln. Keiner tanzt aus der Reihe.

Auf dem Weg zu meinem Podhaus muss ich mich zusammenreißen, um nicht weinend zusammenzubrechen. Die Leute hier weinen nicht, und lachen tun sie übrigens auch nicht.

Stattdessen wiederhole ich in Gedanken immer wieder ihren Namen: Ta-mii. Ta-mii. Ta-mii.

Zu Hause spiele ich den Teil der Aufnahme ab, die ich von dem Menschenmädchen gemacht habe, als es seinen Namen und diese anderen Laute von sich gegeben hat.

Was ist denn Ii-sen? Das hat sie doch gesagt: Ii-sen.

Vielleicht finde ich es irgendwann heraus.

Denn ich werde Ta-mii zur Erde zurückbringen.

Das wird gefährlich. Wenn ich scheitere, werde ich für den Rest meines Lebens in Tiefschlaf versetzt.

Und wenn es mir gelingt? Dann werde ich es wahrscheinlich fürs nächste Exponat wieder tun müssen.

Das ist der Fluch, wenn man Gefühle hat.

ETHAN
2. Kapitel


Meine Zwillingsschwester Tammy wird jetzt schon seit vier Tagen vermisst. Als es an der Tür klingelt, denke ich also erst mal, es ist die Polizei oder wieder irgendein Journalist.

»Ich geh schon«, sage ich zu Mam und Dad.

Gran ist in ihrem Trainingsanzug im Lehnstuhl neben dem Weihnachtsbaum eingeschlafen, ihr Mund steht offen. Die Lichter am Baum sind schon seit Tagen nicht mehr angeknipst worden.

Als ich die Tür öffne, steht da Ignatius Fox-Templeton – Iggy genannt, weil es kürzer ist und nicht so schräg klingt – in Wintermantel, Schiebermütze und Shorts (obwohl draußen Schnee liegt). In einer Hand hält er eine Angel, unter den anderen Arm hat er Suzy geklemmt, sein zahmes Huhn. Überm Rücken trägt er eine große Tasche und sein verrostetes Rad liegt neben ihm auf dem Boden.

Eine Weile sehen wir uns einfach bloß an. Iggy und ich sind keine besten Freunde oder so was. Und zuletzt hatten wir ein ziemlich unangenehmes Erlebnis. Das war Heiligabend, als Tammy verschwunden ist. (Ich hätte seiner Mutter mit dem Klavierdeckel beinahe alle Finger gebrochen. Sie fand’s aber gar nicht so schlimm.)

»Ich, ähm … ich dachte … ob du vielleicht, na ja, ob du … ähm …« So ist Iggy normalerweise gar nicht, aber er ist ohnehin nicht im normalen Sinn normal, und überhaupt ist im Moment gar nichts normal.

»Wer ist es denn?«, ruft Mam matt.

»Schon gut, Mam. Ist nichts!«, rufe ich zurück.

Mam geht es immer schlechter. Keiner von uns schläft zurzeit gut, aber ich fürchte, dass sie überhaupt nicht schläft. Unter den Augen hat sie blaugraue Ringe, als wäre ihre Wimperntusche verlaufen. Dad hat sich in die Arbeit im Pub gestürzt und Suchtrupps organisiert, aber allmählich gehen auch ihm die Projekte aus. Alle sind so versessen darauf, uns zu helfen, dass für uns am Ende nichts anderes übrig bleibt, als untätig rumzusitzen und vor lauter Sorge ganz verrückt zu werden. Sandra, die bei der Polizei für Familien wie unsere zuständig ist, meint, das wäre »zu erwarten gewesen«.

Ich wende mich wieder Iggy zu.

»Was willst du?« So unfreundlich wollte ich gar nicht klingen.

»Hast du … ähm, hast du Lust, angeln zu gehen?«, fragt er fast flüsternd. Seine Augen blinzeln rasch hinter den dicken Brillengläsern.

Falls ihr keine Ahnung habt, wie schräg ich das gerade finde, müsst ihr wissen, dass meine Welt seit Tagen nur noch aus quälenden Sorgen und vielen, vielen Tränen besteht, aus geschäftigen Polizisten und Journalisten, die uns mit Kamera und Notizblock belagern; aus Leuten vom Dorf, die Essen anschleppen, obwohl wir im Pub doch selbst eine riesige Küche haben (in der sich inzwischen zwei Shepherd’s Pies und eine überdimensionale Baisertorte türmen); aus Sandra, Dad und Mam, die das alles gemeinsam mit Gran zu managen versuchen; und auch noch aus Tante Annikka und Onkel Jan, die gestern aus Finnland eingeflogen sind, um … ja, um was eigentlich? Wahrscheinlich um für uns da zu sein.

