Czytaj książkę: «Hitlers Vater», strona 4

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Das Dasein, als Zöllner zu leben

Für Ziehkinder gab es selten einen dauerhaften Platz im Haus der Zieheltern. Für Alois blieb nach dem Ende der Schulpflicht daher nur die Wahl, zu anderen Bauern in Dienst zu gehen oder sich eine Existenz außerhalb der Landwirtschaft zu suchen: im Handwerk, als Taglöhner, Fabrikarbeiter, Soldat oder Auswanderer. Mit dreizehn Jahren, im Jahr 1850, begann er daher bei dem Spitaler Schuhmachermeister Anton Ledermüller aus der Weitraer Schusterzunft eine Lehre. Eine wirklich qualifizierte Ausbildung war das wahrscheinlich nicht. Sie war ja mit zwei Jahren auch nur sehr kurz. Sehr anspruchsvoll waren weder das Schuhwerk, das damals im Waldviertel getragen wurde, noch die Ausbildung, die für seine Erzeugung erforderlich war: Holzschuhe, Holzbundschuhe und die üblichen Ausbesserungsarbeiten – eine Flickschusterei eben. Nach einem Probejahr erfolgte am 19. März 1851 die Aufdingung, also die fixe Aufnahme als Lehrling. Der entsprechende Eintrag im Zunftbuch lautet: »Lässt Anton Ledermüller von Spital den Alois Schicklgruber von Döllersheim aufdingen und zahlt 1 fl 20 kr. nach 1 Probejahr.« Am 28. März 1852 war bereits die Freisprechung zum Gesellen erreicht: »Lässt Anton Ledermüller von Spital seinen Lehrjungen Alois Schicklgruber von Döllersheim freisprechen und zahlt 1 fl 30 kr.«57

Als Geselle ging man auf Wanderschaft. Am besten nach Wien. »Als Dreizehnjähriger schnürte der damalige kleine Junge sein Ränzlein und lief aus der Heimat, dem Waldviertel, fort«, schrieb Adolf Hitler in Mein Kampf: Das ist nicht ganz richtig. Richtig ist, dass Alois als Dreizehnjähriger eine Lehre in Spital begann und als Fünfzehnjähriger nach Wien wegzog. Nach Adolf Hitlers Darstellung sei es »ein bitterer Entschluss« gewesen, »sich mit drei Gulden Wegzehrung so auf die Straße zu machen, ins Ungewisse hinein«. Man kann aber davon ausgehen, dass sich Alois auf vorhandene Netzwerke stützen konnte. Man könnte an Johann Prinz denken, einen sechs Jahre älteren Verwandten, den er von Spital her kannte und der ebenfalls nach Wien gegangen war, dort später als Badewärter im Dianabad arbeitete und Jahrzehnte später zum Taufpaten für seine Kinder und auch für Adolf Hitler wurde.58

Als Schuster, wenn auch mit sehr kurzer Lehrzeit, fand Alois in Wien zwar sicherlich Arbeit, ob in der Kundenschuhmacherei, als Sitzgeselle oder in der Verlags- und Marktschusterei. Dass er tatsächlich in Wien noch einmal eine Lehrzeit anhängte und erst mit siebzehn Jahren, wie in Mein Kampf behauptet, die Gesellenprüfung ablegte, ist angesichts der Weitraer Zeugnisse unsinnig. Aber ein Schusterleben war auch als ausgelernter Geselle in der Stadt kein Honiglecken. Den meisten Schustern ging es schlecht. Das mag bei Alois zu dem Entschluss geführt haben, 1855 statt in den Militärdienst, der in den unruhigen 1850er Jahren vielleicht in den blutigen Schlachten in Oberitalien geendet hätte, in die k.k. Finanzwache einzutreten, wo er fürs Erste im Zollgrenzbezirk Saalfelden, Land Salzburg, zur Dienstleistung eingeteilt wurde.