All das, weil Tammy seit vier Tagen wie vom Erdboden verschluckt ist. Und nichts mehr so ist, wie es war.

Mein erster Gedanke, als Iggy hier so auftaucht und mit mir angeln gehen will, ist also: Hast du sie noch alle?! Aber dann dämmert es mir.

»War das Sandras Idee?«, frage ich. Die Haustür halte ich so weit wie möglich zu, damit die Kälte nicht reinkommt.

Iggy nickt freimütig. Sandra und er kennen sich schon eine ganze Weile. Bei ihm zu Hause ist immer was zu tun für eine Familienverbindungsbeamtin. Das ist die offizielle Bezeichnung für ihren Job.

»Ja, Sandra meinte, vielleicht willst du mal raus. Um auf andere Gedanken zu kommen. Eine kleine Abwechslung und der ganze Mumpitz.«

Mumpitz. Typisch Iggy. Er hat keinen besonders ausgeprägten Dialekt, wie die anderen hier, wobei er auch nicht sonderlich gehoben spricht. Mir kommt es vor, als könnte er sich nicht entscheiden, wie er klingen will, und benutzt deshalb seltsame Wörter als Lückenbüßer.

»Da bin ich also!« Iggy hält seine Angel hoch. »Besser gesagt, da sind wir also.« Mit dem Kinn deutet er auf Suzy.

Ich weiß nicht so richtig, was ich von Iggy halten soll. Dad kann ihn nicht leiden, denn kurz nachdem wir hergezogen sind, hat er Iggy dabei erwischt, wie er aus unserem Lagerhaus eine Tüte Chips geklaut hat. Daraufhin meinte seine Mutter, das Lagerhaus sollte eben abgeschlossen sein, deshalb ist Dad auch nicht sonderlich gut auf Iggys Mutter zu sprechen. Sie hält Bienen. Und hat sich von Iggys Vater scheiden lassen, glaube ich zumindest.

Trotzdem muss ich zugeben, es ist irgendwie nett von Iggy vorbeizukommen, auch wenn es nicht seine Idee war. Wobei ich nicht sonderlich gern angle …

Suzy reckt mir den Kopf entgegen, damit ich sie kraule. Gehorsam versenke ich die Finger tief in ihrem weichen Gefieder. Ehrlich gesagt, die Sache mit Suzy ist mir ebenfalls suspekt. Wer bitte schön hält sich schon ein Huhn als Haustier?

Während ich Suzy noch am Hals kraule, überlege ich: Was soll schon groß schiefgehen?

Also stecke ich den Kopf ins Wohnzimmer, um mich abzumelden. Dad ist zum Telefonieren in die Küche gegangen und Mam starrt stumpf zum Fernseher, der gar nicht läuft. Gran schnarcht ein bisschen. Im Zimmer ist es viel zu heiß, die Asche im Holzofen glüht weiß und hellrot.

»Ich geh mal ’ne Weile raus, Mam«, sage ich. »Bisschen frische Luft schnappen.«

Sie nickt, aber ich weiß nicht, ob sie mir überhaupt zugehört hat. In Gedanken ist sie die ganze Zeit bei Tammy.

Tammy, meiner Zwillingsschwester, die wie vom Erdboden verschluckt ist.

3. Kapitel


Das Absperrband ist noch da: POLIZEIABSPERRUNG. BETRETEN VERBOTEN. Es ist quer über den Weg gespannt, wo Tammys Fahrrad lag, aber die Polizei hat den Waldweg und den schmalen Uferstreifen schon ein Dutzend Mal abgesucht. Jetzt ist keiner mehr da. Ich bin seit Heiligabend nicht mehr hier gewesen, und als wir uns der Stelle nähern, schnürt sich mir die Kehle zusammen.

»Kommst du klar?«, fragt Iggy. »Tut mir leid, daran hab ich gar nicht gedacht … der See und so …«

»Schon okay.« Man könnte auch noch anders ans Wasser kommen, aber das wäre von hier ein Umweg.

Wir lassen unsere Räder oben im Wald und steigen die steile Uferböschung hinab. Dabei denke ich unentwegt: Da ist Tammy vielleicht auch gelaufen …

Schließlich gelangen wir an den schmalen Uferstreifen. Iggy redet pausenlos von einem riesigen Hecht, der sich in der Nähe des Wehrs herumtreiben soll, wo sich das überschüssige Wasser aus dem Stausee sammelt.

»Wenn es draußen richtig kalt ist, zieht es die Hechte in flachere Gewässer … Mit einem Laserköder lässt der sich hundertpro anlocken … die Angelschnur hat eine Tragkraft von 40 Kilo …«

Genauso gut könnte Iggy in einer Fremdsprache mit mir reden, aber ich mache mit, weil ich einfach nur froh bin, mal an was anderes als an Tammy zu denken.

Obwohl es mitten am Nachmittag ist, wird es schon dunkel. Weit und still liegt Kielder Water vor uns – in der Dämmerung hat der See eine tieflila Farbe angenommen. Mir verschlägt es den Atem. »Wow«, raune ich leise.

Iggy stellt sich neben mich und blickt übers Wasser.

»Glaubst du, dass sie noch am Leben ist, Tait?«

Puh! Wie kann er bloß so direkt sein? Im ersten Moment ärgere ich mich, aber dann wird mir klar, dass er im Grunde das fragt, was alle gern fragen würden. Nur schleichen die anderen wie die Katze um den heißen Brei herum oder schweigen aus Angst, das Falsche zu sagen.

Ich seufze. Diese Frage hat mir bisher noch keiner gestellt, deshalb bin ich überrascht, wie überzeugt ich bin. »Ja. Das spür ich genau. Hier.« Ich greife mir an die Brust. »Wir sind doch Zwillinge.«

Iggy schiebt die Unterlippe vor und nickt bedächtig, als würde er es verstehen, aber das kann bloß ein Zwilling.

»Psst«, mache ich. »Sei mal still.«

Ich hoffe darauf, dass ich wieder dieses Heulen höre, so wie an dem Abend, als Tammy verschwand. Doch die einzigen Geräusche kommen von den winzigen Wellen, die alle paar Sekunden ans Ufer schwappen, und von dem leuchtend orangen Kanu, das rhythmisch gegen den weit in den See hineinragenden Holzsteg rumst.

Als wir auf den Steg treten, ächzen die alten Planken unter unserem Gewicht. Iggy packt seine Anglertasche aus.

Ich glaube, das letzte Mal war ich mit Tammy auf dem Steg. Zum Steinweitwurf. Im Grunde geht es dabei nur darum, wer den Stein am weitesten in den See werfen kann. Aber wir haben natürlich Regeln: nur gleich große Steine, fünf Runden zum Sieg und so weiter. Dummerweise gewinnt Tammy fast immer. Im Werfen ist sie richtig gut.

Iggy brabbelt unbeirrt vor sich hin …

»So. Da haben wir also zwei achtfach geflochtene Angelschnüre, je 100 Meter lang mit Stahldrahtverstärkung … vier Drillingshaken, zehn Zentimeter lang … eine kurze Rute und meine gute alte Hechtrolle, dazu einen Johnson-Laserköder.«

Iggy, dessen Schulnoten man als schwankend bezeichnen könnte, hätte in Anglerlatein sicher eine Eins plus! Dann zieht er noch ein kleines Päckchen aus der Tasche. Er öffnet die Plastikfolie und hält mir den Inhalt unter die Nase. Bei dem Gestank wird mir kotzübel.

»Was ist …?«

»Hühnchen. Habe ich im Mülleimer hinterm Pub gefunden.« Und schnell schiebt er noch nach: »Ist ja nicht geklaut, wenn’s im Müll lag!«

Während er auf dem Steg kniet und seine vierteilige Steckrute montiert, geht er noch mal alles mit mir durch, obwohl er es mir schon unterwegs erklärt hat.

»Die Hähnchenbrust ist der Köder. Wir fahren etwa dreißig Meter raus und werfen ihn mit der Boje ins Wasser.« Iggy zeigt auf eine rote fußballgroße Boje im Kanu. »Der Köder darf nicht zu tief sinken. Deshalb hängt er an der Bojenleine und der Angel. Wir paddeln ans Ufer zurück und warten. Der Hecht kommt, wittert das köstliche Fleisch …« Iggy macht es vor, kneift die Augen zusammen und zieht die Nase kraus. »Und kann einfach nicht widerstehen! Bäm! Er schnappt zu und hängt am Haken. Wir sehen die Boje auf und ab hüpfen, ziehen ihn an Land, wo du schon das Handy bereithältst, um Fotos zu machen. Dann lassen wir ihn wieder frei und radeln zurück zu Ruhm und Reichtum, ein Foto im Hexam Courant springt allemal dabei raus!«