Zöllner und Schmuggler im Pinzgau

Recht merkwürdig ist, was Adolf Hitler in einem seiner Monologe im Führerhauptquartier im Jahr 1941 daherredete: »Im alten Österreich gab es zwei Berufsgruppen, für die man mit Vorliebe Vorbestrafte wählte: die Zöllner und die Förster. Zu den Zöllnern nahm man Schmuggler, meist solche, die vor der Wahl standen, Zuchthaus zu bekommen oder in den Staatsdienst zu gehen; zu Förstern machte man Wilderer. Beide, Schmuggler und Wilderer, treibt die Leidenschaft, es liegt ihnen im Blut. Wenn einer so einen romantischen Komplex hat, dann muss man ihm Gelegenheit geben, ihn abzureagieren …«59

Ob diese Geschichte überhaupt Sinn ergab oder auf einem Missverständnis beruht, ob ihm solches sein Vater erzählt hatte oder ob gar der Vater damit gemeint war? Auf jeden Fall war Alois Hitler ein zäher Bursche, der für den harten Zolldienst passte. Ein Grundsatz im alten Österreich war, dass Zollaufseher oder »Finanzer« nicht in ihrer Heimat zum Einsatz kamen und oft versetzt wurden, um verwandtschaftliche Netzwerke und regionale Seilschaften möglichst schon im Ansatz zu unterbinden. Alois Hitlers erste Station war Salzburg, das erst seit 1816 dauernd zu Österreich gehörte und wo die Unzufriedenheit mit dem neuen Staat immer noch groß war und viele der früheren fürstbischöflichen Unabhängigkeit und den Beziehungen nach Bayern und ins »Reich« nachtrauerten. Entsprechend hoch war unter der Bevölkerung die Bereitschaft zu Widersetzlichkeiten. Viele alte Bindungen über die neuen Grenzen hinweg waren noch intakt. Das sogenannte »kleine deutsche Eck«, wo der Warenverkehr zwischen Salzburg und Tirol zwangsläufig über bayerisches bzw. deutsches Gebiet führte, war ein Eldorado für Schmuggler. Hoch oben, wo die Pfade unwegsam und die Verhältnisse unüberblickbar wurden, kannten sich die Holzknechte, Senner und Wildschützen viel besser aus als die Zöllner.

Eine Respektsperson mit Wohlstandsbäuchlein und blinkenden Knöpfen: k.k. Zollamtsoberoffizial Alois Hitler in seiner Ausgehuniform. In seiner Bartmode folgte er dem 45 Kaiser.

Alle haben sich beteiligt, auch die Zollbeamten. Arm waren sie ja alle und alle brauchten sie Geld. Notwendig waren Zähigkeit und Mut. Geschmuggelt wurde alles, was es hüben oder drüben nicht gab oder was billiger zu haben war: Pfeifentabak und Zigarren, Zucker und Kaffee, Speck und Butter, Alkohol und Salz, Textilien und Eisenwaren, lebende Hühner und Gänse, aber auch ausgewachsene Rinder und Pferde. Gesucht wurde natürlich auch nach staatsgefährdenden oder pornografischen Schriften und nach gefährlichen Revolutionären und flüchtigen Kleinkriminellen. Gearbeitet wurde mit allen erdenklichen Tricks, um über die Grenze zu kommen, am besten in mondlosen Nächten, bei Nebel und Regen, einzeln oder in ganzen Banden, auf damals wie heute gefährlichen Steigen und Schleichwegen. Vor allem das Salz war der Stein des Anstoßes: »Bayern, welches einen sehr großen Theil des Salzes, das wir an den Grenzen zu speisen bekommen, durch den Schmuggel zu uns herüberschafft, verkauft sein Salz zu 4 und 5 fl per Zentner, bei uns beträgt der Preis des Salzes 8, 10, auch 11 fl.«, klagte der Abgeordnete Ignaz Mayer 1868 im Wiener Reichsrat.60

Die Schmuggler waren zu allen Zeiten erfinderisch: Junge Ferkel wurden mit Schnaps betäubt und in Heuwagen versteckt, Rindern und Pferden zur Schalldämmung die Hufe mit Stofffetzen eingebunden. Man arbeitete mit schlauen Tricks und mit roher Gewalt. Einmal soll Alois einen großen Diamanten, eingewickelt in eine Zigarre, beschlagnahmt haben, erzählte Adolf seinem Wiener Kumpanen Reinhard Hanisch.61 Meist aber ging es um Zuckerhüte, Salzküfel, Solinger Messer oder den neuen chemischen Süßstoff Saccharin.62 Beschreibungen von Situationen, in denen man den Verfolgern von der Zollwache nur knapp und mit kühnen Taten entkam, sind zentrale Bestandteile klassischer Schmugglergeschichten, auch wie man den »Wiener« Zöllnern auf geschickte Weise ein Schnippchen schlagen oder sie »lächerlich« machen konnte. Neben »Schläue« wurde den Schmugglern immer auch körperliche Kraft attestiert. Die mussten auch die Zöllner haben. Zahlreiche Erzählungen beschreiben die großen Anstrengungen, die ihnen bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mit den Schmugglern abverlangt wurden.63 »Der Körper der Zöllner muss gegen Schweiß und Witterung geschützt werden. Um ihn abzuhärten, ist das Waschen im kalten Brunnenwasser allmorgendlich sehr zu empfehlen«, hieß es in den Handbüchern. Auch der mäßige Genuss von Branntwein sei der Abhärtung zuträglich: »Durch die imponierende Uniform, durch seine Haltung, seinen Gang, seinen freien und durchdringenden Blick sowie durch sein determiniertes Auftreten kann der Zöllner den Leuten Furcht vor ungesetzlichen Handlungen einflößen und in entscheidenden Augenblicken einem Widerstand vorbeugen«, empfahlen die Dienstvorschriften. Dieses Respekt gebietende Gehabe musste auch außerhalb der Dienstzeit zur Schau gestellt werden.64

Die »Schwärzer«, so benannt nach der schwarzen Farbe, die sie sich ins Gesicht schmierten, um sich unkenntlich zu machen, suchten die Dunkelheit der Wälder und fanden in abgelegenen Häusern und Almhütten Unterschlupf. Solch verwegene Burschen trafen auf ebenso raue Grenzwächter. Man brauchte Männer, die Strapazen gewohnt waren. Denn Verfolgungsjagden zwischen den organisierten Schmugglerbanden und den kontrollierenden Grenzorganen konnten zu regelrechten Feuergefechten ausarten. Immer wieder gab es Tote. Schmuggler und Zöllner, Wildschützen und Jäger, Räuber und Gendarmen waren die Helden der ländlichen Widerstands- und Rebellengeschichten. Manche Schmuggler hatten es zu regionaler Berühmtheit gebracht. Aber auch die Zöllner hatten ihre Helden und Erfolge. Alois zeigte noch viel später voll Stolz manche Trophäen, die er erjagt hatte. Die Moritaten der Bänkelsänger erzählen von wilden Verfolgungsjagden, hochnotpeinlichen Razzien, tödlichen Schüssen und hinterhältigen Messerstichen:

Doch plötzlich kracht Musketen Knall Dem Schmugglervolk entgegen. »Ergebet Euch!« so ruft es her – doch nein – man greift zur Gegenwehr …« 65

Die romantische Rede von den Sozialrebellen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn das Alltagsgeschäft an der Grenze bestand in penibler und bürokratischer Kontrolle. Kontrolliert wurden nicht nur die Kaufleute, die wenigen Touristen und der tägliche kleine Grenzverkehr, sondern vor allem viel fahrendes Volk: »Zigeuner«, Wanderhändler und Hausierer, unter denen sich auch Juden befanden oder zumindest vermutet wurden. Man fahndete nach Kriminellen und Revolutionären, nach Betrügern und Staatsfeinden und nach aufrührerischen, kirchenkritischen Büchern und Pornografie. Das erklärt auch, warum sich im Zoll eine spezifische Subkultur herausbildete, in der die Abneigung gegen Randgruppen, Minderheiten und Juden besonders groß wurde. Antisemitismus hatte im Zoll eine besondere Tradition. Das war auf der Führungsebene beim Leiter der Wiener Zollbehörde Franz Holzer, der sich von ganz unten hinaufgedient hatte, nicht anders als bei den untergeordneten Chargen. Man muss daher auch bei Alois Hitler, obwohl das nie ausgesprochen wurde, mit einer entsprechenden antisemitischen und minderheitenfeindlichen Grundhaltung rechnen.

Alois kam von ganz unten, wie seine Gegner, die Schmuggler. Wohin sollte er seine Sympathien wenden? Im Staatsdienst fragte man nicht viel. Er hatte Disziplin gelernt, ohne viel zu hinterfragen: Alois selbst umschrieb die Diensterfordernisse in einem Brief als unbedingten Gehorsam, als Willen, viel zu lernen, und schließlich als Bereitschaft, bei jedem Wetter Dienst zu tun, bei Tag und bei Nacht. Trinker, Spieler, Schuldner und andere Nichtstuer hätten hier nichts verloren. An eine Verwandte schrieb er 1876 bei einer Erbschaftsangelegenheit: Onkel Franz habe zu viel getrunken und viel zu viel Zeit in den Gasthäusern verbracht. »Wie ein Mann lebt, so stirbt er.« Er habe daher auch nichts hinterlassen, war Alois Resümee.66