Wird schon schiefgehen, rede ich mir ein, als wir das Kanu beladen. Beim Einsteigen schwappt mir das eiskalte Wasser in die Turnschuhe, das sich im Boot angesammelt hat. Suzy folgt uns, ich könnte wetten, dass sie mir einen seltsamen Blick zuwirft. Nachdem sie einmal kurz am vergammelten Hähnchen gerochen hat, nimmt sie Abstand und lässt sich am anderen Ende des Kanus nieder.

Zu Mam habe ich nicht gesagt, dass wir aufs Wasser wollen, denn bis eben wusste ich es ja selbst nicht. Ich habe also ein reines Gewissen. Aber trotzdem …

»Iggy? Haben wir … ähm, zufällig Rettungswesten dabei?« Ich komme mir blöd vor, erst recht, als Iggy mich voller Verachtung anschaut. »Vergiss es«, schiebe ich schnell nach. »Ich kann ja schwimmen.«

Wir machen das Kanu los und paddeln schweigend auf den See hinaus.

Irgendwie ist mir übel, vielleicht von der Schaukelei. Oder von dem toten Huhn. Der Gestank klebt mir an den Händen, seit ich es gerade mitsamt der Boje über Bord geworfen habe.

Als ich mich vorbeuge, um mir die Hände im eiskalten Wasser zu waschen, schrecke ich mit einem Aufschrei zurück. Das Kanu schwankt.

»Hey! Pass doch auf!«, ruft Iggy empört.

Habe ich mir das nur eingebildet? Ja, bestimmt.

Ich beuge mich noch mal vor. Es ist bloß ein Baumstamm. Einer der Äste sieht aus wie ein Arm. Und in meiner Fantasie wurde daraus ein Körper, der im Wasser treibt, natürlich dachte ich sofort an Tammy. Aber sie ist es nicht. Nur ein Baumstamm unter Wasser.

»Wollen wir umkehren?« Ich gebe mir Mühe, ganz locker zu klingen.

Wir paddeln zurück, die schwere Leine hängt im Wasser.

Dann warten wir auf dem Steg. Und warten. Ich schaue nach oben, der Himmel ist schon ganz dunkel, ich sollte nach Hause gehen.

Ein Blick aufs Handy sagt mir, dass wir bereits über eine Stunde hier sind. Mir ist echt langweilig, außerdem friere ich und mir sitzt noch der Schreck in den Knochen von dem Etwas, das sich am Ende bloß als Baumstamm entpuppte.

Und dann bewegt sich die Boje plötzlich.

»Hast du das gesehen …«

»Ja.«

Wir springen auf und schauen hinüber zur Boje, die wieder ruhig im Wasser liegt, aber winzige Wellen breiten sich in alle Richtungen aus.

»Was meinst du?«, frage ich. Iggy zieht sich bloß die Mütze vom Kopf und fährt sich nachdenklich durchs rote Zottelhaar.

Ein paar Minuten lang rühren wir uns nicht, dann sagt er: »Wir gucken mal nach«, und macht sich daran, die Leine einzuholen. »Vielleicht hat sich was anderes den Köder geschnappt oder er ist abgefallen. Mist!« Die Leine hängt fest. »Könnte sich im Schilf verfangen haben oder an einem Stamm.«

Je stärker Iggy zieht, desto weniger tut sich. »Komm«, stöhnt er und steigt ins Kanu, »wir müssen die Leine freikriegen.«

»Wir?«, murmele ich, steige aber trotzdem ein.

Iggy pfeift Suzy wie einen Hund zu sich. Gehorsam hüpft sie zu uns ins Kanu. Dann setzt sich Iggy die Mütze auf, schiebt sich die Brille hoch und wir paddeln zur tanzenden Boje zurück.

Bevor wir da ankommen, gibt es auf einmal diese riesige Fontäne. So gigantisch, als hätte jemand von der anderen Seite des Stausees aus großer Höhe ein Auto ins Wasser geschleudert.

Natürlich ist es kein Auto. Und genauso wenig glaube ich in dem Moment, dass es ein unsichtbares Ufo ist. Ich bin ja nicht verrückt geworden.

Aber es wird sich herausstellen, dass es genau das ist.

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9783649640110
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