Alois stieg rasch auf und machte viele Erfahrungen, immer an der bewegten Grenze zwischen Österreich und Bayern, im Salzburger Pinzgau und im oberösterreichischen Innviertel. Die fünfziger und sechziger Jahre waren politisch umstrittene Zeiten: Neoabsolutismus, Krimkrieg, Kämpfe in Italien, Konflikte um die deutsche Einigung und um die Vorherrschaft im Deutschen Bund, Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark, Krieg Österreichs gegen Preußen und Italien, zuletzt Krieg Preußens gegen Frankreich. Das militarisierte die Gesellschaft. Auch die Bedeutung der Zollwache hatte zugenommen, weil die Überwachung immer mehr an die Außengrenzen verlegt und die Schutzzollbewegung immer stärker wurde.

Für Alois Hitler war 1864 ein wichtiges Jahr. Obwohl nur mit Volksschulabschluss und ohne höhere Bildung, hatte er im Zolldienst rasch Karriere gemacht: Nach dem Eintritt in die k.k. Finanzwache im Jahr 1855 war er 1860 bereits Finanzwache-Oberaufseher in Wels.67 In einem Brief aus 1862 nennt er als seine Adresse den Salzburger Zollgrenzbezirk Saalfelden. 1864 hatte er mit der Ernennung zum »provisorischen Amtsassistenen« der 11. Dienstklasse und mit der Übernahme in den Beamtenstatus sein wichtigstes Ziel erreicht: eine pragmatisierte Position als Staatsbeamter im Zolldienst, den er im Nebenzollamt Mariahilf in der Gemeinde Schardenberg im »Finanz-Inspektoratsbezirk Wels« antrat.68 Elf Tage nach dieser Beförderung heiratete er zum ersten Mal, und zwar ein Mädchen aus seinem Vorgesetzten- oder Kollegenkreis: Anna Glassl-Hörer, angeblich die Adoptivtochter des Zolleinnehmers Josef oder Johann Hörer in Radstadt und laut Taufschein Tochter des Steuerbeamten Josef Glassl in Theresienfeld bei Wiener Neustadt. Ein Matrikeneintrag für diese Hochzeit konnte bis heute nicht gefunden werden, weil man den Ort der Heirat nicht kennt. Aber man darf dem deklarierten Antifaschisten und ersten seriösen Hitler-Biografen Konrad Heiden, der dieses Datum nach Einschau in die damals noch vorhandenen Personalakten erfahren haben will und in seinem 1936 erschienenen Buch Hitler. Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit publizierte, sicher mehr trauen als den notorisch unverlässlichen Braunauer Zeitzeugen, die im Jahr 1938 diese Eheschließung auf 1873 datierten.69 Heiden erwähnte auch den inzwischen nicht mehr vorhandenen Scheidungsakt aus 1880, dem zufolge diese Ehe nach sechzehnjähriger Dauer am 7. November 1880 durch das Bezirksgericht Braunau geschieden bzw. von Tisch und Bett getrennt worden sei. Die Adoptiveltern der Braut seien wohlhabend gewesen. Sie hätten Alois den Luxus von Büchern und Reisen und ein gewisses gesellschaftliches Auftreten ermöglicht.

Dass alle späteren Hitler-Biografen nicht 1864, sondern 1873 als Jahr dieser ersten Eheschließung angaben, geht auf die Braunauer Schuldirektorin Maria Pernstein zurück, die von 1913 bis 1933 in Braunau tätig war und 1955 in Salzburg 80-jährig verstarb. Sie hatte 1938 vom Hörensagen Aufzeichnungen zu Alois Hitlers Braunauer Zeit zusammengetragen, von denen schon Jetzinger feststellte, dass sie von Fehlern nur so wimmeln würden, was ihn aber nicht hinderte, sie dennoch zu übernehmen. So auch das Datum der Hochzeit mit Anna Glassl: »Die Eheschließung soll nach Angabe der Lehrerin Pernstein am 31. Oktober 1873 stattgefunden haben«, allerdings mit der schon von Jetzinger hinzugefügten Anmerkung, dass »Frau Pernstein eben jeden Tratsch kritiklos niedergeschrieben« habe.70 Dass Jetzinger, obwohl er Konrad Heidens Buch gekannt hat, die von ihm gelieferten Personaldaten negierte, muss daran liegen, dass er offensichtlich die Erstauflage benutzte, in der das Heiratsjahr noch nicht enthalten war, während Heiden noch im Jahr 1936 in den später gedruckten Exemplaren seine Darstellung um neu gefundene Informationen ergänzt hatte. Alle späteren Autoren sind aber Jetzinger gefolgt und haben Heidens Buch offenbar nie oder nur in der Erstausgabe nachgelesen.

Dass sich in den Braunauer Matriken aus dem Jahr 1873 oder auch aus früheren oder späteren Jahren keinerlei Hinweise auf diese Eheschließung finden, darf nicht überraschen. Sie war eben früher und an einem anderen Ort erfolgt. Fakt ist: Anna Glassl oder später Glassl-Hörer war am 26. März 1823 als Tochter des k.k. Tabak- und Stempelgefällsaufsehers, also Steuerbeamten Joseph Glassl und der Elisabeth Pfindt, Tochter des Johann Pfindt, Leichenträger in Wien, in Theresienfeld bei Wiener Neustadt geboren worden. Väterlicherseits bestand eine lange Zollamtstradition. Schon der Großvater war königlich-ungarischer Dreißigst-Aufseher und Zolleinnehmer an der bis 1848 bestehenden österreichisch-ungarischen Steuergrenze gewesen.71 Getauft wurde sie am 27. März 1823 in Theresienfeld. Die Taufpatin war Anna Bekerer, die Gattin eines Wiener Neustädter Seidenfärbers. Sonderlich begütert war die Familie also wohl nicht. Doch was bedeutet der von Konrad Heiden erwähnte Doppelname Glassl-Hörer? War sie adoptiert worden oder eine wohlhabende Witwe? Und wer war Josef oder Johann Hörer? War er der k.k. Steueramts-Cassa-Adjunkt Josef Hörer, der in den Wiener Adressbüchern bis 1864 als Hausbesitzer in Oberdöbling Nr. 272 aufscheint? Oder war er irgendein nicht näher bezeichneter Beamter irgendwo im Land Salzburg, in Radstadt vielleicht, wie Heiden schreibt? Wo Alois Hitler Anna Glassl kennengelernt hatte, ist nicht bekannt, und auch nicht, wo die Hochzeit stattfand. Jedenfalls war die Braut vierzehn Jahre älter als Alois. Ob die Heirat eine Liebes- oder Geldheirat war, lässt sich ebenfalls nicht klären. Die große Altersdifferenz ist allerdings auffällig. Man könnte sagen: Alois Hitler hatte schon in seiner Kindheit immer mit sehr alten Frauen zu tun gehabt. Seine Mutter war bei der Geburt fast 41 Jahre alt und auch im Haus des Ziehvaters Johann Nepomuk gab es eine alte »Mutter«, weil auch dessen Frau dreizehn Jahre älter war als ihr Mann.

Das Jahr der Heirat ist nicht ganz belanglos, ob 1864 oder 1873. Im Jahr 1873 war Alois Hitler bereits 36 Jahre alt und Anna Glassl 50. Natürlich: Der Altersunterschied war auch 1864 nicht kleiner als 1873, war aber noch nicht so in die Augen fallend wie in den 1870er Jahren, als Anna den Quellen zufolge schon eine kränkelnde, alte Frau geworden war. Hatte Alois 1864, als er die 41-jährige Anna Glassl heiratete, noch auf Kinder hoffen können, zumal seine Mutter ihn ebenfalls in diesem Alter entbunden hatte, so war in den 1870er Jahren, als Anna den Fünfziger überschritten hatte, diese Möglichkeit mit Sicherheit vorbei. Indem sein Heiratsdatum allerdings um neun Jahre umdatiert wurde, erscheint der bald darauf konstatierte Ehebruch eklatanter und die Scheidung im Jahr 1880 von einer bereits schwerkranken Frau umso skandalöser.

Mangels Personalakt bleibt vieles im Dunkeln. Wie lange Alois im Land Salzburg eingesetzt war und wann er nach Oberösterreich versetzt wurde, ist ebenfalls nicht ganz klar: ob das bereits 1864 mit der Übernahme in den Beamtenstand erfolgte, ob in einem der nächsten Jahre oder erst im Jahr 1870, in welchem er in Mariahilf bei Passau erwähnt ist. Feststeht, dass er 1871 von Mariahilf nach Braunau versetzt wurde.

Mythos Braunau

»In Braunau, diesem von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldeten Innstädtchen, bayerisch dem Blute, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts meine Eltern; der Vater als pflichtgetreuer Staatsbeamter, die Mutter im Haushalt aufgehend und vor allem uns Kindern in ewig gleicher liebevoller Sorge zugetan …«, schreibt Adolf Hitler in den ersten Sätzen von Mein Kampf.72 Er, der nur die ersten drei Jahre seines Lebens in Braunau verbracht hatte, konnte daran kaum eine Erinnerung haben. Und auch für seinen Vater waren die einundzwanzig Braunauer Jahre sicherlich nicht nur reine Freude: Als Auswärtiger, als Zollbeamter und als Vertreter des österreichischen Staates war er in der Grenzstadt nicht unbedingt willkommen. Einfach war es für Fremde im Innviertel selten: Der Innviertler sei stolz, hochfahrend und verschlossen, trinkfreudig und rauflustig sowie revolutionär gegen alle höheren Verordnungen, mögen sie nun aus Linz oder aus Wien kommen, meinte der bekannte Volkskundler Eduard Kriechbaum, der aus dem Mühlviertel stammte und von 1913 bis 1939 Ranshofener und Braunauer Stadtarzt war und die Innviertler Mentalität wie kein anderer kannte.73

Im Innviertel ging es rau zu. Dass Alois seinem Sohn die im Kreisgericht Ried zur Schau gestellten Raufwerkzeuge der Innviertler Bauernburschen gezeigt habe, wie Adolfs späterer Wiener Freund und Kumpan Reinhold Hanisch später berichtete, ist zwar erfunden. Denn wann wäre Alois mit Adolf zu Besuch in Ried gewesen? Aber dass Alois ihm davon erzählt hat, ist sicher, weil die besagen Utensilien noch heute im Kreisgericht vorhanden sind.74 Dass Alois bei solchen Kraftakten schlichtend eingreifen musste oder sich sogar selbst daran beteiligte, kann man sich gut vorstellen.

In der Stadt, die erst seit 1816 dauernd zu Österreich gehörte und wo das Österreichbewusstsein immer noch recht schwach ausgebildet war, schlugen Alois wohl manche Vorurteile entgegen. Der Nachrede, die er in Braunau hatte, positiv wie negativ, darf man daher nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Zöllner waren zwar Vertreter des fernen Kaisers in Wien. Aber gerade im Innviertel war die Anhänglichkeit an die Haupt- und Residenzstadt und an das Kaiserhaus nicht besonders groß. Hier waren immer noch die alten bayerischen Bindungen präsent, und München lag nicht nur geografisch viel näher als Wien und nicht weiter entfernt als Linz, sondern man orientierte sich auch kulturell und politisch häufig immer noch lieber an der alten als an der neuen Heimat.

Dass Alois Hitler 1871 zum neu zu errichtenden Nebenzollamte erster Klasse in Braunau mit der gleichzeitigen Ernennung zum Kontrollor und der Vorrückung in die Gehaltsklasse 10 versetzt worden war, hing mit der stark gestiegenen Bedeutung zusammen, die Braunau gerade in den Jahren 1870/71 gewonnen hatte. 75 Die Stadt, die durch den Übergang des Innviertels von Bayern an Österreich zur Grenzstadt und durch den Niedergang der Innschifffahrt in eine schwere wirtschaftliche Krise geraten war, war 1870/71 mit der Eröffnung der Innkreis-Eisenbahn zwischen Neumarkt-Kallham und München und der neuen Innbrücke in Braunau, welche die kürzeste Verbindung zwischen Wien und München herstellten, als Grenzort deutlich aufgewertet worden. Zwischen 1883 und 1897 nahm sogar der Orient-Express zwischen Paris und Istanbul die Route über Braunau statt über Salzburg. Dazu kam, dass zwischen 1870 und 1880 von der DDSG auch eine Dampfbootlinie von Passau nach Braunau betrieben wurde und Braunau 1870/71 auch eine Telegrafenstation erhalten hatte. Damit war die bislang recht abgelegene Stadt mit einem Mal als Grenzbahnhof und Zollamt sehr wichtig geworden.

1871 war ein politisch besonderes Jahr. Nun lag auf der anderen Seite des Inns nicht mehr nur Bayern, sondern das neu gegründete, voll Siegeskraft strotzende Deutsche Reich. Österreich als frühere Führungsmacht in Mitteleuropa war in die zweite Reihe getreten. Der preußische König war nun auch ein Kaiser. Der deutsche Nationalstaat, der bisher nur erträumt war, war Realität geworden und versprach wirtschaftliche Dynamik, moderne Wissenschaft, militärische Stärke und einen Platz an der Sonne. Deutschland war der neue Hoffnungsträger und die Habsburgermonarchie nur mehr der kranke Mann an der Donau. Der Ruhm der nationalen Einigung fiel einzig auf das Deutsche Reich. Österreich stand abseits. Die Deutschen der Habsburgermonarchie waren orientierungslos geworden: Zerrissen zwischen habsbur-gisch-großdeutscher und preußisch-kleindeutscher Lösung, zwischen pangermanischen Träumen der nationalen Einigung aller Deutschen und dem immer umstrittener werdenden kulturellen Führungsanspruch des Deutschtums im multinationalen Staat der Habsburgermonarchie.

Nach der deutschen Reichsgründung 1871 und der damit vollzogenen »kleindeutschen Lösung«, d. h. der Einigung Deutschlands unter Ausschluss Österreichs, blieben viele Österreicher weiterhin »großdeutschen« Ideen verbunden. Die Alldeutschen und Deutschnationalen erstrebten eine enge politische Anbindung an das Deutsche Reich oder sogar die vollständige Auflösung der Habsburgermonarchie und den Anschluss aller von Deutschen besiedelten Teile an den neuen Nationalstaat. Ein führender Vertreter dieser politischen Richtung war Georg Ritter von Schönerer. Im Linzer Programm von 1882 stellten die Deutschnationalen die Parole »nicht liberal, nicht klerikal, sondern national« auf und wandten sich damit nicht nur gegen den multinationalen Habsburgerstaat, sondern auch gegen den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche, die seit alters her eine wesentliche Stütze der Habsburger gewesen war, und auch gegen die Juden als vermeintliche Feinde einer nationalen Gesellschaft. Dann gab es jene, die zwar keine Auflösung der Habsburgermonarchie, wohl aber die Bewahrung oder Durchsetzung der deutschen Vorherrschaft im Staat als Ziel hatten, und die voll Verachtung auf alle übrigen Nationalitäten des Kaiserreiches blickten. Jene hingegen, die auf einen Ausgleich der Nationalitäten und auf ein friedliches Zusammenleben hofften, waren wahrscheinlich sogar die Mehrheit, aber sicher nicht die lautesten.

Das Kaiserreich Österreich war seit den 1850er Jahren im industriellen und selbst im agrarischen Bereich immer weiter hinter die Staaten des Deutschen Zollvereins zurückgefallen. Während Preußen die Zollvereinsmitglieder auf einen Freihandelskurs einschwor, blieb Österreich tendenziell schutzzöllnerisch. Die Verkehrsanbindungen Sachsens und Bayerns an Österreich und Böhmen blieben trotz des fortschreitenden Eisenbahnbaus gering. Es entstand ein deutliches Gefälle zwischen der Habsburgermonarchie und dem Kommunikationsraum, den das übrige Deutschland zu bilden begann. Der Vielvölkerstaat Österreich, der sich mehr und mehr mit den slawischen, magyarischen und italienischen Nationalbewegungen auseinandersetzen musste, hatte es versäumt, die deutschen Mittelstaaten in eine Politik einzubeziehen, die den Deutschen Bund als mitteleuropäische Staatengemeinschaft gesichert hätte. Österreich entschied sich zwar nach der Niederlage von 1866 nicht für eine Revanchepolitik, sondern für eine Allianz mit dem Deutschen Reich. Aber es wurde zunehmend klarer, dass die Habsburgermonarchie in dieser Allianz der schwächere Partner war und diese Allianz den Vielvölkerstaat auf eine zunehmend schwerere Probe stellen würde.

Auch Braunau war im Umbruch. Es gab auch hier das Gefühl des Fortschritts, aber gleichzeitig auch schwerwiegende Rückschläge. 1871 boomte die Wirtschaft nicht nur in Wien, sondern auch am Inn: in Wien der überhitzte Ringstraßenbau, in Braunau die Auswirkungen des Eisenbahnbaus und des Anschlusses an das moderne Kommunikationsnetz. Dass der riesige Grenzbahnhof auf der bayerischen Seite in Simbach errichtet worden war, schmerzte. Doch rasch erschienen Krisenzeichen. In Wien erschütterte der große Börsenkrach von 1873 die Wachstumseuphorie. In Braunau veränderten schwere Brände das Stadtbild. Schon 1871 waren 16 Häuser am Lerchenfeld abgebrannt. 1874 folgte ein wirklich verheerendes Feuer, dem insgesamt 122 Objekte im Innenstadtbereich zum Opfer fielen; ein Drittel aller Häuser waren zerstört, darunter auch das Rathaus mit dem Stadtarchiv. Mehr als 20 Feuerwehren aus Oberösterreich, Salzburg und Bayern waren im Einsatz und kämpften zehn Tage lang gegen die Flammen. Der Jammer war grenzenlos; glücklicherweise war kein Menschenleben zu beklagen. Doch die Brandkatastrophe konnte das rasche Stadtwachstum von 2.676 auf 3.625 Einwohnern zwischen 1870 und 1890 nicht hemmen. Wohnungen waren knapp, häufige Wohnungswechsel die Regel.

Adolf lebte hier nur einige Monate: das Hitler-Geburtshaus in Braunau am Inn, Vorstadt 219, damals der »Gasthof zum Braunen Hirschen« (links).

Der Dienstort des Vaters: die kaiserliche Zollstation erster Klasser am Bahnhof Simbach. Auf- und Grundriss des Hauptgebäudes (Mitte).


Loyal zu Kaiser und Monarchie und doch gleichzeitig deutschnational und pangermanisch denkend: die Linzer Zoll- und Verzehrungssteuerbeamten, um 1914 (unten).

Für Alois war in Braunau der beschwerliche und gefährliche Außendienst vorbei. Die erhaltenen Fotos bestätigen eine stattliche äußere Erscheinung, mit einem im 19. Jahrhundert durchaus noch geschätzten Wohlstandsbäuchlein, mit blinkenden Knöpfen, goldfarbener Bauchbinde, Säbel und Zweispitz. Seine Bartmode folgte der des Kaisers. Seine Karriere war ja wirklich beachtlich: Nur mit einfachster Pflichtschulbildung hatte er den Sprung vom reinen Wachdienst zum Beamtenstatus geschafft, zuerst als Amtsassistent, dann Kontrolleur, schließlich Zollamtsoffizial, zuletzt Oberoffizial. Alois war in der Mittelschicht angekommen. 1876 schrieb er voll Stolz an eine Verwandte in Niederösterreich: »Seit Du mich vor 16 Jahren zum letzten Mal gesehen hast, als ich ein Finanzwach-Oberaufseher war, bin ich sehr weit aufgestiegen und habe bereits zwölf Jahre als Beamter im Zollwesen gedient.« An das Ende dieses um Eindruck heischenden Briefs setzte er seine Adresse: »Beamter in der kaiserlichen Zollstation erster Klasse am Bahnhof Simbach, Bayern, Adresse Braunau, Linzerstraße.«76

Zöllner sind staatstreu. Sie standen an der Außenfront des Staates, bewachten die Grenzen, kontrollierten die Verzehrungssteuerlinien und verschafften dem Staat den Großteil seiner Einnahmen, was nicht heißt, dass sie nicht manchmal auch in die eigene Tasche wirtschafteten. So war auch Alois gleichzeitig unbedingt loyal zum Kaiser und zum Habsburgerstaat und konnte doch gleichzeitig deutschnational und pangermanisch denken. Sein Brot kam vom österreichischen Staat. Ein Anschluss an Deutschland hätte ihm quasi die Existenz entzogen. »Pangermane, dabei merkwürdigerweise doch kaisertreu«, nannte ihn später einmal der Leondinger Bürgermeister Josef Mayrhofer.77

Alois Hitler war ein österreichischer Beamter. Aber was war das Österreichische an ihm? Auf jeden Fall unterschied er sich in der Lebensführung, im Familienleben, sicherlich auch in den Essgewohnheiten und in der Freizeitgestaltung vom Wiener Beamtentyp. Viele Freunde scheint er unter den eingesessenen Braunauer Bürgern nicht gehabt zu haben. Alle, die man kennt, kamen aus seinem engeren Berufsumfeld. Zöllner waren nirgendwo wirklich beliebt. Aber in Braunau, wo viele immer noch bayerisch dachten und wo immer noch viele Verwandtschafts- und Wirtschaftsbeziehungen über den Inn hinweg bestanden, waren sie besonders wenig geliebt. Sie überwachten den Verkehr mit den Gegenständen des Alltags, die man über die Brücke zwischen Simbach und Braunau bringen konnte und durch den Zoll kontrollieren lassen musste oder an ihm vorbeischmuggeln wollte: Zucker, Salz, Tabak, aber auch Fleisch, Mehl, optische Geräte, Chemikalien und andere hoch besteuerte Alltagsdinge. Auseinandersetzungen zwischen Schmugglern und Staatsorganen waren an der Tagesordnung.

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